4 Primzahlen

Gibt es denn keine Mährischen Brüder auf dem Monde, daß noch kein Missionar diesen unseren armen Heidenplaneten besucht hat, um die Zivilisationen zu zivilisieren und die Christenheit zum Christentum zu bekehren?

Herman Melville

Weißjacke(1850)

Schweigen allein ist groß; alles andere Schwäche.

Alfred De Vigny

La Mort du Loup (1864)

Das kalte, schwarze Vakuum lag hinter ihnen. Die Pulse näherten sich jetzt einem gewöhnlichen gelben Zwergstern und ergossen sich über die Welten, die um diesen Stern kreisten. Die Pulse waren an Planeten aus Wasserstoffgas vorbeigeströmt, in Monde aus Eis eingedrungen, hatten die organischen Wolken einer Welt passiert, in der sich Vorläufer von Leben regten, und waren über einen Planeten hinweggefegt, dessen Blüte bereits eine Milliarde Jahre zurücklag, jetzt schlugen sie gegen eine warme Welt, die sich blauweiß im Sternenhimmel drehte.

Diese Welt war verschwenderisch mit vielfältigem und formenreichem Leben ausgestattet. Da gab es springende Spinnen auf den eisigen Gipfeln hoher Berge und schwefelfressende Würmer in heißen Vulkanen auf dem Grund des Ozeans. Es gab Lebewesen, die nur in konzentrierter Schwefelsäure leben konnten, und andere, die von eben dieser konzentrierten Schwefelsäure vernichtet wurden, so wie es Organismen gab, die durch Sauerstoff vergiftet wurden, während andere nur überleben konnten, wenn sie Sauerstoff atmeten.

Sonderbare Wesen mit ein wenig Intelligenz hatten sich neuerdings über den Planeten ausgebreitet. Sie waren auf den Grund des Ozeans und in eine Umlaufbahn von geringer Höhe um ihren Planeten vorgedrungen. Es wimmelte von ihnen in allen Winkeln und Ritzen ihrer kleinen Welt. Der Übergang von der Nacht zum Tag verschob sich, je weiter westwärts man auf dieser Welt kam, und entsprechend dieser Bewegung vollführten Millionen dieser Wesen rituelle Morgenwaschungen. Dann legten sie sich Mäntel oder Lendentücher um, tranken ein Gebräu aus Kaffeebohnen, Teeblättern oder Löwenzahn, fuhren auf Fahrrädern, mit Automobilen oder mit Ochsengespannen und dachten dazwischen immer wieder für eine kurze Zeit über Schulaufgaben, die Aussichten für die Frühjahrssaat oder das Schicksal der Welt nach. Unbemerkt drangen die ersten Pulse der Radiowellen durch die Atmosphäre und die Wolken, schlugen auf der Erde auf und wurden zu einem Teil zurück ins All reflektiert. Immer wieder spülten die Pulse in Wellen um die sich drehende Erde und überschwemmten das ganze Sonnensystem. Nur geringe Energiemengen wurden dabei von dem System aufgefangen. Der größte Teil der Pulse strömte an ihm vorbei — und der gelbe Stern und sein System blieben hinter ihnen in der pechschwarzen Finsternis zurück.


Ein Mann betrat das Kontrollgebäude, um seine Nachtschicht anzutreten. Er trug eine Jacke, auf der über einem stilisierten Volleyball aus Filz das Wort „Marodeure“ stand. Eine Gruppe von Radioastronomen kam gerade heraus, um zum Abendessen zu gehen.

„Na, wie lange sucht ihr denn schon nach den kleinen grünen Männchen? Doch schon mehr als fünf Jahre, oder, Willie?“ Obwohl die Neckereien nicht böse gemeint waren, spürte Wiliie die Spitze.

„Gib uns doch auch einmal eine Chance, Willie“, sagte ein anderer. „Unser Quasar-Leuchtkraft-Programm sieht wirklich vielversprechend aus. Aber es wird noch ewig dauern, wenn wir nur zwei Prozent der Teleskopzeit kriegen.“

„Ja, Jack, ist ja gut.“

„Willie, wir schauen bis zum Ursprung des Universums zurück. Auch unser Programm hat seine Risiken — aber wenigstens wissen wir, daß es da draußen ein Universum gibt. Ihr wißt nicht einmal, ob es ein einziges grünes Männchen gibt.“

„Erzählen Sie das lieber Frau Dr. Arroway. Die ist sicher glücklich, Ihre Meinung zu hören“, antwortete Willie mürrisch.

