15 Erbiumdübel

Die Erde: und das ist genug.

Ich brauche die Sternenbilder nicht näher.

Ich weiß, sie sind, wo sie sind, an guter Stelle.

Ich weiß, sie genügen denen, die ihnen angehören.

Walt Whitman

Grashalme „Gesang von der freien Straße“ (1855)

Die Jahre gingen ins Land. Es war ein technologischer Traum und ein diplomatischer Alptraum, aber zuletzt wurde die Maschine doch gebaut. Man überlegte sich Wortneuschöpfungen oder suchte in alten Mythen, um dem Projekt einen Namen zu geben. Aber von Anfang an sprachen alle nur von der Maschine, was dann auch die offizielle Bezeichnung wurde. Wenn die westlichen Zeitungen in Leitartikeln über die pausenlosen komplizierten und heiklen internationalen Verhandlungen berichteten, sprachen sie nur noch von „Maschinenpolitik“. Als der erste verläßliche Kostenvoranschlag für das gesamte Unternehmen vorlag, mußten selbst die Titanen der Weltraumindustrie erst einmal tief Luft holen. Die Kosten für das voraussichtlich mehrere Jahre dauernde Projekt beliefen sich auf eine halbe Billion Dollar pro Jahr. Das entsprach ungefähr einem Drittel sämtlicher Militäretats der Erde, nukleare und konventionelle Waffensysteme zusammengenommen. Manche befürchteten, daß der Bau der Maschine die Weltwirtschaft ruinieren würde. „Wirtschaftskrieg von der Wega?“ fragte der Londoner Economist. Die täglichen Schlagzeilen in der New York Times waren sogar noch phantastischer als die des nicht mehr existierenden NationalEnquirer zehn Jahren zuvor.

Fest stand jedenfalls, daß weder Hellseher noch sonstige Propheten oder Menschen mit angeblich hellseherischen Fähigkeiten oder Astrologen, Esoteriker und Verfasser von Jahreshoroskopen die BOTSCHAFT oder die Maschine vorausgesagt hatten — ganz zu schweigen von der Wega, den Primzahlen, Adolf Hitler, den Olympischen Spielen und allem anderen. Viele behaupteten, daß sie die Ereignisse deutlich vorhergesehen, sich aber nicht darum gekümmert hätten, sie aufzuschreiben. Vorhersagen über überraschende Ereignisse, die man nicht vorher schriftlich niedergelegt hatte, trafen immer viel genauer zu. Das war schon immer so gewesen. Die meisten Religionen reagierten im Grunde nicht anders: Wenn man die jeweiligen heiligen Schriften sorgfältig durchlas, so bekam man immer wieder zu hören, dann wurde einem schnell klar, daß die wunderbaren Ereignisse dort bereits prophezeit waren. Andere sahen in der Maschine eine mögliche Goldgrube für die Raumfahrtindustrie, die sich, seit das Hiroshima-Abkommen in Kraft getreten waren, auf dem absteigenden Ast befand. Nur vereinzelt wurden noch strategische Waffensysteme entwickelt. Aus der Bereitstellung von Wohnraum im All war zwar eine aufsteigende Industrie entstanden, der Verlust an Aufträgen für Laserkampfstationen und andere Ausrüstungsgegenstände der strategischen Verteidigung, die frühere Regierungen in Aussicht gestellt hatten, war dadurch allerdings nicht ausgeglichen worden. Deshalb vergaßen einige, die sich aufgrund des Baues der Maschine Sorgen um die Sicherheit des Planeten gemacht hatten, ihre Skrupel in Anbetracht der zu erwartenden neuen Arbeitsplätze, finanziellen Gewinne und beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten.

Einige wenige, aber einflußreiche Leute waren der Ansicht, daß der hochtechnologischen Industrie nichts Besseres passieren konnte als eine Bedrohung aus dem All. Man würde Verteidigungssysteme brauchen, ungeheuer leistungsfähigen Überwachungsradar, vielleicht sogar Stützpunkte auf dem Pluto oder der Oortschen Kometenwolke. Weder sachliche Abhandlungen noch Diskussionen über die militärischen Unterschiede zwischen den Erdbewohnern und den Außerirdischen konnten solche Phantasten einschüchtern. „Selbst wenn wir uns nicht gegen die Außerirdischen wehren können“, sagten sie, „ist es nicht in aller Interesse, wenigsten zu wissen, wann sie kommen?“ Sie rochen Profite, Natürlich würden sie die Maschine bauen, selbst wenn sie mehrere Billionen Dollar kostete. Denn die Maschine war, wenn man es richtig anpackte, nur der Anfang. Ein ungewöhnliches politisches Bündnis stand hinter der Wiederwahl von Präsidentin Lasker, die geradezu zu einem nationalen Volksentscheid darüber wurde, ob die Maschine nun gebaut werden sollte oder nicht. Der Gegenkandidat warnte vor Trojanischen Pferden, Weltuntergangsmaschinen und der möglichen Demoralisierung des amerikanischen Erfindergeistes angesichts von Wesen eines anderen Sterns, die bereits „alles erfunden“ hatten. Die Präsidentin dagegen war zuversichtlich, daß die amerikanische Technologie mit der Herausforderung wachsen würde. Sie schloß auch die Möglichkeit nicht aus, daß die amerikanische Genialität dem, was es auf der Wega gab, gewachsen sein würde. Das sagte sie freilich nicht öffentlich. Sie wurde mit einer beachtlichen, aber nicht überwältigenden Mehrheit wiedergewählt. Die Genauigkeit der Instruktionen der BOTSCHAFT war ein entscheidender Faktor. Nach Auffindung des Schlüssels gab es weder in bezug auf die Sprache noch in bezug auf die technologischen Grundlagen und Anweisungen zur Konstruktion der Maschine noch Unklarheiten. Auch Zwischenschritte, die an sich völlig eindeutig waren, wurden bis ins kleinste Detail ausgeführt und erklärt — so, als ob man in der Arithmetik zusätzlich zu der Demonstration, daß zwei mal drei sechs war, auch noch zeigen würde, daß drei mal zwei ebenfalls sechs ergab. Für jeden Bauabschnitt gab es Kontrollpunkte: Das nach Anweisung gewonnene Erbium sollte zu % Prozent rein sein und weniger als ein Prozent Verunreinigungen an anderen seltenen Erden enthalten. Wenn die Komponente 31 fertiggestellt und in eine 6-Mol-Lösung aus Flußsäure getaucht worden war, mußte das, was nach der Ätzung übrigblieb, so aussehen wie auf der beiliegenden Zeichnung. Wenn die Komponente 408 zusammengebaut war, mußte ein zwei Megagauss quer verlaufendes Magnetfeld den Propeller auf soundsoviel Umdrehungen pro Sekunde bringen, bevor er wieder in den Ruhezustand zurückkehrte. Wenn ein Test nicht funktionierte, mußte man wieder ganz von vorne anfangen.

Nach einer gewissen Zeit gewöhnte man sich an die Tests und rechnete damit, sie alle problemlos absolvieren zu können. Man brauchte sich nur mechanisch an die Vorschriften zu halten. Viele der Hauptkomponenten, die in Fabrikanlagen gefertigt wurden, die eigens dafür, entsprechend den Anweisungen der BOTSCHAFT, aus dem Boden gestampft worden waren, überstiegen das menschliche Verständnis. Es war nicht einsichtig, warum sie funktionieren sollten. Aber sie funktionierten. Trotzdem konnte man auch in solchen Fällen eine praktische Anwendung ins Auge fassen. Hin und wieder eröffneten sich neue Perspektiven in einzelnen Wissenschaften — in der Metallurgie zum Beispiel oder im Bereich organischer Halbleiter. In manchen Fällen wurden alternativ verschiedene Herstellungsverfahren für ein und dieselbe Komponente angeboten. Offenbar waren sich die Außerirdischen nicht sicher, welche Vorgehensweise auf der Erde die einfachste war.

