Was Fliegen sind den müß’gen Knaben,
das sind wir den Göttern:
Sie töten uns zum Spaß.
Wer alles kann, muß alles fürchten.
Sie waren überglücklich, zurück zu sein. Sie redeten durcheinander, und es war ihnen schwindlig vor Aufregung. Sie stiegen über die Sessel, umarmten sich und klopften sich gegenseitig auf den Rücken. Alle waren den Tränen nahe. Sie hatten es geschafft — aber nicht nur das, sie waren zurückgekehrt, hatten alle Tunnel sicher überwunden. Plötzlich erwachte das Radio mit heftigem Zischen und Rauschen zum Leben. Laut dröhnten die Stimmen des technischen Überwachungsdienstes aus den Lautsprechern. Alle drei Benzel verlangsamten ihre Drehung. Die elektrische Ladung baute sich wieder ab. Aus den von draußen übertragenen Kommentaren wurde deutlich, daß die Leute vom Projekt keine Ahnung hatten, was passiert war. Ellie fragte sich, wieviel Zeit wohl vergangen war. Sie schaute auf die Armbanduhr. Es war ungefähr ein Tag vergangen, das brachte sie mitten ins Jahr 2000. Durchaus angemessen. Wartet nur, bis ihr hört, was wir zu erzählen haben, dachte sie. Zu ihrer eigenen Beruhigung klopfte sie auf das Fach, in dem sie Dutzende von Mikro-Videokassetten aufbewahrte. Wie sich die Welt verändern würde, wenn diese Filme gezeigt wurden!
Der Raum zwischen den Benzein stand wieder unter Druck. Die Türen der Luftschleuse wurden geöffnet. Jetzt kamen über Funk Fragen nach ihrem Wohlergehen. „Uns geht es gut“, rief sie in ihr Mikrophon. „Laßt uns raus. Ihr werdet nicht glauben, was wir erlebt haben.“ Alle fünf marschierten sie strahlend aus der Luftschleuse und begrüßten überschwenglich ihre Kameraden, die geholfen hatten, die Maschine zu bauen und zu bedienen. Die japanischen Techniker empfingen sie. Die Funktionäre des Projekts drängelten sich durch die Menge. Ruhig sagte Devi zu Ellie: „So weit ich sehen kann, tragen alle genau die gleichen Kleider wie gestern. Sieh nur die scheußliche gelbe Krawatte, die Peter Valerian umhat.“
„Ach, dieses alte Ding trägt er immer“, erwiderte Ellie. „Seine Frau hat sie gekauft. Es war 15.20 Uhr. Die Aktivierung hatte gegen drei Uhr am Nachmittag zuvor begonnen. Also waren sie knapp über vierundzwanzig.“
„Welchen Tag haben wir?“ fragte sie. Man sah sie verständnislos an. Etwas war nicht in Ordnung. „Peter, um Gottes willen, welchen Tag haben wir?“
„Was soll das heißen?“ antwortete Valerian. „Es ist heute. Freitag, der 31. Dezember 1999. Es ist Silvester. War es das, was du wissen wolltest? Ellie, geht es dir gut?“ Waygay sagte zu Archangelski, er wolle alles von Anfang an erzählen, aber zuerst müßten seine Zigaretten hergeschafft werden. Um sie herum kam es zu einem Auflauf von Funktionären des Projekts und Repräsentanten des Weltkonsortiums. Ellie sah, wie sich Der Heer den Weg zu ihr durch die Menge bahnte.
„Was habt ihr von allem mitbekommen?“ rief sie, als er in Hörweite war.
„Überhaupt nichts. Das Vakuumsystem hat gearbeitet, die Benzel begannen, sich zu drehen, sie bauten elektrische Ladung auf, erreichten die vorgeschriebene Geschwindigkeit, und dann lief alles rückwärts ab.“
„Was soll das heißen, ‚alles lief rückwärts ab’?“
„Die Benzel wurden langsamer, und die elektrische Ladung baute sich wieder ab. Das System bekam wieder Druck, die Benzel kamen zum Stillstand, und ihr kamt alle heraus. Das Ganze hat vielleicht zwanzig Minuten gedauert, und wir konnten nicht mit euch reden, während sich die Benzel drehten. Habt ihr überhaupt etwas erlebt?“ Sie lachte. „Junge“, sagte sie, „habe ich eine tolle Geschichte für dich.“
Es wurde eine Party für die Mitarbeiter des Projekts gegeben, zur Feier der Aktivierung der Maschine und der Wende zum nächsten Jahrtausend. Ellie und ihre Reisegefährten nahmen nicht daran teil. Auf allen Fernsehkanälen sah man Feiern, Paraden, Ausstellungen, Rückblicke, Vorhersagen und optimistische Reden der Regierungschefs. Ellie hörte nur zufällig ein paar Sätze des buddhistischen Mönchs Utsumi, die so seligmachend waren wie schon immer. Aber sie hatte keine Zeit für so etwas. Das Direktorium des Projekts hatte aus den bisher erzählten Bruchstücken ihrer Abenteuer rasch geschlossen, daß die fünf über einen Zeitraum zu berichten hatten, der ganz und gar unmöglich erschien. Deshalb wurden sie mitten aus der feiernden Menge der Regierungsfunktionäre und Mitglieder des Konsortiums zu einer vorläufigen Befragung weggeholt. Sprecher der Projektleitung erklärten weiter, daß man es für ratsam hielt, jeden der fünf einzeln zu befragen.
Ellie wurde von Der Heer und Valerian in einem kleinen Konferenzraum verhört. Es waren noch weitere Funktionäre anwesend, darunter Waygays früherer Schüler Anatoli Goldmann. Sie schloß daraus, daß Bobby Bui, der Russisch sprach, bei Waygays Befragung für die Amerikaner dabei war.