Er betrat den Kontrollraum. Mit einem Blick überflog er ein paar Dutzend Bildschirme, die die Fortschritte der Suche im Radiowellenbereich aufzeichneten. Gerade hatten sie die Untersuchung des Sternbilds Herkules abgeschlossen. Sie hatten sich das Zentrum dieses riesigen Galaxienhaufens jenseits der Milchstraße, der hundert Millionen Lichtjahre entfernt war, genau angesehen. Sie hatten M 113 untersucht, einen Kugelsternhaufen von etwa 300000 Sternen, der durch die Schwerkraft zusammengehalten wurde und sich in einer Entfernung von 26000 Lichtjahren um unsere Galaxis bewegte. Sie hatten den Ras Algethi, einen Doppelstern, und Zeta und Lambda Herculis untersucht — einige Sterne waren von der Sonne völlig verschieden, andere ähnelten ihr. Fast alle, die man mit bloßem Auge sehen konnte, waren nur wenige hundert Lichtjahre entfernt. Die Wissenschaftler hatten Hunderte kleiner Sektoren der Himmelsregion, in der Herkules lag, mit einer Milliarde verschiedener Frequenzen sorgfältig abgehorcht, aber nichts gefunden. In den Jahren davor hatten sie die Sternbilder unmittelbar westlich von Herkules abgesucht — Serpens, Corona borealis, Bootes, Canes venatici… aber auch dort hatten sie nichts gefunden. Einige der Teleskope waren noch dazu abgestellt, fehlende Daten zu Herkules zusammenzutragen. Der Rest zielte bereits stumpfsinnig auf das im Osten an Herkules angrenzende Sternbild. Für die Menschen des östlichen Mittelmeerraumes hatte es vor ein paar tausend Jahren Ähnlichkeit mit einem Saiteninstrument gehabt und war deshalb mit dem griechischen Helden Orpheus in Verbindung gebracht worden. Das Sternbild hieß Lyra oder Leier. Computergesteuert drehten sich die Teleskope, um den Sternen der Lyra von ihrem Aufgang bis zu ihrem Untergang folgen zu können. Selbsttätig speicherten die Computer die Radiophotonen, überwachten die Funktion der Teleskope und verarbeiteten die Daten in ein für ihr menschliches Bedienungspersonal handliches Format. Willie durchquerte den Raum, vorbei an der Büchse mit Süßigkeiten, an der Kaffeemaschine, dem in Elfenrunen geschriebenen Satz Tolkiens vom Artificial Intelligence Laboratory der Universität Stanford und dem Anstecker, auf dem zu lesen war: Schwarze Löcher kann mann nicht sehen. Er trat an das Kommandoschaltpult und nickte dem Diensthabenden vom Nachmittag freundlich zu, der gerade seine Aufzeichnungen zusammenpackte und sich für das Abendessen fertigmachte. Da die Daten übersichtlich auf dem bernsteinfarbenen Hauptbildschirm aufgelistet waren, brauchte Willie gar nicht nach den Fortschritten der letzten Stunden zu fragen. „Sie sehen, nichts Besonderes. Es gab einen deutlichen Glitch — es sah zumindest so aus — auf Kanal Neunundvierzig“, sagte der Physiker mit einer vagen Handbewegung in Richtung Fenster. „In der Anhäufung von Quasaren stieg der Energieausstoß vor ungefähr einer Stunde um das Zehn- bis Zwanzigfache. Die scheinen ja sehr gute Daten zu kriegen.“

„Ja, ja, habe ich schon gehört. Die verstehen sowieso nicht.“

Er verstummte, als ein Alarmlicht auf dem Pult vor ihnen aufleuchtete. Auf der Anzeige, auf der die Intensität gegen die Frequenz aufgetragen war, zeigte sich eine steile Spitze. „Schau mal an, ein monochromatisches Signal.“ Auf einer anderen Anzeige, auf der die Intensität gegen die Zeit aufgetragen war, konnte man eine Serie von Pulsen sehen, die sich von links nach rechts über den Schirm bewegten und dann verschwanden.