Als die ersten Fabrikanlagen gebaut und die ersten Modelle hergestellt worden waren, schwand auch der Pessimismus bezüglich der menschlichen Fähigkeit, eine fremde Technologie nach einer Botschaft zu rekonstruieren, die in einer unbekannten Sprache verfaßt war. Man hatte das prickelnde Gefühl, unvorbereitet in ein Examen zu gehen und festzustellen, daß die Aufgaben mit Allgemeinbildung und gesundem Menschenverstand zu lösen waren. Wie bei allen qualifizierten Prüfungen bedeutete schon das Absolvieren eine Lernerfahrung. Die ersten Tests waren überstanden: Das Erbium hatte die vorgeschriebene Reinheit, die auf der Zeichnung abgebildeten Überstrukturen blieben tatsächlich übrig, nachdem die anorganischen Substanzen mit Flußsäure weggeätzt worden waren, und der Propeller erreichte die gewünschte Drehzahl. Die BOTSCHAFT mache Wissenschaftler und Ingenieure selbstzufrieden, behaupteten kritische Stimmen. Sie würden sich von der Technologie gefangennehmen lassen und den Blick für die Gefahren verlieren. Für den Bau einer ganz bestimmten Komponente war eine besonders schwierig auszuführende Serie organischchemischer Reaktionen vorgeschrieben. Das daraus entstehende Produkt wurde einem Gemisch aus Formaldehyd und Ammoniakwasser zugeführt, das von der Menge her einen Swimmingpool hätte füllen können. Die Masse wuchs, differenzierte sich aus und lag dann einfach da — so fein und komplex, wie es Menschen nicht machen konnten. Sie war überzogen mit einem fein verästelten Netz dünner Röhrchen, durch die später vielleicht Flüssigkeit zirkulieren sollte. Sie war gallertartig, breiig und dunkelrot. Sie reproduzierte sich nicht selbst, aber sie sah immerhin so lebendig aus, daß sie vielen Leuten einen Schrecken einjagte. Bei der Wiederholung des Verfahrens erhielt man genau dieselbe Substanz. Dennoch blieb es rätselhaft, wie das Endprodukt so viel komplexer sein konnte als die Anleitung zu seiner Herstellung. Die organische Masse lag platt und, soweit man feststellen konnte, völlig bewegungslos auf dem Boden. Sie sollte im Innern des Dodekaeders direkt über und unter dem Mannschaftsraum angebracht werden. Die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion bauten unabhängig voneinander an derselben Maschine. Beide Nationen hatten das Projekt in abgelegene Gegenden verlegt. Ausschlaggebend für die Wahl war weniger der Schutz der Bevölkerung gewesen für den Fall, daß es sich um eine Maschine mit zerstörerischem Potential handelte. Vielmehr wollte man sich neugierige Besucher, Demonstranten und die Medien so nachhaltig wie möglich vom Leibe halten. In den Vereinigten Staaten wurde die Maschine in Wyoming gebaut, in der Sowjetunion jenseits des Kaukasus in Usbekistan. Die neuen Fabrikanlagen hatte man in unmittelbarer Nachbarschaft der Montagegelände errichtet. Die Anfertigung der Bauelemente, die in bereits vorhandenen Industrien hergestellt werden konnten, war über die ganze Welt verteilt. So lieferte ein Hersteller der optischen Industrie in Jena Komponenten für die amerikanische und die sowjetische Maschine und nach Japan, wo jedes Bauteil systematisch untersucht wurde, um seine Funktionsweise wenigstens annähernd zu verstehen. Dazu brauchte man auf Hokkaido oft sehr lange.

Man hatte Sorge, daß ein Bauteil, das einem Test unterzogen wurde, der in der BOTSCHAFT nicht vorgesehen war, das subtile Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten der Maschine zerstören könnte. Ein wichtiger Baustein der Maschine bestand aus drei konzentrischen Kugelschalen. Sie drehten sich um Achsen, die im rechten Winkel zueinander standen und für eine sehr hohe Umdrehungsgeschwindigkeit ausgelegt waren. In die Kugelschalen mußten mit höchster Präzision komplizierte Schaltmuster geschnitten werden. Würde eine Schale, die einige Mal in einem nicht eigens vorgeschriebenen Test gedreht worden war, nicht mehr richtig funktionieren, wenn man sie in die Maschine einbaute? Würde dagegen eine ungeprüfte Schale perfekt arbeiten?

Die Hadden-Werke waren Amerikas Hauptlieferant beim Bau der Maschine. Sol Hadden hatte darauf bestanden, daß weder Tests durchgeführt wurden, die nicht vorgesehen waren, noch Bauteile versuchsweise zusammenmontiert wurden, die später in die Maschine eingesetzt werden sollten. Die Anweisungen der BOTSCHAFT, so hatte er angeordnet, sollten bis auf das kleinste Detail befolgt werden. Die Botschaft enthalte keinen überflüssigen Buchstaben. Seine Angestellten sollten sich vorstellen, sie seien mittelalterliche Magier, die Wort für Wort eine Zauberformel ausführten. Sie sollten es nicht wagen, auch nur eine Silbe falsch auszusprechen.

Das war, je nachdem, welchem Kalender oder Endzeitglauben man anhing, zwei Jahre vor der Jahrtausendwende. So viele Menschen hatten sich in glücklicher Erwartung des Jüngsten Tages oder der Ankunft Christi oder auch beidem von der Welt zurückgezogen, daß es in manchen Zweigen der Industrie an Fachkräften regelrecht mangelte. Haddens Bereitschaft, seine gesamten Industrieanlagen so zu reorganisieren, daß optimale Bedingungen für den Bau der Maschine geschaffen wurden, und für zusätzliche Anreize für Zulieferanten zu sorgen, hielt man bis dahin für den ausschlaggebenden Faktor des amerikanischen Erfolgs. Aber Hadden selbst hatte sich von der Welt zurückgezogen — eine Überraschung in Anbetracht der allgemein bekannten Überzeugungen des Erfinders von Prednix. „Die Chiliasten haben einen Atheisten aus mir gemacht“, zitierte man ihn immer. Die wesentlichen Entscheidungen lagen aber den Worten seiner Untergebenen zufolge immer noch in seinen Händen. Die Kommunikation mit Hadden lief über ein schnelles asynchrones Telenetz: Seine Untergebenen deponierten die Berichte über den laufenden Fortschritt, Genehmigungsgesuche und andere Fragen an ihn in einer verschlossenen Kapsel, die einem bekannten wissenschaftlichen Telenetzdienst übergeben wurde. Seine Antworten kamen ebenfalls in einer verschlossenen Kapsel zurück. Es war eine etwas sonderbare Einrichtung, aber sie funktionierte. Als die ersten schwierigen Schritte geklärt waren und die Maschine allmählich Gestalt annahm, hörte man immer weniger von S. R. Hadden. Die Geschäftsführer des Weltkonsortiums begannen sich Sorgen zu machen. Nach einem, wie es hieß, längeren Besuch bei Mr. Hadden an einem geheimen Ort waren sie beruhigt. Außer ihnen kannte keiner seinen Aufenthaltsort.

