»Beim Triumvirat! Was können die uns denn noch alles entgegenwerfen?«
Guido Avontal schüttelte den Kopf. »Das Böse vermehrt sich ins Unermeßliche, wenn es Wurzeln schlagen darf. Eine ziemlich weinerliche Feststellung meines Vorgängers, aber nur allzu wahr.«
Sie standen im Hof, wo die Drachen und ihre Reiter gelandet waren. Der Verlust von zwei Leuten der Elitetruppe bedrückte den Großmeister ebenso wie die Nachricht von der weiteren Welle des Bösen, die auf sie zurollte.
»Was ist mit dem Handel mit den Dienern Nuitaris, Huma?« fragte Bennett. »Glaubst du, wir können ihnen trauen?«
Nach gründlichem Nachdenken antwortete Huma schließlich: »Ich glaube schon.« Er hielt die winzige Smaragdkugel hoch. Sie pulsierte. »Sie haben mir das hier gegeben. Es könnte für sie natürlich ein Mittel sein, uns herauszulocken, damit wir ihnen auf offenem Feld ins Messer laufen, aber es wurde von einem Schwur an den Gott der Schwarzen Künste persönlich begleitet. Keine Schwarze Robe, der ihr Leben lieb ist, würde sich mit Nuitari anlegen.«
»Ganz meine Meinung«, fügte der Großmeister hinzu. Er seufzte. »Nun, wir haben wirklich ein Problem. Wir können Vingaard unmöglich allzulange gegen eine solche Belagerung halten. Gleichzeitig wäre es aber auch einfach Wahnsinn, sich dieser Horde draußen entgegenzustellen.« Nach kurzem Zögern fuhr er fort: »Ich habe den Drachen angeboten, daß sie uns verlassen dürfen, wenn sie glauben, daß diese Schlacht verloren ist.« Fürst Oswal hob die Hand, um die erschreckten Gefährten zum Schweigen zu bringen. »Ich mußte das tun. Ich glaube aber, daß sie uns bis zum Ende beistehen werden. Wir werden sehen. Wo war ich? Ach ja. Wir wissen immer noch nicht alles über den Osten. Die Oger sollen ihre Stellung dort gefestigt haben. Aus dem Süden können wir keine Hilfe erwarten – verwünschte Elfen! Im Norden – Wasser.«
»Wir haben die nachgemachten Drachenlanzen«, unterbrach Bennett. »Laß sie uns für einen letzten Ausfall benutzen. Wenn der Feind verwirrt ist, können wir mit ein paar von ihnen zumindest Zeit gewinnen.«
Fürst Oswal betrachtete brummend die Lanzen der Reiter.
»Ich finde, daß den ganzen Tag nur Wahnsinn herrscht, aber wenn es keine anderen Vorschläge gibt, werden wir den geschichtsträchtigen Ausfall, auf den mein Neffe so aus ist, mit einer gut organisierten Suche und einem Angriff auf Galan Drakos’ Burg verbinden.« Er schaute sich um. Keiner, nicht einmal Lord Avontal, der Kleriker und erfahrene Veteran, konnte gegen diese selbstmörderische Strategie etwas einwenden.
Oswal schüttelte den Kopf. »Wenn man sich überhaupt an mich erinnern wird, dann werde ich der verfluchte Großmeister sein, der seine Männer auf die Schlachtbank schickte.«
Ein Horn ertönte.
»Sie haben die erste Welle ausgemacht«, sagte jemand besorgt. Plötzlich rannten überall Ritter herum. Pferde wurden gesattelt und herausgeführt. Die Ritter stellten sich Reihe um Reihe auf. Pikeniere, Lanzenkämpfer, Bogenschützen – jeder einzelne bemühte sich, daß in dieser Stunde der Gefahr kein Durcheinander entstand.
»Als erstes die Fußsoldaten mit den Lanzen!« brüllte der Großmeister einem seiner Berater zu. Der Mann salutierte eilig und lief zu den Knappen, die davon betroffen waren.
Huma wollte die restlichen Krieger mit Drachenlanzen in Schlachtformation aufstellen, doch Fürst Oswal hielt ihn zurück. »Nein. Wenn du durchbrechen willst, mußt du losfliegen, während die Drachen beschäftigt sind.«
»Aber die Bodentruppen…«
»Werden so viel Schutz wie möglich von den Drachen bekommen. Ich – «
Wieder erklang das Horn, diesmal mit einem anderen Signal.