„Das sind Zahlen“, sagte Willie zögernd. „Sie geben die Wellenlänge eines Senders an.“

„Wahrscheinlich eine Störung durch die Air Force. So etwas habe ich einmal mit dem AWACS-Frühwarnsystem von Kirtland erlebt. Vielleicht will uns hier jemand auf den Arm nehmen.“

Es gab vertragliche Vereinbarungen, nach denen wenigstens einige Funkfrequenzen für die Astronomie freigehalten werden sollten. Aber gerade weil diese Frequenzen störungsfrei waren, konnten die Militärs manchmal der Versuchung nicht widerstehen, sie zu benutzen. Sollte ein Weltkrieg ausbrechen, würden vielleicht die Radioastronomen als erste davon erfahren, da ihre Fenster zum Kosmos dann mit strategischen Befehlen, den Daten der Überwachungssatelliten im geostationären Orbit und der Übermittlung verschlüsselter Abschußkommandos an weit entfernte strategische Stützpunkte überflutet sein würden. Aber auch ohne den militärischen Nachrichtenverkehr mußten die Astronomen beim gleichzeitigen Abhören von einer Milliarde Frequenzen mit Unterbrechungen rechnen. Blitze, startende Autos, Direktübertragungen des Rundfunks und Fernsehens über Satelliten verursachten Störgeräusche. Aber die Computer konnten solche Signale identifizieren und ignorierten sie systematisch. Auf zweideutigere Signale hörten die Computer genauer, bis sichergestellt war, daß es sich um keinen der Datensätze handelte, die sie gespeichert hatten. Immer wieder passierte es auch, daß ein elektronisch gesteuerter Flugkörper während eines Tests vorbeiflog — manchmal mit einem als fliegende Untertasse getarnten Radarschirm. Argus entdeckte dann plötzlich unverkennbare Zeichen intelligenten Lebens. Aber jedesmal entpuppten sich solche Zeichen als Leben einer ganz bestimmten Art, intelligent bis zu einem gewissen Grad, jedoch kaum außerirdisch. Vor einigen Monaten war in 260 km Höhe eine F-29E mit einer elektronischen Abwehranlage vorbeigeflogen und hatte sämtliche 131 Teleskope in Alarmzustand versetzt. Für die nicht militärisch geschulten Augen der Astronomen hätten die komplexen Radiosignale genausogut die Botschaft einer außerirdischen Zivilisation sein können. Aber dann hatten sie festgestellt, daß das westlichste Radioteleskop das Signal eine ganze Minute vor dem östlichsten empfangen hatte. Damit war klar gewesen, daß es sich um ein Objekt handelte, das in der Atmosphäre der Erde flog, und nicht um den Funkspruch einer geheimnisvollen Zivilisation aus den Tiefen des Alls. Auch diesmal würde es sich mit ziemlicher Sicherheit um etwas Ähnliches handeln.

Die Finger ihrer rechten Hand hatte sie in die fünf genau passenden Löcher eines flachen Kästchens auf ihrem Schreibtisch gesteckt. Seit es diese Erfindung gab, sparte sie jede Woche eine halbe Stunde. Viel anfangen konnte sie mit dieser halben Stunde allerdings auch nicht. „Ich habe Mrs. Yarborough alles erzählt. Sie liegt jetzt im Bett neben mir, seit Mrs. Wertheimer gestorben ist. Ich will ja nicht mein eigenes Loblied singen, aber ich rechne mir das, was du gemacht hast, als großes Verdienst an.“

„Ja, Mutter.“

Ellie prüfte den Glanz ihrer Fingernägel und fand, daß sie noch eine, vielleicht auch anderthalb Minuten brauchten. „Manchmal denke ich an die Zeit zurück, als du in der vierten Klasse warst — weißt du noch? Als es in Strömen goß und du nicht zur Schule wolltest? Ich sollte dir für den nächsten Tag eine Entschuldigung schreiben. Aber ich wollte nicht. Ich habe zu dir gesagt: Ellie, habe ich gesagt, eine gute Schulbildung ist neben der Schönheit das Wichtigste auf der Welt. Schönheit hat man oder man hat sie nicht, aber für die Bildung kann man etwas tun. Geh zur Schule. Du weißt nie, was du heute versäumst. Stimmts?“

„Ja, Mutter.“

„Das habe ich damals gesagt.“

„Ja, ich erinnere mich, Mama.“

Die Finger waren fertig, nur der Daumen hatte noch eine matte Stelle.

