30

Galan Drakos starrte den Ritter mit verschränkten Armen an. Seine dünnen Lippen waren zu einem raubtierhaften Lächeln verzogen.

Der abtrünnige Zauberer zog die Kapuze seiner Robe zurück, so daß sein Gesicht ganz sichtbar wurde. Sein dünnes Haar klebte ihm strähnig am Kopf. Der spitze Haaransatz reichte bis in die Stirn. Der Kopf an sich war lang gezogen, fast unmenschlich. Der Zauberer griff hinunter und tätschelte den knochenweißen Kopf des einen von zwei Schreckenswölfen, die ihn flankierten; diese Bewegung enthüllte lange, knochige Finger, die in Klauen endeten.

»Und so kommen wir zum Ende. Ich hätte es mir nicht anders wünschen können. Du mußtest hier sein, um meinen Sieg zu sehen – den endgültigen Sieg.«

»Du wußtest, daß ich hier war?«

»Die Anhänger Nuitaris machen ihrem Gott keine Ehre. Sie sind so von ihrer eigenen Wichtigkeit überzeugt, daß sie nicht erkennen, was einer vermag, der nicht von den Gesetzen eingeschränkt wird, die von diesen Obertrotteln der Versammlung der Zauberer erlassen werden.«

Während Drakos sprach, ging Huma seine Möglichkeiten durch – und das waren nicht viele. Ein Plan, den nur die Verzweiflung gebären konnte, fuhr ihm durch den Kopf. Huma ging einen Schritt zurück und hielt seine freie Hand über die große Kugel, von der der Ritter nur Augenblicke zuvor die Vision der Drachenkönigin empfangen hatte. »Keine Bewegung, sonst zertrümmere ich sie. Was dann mit deinen Träumen?«

»Sie würden buchstäblich zu Staub zerfallen – wenn du es wirklich schaffst, die Kugel zu zerbrechen. Ich gebe dir Gelegenheit zu einem Versuch.«

Huma schlug, so fest er konnte, auf die Oberfläche der Smaragdkugel. Sein Handschuh prallte ab. Auf der Kugel war nicht einmal ein Kratzer zu sehen.

»Siehst du?«

Huma nickte und ließ seine freie Hand wie beiläufig zum Gürtel sinken.

»Ich finde – «, konnte Galan Drakos gerade noch sagen, bevor Huma einen scharfen Dolch herauszog und ihn direkt auf den Zauberer warf.

Der Dolch war gut geworfen. Doch der Abtrünnige hob bloß einen Finger, da wurde die Klinge langsamer, drehte sich – und zischte auf Huma zu. Der Ritter warf sich hin und kullerte die Stufen der Kristallplattform hinunter. Das Messer prallte von der riesigen, grünen Kugel ab und fiel klirrend zu Boden.

»Schlapp. Ich hatte eigentlich mehr von dir erwartet.« Bevor Huma wieder richtig stand, schnipste Drakos mit den Fingern. Plötzlich wurde der Ritter von festen, anscheinend steinernen Händen von hinten gepackt. Er wand sich, um den dicken, monsterhaften Fingern zu entkommen. Das bedrohliche Wesen, das er übersehen hatte, ließ nicht locker. Humas Rüstung begann, in sein Fleisch einzuschneiden.

»An diese Wand«, zeigte Drakos.

Huma wurde umgedreht und hochgehoben. Etwas Kaltes, Steinernes hielt seine Handgelenke und dann die Knöchel fest. Der Ritter saß in der Falle.

Die schnellen, gezielten Bewegungen hatten Huma keine Zeit gelassen, einen Blick auf den Diener des Zauberers zu werfen. Jetzt merkte Huma zu seinem Entsetzen, daß sein Gegner tatsächlich einer der Gargyle an den Wänden war. Unter Humas Augen kehrte der Gargyl langsam zu seiner Nische zurück. Über die Schulter blickend, sah Huma, daß ein anderer Gargyl, der eigentlich nur aus Armen bestand, ihn an der Wand festhielt.

