Buoron war der erste, dem er sein Geheimnis anvertraute. »Du hast Glück gehabt, daß es keinem von den anderen aufgefallen ist«, sagte der bärtige Ritter. »Dein Mund stand sperrangelweit auf, als sie ihn brachten.«
Huma schüttelte den Kopf. »Ich war völlig überrascht. Als ich Kaz zuletzt gesehen habe, ritt er nach Norden und ich nach Süden. Jede Menge Verfolger waren hinter uns her. Ich war anscheinend der Wichtigere, denn sie sind mir gefolgt.«
»Und haben dafür bezahlt«, bemerkte Buoron ruhig. Huma hatte ihm kurz von dem Zwischenfall erzählt, ohne ihn weiter auszuschmücken. Es hatte den anderen Ritter nicht wenig beeindruckt.
»Ich bin erstaunt, daß Kaz hier ist, und zwar schon einige Tage länger als ich. Er muß fast sofort nach Süden umgekehrt sein und mich knapp verpaßt haben. Nach unserer Trennung mußte ich mein Pferd opfern, weil ich hoffte, meine Verfolger dadurch zu täuschen. Danach war ich eine Zeitlang zu Fuß unterwegs. Er muß aber trotzdem schnell geritten sein, um die ganze Strecke zu schaffen. Er hat sein Pferd bestimmt auch bald eingebüßt.«
»Wußte er, wo du hin wolltest?«
Huma überlegte lange. Es schien Jahre her zu sein. »Die grobe Richtung. Genug jedenfalls, um sich südwestlich zu halten.«
Buoron schaute aus dem Fenster zum Käfig. Kaz war in dumpfem Zorn zusammengesackt. »Es gibt viele Wege, auf denen ein erfahrener Krieger unentdeckt reisen könnte. Er wird uns bemerkt haben und hat dann vielleicht angenommen, daß dein Ziel hier liegt.«
Das ergab für Huma einen Sinn. »Ich habe erwähnt, daß ich zu den Rittern zurückwollte. Womöglich hat er geglaubt, daß ich hierher gehe, wenn ich es nicht zurück nach Solamnia schaffe.«
»Oder – « Buoron zögerte. »Oder er ist wirklich ein Spion.«
»Nein.« Huma war sich in letzter Zeit über vieles im unklaren, aber die Loyalität des Minotaurus stand außer Frage.
»Du wirst Schwierigkeiten haben, die anderen davon zu überzeugen. Minotaurus bleibt Minotaurus. Sie werden ihn verhören und – ob er redet oder nicht – wahrscheinlich hinrichten.«
»Weswegen? Er hat sich nur verteidigt.«
Buoron verzog das Gesicht. »Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Er ist ein Minotaurus. Sie brauchen keinen anderen Grund.«
Huma ging auf und ab. »Ich muß mit Taggin reden.«
»Dann tu das bald. Sie werden noch heute mit dem Verhör beginnen, wahrscheinlich nach der Wachablösung.«
»Finde ich Taggin jetzt in seinem Quartier?«
»Ich glaube nicht. Als Ritter der Rose wird er jetzt seine täglichen Gebete verrichten. Nur wegen der Jagd hat er sie heute morgen überhaupt aufgeschoben. Wenn wir schon dabei sind – hast du in letzter Zeit dein Gewissen erleichtert?«
Huma blieb stehen und erbleichte. »Nein. Habe ich nicht. Es geschähe mir recht, wenn Paladin sein Auge für immer von mir abwenden würde.«
Buoron schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Paladin ist etwas gnädiger. Komm.«
Taggin konnte Huma nach den Gebeten nicht empfangen. Der Kommandoritter beriet sich mit seinen Offizieren und dem Anführer der Patrouille. Huma wußte, daß er keinen Einlaß verlangen durfte. Das würde nur seine Chancen beeinträchtigen, sie zu überzeugen, Kaz freizulassen.
Da die Anführer beschäftigt waren, beschloß Huma, den Minotaurus zu begrüßen. Es war nicht recht, daß er vorgab, den massigen Mann aus dem Osten nicht zu kennen. Kaz hatte ihn immer ehrlich behandelt.