„Dann hab ich deine Überschuhe und deinen Regenmantel geholt — eine gelbe Regenjacke, du hast darin richtig niedlich ausgesehen, klein wie du warst — und dich in die Schule gescheucht. Und war nicht das der Tag, an dem du in Mathematik bei Mr. Weisbrod eine Frage nicht beantworten konntest? Du warst so wütend, daß du zur Collegebibliothek marschiert bist und soviel darüber nachgelesen hast, bis du mehr wußtest als Mr. Weisbrod. Er war sehr beeindruckt. Das hat er mir hinterher erzählt.“

„Wirklich? Das wußte ich gar nicht. Wann hast du denn mit ihm gesprochen?“

„An einem Elternabend. Er hat zu mir gesagt: Ihre Tochter ist ein Hitzkopf. Sie war so wütend auf mich, daß sie gelernt hat, bis sie eine Expertin auf diesem Gebiet war. Eine Expertin, hat er gesagt. Aber das habe ich dir ganz sicher schon einmal erzählt.“

Ellie legte die Füße auf eine Schreibtischschublade und lehnte sich in ihrem Drehstuhl zurück. Halt gaben ihr jetzt nur noch die Finger in der Nagellackmaschine. Den Summton spürte sie fast eher, als sie ihn hörte. Mit einem Ruck saß sie aufrecht.

„Mama, ich muß aufhören.“

„Ich bin mir sicher, daß ich dir die Geschichte früher schon mal erzählt habe. Aber du hörst mir ja nie zu, wenn ich dir etwas sage. Mr. Weisbrod war so ein netter Mensch. Du hast seine guten Seiten nie sehen wollen.“

„Mama, ich muß jetzt wirklich aufhören. Wir haben einen Bogey aufgefangen.“

„Einen Bogey? Was ist denn das?“

„Das weißt du doch, Mama. Etwas, das ein Signal sein könnte. Wir haben doch darüber geredet.“

„Da haben wir es wieder, wir denken beide, daß die andere nicht zuhört. Mutter wie Tochter.“

„Tschüß, Mama.“

„Ich laß dich erst gehen, wenn du mir versprichst, daß du mich gleich hinterher anrufst.“

„Okay, Mama. Ist versprochen.“

Die ganze Unterhaltung über waren Ellie das Elend und die Einsamkeit ihrer Mutter so deutlich vor Augen gestanden, daß sie das Gespräch am liebsten gleich beendet hätte und davongelaufen wäre. Dafür schämte sie sich.

Mit energischen Schritten betrat sie den Kontrollraum und ging zum zentralen Kontrollpult.

„Abend, Willie. Abend, Steve. Laßt mich mal die Daten sehen. Gut. Und wo habt ihr das Amplitudendiagramm versteckt? Gut. Habt ihr die interferometrische Positionsbestimmung? Okay. Mal sehen, ob es in dem Sichtbereich einen Stern gibt. Oha, da sehen wir die Wega. Die ist ja nicht weit weg.“

Sie hämmerte mit den Fingern auf eine Tastatur ein, sprach dabei jedoch weiter.

„Seht mal, sie ist nur 26 Lichtjahre entfernt. Man hat sie schon einmal beobachtet, aber immer mit negativen Ergebnissen. Ich habe sie mir bei meiner ersten Untersuchung in Arecibo selbst angesehen. Wie hoch ist die absolute Intensität? Großer Gott. Das sind ein paar hundert Jansky. Das kann man praktisch mit jedem Radio empfangen. Okay. Dann haben wir also einen Bogey ganz in der Nähe der Wega. Mit einer Frequenz von etwa 9,2 Gigahertz, nicht ausgesprochen monochromatisch: Die Bandbreite beträgt einige hundert Hertz. Unsere Quelle ist linear polarisiert und sendet eine Serie von Pulsen aus, die auf zwei Amplituden beschränkt sind.“

Als Antwort auf die Befehle, die Ellie in den Computer eingegeben hatte, zeigte der Bildschirm eine Aufstellung aller Radioteleskope.