Die weltweiten Lagerbestände an strategischen Waffen sanken zum ersten Mal seit Mitte der fünfziger Jahre unter die 3200-Marke. Die multilateralen Gespräche über die weitere, weit schwierigere Abrüstung bis auf ein Minimum an nuklearen Abschreckungswaffen machten erstaunliche Fortschritte. Je weniger Waffen es auf der einen Seite gab, desto gefährlicher konnte es werden, wenn die andere Seite insgeheim Waffen zurückbehielt. Aber mit der gleichzeitigen enormen Reduzierung der Trägersysteme, die man wesentlich leichter kontrollieren konnte, den neu installierten automatischen Überwachungssystemen, die die Einhaltung der Verträge überwachten, und der Vereinbarung gegenseitiger Überprüfung vor Ort schienen alle Weichen für weitere Abrüstungsschritte gestellt. Diese Entwicklung hatte in den Köpfen der Experten und der Öffentlichkeit einen Umdenkungsprozeß in Gang gesetzt. So wie die Supermächte früher um die Wette aufgerüstet hatten, so wetteiferten sie jetzt im Abrüsten miteinander. Konkret militärisch gesehen, hatten sie zwar noch nicht viel aufgegeben, denn beide besaßen noch immer genügend Bomben, um alles Leben auf dem Planeten zu zerstören. Aber diesem ersten Schritt waren bereits ein gewisser Optimismus in bezug auf die Zukunft und die hoffnungsvollere Perspektive der heranwachsenden Generation zu verdanken. Vielleicht trugen auch die bevorstehenden weltlichen wie kirchlichen Jahrtausendfeiern in der ganzen Welt dazu bei, die Zahl der bewaffneten Feindseligkeiten zwischen verschiedenen Ländern jährlich weiter zu verringern. Der Kardinalbischof von Mexico City hatte von einem „Gottesfrieden“ gesprochen.

In Wyoming und Usbekistan waren neue Industrien und ganze Städte aus dem Nichts entstanden. Natürlich trugen die Industrienationen die Hauptkosten des Unternehmens, umgerechnet auf die Gesamtbevölkerung der Erde lagen die Kosten bei hundert Dollar pro Kopf jährlich. Für ein Viertel der Erdbevölkerung waren hundert Dollar fast das gesamte Jahreseinkommen. Das in die Maschine investierte Geld produzierte weder Konsumgüter noch verwertbare Dienstleistungen. Aber weil neue Technologien angeregt wurden, rechnete man sich auch dann Chancen auf Gewinn aus, wenn die Maschine selbst nie wirklich funktionieren sollte. Viele Leute fühlten sich vom Tempo der Entwicklung überrumpelt. Ihrer Meinung nach mußte man erst alles verstanden haben, bevor man den nächsten Schritt tat. Es schade doch nicht, wenn der Bau der Maschine sich über Generationen hinziehen würde, argumentierten sie. Auch die Weltwirtschaft wäre entlastet, wenn man die Entwicklungskosten über mehrere Jahrzehnte verteilte. Der Rat war klug, aber schwer zu befolgen. Wie konnte man sich auf die Entwicklung nur eines Teils der Maschine beschränken, wenn auf der ganzen Welt Wissenschaftler und Ingenieure der verschiedensten Disziplinen nur darauf warteten, mit dem Teil der Arbeit anfangen zu können, der in ihr Spezialgebiet fiel?

Einige befürchteten, daß, wenn es nicht sofort geschähe, die Maschine nie gebaut würde. Sowohl die Präsidentin der Vereinigten Staaten als auch das sowjetische Staatsoberhaupt hatten ihr Land darauf verpflichtet, die Maschine zu bauen. Für eventuelle Nachfolger war der Beschluß nicht bindend. Aus durchaus verständlichen persönlichen Gründen wollten auch die für das Projekt Verantwortlichen die Fertigstellung der Maschine erleben, solange sie noch die entscheidenden Positionen innehatten. Einige folgerten auch aus der Tatsache, daß die BOTSCHAFT auf so vielen Frequenzen und so laut gesendet wurde, daß es sich um eine wirklich dringende Angelegenheit handelte. Die Außerirdischen baten uns nicht, die Maschine dann zu bauen, wenn wir uns dazu bereit fühlten. Sie baten uns, sie jetzt zu bauen. Man begann, den Bau der Maschine weiter zu beschleunigen.

Die zuerst entwickelten Subsysteme basierten alle auf den Grundtechniken, die im ersten Teil des Schlüssels beschrieben wurden. Sie passierten die vorgeschriebenen Tests reibungslos. Erst als man die folgenden, komplizierteren Systeme testete, kam es hin und wieder zu Fehlleistungen. Das kam offenbar in beiden Ländern vor, in der Sowjetunion jedoch häufiger. Da man keine Ahnung hatte, wie die Bausteine funktionierten, konnte man meist die Ursache des angezeigten Defektes im Herstellungsprozeß nicht mehr ausfindig machen. Manche Bausteine ließ man gleichzeitig bei zwei verschiedenen Herstellern anfertigen, die in Schnelligkeit und Präzision miteinander konkurrierten. Wenn beide die Tests bestanden, wurde meistens das im eigenen Land hergestellte Produkt bevorzugt. Die zwei Maschinen, die in den beiden Ländern zusammengesetzt wurden, waren deshalb auch nicht völlig identisch.

Es kam der Tag, als man in Wyoming mit der Systemintegration begann, das hieß mit der Montage der einzelnen Komponenten zur vollständigen Maschine. Das war der einfachere Teil des Bauvorgangs. Man rechnete noch mit ein bis zwei Jahren bis zur endgültigen Fertigstellung. Und noch immer glaubte ein Teil der Bevölkerung, daß der Start der Maschine der Welt einem höheren Plan gemäß ein Ende setzen würde.

Die Hasen in Wyoming waren entweder viel schlauer als die in New Mexico oder furchtbar dumm. Die Entscheidung war nicht leicht. Hin und wieder hatte Ellie den einen oder anderen am Straßenrand im Scheinwerferlicht ihres Thunderbird gesehen. Aber die Sitte, sich zu Hunderten in Reih und Glied aufzustellen, war offenbar noch nicht von New Mexico nach Wyoming gedrungen. Ellies Leben in Wyoming unterschied sich kaum von dem in Argus. Das Montagegelände lag inmitten einer lieblichen, Zehntausende von Quadratkilometern großen und fast menschenleeren Landschaft. Ellie leitete das Projekt nicht, sondern war ein gewöhnliches Mitglied des Teams. Aber sie war hier und arbeitete an dem kühnsten Unternehmen der Menschheitsgeschichte mit. Was auch geschah, wenn die Maschine in Betrieb genommen wurde, die Entdeckung in Argus würde immer einen Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte markieren. Genau in dem Moment, in dem die Menschheit eine einende Kraft brauchte, war sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen. Aus dem Universum, korrigierte Ellie sich. Aus einer Entfernung von 26 Lichtjahren oder 230 Billionen Kilometern. Man konnte schwerlich in nationalen Kategorien wie schottisch, slowenisch oder szechwanesisch denken, wenn eine Zivilisation, die uns Äonen voraus war, sich unterschiedslos an alle Nationen wandte. Die Kluft zwischen der technologisch rückständigsten Nation und den Industrieländern der Erde war mit Sicherheit viel kleiner als die Kluft zwischen den Industrienationen und den Wesen auf der Wega. Auf einmal begannen Unterschiede wie rassisch, religiös, national, ethnisch, sprachlich, ökonomisch und kulturell, die bis dahin als unüberbrückbar gegolten hatten, aufzuweichen.