»Ich sehe, daß du meine Kunstwerke bewunderst.« Drakos trat näher, und der gefangene Ritter sah, daß sein Gesicht von einer dünnen Schuppenschicht bedeckt war. Der Abtrünnige war dem Aussehen nach fast ein Reptil, und Huma fragte sich, wieviel von seiner Menschlichkeit der Zauberer wohl für Macht hingegeben hatte.

»Um gerecht zu sein, ich habe dich anfangs unterschätzt. Ich dachte, du wärst nur ein Lakai von Magus, ein alter Freund, der ihm mal wieder nützlich erschien. Stell dir vor, wie überrascht ich war, als ich merkte, daß du nicht nur kein Lakai warst, sondern daß unser beider Freund dir tatsächlich vertraute.«

Das Gerede über Magus ließ Huma wieder wütend zappeln, doch die Pranken des Gargyls ließen nicht locker. Hilflos funkelte er den Abtrünnigen an, der nur noch befriedigter dreinschaute.

»Er hat sich von allem losgesagt, was er je getan hat, weißt du. Ich glaube kaum, daß es in seinen letzten paar Tagen auf ganz Krynn eine weißere Robe gab. Schade. Du hättest seine Schreie hören müssen. Meine – Assistenten – können phantasievoll sein. Einen mußte ich wegen seines Übereifers bestrafen. Er hätte unseren Freund fast getötet.« Der Abtrünnige kicherte. »Ich hasse es allerdings, Ideenreichtum zu unterbinden. Nicht, daß es da noch etwas ausgemacht hätte. Ich fürchte, danach war Magus nicht mehr richtig bei uns. Er begann, mit sich selber zu reden – Sachen aus der Kindheit, vermute ich. Das hat meine Leute furchtbar geärgert. Eigentlich hat er überhaupt nicht mehr richtig gesprochen, bis ich mich mit dir getroffen habe. Du mußt ihm sehr viel bedeutet haben, wenn er dafür von jenem sicheren Hafen zurückgekehrt ist, in dem er seinen Geist in Sicherheit gebracht hatte.«

Drakos zuckte mit den Schultern. »Genug von diesem Gerede über die Vergangenheit. Laß uns zur Zukunft übergehen – für diejenigen unter uns, die noch eine haben.«

Huma gab das Lächeln des Magiers zurück, obwohl sich sein Kopf vor Sorgen drehte. »Die Drachen sind besiegt; deine Abtrünnigen sind geschlagen; Crynus und die meisten aus seiner Schwarzen Garde sind tot. Du hast verloren. In ein paar Wochen wird dieser Krieg nur noch Legende sein.«

Drakos’ Augen blitzten auf, und Huma erkannte, daß er einen wunden Punkt getroffen hatte. Als der Zauberkundige wieder sprach, war seine Stimme rauh und wütend.

»In allen Punkten richtig, bis auf einen: Die Oger werden sich zurückziehen; sie sind im Grunde Maulhelden und damit Feiglinge. Sie sind nur Lanzenfutter, sonst nichts, und sie wären ziemlich überrascht, wenn sie wüßten, wie unwichtig sie in meiner Welt sein würden.«

»Deiner Welt?«

»Meiner Welt – als Stimme meiner Herrin, Takhisis, natürlich.« Drakos vollzog einen perfekten, höfischen Diener.

»Du hast keine Armee.«

»Das war das Problem mit Crynus. Er hat alles als Kampf gesehen. Selbst als er den Nutzen meiner Kräfte einräumte, sah er sie nur als Mittel für seine eigenen Ziele an.«

Galan Drakos war zu der dunklen Kristallplattform hinüber gegangen und stand jetzt oben, wo er die Kugel regelrecht streichelte. Der Smaragdglanz, der von ihr ausging, bestrahlte sein Gesicht, so daß es wie eine schon lange tote Leiche aussah. Huma erschauerte unwillkürlich.

