6 Palimpsest

Wenn aber die Wächter nicht glückselig sind, wer soll es dann sonst sein?

Aristoteles

Politik, Zweites Buch, Kapitel 5

Als die Maschine ihre Flughöhe erreicht hatte und Albuquerque bereits mehr als hundert Meilen hinter ihnen lag, warf Ellie träge einen Blick auf das kleine weiße, mit blauen Buchstaben bedruckte Pappschild, das an ihr Flugticket geheftet war. Der Wortlaut hatte sich seit ihrem ersten Flug nicht verändert: „Dies ist kein Gepäckschein im Sinn von Artikel 4 des Warschauer Abkommens.“ Warum machten sich die Fluggesellschaften bloß solche Sorgen, daß die Passagiere dieses Stück Pappe mit einem Gepäckschein des Warschauer Abkommens verwechseln könnten? Was war überhaupt ein solcher Schein? Warum hatte sie bisher noch nie einen zu Gesicht bekommen? Wo kam er her? Es mußte in der Geschichte der Luftfahrt einmal eine Katastrophe gegeben haben: Eine unachtsame Fluggesellschaft mußte vergessen haben, diese Warnung auf rechteckige Pappschilder zu drucken. Daraufhin wurde sie von zornigen Passagieren in den Bankrott getrieben, weil den Passagieren daraus ein Schaden entstanden war, daß sie ihren Gepäckschein für einen Warschauer Gepäckschein gehalten hatten. Sicher gab es handfeste finanzielle Gründe dafür, daß auf der ganzen Welt so sorgfältig unterschieden wurde, welche Pappschilder nicht durch das Warschauer Abkommen beschrieben waren. Man stelle sich vor, dachte Ellie, daß der gesamte Text dieser Karten etwas Sinnvollem gewidmet wäre — wie beispielsweise der Geschichte der Entdeckung der Welt, oder weniger beachteten Entdeckungen der Wissenschaft, oder vielleicht sogar der Ermittlung, wie viele Meilen ein Flugzeug im Durchschnitt zurücklegte, bevor es abstürzte. Wenn sie Kitz’ Angebot, ein Militärflugzeug zu nehmen, akzeptiert hätte, wäre sie wahrscheinlich auf andere Gedanken gekommen. Aber sie hatte es sich nicht zu bequem machen wollen, zumal sie sich selbst und das Projekt nicht in Abhängigkeit von den Militärs bringen wollte. Lieber flogen Valerian und sie mit einem regulären Linienflug. Valerian waren die Augen gleich zugefallen, nachdem er es sich neben ihr bequem gemacht hatte. Sie hatten vor ihrem Abflug keine Eile gehabt und sich noch über den neuesten Stand der Datenanalyse informieren können. Sie hatten einen Linienflug nach Washington gebucht, mit dem sie rechtzeitig zur morgigen Konferenz eintreffen würden. Es blieb sogar noch Zeit, sich auszuschlafen. Ellie warf einen Blick auf den Telefax, der sicher verpackt in einer Ledertasche unter ihrem Sitz stand. Er war um einige hundert Kilobit pro Sekunde schneller als Peters altes Modell, und seine graphischen Darstellungen waren viel besser. Vielleicht brauchte sie ihn morgen, um der Präsidentin der Vereinigten Staaten anhand eines Telefax zu erklären, was Adolf Hitler auf der Wega machte. Ellie war, das mußte sie sich eingestehen, ein bißchen nervös wegen der Konferenz. Sie hatte noch nie zuvor einen Präsidenten persönlich kennengelernt. Gemessen an dem, was die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zu bieten gehabt hatte, war die amtierende Präsidentin gar nicht so übel. Nicht einmal für den Friseur hatte Ellie die Zeit gereicht, geschweige denn für die Kosmetikerin. Aber es war egal, sie ging ja nicht ins Weiße Haus, um wegen ihres Aussehens bewundert zu werden.

Was ihr Stiefvater jetzt wohl dachte? Ob er sie immer noch für untauglich für die Wissenschaft hielt? Oder ihre Mutter, die jetzt an den Rollstuhl gefesselt in einem Pflegeheim lebte?

Ellie hatte sie seit der Entdeckung vor mehr als einer Woche erst einmal kurz angerufen. Sie nahm sich fest vor, es morgen wieder zu tun.

Zum hundertsten Mal starrte Ellie aus dem Fenster und malte sich aus, wie die Erde auf einen außerirdischen Beobachter aus einer Flughöhe von zwölf bis vierzehn Kilometern wirken mochte, vorausgesetzt, der Fremdling hatte Augen wie die Menschen. Im Mittleren Westen gab es riesige Flächen, die in verschiedene Quadrate, Rechtecke und Kreise eingeteilt waren, je nachdem, ob sie für landwirtschaftliche oder städtebauliche Zwecke gedacht waren. Dann gab es ausgedehnte Flächen im Südwesten, wo nur der gelegentliche gerade Strich einer Straße durch die Berge und Wüsten von intelligentem Leben zeugte. Waren die Welten fortgeschrittenerer Zivilisationen bis in den letzten Winkel durchkonstruiert und umgebaut? Oder war es Kennzeichen einer wirklich fortgeschrittenen Zivilisation, überhaupt keine Spuren in ihrer Umwelt zu hinterlassen? Konnten extraterrestrische Wesen nach einem kurzen Blick auf die Erde genau sagen, in welchem Stadium innerhalb der großen kosmischen Evolution intelligenter Lebewesen wir uns befanden? Was konnten sie sonst noch sagen? Aufgrund des Blaus des Himmels konnten sie die Loschmidtsche Zahl ungefähr errechnen, die angab, wie viele Moleküle sich in einem Kubikzentimeter Luft in Meereshöhe befanden. Es waren ungefähr 3 x 1019 Teilchen. Die Höhe der Wolken konnten sie ganz leicht aus der Länge ihrer Schatten auf dem Erdboden ablesen. Wenn sie wußten, daß die Wolken kondensiertes Wasser waren, dann konnten sie den vertikalen Temperaturgradienten der Atmosphäre grob errechnen, weil die Temperatur bis zur Höhe der höchsten Wolke, die Ellie noch sehen konnte, bis auf ungefähr minus 40 Grad Celsius abfallen mußte. Die Erosion der Erdoberfläche, die Verästelungen und U-förmigen Schleifen der Flüsse, die Seen und verwitterten Vulkane, all das bezeugte den uralten Kampf der Erde mit Erosionsprozessen. Man konnte wirklich mit einem Blick sehen, daß es sich um einen alten Planeten mit einer ganz neuen Zivilisation handelte.