„Wir sind alle Menschen.“ Diesen Satz hörte man jetzt oft. Erst jetzt fiel auf, wie selten gerade in den Medien solche Regungen früher zum Ausdruck gebracht worden waren. Die Erde gehöre allen, sagte man, und alle seien Teil einer wenigstens annähernd weltumspannenden Zivilisation. Es sei kaum anzunehmen, daß die Außerirdischen allen Ernstes nur an Gesprächen mit Vertretern der einen oder anderen ideologischen Richtung der Erde interessiert waren. Allein die Existenz der BOTSCHAFT — von ihrer rätselhaften Funktion ganz abgesehen — schweißte die Welt zusammen. Das war für jedermann deutlich sichtbar.

Als Ellie ihrer Mutter erzählte, daß man sie nicht als Besatzungsmitglied gewählt hatte, fragte sie nur: „Hast du geweint?“ Ja, sie habe geweint. Das sei doch ganz natürlich. Selbstverständlich habe sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als an Bord der Maschine sein zu können. Aber Drumlin sei schon der richtige Mann, hatte sie ihrer Mutter gesagt.

Die Sowjets hatten sich noch immer nicht zwischen Lunatscharski und Archangelski entschieden. Beide durchliefen das die Mission vorbereitende Trainingsprogramm. Dabei wußte man gar nicht, welche Vorbereitung überhaupt angemessen war, außer daß jeder einzelne, so gut er oder sie konnte, die Maschine verstehen lernte. Einige Amerikaner vermuteten böswillig, daß die Sowjets dadurch nur erreichen wollten, zwei statt einem Vertreter in die Maschine zu bekommen. Aber Ellie fand solche Behauptungen gemein und niederträchtig. Sowohl Lunatscharski als auch Archangelski waren fähige Männer und für diese Aufgabe außerordentlich geeignet. Ellie hatte keine Ahnung, wie sich die Sowjets zuletzt entscheiden würden. Lunatscharski hielt sich zur Zeit in den Vereinigten Staaten auf, aber nicht in Wyoming. Er nahm in Washington an der Gesprächsrunde einer sowjetischen Delegation mit dem Außenminister und Michael Kitz teil, der inzwischen zum stellvertretenden Verteidigungsminister aufgerückt war. Archangelski war nach Usbekistan zurückgekehrt.

Die neue Metropole, die in der Wildnis Wyomings aus dem Boden schoß, hieß Machine. Das sowjetische Gegenstück hieß dementsprechend auf russisch Maschina. In beiden Städten gab es Verwaltungen, Schul- und Krankenhäuser, Wohn- und Geschäftsbezirke, vor allem aber Fabriken. Einige sahen zumindest von außen völlig unscheinbar aus. Andere dagegen wirkten mit ihren Kuppeln, Minaretten und Röhren, die sich kilometerlang um die Anlagen schlangen, bereits auf den ersten Blick wie bizarre Phantasieschlösser. Nur die Fabriken, die gefährlich werden konnten — beispielsweise solche, die organische Komponenten fertigten — waren hier in die Wildnis Wyomings ausgelagert worden. Industrien, die mit Technologien arbeiteten, die man besser verstand, waren über die ganze Welt verteilt. Das Kernstück dieser Ansammlung neuer Industriezweige war die Systemintegrationsanlage, die in der Nähe des früheren Wagonwheel in Wyoming gebaut worden war. Dorthin wurden die fertigen Bausteine verfrachtet. Manchmal sah Ellie, wie ein solcher Baustein ankam. Dann wurde ihr plötzlich bewußt, daß sie das erste menschliche Wesen war, das dieses Teil als Konstruktionszeichnung gesehen hatte. Immer wenn ein neues Teil aus der Kiste ausgepackt wurde, eilte sie herbei, um es zu inspizieren. Wenn die Bausteine zusammenmontiert wurden und die Subsysteme die vorgeschriebenen Tests bestanden, dann strahlte sie über das ganze Gesicht — wie eine Mutter, die vor Stolz platzte.

Ellie, Drumlin und Valerian fanden sich zu einer seit langem geplanten Sitzung über das Wega-Signal ein, das jetzt auf der ganzen Welt in seinen Wiederholungen aufgezeichnet wurde. Bei ihrer Ankunft sprachen alle nur von dem Brand in Babylon. Es mußte in den frühen Morgenstunden passiert sein, als sich dort nur noch die dem Laster am tiefsten ergebenen Stammgäste herumtrieben. Mit Granatwerfern und Brandbomben ausgerüstete Banden waren gleichzeitig durch das Enlil- und das Ischtar-Tor eingefallen. Die Zikkurat war in eine riesige brennende Fackel verwandelt worden. Auf einem Photo sah man Menschen, die mit phantastischen Kostümen oder fast gar nichts bekleidet waren, aus dem Tempel von Assur stürzen. Glücklicherweise war niemand getötet worden, obwohl es viele Verletzte gab.

Kurz vor dem Überfall hatte die New York Sun, eine Zeitung, die von den Erdpatrioten herausgegeben wurde und im Impressum eine vom Blitzschlag zertrümmerte Erdkugel führte, einen Telephonanruf erhalten, der den Anschlag ankündigte. Es handle sich um einen von Gott befohlenen Racheakt, sagte der Anrufer, der im Namen des Anstands und der guten amerikanischen Sitten ausgeführt werde, und zwar von jenen, die diese Schweinereien und Intrigen nicht länger mit ansehen wollten. Der Präsident der Aktiengesellschaft Babylon gab Presseerklärungen ab, in denen er den Anschlag verurteilte und als kriminelle Verschwörung verdammte, aber bis jetzt hatte man kein Wort von Hadden gehört, wo immer er stecken mochte. Da allgemein bekannt war, daß Ellie Hadden in Babylon besucht hatte, fragten sie einige Projektmitglieder nach ihrer Meinung. Sogar Drumlin interessierte sich für ihre Meinung, obwohl aus seiner genauen Kenntnis der Geographie des Ortes zu schließen war, daß er selbst mehr als einmal dort gewesen war. Ellie konnte sich ihn ohne Schwierigkeiten als Wagenlenker vorstellen. Aber vielleicht hatte er auch nur über Babylon gelesen. In den Wochenzeitungen waren Luftbildaufnahmen veröffentlicht worden. Dann machten sie sich an die Arbeit. Im Grunde genommen wurde die BOTSCHAFT noch immer auf denselben Frequenzen und mit denselben Bandbreiten, Zeitkonstanten und Polarisations- und Phasenmodulationen gesendet. Die Konstruktionspläne der Maschine fanden sich nach wie vor unter den Primzahlen und der Olympiasendung. Die Zivilisation auf der Wega mußte sehr geduldig sein. Oder sie hatte einfach vergessen, den Sender abzuschalten. Valerian blickte geistesabwesend in die Gegend.

„Peter, müssen Sie denn immer an die Decke starren, wenn Sie nachdenken?“

Von Drumlin sagte man, daß er in den letzten Jahren gemäßigter geworden sei. Aber diese Bemerkung zeigte deutlich, daß es auch Rückfälle gab. Von der Präsidentin der Vereinigten Staaten auserkoren zu sein, die Nation bei den Außerirdischen zu vertreten, sei eine große Ehre, betonte er immer wieder. Diese Reise, gestand er Freunden, bedeute die Krönung seines Lebens. Seine Frau, die vorübergehend nach Wyoming umgezogen war, betete ihn noch immer an. Nun mußte sie hier dieselben Diavorführungen vor einem neuen Publikum über sich ergehen lassen, das aus den am Bau der Maschine beteiligten Wissenschaftlern und Technikern bestand. Da seine Heimat Montana nicht weit war, machte Drumlin dort hin und wieder Besuche. Einmal hatte Ellie ihn nach Missoula gefahren. Damals war er zum ersten Mal, seit sie sich kannten, für ein paar Stunden herzlich zu ihr gewesen.