Man hörte ihr höflich zu, und hin und wieder ermutigte Peter sie. Aber es fiel ihnen schwer, die Abfolge der Ereignisse zu verstehen. Vieles von dem, was sie erzählte, beunruhigte sie. Ihre Begeisterung steckte die anderen nicht an. Keiner wollte glauben, daß das Dodekaeder zwanzig Minuten lang verschwunden gewesen war, von einem ganzen Tag ganz zu schweigen. Schließlich hatte eine ganzes Arsenal von Instrumenten außerhalb der Benzel das Ereignis gefilmt und aufgezeichnet, und dabei war nichts Außergewöhnliches bemerkt worden. Es war nichts anderes passiert, erklärte Valerian, als daß die Benzel ihre vorgesehene Geschwindigkeit erreicht hatten, sich in mehreren Instrumenten unbekannter Bestimmung die entsprechenden Zeiger bewegt hatten, die Benzel langsamer geworden und zum Stillstand gekommen waren, und die fünf in großer Aufregung wieder herausgekommen waren. Valerian fügte nicht hinzu „und Unsinn geredet hatten“, aber sie konnte seine Besorgnis spüren. Man behandelte sie mit Achtung, aber sie wußte, was die anderen dachten: Die einzige Funktion der Maschine bestand darin, in zwanzig Minuten eine Fata Morgana zu erzeugen oder — zumindest als Möglichkeit — die fünf Besatzungsmitglieder verrückt zu machen.
Sie führte ihre Mikro-Videokassetten vor, die alle sorgfältig beschriftet waren: Etwa „Ringsystem der Wega“, oder „Radiostation (?) der Wega“, „Fünffachsystem“, „Sternenpanorama im Zentrum der Galaxis“. Auf einer der Kassetten stand nur: „Strand“. Sie legte eine nach der anderen in den Projektor ein. Es war nichts zu sehen. Die Kassetten waren vollkommen leer. Ellie konnte nicht verstehen, was schiefgegangen war. Sie hatte sorgfältig gelernt, das Mikrokamerasystem zu bedienen, und sie hatte es in Tests vor der Aktivierung der Maschine erfolgreich benützt. Sie hatte sogar bei einigen Filmmetern Stichproben gemacht, nachdem sie das System der Wega verlassen hatten. Sie war am Boden zerstört, als sie später erfuhr, daß die Instrumente, die die anderen bei sich hatten, ebenfalls auf unerklärliche Weise versagt hatten. Peter Valerian hätte ihr gerne geglaubt, Der Heer ebenfalls. Aber bei allem guten Willen fiel es ihnen schwer. Die Geschichte, mit der die fünf zurückkamen, war, vorsichtig ausgedrückt, ein wenig ungewöhnlich und von keinerlei greifbaren Beweisen untermauert. Es war nicht einmal genügend Zeit für solche Erlebnisse gewesen. Sie waren ja nur zwanzig Minuten in der Maschine gewesen. Einen solchen Empfang hatte Ellie nicht erwartet. Aber sie war zuversichtlich, daß sich alles klären würde. Im Augenblick war sie damit zufrieden, sich das Erlebnis noch einmal vor Augen zu führen und sich ausführliche Aufzeichnungen zu machen. Sie wollte sicher sein, daß sie nichts vergaß.
Obwohl sich eine Front extremer Kaltluft von Kamtschatka her näherte, war es immer noch ungewöhnlich warm für die Jahreszeit, als am Abend des Neujahretages eine Reihe außerplanmäßiger Flugzeuge auf dem internationalen Flughafen von Sapporo landete. Der neue amerikanische Verteidigungsminister Michael Kitz kam mit einem in aller Eile zusammengestellten Expertenteam in einer Sondermaschine der Vereinigten Staaten. Die Reise des Ministers wurde von Washington erst kurz vor dessen Eintreffen in Hokkaido bestätigt. In der knappen Pressemitteilung hieß es, der Besuch sei eine Routineangelegenheit, es gebe keine Krise und es bestünde keinerlei Gefahr: „Die Berichte aus der Integrationshalle der Maschine im Nordosten Sapporos bewegen sich vollkommen im Rahmen des Erwarteten.“ Eine Tu-120 war über Nacht von Moskau gekommen und brachte neben anderen Stefan Barada und Timofei Gotsridse. Natürlich war man auf keiner Seite davon begeistert, den Neujahrstag von den Familien getrennt verbringen zu müssen. Aber das Wetter in Hokkaido war eine angenehme Überraschung. Es war so warm, daß die Schneeskulpturen in Sapporo schmolzen. Das Dodekaeder aus Eis war zu einem unförmigen kleinen Gletscher geworden, von den abgerundeten Oberflächen, die einst die Kanten der fünfeckigen Flächen gebildet hatten, tropfte das Wasser. Zwei Tage später machte sich der Winter mit einem heftigen Sturm bemerkbar, und der gesamte Verkehr zur Integrationshalle kam zum Erliegen. Nicht einmal Fahrzeuge mit Vierradantrieb kamen durch. Einige Radio- und alle Fernsehverbindungen waren unterbrochen, offenbar war ein Mikrowellenübertragungsturm umgeweht worden. Während des größten Teils der Verhöre bestand Verbindung zur Außenwelt nur über Telephon. Und vielleicht über das Dodekaeder, dachte Ellie. Sie war versucht, sich an Bord zu schleichen und die Benzel in Drehung zu versetzen. Sie spann diese Phantasie gern aus. Aber tatsächlich konnte man überhaupt nicht wissen, ob die Maschine je wieder funktionieren würde, jedenfalls von dieser Seite des Tunnels aus. Ihr Vater hatte nein gesagt. Sie schwelgte in Erinnerungen an die Küste. Und an ihn. Was auch geschehen mochte, eine Wunde tief in ihr war geheilt. Sie konnte spüren, daß sich eine Narbe gebildet hatte. Es war die teuerste Psychotherapie der Welt gewesen. Und das will viel heißen, dachte sie.
Die Einsatzbesprechungen mit Xi und Devi Sukhavati wurden von Vertretern ihrer Länder geleitet. Obwohl Nigeria keine bedeutende Rolle beim Erfassen der BOTSCHAFT oder bei der Konstruktion der Maschine gespielt hatte, stimmte Eda einem langen Interview mit nigerianischen Funktionären bereitwillig zu. Aber im Vergleich zu den Verhören durch die Mitarbeiter des Projekts war das von wenig Interesse. Waygay und Ellie mußten noch mehrere weitere ausführlichere Befragungen durchstehen. Sie wurden von den hochqualifizierten Teams geleitet, die eigens zu diesem Zweck aus der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten gekommen waren. Zunächst waren dritte Länder von den amerikanischen und sowjetischen Befragungen ausgeschlossen, aber nachdem das Weltkonsortium Beschwerde geführt hatte, gaben die USA und die Sowjetunion nach, und die Sitzungen wurden wieder international. Mit Ellies Einsatzbesprechung war Kitz betraut, und wenn man in Betracht zog, wie kurzfristig er von allem erfahren haben mußte, war er überraschend gut vorbereitet. Valerian und Der Heer legten gelegentlich ein gutes Wort für sie ein und stellten hin und wieder eine Zusatzfrage. Aber insgesamt war es Kitz’ Show.
