Buoron wandte sich der Nymphe zu. Er hatte ein rauhes Äußeres, war weder schön noch häßlich, nur wettergegerbt. In seinen Augen lag tiefe Traurigkeit. Seltsamerweise fehlte ihm der eindrucksvolle Schnurrbart, den viele Ritter sich wachsen ließen. Statt dessen trug er einen schwarzen Bart, der so geschnitten war wie der von Fürst Avontal. Huma fragte sich, wie lange der andere solamnische Ritter schon in dieser Gegend lebte.
»Geht jetzt«, sagte Buoron zu der Nymphe.
»Werdet ihr denn nicht kämpfen?«
Buoron schien von der Frage abgestoßen zu sein. »Er ist einer meiner Kameraden. Ich werde nicht mit ihm kämpfen.«
»Oh.« Sie runzelte die Stirn, um dann wieder aufzuleben. »Kämpft ihr dann mit dem Zauberer?«
»Zauberer?« Der andere Ritter strich sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht und sah auf das schlafende Bündel. »Er muß todmüde sein, wenn er das alles verschläft.«
»Frag mal die Nymphe«, erklärte Huma.
Ein Seufzer. Der Ritter hatte das wohl erwartet. »Warum?«
Die Nymphe schmollte wieder. »Ich mag ihn nicht. Er ist einer von den Träumern, die ich dir gezeigt habe.«
»Wirklich?« Buoron zeigte lebhaftes Interesse. »Welcher?«
»Der, der immer stirbt.«
Humas Augen verengten sich. Irgendwann während dieser Wanderungen hatte Magus verraten, daß sein Tod jetzt in seinen Träumen immer wiederkehrte. Das konnte die Nymphe doch nicht wissen. Oder doch? Sah sie wirklich die Träume von anderen?
»Laß ihn frei«, ordnete der Ritter an.
»Willst du nicht ein wenig zu mir kommen?« Ihre Absicht war unverkennbar. Buorons Gesicht wurde wieder rot.
»Nein. Verschwinde. Das hier ist wichtig.«
Die Wasserbewohnerin stemmte zwei zarte Hände in die Hüften und sah ihn wütend an. »Ich mag dich nicht mehr. Ich will nicht, daß du mich noch einmal besuchen kommst.«
Sie rannte ins Wasser und tauchte unter, als es tief genug war. Nichts wies darauf hin, daß sie kein Mensch war, außer der leicht grünlichen Tönung ihrer Haut und der bemerkenswerten Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen. Huma fragte sich, wie sie wohl atmete.
Buoron meinte: »Sie meint es nicht so. Sie war schon ein dutzendmal wütend auf mich, und jedesmal vergiß sie es, bevor ich überhaupt Luft geholt habe. Ich glaube, das liegt in ihrer Natur, auch wenn ich nie eine andere ihrer Art gesehen habe.«
Huma blickte auf den schlafenden Magus hinunter. »Wird sie daran denken, ihr Opfer zu befreien?«
»Laß ihr ein paar Minuten Zeit. Sie kann den Zauber nicht mehr lange aufrechterhalten. Du kennst meinen Namen, Ordensbruder. Wie lautet deiner?«
Huma richtete sich auf. »Ich bin Huma, Ritter der Krone aus Burg Vingaard.«
»Vingaard!« Der Name kam heraus wie der Name Paladins selbst. »Sind sie doch noch durchgebrochen? Geht der Krieg endlich zu Ende?«
Huma schüttelte den Kopf und starrte auf den Boden. Rasch berichtete er, was passiert war, Buoron war wenig erfreut.
