19 Nackte Singularität

…zum Himmelreich hinan

in einem Sprunge dann.

Ralph Waldo Emerson

Merlin, Gedichte (1847)

Es ist nicht unmöglich, daß einem unendlich überlegenen Wesen das ganze Universum als eine Ebene erscheint, auf der die Entfernung zwischen zwei Planeten den Poren eines Sandkorns entspricht und der Abstand von System zu System nicht größer ist als der Zwischenraum zweier nebeneinanderliegender Sandkörner.

Samuel Taylor Coleridge

Omniania

Sie stürzten. Die fünfeckigen Flächen des Dodekaeders waren durchsichtig geworden. Ebenso das Dach und der Boden. Über und unter sich konnte Ellie das Filigran aus kohlenstoffgebundenem Silizium mit den darin eingelassenen Dübeln aus Erbium erkennen, die sich zu bewegen schienen. Alle drei Benzel waren verschwunden. Das Dodekaeder neigte sich nach vorn und raste durch einen langen, dunklen Tunnel, der eben breit genug war, um es hindurchzulassen. Die Beschleunigung schien ungefähr bei einem g zu liegen. Das hatte zur Folge, daß Ellie, die mit dem Gesicht nach vorn saß, rückwärts in ihren Sessel gedrückt wurde, während Devi auf dem Platz ihr gegenüber in der Taille leicht nach vorn geknickt dasaß. Vielleicht hätten sie doch Sicherheitsgurte einbauen sollen.

Fast automatisch drängte sich der Gedanke auf, sie hätten die Erdkruste durchstoßen und würden sich jetzt auf den Kern aus geschmolzenem Eisen zubewegen. Oder vielleicht flogen sie auch geradewegs in die. Ellie versuchte sich vorzustellen, dieses unbegreifliche Beförderungsmittel sei die Fähre über den Styx.

Die Tunnelwände hatten eine Struktur, an der sie ihre Geschwindigkeit ermessen konnte. Sie trugen ein Muster aus unregelmäßigen, abgerundeten Flecken ohne genau bestimmbare Form. Das Aussehen der Wände war nicht bemerkenswert, wohl aber deren Eigenschaften. Schon wenige hundert Kilometer unter der Erdoberfläche hätte das Gestein rotglühend sein müssen. Dafür gab es jedoch nicht das kleinste Anzeichen. Keine Unterteufel regelten den Verkehr.

