16 Die Alten von Ozon

Der Gott, den die Naturwissenschaften anerkennen, muß ein Gott universaler Gesetze sein, ein Gott des Großhandels, nicht des Einzelhandels. Er kann sein Wirken nicht individuellen Bedürfnissen anpassen.

William James

Die Vielfalt der religiösen Erfahrung (1902)

Aus einer Entfernung von mehreren hundert Kilometern Höhe gesehen, füllte die Erde den halben Himmel aus, und das blaue Band, das sich von Mindanao bis Bombay erstreckte und das das Auge mit einem Blick erfaßte, brach einem fast das Herz vor Schönheit. Heimat, fuhr es einem durch den Kopf. Heimat. Das war die Erde. Von dort kamen die Menschen her. Alle Freunde und Bekannten waren dort unter diesem unbarmherzigen und zugleich köstlichen Blau großgeworden.

Man raste Richtung Osten von Horizont zu Horizont, von Morgendämmerung zu Morgendämmerung, den Planeten in eineinhalb Stunden umkreisend. Nach einer gewissen Zeit begann man, seine Eigenarten und Schönheiten zu entdecken. Man konnte so viel mit bloßem Auge sehen. Gleich kam Florida wieder in den Blick. Hatte der Wirbelsturm, den man bei der letzten Umkreisung über die Karibik jagen sah, Fort Lauderdale erreicht? Gab es diesen Sommer im Hindukusch schneefreie Berge? Man bewunderte die aquamarinblauen Riffe in der Korallensee. Man betrachtete das Packeis der westlichen Antarktis und fragte sich, ob tatsächlich alle Küstenstädte auf dem Planeten überflutet würden, wenn es schmolz.

Am Tage konnte man kaum Spuren menschlicher Behausungen erkennen. Aber bei Nacht verwandelte die Erde sich in ein Lichtermeer, und vom Polarlicht abgesehen waren alle Lichter den Menschen zu verdanken. Jener Lichtstreifen im Osten Nordamerikas, der sich von Boston bis Washington hinzog, war praktisch, wenn auch nicht dem Namen nach, eine Megalopolis. Dort drüben in Libyen war eine Erdgasflamme zu erkennen. Die strahlenden Lichter der japanischen Krabbenfangflotte bewegten sich auf das ostchinesische Meer zu. Bei jeder neuen Umkreisung erzählte die Erde neue Geschichten. Man sah einen Vulkanausbruch auf Kamtschatka, einen Sandsturm in der Sahara, der sich Brasilien näherte, und für die Jahreszeit ungewöhnlich kaltes Wetter auf Neuseeland. Man fing an, die Erde als einen Organismus zu begreifen, als etwas Lebendiges. Man begann, sich ernstlich Sorgen um sie zu machen, weil man sie plötzlich sehr lieb gewann. Nationale Grenzen waren genauso unsichtbar wie die Längengrade oder die Wendekreise des Krebses und des Steinbocks. Die Grenzen waren willkürlich. Aber der Planet war wirklich. Deshalb war der Raumflug subversiv. Die meisten Menschen, die das Glück hatten, sich einmal in der Erdumlaufbahn zu befinden, kamen nach kurzer Zeit auf ähnliche Gedanken. Die Nationen, die den Raumflug zuerst ermöglicht hatten, hatten vor allem nationalistische Beweggründe gehabt. Aber die Ironie des Schicksals wollte, daß gerade die, die ins All flogen, plötzlich eine Ahnung davon bekamen, daß die Erde ein Ganzes war, das keine nationalen Grenzen kannte.

Man konnte sich unschwer ausmalen, daß es einmal eine Zeit geben würde, in der man Loyalität zu diesem blauen Stern oder vielleicht sogar einem ganzen Schwärm von Welten empfinden konnte, die um einen gelben Zwergstern kreisten, dem die Menschen, die einst nicht gewußt hatten, daß jeder Stern eine Sonne war, den bestimmten Artikel verliehen hatten: die Sonne. Bereits jetzt, wo sich viele Menschen über lange Zeiträume im All aufhielten und schon ein wenig nachgedacht hatten, war die Macht der planetarischen Perspektive zu spüren. Eine nicht geringe Anzahl dieser ehemaligen Bewohner des erdnahen Orbit hatte großen Einfluß da unten auf der Erde.