Er sagte, er stelle sich ihrer Geschichte skeptisch, aber konstruktiv, in bester wissenschaftlicher Tradition, wie er hoffe. Er vertraue darauf, daß sie die Direktheit seiner Fragen nicht als persönlich gemeint mißverstehen würde. Er habe allergrößten Respekt vor ihr. Er seinerseits wolle nicht zulassen, daß sein Urteil von der Tatsache getrübt werde, daß er von Anfang an gegen das Maschinenprojekt gewesen sei. Sie beschloß, seine rührende Selbsttäuschung unwidersprochen hinzunehmen, und begann mit ihrer Geschichte. Zuerst hörte er genau zu, hakte gelegentlich nach, entschuldigte sich aber, wenn er sie unterbrach. Ab dem zweiten Tag allerdings war von solchen Höflichkeiten nichts mehr übrig. „Also, der Nigerianer wird von seiner Frau besucht, die Inderin von ihrem toten Mann, der Russe von seiner niedlichen Enkelin, der Chinese von einem mongolischen Kriegsherrn.“
„Qin war kein Mongole.“
„. und Sie, um Himmels willen, Sie werden von Ihrem teuren verstorbenen Herrn Vater besucht, der Ihnen erzählt, er und seine Freunde seien damit beschäftigt, das Universum wiederaufzubauen. Du meine Güte. ‚Vater unser, der du bist im Himmel.“? Das ist pure Religion. Das ist reinste Kulturanthropologie. Das ist Sigmund Freud. Merken Sie das nicht? Sie behaupten nicht nur, Ihr eigener Vater wäre von den Toten wiedergekehrt, sondern Sie erwarten tatsächlich von uns, daß wir glauben, daß er das Universum erschaffen hat.“
„Sie verzerren, was.“
„Ach hören Sie doch auf, Frau Arroway. Sie halten uns hier zum Narren. Sie legen uns nicht die Spur eines Beweises vor und erwarten, daß wir die größte Lügengeschichte aller Zeiten glauben? Sie wissen es doch besser. Sie sind doch eine kluge Frau. Wie können Sie nur glauben, daß Sie damit durchkommen?“
Ellie protestierte. Valerian erhob ebenfalls Einspruch. Diese Art der Befragung, sagte er, sei Zeitverschwendung. Die Maschine würde im Augenblick umfangreichen physikalischen Tests unterzogen. Auf diese Weise könne der Wert ihrer Geschichte überprüft werden. Kitz gab zu, daß die physikalischen Beweise wichtig sein würden. Aber Frau Arroways Geschichte, fuhr er fort, sei auf jeden Fall aufschlußreich, sie sei ein Mittel, das zu verstehen, was tatsächlich vorgefallen sei. „Daß ausgerechnet Sie Ihren Vater im Himmel treffen und so weiter, Frau Dr. Arroway, ist bezeichnend. Sie sind in der jüdisch-christlichen Kultur aufgewachsen. Sie stammen als einziges Mitglied der Besatzung aus diesem Kulturkreis, und Sie sind die einzige,
die Ihren Vater trifft. Ihre Geschichte ist einfach zu platt. Sie ist nicht phantasievoll genug.“ Es war schlimmer, als sie für möglich gehalten hätte. Sie erlebte einen Augenblick epistemologischer Panik — wie wenn das Auto nicht dort steht, wo man es geparkt hat, oder wenn die Tür, die man abends abgeschlossen hat, am Morgen angelehnt ist.
„Sie glauben, ich habe mir das alles ausgedacht?“
„Ich will Ihnen etwas sagen, Frau Dr. Arroway. Als sehr junger Mann arbeitete ich bei der Staatsanwaltschaft in Cook County. Wenn man sich dort überlegte, ob jemand angeklagt werden sollte, wurden drei Fragen gestellt.“ Kitz zählte sie an den Fingern auf. „Hatte er die Gelegenheit? Hatte er die Möglichkeit? Hatte er ein Motiv?“
„Wozu?“
Er schaute sie verächtlich an.
„Aber unsere Uhren zeigten an, daß wir länger als einen Tag fort waren“, protestierte sie.
„Wie konnte ich nur so dumm sein“, sagte Kitz und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Sie haben mein Argument zunichte gemacht. Ich habe vergessen, daß es unmöglich ist, eine Armbanduhr einen Tag vorzustellen.“
„Aber dann hätten wir uns alle gegen Sie verschworen. Glauben Sie, daß Xi gelogen hat? Glauben Sie, daß Eda gelogen hat? Sie.“
„Was ich glaube, ist, daß wir zu etwas Wichtigerem übergehen sollten. Wissen Sie, Peter“ — Kitz wandte sich an Valerian — „ich glaube, Sie haben recht. Eine erste Fassung des Berichts der Materialprüfung wird morgen früh hier sein. Wir sollten nicht noch mehr Zeit mit. Geschichten. vergeuden. Vertagen wir uns doch bis dahin.“ Der Heer hatte während der gesamten Nachmittagssitzung kein Wort gesagt. Er lächelte Ellie unsicher an, und sie mußte sein Lächeln unwillkürlich mit dem ihres Vaters vergleichen. Manchmal schien Kens Gesichtsausdruck sie zu etwas zu drängen, sie zu beschwören, etwas zu tun. Aber sie hatte keine Ahnung, was das war. Sollte sie ihre Geschichte verändern? Er erinnerte sich an ihre Kindheitserinnerungen und wußte, wie sehr sie um ihren Vater getrauert hatte. Offensichtlich zog auch er in Betracht, daß sie verrückt geworden war. Und vielleicht folgerte er daraus, daß auch die anderen verrückt geworden waren. Massenhysterie. Gemeinsame Halluzinationen. Folie a cinq.