Die meisten Planeten der Galaxis hatten wahrscheinlich ein ehrwürdiges Alter, aber keine fortgeschrittenen Technologien, vielleicht sogar nicht einmal organisches Leben. Einige wenige beherbergten vielleicht Zivilisationen, die viel älter waren als unsere. Welten mit Zivilisationen, die gerade erst dabei waren, Technologien zu entwickeln, gab es wahrscheinlich nur ganz, ganz wenige. Vielleicht war im Grunde auch dies das Einzigartige an der Erde. Als der Lunch serviert wurde, überflogen sie gerade das Delta des Mississippi. Die Landschaft unter ihnen wurde grün. Kaum zu glauben, daß sie in einem Flugzeug saßen, so ruhig flog es. Ellie sah auf Peter, der immer noch schlief. Beinahe beleidigt hatte er bei der Aussicht auf ein Mittagessen von der Fluggesellschaft abgewunken. Neben ihm, auf der anderen Seite des Gangs, lag ein kleines Baby, das kaum älter als drei Monate sein konnte, in den Armen seines Vaters. Wie wohl ein Kind so einen Flug erlebte? Da kam man plötzlich in einen großen Raum mit Sitzen, auf denen man Platz nahm. Der Raum rüttelte und schüttelte sich vier Stunden lang. Dann stand man wieder auf und ging hinaus. Und wie durch ein Wunder war man woanders. Aber auch wenn man nicht begriff, wie das Transportmittel funktionierte, war doch die Grundidee einfach zu begreifen. Man brauchte also nicht schon als Kind die Navier-Stokesschen Gleichungen auswendig zu wissen.

Es war später Nachmittag, als sie über Washington kreisten und auf die Landeerlaubnis warteten. Zwischen dem Washington Monument und dem Lincoln Memorial sah Ellie eine riesige Menschenmenge. Erst vor einer Stunde hatte sie in einem Telefax der Times gelesen, daß eine Protestkundgebung schwarzer Amerikaner gegen wirtschaftliche Benachteiligung und ungleiche Behandlung im Ausbildungssektor stattfand. Die Beschwerden waren nur zu berechtigt, dachte Ellie, und die Schwarzen waren bisher wirklich sehr geduldig gewesen. Sie fragte sich, wie die Präsidentin wohl auf die Kundgebung und die Übertragung von der Wega reagieren würde. Für morgen erwartete man zu beiden Ereignissen einen Kommentar von offizieller Seite.

„Was meinen Sie mit ‚sie entweichen’ Ken?“

„Ich will damit sagen, Frau Präsidentin, daß die Fernsehsignale unseren Planeten verlassen und ins Weltall entweichen.“

„Und wie weit kommen sie da genau?“

„Bei allem Respekt, verehrte Frau Präsidentin, aber es ist nicht ganz so einfach.“

„Wie ist es dann?“

„Die Signale breiten sich in Kugelwellen von der Erde aus, etwa so wie Wellen in einem Teich. Sie bewegen sich mit Lichtgeschwindigkeit, also 299792 Kilometern pro Sekunde, und pflanzen sich unendlich fort. Je besser die Empfänger sind, die andere Zivilisationen haben, aus desto größerer Entfernung können sie noch unsere TV-Signale empfangen. Sogar wir wären in der Lage, eine Fernsehübertragung von einem Planeten zu empfangen, der um den erdnächsten Stern kreist.“

Einen Moment lang stand die Präsidentin da wie vom Donner gerührt und starrte durch die Glastür in den Rosengarten. Dann drehte sie sich zu Der Heer um und sagte: „Man kann dort, alle unsere Signale empfangen?“

„Jawohl.“

„Also auch all den Quatsch im Fernsehen? Die Autounfälle? Sport? Pornos? Nachrichten?“

„Alles, Frau Präsidentin“, antwortete Der Heer und schüttelte jetzt, wo er selbst daran dachte, betreten den Kopf. „Der Heer, verstehe ich Sie wirklich richtig? Heißt das auch, daß alle meine Pressekonferenzen, meine Berichte und meine Antrittsrede da hinausgegangen sind?“

„Das sind die guten Nachrichten, Frau Präsidentin. Die schlechten sind, daß die Fernsehauftritte Ihres Vorgängers genauso hinausgingen wie die von Nixon oder der sowjetischen Führung. Und all die gemeinen Dinge, die Ihre Gegner über Sie gesagt haben. Ein sehr gemischter Segen!“

„O mein Gott. Aber sprechen Sie weiter“, forderte die Präsidentin Der Heer auf. Sie hatte sich von der Glastür abgewandt und studierte scheinbar interessiert eine Marmorbüste von Thomas Paine, die erst vor kurzem aus dem Keller der Smithsonian Institution hervorgeholt worden war, wo ihr Amtsvorgänger sie hatte deponieren lassen. „Sie müssen sich das so vorstellen: Der kurze Film von der Wega wurde erstmals 1936 bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Berlin gesendet. Obwohl er nur in Deutschland ausgestrahlt wurde, war es die erste Fernsehübertragung auf der Erde mit einer gewissen Sendestärke. Anders als bei den anderen Radioübertragungen der dreißiger Jahre drangen diese Signale durch unsere Ionosphäre in den Weltraum. Wir versuchen gerade herauszufinden, was genau damals eigentlich gesendet wurde, aber dazu brauchen wir wahrscheinlich noch etwas Zeit. Vielleicht ist die Begrüßung durch Hitler der einzige Teil der gesamten Übertragung, den sie auf der Wega auffangen konnten. Also ist von deren Standpunkt aus Hitler das erste Anzeichen intelligenten Lebens auf der Erde. Ich meine das nicht ironisch. Sie wissen dort ja nicht, was die Übertragung bedeutet. Sie zeichnen es nur auf und senden es an uns zurück. Als wenn sie uns sagen wollten: Hallo, wir haben euch gehört. Eigentlich eine recht freundliche Geste.“

„Und Sie sind der Ansicht, daß es dann bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs keine Fernsehübertragungen mehr gab?“ fragte die Präsidentin.