Man hatte am Anfang, noch bevor die ersten Menschen in den Weltraum gestartet waren, Tiere dort hinaufgesandt. Amöben, Fruchtfliegen, Ratten, Hunde und Affen wurden zu kühnen Frontkämpfern des Weltalls. Als es möglich wurde, länger im All zu verweilen, machte man eine unerwartete Entdeckung. Auf Mikroorganismen hatte eine solche Reise keine, auf Fruchtfliegen fast keine Wirkung. Wohl aber auf die Säugetiere, denn man fand heraus, daß sich in der Schwerelosigkeit die Lebensdauer verlängerte. Um zehn bis zwanzig Prozent. Lebte man in der Schwerelosigkeit, verbrauchte der Körper weniger Energie im Kampf mit der Schwerkraft, die Zellen oxydierten langsamer, und man lebte länger. Einige Ärzte behaupteten, daß die Wirkung auf den Menschen noch durchschlagender sei als auf Ratten. Ein Hauch von Unsterblichkeit lag in der Luft. Die Rate der Neuerkrankungen an Krebs sank bei Tieren, die sich im Erdorbit befanden, verglichen mit der Kontrollgruppe auf der Erde um achtzig Prozent. Bei Leukämie und Lymphdrüsenkrebs waren es sogar neunzig. Man vermutete, obwohl das statistisch noch nicht signifikant nachgewiesen war, daß die Rate der Zellerkrankungen in der Schwerelosigkeit ebenfalls zurückging. Der deutsche Chemiker Otto Warburg hatte bereits vor einem halben Jahrhundert die Hypothese aufgestellt, daß die Oxydation die Ursache vieler Krebsarten sei. Der niedrigere Sauerstoffverbrauch im Zustand der Schwerelosigkeit wurde auf einmal sehr attraktiv. Die Menschen, die in früheren Jahren wegen der Laetrile nach Mexiko gepilgert waren, verlangten jetzt lautstark nach einer Fahrkarte ins All. Aber die war schier unerschwinglich. Einen Weltraumflug, sei es aus Gründen der Vorsorge oder Krankheit, konnten sich nur die wenigsten leisten. Aber plötzlich standen Geldsummen für den Bau ziviler Raumstationen im Erdorbit zur Verfügung, von denen man noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Im ausgehenden zweiten Jahrtausend gab es die ersten Hotels für Pensionäre einige hundert Kilometer über der Erdoberfläche. Abgesehen von den Kosten gab es einen ernsthaften Nachteil: Die fortschreitende Auflösung des Knochengewebes und der Gefäße schlossen eine Rückkehr in das Gravitationsfeld der Erdoberfläche für immer aus. Aber für einige wohlhabende Senioren war das kein Hinderungsgrund. Für ein Lebensjahrzehnt mehr setzten sie sich gerne im Himmel zur Ruhe und nahmen es auch in Kauf, dort zu sterben. Andere hielten es angesichts des Elends und der Mißstände unter den Armen und Unterdrückten für unverantwortlich, soviel des nicht unbegrenzten Reichtums der Erde in das Wohlergehen der Reichen und Mächtigen zu investieren. Es sei geradezu wahnsinnig, sagten sie, zuzulassen, daß die Elite ins All auswandere, während die Massen auf der Erde zurückblieben — einem Planeten, der dann praktisch abwesenden Herren unterstand. Andere sahen darin ein Geschenk des Himmels: Die Besitzer des Planeten verließen ihn scharenweise. Dort oben, argumentierten sie, konnten sie weit weniger Schaden anrichten als hier unten auf der Erde. Aber keiner hatte vorausgesehen, daß diese Leute, die in verantwortlichen Positionen saßen, dort oben zu einer planetarischen Perspektive finden würden. Nach einigen Jahren gab es nur noch wenige Nationalisten im Erdorbit. Für diese Menschen, die mit der Unsterblichkeit liebäugelten, stellte die weltweite nukleare Bedrohung ein wirkliches Problem dar. Dort oben lebten japanische Industrielle, griechische Großreeder, saudiarabische Kronprinzen, ein Expräsident, ein ehemaliger Generalsekretär, ein chinesischer Räuberbaron und ein Heroinkönig, der sich zur Ruhe gesetzt hatte. Im Westen gab es abgesehen von einigen wenigen Einladungen zu Werbezwecken nur ein Kriterium für einen Wohnsitz im Erdorbit: Man mußte das Geld dazu haben. Im sowjetischen Weltraumhotel war das anders. Das Hotel war zur Forschungsstation deklariert worden. Und der frühere Generalsekretär hielt sich dort angeblich auf, um „gerontologische Forschungen“ zu betreiben. Im großen und ganzen nahmen die Massen diese Zustände nicht weiter übel. Eines Tages, malten sie sich aus, würden auch sie dorthin reisen.

Die Menschen im Erdorbit waren besonnen und vorsichtig und ließen wenig von sich hören. Dasselbe galt für ihre Familien und ihr Personal. Insgeheim wurde ihnen von anderen reichen und mächtigen Leuten, die noch auf der Erde lebten, der Hof gemacht. Sie traten nicht an die Öffentlichkeit, aber ihre Denkweise durchdrang allmählich das Bewußtsein führender Persönlichkeiten auf der ganzen Welt. Der weitere Abbau der Atomwaffen durch die fünf Nuklearmächte etwa wurde von den Herrschaften im Orbit befürwortet. In aller Stille hatten sie den Bau der Maschine finanziell unterstützt, da dieses Projekt die Einigung der Welt vorantrieb. Hin und wieder schrieben nationalistisch gesinnte Organisationen von einer großangelegten Verschwörung im Erdorbit, mit der die alten, gebrechlichen Weltverbesserer ihr Vaterland verrieten. Flugblätter wurden in Umlauf gebracht, die angeblich Mitschriften eines Treffens auf der Methusalem waren, an dem Vertreter anderer privater Raumstationen teilgenommen hätten, die eigens dafür angereist wären. Eine Liste mit „Aktionsvorschlägen“ wurde veröffentlicht, die darauf zielten, auch halbherzige Patrioten in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Flugblätter seien gefälscht, verkündete die Timesweek. Das Magazin gab ihnen den Namen „Protokolle der Alten von Ozon“.