„Schsch! Ich denke“, erwiderte Valerian. „Deswegen muß ich Störungen unterdrücken. Ich versuche, die Ablenkungen in meinem Gesichtsfeld zu minimieren, und jetzt stören Sie mich im akustischen Spektrum. Sie könnten mich fragen, warum ich nicht auf ein weißes Blatt Papier starre. Aber ein Blatt Papier ist einfach zu klein. Ich würde dann immer noch Dinge am Rande wahrnehmen. Na egal. Ich habe über folgendes nachgedacht: Warum senden die Wegianer noch immer ihre Botschaft? Inzwischen sind Jahre vergangen. Eigentlich müßten sie jetzt die britischen Krönungsfeierlichkeiten empfangen haben. Warum kriegen wir nicht ein paar Nahaufnahmen vom Reichsapfel, dem Zepter und dem Hermelin? Und eine Stimme, die sagt: ‚… hiermit gekrönt als George VI, durch die Gnade Gottes König von England und Nordirland und Kaiser von Indien’?“

„Stand die Wega überhaupt über England, als die Krönung im Fernsehen übertragen wurde?“ fragte Ellie. „Ja, wir haben das wenige Wochen, nachdem wir die Olympia-Übertragung erhalten hatten, nachgeprüft. Und die Sendestärke war viel größer als bei Hitler. Ich bin überzeugt, daß die Wega die Krönungsfeierlichkeiten auffangen konnte.“

„Sie fürchten also, daß man dort nicht will, daß wir wissen, was sie alles wissen?“

„Sie haben es sehr eilig“, antwortete Valerian. Manchmal sprach er in delphischen Orakeln. „Wahrscheinlicher ist“, überlegte Ellie, „daß sie uns immer wieder daran erinnern wollen, daß sie über Hitler Bescheid wissen.“

„Das ist nichts wesentlich anderes, als ich eben gesagt habe“, entgegnete Valerian.

„Ist ja gut. Aber vertun wir doch nicht soviel Zeit mit Spekulationen“, stöhnte Drumlin. Spekulationen über extraterrestrische Motivationen machten ihn immer ungeduldig. Solche haltlosen Vermutungen seien reine Zeitverschwendung, behauptete er, man würde es sowieso in Kürze wissen. Statt dessen drang er darauf, sich auf die BOTSCHAFT zu konzentrieren. Das seien greifbare Daten, die sich wiederholten und eine exakte Bedeutung hatten.

„Vielleicht bringt euch ein bißchen Realität wieder auf den Boden. Wie wäre es mit einem Gang über das Montagegelände? Ich glaube, man setzt gerade die Erbiumdübel ein.“ Der geometrische Aufbau der Maschine war einfach. Die Details allerdings waren äußerst komplex. Die fünf Sessel für die Besatzung befanden sich in der Mitte des Dodekaeders, dort, wo der Durchmesser am größten war. Es waren keine Vorrichtungen für Essen, Schlafen oder andere menschliche Bedürfnisse vorgesehen. Die Besatzung durfte einschließlich ihrer Ausrüstung ein bestimmtes Höchstgewicht nicht überschreiten. Praktisch kam dieser Zwang den kleinen und leichteren Besatzungsmitgliedern zugute. Einige waren deshalb der Ansicht, daß die Maschine kurz nach dem Start in der Nähe der Erde mit einem interstellaren Raumschiff zusammentreffen würde. Das Problem dabei war nur, daß man selbst mit den am weitesten entwickelten optischen Suchgeräten und mit Radar keine Spur eines solchen Schiffes fand. Es war kaum anzunehmen, daß die Außerirdischen die menschlichen Grundbedürfnisse vergessen hatten. Vielleicht flog die Maschine überhaupt nirgendwo hin. Vielleicht tat sie etwas mit der Besatzung. Im Mannschaftsbereich gab es keinerlei Instrumente, kein Steuergerät, noch nicht einmal einen Zündmechanismus — nur die fünf Sessel, die nach innen gerichtet waren, so daß die Besatzungsmitglieder sich in die Augen sahen. Oberhalb und unterhalb des Aufenthaltsbereiches, dort, wo sich das Dodekaeder verjüngte, befanden sich die organischen Substanzen mit ihrer verschlungenen und rätselhaften Struktur. Überall im Inneren dieses Teils des Dodekaeders waren scheinbar willkürlich Erbiumdübel eingesetzt. Umgeben war das Dodekaeder von den drei konzentrischen Kugelschalen, von denen jede eine der drei physikalischen Dimensionen verkörperte. Die Schalen waren offenbar magnetisch aufgehängt — zumindest sahen die Anweisungen einen leistungsstarken Magnetfeldgenerator vor, und der Zwischenraum zwischen den Kugelschalen und dem Dodekaeder sollte ein Hochvakuum sein.

Die BOTSCHAFT gab keinem der Bausteine einen Namen. Erbium war als das Atom mit 68 Protonen und 99 Neutronen ausgewiesen. Die Teile der Maschine waren einfach durchnumeriert — also zum Beispiel Baustein 31. Ein tschechischer Ingenieur, der sich in der Geschichte der Technik auskannte, nannte die rotierenden konzentrischen Kugelschalen deshalb einfach „Benzel“. Gustav Benzel hatte 1870 das Karussell erfunden.

Konstruktion und Funktion der Maschine blieben unergründlich. Man mußte dafür völlig neue, bislang unbekannte Technologien entwickeln. Aber die Maschine war aus greifbarem Material gemacht, und ihre Strukturen konnten graphisch dargestellt werden. Solche technischen Zeichnungen waren in den Medien der ganzen Welt gezeigt worden. Und die endgültige Form der Maschine war bereits zu erkennen. Überall herrschte Zuversicht, daß man es schaffen würde. Drumlin, Valerian und Ellie Arroway ließen die übliche Erkennungsprozedur über sich ergehen: Ausweispapiere, Fingerabdrücke und Stimmidentifizierung. Dann erhielten sie Zutritt zu dem riesigen Montagegelände. Dreistöckige Kräne setzten die Erbiumdübel in die organische Matrix ein. Mehrere fünfeckige Platten für den Außenteil des Dodekaeders hingen an den Schienen einer Hochbahn. Während es beim Bau der sowjetischen Maschine Komplikationen gegeben hatte, hatten die amerikanischen Bausteine alle Tests erfolgreich bestanden. Die Maschine gewann immer mehr an Gestalt. Es paßt alles zusammen, dachte Ellie. Sie wandte ihren Blick dorthin, wo die Benzel zusammengebaut wurden. Wenn die Maschine fertig war, würde sie von außen wie eine der Armillarsphären der Renaissanceastronomen aussehen. Was hätte Johannes Kepler nur daraus gemacht? Auf dem Boden und den verschiedenen Etagen der Integrationshalle wimmelte es von Ingenieuren, Regierungsbeamten und Vertretern des Weltkonsortiums. Während sie dem Treiben zuschauten, erzählte Valerian, daß die Präsidentin manchmal seiner Frau schrieb, seine Frau ihm aber kein Wort von dem verriet, was in den Briefen stand. Sie sagte, es sei privat und ginge nur sie etwas an.

Der Einbau der Dübel war fast abgeschlossen, und erstmals sollte ein umfassender Systemintegrationstest versucht werden. Einige Experten hielten das vorgeschriebene Kontrollgerät für ein Gravitationswellenteleskop. In dem Moment, in dem der Test gestartet wurde, gingen Ellie und ihre Begleiter gerade um einen Pfeiler herum, um einen besseren Blick zu haben.