„Aha, da ist er ja“, sagte Kitz. Der Bericht war etwa einen Zentimeter dick. Kitz ließ ihn auf den Tisch fallen. Ein paar Stifte rollten auseinander. „Sie werden ihn sicher lesen wollen, Frau Dr. Arroway, aber ich darf Ihnen eine kurze Zusammenfassung geben, einverstanden?“
Ellie nickte zustimmend. Sie hatte von Gerüchten gehört, denen zufolge der Bericht für die Geschichte, die die fünf erzählt hatten, sehr günstig sein sollte. Sie hoffte, er würde ihrer unsinnigen Behandlung ein Ende setzen. „Das Dodekaeder war anscheinend“ — Kitz betonte das Wort besonders — „einer völlig anders gearteten Umgebung ausgesetzt als die Benzel und die Trägerstruktur. Es war anscheinend großen Belastungen durch Zug und Druck unterworfen. Es ist ein Wunder, daß das Ding nicht zu Bruch gegangen ist. Es ist also ebenfalls ein Wunder, daß Sie und ihre Gefährten nicht zu Schaden gekommen sind. Außerdem war das Dodekaeder anscheinend intensiver Strahlung ausgesetzt — es zeigt in geringer Stärke sekundäre Radioaktivität und Spuren kosmischer Strahlen und ähnliches. Ein zweites Wunder ist, daß Sie die Strahlung überlebt haben. Sonst hat sich nichts verändert. Es gibt keine Spur von Erosion oder Kratzern an den seitlichen Kanten, die ständig an die Wände der Tunnel gestoßen sind, wie Sie behaupten. Es gibt nicht einmal Kerben, wie sie entstanden sein müßten, wenn Sie mit hoher Geschwindigkeit in die Erdatmosphäre eingetreten wären.“
„Bestätigt das denn nicht unsere Geschichte? Michael, denken Sie doch nach. Zug- und Druckbelastung — Gezeitenkräfte — sind genau das, was man bei einem Sturz durch ein klassisches Schwarzes Loch erwartet. Das ist schon seit mindestens fünfzig Jahren bekannt. Ich weiß nicht, warum wir nichts davon gemerkt haben. Das Dodekaeder muß uns irgendwie davor geschützt haben. Und die hohen Strahlungsdosen stammen aus dem Innern des Schwarzen Loches und aus der Umgebung des Zentrums der Galaxis, das ja eine bekannte Quelle von Gammastrahlung ist. Es gibt eindeutige Beweise für das Vorhandensein von Schwarzen Löchern, und es gibt eindeutige Beweise für das Zentrum der Galaxis. Wir haben uns diese Dinge nicht ausgedacht. Ich verstehe nicht, warum keine Kratzer gefunden worden sind, aber es muß von den Eigenschaften der zwei Materialien abhängen, von denen wir eines kaum untersucht haben, während das andere vollkommen unbekannt ist. Kerben oder angekohlte Stellen würde ich nicht erwarten, denn wir behaupten nicht, daß wir durch die Erdatmosphäre gekommen sind. Insgesamt scheint mir, daß der Befund unsere Geschichte in nahezu allem bestätigt. Wo liegt also noch das Problem?“
„Das Problem besteht darin, daß ihr so verdammt clever seid. Zu clever. Betrachten Sie es einmal vom Standpunkt eines Skeptikers. Treten Sie einen Schritt zurück und sehen Sie sich das Gesamtbild an. Da gibt es eine Reihe intelligenter Leute in verschiedenen Ländern, die meinen, daß die Erde vor die Hunde geht. Sie behaupten auf einmal, daß sie eine komplexe BOTSCHAFT aus dem Weltall empfangen hätten.“
„Behaupten?“
„Lassen Sie mich ausreden. Sie entziffern die BOTSCHAFT und verkünden, daß sie die Anleitung zum Bau einer sehr komplizierten Maschine enthält, die Billionen Dollar kostet. Die Welt ist in einer merkwürdigen Verfassung, die Religionen sehen unsicher der kommenden Jahrtausendwende entgegen, und zu jedermanns Überraschung wird die Maschine gebaut. Es gibt ein oder zwei kleine personelle Veränderungen, dann ist es soweit: Im wesentlichen die gleichen Leute.“
„Es sind nicht die gleichen. Es war nicht Devi Sukhavati, es war nicht Eda, es war nicht Xi, und es gab.“
„Lassen Sie mich ausreden. Im wesentlichen die gleichen Leute sitzen in der Maschine. Aufgrund der Konstruktion des Dings kann niemand sie sehen oder mit ihnen sprechen, nachdem das Ding aktiviert ist. Also wird die Maschine eingeschaltet, und dann schaltet sie sich selbst wieder ab. Wenn sie erst einmal läuft, kann man sie nicht in weniger als zwanzig Minuten zum Halten bringen. Gut. Aber zwanzig Minuten später tauchen nun eben diese Leute aus der Maschine auf. Sie sind alle munter und fidel und erzählen irgendeine verrückte Geschichte, wie sie schneller als das Licht durch Schwarze Löcher zum Zentrum der Galaxis und wieder zurück gereist sind. Nehmen Sie jetzt an, Sie würden als normaler Bürger mit gesundem Menschenverstand diese Geschichte hören. Natürlich wollen sie Beweise sehen. Photos, Videobänder und alle sonstigen Daten. Und dann? Leider wurde alles gelöscht. Haben sie irgend etwas von der höheren Zivilisation im Zentrum der Galaxis mitgebracht? Nein. Erinnerungsstücke? Nein. Eine Steintafel? Nein. Haustiere? Nein. Nichts. Die einzigen physischen Beweise sind ein paar leichte Beschädigungen an der Maschine. Sagen Sie doch selbst, könnten so motivierte und clevere Leute wie Sie es nicht so aussehen lassen, als ob diese Schäden durch Zugbelastung und Strahlen entstanden wären? Vor allem, wenn sie zwei Billionen Dollar darauf verwenden konnten, das Beweismaterial zu fälschen?“ Ellie schnappte nach Luft. Sie erinnerte sich, wann sie das letzte Mal nach Luft geschnappt hatte. Das war eine wirklich gehässige Darstellung der Ereignisse. Sie fragte sich, was Kitz daran finden mochte. Er mußte wirklich in arger Not sein.