Das Gefängnis des Minotaurus ähnelte einem Stall für exotische Tiere in einem Wanderzirkus: ein Metallkäfig mit Gitterstäben und einer einzigen Tür, auf dem Boden Heu und Stroh. Kaz lief nicht hin und her. Statt dessen starrte er trübsinnig auf den Fleisch-Getreide-Brei, den seine Wärter ihm hineingeschoben hatten. Es war ein wenig appetitanregendes Essen, und Huma fragte sich, ob es so gräßlich schmeckte, wie es aussah.
Zwei Ritter bewachten den Käfig und stellten sich Huma in den Weg.
»Darf ich den Gefangenen verhören?«
»Das ist Sache des Oberbefehlshabers. Wer dabei zusehen will, ist willkommen.«
»Darf ich wenigstens mit ihm reden?«
Die beiden Ritter sahen sich an. Sie fragten sich zweifellos, warum einer von ihnen mit einem minotaurischen Gefangenen zu sprechen wünschte. Schließlich erwiderte derjenige, der zuerst gesprochen hatte: »Nicht ohne Erlaubnis des Oberbefehlshabers.«
Mittlerweile hatte Kaz die Stimmen gehört. Er reagierte nur langsam, vielleicht weil er nicht sicher war, wessen Stimme er hörte. Dann drehte er sich plötzlich um und sprang an den Gitterstäben hoch.
»Huma!«
Die beiden Wachen zuckten zusammen. Der augenscheinliche Anführer schlug mit seiner eisenbewehrten Faust gegen die Stäbe – weit genug entfernt, so daß der Minotaurus sie nicht ergreifen konnte. »Sei still, Ungeheuer! Du kannst reden, wenn das Verhör losgeht.«
Kaz schnaubte wütend. »Ich hatte die Ritter für eine ehrenhafte Gemeinschaft gehalten, aber ich sehe schon, daß nur sehr wenige von ihnen Ehre besitzen!« Er streckte einen langen, muskulösen Arm durch die Gitterstäbe, die Hand wie flehend geöffnet. »Huma! Hol mich aus diesem Käfig raus!«
Die Ritter starrten Huma mit zusammengekniffenen Augen an. »Er scheint dich gut zu kennen. Wie kommt das?«
»Wir haben uns kennengelernt und sind zusammen gereist. Er ist kein Sklave der Drachenkönigin. Er ist sein eigener Herr. Er ist ein Freund.«
»Ein Freund?« Die Wachen sahen Huma erstaunt – und sehr ungläubig an. Andere Ritter gesellten sich zu ihnen, um zu erfahren, was das Geschrei zu bedeuten hatte.
Schließlich sagte die andere Wache: »Vielleicht sollten wir Taggin holen, Caleb.«
»Ich will ihn jetzt nicht stören.« Caleb, ein großer, schwerer Mann mit räuberischem Blick, zeigte auf Huma. »Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich dich für einen Spion halten, weil du mit Magiern und Minotauren gemeinsame Sache machst. So aber halte ich dich einfach für dumm. Wenn du mit diesem Vieh sprechen willst, frag Taggin. Ich würde dich bis zum Verhör einsperren, wenn es nach mir ginge.«
Es gab zustimmendes Gemurmel, und Huma war überrascht. Innerhalb von Sekunden war er vom gefeierten Besucher offenbar zum Ausgestoßenen geworden.
»Was geht hier vor?« Jeder, sogar Kaz, gefror beim Klang dieser Stimme. Es war Fürst Taggin in seiner Prachtrüstung. Mindestens zwanzig Jahre waren von seinem Gesicht abgefallen. Jetzt war er der Inbegriff von Autorität.
»Männer, ihr benehmt euch in letzter Zeit immer pöbelhafter. Ich sehe schon, daß ich die Zügel etwas straffer ziehen muß.« Taggin wandte sich an Huma. »Mir wurde mitgeteilt, daß du etwas über diesen Minotaurus weißt.« Hinter dem Kommandanten studierte Buoron den Boden. »Wir fangen in einer halben Stunde mit dem Verhör an. Ich erwarte, daß du anwesend bist und sagst, was du zu sagen hast. Verstanden?«
»Ja, Herr.«
Taggin drehte sich zu den Posten um. »Was euch angeht, so gibt es Grundsätze der Ritterschaft, die ihr offensichtlich verletzt. Ich erwarte, daß ihr beide aus diesem Vorfall lernt.«
Der Ritter der Rose wartete keine Antwort ab. Statt dessen ging er an ihnen vorbei zum Käfig. Kaz funkelte ihn an, doch Taggin wirkte unbeeindruckt.