»Eines ihrer Spielzeuge«, sagte Buoron mit einem Nicken zum Wasser hin, »ist der Traumspiegel, ein uraltes Gerät. Sie schüttelt ihn und wartet, was für Träume sie sieht.« Der bärtige Ritter erschauerte. »Die Träume der Diener der Drachenkönigin sind schwärzer, als man es sich je vorstellen könnte.«
»Lebt sie schon immer hier?«
Buoron zuckte mit den Schultern. Er schien nicht gerne über die Nymphe zu reden. Seine Beziehung zu ihr – egal, was vor sich ging – war etwas, das die Ritterschaft nicht gutheißen würde. »Sie war schon hier, als ich ins Fort kam. Ihre Schätze sind unglaublich alt.« Er hielt inne. »Ich habe sie durch Zufall getroffen. Die anderen Ritter kommen nie hierher. Ich jagte einen Hirsch und hatte keine Lust, ihn zu verlieren. Wir haben im Fort selten gutes Fleisch. Aus unerfindlichen Gründen rannte der Hirsch genau hierher. Ich fiel vom Pferd, als es abrupt stehen blieb, und als ich wieder zu mir kam, sah ich ihr genau in die Augen.«
Huma las die Beschämung in den Zügen des anderen Ritters. »Keine Angst, Bruder. Ich werde niemandem von diesem See erzählen.«
Buoron zuckte mit den Schultern. »Sie wissen es mehr oder weniger. Ich habe aus meinem Kommen und Gehen kein Geheimnis gemacht, und ich habe kaum etwas anderes getan, als bei ihr zu sitzen. Eine Nymphe ist nicht wirklich. Ich möchte eigentlich etwas mehr.« Magus begann, sich zu regen. Der andere Ritter zeigte auf ihn. »Dein Zauberfreund wacht auf. Ich bezweifle, daß er es einfach so hinnehmen wird, so lange unter einem Bannzauber gelegen zu haben.«
Huma warf einen Blick auf ihn. Magus war noch nicht richtig wach, doch Huma mußte seine Entscheidung unverzüglich treffen. »Er braucht es nicht zu wissen.«
Der bärtige Ritter sagte nichts, doch in seinen Augen stand Dankbarkeit. Huma war klar, daß ihm mehr an der Nymphe lag, als er angedeutet hatte.
Magus sprang auf, als hätte ein sechster Sinn ihm verraten, daß er und Huma nicht mehr allein waren. Er starrte den Ritter an.
»Sei gegrüßt, Rote Robe.« Buorons Gruß kam kühl und nur aus Höflichkeit. Magus wurde nur der Respekt erwiesen, der jedem zustand, der mit einem aus der Ritterschaft unterwegs war.
Der Zauberer hatte sich erholt. Er verbeugte sich tief, wie es seine Art war, und gab den Gruß zurück: »Sei gegrüßt, Ritter von Solamnia. Ich hatte keine Ahnung, daß sich noch ein weiterer, edler Ritter so weit im Süden befindet.«
Huma verzog keine Miene, doch die neuerliche Lüge seines Freundes behagte ihm nicht. Als sie aus den Ruinen geflohen waren, hatte Magus den Wunsch geäußert, an der Garnison vorbeizureiten.
»Wir haben einen Außenposten hier unten«, entgegnete Buoron. »Ein kleiner, oft vergessener. Ich zweifle nicht daran, daß er irgendwann aufgegeben wird.«
»Ja.« Der Zauberkundige gab sich sichtlich uninteressiert. Statt dessen starrte er auf die Stelle, wo er geschlafen hatte, und dann auf den See. »Ich bitte um Verzeihung, daß ich nicht früher aufgewacht bin. Das ist nicht typisch für mich. Ich wollte nicht unhöflich sein.«
Buoron zuckte zusammen, und sein sahnefarbenes Roß trippelte nervös herum, weil es die Unruhe seines Reiters spürte. »Sicher nicht. Das passiert hier oft. Ich bin selbst mal in so einen Schlaf gefallen.«
»Das ist trotzdem keine Entschuldigung.«
»Wie weit ist es zu dem Fort?« fragte Huma schließlich, woraufhin Magus ihn anfunkelte.
»Nicht weit. Eine Stunde zu Pferde. Ihr müßt selbstverständlich mit mir mitkommen. Trotz eurer schrecklichen Nachrichten werdet ihr willkommen sein.«
Magus grinste rätselhaft.
Der andere Ritter entwickelte eine deutliche Abneigung gegen den Zauberkundigen. Während er so tat, als hätte er das Lachen des Zauberers überhört, wies Buoron auf die Pferde.
»Diese Tiere scheinen die ganze Nacht unterwegs gewesen zu sein. Sie brauchen Erholung und Pflege.« Er fragte absichtlich nicht nach dem Zweck ihrer Reise, da er annahm, daß Huma ihn informieren würde, wenn er es für richtig hielt.