„Nichts, was der Rede wert gewesen wäre. In England gab es eine Sendung über die Krönung Georgs VI. und noch ein paar andere kleinere Übertragungen. Die große Zeit der Fernsehübertragungen setzte erst Ende der vierziger Jahre ein. All diese Programme verließen die Erde mit Lichtgeschwindigkeit. Stellen Sie sich vor, hier ist die Erde“ — Der Heer versuchte, seine Argumente mit Gesten zu veranschaulichen — „und hier eine Kugelwelle, die mit Lichtgeschwindigkeit von ihr wegläuft. Sie startet 1936 und entfernt sich immer weiter von der Erde. Früher oder später erreicht sie die nächste Zivilisation. Die ist überraschend nah, nur sechsundzwanzig Lichtjahre entfernt, auf einem Planeten der Wega. Die Bewohner dort zeichnen sie auf und schicken sie zu uns zurück. Aber es dauert nochmals sechsundzwanzig Jahre, bis die Olympischen Spiele wieder zur Erde zurückkehren. Daraus läßt sich schließen, daß die Wegianer unsere Signale schnell verstanden haben. Sie müssen damals geradezu eine fertig aufgebaute und genau eingestellte Empfängeranlage gehabt haben, die nur noch auf unsere ersten Fernsehsignale gewartet hat. Sie haben die Signale also entdeckt, aufgezeichnet und nach einer Weile an uns zurückgeschickt. Wenn sie nicht schon einmal hier gewesen sind — auf einer Beobachtungsmission vor ein paar hundert Jahren etwa — können sie nicht gewußt haben, daß wir das Fernsehen gerade erst erfunden hatten. Deshalb ist Frau Dr.

Arroway der Ansicht, daß diese Zivilisation alle benachbarten Planetensysteme überwacht, um festzustellen, ob ihre Nachbarn hochentwickelte Technologien besitzen.“

„Ken, vieles von dem, was Sie sagen, ist hochinteressant. Sind Sie sicher, daß diese — wie nennen Sie sie, Wegianer? — also, daß diese Wegianer nicht verstehen, worum es in dem Fernsehprogramm ging?“

„Frau Präsidentin, ganz ohne Zweifel sind die Wesen auf der Wega sehr gescheit. Das Signal von 1936 war sehr schwach. Ihre Detektoren müssen ungeheuer empfindlich sein, wenn sie es auffangen konnten. Aber ich kann mir nicht denken, daß sie seinen Inhalt verstanden haben. Wahrscheinlich sehen diese Wesen ganz anders aus als wir und haben eine andere Geschichte und auch andere Sitten. Sie können gar nicht wissen, was ein Hakenkreuz ist oder wer Adolf Hitler war.“

„Ausgerechnet Adolf Hitler! Ken, das macht mich rasend. Vierzig Millionen Menschen mußten sterben, um seinen Größenwahnsinn zu besiegen. Und jetzt ist er der Star der ersten Fernsehübertragung zu einer anderen Zivilisation? Er vertritt die ganze Erde. Damit sind die kühnsten Träume dieses Verrückten wahr geworden.“

Sie hielt inne und fuhr mit ruhigerer Stimme fort: „Sie wissen, daß ich schon immer der Ansicht war, daß Hitler den Hitlergruß nie richtig zustande gebracht hat. Er hat den Arm nie gerade ausgestreckt, immer hing er schief in der Luft. Das ergab dann diesen markigen Gruß mit gekrümmtem Ellbogen. Wenn jemand anders sein Heil Hitler so schlecht ausgeführt hätte, wäre er sicher an die russische Front geschickt worden.“

„Aber Hitler erwiderte ja nur den Gruß der anderen. Er wünschte sich nicht selber Heil Hitler.“

„O doch, das tat er“, widersprach die Präsidentin. Mit einer Geste geleitete sie Der Heer aus dem Rosenzimmer hinaus und einen Flur entlang. Plötzlich blieb sie stehen und sah ihn an.

„Was wäre gewesen, wenn die Nazis 1936 kein Fernsehen gehabt hätten?“ fragte sie.

„Dann hätten die Wegianer vermutlich die Krönung Georgs VI. oder eine Sendung über die Weltausstellung in New York 1939 empfangen, wenn die Sendestärke stark genug gewesen sein sollte. Oder irgendwelche Fernsehsendungen Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre. Zum Beispiel Howdy Doody, Milton Berle oder die antikommunistischen Hetzkampagnen McCarthys — alles wahrhaft erlesene Früchte intelligenten Lebens der Erde.“

„Und solche Sendungen sind unsere Botschafter im Weltraum. die Abgesandten der Erde.“ Nachdenklich hielt die Präsidentin einen Moment inne. „Mit seinen Botschaftern sollte man sich von der besten Seite zeigen. Und wir haben in den letzten vierzig Jahren vor allem Mist in den Weltraum geschickt. Ich würde zu gerne wissen, was die Rundfunk- und Fernsehintendanten dazu sagen würden. Und dann dieser Wahnsinnige, Hitler. Das sind also die ersten Nachrichten von der und über die Erde? Was werden sie nur von uns denken?“

Als Der Heer und die Präsidentin den Kabinettsaal betraten, verstummten die dort versammelten Politiker und Wissenschaftler, und einige, die bereits saßen, machten Anstalten, sich zu erheben. Mit einer kurzen Handbewegung bedeutete die Präsidentin ihnen, sitzen zu bleiben, und begrüßte dann mit einem kurzen Händedruck den Außenminister und einen Vertreter des Verteidigungsministeriums. Dann musterte sie bedächtig den Kreis der Anwesenden. Einige erwiderten ihren Blick erwartungsvoll. Andere, die eine gewisse Verdrossenheit im Gesicht der Präsidentin entdeckten, schlugen die Augen nieder.