»Was im Namen Kiri-Jolits soll das?« Der Großmeister und die anderen eilten nach vorne, wo Fürst Falkenauge das Oberkommando hatte.
»Fürst Falkenauge.« Der Kommandoritter des Ordens der Krone fuhr herum.
»Großmeister, sie haben in Sichtweite angehalten. Sogar die Drachen sind zurückgeblieben. Es ist, als würden sie auf etwas warten. Ich habe alle Mann in Bereitschaft versetzt.«
»Sehr gut.« Huma hielt den Atem an, bis die Anspannung im Gesicht des Großmeisters nachließ. »Sie wollen uns nervös machen. Sie wollen, daß wir hinausstürmen und sie angreifen. Völlig hohlköpfig. Lassen wir sie ein bißchen schmoren. Lassen wir sie doch warten. Wenn Galan Drakos oder seine Herrin die Geduld verlieren, sind wir am Zug.«
Ein goldener Drache flatterte von seinem Ausguck in den Hof hinunter. Er war alt, selbst für einen Drachen, und seine Haut war rissig und von alten Kampfnarben übersät. Seine Gestalt verriet jedoch keine Schwäche.
»Ich habe den anderen dein Angebot mitgeteilt.« Die Stimme war tief und grollend, ähnlich wie die des Erdelementars, der Magus gedient hatte.
Die Ritter wurden still.
Fürst Oswal hatte gezögert, doch jetzt fragte er: »Und wie lautet ihre Antwort?«
Der Drache warf ihm einen Blick zu, der eindeutig ein ›Hab’-ich’s-nicht-gesagt?‹ ausdrückte. »Wir werden euch nicht im Stich lassen. Ohne Burg Vingaard kann keine Garnison standhalten. Hier ist der Ort der Entscheidung. Wenn Vingaard fällt, fällt auch Ergod und danach die Länder der Elfen und der Zwerge. Dann unterwirft die Königin alles.«
»Ich wollte nur Paladins Sache weitergeführt wissen, falls wir hier versagen.«
»Die Sache des Guten wird immer überleben. Selbst Takhisis muß das wissen.«
Trotz der Hektik um ihn herum, verstand Huma, daß die Drachen sich zu einem Kampf bis zum Tod entschlossen hatten. Um ihrer menschlichen Verbündeten willen. Um ihres Glaubens an Paladins Lehren willen.
Da tat der Großmeister etwas nie Dagewesenes. Er ließ sich auf ein Knie hinunter und bezollte diesem Drachen und all seinen Artgenossen seinen Respekt. Sie blieben, obwohl ihnen der Weg in die Freiheit offen stand.
»Danke. Ich hatte es gehofft – aber man weiß nie.«
Der goldene Drache nickte majestätisch, breitete seine langen Flügel aus und schwang sich empor. Der Großmeister sah schweigend zu. Dann drängte sich ein anderer Lärm in den Vordergrund. Knappen mit den nachgebauten Drachenlanzen für Fußsoldaten eilten zu den versammelten Rittern. Huma starrte die Lanzen an, die aus den Ständern geholt wurden. Wie sie glänzten! Ganz als ob…
»Mein Fürst!«
»Ja, Huma?«
»Wenn Ihr mich entschuldigt, ich habe noch ein paar Sachen vorzubereiten.«
»Dann geh.«
»Kaz.« Huma zog den Minotaurus beiseite. »Besorg dir eine von den Lanzen, die die Knappen austeilen, und vergleich sie mit einer echten Drachenlanze.«
»Was – « Der Minotaurus kam nicht weiter.
»Ich erkläre es dir, wenn ich zurück bin.« Huma hastete davon und überließ es dem Minotaurus, sich über die Bitte seines Freundes den Kopf zu zerbrechen.
Die Schmiede war nicht weit entfernt. Gerade als Huma ankam, öffneten sich die massiven Holztüren. Huma wich rasch zurück, weil er einem Fremden Auge in Auge gegenüberstand.
»Du solltest besser nicht hinter Türen rumstehen, wenn du nicht verletzt werden willst.« Der Fremde hatte schwarzsilbernes Haar und einen langen, schmalen Kopf. Seine Augen schienen einen Augenblick zu glühen, was Huma an die Gestalt erinnerte, die Gwyneth in jener Nacht angestarrt hatte, als sie im Hof spazierengegangen waren. Der Mann hatte sie eingeschüchtert. Dieser hier konnte es aber nicht gewesen sein. Er war größer und schlanker. Doch die Augen…
»Du bist Huma von der Lanze«, urteilte der Fremde. Sein Blick war durchdringend.