Plötzlich flog Drumlin über ihr durch die Luft. Alles schien zu fliegen. Es erinnerte Ellie an den Wirbelsturm, der Dorothy nach Oz getragen hatte. Wie in Zeitlupe nahm sie wahr, daß Drumlin mit ausgebreiteten Armen auf sie zusegelte und sie grob zu Boden schlug. Sollte das nach all den Jahren, die sie sich jetzt kannten, das Vorspiel zu einer Affäre mit ihr sein? Da mußte er aber noch viel lernen.

Es konnte nie ermittelt werden, wer es getan hatte. Zahlreiche Organisationen erklärten sich öffentlich dafür verantwortlich, darunter die Erdpatrioten, die Rote Armee Fraktion, der islamische Dschihad, die jetzt im Untergrund arbeitende Fusionsenergiestiftung, die Sikhseparatisten, der Leuchtende Pfad, die Grünen Khmer, die afghanische RenaissanceBewegung, der radikale Flügel der Initiative Mütter gegen die Maschine, die wiedervereinigte Wiedervereinigungskirche, Omega Sieben, die Endzeitchiliasten, zu denen Billy Jo Rankin allerdings jede Verbindung abstritt (seiner Meinung nach war das Ganze ein zum Scheitern verurteilter Versuch von Ungläubigen, Gott zu diskreditieren), der Broederbond, El Catorce de Febrero, die Geheimarmee der Kuomintang, die Zionistische Liga, die Partei Gottes und die erst kürzlich wiederbelebte Symbionesische Befreiungsfront. Die meisten dieser Organisationen hätten nicht einmal die nötigen Mittel gehabt, die Sabotage ins Werk zu setzen. Die Länge der Liste zeigte nur an, wie verbreitet die Opposition gegen die Maschine inzwischen war. Der Ku-Klux-Klan, die amerikanische Nazipartei, die Demokratisch Nationalsozialistische Partei und noch einige ähnlich orientierte Organisationen hielten sich zurück und beanspruchten auch nicht die Verantwortung für den Anschlag. Eine einflußreiche Minderheit ihrer Mitglieder glaubte, daß Hitler persönlich die BOTSCHAFT abgeschickt hatte. Ihrer Version zufolge war er im Mai 1945 mit Hilfe der deutschen Raketentechnik von der Erde verschwunden. Und in der Zwischenzeit hätten die Nazis eine Menge Fortschritte gemacht.

„Ich weiß nicht, wohin die Maschine fliegen wird“, sagte die Präsidentin einige Monate später, „aber wenn es dort nur halb so schlimm zugeht wie bei uns, dann wird es die Reise nicht wert gewesen sein.“

Nach Darstellung des Untersuchungsausschusses war ein Erbiumdübel durch eine Explosion gespalten worden. Die zwei dosenförmigen Fragmente waren dann aus einer Höhe von zwanzig Metern in die Tiefe gestürzt. Sie trafen auf eine tragende Wand im Inneren der Halle, die unter der Wucht zusammenbrach. Elf Menschen wurden getötet und achtundvierzig verletzt. Eine Reihe größerer Bauelemente der Maschine wurde zertrümmert. Und da eine Explosion in den in der BOTSCHAFT vorgeschriebenen Tests nicht vorgesehen war, hatte sie vielleicht auch äußerlich unbeschädigte Bausteine zerstört. Wenn man überhaupt keine Ahnung hatte, wie so ein Ding funktionierte, mußte man beim Bau sehr sorgfältig und vorsichtig sein.

Trotz der zahlreichen Organisationen, die sich der Tat rühmten, richtete sich in den Vereinigten Staaten sofort der Verdacht auf zwei der Gruppen, die sich nicht für verantwortlich erklärt hatten: die Außerirdischen und die Russen. Wieder war überall die Rede von der Weltuntergangsmaschine. Die Außerirdischen hätten sie so konstruiert, daß sie beim Zusammenbau eine katastrophale Explosion verursachen mußte. Aber glücklicherweise, meinten einige, hätte man bei der Montage geschlampt und nur eine kleine Ladung — vielleicht nur der Zünder der eigentlichen Weltuntergangsmaschine — sei in die Luft gegangen. Sie drängten darauf, den Bau zu stoppen, bevor es zu spät war, und die übrigen Bauteile in abgelegenen Salzbergwerken zu vergraben. Aber der Untersuchungsausschuß fand bei seinen Nachforschungen Material, aus dem eindeutig hervorging, daß das Maschinenunglück, wie es jetzt kurz in der Öffentlichkeit genannt wurde, weit irdischeren Ursprungs war. Die Dübel hatten in der Mitte ein elliptisches Loch, dessen Zweck unbekannt und das mit einem feinen Netz von Gadoliniumdrähten beschichtet war. In dieses Loch waren Sprengstoff und ein Zeitzünder gestopft worden, beides Materialien, die nicht auf der Inventarliste der BOTSCHAFT auftauchten. Der Dübel war in einer Fabrikanlage der Hadden Cybernetics in Terre Haute, Indiana, maschinell hergestellt, das Loch ausgeschnitten und das fertige Produkt getestet und versiegelt worden. Das Netz aus Gadoliniumdrähten war viel zu kompliziert, als daß es von Hand gefertigt werden konnte. Man hatte dafür eigens eine große Fabrik bauen müssen. Die Kosten für den Bau der Anlage hatte Hadden Cybernetics in vollem Umfang übernommen. Freilich rechnete man dort schon jetzt mit weiteren, gewinnbringenderen Märkten für die Produkte der Fabrik.

Man untersuchte die drei anderen Erbiumdübel derselben Serie, aber sie enthielten keinen Sprengstoff. In der Sowjetunion und in Japan war erst eine Reihe vorsichtiger Abtastexperimente durchgeführt worden, bevor man gewagt hatte, die Dübel aufzuspalten. Irgend jemand hatte gegen Ende des Produktionsprozesses in Terre Haute die Sprengladung mit dem Zeitzünder sorgfältig in das Loch eingeführt. Danach war dieser Dübel zusammen mit Dübeln anderer Serien in einem Sonderzug unter bewaffneter Bewachung nach Wyoming transportiert worden. Die zeitliche Abstimmung der Explosion und die Art der Sabotage legten nahe, daß es nur jemand gewesen sein konnte, der sich mit der Maschine genau auskannte. Es mußte ein Insider gewesen sein. Aber die Nachforschungen erbrachten wenig Neues. Einige Dutzend Ingenieure, Qualitätsprüfer und Aufsichtsbeamte, die die Bausteine für den Transport versiegelten, hätten die Möglichkeit gehabt, die Sabotage zu begehen, aber nicht die Mittel und die Motivation. Diejenigen, die am Lügendetektor scheiterten, hatten hieb- und stichfeste Alibis. Keine der verdächtigten Personen machte dann, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, eine verräterische Bemerkung. Keiner gab mehr Geld aus, als sein Einkommen erlaubte hätte. Nicht einer brach beim Verhör zusammen und gestand. Trotz angeblich intensivster Anstrengungen der Gesetzeshüter blieb das Rätsel ungelöst.