„116 Teleskope haben die Pulse empfangen. Also offensichtlich keine technische Störung bei einem einzelnen Teleskop. Okay, jetzt brauchen wir verschiedene Basislängen. Bewegt sich unsere Quelle mit den Sternen? Am Ende ist es wieder nur ein ELINT-Satellit oder ein Flugzeug.“

„Ich kann eine siderische Bewegung bestätigen, Frau Dr. Arroway.“

„Okay, das genügt. Das Signal kommt also nicht von der Erde, und wahrscheinlich stammt es auch nicht von einem künstlichen Satelliten in einer Umlaufbahn vom Typ Molnija, obwohl wir auch das überprüfen sollten. Willie, rufen Sie bitte NORAD an und fragen Sie, ob die Leute dort einen Satelliten für wahrscheinlich halten. Wenn wir Satelliten ausschließen können, dann bleiben nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder will man uns hereinlegen, oder jemand sendet uns endlich doch eine Botschaft. Steve, machen Sie noch einen manuellen Durchgang. Überprüfen Sie einige Teleskope — die Signalstärke ist auf jeden Fall groß genug — und schauen Sie nach, ob sich nicht doch jemand einen kleinen Scherz erlaubt hat, der uns zeigen möchte, wie falsch wir mit unserem ganzen Projekt liegen.“ Einige Wissenschaftler und Ingenieure, die durch den Summer des Argus-Computers alarmiert worden waren, hatten sich um das Kommandopult versammelt. Sie konnten sich eines Lächelns nicht erwehren. Keiner von ihnen glaubte ernsthaft an eine Botschaft aus einer anderen Welt. Aber es war wie ein schulfreier Tag, eine Unterbrechung der stumpfsinnigen Routine, an die sie sich gewöhnt hatten, und in ihrem Unterbewußtsein regte sich ganz leise eine Hoffnung. „Wenn jemandem außer extraterrestrischer Intelligenz eine andere Erklärung einfällt, soll er sie mir sagen“, wandte Ellie sich an die Wissenschaftler.

„Die Wega kann es auf keinen Fall sein, Frau Dr. Arroway. Dieses System ist erst einige hundert Millionen Jahre alt. Seine Planeten sind noch in der Entstehung begriffen. Dort kann sich rein zeitlich noch kein intelligentes Leben entwickelt haben. Es muß ein Hintergrundstern sein; oder eine Galaxie.“

„Aber dann müßte die Sendeenergie unwahrscheinlich groß sein“, antwortete ein Mitglied des Quasarforscherteams, der dazugekommen war, um zu sehen, was los war. „Wir müssen sofort die Eigenbewegung genau untersuchen, um festzustellen, ob sich die Radioquelle mit der Wega bewegt.“

„Mit der Eigenbewegung haben Sie natürlich recht, Jack“, sagte Ellie. „Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit. Vielleicht kommen unsere Freunde gar nicht vom System der Wega. Vielleicht sind sie dort nur zu Besuch.“

„Das ist schwer möglich. In dem System befinden sich große Mengen von Schutt. Es ist entweder ein erloschenes Sonnensystem oder ein Sonnensystem, das noch ganz am Anfang seiner Entwicklung steht. Wenn sie länger dortbleiben, wird ihr Raumschiff zu Kleinholz geschlagen.“

„Also müssen sie gerade erst angekommen sein. Oder sie verdampfen die Meteoriten, die ihnen entgegenkommen. Oder sie machen Ausweichmanöver, wenn sich ein Stück Schutt auf Kollisionskurs befindet. Vielleicht befinden sie sich ja gar nicht auf der Ebene der Ringe, sondern in einer polaren Umlaufbahn, um dem Schutt auszuweichen. Es gibt Millionen Möglichkeiten. Aber Sie haben völlig recht, wir müssen ja gar nicht raten, ob das Sternsystem der Wega die Quelle ist. Das können wir herausfinden. Wie lang wird die Untersuchung der Eigenbewegung dauern? Überhaupt, Steve, das ist gar nicht Ihre Schicht. Sagen Sie wenigstens Consuela Bescheid, daß es mit dem Abendessen später wird.“ Willie, der am Nachbarpult telephoniert hatte, lächelte schwach: „Ich bin bei NORAD bis zu einem Major Braintree vorgedrungen. Er schwört hoch und heilig, daß sie für dieses Signal keinen Sender haben, schon gar nicht auf neun Gigahertz. Aber das erzählen sie uns jedes Mal, wenn wir anrufen. Jedenfalls sagt er, sie hätten in der Rektaszension und Deklination der Wega kein Raumschiff entdeckt.“