»Ich bin Huma.« Der Ritter war kein Bardenheld, dem so ein Titel zukam.
»Der Schmiedemeister hat viel zu tun, aber ich glaube, er wird etwas Zeit für dich erübrigen können.« Das Lächeln war seltsam, so fremdartig, daß Huma ein Schauer über den Rücken lief. Woran erinnerte es ihn nur?
Von innen drangen Stimmen nach draußen. Beide klangen bekannt, aber eine ganz besonders.
»– kannst du mir keinen Rat geben?«
»– ich bin schon viel zu lange aus der Welt der Menschen fort, und meine Zeit auf Krynn ist fast um. Am besten suchst du dir einen von deiner Art.«
» – keiner von ihnen versteht es! Wie soll ich ihm sagen, daß ich nicht bin, wofür er mich hält? Daß ich fast jeden Tag mit ihm geflogen bin, ohne daß er es gemerkt hat?
Glaubst du, er könnte mich lieben, wenn er wüßte, daß ich – daß wir – «
Es gab kaum Licht außer dem der Esse, und das wenige zeigte gerade die Umrisse der beiden Gestalten, die dort standen.
»Gwyneth?«
Die weibliche Gestalt fuhr bei seiner Stimme erschreckt herum und floh durch die Hintertür. Huma wollte ihr folgen, doch der andere verstellte ihm den Weg und begrüßte ihn herzlich.
»Huma! Wie gut, dich noch einmal zu sehen!« Dunkan Eisenwirker hob ihn hoch, schüttelte ihn wie ein Baby und setzte ihn dann wieder ab. Huma linste an dem hünenhaften Schmied vorbei, doch von Gwyneth war keine Spur mehr zu sehen.
»Hast du wirklich gedacht, ich würde dir nur zwanzig Lanzen geben? Junge, du überraschst mich!«
»Dann sind sie echt! Es ist keine Einbildung!«
»Aber nicht doch! Ich hatte viel, viel mehr als zwanzig, aber nicht in der Nähe. Und du hättest sie auch nie alle zurückbringen können. Zu viele von ihren Spionen überall. Außerdem«, lächelte er, »brauchte ich mal einen Ortswechsel.«
»Und die Schmiede…«
Dunkan Eisenwirker zeigte auf den Arbeitsbereich. »Sie brauchten einen Waffen- und Rüstungsmeister. Ich habe die Wahrheit ein bißchen zurechtgebogen und behauptet, du hättest mich aus dem Süden hergerufen, – was ja gewissermaßen stimmt. Sie waren von meiner Arbeit verständlicherweise beeindruckt und haben mir alles überlassen. Bald waren es nur noch ich und meine Gehilfen.«
»Das ist – das ist unglaublich!« Die ganze Zeit waren in der Schmiede echte Drachenlanzen hergestellt worden.
Der riesige Schmied klopfte ihm auf die Brust. »Du, Huma, hast bewiesen, daß die Drachenlanzen funktionieren. Ich glaube, daß nicht einmal dein illustrer Großmeister eine Ahnung hat, wie viele von diesen Männern eigentlich an die Lanzen glauben.«
Humas Kopf begann sich zu drehen. »Sättel! Wir brauchen mehr Sättel.«
»Khildith!«
Zum ersten Mal bemerkte Huma die Assistenten des Schmieds. Ein Elf, ein Mensch und der Zwerg, der anscheinend Khildith war, weil er hervortrat.
»Meister Eisenwirker?«
»Sind die Sättel soweit?«
Der Zwerg begann, genauso zu strahlen wie der Schmied. Trotz seines Alters bewegte er sich so schnell und geschickt wie ein junger Mann. »Mehr als genug für uns.«
»Schön, schön.« Dunkan Eisenwirker ging zu Huma und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Der Ritter merkte, wie er höflich, aber bestimmt weggeschoben wurde.
»Meister Eisenwirker. Eine Frage. Gwyneth…«
»Das ist etwas zwischen euch beiden.« Der Wandel im Gesichtsausdruck des Schmiedes reichte, um Huma zum Schweigen zu bringen. »Denk dran, du hast jetzt die Lanzen. Setze sie ein!«
Huma war aus der Tür, bevor er sich verabschieden konnte. Der einarmige Schmied beugte seinen mechanischen Arm. »Paladin sei mit dir, Junge. Solltest du ernsthaft daran zweifeln, können auch die Lanzen dir nicht helfen.«
Das Horn verkündete eine neue Warnung. Huma schoß los. Alle anderen Fragen traten angesichts der Schlacht in den Hintergrund. Die Drachenlanzen waren echt!