»Die Stärke meiner Macht stammt – freiwillig oder unfreiwillig – von meinen Anhängern. Als die Schwarze Robe Sagathanus mich entdeckte, war es das, was ihn zuerst an mir interessierte. Damals war ich noch ein Narr, denn ich herrschte nur über ein paar Einheimische. Ich empfand wirklich etwas für den scheußlichen Ort, weil ich dort geboren war.« Er sah zu Huma hinauf. »Hast du je von Kultairai gehört? Nein? Das überrascht mich nicht. Es ist eine kleine, ländliche Provinz mitten in Istar. Außer Hafer haben sie nur ein paar starke Kerle für Söldnertruppen zu bieten. Man stelle sich das vor! Der größte Zauberer aller Zeiten – geboren in einer armseligen Provinz!«

»Das muß schlimm für dich gewesen sein.« Huma überraschte sich selbst mit dieser Bemerkung.

Das Reptiliengesicht verzog sich zu einem herben Lächeln. »Wie wahr. Niemand anders hat das bisher verstanden. Ich nehme an, daß es daher kommt, daß du unter ähnlichen Umständen aufgewachsen bist.«

Drakos hatte anscheinend viel über ihn in Erfahrung gebracht.

Er war für dich bestimmt. Die plötzliche Klarheit dieses Gedankens überwältigte Huma. Es war nicht sein eigener, sondern klang eher nach Magus… Was war für ihn bestimmt?

Weil er etwas spürte, trottete einer der Schreckenswölfe zu ihm herüber und schnüffelte. Von dem Fäulnisgestank wurde Huma ganz übel.

Drakos seinerseits starrte etwas in der Kugel an, das vielleicht nur er selbst sehen konnte.

Das Geräusch langer, ledriger Flügel ließ beide aufblicken. Cyan Blutgeißel war ohne die Erlaubnis seines Meisters zurückgekehrt. Der Blick des jungen, grünen Drachen verriet seine Angst.

»Meister Galan! Die Oger fangen an, davonzurennen! Meine Brüder fliehen voller Panik, diese Feiglinge! Was sollen wir tun?«

Drakos frohlockte. »Die Zeit ist gekommen. Es herrscht ein solches Chaos wie zuletzt vor dem Zeitalter der Träume.« Zu dem ängstlichen Drachen sagte er wieder: »Weg mit dir! Ich will nicht, daß dein Gestank schon wieder die Luft verpestet!«

Der junge Drache verschwand eilig. Drakos rief die beiden Schreckenswölfe, die zu zittern begonnen hatten.

Huma sah mit einer Mischung aus Abscheu und Erstaunen zu. Er konnte regelrecht mitverfolgen, wie die Lebenskraft – wenn man das so nennen konnte – aus den beiden ghulischen Kreaturen schwand. Sie kämpften nicht einmal. Galan Drakos nahm seine Hände von den beiden ausgehungerten, bewegungslosen Wesen. Die Schreckenswölfe zerfielen zu Asche.

»Angst ist Chaos. Krieg ist Chaos. Chaos ist grenzenlose Macht. Das ist eine Macht, die sogar die Götter respektieren. Verstehst du?«

Huma zwinkerte. Aufgrund seines gebannten Ekels angesichts der Vernichtung der zwei Schreckenswölfe hatte er nicht zugehört. »Was hast du vor?«

»Das.« Der Zauberer strich über die Kugel. »Das hier ist der Schlüssel für die Errichtung eines Zugangs zwischen unserer Ebene und dem Abgrund. Ein Portal oder Tor zum Reich der Drachenkönigin. Du mußt verstehen: Wenn Götter auf die Ebene der Sterblichen kommen – ich meine, wirklich hier sind –, sind sie nur noch Schatten ihres wahren Selbst. Was nicht heißt, daß sie schwach sind. Weit gefehlt. Ihre Gegner sind jedoch im Vorteil.«

Die Augen des Ritters leuchteten verstehend auf. »Deshalb entfernt sich die Drachenkönigin nie weit von dem von ihr geschaffenen Zugang. Sie fürchtet, daß Paladin sie in einem schwachen Moment erwischt. Jetzt aber hast du einen Weg gefunden, wie sie ihre volle Stärke auch hier in unserer Welt nutzen kann.«

Galan Drakos erstarrte. Dann lächelte er kalt. Ein Erdbeben schien die Zitadelle zu erschüttern, doch der Magier schenkte ihm keine Beachtung. »Du bist schlauer, als ich dachte. Aber deine kleine Einmischung wird trotzdem bald Geschichte sein.«

Fast! Ein unscharfes Bild formte sich in Humas Gedächtnis.