Die Fraktion, die die Sowjets für die Drahtzieher hielt, glaubte, daß diese damit verhindern wollten, daß die Vereinigten Staaten ihre Maschine als erste starteten. Die Russen hätten die technischen Voraussetzungen, eine Sabotage durchzuführen, und natürlich genaue Kenntnis vom Stand des Maschinenbaus auf der anderen Seite des Atlantiks. Als das Unglück passierte, rief Anatoli Goldmann, ein früherer Student Lunatscharskis, der jetzt als sowjetischer Verbindungsmann in Wyoming arbeitete, sofort in Moskau an, um den dortigen Technikern ausrichten zu lassen, daß sie alle Dübel vor dem Einbau zuerst auseinandernehmen sollten. Aus diesem Anruf, den die NSA routinemäßig aufgezeichnet hatte, mußte man eigentlich folgern, daß eine russische Beteiligung ausgeschlossen war. Dennoch behaupteten einige, daß der Telephonanruf nur ein Schachzug gewesen sei, um den Verdacht von sich abzulenken, oder daß man Goldmann über die Sabotage vorher nicht informiert hätte. Solche Argumente kamen vor allem von Amerikanern, die sich angesichts der jüngsten Entspannungspolitik zwischen den beiden nuklearen Supermächten unbehaglich fühlten. Verständlicherweise reagierte Moskau empört auf diese Unterstellung. Die Sowjets hatten tatsächlich mehr Schwierigkeiten beim Bau ihrer Maschine, als allgemein bekannt war. In Anwendung der Informationen der BOTSCHAFT machte das Ministerium für mittlere Schwerindustrie beachtliche Fortschritte in Bereichen wie der Erzgewinnung, der Metallurgie und dem Maschinenbau. Die neuen Technologien der Mikroelektronik und Kybernetik waren schwieriger, deshalb ließ die Sowjetunion die meisten Bauteile aus diesen Bereichen in Europa oder Japan anfertigen. Aber noch schwieriger gestaltete sich für die einheimische sowjetische Industrie alles, was mit organischer Chemie zu tun hatte, denn dafür benötigte man Verfahrensweisen, die in der Molekularbiologie bereits hätten entwickelt sein müssen.

Die sowjetische Genetik aber hatte schwer gelitten, als Stalin in den dreißiger Jahren verkündet hatte, daß die Mendelsche Vererbungslehre ideologisch nicht opportun sei. Stalin hatte statt dessen die verrückte Vererbungslehre eines linientreuen Landwirtschaftssachverständigen namens Trofim Lysenko zum wissenschaftlichen Dogma erklärt. Zwei Generationen intelligenter sowjetischer Studenten hatten in ihren Vorlesungen nichts über die Grundprinzipien der Vererbung erfahren. Jetzt, sechzig Jahre später, war die sowjetische Molekularbiologie und Gentechnik vergleichsweise rückständig. Die Sowjets hatte nur wenige bedeutende Entdeckungen auf diesem Gebiet gemacht. In den Vereinigten Staaten wäre beinahe etwas Ähnliches passiert, als man aus religiösen Gründen zu verhindern suchte, daß die Evolutionstheorie, die zentrale Idee der modernen Biologie, an öffentlichen Schulen im Unterricht behandelt wurde. Das Problem lag auf der Hand: Eine fundamentalistische Interpretation der Bibel ließ sich mit dem Prozeß der Evolution nicht vereinbaren. Zum Glück für die amerikanische Molekularbiologie waren die Fundamentalisten in den Vereinigten Staaten nicht so einflußreich wie Stalin in der Sowjetunion.

Der Nachrichtendienst kam in seinem für die Präsidentin ausgearbeiteten Bericht zu dem Schluß, daß es keinerlei Beweise für eine sowjetische Beteiligung an der Sabotage gab. Vielmehr hatten die Sowjets, die wie die Amerikaner ein Besatzungsmitglied stellten, ein starkes Interesse daran, daß die amerikanische Maschine fertig wurde. „Wenn sich die technische Entwicklung eines Landes auf Stufe drei befindet“, erklärte der Direktor des CIA, „die Konkurrenz aber bereits Stufe vier erreicht hat, dann sind doch beide froh, wenn plötzlich Stufe fünfzehn vom Himmel fällt. Vorausgesetzt, beide haben gleichermaßen Zugang dazu und die entsprechenden Mittel.“ Nur wenige amerikanische Regierungsbeamte glaubten, daß die Sowjets für die Explosion verantwortlich waren, und das betonte die Präsidentin immer wieder in öffentlichen Ansprachen. Aber eingeschliffene Feindbilder sterben nur langsam. „Keine Gruppe von Verrückten wird, auch wenn sie noch so gut organisiert ist, die Menschheit von ihrem historischen Ziel abbringen“, erklärte die Präsidentin. Obwohl es jetzt wieder schwieriger geworden war, einen nationalen Konsens herzustellen. Die Sabotage hatte allen möglichen Einwänden und Befürchtungen Nahrung gegeben, die früher schon aufgetaucht waren. Nur die Tatsache, daß die Sowjets weiter an ihrer Maschine bauten, hielt das amerikanische Projekt am Laufen.

Drumlins Frau wollte, daß das Begräbnis im Kreis der Familie stattfand. Aber ihr gutgemeinter Plan wurde wie so oft durchkreuzt. Physiker, Segelflieger, Drachenflieger, Regierungsbeamte, Sporttaucher, Radioastronomen, Fallschirmspringer, Wasserskienthusiasten und die gesamte SETI-Gemeinde wollten kommen. Man hatte sogar erwogen, die Trauerfeierlichkeiten in der Kathedrale St. John the Divine in New York City abzuhalten, die als einzige Kirche die angemessene Größe hatte. Aber hier konnte Drumlins Frau einen kleinen Sieg für sich verbuchen. Der Gottesdienst fand in Drumlins Heimatstadt Missoula in Montana unter freiem Himmel statt. Die Behörden hatten bereitwillig ihre Zustimmung gegeben, da es dort weniger Sicherheitsprobleme gab. Obwohl Valerian nicht schwer verletzt war, rieten ihm die Ärzte von der Teilnahme an dem Begräbnis ab. Dennoch hielt er seine Grabrede im Rollstuhl sitzend. David Drumlins besondere Gabe sei es gewesen, die richtigen Fragen zu stellen, sagte Valerian. Er habe der SETI-Forschung immer skeptisch gegenübergestanden, denn für ihn war der Zweifel das Herz der Wissenschaft. Aber in dem Moment, als man eindeutig eine BOTSCHAFT empfing, habe es niemand gegeben, der so hingebungsvoll und mit so viel Einfallsreichtum an ihrer Entschlüsselung gearbeitet hätte. Der stellvertretende Verteidigungsminister Michael Kitz sprach im Namen der Präsidentin. Er hob besonders Drumlins menschliche Qualitäten hervor — seine Warmherzigkeit, seine Rücksicht auf die Gefühle anderer, seine wissenschaftliche Brillanz und sein außerordentliches sportliches Können. Wäre dieses tragische und heimtückische Unglück nicht passiert, so wäre David Drumlin in die Geschichte eingegangen als der erste Amerikaner, der einen anderen Stern besucht. Sie würde keine Rede halten, hatte Ellie Der Heer erklärt. Auch keine Interviews für die Presse geben. Vielleicht ein paar Bilder — sie wußte, wie wichtig Photos waren. Sie war sich einfach nicht sicher, ob sie die richtigen Worte finden würde. Jahrelang hatte sie als eine Art Sprecher in Sachen SETI, für das Projekt Argus und dann für die BOTSCHAFT und die Maschine fungiert. Aber jetzt handelte es sich um etwas anderes. Sie brauchte Zeit, um es zu verarbeiten.