Kaz kam zu ihm, in jeder Hand eine Lanze für Fußsoldaten. »Ist das ein Trick, Huma? Ich könnte schwören – «
»Sie sind echt! Sie sind alle echt! Wo ist Fürst Oswal?«
Der Minotaurus benutzte eine Lanze als Zeigestock. »Auf der Mauer. Er hat darauf bestanden, selbst zuzusehen.«
Huma drehte sich um und sah, wie Bennett die Reiter ordnete. Huma grüßte ihn. Bennett bellte einen letzten Befehl, um sich dann Huma anzuschließen.
»Was ist los?« Jeder Muskel im Gesicht des Neffen des Großmeisters war angespannt. Bennett war in seinem Element, und unbewußt genoß er das.
»Die Drachenlanzen – sie sind alle echt!«
Der andere Ritter sah ihn fragend an. »Natürlich sind sie echt.«
Huma zögerte. Man hatte Bennett den ursprünglichen Plan nie mitgeteilt. Damals hatte niemand gewußt, daß Dunkan Eisenwirker auftauchen würde.
Bennett wartete schweigend, bis Huma schließlich die Geschichte hervorgesprudelt hatte. Das Gesicht des Ritters des Schwertes wurde langsam zu einer undurchdringlichen Maske. Als Huma endlich fertig war, starrten die beiden einander an.
Bennetts Raubvogelaugen schweiften zu dem Platz, wo sich alles versammelt hatte, was in der Ritterschaft Rang und Namen hatte, um seine Befehle zu erwarten. Sein Blick wanderte zurück zu Huma. »Noch etwas? Ich habe noch zu tun.«
Die knappen, tonlosen Worte erschreckten Huma. Er hatte Ärger und Überraschung erwartet, aber gar nichts? »Bennett – ich…«
Ein durchdringender Blick des anderen schnitt ihm das Wort ab. Bennett zeigte auf die Ritter um sie herum. »Macht es wirklich irgendeinen Unterschied, was du sagst, Huma? Ob mit oder ohne Drachenlanzen, diese Männer würden sich dennoch zum Kampf rüsten – trotz des wahrscheinlichen Ausgangs. Ich wäre der erste unter ihnen, wie du wahrscheinlich auch. Jeder Schaden, den wir anrichten, jede Kraft, die wir sie kosten, selbst bei einer Niederlage, ist eine Art Sieg.« Er holte Luft. Der fanatische Ausdruck wich aus seinen Augen. »Ich bin wirklich froh, noch einmal zu hören, daß wir ihnen nicht nackt in die Arme rennen, aber das ist auch alles. Sag ihnen, daß die Drachenlanzen nutzlos sind; sie werden trotzdem hinausziehen und ihr Bestes geben. Würdest du anders handeln?«
Der Glaube, den Bennett früher immer zur Schau gestellt hatte, bekam für Huma jetzt eine andere Bedeutung. Er wußte, daß der andere Ritter mit seiner Einschätzung richtig lag, besonders was Huma selbst betraf. Egal wie schrecklich die Gegner, einer der ersten Ritter wäre Huma gewesen.
»Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest. Es gibt immer noch viel zu tun. Mein Onkel müßte da oben sein.« Bennett zeigte nach rechts zu einem Teil der vorderen Mauer. »Ich denke, daß er sich über deine Neuigkeiten sehr freuen wird.«
Bennett ging fort, schrie dabei Kommandos und verhielt sich, als hätte das Gespräch nie stattgefunden. Huma riß sich zusammen und lief zu den Mauern.
Oben auf der Mauer stand der Großmeister an einer Zinne.
Fürst Oswal hörte ihn kommen und sah ihm entgegen. Als er Huma erkannte, sagte er: »Hier drüben passiert mehr. Am Himmel braut sich etwas zusammen.«
Es war nur ein kleiner Punkt am bedeckten Himmel, weit jenseits der anrückenden Armee, aber einmal gesichtet, hielt er die Aufmerksamkeit des Entdeckers gefangen wie nichts anderes am Himmel. Huma kam sich vor, als würde ein Teil von ihm zu diesem Fleck gezogen, als würde seine Seele selbst dorthin gesogen. Er holte Luft und wandte seine Augen ab.