Der Zauberer gab nach. »Na schön. Es kann aber nur eine kurze Pause sein. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«
»Hm.« Das war alles, was Buoron zur Antwort gab, doch Huma fiel auf, daß er beide Männer interessiert beobachtete, als sie ihre Pferde losbanden und aufsaßen. Als sie fertig waren, zeigte er nach Westen. »Hier lang. Reitet vor, ich komme gleich nach.«
Huma und Magus trieben ihre Rösser durch Bäume und Unterholz. Der junge Ritter sah beim Zurückblicken, wie Buoron abstieg und eine kleine Holzschnitzerei aus der Satteltasche holte. Das Wasser neben ihm begann zu blubbern, und der Kopf der Nymphe tauchte auf. Dann versperrte Huma ein Baum die Sicht. Als sein Freund sich zu ihm umdrehte, tat der Ritter, als wären seine Gedanken nur beim vor ihm liegenden Weg.
Schon ein oder zwei Minuten später schloß Buoron zu ihnen auf. Er nickte Huma zu und übernahm sofort die Führung.
Beim Reiten löcherte ihn Huma mit Fragen über den Außenposten. »Gibt es hier viele Garnisonen?«
»Wir sind eine von lediglich zweien. Die andere liegt an der Westseite dieses Bergzugs dort.« Buoron zeigte auf eine Bergkette, die erst sichtbar wurde, als die drei Reiter die Spitze eines Hügels erreichten. »Grundsätzlich überwachen wir die Osthälfte und die andere den Westen. Es gibt hier unten aber nicht viel, was die Drachenkönigin interessiert. Wir jagen nur Möchtegern-Banditen, anstatt die Reihen der verdammten Oger zu lichten.«
»Seid ihr ein großer Außenposten? Ich wußte nicht, daß es hier überhaupt einen gibt.«
Buoron lachte mit bitterem Unterton. »Ich auch nicht, bis ich vor fünf Jahren hierher beordert wurde. Nein, wir sind kein großer Außenposten. Achtzig Ritter versuchen eine Gegend von etwa der Größe von Solamnia zu überwachen. Wir waren mal mehr.«
Huma brauchte keine weiteren Erklärungen. Jetzt, wo es so schlecht um den Sieg stand, waren sie wirklich von allen anderen abgeschnitten, ausgenommen ihren Leidensgenossen auf der Westseite der Berge. Sie durften die Garnisonen nicht einfach verlassen und nach Norden reiten, um sich dem Kampf anzuschließen. Man hatte sie hierher geschickt, und sie würden bleiben, bis ein anderslautender Befehl kam. Pflichtgefühl wurde jedem Ritter eingebleut. Auch Rennard hatte dessen Bedeutung wieder und wieder betont.
»Warst du schon mal in den Bergen?« fragte Magus plötzlich.
»Nein.« Buoron hatte offensichtlich keine Lust, mit dem Zauberkundigen zu reden.
»Jemand anders?«
»Nur bis zu den ersten Bergen. Wir halten uns vom Inneren des Gebirges fern.«
Magus wirkte sehr interessiert. »Warum das?«
»Die Wege sind nicht sicher. Das ist alles.«
Huma bemerkte, daß diese Antwort das Interesse seines Gefährten erlöschen ließ. Magus suchte nach etwas Ungewöhnlicherem.
So tief im südlichen Ergod war schwer zu glauben, daß ein Krieg das Land heimsuchte. Sicher, der Himmel war so bedeckt wie im Norden, aber Wälder und Felder lagen friedlich, fast idyllisch, da. Es war ein Scheinfrieden, denn er würde in dem Moment vorbei sein, wo die Horden der Drachenkönigin mit Solamnia fertig waren. War Solamnia erst gefallen, würde die Königin der Finsternis den Rest des Kontinents in weniger als einem Jahr überrennen.