Sie war sich sicher, daß Drumlin versucht hatte, ihr Leben zu retten. Er hatte die Explosion gesehen, bevor die anderen sie hörten. Er hatte gesehen, wie die mehrere hundert Kilogramm schwere Erbiummasse auf sie niederstürzte. Instinktiv war er auf sie gesprungen und hatte sie hinter den Pfeiler zurückgestoßen.

Ellie erzählte Der Heer davon. Er sagte nur: „Vermutlich hat Drumlin versucht, sich selbst zu retten, und du hast ihm dabei im Weg gestanden.“ Ellie fand diese Äußerung höchst unpassend. Wollte er sich damit bei ihr einschmeicheln? Oder vielleicht, hatte Der Heer hinzugefügt, der ihr Mißfallen gespürt zu haben schien, war Drumlin durch die Erschütterung des Erbiums, das in das Baugerüst eingeschlagen hatte, in die Luft gerissen worden. Aber Ellie war sich absolut sicher. Sie hatte es mit eigenen Augen gesehen. Drumlin hatte ihr das Leben retten wollen. Es war ihm gelungen. Abgesehen von einigen Kratzern war Ellie unverletzt geblieben. Valerian, der geschützt hinter dem Pfeiler gestanden hatte, hatte sich beim Einsturz der Wand beide Beine gebrochen. Sie hatte mehr als Glück gehabt. Sie war noch nicht einmal bewußtlos gewesen. Als sie gesehen hatte, was passiert war, hatte ihr erster Gedanken nicht ihrem alten Lehrer David Drumlin gegolten, der vor ihren Augen auf furchtbare Weise zerquetscht wurde. Sie war auch nicht erstaunt gewesen, daß Drumlin sein Leben für sie geopfert hatte, und sie hatte nicht an den Rückschlag gedacht, den dies für das gesamte Projekt bedeutete. Nein, ihr erster Gedanke war — hell wie ein Glockenschlag — gewesen: Jetzt kann ich mitfliegen, sie müssen mich schicken, es gibt niemand anders, ich muß mitfliegen. Sie hatte sich sofort gebremst. Aber es war schon zu spät. Sie war entsetzt über ihre Selbstsucht und ihren gemeinen Egoismus, der ihr in diesem Moment klar wurde. Dabei war unwichtig, ob Drumlin vielleicht ähnliche Fehler gehabt hatte. Es erschreckte sie, diese Gefühle auch nur für Sekunden in sich gespürt zu haben — selbst in einer solchen Situation Schritte für die Zukunft zu planen und an nichts anderes zu denken als an sich selbst. Was sie am meisten verabscheute, war die Rücksichtslosigkeit ihres Ego. Oft hatte sie nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Ihr Ego kannte kein Pardon und setzte alles auf eine Karte. Es war geradezu unheimlich. Ellie wußte, daß man so etwas nicht einfach herausreißen, mit Stumpf und Stiel ausrotten konnte. Sie mußte geduldig an sich arbeiten, sich vernünftigen Argumenten offenhalten, sich von ihrem Egoismus ablenken und sich immer wieder zusammenreißen.

Als die Untersuchungsbeamten auf den Plan traten, hielt sich Ellie zurück: „Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht viel dazu sagen. Wir hatten gerade die Integrationshalle betreten, als es plötzlich eine Explosion gab und alles in die Luft flog. Tut mir leid, daß ich nicht weiterhelfen kann. Ich wünschte, ich könnte es.“ Ellie machte auch ihren Kollegen klar, daß sie nicht darüber sprechen wollte. Sie verschwand so lange in ihrer Wohnung, daß man sie schließlich sogar suchen ließ. Sie versuchte, sich jedes Detail des Unfalls zu vergegenwärtigen. Sie versuchte, das Gespräch zu rekonstruieren, das sie vor dem Betreten des Montagegeländes geführt hatten. Sie versuchte, sich daran zu erinnern, worüber sie sich mit Drumlin auf der Fahrt nach Missoula unterhalten hatte, wie Drumlin bei ihrer ersten Begegnung auf sie gewirkt hatte, als sie mit ihrem Studium in Kalifornien angefangen hatte. Allmählich fand sie heraus, daß ein Teil in ihr Drumlin den Tod gewünscht hatte — sogar noch bevor sie Rivalen um den amerikanischen Sitz in der Maschine geworden waren. Sie hatte ihn gehaßt, weil er sie im Seminar vor den anderen Studenten fertiggemacht hatte, weil er Argus bekämpft hatte. Sie erinnerte sich an das, was er unmittelbar nach dem Film über Hitler zu ihr gesagt hatte. Sie hatte gewünscht, daß er tot wäre. Und jetzt war er tot. In gewisser Hinsicht hielt sie sich für schuldig. Aber sie wußte selbst nicht mehr, was sie von ihren Gefühlen halten sollte. Wäre Drumlin auch hier gewesen, wenn sie nicht gewesen wäre? Sicher, sagte Ellie sich, dann hätte jemand anderes die BOTSCHAFT entdeckt, und Drumlin hätte sich diesem anderen angeschlossen. Aber hatte nicht sie ihn in ihrer wissenschaftlichen Unbekümmertheit immer tiefer in das Maschinenprojekt hineingezogen? Schritt für Schritt ging sie alle Möglichkeiten durch. Gerade über die, die ihr besonders abstoßend erschienen, dachte sie besonders gründlich nach. Sie wollte ihren Gefühlen auf den Grund kommen. Sie dachte über die Männer nach, die sie aus dem einen oder anderen Grund bewundert hatte. Drumlin, Valerian, Der Heer, Hadden. Joss. Jesse. Staughton?. ihr Vater. „Frau Dr. Arroway?“

Dankbar ließ sich Ellie aus ihren Gedanken wachrütteln. Vor ihr stand eine korpulente blonde Frau mittleren Alters in einem blau gemusterten Kleid. Das Gesicht kam Ellie bekannt vor. Auf dem Namensschild an ihrem üppigen Busen stand: „H. Bork, Göteborg.“

„Frau Dr. Arroway, mein herzliches Beileid zu Ihrem. unserem Verlust. David hat mir von Ihnen erzählt.“

Natürlich! Die legendäre Helga Bork, Drumlins Begleiterin beim Sporttauchen, die sie von den zahlreichen langweiligen Diavorträgen aus ihrer Studentenzeit kannte. Wer, fragte sich Ellie jetzt zum ersten Mal, hatte die Bilder eigentlich gemacht? Ob sie wohl einen Photographen eingeladen hatten, sie auf ihrem Unterwasserrendezvous zu begleiten? „Er hat mir auch erzählt, wie nahe Sie sich standen.“ Was wollte ihr diese Frau weismachen? Wollte Drumlin ihr zu verstehen geben. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Entschuldigen Sie, Frau Dr. Bork, ich fühle mich gerade nicht besonders wohl.“ Mit gesenktem Kopf eilte sie fort.

Es gab so viele Menschen, die Ellie auf dem Begräbnis hatte sehen wollen: Waygay, Archangelski, Gotsridse, Baruda, Yu, Xi, Devi. Und Abonneba Eda, der mehr und mehr als der fünfte Teilnehmer im Gespräch war — wenn die Länder ein bißchen Verstand hatten, dachte sie, und wenn es je so etwas wie eine fertige Maschine geben würde. Aber sie fühlte sich angeschlagen und konnte jetzt keine langen Sitzungen ertragen. Sie traute sich selbst nicht mehr. Ging es ihr bei dem, was sie sagte, um das Gelingen des Projekts, oder ging es ihr letztlich immer nur um sich selbst? Aber die anderen waren mitfühlend und verständnisvoll. Schließlich hatte Ellie Drumlin am nächsten gestanden, als der Erbiumdübel ihn getroffen und zermalmt hatte.

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