»Wisse, Minotaurus: Die Grundsätze der Ritterschaft werden eingehalten. Deine Verhandlung wird unvoreingenommen stattfinden. Du wirst Gelegenheit bekommen, dich zu verteidigen und zu beweisen, was dieser Ritter hier über dich sagt. Das verspreche ich.«
Kaz gab nur die Andeutung eines Nickens zur Antwort.
Taggin machte auf dem Absatz kehrt und marschierte in sein Quartier.
»Huma, du erstaunst mich unablässig mit deiner Fähigkeit, dich zum Mittelpunkt zu machen.«
Huma und Buoron sahen auf, als sie die Aufenthaltsräume der Ritter betraten. Magus starrte sie von der anderen Seite aus in der vollen Pracht seiner roten Robe an. Wieder wunderte sich Huma über die Veränderung. War Magus wirklich zum Orden von Lunitari zurückgekehrt, oder war das nur eine weitere seiner Launen?
»Der Zauberer kehrt zu den Lebenden zurück«, bemerkte Buoron trocken.
Der Magier rührte sich. »Wirklich, Huma, das einzige an dir, was noch dümmer ist als dieses Herumlaufen in Blech, ist deine Gesellschaft. Abgesehen von mir natürlich.«
»Wenn du nichts Wichtigeres zu sagen hast, Magus, dann halt besser den Mund.« Huma war über die Schärfe dieser Erwiderung selbst überrascht.
Magus beachtete die Rüge nicht weiter. »Ich sehe, daß es dem Minotaurus gelungen ist, in Schwierigkeiten zu geraten. Wir haben wirklich keine Zeit für so etwas. Hätte ich nicht die Pause gebraucht, dann hätten wir gestern abend schon aufbrechen können.«
Buoron lächelte grimmig. »Ohne Fürst Taggins Erlaubnis gehst du nirgends hin.«
»Wirklich nicht?«
»Nicht mit mir, Magus. Nicht bevor Kaz frei ist«, fügte Huma hinzu.
Der Zauberer seufzte. »Na schön. Ich hoffe, es dauert nicht lange. Ich weiß, wie lang und wie langweilig Verhöre sein können.«
»Huma, ist dieser Abschaum wirklich dein Freund?« warf Buoron ein.
»Glaub, was du willst. Ich hoffe immer noch, den alten Magus dahinter zu entdecken.«
Wenigstens dieses eine Mal hatte der Zauberer keine Widerrede parat. Er sah Huma nur an, um dann mit Interesse etwas an seinem Stab zu untersuchen.
»Kommst du mit, Magus?«
Sein Jugendfreund blickte auf. »Zu einem Verhör? Kaum. Sie könnten beschließen, mich auf die Anklagebank zu setzen. Ich erwarte den Ausgang hier.«
Huma stieß einen Seufzer aus, hätte jedoch nicht sagen können, ob vor Erleichterung oder aus Sorge.
Im Gegensatz zu den förmlichen Verhören in Burg Vingaard verlief die Sitzung im Außenposten kurz, direkt und ohne Umschweife. Kaz wurde befragt, wo er im letzten halben Jahr überall gewesen war. Sein Verbrechen gegen seine einstigen Herren und das nachfolgende Treffen mit Huma mußte er minutiös schildern, wobei Fürst Taggin auf einen Ausrutscher lauerte, der die Vertrauenswürdigkeit des Minotaurus in Frage stellen würde.
Im Laufe der Befragung kamen viele Einzelheiten der Geschichte des Minotaurus ans Licht. Er entstammte einer alten Familie von Siegern seines Clans. Er trug sogar den Namen eines lange verstorbenen Ahnherrn, eines mächtigen Kämpfers, der die Rasse dreiundzwanzig Jahre regiert hatte, bis er schließlich doch besiegt wurde.