»Was ist das?«
Der Großmeister schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, aber es treibt uns, glaube ich, die Drachen und Oger her.«
Huma erinnerte sich, weshalb er hergekommen war, und erzählte Oswal schnell, was er entdeckt hatte.
Der alte Ritter handelte, noch ehe Huma geendet hatte. Seinen Beratern rief er zu: »Allen Kommandanten Bescheid geben! Die Drachen! Jemand muß es den Drachen sagen! Die Truppen sollen sich selbst formieren!«
Während er sich wieder der anrückenden Armee zuwandte, schüttelte Fürst Oswal den Kopf. Unter ihren Augen begannen die Drachen der Dunkelheit vor den Bodentruppen vorweg zu stürmen. Schon viel zu bald würden sie hier sein.
»Mein Fürst«, drängte Huma, »gebt mir die ursprünglichen Reiter. Wir können den Feind hinhalten, während die anderen sich vorbereiten. Schickt sie in Zwanzigergruppen in die Luft, aber laßt sie über der Burg warten, bis es wirklich viele sind. Dann schickt sie los, gefolgt von den Bodentruppen. Wenn wir die Luftherrschaft erringen, gehört uns auch der Boden.«
»Dabei wirst du sterben.«
Der junge Ritter zögerte – für eine Sekunde. »Dann hätte ich mein Leben Paladin geschenkt, wie es jedem Ritter gebührt.«
Oswal nickte müde. Huma eilte wieder nach unten. Er überlegte, wie schnell er die anderen zusammenholen konnte. Zu seiner Überraschung warteten sie jedoch bereits auf den Drachen mit kampfbereiten Lanzen. In der kurzen Zeit, die sie zusammen gewesen waren, war die Gruppe zu einem Ganzen verschmolzen. Der Silberdrache war auch da und erwartete Humas Befehle.
Mit todesverachtender Gelassenheit stand Huma vor seiner versammelten Gruppe und erklärte ihnen die Gefahr ihrer Mission und den wahrscheinlichen Ausgang. Er erwartete Widerspruch, nüchterne Stimmen, die den ganzen Plan verwerfen würden. Zu seiner Verblüffung stellte er jedoch fest, daß sie an seinen Vorschlag glaubten, auch wenn ihr Leben dann keinen Heller mehr wert war. Bennett nickte zustimmend, und auch einige Drachen drückten ihr Einverständnis aus. Nur sein eigenes Reittier gab seltsamerweise keine Antwort. Sie wirkte in sich gekehrt, hatte jedoch keine Einwände, als er auf ihren Rücken stieg. Als er das Signal zum Abflug gab, gehorchte sie rasch und gekonnt, wenn auch nicht gerade begeistert.
Oben in der Luft kamen Kaz und Blitz näher. »Wir werden schon dafür sorgen, daß sie sich gut an uns erinnern, bevor wir drauf gehen.«
»Wir müssen Drakos finden«, erwiderte Huma. »Er ist der Schlüssel zu allem.«
»Er und seine Dunkle Königin.«
Huma nickte.
Als sie hoch oben waren, zeigte plötzlich Fürst Avontal auf etwas im Südwesten. »Seht mal, da!« schrie er. »Könnt ihr das erkennen?«
Blitz antwortete als erster. »Noch eine Armee. Der Feind wird noch stärker werden!«
Da lachte Avontal. »Wir sind es«, schrie er, »die immer stärker werden!«
Es war die Nordarmee von Ergod. In dem Wissen, daß sie nur Unterwerfung und Sklaverei erwartete, wenn die Ritterschaft fiel, setzten sie alles auf eine Karte, um einen Blitzangriff gegen den Rücken des Feindes zu führen. Daß sie von den Dienern von Takhisis noch nicht bemerkt worden waren, war wirklich ein Glück.
»Wann werden die anderen in der Luft sein?« rief Avontal.
»Bald.« Es war Bennett, der die Antwort rief, wofür Huma dankbar war. Er hätte zu diesem Zeitpunkt nichts garantieren wollen.
Noch während dieses Wortwechsels bewegte sich die Gruppe auf die erste Vorhut der Drachen zu. Sie hielten sich dicht beieinander, weil sie nur zu gut wußten, daß sie einzeln niedergemetzelt werden würden.
Die Drachen der Finsternis schienen ihre Absicht zu durchschauen, denn einige formierten sich genauso. Andere hatten jedoch offenbar andere Ansichten, wozu die Ritter fähig waren, lösten sich vom Pulk und jagten ihren Feinden entgegen. Huma konnte ein kurzes Lächeln nicht unterdrücken. Als die bösen Drachen zähnefletschend ihre Klauen ausfuhren und die Angreifer herausforderten, erkannte er, daß sie nicht an die Kraft der Drachenlanze glaubten.