»Betrachte dich als geehrt. Du wirst Zeuge eines Ereignisses, das ganz Krynn verändern wird!«

Bei dieser Bemerkung glühte die große Smaragdkugel auf. Galan Drakos zog seine Kapuze über und rief einen bleichen, knochenfarbenen Stab aus der Luft herbei.

Humas Augen konzentrierten sich völlig auf den Stab des Abtrünnigen. Das war der Schlüssel! Der Stab von Magus. Den sein Gefährte bei seiner Gefangennahme durch die Schwarze Garde fallen gelassen hatte. Fallen gelassen? Wahrscheinlich eher zurückgelassen. Magus hätte ihn jederzeit leicht herbeirufen können, genau wie Galan Drakos seinen gerufen hatte.

»Takhisis, Herrin der Finsternis, die Zeit ist gekommen, um das Portal ganz zu öffnen! Die Zeit ist gekommen, deine ganze Macht von deinem Reich in dieses fluten zu lassen!«

Der Stab von Magus war für den Moment vergessen. Fassungslos sah Huma zu, wie die Wand hinter der Kugel sich wie in einem wahnsinnigen Alptraum zu verformen begann. Dann schien dieser Teil des Gebäudes völlig zu verschwinden.

Es waren jedoch nicht die Berge, die von dem Spruch enthüllt wurden. Statt dessen war es eine dunkle, chaotische Landschaft, die in ein klaffendes, endloses Loch überging, aus dem kein Licht entweichen konnte.

Vor Humas Augen veränderte sich die Landschaft wieder. Jetzt war sie bewaldet, aber die Bäume waren entweder tot oder am Sterben, und sie waren schwarz wie die Nacht.

Danach entstand eine sengende Wüste, aus der die Knochen verschollener Reisender ragten. In Sekundenschnelle wuchs es zu einem richtigen Knochenmeer heran.

»Was ist das?« Huma glaubte, es zu wissen, aber er hoffte, daß der Zauberer es abstreiten würde.

Galan Drakos wandte sich von der irren Szenerie ab und starrte den Ritter durch zusammengekniffene Augen an. »Das ist das Reich meiner Herrin – das ist der Abgrund.«

»Es verändert sich dauernd.«

»Es ist dein Kopf, in dem es sich verändert. Der Abgrund beruht auf persönlichen Erlebnissen. In diesem Falle, deinen. Ich habe gelernt, solche unbewußten Gedanken zu beherrschen.«

Galan Drakos trat von der Plattform herunter und näherte sich Huma, der vergeblich versuchte, sich loszureißen. Die Zitadelle erbebte wieder, doch Drakos schien das immer noch nicht zu bemerken. Er griff mit seiner Klauenhand nach der Stirn des Ritters.

»Mach dir keine Sorgen.« Die Stimme des Abtrünnigen war herablassend. »Ich habe jetzt weder Zeit noch Kraft für dich. Ich will nur deine Gedanken vor dem Abgrund abschirmen. Wie wenn man eine Wand aufstellt.«

Humas Kopf wurde von einer heftigen Kraft zurückgeworfen. Einen kurzen Moment lang war jeder Gedanke vergessen. Dann stand Drakos wieder oben auf der Plattform. Er klopfte zweimal mit dem Elfenbeinstab auf den Boden und begann, in einer Zaubersprache zu murmeln. Die Smaragdkugel strahlte wie eine winzige Sonne. Das Schloß erbebte wieder.

»Das Band zum Abgrund ist fest geknüpft!« rief der Abtrünnige triumphierend aus. In der Kugel glitzerte etwas. Drakos ließ seinen Stab verschwinden und legte beide Hände auf den leuchtenden Gegenstand. Er starrte darauf, ohne auf das fast blendend helle Licht zu achten. Wieder begann er zu murmeln.