„Und was ist mit den Schwarzen?“

Zur Zeit gab es eine Menge „schwarzer“ Satelliten mit geringem Abtastbereich, die dazu bestimmt waren, die Erde bis zu der Stunde, in der man sie brauchte, unentdeckt zu umkreisen. Dann würden sie als Verstärkung der Raketenaufklärung oder der Nachrichtenübermittlung im nuklearen Krieg eingesetzt werden, falls die eigentlich für diese Zwecke bestimmten militärischen Satelliten ausfielen. Hin und wieder wurde von einem der größeren astronomischen Radarsysteme ein schwarzer Satellit entdeckt. Dann wollte keine Nation sein Eigentümer sein, und es kam zu wilden Spekulationen über die Entdeckung eines extraterrestrischen Raumschiffes in der Erdumlaufbahn. Und mit der nahenden Jahrtausendwende erlebte auch der UFO-Kult eine neue Blütezeit. „Die Interferometrie schließt bereits eine Umlaufbahn vom Typ Molnija aus, Frau Dr. Arroway.“

„Gut. Schauen wir uns diese Pulse genauer an. Angenommen, wir haben binäre Arithmetik vor uns — hat es jemand schon ins Dezimalsystem umgerechnet? Wie ist die Zahlenfolge? Okay, das können wir im Kopf machen, neunundfünfzig, einundsechzig, siebenundsechzig. einundsiebzig. sind das nicht alles Primzahlen?“

Ein aufgeregtes Raunen ging durch den Kontrollraum. Auch Ellie schwieg einen Augenblick lang überrascht, faßte sich aber schnell wieder. Sie mußte jetzt einen klaren Kopf behalten, denn sie wollte keinen unwissenschaftlichen und unbeherrschten Eindruck machen.

„Okay, fassen wir nochmals kurz zusammen. In einfachen Worten. Passen Sie bitte auf, ob ich etwas vergessen habe. Wir haben ein äußerst starkes, nicht ausgesprochen monochromatisches Signal. Außerhalb dieses Frequenzbandes gibt es nur Rauschen. Das Signal ist linear polarisiert, als ob es von einem Radioteleskop gesendet würde. Das Signal kommt mit ungefähr neun Gigahertz und liegt damit in der Nähe des Minimums des galaktischen Hintergrundrauschens. Es ist die richtige Frequenz für jemanden, der über eine große Entfernung hinweg gehört werden will. Wir haben eine siderische Bewegung der Quelle, das heißt, sie bewegt sich, als ob sie sich im All zwischen den Sternen befindet und nicht von einem lokalen Sender kommt. NORAD behauptet, daß sie keine Satelliten entdecken können — weder eigene noch fremde —, die der Position der Quelle entsprechen würden. Die Interferometrie schließt eine Quelle in der Erdumlaufbahn auf jeden Fall aus. Steve hat inzwischen die Daten manuell überprüft. Es scheint sich nicht um ein Programm zu handeln, das ein Scherzbold in den Computer eingegeben hat. In die Himmelsregion, auf die unsere Teleskope gerichtet sind, gehört die Wega, die ein A-Null-Hauptreihen-Zwergstern ist. Sie ähnelt der Sonne, ist aber nur sechsundzwanzigtausend Lichtjahre entfernt und hat den prototypischen stellaren Schuttring. Planeten sind nicht bekannt, aber mit Sicherheit gibt es welche im Bereich der Wega, von denen wir nichts wissen. Wir machen eine Untersuchung der Eigenbewegung, um herauszufinden, ob sich die Quelle weit hinter der Wega befindet. Die Antwort bekommen wir in. in einigen Wochen, wenn wir auf unsere Möglichkeiten beschränkt bleiben, und in einigen Stunden, wenn wir eine Interferometrie mit sehr langen Basislängen machen. Und schließlich und endlich scheint das,