„Ken, ist Ihre Astronomin denn nicht hier? Frau Arrowsmith? Oder Arrowroot?“

„Arroway, Frau Präsidentin. Sie und Dr. Valerian sind bereits gestern abend angekommen. Vielleicht sind sie durch den Verkehr aufgehalten worden.“

„Frau Dr. Arroway hat aus ihrem Hotel angerufen, Frau Präsidentin“, meldete sich unaufgefordert ein gepflegter junger Mann zu Wort. „Sie sagte, sie bekomme gerade neue Daten per Telefax mitgeteilt, die sie gleich zur Sitzung mitbringen wolle. Wir sollten ruhig ohne sie anfangen.“ Entsetzt beugte sich Michael Kitz vor und fragte ungläubig: „Man schickt diese neuen Daten über eine normale, nicht gesicherte öffentliche Telephonleitung in ein Hotelzimmer in Washington?“

Der Heer antwortete so leise, daß Kitz sich noch weiter vorbeugen mußte, um ihn zu verstehen: „Mike, das Telefax ist ganz sicher zumindest mit einem der gängigen Codes verschlüsselt. Außerdem gibt es, wie Sie selbst wissen, keine Sicherheitsvorschriften in dieser Angelegenheit. Aber ich bin davon überzeugt, daß Frau Dr. Arroway zur Zusammenarbeit bereit ist, wenn es zu solchen Vorschriften kommen sollte.“

„Also, lassen Sie uns jetzt anfangen“, sagte die Präsidentin. „Es handelt sich hier um ein informelles Treffen des Nationalen Sicherheitsrates und der eigens zu diesem Anlaß gebildeten Sonderkommission. Ich möchte Sie alle nachdrücklich darauf hinweisen, daß nichts, absolut nichts von dem, worüber in diesem Raum gesprochen wird, an hier nicht anwesende Personen weitergegeben werden darf. Davon ausgenommen sind natürlich der Verteidigungsminister und der Vizepräsident, die sich in Übersee befinden. Gestern hat Dr. Der Heer den meisten von Ihnen schon eine kurze Einführung über die unglaubliche Fernsehsendung von der Wega gegeben. Dr. Der Heer und andere sind der Ansicht“ — die Präsidentin hielt inne und ließ ihren Blick über die Anwesenden schweifen — „daß es reiner Zufall ist, daß in der ersten Sendung, die zur Wega gelangte, gerade Adolf Hitler die Hauptrolle spielt. Trotzdem bringt es uns in. na ja, Verlegenheit. Ich habe den Direktor des CIA gebeten, eine Einschätzung möglicher Folgen für die nationale Sicherheit auszuarbeiten. Besteht die Möglichkeit einer direkten Bedrohung von uns durch die Sender dieser Botschaft, wer auch immer sie sein mögen? Bekommen wir Schwierigkeiten, wenn eine neue Botschaft gefunkt wird, die ein anderes Land zuerst entschlüsselt? Aber zunächst einmal möchte ich Marvin fragen, ob hier irgendein Zusammenhang mit fliegenden Untertassen besteht?“

Der Direktor des CIA, ein gebieterisch wirkender Mann Anfang Fünfzig, der eine Brille mit Metallfassung trug, faßte seine Ergebnisse zusammen. Nicht identifizierte fliegende Objekte, UFOs genannt, waren seit jeher eine Sorge des CIA und der Air Force. Besonders kritisch waren die fünfziger und sechziger Jahre gewesen. Man hatte gefürchtet, daß die UFOHysterie von einer feindlichen Macht ausgenützt werden könnte, Verwirrung zu stiften und Nachrichtenkanäle mit Falschmeldungen zu füllen. Bei einigen der gemeldeten Vorfälle hatte sich herausgestellt, daß Hochleistungsflugzeuge Kubas und der Sowjetunion in den amerikanischen Luftraum eingedrungen waren oder amerikanische Stützpunkte in Übersee überflogen hatten. Solches Überfliegen war eine gängige Methode, die potentielle Abwehrbereitschaft des Gegners zu testen. Die Vereinigten Staaten wiederum hatten ihrerseits beträchtlichen Anteil an ähnlichen tatsächlichen und vorgetäuschten Verstößen im sowjetischen Luftraum.

Eine kubanische MiG, die 200 Meilen in das Mündungsgebiet des Mississippi eingedrungen war, bevor sie entdeckt wurde, hatte nach Ansicht der NORAD unerwünscht viel öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Die übliche Reaktion der Air Force war gewesen, abzustreiten, daß sich eines ihrer Flugzeuge in der Nähe des gesichteten UFO befunden hatte, und nichts über das unbefugte Eindringen fremder Flugzeuge zu sagen, weil das die öffentliche Phantasie nur noch mehr angeregt hätte. Als Marvin zu diesem Punkt kam, schaute der Generalstabschef der Air Force sichtlich unangenehm berührt drein, sagte aber nichts. Die meisten der gemeldeten UFOs, fuhr der Direktor des CIA fort, gingen auf falsche Beobachtungen der angeblichen Zeugen zurück. Dabei gab es für sie eine völlig natürliche Erklärung. Teils handelte es sich um neuartige Versuchsflugzeuge, teils um von den Wolken reflektierte Autoscheinwerfer oder um Ballone, Vögel und luminiszierende Insekten. Auch Planeten und Sterne unter ungewöhnlichen atmosphärischen Bedingungen waren schon als UFOs gemeldet worden. Einige der Meldungen waren geradezu aus Halluzinationen hervorgegangen. Seit der Begriff „fliegende Untertasse“ Ende der vierziger Jahre geprägt worden war, waren auf der ganzen Welt über eine Million UFOs gesichtet worden. Aber keine einzige Meldung gab Grund zu der Annahme, daß ein Zusammenhang mit einem außerirdischen Besuch bestand. Doch allein die Vorstellung davon weckte heftige Emotionen. Es gab eigene Vereine, Veröffentlichungen und sogar eine Reihe von Wissenschaftlern, die an dem Zusammenhang zwischen UFOs und dem Leben auf anderen Planeten festhielten. Viele der neuesten Prophezeiungen zur Jahrtausend wende sprachen von Untertassen entsteigenden außerirdischen Erlösern. Die offiziellen Nachforschungen der Air Force — eines der letzten Projekte hatte Blue Book geheißen — waren Ende der sechziger Jahre mangels verwertbarer Ergebnisse eingestellt worden, obwohl sowohl die Air Force als auch der CIA weiterhin ein gewisses Interesse daran hatten. In wissenschaftlichen Kreisen war man jedoch so sehr davon überzeugt, daß an der ganzen Sache nichts dran war, daß die NASA den Auftrag Jimmy Carters, eine umfassende Studie über UFOs anzufertigen, ganz gegen ihre sonstigen Gewohnheiten abgelehnt hatte. „Tatsache ist“, warf ein Wissenschaftler ein, der mit dem Protokoll solcher Treffen nicht vertraut war, „daß dieses ganze UFOZeug die ernsthafte SETI-Forschung erheblich erschwert hat.“