Huma rief in Gedanken den Stab herbei.

Er konnte nicht beurteilen, ob es seine eigene Idee oder die des rachsüchtigen Geistes von Magus war. Er wußte nur, daß er sich darauf konzentrieren mußte, den Stab des toten Zauberers zu rufen, und daß er es jetzt tun mußte.

So einfach – jetzt, wo er es wußte. In der einen Minute waren seine Hände leer, in der nächsten hielt er in der Linken den Stab in seiner kompakten Form. Seine Augen wurden plötzlich größer, als er ein Zittern in der Handfläche spürte, die den magischen Gegenstand umklammerte. Als ob er sich mit Eigenleben bewegte, drehte er sich in seiner Hand und klopfte gegen die steinerne Tatze, die sein Handgelenk festhielt.

Der Gargyl ließ los.

Galan Drakos wendete sein Gesicht immer noch der Kugel zu. Seine Hände waren ausgestreckt, als würde er einen persönlichen Gott beschwören.

Huma befreite seine rechte Hand.

Drakos schrie etwas Unverständliches. Der Glanz der Kugel hatte sich ausgebreitet und den Zauberer erfaßt, der zu wachsen schien. Huma starrte die Kugel an. In ihr schien ungebändigte Energie zu wirbeln. Wieder erbebte die Zitadelle.

»Nein!« Drakos redete scheinbar mit jemandem. »Die Flut ist zu stark! Ich brauche mehr Macht, sonst überwältigt sie mich!«

Huma begriff diese Worte nicht, wußte aber, daß er die Verbindung zwischen den beiden Ebenen unterbrechen mußte. Wenn Takhisis diese Macht nutzen konnte –

Beim nächsten Mal war das Beben so stark, daß mehrere Gargyle nach vorne kippten und am Boden zerschmetterten. Galan Drakos’ Miene veränderte sich nicht, als er merkte, daß Huma frei war. Er murmelte einfach etwas vor sich hin und widmete sich dann sofort wieder seinem Zauber.

Sobald Huma frei war, begann sich der Stab zu dehnen und zu strecken, als wenn er lebendig wäre. Er wuchs, wie er es schon einmal getan hatte.

Plötzlich traten die Gargyle aus ihren Nischen und bildeten ein Sammelsurium von Monstern, deren einziger Gedanke Humas Tod war.

Da dieser mit dem Bauernspieß umzugehen wußte, sah Huma in dem Zauberstab eine geeignete Waffe. Bei jeder Berührung flogen die Splitter, und die Gargyle hätten genauso gut aus Butter sein können, so leicht glitt er durch sie durch. Doch ein verletztes Bein oder eine Enthauptung reichten nicht aus, um auch nur einen von ihnen aufzuhalten. Aus allen Richtungen drangen sie auf ihn ein, und Huma wußte, daß dem Abtrünnigen die untoten Diener in unermeßlicher Zahl zur Verfügung standen. Dennoch focht er entschlossen weiter, im festen Glauben an Paladin.

Huma wußte, daß er nur einen einzigen treffsicheren Hieb auf Drakos landen mußte, doch die Gargyle umringten ihn von allen Seiten, und auf diese kurze Distanz war der Stab praktisch nutzlos. Wenn nichts passierte, würde er in Kürze von einer der Steinkreaturen zermalmt werden.

»Huuuuuummmaaa!«

Die Stimme kam von oben und übertönte selbst den Lärm in der Zitadelle. Was machte Drakos nur? Mußte er die Berge selbst niederringen?

»Huuuuummmaaa!«

Jetzt konnte Huma sie sehen.

»Gwyneth!«

Sie entdeckte ihn und schraubte sich hinunter, als ein Gargyl Huma gerade den Stab aus der Hand schlug. Der silberne Drache brüllte und schlug nach den nächsten der Steinkreaturen. Sie zersprangen zu Sand. Gwyneth flog hoch, wendete und kam zurück, um noch einmal anzugreifen. Mehrere Gargyle ließen von Huma ab, um diesen neuen Feind anzugreifen. Gwyneth wurde vom Gewicht der Wesen heruntergezogen, die sich zu viert an ihrem Bauch festgekrallt hatten. Mit lautem Gebrüll, mehr vor Ärger als vor Schmerz, wirbelte sie in dem großen Raum so gut wie möglich herum, um die Gargyle abzuschütteln. Sie klammerten sich jedoch fest, so daß sie hinausfliegen mußte, um sie loszuwerden.