Kaz jedoch war in einer Zeit aufgewachsen, in der kein wirklich starker Herrscher die Minotauren befehligte. Wie Huma erfahren hatte, waren ihre Befehlshaber jetzt ihrerseits Marionetten der Befehlshaber der Drachenkönigin. Jeder Minotaurus, Männer wie Frauen, wurde in die wachsenden Heere der Dunklen Herrin eingezogen, sobald er das entsprechende Alter erreicht hatte. In keiner Einheit gab es genug von ihrer Rasse, um eine Rebellion zu schüren. Kaz’ Volk wurde schon für das kleinste Vergehen streng bestraft.
Der große Krieger gab zu, daß er seinen Teil zu den Kämpfen beigetragen hatte. Das war ihm angeboren. Doch das sinnlose Gemetzel um ihn herum hatte ihn allmählich krank gemacht. Es lag keine Ehre in dem, wozu er gezwungen war. Den Ogern war es gleichgültig, ob sie ein Heer oder ein Dorf vor sich hatten. Alles, was sie auf ihrem Weg trafen, mußte ausgelöscht werden.
Dann beschrieb Kaz detailliert den letzten Vorfall, bei dem er den Ogerhauptmann umgebracht hatte. Einen Augenblick lang waren die anwesenden Ritter alle auf seiner Seite.
Die Nachricht vom Zusammenbruch der solamnischen Linien und dem darauffolgenden Chaos entfachte den Zorn der Ritter von neuem. Danach beschrieb Kaz den Angriff auf die Zitadelle von Magus und die Flucht, bei der Huma und Kaz sich schließlich getrennt hatten.
Der Höhepunkt der Befragung war wahrscheinlich Kaz’ Beschreibung von Humas kurzer, aber blutiger Begegnung mit dem Kriegsherrn. Die, die ihn wegen seiner seltsamen Freundschaft mit Mißtrauen angesehen hatten, begannen, ihn daraufhin mit noch gewachsenem Respekt zu betrachten.
Nach Kaz sprach Huma. Er bat die Ritter um nichts, sondern erzählte ihnen von den tapferen und gerechten Taten des Minotaurus. Er betonte auch, daß Ehre für Kaz einen genauso hohen Stellenwert hatte wie für die Ritterschaft.
Fürst Taggin sah furchtbar müde aus, als alles gesagt war. Er stand dem gefesselten und bewachten Minotaurus gegenüber, holte tief Luft und sagte: »Der Minotaurus Kaz war in jeder Hinsicht kooperativ. Er hat uns einen guten Einblick in das Vorgehen der Streitkräfte der Drachenkönigin gegeben, und seine Worte werden von Huma, Ritter der Krone, bestätigt. Von Rechts wegen hat er einen ehrenhaften Tod verdient.«
Kaz schnaubte wütend und begann, an seinen Fesseln zu reißen. Taggin fuhr fort.
»Es gibt jedoch eine weitere Möglichkeit. Paladin ist der Gott der Gerechtigkeit und der Weisheit. Den Minotaurus hinzurichten, wäre ein einziger Hohn. Deshalb liefere ich ihn dem bewährten Gewahrsam von Ritter Huma aus, dem wir wohl vertrauen können, daß er ihn unter Kontrolle halten kann.«
Allgemeiner Beifall folgte. Die Meinungen über Huma hatten sich wieder ins Gegenteil verkehrt, so daß er für seine Kameraden schon jetzt fast genauso ein Held war wie für die Ergodianer.
»Nehmt dem Minotaurus die Fesseln ab.«
Ritter Caleb gehorchte widerstrebend. Kaz grinste ihn zähnefletschend an, als der Ritter die letzten Schnüre löste. Im nächsten Moment brach der Minotaurus bereits durch die Menge. Kaz schnappte sich seinen alten Gefährten und hob ihn mit einem Freudenschrei in die Luft.
»Ich dachte, ich sehe dich nie wieder, Freund Huma! Du mußt wissen, daß ich mich aus Respekt vor dir während meiner Suche sehr zurückgehalten habe. Bin ich froh, daß ich mich entschlossen habe, gleich nach Süden zu ziehen! Ich hatte überlegt, daß du womöglich nach Norden gehst, um mich zu suchen.«
Huma wurde rot. »Ich konnte nur hoffen, daß du in Sicherheit warst. Mein Weg führte mich nach Süden, sogar gegen meinen Willen. Magus – «
Kaz verstand ihn falsch. »Ja, ich habe gesehen, wie dein Freund, dieser zauberkräftige Drachensohn, mich anstarrte. Er war wohl ohne weiteres bereit, mich aus Zweckdenken zu opfern. Sein befriedigter Gesichtsausdruck machte mich so wütend, daß ich über einen selbstmörderischen Fluchtversuch nachgedacht habe.« Der Minotaurus brüllte vor Lachen, obwohl Huma nicht wußte, weshalb.