»Wir sind fast da.«
Huma gewann einen ersten Eindruck von dem solamnischen Außenposten. Es war kein turmhohes Bauwerk wie Burg Vingaard. Das ganze Fort bestand aus Holz, das allerdings mit unbrennbaren Mitteln behandelt war, damit Flammen es nicht in eine tödliche Falle verwandeln konnten. Die Außenwände mußten an die sieben Meter hoch sein. Am oberen Rand waren in regelmäßigen Abständen Scharten für die Bogenschützen eingelassen. Nur ein Gebäude war von außen zu sehen: der Wachturm, auf dem selbst jetzt ein Posten stand und aufmerksam das heranrückende Dreiergespann beobachtete. Der Mann rief etwas und zeigte in ihre Richtung. Buoron erwiderte den Ruf nicht, winkte dem Posten jedoch müde zu.
Huma blickte zu Magus, welcher sehnsüchtig auf die fernen Berge starrte.
Sie hörten weitere Rufe, als der Posten bemerkte, daß einer der beiden Fremden ebenfalls ein Ritter war. Die Holztore schwangen auf, als die drei sich näherten, und es kam ihnen so vor, als würden sämtliche Bewohner des Forts herausströmen, um die Ankommenden zu begrüßen.
»Buoron? So bald zurück? Wen hast du da mitgebracht?«
Der große, betagte Sprecher mußte schon ein Ritter gewesen sein, als Fürst Oswal noch in den Kinderschuhen gesteckt hatte. Tiefe Falten prägten sein Gesicht, doch seine Bewegungen waren geschmeidig, und Huma vermutete, daß er sein Schwert noch immer mit Geschick führen konnte. Im Gegensatz zur Mehrzahl der Ritter, die ergodianische Bärte trugen, hatte der alte Ritter einen traditionellen, wenn auch silbrigen Schnurrbart. Er war ein Ritter der Rose, der einzige, den Huma bei dieser ersten Begegnung entdecken konnte.
»Heil Euch, Fürst Taggin. Zwei Reisende mit dem Bedürfnis nach Ruhe, einer von ihnen ein Bruder von uns. Er bringt Nachrichten von äußerster Tragweite.«
Taggin nickte grimmig. »Das dachte ich mir.« Den anderen versammelten Rittern sagte er: »Zurück auf eure Posten! Denkt dran, ihr seid Ritter von Solamnia, kein Haufen hungriger Gänse!«
Auf den Gesichtern der Ritter zeichnete sich Enttäuschung ab. Buoron hatte erzählt, daß viele von ihnen schon zehn Jahre in dem Außenposten stationiert waren. Taggin war doppelt so lange hier. Er hatte das Fort sogar jahrelang allein gehalten.
Huma mußte lächeln. Es kam ihm irgendwie so vor, als wären die Ritter hier anders als daheim in Burg Vingaard. Sie achteten nicht so streng auf die Regeln, waren eher bereit, sich den Umständen anzupassen.
Wie sich herausstellte, umfaßte das Fort nur drei Gebäude. Eines war der Turm, der auch als Waffenkammer und Stall diente. Das zweite war eine Art Lagerhaus, in dem die Kompanie wohnte. Das dritte und – überraschenderweise – bescheidenste Gebäude gehörte Taggin. Huma, der in einem Dorf aufgewachsen war, fühlte sich hier mehr zu Hause als in der stolzen Burg.
Die Erbauer des Forts hatten so gut wie möglich vorgesorgt. Huma stellte fest, daß es nah genug am Wald lag, der den Rittern Wild und Brennholz lieferte, aber weit genug im Freien, um jeden Feind zu zwingen, bei einem eventuellen Überfall weit über das offene Feld heranrücken zu müssen. Ein kleiner Fluß und ein tiefer Brunnen dienten der Wasserversorgung. Später sollte Huma herausfinden, daß die Ritter auf einem befestigten Stück Land hinter dem Fort sogar ihr eigenes Getreide anbauten. Wieder mußte Huma über die Unterschiede zwischen den Rittern hier und in Solamnia staunen.
Taggin wies Buoron an, die beiden unverzüglich zu ihm zu bringen, sobald sie satt und sauber waren. Magus erklärte rigoros, daß er mit niemandem sprechen würde, ohne vorher in Ruhe ausgeschlafen zu haben. Der Kommandant runzelte angesichts der Arroganz des Magiers die Stirn, sah jedoch die Notwendigkeit ein.