„Ich glaube nicht, daß Ihnen irgend jemand die Geschichte glauben wird“, fuhr er fort. „Es ist die raffinierteste — und die teuerste — Fälschung, die je begangen wurde. Sie und Ihre Freunde haben versucht, die Präsidentin der Vereinigten Staaten und das amerikanische Volk zu hintergehen, ganz abgesehen von all den anderen Regierungen der Erde. Sie glauben offenbar, alle anderen wären dumm.“
„Michael, sind Sie wahnsinnig? Zehntausende haben daran gearbeitet, die BOTSCHAFT zu empfangen, sie zu entschlüsseln und die Maschine zu bauen. Die BOTSCHAFT ist in Observatorien auf der ganzen Welt auf Magnetbändern, Laserdisketten und in Ausdrucken festgehalten. Glauben Sie, alle Radioastronomen, alle Raumfahrt- und kybernetischen Gesellschaften dieses Planeten hätten sich verschworen.“
„Nein, die Verschwörung braucht gar nicht so groß zu sein. Man braucht nur eine Übertragungsstation im Weltraum, die so tut, als würde sie von der Wega aus funken. Ich werde Ihnen sagen, was Sie meiner Meinung nach getan haben. Sie bereiten eine BOTSCHAFT vor und veranlassen jemanden, der eine Abschußrampe für solche Zwecke hat, sie in den Weltraum zu schießen. Wahrscheinlich als kleines Beiprogramm einer ganz anderen Mission. Die BOTSCHAFT erreicht eine Umlaufbahn, die wie die Bewegung eines Sterns aussieht. Vielleicht haben Sie auch mehr als nur einen Satelliten benutzt. Dann wird der Sender eingeschaltet, und Sie sitzen in Ihrem Spielzeugobservatorium bereit, um die BOTSCHAFT zu empfangen, die große Entdeckung zu machen und uns armen Schluckern zu verkünden, was sie bedeutet.“
Das war sogar für Der Heer zuviel, der bisher bewegungslos dagesessen war. Er richtete sich in seinem Sessel auf. „Wirklich, Mike.“ begann er, aber Ellie schnitt ihm das Wort ab. „Für den größten Teil der Entschlüsselung war ich nicht verantwortlich. Damit hatte eine Menge Leute zu tun. Drumlin vor allem. Am Anfang war er ein engagierter Skeptiker, wie Sie wissen. Aber als die Daten erst einmal hereinkamen, war Dave vollkommen überzeugt. Von ihm haben Sie keine Vorbehalte zu hören bekommen.“
„Ach ja, der arme David Drumlin. Jetzt ist er tot und Sie beten ihn an. Den Professor, den Sie nie mochten.“ Der Heer sank wieder in seinem Sessel zusammen, und Ellie stellte sich plötzlich vor, wie er Kitz mit aufgeregtem Flüstern Klatsch aus zweiter Hand mitteilte. Sie sah ihn genauer an. Sie war sich nicht mehr sicher, was sie von ihm halten sollte. „Beim Entziffern der BOTSCHAFT konnten Sie nicht alles selber machen. Sie hatten so viel zu tun. Sie hatten schon dies übersehen und jenes vergessen. Aber da war ja Drumlin, er wurde alt und fürchtete, daß ihn seine ehemalige Schülerin in den Schatten stellen und alles Lob für sich einheimsen könnte. Plötzlich merkt er, wie er auch dabei sein, ja sogar eine zentrale Rolle spielen kann. Sie haben an seine Eigenliebe appelliert und ihn damit gefangen. Und wenn er die Geheimschrift nicht herausbekommen hätte, hätten Sie ihm weitergeholfen. Wenn es ganz schlimm gekommen wäre, hätten Sie die verschiedenen Häute der Zwiebel selbst geschält.“
„Sie sagen, daß wir fähig waren, eine solche Botschaft zu erfinden. Das ist wirklich ein tolles Kompliment an Waygay und mich. Leider entspricht es nicht der Wahrheit. So etwas ist unmöglich. Fragen Sie einen tüchtigen Ingenieur, ob diese Art von Maschine — die ganz neue Zulieferindustrien erfordert für Teile, die auf der Erde völlig unbekannt sind — fragen Sie so jemanden doch einmal, ob das von ein paar Physikern und Radioastronomen am Feierabend hätte erfunden werden können. Wann sollen wir denn Ihrer Meinung nach eine solche BOTSCHAFT erfunden haben, auch wenn wir gewußt hätten, wie? Sehen Sie doch nur, wieviel Informationsbits in so etwas stecken. Es hätte Jahre gedauert.“
„Sie hatten jahrelang Zeit. Argus machte keine Fortschritte, und das Projekt sollte eingestellt werden. Wie Sie sich erinnern, war das Drumlins Ziel. Also finden Sie genau im richtigen Moment die BOTSCHAFT. Da war dann keine Rede mehr davon, Ihr Lieblingsprojekt einzustellen. Ich glaube, daß Sie und dieser Russe sich die ganze Sache tatsächlich in Ihrer Freizeit ausgedacht haben. Sie hatten jahrelang Zeit.“
„Sie sind wahnsinnig“, sagte Ellie leise. Valerian unterbrach die Anhörung. Er habe Frau Dr. Arroway während der in Frage kommenden Zeit gut gekannt. Sie habe produktive wissenschaftliche Arbeit geleistet. Nie hätte sie die Zeit gehabt, sich eine so raffinierte Täuschung auszudenken. Sosehr er sie auch bewundere, er sei wie sie der Meinung, daß der Entwurf der BOTSCHAFT und der Maschine ihre Fähigkeiten weit übersteige — wie sie die Fähigkeiten eines jeden Menschen übersteige. Eines jeden, auf der ganzen Erde.
Aber Kitz nahm ihm das nicht ab. „Das ist ein persönliches Urteil, Dr. Valerian. Manchmal gibt es so viele Urteile wie Personen. Sie mögen Frau Dr. Arroway. Das verstehe ich. Ich mag sie auch. Es ist verständlich, daß Sie sie verteidigen. Ich verstehe das nicht falsch. Aber es gibt etwas, das Sie noch nicht wissen. Ich werde es Ihnen sagen.“ Er beugte sich vor und beobachtete Ellie genau. Offensichtlich wollte er wissen, wie sie auf das reagieren würde, was er jetzt sagen wollte.
„Die BOTSCHAFT brach in dem Augenblick ab, in dem wir die Maschine in Betrieb setzten. Auf die Sekunde genau in dem Moment, als die Benzel ihre Reisegeschwindigkeit erreichten. Überall auf der Welt. Jedes Radioobservatorium mit Sichtverbindung zur Wega berichtete das gleiche. Wir haben Ihnen noch nichts davon erzählt, um Sie nicht in Ihrem Bericht zu stören. Die BOTSCHAFT hörte mitten im Wort auf. Das war kein sehr geschickter Einfall von Ihnen.“
„Ich weiß davon überhaupt nichts, Michael. Na und, die BOTSCHAFT brach ab? Sie hatte Ihren Zweck erfüllt. Wir haben die Maschine gebaut und sind ins. sind dorthin geflogen, wohin die Sender uns haben wollten.“
„Es wirft ein merkwürdiges Licht auf Sie“, fuhr Kitz fort. Plötzlich verstand sie, worauf er hinauswollte. Damit hatte sie nicht gerechnet. Er war der Meinung, daß es sich hier um eine Verschwörung handelte. War er wahnsinnig? Und wenn Kitz nicht wahnsinnig war, war dann vielleicht sie es? Wenn schon die irdische Technologie Substanzen herstellen konnte, die Sinnestäuschungen verursachten, konnte dann eine viel fortgeschrittenere Technologie hochkomplexe, kollektive Halluzinationen bewirken? Einen Augenblick lang erwog sie die Möglichkeit ernsthaft.