„Ja, gut“, erwiderte die Präsidentin mit einem Seufzer. „Ist jemand an diesem Tisch der Ansicht, daß ein Zusammenhang zwischen UFOs und dem Signal von der Wega besteht?“ Der Heer betrachtete seine Fingernägel. Keiner sagte etwas.

„Trotzdem werden wir sicher von vielen eingeschworenen UFO-Fans zu hören bekommen, daß sie es ja schon immer gesagt hätten. Marvin, bitte fahren Sie fort.“

„Frau Präsidentin, 1936 übertrug ein schwaches Fernsehsignal die Eröffnungsfeierlichkeiten der Olympischen Spiele für einige wenige Fernsehempfänger in Berlin und Umgebung. Es war ein Versuch, in der Öffentlichkeit Aufsehen zu erregen. Dadurch sollte die Fortschrittlichkeit und Überlegenheit der deutschen Technologie demonstriert werden. Es gab schon vorher Fernsehübertragungen, die aber alle eine noch viel geringere Sendestärke hatten. Eigentlich waren dabei die Amerikaner die ersten. Herbert Hoover hatte als Handelsminister einen kurzen Fernsehauftritt am. 27. April 1927. Aber egal, das deutsche Signal verließ die Erde mit Lichtgeschwindigkeit und kam sechsundzwanzig Jahre später auf der Wega an. Dort — wer immer damit gemeint sein mag — entschloß man sich einige Jahre später, das Signal um ein Vielfaches verstärkt an uns zurückzusenden. Die Fähigkeit, ein so schwaches Signal zu empfangen, ist wirklich beeindruckend, und ebenso die Fähigkeit, es mit dieser Sendestärke zurückzuschicken. Natürlich stellt das unsere Sicherheit vor Probleme. Der Sicherheitsdienst würde beispielsweise gerne wissen, wie man so schwache Signale entdecken kann. Die Menschen auf der Wega, oder was sie eben sind, sind mit Sicherheit technisch bereits weiter als wir — vielleicht nur wenige Jahrzehnte, vielleicht aber auch viel mehr.

Sie haben uns keine weiteren Informationen über sich selbst zukommen lassen — außer, daß das gefunkte Signal auf einigen Frequenzen nicht den Doppler-Effekt der Bewegung ihres Planeten um die Wega zeigt. Damit haben sie uns eine zusätzliche Datenreduktion abgenommen. Sie sind. hilfsbereit. Bisher haben wir nichts empfangen, was militärisch oder sonstwie interessant gewesen wäre. Alles, was sie uns mitgeteilt haben, ist, daß sie gut in Radioastronomie sind, daß sie Primzahlen mögen und daß sie unsere erste Fernsehsendung an uns zurückfunken können. Es kann uns nicht wehtun, wenn die anderen Nationen das auch wissen. Und bedenken Sie: Auch die anderen Länder empfangen in ständiger Wiederholung denselben Drei-Minuten-Clip über Hitler. Sie haben nur noch nicht herausgefunden, wie er zu lesen ist. Wahrscheinlich werden die Russen oder die Deutschen früher oder später auch über die Polarisationsmodulation stolpern. Meiner persönlichen Meinung nach, verehrte Frau Präsidentin — ich weiß nicht, ob die Regierung mir hierin zustimmt —, sollten wir unsere Entdeckung weltweit bekanntgeben, bevor man uns der Geheimhaltung bezichtigt. Wenn die Situation im wesentlichen so bleibt, wie sie ist, ist eine solche Veröffentlichung unbedenklich. Selbst an die Freigabe des Drei-Minuten-Films wäre zu denken. Übrigens konnten wir in deutschen Archiven keine Aufzeichnung der Originalsendung finden. Wir können also nicht hundertprozentig sicher sein, daß die Wega-Leute nichts am Inhalt verändert haben, bevor sie den Film zurückschickten. Wir können zwar Hitler erkennen, und der Teil des Olympischen Stadions, den wir sehen, entspricht exakt dem von Berlin 1936. Aber ob sich Hitler in diesem Augenblick nicht vielleicht gerade am Schnurrbart kratzte, statt zu lächeln wie in der Übertragung, können wir einfach nicht mehr feststellen.“

Außer Atem trat Ellie ein, gefolgt von Valerian. Die beiden versuchten, sich unbemerkt auf die hintersten Stühle an der Wand zu verdrücken, aber Der Heer entdeckte sie und machte die Präsidentin auf sie aufmerksam.