Taggin räusperte sich. Rasch schob Huma den Minotaurus zu ihm hin. »Fürst Taggin, Ritter der Rose. Ich möchte Euch Kaz, den Minotaurus, vorstellen.«
»Aus einem Geschlecht, das mehr als ein Dutzend Sieger meiner Rasse hervorgebracht hat.« Im Land der Minotauren zählte Blut nicht ganz so viel wie bei den aristokratisch gesonnenen Rittern von Solamnia, doch eine Familie von Siegern war bei anderen Minotauren hoch angesehen. Für die Ritter war es, als würde Kaz sich als Edelmann seines Volkes vorstellen.
Taggin begrüßte den Minotaurus und wurde dann ernst. »Wir unterhalten uns, wenn die anderen fort sind. Ich habe auch den Magier rufen lassen.«
Der Raum leerte sich schnell. Ein Blick seines Kommandanten schickte auch Buoron vor die Tür. Kaz wirkte verwirrt, doch Fürst Taggin weigerte sich zu reden, bevor Magus anwesend war.
Mit offensichtlichem Widerstreben trat der Zauberer ein. Kaz mußte sich zusammenreißen, seine Augen waren blutunterlaufen. Huma befürchtete einen Angriff, doch Kaz hielt sich im Zaum. Magus tat so, als wäre die massige Gestalt gar nicht vorhanden.
»Ich habe beschlossen, deinem Wunsch Folge zu leisten, Fürst Taggin.«
»Wie überaus freundlich von dir.« Der betagte Ritter war ebensowenig bereit, seine Feindseligkeit dem Magier gegenüber zu verbergen wie Buoron. »Ich habe beschlossen, euch eure Reise fortsetzen zu lassen und werde sogar eine Eskorte stellen.«
Magus rümpfte die Nase. »Wie überaus freundlich von dir, Fürst Taggin, aber wir brauchen keine Eskorte. Huma und ich schaffen es allein.«
»Ihr werdet aber nicht allein sein, du Sohn einer Wölfin«, zischte Kaz. »Ich komme mit, ob Eskorte oder nicht.«
Taggin gebot mit erhobener Hand Schweigen. »Du hast keine Wahl. Ich gebe euch auf jeden Fall eine Eskorte mit. Und zwar nicht aus Höflichkeit. Es ist einfach notwendig, wenn ihr beabsichtigt, diese – Mission – weiter zu befolgen.«
Magus blitzte Huma offen an. »Ich wollte, du hättest ein Schweigegelübde abgelegt. Du hast anscheinend eine lose Zunge.«
Huma wurde zornig, wollte seinem Gefährten jedoch nicht die Genugtuung einer kindischen Erwiderung verschaffen.
Der Fürst näherte sich Magus, bis kaum noch mehr als eine Handbreit zwischen ihren Gesichtern lag. »Ihr reitet morgen früh bei Tagesanbruch. Nicht früher, nicht später. Solltest du erwägen, dich fortzustehlen, dann spar dir die Mühe. Wir werden dich finden, und dann sperre ich dich ein. Wir können einen Zauberer durchaus festhalten. Darauf kannst du dich verlassen.«
Es befriedigte Huma einigermaßen, daß Magus als erster den Blick senkte. »Na schön. Da wir offenbar keine andere Wahl haben.«
»Habt ihr nicht.«
An Huma gewandt, zeigte der Zauberer auf den Minotaurus und fragte: »Der da muß auch mitkommen?«
»Allerdings.« Kaz ergänzte Humas Antwort durch ein drohendes Grollen, bei dem er seine Zähne entblößte.