„Stellen wir uns vor, es wäre letzte Woche“, sagte er gerade. „Man glaubt, daß die Radiowellen, die auf der Erde ankommen, vor sechsundzwanzig Jahren von der Wega gesendet wurden. Es dauert sechsundzwanzig Jahre, bis sie durch den Weltraum zu uns kommen. Aber vor sechsundzwanzig Jahren, Frau Dr. Arroway, gab es Argus noch nicht, und Sie gingen damals mit LSD-Konsumenten ins Bett und jammerten über Vietnam und Watergate. Sie sind alle so klug, aber Sie haben die Lichtgeschwindigkeit vergessen. Es ist nicht möglich, daß durch die Aktivierung der Maschine die BOTSCHAFT abgeschnitten wird, bevor nicht sechsundzwanzig Jahre vergangen sind — es sei denn, im gewöhnlichen Weltraum könnte man eine Botschaft schneller als mit Lichtgeschwindigkeit übermitteln. Wir wissen beide,
daß das unmöglich ist. Ich erinnere mich, wie Sie darüber geklagt haben, daß Rankin und Joss so dumm wären und nicht wüßten, daß man nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit reisen kann. Ich bin überrascht, daß Sie jetzt offenbar glauben, Sie könnten damit bei uns durchkommen.“
„Michael, bitte hören Sie mir zu. Genauso war es ja auch möglich, in Null Komma Nichts von hier nach dort und wieder zurückzukommen. Jedenfalls in zwanzig Minuten. Um eine Singularität können Dinge sich akausal verhalten. Aber ich bin da keine Expertin. Sie sollten mit Eda oder Waygay darüber sprechen.“
„Danke für den Vorschlag“, sagte er. „Das haben wir schon getan.“
Ellie stellte sich vor, wie Waygay von seinem alten Gegner Archangelski oder von Baruda einem strengen Verhör unterzogen wurde. Baruda war der Mann gewesen, der vorgeschlagen hatte, die Radioteleskope zu zerstören und die Daten zu verbrennen. Wahrscheinlich stimmten er und Kitz in der Beurteilung der Lage überein. Sie hoffte, daß Waygay ihnen standhielt.
„Ich bin sicher, daß Sie verstehen, was ich meine, Frau Dr. Arroway. Aber lassen Sie es mich noch einmal erklären. Vielleicht können Sie mir dann sagen, ob ich irgendwo einen Fehler mache. Vor sechsundzwanzig Jahren begannen diese Radiowellen, zur Erde zu strahlen. Stellen Sie sich die Wellen jetzt im Weltraum zwischen der Wega und hier vor. Niemand kann die Radiowellen empfangen, nachdem sie die Wega verlassen haben. Niemand kann sie aufhalten. Auch wenn der Sender sofort erfahren hätte, daß die Maschine aktiviert wurde — wenn Sie wollen, durch ein Schwarzes Loch —, hätte es noch sechsundzwanzig Jahre dauern müssen, bis keine Signale mehr die Erde erreichen. Ihre Wegianer konnten nicht sechsundzwanzig Jahre im voraus wissen, wann die Maschine in Betrieb gesetzt werden würde. Noch dazu auf die Minute genau. Sie hätten einen Befehl rückwärts in die Zeit vor sechsundzwanzig Jahren senden müssen, daß die BOTSCHAFT am 31. Dezember 1999 abbrechen soll. Sie stimmen mir doch zu?“
„Ja, ich stimme Ihnen zu. Das ist ein vollkommen unerforschtes Gebiet. Wissen Sie, man spricht nicht umsonst vom Raum-Zeit-Kontinuum. Wenn diese Fremden Tunnel durch den Raum bauen können, nehme ich an, daß sie auch eine Art Tunnel durch die Zeit schlagen können. Die Tatsache, daß wir einen Tag zu früh zurückgekommen sind, zeigt, daß sie zumindest über eine beschränkte Möglichkeit des Reisens in der Zeit verfügen. Vielleicht haben sie also, sobald wir die Station verließen, eine Botschaft sechsundzwanzig Jahre zurück in die Zeit gesendet, um die Übertragung abzubrechen. Ich weiß es nicht.“
„Sie verstehen, wie günstig es für Sie ist, daß die BOTSCHAFT jetzt abbricht. Wenn sie immer noch gesendet würde, könnten wir Ihren kleinen Satelliten finden, einfangen und das Tonband mit der Übertragung auf die Erde bringen. Das wäre der endgültige Beweis für eine Fälschung. Aber das konnten Sie nicht riskieren. Also bleibt Ihnen nichts anderes als der faule Zauber mit den Schwarzen Löchern. Wahrscheinlich ist es Ihnen jetzt peinlich.“ Er sah besorgt aus.
Ellie kam das Ganze vor wie eine paranoide Phantasie, in der unschuldige Tatsachen zu einer heimtückischen Verschwörung verdreht wurden. In diesem Fall waren die Tatsachen kaum gewöhnlich zu nennen, und natürlich war es sinnvoll, daß die Behörden andere mögliche Erklärungen untersuchten. Aber Kitz’ Wiedergabe der Ereignisse war so böswillig, daß er wirklich zutiefst verwirrt und in seinen Grundüberzeugungen erschüttert sein mußte. Ellie war jetzt wieder mehr davon überzeugt, daß sie keiner kollektiven Sinnestäuschung zum Opfer gefallen war. Aber daß die Übertragung der BOTSCHAFT abgebrochen war — wenn Kitz recht hatte —, konnte sie nicht verstehen.