Damit hatte der silberne Drache Huma schon Zeit genug verschafft. Er schnappte sich den Stab des Magus und wirbelte wieder herum, wobei er den nächsten Angreifer mit dem ersten Schlag außer Gefecht setzte. Die anderen wagten sich wieder näher heran.

Eine Anzahl Männer kamen angerannt. Die Schwarze Garde. Die schwarzgekleideten Gestalten blieben im Torbogen stehen und starrten mit offenem Mund auf die Szene vor ihnen.

Huma sah den irren Ausdruck von Drakos, als er sich rasch den Soldaten zuwandte. Ein Licht wie das der grünen Smaragdkugel glitzerte in seinen Augen. Er sagte ein einziges Wort, und selbst diese kleine Anstrengung ließ ihn zusammenzucken.

Ein dünner, tödlicher Blitz aus grüner Energie, der aus der Kugel stammte, zuckte mit furchtbarer Geschwindigkeit auf die nichtsahnenden Krieger zu. Er teilte sich in zwei, dann in vier einzelne Pfeile, noch ehe er halb bei ihnen war. Zu spät erkannten die Soldaten die Gefahr und versuchten davonzurennen. Vier hatten keine Zeit mehr dazu. Sie wurden von den Energieblitzen wie Fische auf eine Harpune aufgespießt und in den Raum gezogen. Huma erschauerte. Der Zauberspruch schien Galan Drakos genauso zu beherrschen, wie dieser den Spruch. Der Ritter bezweifelte, daß der Abtrünnige überhaupt wußte, was er getan hatte. Alles, was für Drakos jetzt zählte, war Macht.

Die anderen Wachen flohen. Von seinem Standort aus sah Huma hilflos zu, wie ein weiterer Blitz heranzuckte, diesmal in seine Richtung.

Er traf ihn auf die Brust, und der Aufprall ließ den Blitzschlag auf einen Haufen Gargyle überspringen. Zuerst fühlte sich Huma, als würde ihm die Lebenskraft davonrinnen. Doch dann warf etwas den gefräßigen Blitz zurück und sandte ihn zuckend wieder in die Kugel. Huma griff sich an die Brust, wo er das Medaillon entdeckte, das Avontal ihm gegeben hatte. Das Medaillon eines Paladin-Klerikers.

»Huma! Das Schloß bricht auseinander!«

Ein Gargyl fiel auf die Knie. Ein anderer brach einfach zusammen. Als Huma herumfuhr, sah er Galan Drakos vor sich. Aus dem schon vorher kaum noch menschenähnlichen Gesicht des Abtrünnigen sprach der pure Wahnsinn.

»Ich – ich werde sie – sie meinem Willen unterwerfen! Ich bin Drakos, der größte Magier aller Zeiten!«

Der Zauberer rief seinen Stock herbei und klopfte damit dreimal auf das Podest. »Shurak! Gestay Shurak Kaok!«

Die Gargyle hatten alle Lebendigkeit eingebüßt. Als sie um Huma herum zusammenbrachen, tauchte der silberne Drache wieder auf und flog auf ihn zu. Drakos griff nicht an, sah ihn nicht einmal. Statt dessen lachte er den Himmel an. Seine Gestalt sprühte vor Energie.

»Ich habe es geschafft, Herrin! Die Macht ist mein!«

Der Abtrünnige war so in seinem augenscheinlichen Triumph gefangen, daß er das Bild nicht sah, das sich in der Smaragdkugel formte. Unter Humas Augen teilte sich das Gesicht in der Kugel in zwei. Dann drei. Die Gesichter verzerrten sich, wurden echsenartig. Drachen. Mindestens fünf Köpfe. Alle spottend.