„Frau Dr. Arrow-äh-way? Ich freue mich, Sie wohlbehalten hier zu sehen. Lassen Sie mich Ihnen erst einmal meinen Glückwunsch zu dieser großartigen Entdeckung aussprechen. Einfach großartig. Hm, Marvin.“

„Ich kann hier ohne weiteres abbrechen, Frau Präsidentin.“

„Danke. Frau Dr. Arroway, wenn wir es richtig verstanden haben, haben Sie uns etwas Neues mitgebracht. Würden Sie uns bitte darüber berichten?“

„Frau Präsidentin, entschuldigen Sie meine Verspätung, aber ich glaube, wir haben gerade einen Volltreffer gelandet. Wir haben. Es ist. Lassen Sie es mich folgendermaßen erklären: Als im Altertum, vor vielen tausend Jahren, Pergament sehr knapp war, überschrieb man einfach das alte Pergament. So kam es zu sogenannten Palimpsesten, auf denen mehrere Schriftschichten übereinanderlagen. Das Signal von der Wega ist natürlich sehr stark. Wie Sie bereits wissen, gibt es Primzahlen und, sozusagen darunter, in der Polarisationsmodulation, diese unheimliche Geschichte mit Hitler. Aber unter der Primzahlensequenz und unter der Sendung von der Olympiade haben wir gerade eine weitere, sehr komplexe Schicht entdeckt — und wir sind ziemlich sicher, daß es sich dabei um eine Botschaft an uns handelt. Soweit wir es sagen können, war sie schon die ganze Zeit über da. Aber erst jetzt haben wir sie entdeckt. Sie ist schwächer als das Ankündigungssignal, aber trotzdem hätten wir sie eigentlich schon früher entdecken müssen.“

„Und wie lautet die Botschaft?“ fragte die Präsidentin. „Wir haben im Moment noch nicht die leiseste Ahnung, Frau Präsidentin. Erst heute früh nach hiesiger Zeit sind einige meiner Mitarbeiter vom Projekt Argus darüber gestolpert. Wir haben die ganze Nacht daran gearbeitet.“

„Und Sie haben dafür eine öffentliche Telephonverbindung benutzt?“ unterbrach Kitz.

„Wir haben unsere Daten natürlich verschlüsselt.“ Ellies Wangen röteten sich. Sie öffnete die Tasche mit dem Fernkopierer, ließ ihre Daten auf Klarsichtfolie ausdrucken, und warf das Ergebnis mit Hilfe eines Overheadprojektors auf eine Leinwand.

„Hier sehen Sie alles, was wir bis jetzt wissen: Wir empfangen einen Informationsblock, der aus zirka eintausend Bit besteht. Dann kommt hier an dieser Stelle eine Pause, und derselbe Block wird wiederholt, Bit für Bit. Dann haben wir wieder eine Pause, und ein neuer Block fängt an, der seinerseits wiederholt wird. Wahrscheinlich soll die Wiederholung jedes Blocks die Übertragungsfehler möglichst gering halten. Es ist dem Sender anscheinend sehr wichtig, daß wir alles, was immer es sein mag, auch ganz genau empfangen. Lassen Sie uns jeden Informationsblock als eine Seite bezeichnen. Argus fängt täglich ein paar Dutzend solcher Seiten auf. Aber wir wissen nicht, wovon sie handeln. Es gibt keinen einfachen Bildcode wie bei der Sendung von der Olympiade. Es muß sich um eine tiefere und kompliziertere Botschaft handeln. Zum ersten Mal sieht es so aus, als ob diese Informationen von ihnen selbst stammen. Der einzige Anhaltspunkt, den wir bisher haben, ist, daß die Seiten wahrscheinlich numeriert sind. Am Anfang jeder Seite steht eine binär kodierte Zahl. Sehen Sie das hier? Und jedes Mal, wenn das nächste Paar identischer Seiten auftaucht, wird es mit der nächst höheren Zahl versehen. Jetzt sind wir gerade auf Seite. 10413. Ein dickes Buch! Wenn man zurückrechnet, hat die Botschaft etwa vor drei Monaten angefangen. Wir können uns glücklich schätzen, daß wir sie so früh aufgefangen haben.“

„Also habe ich doch recht gehabt, nicht wahr?“ sagte Kitz und beugte sich über den Tisch zu Der Heer. „Diese Botschaft wollen Sie doch nicht an die Japaner, Chinesen oder Russen weitergeben, oder?“

„Ist es schwierig, sie zu entschlüsseln?“ fragte die Präsidentin über den flüsternden Kitz weg.

„Wir tun unser Bestes. Es wäre wahrscheinlich hilfreich, wenn die Nationale Sicherheitsbehörde mit uns zusammenarbeiten würde. Aber ohne eine Erklärung von der Wega, ohne eine Anleitung, glaube ich nicht, daß wir große Fortschritte machen werden. Die Botschaft ist sicher nicht in Englisch, Deutsch oder sonst einer irdischen Sprache abgefaßt. Wir hoffen, daß die Botschaft, wenn sie auf Seite 20000 oder 30000 zu Ende ist, wieder von vorne anfängt, damit wir die Lücken füllen können. Vielleicht bekommen wir ja, bevor die ganze Botschaft noch einmal wiederholt wird, einen Code, eine Art Reader, mit dessen Hilfe wir sie verstehen könnten.“

„Vielleicht kann ich — “

„Frau Präsidentin, darf ich vorstellen: Dr. Peter Valerian vom California Institute of Technology, einer der Pioniere auf diesem Gebiet.“

„Bitte fahren Sie fort, Dr. Valerian.“

„Es handelt sich hier um eine Sendung, hinter der eine bestimmte Absicht steht. Die Absender wissen, daß es uns gibt. Sie haben aufgrund der aufgefangenen Fernsehsendung von 1936 auch eine Vorstellung vom Stand unserer Technologie und unserer Intelligenz. Sie würden sich nicht solche Mühe geben, wenn sie nicht wollten, daß wir ihre Botschaft verstehen. Also muß auch der Schlüssel zur Botschaft irgendwo zu finden sein. Man muß nur alle Daten sammeln und sehr sorgfältig analysieren.“

„Worum handelt es sich Ihrer Meinung nach bei der Botschaft?“

„Das weiß ich leider auch nicht, Frau Präsidentin. Ich kann nur wiederholen, was Frau Dr. Arroway bereits gesagt hat. Es handelt sich um eine komplexe Botschaft. Die sendende Zivilisation muß sehr viel Wert darauf legen, daß wir die Botschaft empfangen. Vielleicht handelt es sich dabei ja nur um einen schmalen Band einer vielbändigen Encyclopaedia Galactica. Die Wega hatte einmal den dreifachen Durchmesser der Sonne und war ungefähr fünfzigmal heller. Und weil sie ihren nuklearen Brennstoff rasend schnell verbrennt, ist ihre Lebensdauer viel kürzer als die der Sonne — “