»Morgen früh also.« Magus wandte sich wieder an Fürst Taggin. »Ist das alles?«
»Nein. Verstehe ich richtig, daß all das auf einem Traum beruht?«
Der Magier lächelte irgendwie traurig. »Die Prüfung ist kein Traum. Alptraum wäre das passendere Wort. Ein Alptraum, den ich zu ändern hoffe.«
Taggin starrte ihm in die Augen. »Du hast ihm nicht alles erzählt, Magus, nicht wahr?«
Humas Augen wurden größer, dann noch größer, als der Zauberer noch immer mit der Antwort zögerte.
Magus schaute die anderen an und ging dann abrupt zur Tür. »Nein. Wenn es an der Zeit ist, werde ich es tun.«
Sie sahen ihm nach, während er den Raum verließ.
»Paß auf ihn auf, Huma«, flüsterte Taggin schließlich. »Nicht nur um euretwillen, sondern auch um seinetwillen.«
Der jüngere Ritter nickte. Wieder fragte er sich, ob er Magus überhaupt noch vertrauen konnte.
Ein Ritter stand wartend auf dem Gipfel des höchsten Berges. Sein Visier war heruntergelassen, so daß er nicht zu identifizieren war. Er trug das Zeichen der Ritter der Rose, und in der linken Hand hielt er ein hinreißendes Schwert. Er schien Huma die Waffe anzubieten.
Huma zog sich über Felsen und Spalten weiter hoch. Mehr als ein dutzendmal verlor er den Halt, doch jedesmal konnte er sich rechtzeitig wieder fangen. Obwohl Huma fast oben war, half der andere Ritter ihm nicht. Statt dessen hielt die seltsame Gestalt ihm weiter das Schwert hin.
Huma stolperte vor und nahm die angebotene Waffe entgegen. Es war ein schönes, sehr altes Schwert. Huma zerteilte damit dreimal die Luft. Der andere Ritter sah zu.
Der junge Mann dankte ihm für die Waffe und fragte ihn nach seinem Namen. Der Ritter hinter dem Visier sagte kein Wort. In plötzlichem Zorn griff Huma nach vorn und hob das Visier hoch.
Er würde nie erfahren, was dahinter war, denn irgend etwas heulte, und Huma saß aufrecht im Bett, während sich der Traum verflüchtigte.
Taggin war persönlich anwesend, um sich zu überzeugen, daß alles nach Plan lief. Besonders Magus sah er auf die Finger, doch der Zauberkundige riß sich an diesem Morgen zusammen.
Die Eskorte marschierte auf. Zehn Mann hatten sich freiwillige gemeldet. Huma war erleichtert, daß Buoron unter ihnen war.
Als der ganze Trupp startbereit zu Pferd saß, gab Buoron das Signal, die Tore zu öffnen. Beim Hinausreiten salutierten alle vor dem Kommandanten, mit Ausnahme von Kaz und Magus. Fürst Taggin hatte nichts mehr zu Huma gesagt, doch er gab dessen Gruß mit einer leicht beruhigenden Handbewegung zurück.
Ihr Weg führte die ganze Zeit durch offenes Gelände, so daß sie das langsam größer werdende Gebirge immer im Blick hatten. Sie waren mehrere Tagesreisen von ihrem Ziel entfernt. Huma überlegte, welchen Gipfel Magus wohl suchte, und was er dort zu finden hoffte. Der Magier war ausgesprochen schweigsam. Seine Augen hatten die hohen Gipfel jedoch von dem Moment an fixiert, wo die Gefährten das Fort verlassen hatten. Magus starrte die gewaltigen Felsriesen an, als hinge sein Leben von ihnen ab – was möglicherweise auch stimmte.
Hätte Huma jetzt zurückgeblickt, so hätte er vielleicht den Schatten gesehen, der hinter ihnen von einem Versteck zum anderen flitzte. Er kümmerte sich nicht darum, daß heller Tag war, was seine Rasse nicht ertragen konnte. Er empfand sich eigentlich nur noch als Teil seines Herrn. So hatte das Wesen die weite Reise gemacht, um dem einen, der seine Existenz beherrschte, als Auge und Ohr zu dienen. Für ihn würde es den brennenden Schmerz des Tageslichts ertragen, Tageslicht, das es selbst durch die immerwährende Wolkendecke hindurch versengte.
Wohin auch immer der Ritter und der Zauberer reisten, der Schreckenswolf würde ihnen folgen.