Huma erwachte durch die Vorbereitungen der Männer zu einem Ausritt. Er blickte kurz zu Magus, der sich unruhig hin und her warf, und blinzelte dann aus dem Fenster. Die Sonne ging gerade unter. Eine Anzahl voll bewaffneter Ritter ritt aus dem Tor, zumeist zusätzlich zu ihren normalen Waffen mit beschwerten Netzen ausgerüstet. Für eine Patrouille waren es sehr viele Reiter.
Er sah Buoron an der Tür vorbeikommen und gab ihm ein Zeichen. Der Ritter winkte ihm zu und kehrte um. Huma begann, sich anzukleiden. Dann trat Buoron ein.
»Geht es dir jetzt besser?« Der andere Ritter sprach leise.
»Viel besser. So lange habe ich seit Wochen nicht geschlafen.« Huma schwieg, bis er sich ganz angezogen hatte. Dann gingen er und Buoron nach draußen. Inzwischen waren die letzten Reiter losgezogen, und die Tore wurden geschlossen.
Huma zeigte auf die Tore. »Wozu die starke Patrouille? Regen sich die Oger?«
Buoron schüttelte den Kopf. »Ich zweifle allmählich daran, daß sie das je tun werden. Nein, es ist eher ein hiesiges Problem. Wir treiben ein bißchen Handel mit den Qualinesti-Elfen, auch wenn sie wie die meisten ihrer Art lieber für sich bleiben.
Einer von denen, die uns regelmäßig aufsuchen, erzählte uns von einem Ungeheuer, das sich hier in der Gegend herumtreibt.« Der bärtige Ritter lächelte. »Wir wollten sie fragen, was sie so weit von ihrem eigenen Land entfernt hier machten, aber das hätte unhöflich gewirkt und unsere Beziehungen unnötig strapaziert. Statt dessen haben wir uns bedankt und selber Nachforschungen angestellt.«
»Habt ihr das Tier gesichtet?«
»Wir nennen es einfach das Ungeheuer. Es ist gewandt, vielleicht sogar ein Ogerkundschafter. Dreimal ist es uns entwischt. Sie glauben aber, daß sie es heute nacht bis in seinen Schlupfwinkel verfolgen können. Mit etwas Glück fängt es die Patrouille lebend.«
»Wozu?«
»Wenn es ein Spion ist, hat es vielleicht Informationen. Wenn es ein Tier ist, will Taggin es trotzdem sehen. Die Qualinesti sind seinetwegen besorgt; der Kommandant will den Grund dafür erfahren.«
Fürst Taggin beendete gerade seine täglichen Geschäfte, als Buoron Huma zu ihm brachte. Der betagte Ritter begrüßte den Besucher herzlich – Protokoll war hier draußen unwichtig –, doch er wirkte nervös.
»Du weißt nicht, wie es gegenwärtig steht?«
Huma schüttelte den Kopf. »Nein. Es hieß, wir sollten uns neu formieren. Mehr weiß ich nicht.«
»Aha.« Taggin starrte ihn durchdringend an. Nach einer Weile sagte der alte Mann: »Wir können nichts tun. Es wird das beste sein, den Männern die Neuigkeiten gleich morgen früh zu verkünden, Buoron.«
Buoron, der die ganze Zeit schweigend dagestanden hatte, zögerte nicht. »Das werde ich tun, Fürst Taggin.«
»Gut.« Der Kommandant räumte seinen Arbeitstisch frei. »Du kannst gehen, Buoron.«
Huma drehte sich ebenfalls um, doch Taggin hielt ihn zurück. »Du nicht, Ritter Huma. Ich muß dich noch einiges fragen. Nimm bitte Platz.«
Es fiel kein Wort mehr, bis Buoron gegangen war. Huma fühlte sich in Taggins Gegenwart unbehaglich, besaß jedoch genügend Disziplin, um sich nichts anmerken zu lassen. Taggin klopfte rhythmisch mit den Fingern auf den Tisch. Nachdem er seine Gedanken geordnet hatte, stellte er seine Frage.