An den Tagen kurz vor ihrem Abflug versuchte Ellie, jeden Morgen etwas Zeit am Cocoa Beach zu verbringen. Sie wohnte in einem Appartement mit Blick auf den Strand und den Atlantischen Ozean. Sie nahm etwas Brot mit und warf den Möwen kleine Brocken davon zu. Die Möwen waren sehr geschickt und konnten die Bissen im Flug auffangen. Ihre Trefferquote hätte jedem Nationalspieler Ehre gemacht. Manchmal flatterten zwanzig bis dreißig Möwen ein oder zwei Meter über ihrem Kopf. Sie schlugen heftig mit den Flügeln, um auf der Stelle zu bleiben, die Schnäbel weit aufgerissen in Erwartung des auf so wunderbare Weise erscheinenden Futters. Manchmal streiften sie sich beinahe in dem scheinbaren Durcheinander, hinter dem aber eine feste Ordnung stand. Auf dem Rückweg sah Ellie einen in seiner einfachen Gestalt vollendeten Palmwedel am Rand des Strandes liegen. Sie hob ihn auf und wischte vorsichtig den Sand ab. Hadden hatte Ellie zu einem Besuch in seinem Heim weit weg von seiner irdischen Heimat eingeladen, auf sein Schloß im All. Er hatte es Methusalem getauft. Sie durfte mit niemandem außerhalb der Regierungskreise darüber sprechen, weil Hadden auf keinen Fall ins Licht der Öffentlichkeit geraten wollte. Tatsächlich war es bis jetzt noch nicht durchgedrungen, daß er seinen Wohnsitz in den Orbit verlegt hatte. All diejenigen von der Regierung, die Ellie um Rat gefragt hatte, hatten ihr zugeraten. Der Heer hatte gesagt: „Ein Tapetenwechsel tut dir gut.“ Die Präsidentin hatte sich auch eindeutig für den Besuch ausgesprochen. Außerdem war ganz plötzlich ein Platz in der nächsten Raumfähre frei geworden, der völlig veralteten STS Intrepid. Unter normalen Umständen bediente man sich bei der Überfahrt zu einem Altersheim im Orbit der Linientransportmittel. Ein viel größeres, nicht wiederverwendbares Raumfahrzeug wartete noch auf seine endgültige Zulassung. Noch immer stellte die veraltete Raumflotte den Fuhrpark für die militärischen wie zivilen Weltraumunternehmungen der US-Regierung. „Wir verlieren auf dem Hinflug Dutzende von Isolierplatten. Die kleben wir dann einfach vor dem nächsten Start wieder an“, erklärte ihr einer der Weltraumpiloten. Für den Flug mußte man nur bei guter Gesundheit sein, sonst nichts. Gewöhnlich flogen die Linienfähren voll belegt hoch und kehrten leer zurück. Die Shuttleflüge der Regierung dagegen waren auf dem Hin- und Rückweg überfüllt. Auf ihrem Rückflug zur Erde in der vergangenen Woche hatte die Intrepid an der Methusalem angelegt, um zwei Passagiere mit zur Erde zurückzunehmen. Ellie kannte sie dem Namen nach. Der eine entwarf Antriebssysteme, und der andere war Kryobiologe. Ellie fragte sich, was sie auf der Methusalem zu schaffen hatten.

„Sie werden sehen“, fuhr der Pilot fort, „es wird Ihnen gefallen. Mir ist noch keiner über den Weg gelaufen, dem es nicht gefallen hat. Die meisten Leute finden es einfach überwältigend.“

Auch Ellie fand es überwältigend. Sie saß dicht zusammengezwängt mit dem Piloten, zwei Sonderbeauftragten, einem schmallippigen Militäroffizier und einem Finanzbeamten in der Kabine. Nach einem tadellosen Start erlebte sie zum ersten Mal die Schwerelosigkeit länger als bei einer Fahrt im Aufzug des World Trade Center in New York. Nach anderthalb Erdumkreisungen trafen sie mit der Methusalem zusammen. In zwei Tagen würde die Linienfähre Narnia Ellie wieder abholen und zur Erde zurückbringen. Das Schloß — Hadden bestand auf dieser Bezeichnung- drehte sich langsam. Es machte eine Umdrehung in neunzig Minuten, und immer zeigte dieselbe Seite zur Erde. Von Haddens Arbeitszimmer aus hatte man einen großartigen Blick auf die Erde — nicht über einen Bildschirm, sondern durch ein richtiges, durchsichtiges Fenster. Die Photonen, die Ellie sah, waren vor nur einem Bruchteil einer Sekunde von den verschneiten Anden reflektiert worden. Außer an den Rändern des Fensters, wo das schräg einfallende Licht durch das dicke Polymer länger brauchte, wurde nichts verzerrt. Ellie kannte viele Menschen, darunter auch Leute, die sich für religiös hielten, denen das Gefühl von Ehrfurcht peinlich war. Aber man mußte aus Holz geschnitzt sein, dachte sie, wenn es einen beim Blick aus diesem Fenster nicht überkam. Man sollte junge Dichter, Komponisten, Künstler, Filmemacher und religiöse Menschen, die den institutionellen Zwängen ihrer Glaubensgemeinschaft nicht blind glaubten, hier heraufschicken. Diese Erfahrung, dachte sie, könnte dem Durchschnittsmenschen auf der Erde leicht vermittelt werden. Schade, daß man noch keinen ernsthaften Versuch in dieser Richtung unternommen hatte. Dieses Gefühl war. einfach numinos.

„Man gewöhnt sich daran“, sagte Hadden zu ihr, „aber man kann sich nicht satt daran sehen. Es ist immer wieder inspirierend.“

Zwischen die Lippen hatte er den Strohhalm seiner Diät-Cola geklemmt. Ellie hatte einen Drink dankend abgelehnt. Der Preis für Alkohol war im Orbit sicher ziemlich hoch.