„Ich sage mir also, Frau Dr. Arroway, daß Sie als Wissenschaftlerin klug genug waren, all das auszurechnen, und Sie waren motiviert. Aber Sie selber hatten nicht die Mittel dazu. Wenn es nicht die Russen waren, die diesen Satelliten für Sie hochgeschickt haben, kann es genausogut ein halbes Dutzend anderer nationaler Satellitenbehörden gewesen sein. Aber das haben wir alles überprüft. Niemand hat einen freifliegenden Satelliten in eine entsprechende Umlaufbahn gebracht. Bleiben also Privatunternehmen. Und die interessanteste Möglichkeit, von der wir erfahren haben, ist ein Mr. S. R. Hadden. Kennen Sie ihn?“
„Machen Sie sich nicht lächerlich, Michael. Ich habe mit Ihnen über Hadden gesprochen, bevor ich zur Methusalem hochgeflogen bin.“
„Ich wollte nur sichergehen, daß wir im Grundsätzlichen einer Meinung sind. Was sagen Sie dazu: Sie und der Russe hecken den Plan aus. Sie bringen Hadden dazu, das Frühstadium zu finanzieren — die Planung des Satelliten, die Erfindung der Maschine, das Verschlüsseln der BOTSCHAFT, die Vortäuschung der Strahlenschäden, all das. Als Gegenleistung darf er, nachdem das Maschinenprojekt in Gang gekommen ist, mit einem Teil der zwei Billionen Dollar rechnen. Die Vorstellung sagt ihm zu. Die Sache könnte ihm einen riesigen Gewinn bringen, und aus Gründen seines persönlichen Werdegangs würde er die Regierung gern blamieren. Und als Sie beim Entziffern der BOTSCHAFT nicht vorwärtskamen und den Schlüssel zum Code nicht fanden, taten Sie so, als ob Sie ihn um Rat fragten. Er sagte Ihnen, wo Sie suchen mußten. Auch das war unvorsichtig. Es wäre besser gewesen, Sie hätten es selbst herausbekommen.“
„Es wäre so unvorsichtig gewesen, daß es gar nicht glaubhaft ist“, meinte Der Heer. „Würde jemand, der wirklich eine Fälschung begehen will.“
„Ken, Sie überraschen mich. Sie waren immer sehr leichtgläubig, nicht wahr? Gerade durch diesen Einwand haben Sie uns demonstriert, warum Frau Arroway und ihre Mitarbeiter es für klug hielten, Hadden um Rat zu fragen und dafür zu sorgen, daß wir wußten, daß sie ihn besucht hatte.“ Er konzentrierte sich wieder auf Ellie. „Frau Dr. Arroway, versuchen Sie es einmal vom Standpunkt eines neutralen Beobachters aus zu sehen.“
Kitz ging immer weiter, zauberte vor ihr aus den Tatsachen neue Zusammenhänge von bestechender innerer Konsequenz, schrieb ganze Jahre ihres Lebens neu. Sie hatte Kitz nicht für dumm gehalten, aber sie hatte auch nicht gedacht, daß er so erfinderisch war. Vielleicht hatte er sich dabei helfen lassen. Aber der emotionale Antrieb dafür kam von ihm selbst.
Er schwelgte in ausladenden Gesten und rhetorischen Figuren. Das war nicht nur ein Teil seiner Arbeit. Die Befragung und seine eigene Interpretation der Ereignisse hatten eine regelrechte Leidenschaft in ihm geweckt. Nach einer Weile meinte sie zu verstehen, worum es ging. Die fünf waren ohne direkt militärisch verwertbare Ergebnisse zurückgekommen, ohne Kapital, das sich unmittelbar für den politischen Vorteil ausnutzen ließ, sondern nur mit einer überaus merkwürdigen Geschichte. Und diese Geschichte hatte gewisse Implikationen. Kitz war Herr über das größte Waffenarsenal der Erde, während im Weltraum Galaxien gebaut wurden. Kitz stand in der Tradition der amerikanischen und sowjetischen Politiker, die die Strategie der nuklearen Abschreckung entwickelt hatten, während im Raum eine Mischung unterschiedlicher Rassen aus verschiedenen Welten vereint zusammenarbeitete. Deren bloße Existenz war für ihn ein unausgesprochener Tadel. Dazu kam noch die Möglichkeit, daß der Tunnel vom anderen Ende aus aktiviert werden und daß Kitz vielleicht nichts dagegen unternehmen konnte. Die Außerirdischen konnten jeden Augenblick hier sein. Wie konnte Kitz unter diesen Umständen die Vereinigten Staaten verteidigen? Seine Rolle bei der Entscheidung, die Maschine zu bauen — deren Geschichte er jetzt anscheinend vertuschen wollte —, konnte von einem ihm nicht wohlgesinnten Gericht als Pflichtverletzung ausgelegt werden. Und wie konnten Kitz oder einer seiner Vorgänger vor den Außerirdischen bestehen, wenn sie für ihr Amt Rechenschaft ablegen mußten? Auch wenn kein Racheengel aus dem Tunnel stürmte: Wenn die Wahrheit über diese Reise herauskam, würde sich die Welt verändern. Sie veränderte sich bereits. Und sie würde sich noch viel mehr verändern.
Wieder betrachtete sie ihn mitleidig. Mindestens hundert Generationen lang war die Welt von schlimmeren Leuten als ihm regiert worden. Es war sein Pech, daß er gerade dann zum Zug gekommen war, als die Spielregeln umgeschrieben wurden.
„…und wenn Sie an jede Einzelheit Ihrer Geschichte glauben“, sagte er gerade, „haben Sie dann nicht den Eindruck, daß die Außerirdischen Sie schlecht behandelt haben? Sie nutzen Ihre zärtlichsten Gefühle aus, indem sie als Ihr lieber alter Papa auftreten. Sie sagen Ihnen nicht, was sie selber tun. Sie belichten all Ihre Filme, vernichten all Ihre Daten und erlauben noch nicht einmal, daß Sie diesen blöden Palmwedel dort oben lassen. Nichts von den Dingen, die Sie mitgenommen haben, fehlt, außer ein paar Lebensmitteln, und Sie haben keinerlei greifbare Beweise mitgebracht, abgesehen von ein wenig Sand. Also haben Sie in zwanzig Minuten das Essen verschlungen und ein wenig Sand aus Ihren Taschen geschüttelt. Sie kommen eine Nanosekunde nach Ihrer Abfahrt zurück, also sind sie für jeden neutralen Beobachter nie fortgefahren.