was gesendet wird, eine lange Sequenz von Primzahlen zu sein, also ganzen Zahlen, die nur durch sich selbst und eins teilbar sind. Es ist unwahrscheinlich, daß ein astrophysikalischer Vorgang Primzahlen erzeugt. Deshalb würde ich meinen — mit aller Vorsicht, natürlich — aber ich würde meinen, alles spricht dafür, daß wir auf einer heißen Spur sind. Aber es gibt noch ein Problem, wenn es sich hier um eine Botschaft von Wesen handelt, die sich auf einem Planeten in der Nähe der Wega entwickelt haben. Sie müßten sich sehr schnell entwickelt haben. Der Planet besteht erst seit ungefähr vierhundert Millionen Jahren. Er ist damit ein unwahrscheinlicher Ort für die nächstgelegene Zivilisation. Deshalb ist die Untersuchung der Eigenbewegung sehr wichtig. Aber ich würde auch die Möglichkeit, daß es sich um einen Scherz handelt, noch genauer überprüfen.“

„Seht mal“, sagte einer der Quasarforscher, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte. Mit dem Kinn machte er eine Bewegung zum westlichen Horizont, wo ein zarter rosafarbener Schein die Stelle anzeigte, an der die Sonne untergegangen war. „Auch die Wega geht in ein paar Stunden unter. In Australien ist sie wahrscheinlich schon aufgegangen. Können wir nicht einfach in Sydney anrufen und die Leute dort bitten, sich das mal anzusehen, und zwar jetzt, wo wir die Wega auch noch sehen.“

„Gute Idee. In Sydney ist es jetzt früher Nachmittag. Und mit Sydney haben wir eine Basislänge, die lang genug für eine Untersuchung der Eigenbewegung ist. Geben Sie mir mal den Computerausdruck aller Daten, und ich schicke sie von meinem Büro aus per Telefax nach Australien.“ Bewußt gelassen verließ Ellie die Gruppe, die sich um das Schaltpult drängte, und ging in ihr Büro zurück. Sorgfältig schloß sie die Tür hinter sich. „Ich glaub, ich werd’ verrückt“, flüsterte sie.