„Natürlich vermißt man bestimmte Dinge hier oben — die langen Spaziergänge, das Schwimmen im Meer, alte Freunde, die unangemeldet auf einen Sprung vorbeikommen. Aber das hat mir noch nie etwas bedeutet. Und wie Sie sehen, können Freunde ohne weiteres zu Besuch kommen.“

„Aber es kostet eine Menge.“

„Mein Nachbar Yamagishi, der im rechten Flügel des Schlosses wohnt, bekommt an jedem zweiten Dienstag des Monats Besuch von einer Dame. Egal, ob es regnet oder die Sonne scheint. Er ist ein Prachtkerl. Hochkarätiger Kriegsverbrecher — hat aber nur unter Anklage gestanden, verstehen Sie, er ist nie überführt worden.“

„Warum sind Sie hier oben?“ fragte Ellie. „Sie glauben nicht, daß die Welt bald untergeht. Was machen Sie also hier?“

„Ich liebe die Aussicht. Und es gibt einige rechtliche Feinheiten.“

Sie sah ihn streitlustig an.

„Wissen Sie, jemand wie ich, der neue Erfindungen gemacht und ganze Industriezweige aus dem Boden gestampft hat, befindet sich immer am Rande der Legalität. In der Regel sind die alten Gesetze noch nicht an die neuen Technologien angepaßt. Deshalb kann es passieren, daß man ständig in Prozesse verwickelt wird. Das schadet aber der Effektivität. Das hier“ — er machte eine ausladende Geste, die sowohl das Schloß als auch die Erde umschloß — „gehört zu keiner Nation und keinem Land. Das Schloß gehört mir, meinem Freund Yamagishi und noch ein paar anderen. Uns mit Lebensmitteln und anderen materiellen Gütern zu versorgen, kann nie ungesetzlich sein. Um aber ganz sicher zu gehen, arbeiten wir an geschlossenen ökologischen Systemen. Es gibt zwischen dem Schloß und anderen Nationen keinerlei Auslieferungsverträge. Für mich ist es. produktiver und einfacher, hier oben zu leben.

Nicht, daß Sie glauben, ich hätte tatsächlich gegen das Gesetz verstoßen. Nein, aber wir experimentieren viel mit neuen Dingen. Da ist es einfach klüger, auf Nummer Sicher zu gehen. Zum Beispiel gibt es tatsächlich Leute, die glauben, ich hätte die Maschine sabotiert. Dabei habe ich selbst ungeheuer viel Geld hineingesteckt, um sie überhaupt zu bauen. Und die Geschichte mit Babylon kennen Sie ja. Meine Versicherungsexperten schließen nicht aus, daß dieselben Leute, die Babylon in Brand gesteckt haben, die Sabotage in Terre Haute inszeniert haben. Ich scheine eine Menge Feinde zu haben. Jedenfalls ist es für mich alles in allem besser, hier oben zu leben.

Aber ich würde jetzt gern mit Ihnen über die Maschine sprechen. Das war furchtbar — die Katastrophe mit den Erbiumdübeln in Wyoming. Es tut mir wirklich leid um Drumlin. Er war ein zäher Kerl. Und für Sie muß es ein großer Schock gewesen sein. Möchten Sie nicht doch einen Drink?“

Aber Ellie war es zufrieden, aus dem Fenster zu schauen und ihm zuzuhören.

„Wenn also ich nicht von dem Rückschlag entmutigt bin“, sprach er weiter, „dann sollten Sie es auch nicht sein. Wahrscheinlich machen Sie sich Sorgen, daß es nie eine amerikanische Maschine geben wird, daß es zu viele Menschen gibt, die wünschen, daß das ganze Projekt fehlschlägt. Die Präsidentin hat schon ganz ähnliche Befürchtungen. Und in den Fabriken, die wir gebaut haben, gibt es keine Serienproduktion. Wir haben mit Einzelanfertigungen gearbeitet. Es wird viel Geld kosten, die zerstörten Teile zu ersetzen. Aber Sie denken in erster Linie darüber nach, ob es überhaupt richtig war, das Unternehmen zu starten. Vielleicht war es verrückt von uns, die Sache so schnell voranzutreiben. Deshalb sollten wir das Ganze erst noch einmal gründlich in aller Ruhe überlegen. Auch wenn Sie persönlich nicht so denken, so vertritt doch die Präsidentin diese Auffassung. Wenn wir es allerdings jetzt nicht zu Ende bringen, werden wir es nie schaffen. Und da ist noch etwas: Ich glaube nicht, daß die Einladung ewig gilt.“

„Merkwürdig, daß Sie das sagen. Denn darüber sprachen wir, Valerian, Drumlin und ich, unmittelbar vor dem Unfall. Vor der Sabotage“, korrigierte sie sich. „Aber sprechen Sie bitte weiter.“

„Wissen Sie, fast alle religiösen Menschen glauben, daß dieser Planet ein Experiment ist. Zumindest läuft ihr Glaube darauf hinaus. Irgendein Gott werkelt ständig daran herum, läßt sich mit den Frauen der Handwerker ein, verschenkt irgendwelche Tafeln auf irgendwelchen Bergen, befiehlt, Kinder zu verstümmeln, und schreibt vor, welche Wörter man sagen darf und welche nicht. Er macht den Menschen ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich vergnügen wollen, und vieles mehr. Warum können die Götter nicht alles so lassen, wie es ist? All diese Eingriffe verraten nur Inkompetenz. Wenn Gott nicht wollte, daß Lots Eheweib zurückschaute, warum machte er sie dann nicht gehorsam, damit sie befolgte, was ihr Mann sagte? Und hätte er Lot nicht zu so einem Ekel gemacht, dann hätte ihm seine Frau vielleicht gehorcht. Wenn Gott so allmächtig und allwissend ist, warum hat er dann das Universum nicht von Anfang an so geschaffen, wie er es sich wünschte? Warum bastelt er ständig daran herum und beklagt sich? Nein, eines gibt die Bibel deutlich zu verstehen: Der biblische Gott ist ein schlampiger Handwerker. Er ist weder in der Planung noch in der Ausführung gut. Wenn es Konkurrenz gäbe, wäre er sofort weg vom Fenster.