Fast alle dieser einzelnen Angreifer waren in Minutenschnelle erledigt. Zwei weitere starben, bevor Huma seiner Gruppe Zeichen geben konnte, die Überlebenden davonkommen zu lassen. Ihr Entsetzen würde auch die anderen Drachen ergreifen.
Huma warf einen flüchtigen Blick auf seine Kameraden. Kaz’ Gesicht war lebhaft und gerötet; Blitz konnte sich kaum zurückhalten, die Überlebenden zu verfolgen. Fürst Avontal sah seiner Armee entgegen; Buorons Miene war ruhig und fast ausdruckslos. Die Wunde an seinem Arm war geheilt, und er hielt die Drachenlanze so fest wie möglich.
Jetzt kamen ihnen scharenweise bemannte Drachen entgegen. Rote, schwarze, grüne und blaue. Auch weiße Drachen griffen an, doch sie waren ohne Reiter, und Huma hatte den Verdacht, daß sie als ›Kanonenfutter‹ gedacht waren, weil sie eher wie schlaue Tiere als wie intelligente Wesen handelten. Obwohl sie kleiner waren als die anderen Drachen, konnten sie tödliche Gegner sein, und ihre Anwesenheit verschaffte der Drachenkönigin einen Vorteil.
Unten hatte sich die Marschrichtung der beiden Armeen geändert. Die Ergodianer stellten sich in einer langen, breiten Linie auf, und der südliche Teil der Ogerstreitkräfte wendete, um dieser neuen Bedrohung zu begegnen. Die nördliche Hälfte, die erst noch von dem Angriff erfahren mußte, zog unbeirrt weiter, so daß die Mitte auseinanderbrach, während die Krieger dort auf ihre Befehle warteten. Verwirrung schien sich breitzumachen.
Jetzt, schrie es in Humas Kopf. Jetzt müßten wir angreifen! Die Ritter in der Burg konnten die ergodianische Armee natürlich nicht sehen. Aber ganz sicher sahen sie das Auseinanderbrechen der Oger und merkten, daß etwas zu ihrem Vorteil geschehen war. Wann würden sie reagieren?
Dann traf die kleine Gruppe Lanzenreiter auf die erste der scheinbar endlosen Wellen von Gegnern, und es blieb keine Zeit mehr, an irgend etwas anderes als ans Überleben zu denken.
Zuerst schienen die Drachen bei jedem Augenaufschlag von Huma aufzutauchen und zu verschwinden. Überall erklangen Schreie. Es wurde abgrundtief schwarz und sonnenhell, als die Drachen ihre magischen Künste einsetzten und die Reiter, von denen einige Zauberer oder Kleriker waren, ihre eigene Zauberkraft dazufügten.
Als der Silberdrache einem gegnerischen Schlag auswich, sah Huma, wie einer der Lanzenkämpfer und sein Reittier einer Gruppe von mindestens sechs Drachen zum Opfer fiel. Reiter und Drache wurden von der schrecklichen Kraft der Kreaturen in Stücke gerissen. Das einzige, was Huma übrig blieb, war, angesichts dieses Todesmuts nicht aufzuschreien. In dem Durcheinander konnte er nicht feststellen, wer da gestorben war.
Sie wurden voneinander getrennt. Kaz und Blitz blieben weiter bei Huma und seinem Silberdrachen. Irgendwann hörte der Ritter die laute Stimme Guido Avontals, der etwas rief.
Ein furchterregender schwarzer Drache mit einem von der Schwarzen Garde schoß von oben herab. Huma warnte den Silberdrachen, doch dieser war vollauf mit einem roten beschäftigt, der sich die Drachenlanze immer tiefer in die Schulter rammte, weil er viel zu wütend war, um das überhaupt wahrzunehmen. Der Ritter zog sein Schwert, auch wenn das gegen einen solchen Drachen nutzlos war, und bereitete sich auf den Aufprall vor.
Plötzlich fegte etwas Silbernes vorbei, und ein schlanker Drache lenkte den schwarzen ab. Ein Reiter saß auf dem Rücken des silbernen Drachens, den Huma als Buoron erkannte. Der andere Ritter war bereits mehr als einmal getroffen; seine Rüstung und sein Reittier waren blutüberströmt.