Wenn die Außerirdischen unmißverständlich klarmachen wollten, daß Sie wirklich irgendwo gewesen sind, hätten sie Sie einen Tag oder eine Woche später zurückgebracht. Habe ich recht? Wenn das Dodekaeder in den Benzein eine Zeitlang verschwunden gewesen wäre, wüßten wir todsicher, daß Sie irgendwohin gefahren sind. Wenn sie es Ihnen hätten leichtmachen wollen, hätten sie die BOTSCHAFT nicht abgebrochen. Habe ich recht? Deshalb klingt Ihre Geschichte so unwahrscheinlich, verstehen Sie. Darauf hätten sie kommen müssen. Warum sollten die dort oben es so schwierig für Sie machen? Und es gibt noch andere Möglichkeiten, wie sie Ihre Geschichte hätten stützen können. Sie hätten Ihnen ein Andenken mitgeben können. Sie hätten Ihre Filme nicht zu vernichten brauchen. Dann würde niemand behaupten, das sei nur eine geschickte Fälschung. Wie kommt es also, daß sie Ihnen das nicht gestattet haben? Wie kommt es, daß die Außerirdischen Ihre Geschichte nicht bestätigen? Sie selbst haben Jahre Ihres Lebens damit verbracht, sie zu finden. Ist das der Dank, den Sie ernten? Ellie, wie können Sie so sicher sein, daß Ihre Geschichte wirklich passiert ist? Wenn, wie Sie behaupten, all das keine Fälschung ist, könnte es dann nicht. eine Täuschung sein? Ich weiß, es tut weh, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Niemand denkt gern, er sei verrückt geworden. Aber wenn man den Druck, unter dem Sie gestanden haben, in Betracht zieht, ist es gar nichts so Besonderes mehr. Und wenn die Alternative dazu eine kriminelle Verschwörung ist. Vielleicht sollten Sie noch einmal sorgfältig darüber nachdenken.“ Aber das hatte sie bereits getan.
Später am selben Tag traf sie sich allein mit Kitz. Man hatte ihr einen Kompromiß vorgeschlagen. Sie hatte nicht die Absicht, darauf einzugehen. Aber Kitz war auch auf diese Möglichkeit vorbereitet.
„Sie mochten mich von Anfang an nicht“, sagte er. „Aber ich stehe über der Sache. Wir werden zu einem wirklich fairen Abschluß kommen. Wir haben bereits eine Pressemitteilung herausgegeben, in der es heißt, die Maschine habe einfach nicht funktioniert, als wir versuchten, sie in Gang zu setzen. Selbstverständlich versuchen wir herauszufinden, was schiefgelaufen ist. Angesichts der anderen Fehlschläge in Wyoming und Usbekistan wird niemand daran zweifeln. In ein paar Wochen werden wir dann mitteilen, daß wir immer noch nicht weitergekommen sind. Wir hätten unser Bestes getan. Es wäre zu teuer, weiter an der Maschine zu arbeiten. Wahrscheinlich wüßten wir einfach nicht genug, um sie richtig zu bauen. Außerdem bestünden immer noch gewisse Gefahren. Das hätten wir schon immer gewußt. Die Maschine könnte explodieren oder so etwas. Alles in allem wäre es also besser, das Projekt auf Eis zu legen — zumindest eine Weile lang. Wir hätten es immerhin versucht. Hadden und seine Freunde wären natürlich dagegen, aber da er von uns gegangen ist.“
„Er ist nur dreihundert Kilometer über uns“, bemerkte Ellie. „Oh, Sie haben es noch nicht gehört? Sol ist ungefähr zur gleichen Zeit gestorben, wie die Maschine aktiviert wurde. Eigenartige Sache. Tut mir leid, ich hätte es Ihnen sagen sollen. Ich habe nicht daran gedacht, daß Sie ihm. nahestanden.“
Sie wußte nicht, ob sie Kitz glauben sollte. Hadden war in den Fünfzigern und hatte einen körperlich gesunden Eindruck gemacht. Sie wollte später Nachforschungen darüber anstellen.
„Und was machen wir in Ihrer Lügengeschichte?“ fragte sie. „Wir? Wer ist ‚wir’?“
„Wir. Die fünf, die an Bord der Maschine gingen, die, wie Sie behaupten, nie funktioniert hat.“
„Oh. Sie werden noch ein Weilchen verhört, dann können Sie gehen. Ich glaube nicht, daß einer von Ihnen so dumm sein wird, mit dieser Lügengeschichte an die Öffentlichkeit zu treten. Aber um sicherzugehen, werden wir psychiatrische Gutachten über Sie anfertigen lassen. Persönlichkeitsprofile. Kein Grund zur Aufregung. Sie waren schon immer ein wenig rebellisch, unzufrieden mit dem System — in welchem System Sie auch aufwuchsen. Das ist in Ordnung. Es ist gut, wenn Leute unabhängig sind. Wir fördern das, vor allem bei Wissenschaftlern. Aber der Streß der letzten Jahre hat Sie erschöpft — er hat Sie nicht gerade dienstuntauglich gemacht, aber eben erschöpft. Das gilt vor allem für Sie und Dr. Lunatscharski. Zuerst waren Sie daran beteiligt, die BOTSCHAFT zu finden, zu entschlüsseln und die Regierungen zu überzeugen, die Maschine bauen zu lassen. Dann gab es Probleme beim Bau, Industriesabotage, Sie erlebten einen Start, der zu nichts führte. Es war hart. Nur Arbeit und kein Vergnügen. Und Wissenschaftler sind sowieso überaus empfindlich. Daß die Maschine nicht funktionierte, hat Sie alle ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht. Jeder wird Ihnen das nachfühlen können. Verständnis haben. Aber niemand wird Ihre Geschichte glauben. Niemand. Wenn Sie sich anständig benehmen, gibt es keinen Grund, die Gutachten je zu veröffentlichen.
Es wird deutlich werden, daß die Maschine noch hier ist. Sobald die Straßen wieder frei sind, werden wir ein paar Photographen vom Funkbilderdienst hereinlassen, die sie photographieren. Wir werden ihnen zeigen, daß die Maschine nirgends hingeflogen ist. Und die Besatzung? Die Besatzung ist natürlich enttäuscht. Vielleicht ein wenig entmutigt. Sie wollen jetzt noch nicht mit der Presse sprechen. Finden Sie nicht, daß das ein schöner Plan ist?“ Kitz lächelte. Er erwartete, daß sie seinen gelungenen Plan würdigen würde. Sie sagte nichts.
„Finden Sie nicht, daß wir jetzt sehr vernünftig sind, nachdem wir zwei Billionen Dollar für diesen Dreckhaufen ausgegeben haben? Wir könnten Sie Ihr Leben lang aus dem Verkehr ziehen, Frau Arroway. Aber wir lassen Sie Saufen. Sie müssen nicht einmal eine Kaution hinterlegen. Ich finde, wir verhalten uns wie Gentlemen. Das ist der Geist der Jahrtausend wende. Das ist Machindo.“