„Jawohl. Vielleicht ist man auf der Wega in Not“, unterbrach ihn der Direktor des CIA. „Vielleicht fürchten sie, daß ihr Planet zerstört wird, und wollen, daß jemand von ihrer Zivilisation erfährt, bevor sie ausgelöscht werden.“

„Oder“, mischte sich Kitz ein, „sie halten nach neuen Siedlungsräumen Ausschau, und die Erde sagt ihnen zu. Vielleicht ist es gar kein Zufall, daß sie uns ein Bild von Adolf Hitler geschickt haben.“

„Nun aber langsam“, sagte Ellie, „es gibt viele Möglichkeiten, aber alles ist nicht möglich. So kann die sendende Zivilisation überhaupt nicht feststellen, ob wir ihre Botschaft empfangen haben, und noch viel weniger, ob wir sie entschlüsseln konnten. Wenn sie uns drohen wollen, dann brauchen wir ja nicht zu antworten. Und selbst wenn wir antworten, dauert es sechsundzwanzig Jahre, bis die Antwort ankommt, und weitere sechsundzwanzig Jahre, bevor sie uns wieder antworten können. Die Geschwindigkeit des Lichts ist schnell, aber nicht unendlich schnell. Zwischen uns und der Wega liegt eine sichere Entfernung. Und wenn uns die Botschaft beunruhigt, dann können wir uns Jahrzehnte Zeit lassen, bis wir entscheiden, was wir damit machen. Wir brauchen jetzt noch nicht in Panik auszubrechen.“ Die letzten Worte betonte sie besonders und lächelte dabei Kitz freundlich an.

„Mir gefällt, was Sie sagen, Frau Dr. Arroway“, sagte die Präsidentin. „Aber es geht alles recht schnell. Viel zu schnell sogar. Und es gibt zu viele Vielleichts dabei. Ich habe noch nicht einmal eine Presseerklärung abgegeben, weder zu den Primzahlen noch zu diesem Quatsch mit Hitler. Und jetzt sollen wir schon über ein Buch nachdenken, das die anderen uns Ihrer Ansicht nach schicken. Nur weil ihr Wissenschaftler nichts von offenen Gesprächen haltet, jagen sich die Gerüchte. Phyllis, wo ist die Mappe? Hier, schauen Sie sich diese Schlagzeilen an.“ Mit ausgestrecktem Arm präsentierte die Präsidentin ihnen eine Sammlung von Zeitungsausschnitten. Abgesehen von kleineren Varianten journalistischer Kunst hatten alle Schlagzeilen ungefähr den gleichen Inhalt: „Insektenäugige Monster im Fernsehen: Wissenschaftler waren dabei“, „Astronomisches Telegramm spricht von außerirdischer Intelligenz“, „Die Stimme vom Himmel“ und „Überfall aus dem Weltraum?“ Sie ließ die Zeitungsausschnitte auf den Tisch flattern.

„Wenigstens ist von der Geschichte mit Hitler noch nichts bekannt geworden. Auf die Schlagzeile warte ich ja noch: ‚Hitler nach Meinung amerikanischer Forscher gesund und wohlauf im Weltraum. ’ Und dann wird es auch noch Schlimmeres geben. Ich bin der Meinung, wir sollten unsere Konferenz hier abbrechen und später wieder zusammenkommen.“

„Frau Präsidentin, dürfte ich — “ Der Heer unterbrach sie zögernd und mit offensichtlichem Unbehagen. „Ich bitte Sie um Verzeihung, aber es gibt einige Probleme von internationaler Reichweite, die meiner Ansicht nach jetzt gleich noch auf den Tisch gebracht werden sollten.“

Die Präsidentin seufzte kurz, willigte aber ein. Der Heer fuhr fort: „Sie korrigieren mich bitte, wenn ich etwas Falsches sage, Frau Dr. Arroway. Gut. Die Wega geht jeden Tag über der Wüste von New Mexico auf, und dann bekommen wir einige Seiten unserer komplexen Übertragung gesendet. Worum genau es sich handelt, wissen wir noch nicht. Nach etwa acht Stunden geht die Wega unter. Ist das soweit richtig? Okay. Am nächsten Tag geht sie im Osten wieder auf, aber ein paar Seiten sind uns in der Zwischenzeit entgangen. Richtig? Dann bekommen wir also sozusagen nur die Seiten dreißig bis fünfzig und dann die Seiten achtzig bis hundert, und so weiter. So sehr wir uns auch anstrengen, immer entgeht uns eine große Menge an Information. Lücken. Selbst wenn die Botschaft wiederholt werden sollte, werden wir Lücken haben.“

„Das ist vollkommen richtig.“ Ellie stand auf und ging zu der großen Weltkugel an der Stirnseite des Saales. Im Weißen Haus schien noch nicht bekannt zu sein, daß die Erdachse geneigt war. Die Achse des Globus stand keck senkrecht. Zögernd gab Ellie dem Globus einen Schubs und sagte: „Die Erde dreht sich. Wenn man Lücken vermeiden will, braucht man Radioteleskope, die gleichmäßig über lange Strecken verteilt sind. Jede Nation, die nur von ihrem eigenen Territorium aus beobachtet, kann einen Teil der Botschaft empfangen und muß dann wieder aussetzen — und das vielleicht gerade dann, wenn es besonders interessant wird. Vor dem gleichen Problem stehen wir auch mit einer interplanetarischen Weltraumsonde. Wenn sie an einem Planeten vorbeikommt, sendet sie ihre Beobachtungen an die Erde zurück, aber vielleicht befinden sich die Vereinigten Staaten gerade zu diesem Zeitpunkt auf der anderen Seite. Deshalb hat die NASA für die Einrichtung von drei Radiobeobachtungsstationen gesorgt, die in etwa gleichen Abständen auf dem Erdball verteilt sind. Sie haben in den letzten Jahrzehnten auch prima funktioniert. Aber.“ Ihre Stimme verlor sich, und sie sah P. L. Garrison, den Leiter der NASA, hilfesuchend an. Er war ein dünner, blasser Mann mit freundlichen Augen. Jetzt zwinkerte er ihr zu.