Schmerz! Huma kippte rückwärts, als ein Schock durch sein linkes Bein raste. Er starrte auf das Blut hinunter, das aus einer tiefen Wunde strömte. Er fühlte ein Stechen in seinem Bein, und die Schmerzwellen attackierten weiter seinen Geist. Fast tränenblind entdeckte er einen Oger auf einem Drachen. Mit übermenschlicher Kraft hatte der Oger seine Axt benutzt und gut getroffen.
Huma wehrte den folgenden Schlag des Ogers ab, konnte sich jedoch nicht mehr konzentrieren. Der Schmerz nahm ihn zu sehr in Beschlag.
Zu seiner Erleichterung schaffte es der Silberdrache, seinen Gegner abzuschütteln. Der rote Drache, den der starke Blutverlust aus seinen vielen Wunden geschwächt hatte, fiel hilflos flatternd zur Erde und riß seinen Reiter mit sich.
»Huma!«
Er brauchte einige Augenblicke, bis er merkte, daß die Drachin nach ihm rief. Aus ihren Augen sprach schreckliche Angst – und zwar nicht um sich selbst. Er hatte diese Augen schon früher gesehen, aber…
Neue Schreie von überall her unterbrachen seine Gedanken. Zuerst dachte er, das müßte das Ende sein. Gewiß würden sich noch mehr Drachen zu denen gesellen, die schon jetzt auf die kleine Gruppe eindrangen.
Er hatte unrecht. Die Drachen, die er beim Aufschauen erblickte, waren golden und silbern – all die glänzenden Metallfarben der Drachen Paladins. Es waren über hundert, und jeder trug einen Reiter und einen mit der Lanze bewaffneten Ritter. Drachenlanzen. Sie leuchteten hell und trafen ihr Ziel.
Unter den dunklen Drachen brach Panik aus. Wenn man ihnen überhaupt etwas gesagt hatte, dann hatte es sicher geheißen, daß es bloß eine kleine Anzahl Drachenlanzen gäbe. Die vordersten Drachen starben, ohne auch nur ihre Krallen zur Gegenwehr zu heben, so fassungslos waren sie.
Huma griff sich an die Stirn. Als er die Hand betrachtete, war sie voller Blut – sein eigenes! Er fragte sich, wann und wie das passiert war.
Beim Gedanken an seine Verletzungen sah er wieder sein Bein an. Das Blut strömte noch immer aus der Wunde, und er wußte, daß er bald ohnmächtig werden würde. Der Silberdrache begann, sich aus dem Kampf zurückzuziehen.
Mehr und mehr Drachen eilten von der Burg heran. Wie viele Drachenlanzen mochte der Schmied hergestellt haben?
Der Silberdrache flog, als wäre die Königin der Finsternis persönlich hinter ihm her. Hin und wieder sah er sich nach Huma um, immer mit demselben ängstlichen Ausdruck in den Augen. Stirnrunzelnd preßte er die Hände auf sein Bein, um die Blutung zu stoppen.
Schließlich überflogen sie die Burgmauern, wobei sie nur knapp einem weiteren Trupp Lanzenreiter ausweichen konnten, der gerade startete. Das Drachenweibchen brachte ihn zu dem Platz, wo die anderen Verwundeten seiner Gruppe behandelt wurden.
»Nehmt ihn runter!« Die Drachenstimme war so barsch und befehlend, daß niemand zögerte. Vor Humas Augen verschwammen die Drachin und die ganze Welt.
Beim Aufwachen neigte sich Gwyneth gerade über ihn, säuberte die Wunde und berührte sie auf eine Art, die den Schmerz stillte. Er konnte die Kraft spüren, die von ihren Fingerspitzen ausging. Ihr Gesicht war blaß und teilweise von ihren Haaren verdeckt, während sie sich über sein Bein beugte.
Humas Augen wanderten umher. Sie waren auf einer Anhöhe abseits der Schlacht, aber nicht so weit weg, daß sie den Kampflärm nicht mehr gehört hätten. Avontal war auch da; seine linke Seite war nur noch eine blutige Masse. Kaz war nirgends zu sehen. Von der ursprünglichen Gruppe waren nur neun geblieben. Bennett war unverletzt, sah aber aus, als hätte man ihn in seiner Rüstung durch die ganze Ebene geschleift. Er starrte Gwyneth mit einer seltsamen Mischung aus Abscheu und Faszination an. Seine Augen begegneten kurz denen von Huma, wandten sich dann aber schnell ab.