Deshalb glaube ich, daß wir kein Experiment sind. Vielleicht gibt es ja eine Menge Versuchsplaneten im Universum, Planeten, auf denen Götterlehrlinge ihr Können erproben. Schade, daß Rankin und Joss nicht auf solch einem Planeten geboren wurden. Aber auf diesem Planeten“ — und wieder deutete er Richtung Fenster — „gibt es keine Mikrointervention. Die Götter kommen nicht vorbeigerauscht, um die Dinge zu reparieren, die wir verpfuscht haben. Schaut man sich unsere Geschichte an, dann wird eindeutig klar, daß wir auf uns allein gestellt sind.“

„Bis jetzt“, sagte Ellie. „Aber glauben Sie an einen Deus ex machina? Glauben Sie, daß die Götter jetzt Erbarmen mit uns gehabt und uns deshalb die Maschine geschickt haben?“

„Wenn schon, dann an eine Machina ex deo, oder wie das lateinisch heißt. Nein, nein, ich glaube nicht, daß wir ein Experiment sind. Ich denke viel mehr, daß wir der Vergleichsplanet sind. Ein Planet, an dem bisher niemand interessiert war. Ein Ort, auf dem keiner interveniert hat. Eine planetarische Meßeinheit, die ins Kraut geschossen ist. Genau das passiert, wenn niemand interveniert. Die Erde ist ein Studienobjekt für die Götterlehrlinge. ‚Wenn ihr etwas wirklich vermasselte, wird ihnen gesagt, ‚dann kommt so etwas wie die Erde dabei heraus. ’ Aber natürlich wäre es Verschwendung, einen ganz brauchbaren Planeten zu zerstören. Deshalb schauen sie von Zeit zu Zeit bei uns vorbei, nur zur Vorsicht. Vielleicht bringen sie jedes Mal die Götter mit, die Mist gebaut haben. Bei ihrem letzten Besuch sind wir noch übermütig durch die Savannen gerannt und haben versucht, dabei schneller zu sein als die Antilopen. ‚Okay, das ist prima’, sagen die Götter. ‚Die werden uns keinen Ärger machen. Wir schauen in zehn Millionen Jahren wieder vorbei. Aber zur Sicherheit überwachen wir sie besser per Funk.“

Dann kam eines Tages ein Alarmzeichen. Eine Botschaft von der Erde. ‚Was? Die haben schon Fernsehen! Mal sehen, auf was sie abfahren.“ Fahnen. Ein Raubvogel. Adolf Hitler. Tausende jubelnder Menschen. ‚O je!’ rufen die Götter. Sie kennen die Warnsignale. Blitzschnell befehlen sie uns: ‚Hört bloß mit dem Quatsch auf, Leute. Ihr habt doch einen ganz brauchbaren Planeten. Baut lieber diese Maschinen’. Sie machen sich Sorgen um uns. Sie sehen, daß es mit uns bergab geht. Sie glauben, daß wir uns beeilen sollten, alles wieder in Ordnung zu bringen. Und das denke ich auch. Wir müssen die Maschine bauen.“

Ellie wußte genau, was Drumlin zu dieser Argumentation gesagt hätte. Und obwohl vieles von dem, was Hadden gerade gesagt hatte, auf ihrer Wellenlänge lag, hatte auch sie diese betörenden, optimistischen Spekulationen über die Absichten der Wegianer satt. Sie wollte, daß das Projekt weitergeführt und die Maschine fertiggestellt und in Betrieb genommen wurde und daß das neue Zeitalter der Menschheitsgeschichte anbrach. Ellie mißtraute noch immer ihren eigenen Motiven. Sie hielt sich sogar dann zurück, wenn in einer Diskussion ihr Name als der eines möglichen Mitglieds der Besatzung der Maschine fiel. So kam ihr die Verzögerung sehr zugute. Sie gewann Zeit, um mit ihren Problemen fertigzuwerden.

„Yamagishi wird mit uns zu Abend speisen. Er wird Ihnen gefallen. Aber wir machen uns etwas Sorgen um ihn. Er hält seine Sauerstoffversorgung nachts extrem niedrig.“

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Nun, je geringer der Sauerstoffgehalt der Luft ist, desto länger lebt man. Zumindest behaupten unsere Ärzte das. Deshalb kann hier jeder in seiner Wohnung den Sauerstoffgehalt der Luft nach Wunsch regulieren. Tagsüber können Sie kaum unter zwanzig Prozent kommen, sonst sind Sie ziemlich benebelt. Und es beeinträchtigt die Hirnfunktionen. Aber nachts, wenn man sowieso schläft, kann man den Sauerstoff ziemlich weit herunterdrehen. Obwohl es nicht ungefährlich ist. Man kann es auch übertreiben. Yamagishi ist jetzt bei vierzehn Prozent angekommen. Er will ewig leben. Als Folge davon ist er erst beim Mittagessen wieder klar im Kopf.“

„Ich war mein Leben lang auch bei zwanzig Prozent nicht klar im Kopf“, erwiderte Ellie lachend. „Jetzt experimentiert er mit nootropischen Drogen, um die Benebelung zu verhindern. Wie Piracetam, wissen Sie. Sie steigern auf jeden Fall das Erinnerungsvermögen. Ob Sie einen auch gescheiter machen, weiß ich nicht, obwohl man das behauptet. Deshalb nimmt Yamagishi furchtbar viele solcher Drogen und atmet nachts zu wenig Sauerstoff.“

„Sie meinen, er ist nicht ganz normal?“

„Normal? Das ist schwer zu sagen. Ich kenne nur wenige zweiundneunzigjährige hochkarätige Kriegsverbrecher.“

„Deshalb braucht man auch für jedes Experiment einen Maßstab, mit dem man die Ergebnisse vergleichen kann“, sagte Ellie. Hadden lächelte.