»Huma, wir müssen fort!«

»Ich kann nicht!« Huma starrte die Drachenlanzen an, die Gwyneth trug. Sie waren für seinen Zweck zu unpraktisch. Selbst die Lanze für den Fußsoldaten war unhandlich. Dann blieben seine Augen an Magus’ Stab hängen. Ihm kam eine Idee.

Er ergriff den Stab. Worte, die er nicht verstand, strömten von seinen Lippen, und auf einmal leuchtete der Stab. Er warf ihn mit aller Kraft.

Der Stab verfehlte Galan Drakos, doch dieser war auch nicht das Ziel. Statt dessen flog der Stab wie ein Speer genau in den Mittelpunkt der leuchtenden Kugel. Er schien zu zögern, als das vordere Ende die Kugel berührte, doch dann versenkte er sich weiter hinein und zerbrach jeden Widerstand.

»Sieh nicht hin!« schrie Huma Gwyneth zu.

Die Smaragdkugel explodierte krachend.

Die Zitadelle bebte, und der Raum neigte sich, als sich die Auswirkungen der Zerstörung der Kugel auf das Schloß übertrugen.

»Huma!« Der Silberdrache stupste ihn an. »Wir müssen fliehen! Schnell!«

Er kam wieder auf die Beine, wobei er sich an ihrem einen Flügel festhielt. Ein rascher Blick zeigte ihm, daß die Plattform von einem grünlichen Inferno umgeben war, das die ganze Wand zu verdecken schien.

Draußen brüllte etwas.

»Paladin!« flüsterte er. Das konnte nicht sein! Huma konnte sich nur ein Wesen vorstellen, das einen so ohrenbetäubenden, erderschütternden Schrei ausstoßen konnte. Ein Drache. Ein riesiger Drache. Ein Titan mit fünf Köpfen, fürchtete er. Takhisis.

»Iiiiiaaaauuuu!«

Huma vergaß das Brüllen und fuhr herum zu der Feuersbrunst, aus der dieser neue Schrei gekommen war.

Langsam stieg etwas aus dem Smaragdfeuer. Es glühte, aber es brannte nicht. Es ging auf zwei Beinen, war jedoch nicht einmal mehr entfernt menschenähnlich. Es hob eine klauenbewehrte Tatze, die einst eine Hand gewesen war. Ein dämonisches Gesicht mit verzerrten Gesichtszügen wie die einer verrenkten Schlange war unter den zerrissenen Fetzen einer Kapuze zu erkennen.

»Hhhuuuummmaaaa!«

Galan Drakos taumelte vorwärts.

»Ich will deinen Tod!«

Etwas mit Tentakeln schoß auf ihn zu – und wurde von etwas abgewehrt, was kurz einem silbrigen Schild ähnelte. Galan Drakos ging einen Schritt zurück.

»Du hast auch deinen – deinen Schirmherrn! Schade, daß es für Krynn zu spät ist!« Das Gesicht verzog sich.

Huma ging einen Schritt vor. Gwyneth wollte aufbegehren, doch ein Blick des Ritters brachte sie zum Schweigen. Dann begann er, langsam auf den irren Zauberer zuzugehen.

»Zu viele Menschen sind deinetwegen gestorben, Galan Drakos. Paladin ist mein Zeuge, daß ich dich nicht laufen lassen kann. Es muß ein Ende haben.«

Als Drakos schließlich sprach, hatte er seine Stimme unter Kontrolle. Er starrte in die Weite.

»Ja. Es wird ein Ende haben. Mit dem siegreichen – mit der Aufdeckung meines Verrats. Ich habe gespielt und verloren.« Drakos wendete sich wieder Huma zu und zuckte mit den Schultern.

Der Abtrünnige taumelte zurück zum Rand des Infernos. Seine Beine trugen ihn kaum noch. Er stützte sich immer stärker auf seinen Stab.

Huma ging direkt auf ihn zu. »Ich kann dich nicht gehen lassen.«

Der deformierte Magier lachte, ein Lachen, das viel zu lange zu dauern schien. Die Augen von Galan Drakos waren enge, leuchtende Schlitze. »Ich warte nicht auf die Gerechtigkeit der Königin. Da ziehe ich die Vergessenheit vor. Sie soll meinen verdammten Geist nicht bekommen, um damit bis in alle Ewigkeit zu spielen.«

Galan Drakos, Magiermeister und Abtrünniger, sprach ein einziges Wort.