»Was ist der Zweck deiner Reise?«
»Herr?«
Die Nervosität des alten Ritters war verschwunden. »Weich nicht aus, Huma. Wir sind nicht in Vingaard. Ich nagle dich nicht auf das fest, was du sagst. Es bleibt unter uns. Ich bilde mir gern etwas auf meine Menschenkenntnis ein, und ich traue dir trotz der Gesellschaft, in der du reist.«
»Danke, Herr.«
Taggin lächelte verlegen bei der Höflichkeitsfloskel. »Ich bin mir meines Rangs und vor allem meines Alters sehr wohl bewußt. Nenn mich bitte Taggin. Also, weshalb bist du hier? Es gibt hundert verschiedene Routen, die dich schon längst nach Vingaard zurückgebracht hätten. Warum nach Süden? Ist es der Magier? Trotz seines abstoßenden Auftretens glaube ich, daß ihr euch nahe steht.«
»Wir sind zusammen groß geworden.« Huma zögerte, seine Freundschaft mit Magus mehr als notwendig auszubreiten.
»So? Ungewöhnliche Kombination. Aber ein Mann ist schließlich mehr als Symbole oder Roben, seien sie weiß, rot oder gar schwarz.«
»Er ist kein schlechter Mensch, Fürst… – Taggin.«
Der Kommandant des Außenpostens lächelte leise. »Das habe ich auch nicht behauptet.«
Angesichts seines Verständnisses bröckelte Humas Zurückhaltung. »Er hat Angst um sein Leben, aber er hofft auch, diesen Krieg beenden zu können.«
»Was von beidem steht an erster Stelle?«
»Ich – « Huma versteifte sich. »Ich muß wohl zugeben, daß ihm sein Leben wichtiger ist.«
»Verständlich. Vorausgesetzt natürlich, daß es nicht zum Nachteil der Welt ist.«
Darauf hatte Huma keine Antwort.
Fürst Taggin stand auf und schritt durch das Zimmer. »Warum hast du beschlossen, dich ihm auf dieser – sagen wir vorläufig mal ›Mission‹ – anzuschließen? Aus reiner Freundschaft?«
»Ja. Nein. Beides.«
Der alte Ritter zog überrascht eine Augenbraue hoch. »Beides?«
Um seine Antwort zu erklären, mußte Huma Taggin erst von der Prüfung und ihren Auswirkungen auf Magus erzählen. Der Ritter der Rose hörte geduldig zu, als Huma ihm erzählte, daß Magus seinen eigenen Tod vorausgesehen hatte. Taggins Gesichtsausdruck veränderte sich kaum.
»Du bist sehr aufrichtig gewesen«, sagte der Kommandant, als Huma fertig war. »Ich möchte das erst verdauen und dann morgen früh wieder mit dir reden.«
Jetzt, wo es vorbei war, begann Huma zu schwitzen. »Ja, Herr. Danke.«
Taggin setzte sich auf seinen Stuhl. »Ich habe ein langes Leben hinter mir, Huma. Ich habe mehr gesehen, als du denkst. Ich möchte, daß du dir das heute nacht überlegst. Du kannst gehen.«
Huma salutierte und ging.
Draußen atmete er tief durch. Er stellte fest, daß Buoron auf ihn gewartet hatte.
»Du hast lange nichts gegessen«, sagte der bärtige Ritter schließlich. »Hast du Hunger?«
Huma lächelte dankbar. »Ich könnte schon etwas zu essen gebrauchen. Magus wahrscheinlich auch.«
»Der kann sich um sich selbst kümmern. Er ist schließlich ein Zauberer.«
Die Bemerkung saß tief. Huma sah sich zu den Ritterquartieren um. Schließlich entgegnete er: »Wahrscheinlich schläft er sowieso noch. Wenn er Hunger hat, wird er sicherlich aufwachen.«
»Gut.« Buoron führte ihn weg, und Huma sträubte sich nicht.
Die Nacht kam und ging wieder. Magus schlief weiter. Huma kam zu dem Schluß, daß der Zauberer gezielt seine Kräfte erneuerte. So wie er aussah, hätte Magus tot sein können, leichenblaß und fast ebenso starr. Huma hatte jedoch seinen Puls überprüft und nichts Ungewöhnliches feststellen können.