Trotz seines hohen Alters hatte Yamagishi noch immer die aufrechte Haltung, die er sich während seines langjährigen Dienstes bei der kaiserlichen Armee erworben hatte. Er war klein und hatte eine Glatze. Dazu einen auffallend weißen Schnurrbart, und auf seinem Gesicht lag ein scheinbar erstarrtes Lächeln.

„Ich bin hier wegen meiner Hüften“, erklärte er. „Ich weiß, daß viele wegen Krebs oder auf der Suche nach dem ewigen Leben hierher kommen. Aber ich bin wegen meiner Hüften hier. In meinem Alter brechen die Knochen sehr leicht. Baron Tsukuma starb an den Folgen eines Sturzes von seinem Futon auf seine Tatami. Er fiel nur einen halben Meter. Einen halben Meter, stellen Sie sich das vor. Und er brach sich die Knochen. In der Schwerelosigkeit brechen Hüften nicht.“ Das klang einleuchtend.

Trotz einiger gastronomischer Einschränkungen ging das Abendessen mit erstaunlicher Eleganz vor sich. Man hatte bestimmte Techniken entwickelt, die das Essen in der Schwerelosigkeit ermöglichten. Das Vorlegebesteck hatte klappbare Sperren und die Weingläser Deckel und Strohhalme. Nüsse und Cornflakes waren verboten. Yamagishi drängte Ellie den Kaviar regelrecht auf. Das sei eine der wenigen Speisen, erklärte er ihr, bei der die Einkaufskosten auf der Erde teurer waren als die Frachtkosten ins All. Daß einzelne Kaviareier zusammenhielten, war ein Glücksfall, dachte Ellie. Sie stellte sich vor, wie Tausende einzelner Eier im freien Fall die Gänge dieses erdumkreisenden Ruhesitzes verdunkeln würden. Plötzlich schoß ihr durch den Kopf, daß ihre Mutter ebenfalls in einem Altenheim lebte, aber natürlich in einem um Grade bescheideneren. Wenn sie sich an den Großen Seen orientierte, konnte sie jetzt von diesem Fenster aus auf den Ort deuten, wo ihre Mutter wohnte. Sie hatte Zeit, zwei Tage hier oben im Orbit mit dekadenten Milliardären zu verbringen, aber eine Viertelstunde für einen Telephonanruf bei ihrer Mutter hatte sie nicht erübrigen können. Sie nahm sich ganz fest vor, sofort nach der Landung in Cocoa Beach bei ihr anzurufen. Ein Anruf aus dem Orbit wäre für die Senioren des Altenheims in Janesville, Wisconsin, sicher zuviel auf einmal gewesen. Yamagishi unterbrach ihre Gedanken, um ihr mitzuteilen, daß er der älteste Mensch sei, der je im Weltraum gelebt hatte. Sogar der frühere chinesische stellvertretende Ministerpräsident war jünger. Er zog sein Jackett aus, krempelte den rechten Ärmel hoch, spannte seinen Bizeps und forderte Ellie auf, seine Muskeln zu fühlen. Dann erzählte er ihr ausführlich und lebendig von den guten Werken, an denen er maßgeblich beteiligt gewesen war. Ellie versuchte höflich, Konversation zu machen: „Es ist sehr gemütlich und ruhig hier oben. Sie genießen Ihren Ruhestand sicher sehr.“

Sie hatte diese verbindliche Bemerkung an Yamagishi gerichtet, aber Hadden antwortete ihr. „Es ist nicht immer so ruhig. Hin und wieder kommt es zu einer Krise, und dann müssen wir schnell in Aktion treten.“

„Sonnenwind, zum Beipiel. Der ist ganz übel. Macht einen steril“, warf Yamagishi ein.

„Jawohl. Wenn ein stärkerer Sonnenwind von unserem Teleskop registriert wird, dann haben wir noch drei Tage Zeit, bevor die geladenen Teilchen auf das Schloß treffen. Deshalb müssen Dauerbewohner wie Yamagishi-san und ich in den Sturmbunker. Der ist spartanisch und eng. Aber er hat ausreichend starke Schutzschilder gegen die Strahlung. Natürlich gibt es noch eine gewisse Sekundärstrahlung. Aber das Problem ist, daß alle Leute, die nur vorübergehend hier wohnen oder zu Besuch sind, innerhalb dieser drei Tage abreisen müssen. Solch ein Notfall kann die Linientransportgesellschaften auf eine harte Probe stellen. Manchmal müssen wir die NASA oder die Sowjets bitten, einzuspringen. Sie können sich nicht vorstellen, wen man hier alles bei so einem Sonnenwindalarm aufschreckt — Mafiabosse, Chefs von Nachrichtendiensten, schöne Männer und Frauen.“

„Ich kann einfach das Gefühl nicht loswerden, daß Sex zu den beliebtesten Importartikeln von der Erde gehört. Ist das richtig?“ fragte Ellie etwas widerstrebend. „O ja, das stimmt. Dafür gibt es viele Gründe. Die Kundschaft, die Lage. Aber der Hauptgrund ist die Schwerelosigkeit. In der Schwerelosigkeit kann man noch mit achtzig Sachen machen, die man nicht einmal mit zwanzig für möglich gehalten hätte. Sie sollten mal einen Urlaub hier oben verbringen — mit Ihrem Freund. Sie sind hiermit herzlich eingeladen.“

„Mit neunzig“, sagte Yamagishi. „Wie bitte?“

„Man kann mit neunzig Jahren Sachen machen, von denen man mit zwanzig nicht geträumt hätte, pflegt Yamagishi-san zu sagen. Darum ist hier der Andrang auch so groß.“ Hadden nahm einen Schluck Kaffee und kehrte zum Thema Maschine zurück.