„Ach ja, vielen Dank. Deep Space Network heißt es, und es ist unser ganzer Stolz. Wir haben Stationen in der Mojave- Wüste, in Spanien und in Australien. Natürlich reichen unsere finanziellen Mittel nicht, aber mit ein wenig Unterstützung könnten wir die Anlage weiter ausbauen.“

„In Spanien und Australien?“ fragte die Präsidentin. „Wenn es nur wissenschaftlichen Zwecken dient“, meinte der Außenminister, „gibt es sicher keine Probleme. Aber wenn bei diesem Forschungsprogramm noch Politik mitspielt, könnte es schwierig werden.“

Die Beziehungen zwischen diesen beiden Ländern und den Vereinigten Staaten waren in letzter Zeit etwas abgekühlt. „Natürlich hat die Sache eine politische Komponente“, entgegnete die Präsidentin mit scharfer Stimme. „Aber wir sind doch gar nicht an die Erdoberfläche gebunden“, warf ein General der Air Force ein. „Wir können uns doch von der Erdrotation abkoppeln. Dazu brauchen wir nur ein großes Radioteleskop in der Erdumlaufbahn.“

„Gut“, sagte die Präsidentin und blickte in die Runde. „Haben wir ein Weltraumradioteleskop? Und wie lange würde es dauern, es startbereit zu machen? Wer weiß da Bescheid? Sie, Dr. Garrison?“

„Leider nein, Frau Präsidentin. Die NASA hat in den vergangenen drei Haushaltsjahren jedesmal ein solches Teleskop für das Maxwell-Observatorium beantragt, aber das OMB hat es jedes Mal abgelehnt. Wir haben natürlich detaillierte Konstruktionspläne, aber es würde mindestens drei Jahre dauern, bevor es startbereit wäre. Ich möchte auch nochmals daran erinnern, daß die Russen bis letzten Herbst ein funktionierendes Teleskop für den Millimeter- und Submillimeterwellenbereich in der Erdumlaufbahn hatten. Wir wissen nicht, warum es kaputtging. Aber es ist immer noch einfacher für sie, ein paar Kosmonauten zur Reparatur hinaufzuschicken, als für uns, von Grund auf ein neues zu bauen und zu starten.“

„Damit müssen wir uns also abfinden“, sagte die Präsidentin. „Die NASA hat ein einfaches Teleskop im Weltraum, aber kein großes Radioteleskop. Hat keiner eine andere Idee?

Was ist mit den Leuten von der Abwehr? Der Nationalen Sicherheitsbehörde? Niemand? Nichts?“

„Ich möchte noch einmal auf unsere grundsätzlichen Probleme zurückkommen“, sagte Der Heer. „Wir haben ein starkes Signal, das auf vielen Frequenzen zu hören ist. Wenn die Wega in den Vereinigten Staaten untergeht, gibt es Radioteleskope in einem halben Dutzend anderer Länder, die das Signal empfangen können. Sie haben technisch vielleicht nicht das hohe Niveau von Argus und sind vielleicht noch nicht auf die Polarisationsmodulation gekommen. Aber wenn wir warten, bis wir ein Weltraumradioteleskop gebaut haben, verpassen wir die Botschaft vielleicht für immer. Das heißt, daß die einzige Lösung die sofortige Zusammenarbeit mit anderen Nationen ist. Oder sehen Sie das anders, Frau Dr. Arroway?“

„Ich glaube nicht, daß eine einzelne Nation in der Lage ist, mit diesem Projekt allein fertigzuwerden. Wir brauchen verschiedene Länder, die über die ganze Beobachtungsstrecke rund um die Erde verteilt sind. Wir müssen auf der Stelle alle großen radioastronomischen Stationen verständigen — die großen Radioteleskope in Australien, China, Indien, der Sowjetunion, im Nahen Osten und in Westeuropa. Es wäre unverantwortlich, Lücken zu riskieren und in Kauf zu nehmen, daß ein besonders kritischer Teil der Botschaft gerade dann gesendet wird, wenn kein Teleskop hinschaut. Und wir brauchen eine Station im östlichen Pazifik zwischen Hawaii und Australien und vielleicht auch im mittleren Atlantik.“

„Wenn ich dazu etwas sagen darf“, warf der Direktor des CIA trocken ein. „Die Sowjets haben mehrere Schiffe mit Radioteleskopen an Bord, die das S- und das X-Band abhören, die Akademik Keldysch beispielsweise oder die Marschall Nedelin. Wir könnten mit ihnen Vereinbarungen treffen, daß sie ihre Schiffe im Atlantik und Pazifik stationieren und damit unsere Lücken überbrücken.“ Ellie wollte antworten, aber die Präsidentin kam ihr zuvor. „Das ist alles schön und gut, Ken. Und vielleicht haben Sie ja recht. Aber ich kann nur wiederholen, was ich schon einmal gesagt habe. Das geht alles so verdammt schnell. Es gibt noch andere Dinge, um die ich mich kümmern muß. Deshalb möchte ich den Direktor des CIA und die Leute von der Sicherheitsbehörde bitten, bis morgen zu überprüfen, ob es noch andere Alternativen gibt außer der Zusammenarbeit mit anderen Ländern — besonders Ländern, die nicht unsere Verbündeten sind. Den Außenminister möchte ich bitten, in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern eine Liste der Länder und Personen zu erstellen, an die man herantreten könnte, wenn wir kooperieren müssen — mit einer Einschätzung der Konsequenzen. Ob es unsere Beziehungen zu diesen Ländern belasten könnte, wenn wir sie nicht um ihre Mitarbeit bitten. Oder ob uns jemand damit erpressen könnte, daß er Daten für sich behält, die er uns versprochen hat. Vielleicht sollten wir versuchen, mehr als ein Land pro Abschnitt zur Mitarbeit zu gewinnen. Spielen Sie alle Möglichkeiten durch, und machen Sie sich über die Folgen Gedanken. Und verlieren Sie um Gottes willen kein Wort darüber.“ Noch einmal sah die Präsidentin jedem einzelnen in die Augen. „Auch Sie nicht, Frau Arroway. Wir haben schon genug Probleme.“

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