Hin und wieder streifte eine vorstehende Ecke des Dodekaeders die Wand. Dadurch wurde ein unbekanntes Material in Flocken abgekratzt. Dem Dodekaeder selbst schien das nicht zu schaden. Schon bald flog eine ganze Wolke feiner Teilchen hinter ihm her. Jedesmal, wenn das Dodekaeder die Wand berührte, konnte Ellie eine Schwingung spüren, so als ob etwas Weiches nachgäbe, um den Aufprall zu mildern. Das schwache, gelbe Licht war diffus und gleichmäßig. Gelegentlich verlief der Tunnel in einer sanften Biegung. Dann folgte das Dodekaeder der Kurvenführung gehorsam. So weit sie sehen konnte, kam ihnen nichts entgegen. Bei dieser Geschwindigkeit hätte sogar der Zusammenstoß mit einem Spatzen zu einer verheerenden Explosion geführt. Und wenn das nun ein endloser Sturz in einen bodenlosen Schacht war? Sie konnte die Furcht geradezu körperlich in der Magengrube spüren. Sie versuchte, an nichts zu denken. Schwarzes Loch, dachte sie. Schwarzes Loch. Ich falle durch den Ereignishorizont eines Schwarzen Loches in die gefürchtete Singularität. Oder vielleicht ist das gar kein Schwarzes Loch, und ich falle in eine nackte Singularität. So nannten es die Physiker, nackte Singularität. In der Nähe einer Singularität konnte die Kausalität vertauscht sein, Wirkungen konnten vor ihren Ursachen eintreten, die Zeit konnte rückwärts vergehen, und ein Überleben war unwahrscheinlich, ganz zu schweigen von einer Erinnerung an das Erlebte. Im Fall eines rotierenden Schwarzen Loches, kramte sie aus ihrer Erinnerung an Jahre zuvor Gelerntes hervor, galt es, nicht eine punkt—, sondern eine ringförmige Singularität zu vermeiden, oder sogar etwas noch Komplexeres. Schwarze Löcher waren garstig. Ihre von Gezeiten abhängige Schwerkraft war so stark, daß jeder, der unvorsichtig genug war hineinzufallen, zu einem langen, dünnen Faden gedehnt wurde. Zusätzlich wurde man von der Seite her zerdrückt. Glücklicherweise gab es dafür gegenwärtig keinerlei Anzeichen. Durch die grauen, durchsichtigen Flächen, zu denen Decke und Boden geworden waren, konnte sie einen Strudel von Aktivität und Bewegung sehen. Die Matrix aus kohlenstoffgebundenem Silizium fiel an einigen Stellen in sich zusammen und öffnete sich an anderen. Die darin eingelassenen Dübel aus Erbium ruckten und drehten sich. Aber im Innern des Dodekaeders — Ellie selbst und ihre Begleiter eingeschlossen — sah alles ganz gewöhnlich aus. Gut, vielleicht waren sie ein wenig aufgeregt. Aber noch waren sie keine langen, dünnen Fäden. Sie wußte, daß das sinnlose Grübeleien waren. Die Physik der Schwarzen Löcher war nicht ihr Gebiet. Aber trotzdem konnte sie nicht verstehen, wie das hier überhaupt etwas mit Schwarzen Löchern zu tun haben konnte. Schwarze Löcher waren entweder primordial — sie hatten sich bei der Entstehung des Universums gebildet — oder sie waren zu einem späteren Zeitpunkt entstanden, wenn ein Stern in sich zusammenfiel, dessen Masse größer als die der Sonne war. Im letzteren Fall war die Schwerkraft des Sterns so stark, daß — von einzelnen Photonen abgesehen, die den Stern aufgrund des Quanteneffekts verlassen konnten — nicht einmal Licht von ihm abstrahlen konnte, obwohl sein Gravitationsfeld bestehen blieb. Daher „schwarz“ und daher „Loch“. Aber sie hatten keinen Stern zum Kollabieren gebracht, und Ellie konnte sich nicht vorstellen, daß sie ein primordiales Schwarzes Loch erwischt hatten. Trotzdem, niemand wußte, wo das nächste primordiale Schwarze Loch versteckt sein mochte. Sie hatten nur die Maschine gebaut und die Benzel aufgedreht. Ellie warf einen Blick zu Eda hinüber, der auf einem kleinen Computer etwas ausrechnete. Durch die Resonanz in ihren Knochen konnte sie jedes Mal, wenn das Dodekaeder die Wand streifte, ein dumpfes Dröhnen gleichzeitig spüren und hören. Sie erhob die Stimme, damit er sie hörte. „Verstehst du, was hier vorgeht?“

„Überhaupt nicht“, schrie er zurück, „Ich kann fast schon beweisen, daß das, was wir hier erleben, gar nicht sein kann. Kennst du die Boyer-Lindquist-Koordinaten?“

„Leider nein.“

„Ich erkläre sie dir später.“

Sie war froh darüber, daß er offensichtlich glaubte, es würde ein „Später“ geben.