„Yamagishi-san, ich und noch einige weitere Leute sind Geschäftspartner. Er ist der Ehrenpräsident im Aufsichtsrat des Yamagishi-Konzerns. Wie Sie sicher wissen, ist dieser Konzern der Hauptvertragspartner für die Bauelementetests, die auf Hokkaido durchgeführt werden. Vergegenwärtigen Sie sich jetzt bitte unser Problem. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir haben drei große Kugelschalen, die ineinander gefügt sind. Sie sind aus einer Niobiumlegierung hergestellt. Merkwürdige Muster sind in sie eingeritzt, und sie sollen sich offenbar in einem Vakuum um Achsen drehen, die jeweils im rechten Winkel zueinander stehen. Die Schalen heißen Benzel. Das wissen Sie natürlich alles. Was passiert, wenn Sie ein maßstabgetreues Modell der drei Benzel bauen und sie sehr schnell drehen? Was passiert? Alle klugen Physiker glauben, daß nichts passiert. Aber natürlich hat keiner den Versuch durchgeführt. Genau diesen Versuch. Deshalb kann es auch keiner wirklich wissen. Nehmen wir einmal an, es geschieht etwas, wenn die Maschine aktiviert wird. Hängt es von der Geschwindigkeit der Umdrehungen ab? Hängt es mit dem Aufbau der Benzel zusammen? Oder den darin eingeschnittenen Mustern? Ist es eine Frage der Größe? Aus diesem Grund sind wir dabei, die Benzel nachzubauen und auszuprobieren — sowohl bei maßstabgetreuen Kleinmodellen als auch bei Nachbildungen in Originalgröße. Wir wollen unsere Ausführungen der Benzel drehen lassen und sie später dann mit den anderen Bauteilen der beiden Maschinen zusammenmontieren. Angenommen, es passiert nichts. Dann bauen wir eines nach dem anderen die weiteren Bauelemente ein. Wir schließen sie alle an, eine kleine Systemintegration in jedem Montageabschnitt. Und dann auf einmal, wenn wir gerade einen Baustein anschließen, der gar nicht mal der letzte zu sein braucht, tut die Maschine vielleicht etwas, womit wir überhaupt nicht gerechnet haben. Wir versuchen also herauszufinden, wie die Maschine funktioniert. Verstehen Sie, worauf ich hinaus will?“

„Wollen Sie damit sagen, daß Sie in Japan eine identische Kopie der Maschine zusammenbauen?“

„Es ist ja nicht wirklich ein Geheimnis. Wir haben nur die einzelnen Bausteine analysiert. Keiner hat gesagt, daß wir immer nur einen auf einmal testen sollten. Yamagishi-san und ich schlagen also folgendes vor: Wir ändern den Zeitplan für die Experimente auf Hokkaido. Wir montieren die Maschine jetzt sofort zusammen. Und wenn alles gutgeht, dann verschieben wir die Einzelanalyse der Bauelemente auf später. Das Geld steht jedenfalls zur Verfügung. Es wird Monate, vielleicht sogar Jahre dauern, bis die Amerikaner wieder soweit sind, wie sie waren. Und wir glauben nicht, daß die Russen bis dahin überhaupt fertig werden. Japan ist die einzige Alternative. Man muß es ja nicht groß an die Glocke hängen. Und man braucht auch nicht zu entscheiden, ob man die Maschine gleich aktivieren will. Wir testen nur die Komponenten.“

„Können Sie beide so eine Entscheidung allein treffen?“

„Selbstverständlich, das liegt durchaus in unserer Kompetenz. Wir brauchen ungefähr sechs Monate, um das Stadium zu erreichen, in dem sich die Konstruktion der Maschine in Wyoming befand. Wir müssen selbstverständlich noch mehr Sicherheitsmaßnahmen gegen Sabotage ergreifen. Aber wenn die Bauteile in Ordnung sind, dann wird auch die Maschine in Ordnung sein, meine ich. Außerdem ist Hokkaido von außen nicht ganz leicht zu erreichen. Wenn dann alles überprüft und startbereit ist, können wir das Weltkonsortium fragen, ob sie dieser Maschine eine Chance geben wollen. Wenn die Besatzung damit einverstanden ist, dann garantiere ich Ihnen, daß das Konsortium mitzieht. Oder was glauben Sie, Yamagishi-san?“

Yamagishi hatte die Frage nicht gehört. Er summte leise das Lied vom „Freien Fall“ vor sich hin. Das war ein bekannter Schlager über die Freuden des Orbit. An die letzte Strophe könne er sich nur unvollständig erinnern, erklärte er, als Hadden die Frage wiederholte.