Die Smaragdflammen umfingen ihn. Jedweder Schutz, den er gehabt hatte, war abgelegt. Huma bedeckte die Augen, als das Feuer heller flackerte. Als er wieder hinsah, war von dem Zauberer nichts mehr übrig.

»Er hat sich verbrannt.«

»Nein.« Der silberne Drache schüttelte den Kopf. »Er existiert nicht mehr. Das war sein letzter Spruch. Es ist, als wäre er niemals gewesen. Schon bald wird keiner, der ihn mal kannte, sich mehr an ihn erinnern – außer seiner einstigen Herrin, denke ich.« Der Drache runzelte die Stirn. »Er ist der Drachenkönigin wirklich entkommen. Erstaunlich.«

Die Zitadelle machte einen weiteren Ruck.

»Huma!« Als Gwyneth die Gefahr erkannte, war ihre Faszination dahin.

»Ja!« Er wollte auf ihren Rücken klettern, hielt dann aber inne. »Nein! Der Stab von Magus! Ich muß ihn suchen…«

»Ist das der kleine Ast an deinem Gürtel?«

Er sah hinunter. An seiner rechten Seite steckte fest im Gürtel ein vertrauter, einen Fuß langer Stock. »Wie – «

Gwyneths Geduld war jetzt zu Ende. »Ich erkläre dir ein andermal etwas über Magie! Huma, Paladin ist mein Zeuge, daß ich dich liebe! Ich werde nicht zusehen, wie du hier stirbst, wenn ich es verhindern kann!«

Bei diesen Worten krabbelte er umständlich hoch. Mit jedem Moment, den sie dablieb, riskierte sie ihr eigenes Leben – und wofür? Sein Zögern, seine Ängste.

Aber sie liebte ihn.

Der Silberdrache hob rasch ab.

»Leg dich flach auf mich – und halt die Drachenlanze gerade!« rief sie.

Die Zitadelle kippte weiter, während sie langsam abrutschte. Die Gargyle wurden wie Putzlumpen durcheinandergeschmissen. Teile des Raumes begannen aufzubrechen. Ein Stück des oberen Ausgangs brach ein. Jetzt konnte der Silberdrache nicht mehr durch die enge Öffnung entkommen.

Huma hörte sie etwas in einer Zaubersprache rufen. Er hörte Gebälk einstürzen, dann flogen ihm die Steine um die Ohren.

»Festhalten! Jetzt geht’s los!«

Er fühlte, wie die Drachenlanze in die dicke Steinmauer stieß und das Loch erweiterte. Gwyneth faltete die Flügel zusammen und stieß hindurch wie ein Pfeil. Huma wußte, daß sie ihn so gut wie möglich mit ihrem eigenen Körper abschirmte.

Dann waren sie draußen. Huma merkte, daß er den Atem angehalten hatte, und holte tief Luft. Der silberne Drache schraubte sich höher. Von oben konnten sie sehen, wie eine grüne Feuersbrunst jetzt einen Großteil des Schlosses erfaßt hatte.

Was von der Zitadelle des Zauberers noch übrig war, hing noch einen Augenblick am Berg. Dort wankte es, um dann langsam hinunterzukippen. Zuerst fiel der Turm, ein langer Schaft, der sich vorwärts neigte und dann umfiel.

Huma richtete seine Augen zum Himmel. »Paladin!«

Plötzlich war eine neue, größere Finsternis eingetreten.

»Huma…« Die Stimme des Silberdrachen zitterte.

Er folgte ihrem Blick zum obersten Gipfel des Berges, von dem die Burg von Galan Drakos abgerutscht war. Etwas Gigantisches mit vielen Köpfen, die Bosheit ausstrahlten, starrte in ihre Richtung.

Huma – Liebling von Paladin. Komm zu mir. Komm in meine Arme.

Takhisis.

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