»Buoron ist tot«, sagte Oswals Neffe schließlich, wobei sein Blick immer noch an Gwyneth hing. »Als letztes sah ich, wie er und sein Drache sich auf den Schwarzen stürzten, um dich zu retten. Sie sind gefallen.«
Diese Nachricht erschütterte nicht nur Huma, sondern auch Gwyneth. Weinend schlug sie die Hände vors Gesicht. Huma hob die Hand und berührte ihren Arm.
»Sie weint nicht um Buoron – « Bennett hatte Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden.
»Laß das, Bennett.« Guido Avontal versuchte, sich aufzurichten.
»Huma!« Blitz kam angeflogen, von dessen Rücken Kaz mit seiner Streitaxt winkte. Drache und Minotaurus waren beide mit Kratzern und kleineren Wunden übersät, aber keiner schien ernstlich verletzt zu sein. Huma schenkte ihnen nur einen kurzen Blick, dann kehrten seine Augen zu Gwyneth zurück, die sich abwandte. Er starrte sie weiter an, selbst als er schließlich auf Bennetts Bemerkung antwortete.
»Was soll das heißen, Bennett? Was willst du damit sagen?«
Die habichtartigen Züge von Bennett glitten zu dem ergodianischen Kleriker und Oberkommandierenden. »Alle haben es gesehen. Warum schweigen? Wenn sie es ihm nicht sagen kann, wird es auf jeden Fall jemand anders tun. Er muß es wissen. Ich weiß, was er für sie empfindet.«
»Das ist ganz allein eine Sache zwischen den beiden!« Avontal wurde zornig.
»Hört auf.«
Die Worte kamen von Gwyneth, die sich dabei erhob. Ihre Augen ließen nicht von Huma ab. Ihre Arme hingen schlaff herunter.
Avontal kippte plötzlich nach hinten. Er sah sich nach Bennett und Kaz um. »Helft mir doch, ihr zwei. Mir ist kalt. Ich muß an einen geschützteren Platz.«
Widerstrebend halfen Kaz und Bennett ihm beim Aufstehen. Die drei zogen ab.
Schließlich begann Gwyneth zu reden. »Ich weine um Buoron. Ich weine um jeden, der im Kampf gegen die Drachenkönigin fällt.«
»So wie ich.«
Sie versuchte zu lächeln. »Ich weine vor allem um den Drachen, den Buoron geritten hat, den großen, silbernen.«
Der Bruder seines eigenen, erinnerte sich Huma. Warum sollte Gwyneth so um diesen einen Drachen weinen?
Sie sah sich traurig um. Es waren kaum Menschen hier. Als Huma verwirrt aussah, wurden ihre Zuge weicher. »Bevor ich weiterrede, möchte ich dir sagen, daß ich dich liebe, Huma. Ich würde nie etwas tun, was dir schadet.«
»Ich liebe dich auch.« Die Worte schienen ihm plötzlich so leicht über die Lippen zu gehen.
»Ich fürchte, du könntest deine Meinung ändern«, sagte sie in rätselhaftem Ton.
Huma hatte keine Zeit nachzufragen, was sie meinte, denn auf einmal leuchtete Gwyneth – fast wie die Drachenlanzen. Während er mit gebanntem Schrecken zusah, wurde ihr Gesicht länger, und Nase und Mund verwandelten sich in eine Schnauze voller Zähne. Huma dachte an Hexerei und wollte aufspringen, um ihr zu helfen, doch sein Bein hinderte ihn daran, und die Kopfwunde war noch nicht verbunden. Er sackte zurück.
Ihre langen, schlanken Arme wurden noch länger – und muskulöser. Die kleinen Hände verrenkten sich, um zu furchtbaren Tatzen zu werden. Sie fiel auf alle viere und schien zu wachsen und zu wachsen. Etwas bewegte sich auf ihrem Rücken. Sie war nicht einmal mehr entfernt menschlich, und was für einem Wesen sie glich, ließ den Ritter pausenlos den Kopf schütteln.
Ihre Kleider verschwanden – Paladin weiß wohin –, doch in ihrer gegenwärtigen Gestalt hatte sie sowieso keine Verwendung mehr dafür. Das merkwürdige Zappeln auf ihrem Rücken stammte von zwei dicken Buckeln, die aufbrachen und fledermausartige Flügel freigaben. Sie breiteten sich weit aus, und kurz darauf war die Verwandlung vollendet. Das Wesen, das Gwyneth gewesen war, stand vor ihm: groß, aufrecht – und ängstlich.
Es war ein Drache – ein silberner Drache.
Sein eigener.