Hadden fuhr in aller Ruhe fort: „Einige Bauteile werden also schon einmal gedreht worden sein, oder jemand hat sie fallen lassen oder sonst etwas. Aber auf jeden Fall müssen sie die vorgeschriebenen Tests bestehen. Ich nehme nicht an, daß Sie das abschreckt. Sie persönlich, meine ich.“

„Mich persönlich? Wie kommen Sie auf die Idee, daß ich mit dabei sein werde? Erstens hat mich bisher noch niemand gefragt, und dann gibt es da noch eine ganze Reihe anderer Faktoren.“

„Aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, daß das Auswahlkomittee auf Sie zukommen wird. Und die Präsidentin wird zustimmen. Ganz begeistert sogar. Na, hören Sie mal“, sagte er mit einem Grinsen, „Sie wollen doch nicht Ihr ganzes Leben in der hintersten Provinz verbringen, oder?“ Über Skandinavien und der Nordsee hingen Wolken. Und den Ärmelkanal bedeckte ein feiner, fast durchsichtiger Nebelschleier.

„Ja, Sie fliegen“, sagte Yamagishi. Er war aufgestanden und hatte seine Hände steif an die Schenkel gelegt. Er verbeugte sich tief vor ihr.

„Im Namen meiner zweiundzwanzig Millionen Angestellten möchte ich Ihnen sagen, daß es mich gefreut hat, Sie kennenzulernen.“

Ellie wälzte sich in der kleinen Kabine, die man ihr zugewiesen hatte, unruhig im Schlaf. Die Kabine war an zwei Wänden festgemacht, damit sie in der Schwerelosigkeit nicht mit anderen Gegenständen zusammenstieß. Ellie wachte auf, als die anderen noch alle zu schlafen schienen. Sie hangelte sich von Haltegriff zu Haltegriff, bis sie vor dem riesigen Fenster stand. Das Schloß befand sich über der Nachtseite der Erde, die, bis auf ein Meer aus künstlichem Licht, in Finsternis gehüllt war. Als zwanzig Minuten später die Sonne aufgegangen war, hatte Ellie entschieden, daß sie, wenn man sie fragen sollte, mit Ja antworten würde. Unbemerkt war Hadden hinter sie getreten, sie zuckte zusammen.

„Es sieht wirklich großartig aus. Ich bin schon seit Jahren hier oben und finde die Aussicht immer noch großartig. Stört es Sie auch nicht, daß Sie sich in einem Raumschiff befinden? Wissen Sie, es gibt eine Erfahrung, die noch kein Mensch je gemacht hat. Stellen Sie sich vor, Sie stecken in einem Raumanzug. Es gibt weder ein Halteseil noch eine Raumfähre. Vielleicht liegt die Sonne gerade hinter Ihnen und Sie schwimmen in einem Meer aus Sternen. Vielleicht befindet sich die Erde oder ein anderer Planet gerade unter Ihnen. Saturn, von mir aus. Und Sie schweben durch das All, als wären Sie wirklich eins mit dem Kosmos. Die heutigen Raumanzüge sind so angenehm zu tragen, man kann Stunden darin im All verbringen. Das Raumschiff, dem Sie entstiegen sind, ist schon weit weg. Vielleicht trifft es in einer Stunde wieder mit Ihnen zusammen. Vielleicht auch nicht. Das Beste wäre, die Fähre käme gar nicht mehr zurück. Sie verbringen Ihre letzten Stunden in der Weite des Alls, umgeben von Sternen und anderen Welten. Wenn Sie eine unheilbare Krankheit hätten oder sich einfach zum Schluß noch einmal etwas Gutes tun wollen, was könnte das übertreffen?“

„Das ist doch nicht Ihr Ernst? Sie wollen dieses. Programm vermarkten?“

„Nun, für den Markt ist es noch zu früh. Vielleicht ist das auch nicht die richtige Vorgehensweise. Sagen wir so: Ich spiele erst mit dem Gedanken, ob man so etwas verwirklichen könnte.“

Ellie beschloß, Hadden nichts von ihrem Entschluß zu erzählen. Und er fragte sie auch nicht danach. Später, als die Narnia bereits an der Methusalem angelegt hatte, nahm Hadden sie beiseite.

„Sie haben doch gehört, daß Yamagishi der Älteste hier oben ist. Wenn man nur die Dauergäste zählt — nicht die Besatzung, Astronauten und kleinen Tänzerinnen —, dann bin ich der Jüngste. Vielleicht bin ich voreingenommen, aber es gibt im Ernst die medizinische Möglichkeit, daß die Schwerelosigkeit mich noch Jahrhunderte am Leben erhält. Sie müssen wissen, ich arbeite an einem Experiment, daß sich mit der Unsterblichkeit befaßt.

Ich habe das nicht gesagt, um damit anzugeben. Ich habe es aus ganz praktischen Gründen angesprochen. Wenn bereits wir Mittel und Wege finden, unsere Lebensdauer zu verlängern, stellen Sie sich einmal vor, zu was dann die Wesen auf der Wega in der Lage sind. Sie sind wahrscheinlich unsterblich, oder kurz davor. Ich bin ein praktischer Mensch und habe mir schon viele Gedanken über die Unsterblichkeit gemacht. Ich habe sicher schon länger und ernsthafter darüber nachgedacht als alle anderen Menschen. Und eines kann ich Ihnen versichern: Die Unsterblichen sind sehr vorsichtig. Sie überlassen nichts dem Zufall. Es hat sie zuviel Kraft gekostet, unsterblich zu werden. Ich weiß nicht, wie sie aussehen oder was sie von uns wollen. Aber wenn Sie sie je zu Gesicht bekommen sollten, dann kann ich Ihnen nur das eine sagen: Etwas, was Sie für eine todsichere Sache halten, ist für die Unsterblichen ein untragbares Risiko. Wenn es je zu Verhandlungen mit denen da oben kommt, denken Sie an meine Worte.“

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