„Ian Broderick, bitte. Hier spricht Eleanor Arroway vom Projekt Argus. Ja, es ist dringend. Danke, ich bleibe dran. Hallo, Ian? Vielleicht hat es nichts zu bedeuten, aber wir haben hier einen Bogey. Könntet ihr das für uns mal nachprüfen? Um neun Gigahertz mit einigen hundert Hertz Bandbreite. Ich gebe Ihnen jetzt die Daten mit Telefax rüber. Ihr habt eine Antenne im Spiegel, die neun Gigahertz gut empfängt? So ein Glück. Ja, die Wega liegt direkt in der Mitte des Blickfeldes. Und so, wie es aussieht, empfangen wir Pulse in Primzahlen. Wirklich? Okay, ich bleibe dran.“ Ellie mußte wieder einmal daran denken, wie rückständig die astronomische Zusammenarbeit weltweit war. Ein gemeinschaftliches Datenbanksystem existierte immer noch nicht. Schon eine asynchrone Übertragung. „Hören Sie, Ian, würden Sie sich, solange sich das Teleskop dreht, einmal das Amplituden-ZeitDiagramm ansehen? Bezeichnen wir doch die Pulse mit niedriger Amplitude als Punkte und die mit hoher Amplitude als Striche. Dann kriegen wir. Ja genau, das ergibt das gleiche Bild, das wir seit einer halben Stunde sehen. Vielleicht. Es ist das Vielversprechendste in den letzten fünf Jahren, aber ich muß auch immer daran denken, wie furchtbar die Sowjets 1974 mit dem Big-Bird-Satelliten an der Nase herumgeführt worden sind. Soweit ich es mitbekommen habe, handelte es sich damals um eine amerikanische RadarHöhenmessung der Sowjetunion für die Flugbahn von Cruise Missiles. Sozusagen ein Satellit als Landvermesser. Und die Sowjets haben mit ihren Drehantennen Signale aufgefangen. Sie konnten nicht feststellen, woher aus dem All sie kamen. Alles, was sie herausfanden, war, daß sie immer um die gleiche Morgenstunde dieselbe Pulssequenz empfingen. Ihre eigenen Experten waren davon überzeugt, daß es sich nicht um militärische Funkübertragungen handelte; deshalb dachten sie natürlich, das alles sei außerirdisch. nein, wir haben eine Satellitenübertragung bereits ausgeschlossen. Ian, können wir euch zumuten, die Signale so lange zu verfolgen, wie sie sich in eurem Bereich befinden? Über die Interferometrie mit langen Basislängen reden wir später noch. Ich versuche noch mit anderen Radioobservatorien Verbindung aufzunehmen, die gleichmäßig in geographischer Länge verteilt sind und dem Signal folgen können, bis es hier wieder auftaucht. Ich weiß allerdings nicht, ob man so einfach nach China telephonieren kann. Vielleicht sollte ich ein IAU-Telegramm schicken.. Gut. Vielen Dank, Ian.“ Auf dem Flur zum Kontrollraum hielt Ellie inne — natürlich war es Ironie, den Raum Kontrollraum zu nennen; die Computer, die diese Arbeit leisteten, standen ganz woanders — und sah mit Sympathie auf die kleine Gruppe von Wissenschaftlern, die dort angeregt über die Daten diskutierte und humorvoll Mutmaßungen über die Beschaffenheit des Signals anstellte. Die Wissenschaftler waren nicht nach der Mode gekleidet und sie sahen auch nicht im herkömmlichen Sinn gut aus. Aber sie hatten etwas unwiderstehlich Anziehendes. Sie leisteten hervorragende Arbeit, und wenn es um eine neue Entdeckung ging, gingen sie ganz in ihrer Arbeit auf. Als Ellie zu ihnen trat, verstummten sie und schauten sie erwartungsvoll an. Die Zahlen wurden jetzt automatisch vom Binärsystem ins Dezimalsystem übertragen. 881, 883, 887, 907. es waren wirklich nur Primzahlen. „Willie, bringen Sie mir bitte eine Weltkarte. Und verbinden Sie mich mit Mark Auerbach in Cambridge, Massachusetts. Er müßte zu Hause sein. Geben Sie ihm diese Meldung für ein IAU-Telegramm an alle Observatorien durch, insbesondere die großen Radioobservatorien. Und lassen Sie sich die Telephonnummer von dem Observatorium in Peking geben. Und dann verbinden Sie mich mit dem Wissenschaftsberater der Präsidentin.“

„Und die National Science Foundation wollen Sie übergehen?“

„Nach Auerbach verbinden Sie mich bitte mit dem Wissenschaftsberater der Präsidentin.“

Ellie bildete sich ein, inmitten des lautstarken Protests der anderen einen Freudenschrei zu hören.

Mit dem Fahrrad, kleinen Lieferwagen, von Postboten zu Fuß oder per Telephon wurde die Nachricht allen astronomischen Zentren der Welt zugestellt. Einige der größeren Radioobservatorien — zum Beispiel in China, Indien, der Sowjetunion oder Holland — bekamen sie per Fernschreiber. Wenn sie hereintickte, überflog sie ein Sicherheitsbeamter oder ein zufällig vorbeikommender Wissenschaftler, riß sie ab und trug das Papier ins Büro. Die Nachricht lautete:

UNGEWÖHNLICHE PERIODISCHE RADIOQUELLE MIT DEN KOORDINATEN: REKTASZENSION 18h 34m, DEKLINATION PLUS 38 GRAD 41 MINUTEN, ENTDECKT VON SYSTEMATISCHER HIMMELSBEOBACHTUNGSSTATION ARGUS. FREQUENZ 9.24176684 GIGAHERTZ, BANDBREITE CIRCA 430 HERTZ. ZWEI VERSCHIEDENE AMPLITUDEN MIT CIRCA 174 UND 179 JANSKY. MIT DER AMPLITUDENMODULATION IST PRIMZAHLENSEQUENZ KODIERT.

BEOBACHTUNGSSTANDORTE ÜBER DIE GANZE LÄNGE DRINGEND BENÖTIGT. BITTE UM RÜCKRUF FÜR WEITERE INFORMATIONEN ZUR KOORDINATION DER BEOBACHTUNGEN.

E. ARROWAY, DIREKTORIN PROJEKT ARGUS, SOCORRO, NEW MEXICO, USA.

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