Als die erste Morgenstunde verstrichen war, verkündete der Posten laut die Rückkehr der Patrouille. Eilig liefen Männer zusammen, um die Tore zu öffnen, wobei sie wild über den Ausgang der Jagd spekulierten. Huma traf Buoron und schloß sich den anderen an. Taggin trat aus seinem Quartier und sah zu.
Der erste Mann am Tor spähte durch ein Guckloch und drehte sich aufgeregt um. »Sie haben etwas!«
Unverzüglich marschierte Taggin auf sie zu. »Alle Mann auf ihre Posten! Beim Triumvirat, wir sind hier beim Militär und nicht im Zirkus! Ihr werdet es noch früh genug zu sehen bekommen, wenn es wirklich ein Ungeheuer ist!«
Die Tore wurden geöffnet, und die erschöpfte, aber stolzgeschwellte Patrouille ritt herein. Einige Männer waren verwundet, doch Buoron flüsterte Huma zu, daß alle zurückgekehrt waren.
Das Ungeheuer war nicht zu erkennen, weil es in die schweren Netze eingewickelt war. Einige braune Pelzteile waren zu sehen, doch was für ein Untier es war, war nicht zu erkennen, denn es war zu einer Kugel zusammengeschnürt. Es schnaubte und knurrte.
Taggin ließ das Ungeheuer zu einem Verschlag schleifen, der ein paar Tage zuvor für diesen Zweck gebaut worden war. Unter Humas Augen ergriffen einige Ritter das gefesselte Monstrum und zerrten es in den Verschlag. Das Ungeheuer wand sich, wobei sich ein paar Stricke lockerten. Die Ritter hasteten aus dem Verschlag, während das Wesen versuchte, sich aus dem Netz zu befreien.
Der Hauptmann der Patrouille salutierte vor Fürst Taggin. »Im Flußbett gefunden. Hat vorher einen Hirsch getötet und aß gerade. Hat uns bemerkt, aber da hatten wir es schon umstellt. Erst haben die Männer versucht, es mit den Netzen einzufangen, da hat es sie heruntergezogen. Mehr Männer verwundet, als sie versuchten, die anderen zu retten. Dachte kurz, wir müßten es töten. Zum Glück war das nicht nötig. Es trat in die ausgelegten Netze, und da hatten wir es.«
Der alte Ritter nickte. »Paladin hat euch behütet, das sieht man. Ich bin froh, daß keiner dabei umgekommen ist. Der Käfig sollte es jetzt halten können.«
»Reden wir lieber nicht von einem Käfig. Gefängnis wäre der bessere Ausdruck, Herr.«
»Gefängnis?« Neben ihm tauschten Huma und Buoron Blicke aus. »Was habt ihr gebracht?«
Der Anführer der Patrouille strahlte vor Stolz. »Einen Spion der Drachenkönigin! Eine ihrer scheußlichsten Kreaturen aus dem Norden. Der Krieg ist doch noch zu uns gekommen.«
Es lag ein Glitzern in den Augen des Ritters, das Huma beunruhigte.
Taggin trat näher an den Gefängniskäfig heran. Das Ungeheuer war dabei, die letzten Netze wegzureißen, die es noch bedeckten.
»Verflucht sei Sargas! Ich werde euch alle in Stücke reißen!«
Huma erstarrte. Buoron sah ihn an. Vielleicht wunderte er sich, daß der Anblick des Ungeheuers Huma so beeindruckte. Da er erst kürzlich aus dem Norden gekommen war, mußte Huma solche Wesen doch kennen.
Das Ungeheuer zerrte das letzte Netz von seinem gehörnten Kopf. Heftig atmend drehte es sich zu seinen Wärtern um. Mit markerschütternder Wut rüttelte es an den Stäben seines neuen Gefängnisses.
»Idioten! Feiglinge! Laßt mich gegen einen von euch kämpfen! Gebt mir eine faire Chance! Wo ist eure berühmte Ehre?«
Aus seinem momentanen Blickwinkel konnte das Ungeheuer Huma nicht sehen, Huma das Ungeheuer hingegen sehr gut. Mit großen Augen starrte er den wutschnaubenden Stiermenschen an und fragte sich, wie er Kaz nur vor der Hinrichtung retten sollte.