Ellie spürte die Verzögerung, bevor sie sie sehen konnte. Es war, als ob sie auf der Achterbahn die Schiene nach unten gerast wären, die Talsohle erreicht hätten und jetzt langsam nach oben stiegen. Unmittelbar bevor die Verzögerung einsetzte, war der Tunnel in einer komplexen Abfolge von plötzlichen Kehren und Windungen verlaufen. Es gab keine wahrnehmbare Veränderung in der Farbe oder Helligkeit des sie umgebenden Lichts. Sie nahm die Kamera zur Hand, stellte das Teleobjektiv ein und blickte so weit nach vorn, wie es ihr möglich war. Sie konnte nur bis zur nächsten Krümmung des gewundenen Tunnels sehen. In der Vergrößerung wirkte die Struktur der Wand kompliziert und unregelmäßig. Einmal meinte Ellie, ein schwaches Leuchten der Wand wahrzunehmen.

Das Dodekaeder hatte seinen Flug auf Kriechgeschwindigkeit verlangsamt, jedenfalls schien es so im Vergleich zu vorher. Ein Ende des Tunnels war nicht in Sicht. Ellie fragte sich, ob sie jemals ankommen würden, wo auch immer sie hinflogen. Vielleicht hatten sich die Konstrukteure verrechnet. Vielleicht hatte man beim Bau der Maschine einen Fehler gemacht, nur einen ganz kleinen Fehler. Vielleicht würde etwas, das in Hokkaido als kleine technische Unvollkommenheit galt, das Scheitern ihrer Mission bedeuten, hier in. wo auch immer. Oder, dachte sie mit einem Blick auf die Wolke kleiner Teilchen, die ihnen folgte und sie gelegentlich überholte, vielleicht waren sie einmal zu oft an die Wände gestoßen und hatten mehr an Impuls verloren, als der Plan vorsah. Der Zwischenraum zwischen dem Dodekaeder und den Wänden schien jetzt sehr gering. Vielleicht würden sie in diesem Nirgendwo steckenbleiben und so lange schmachten, bis ihnen der Sauerstoff ausging. War es möglich, daß sich die Wegianer all die Mühe gemacht und dabei vergessen hatten, daß Menschen atmen mußten? Hatten sie all die schreienden Nazis nicht bemerkt?

Waygay und Eda hatten sich in das Mysterium der Gravitationsphysik vertieft — in zeitähnliche Killing-Vektoren, die Nicht-Abelschen-Eichfeld-Invarianzen, die geodätische Re-fokusierung und die elfdimensionaie Kaluza-Klein- Abhandlung zur Supergravitation. Und natürlich Edas eigene,

davon völlig verschiedene Weltformel. Man konnte auf den ersten Blick sehen, daß die beiden Physiker mit ihrer Erklärung noch nicht weit gekommen waren. Aber Ellie war zuversichtlich, daß sie in den nächsten Stunden mit dem Problem ein gutes Stück weiterkommen würden. Die Weltformel umfaßte tatsächlich das ganze Spektrum und alle Aspekte der auf Erden bekannten Physik. Es war kaum anzunehmen, daß dieser. Tunnel nicht selbst eine bisher unbekannte Auflösung der Edaschen Feldgleichung war. Waygay fragte: „Hat jemand eine nackte Singularität gesehen?“

„Ich weiß nicht, wie so etwas aussieht“, erwiderte Devi. „Entschuldigung. Wahrscheinlich wäre sie nicht nackt. Habt ihr irgendeine Umkehrung der Kausalität bemerkt, irgend etwas Phantastisches — etwas wirklich Verrücktes — vielleicht, daß ihr daran gedacht habt, wie etwas wie Rührei sich wieder zu Eiweiß und Dotter zusammensetzt.?“ Devi schaute Waygay unter gesenkten Lidern hervor an. „Ist schon in Ordnung“, warf Ellie rasch ein. Waygay war ein bißchen aufgeregt, dachte sie bei sich. „Das sind ernstgemeinte Fragen, die sich auf Schwarze Löcher beziehen. Sie klingen nur verrückt.“

„Nein“, antwortete Devi langsam, „es war nur die Formulierung der Frage.“ Aber dann hellte sich ihre Miene auf. „Übrigens war es bisher eine wunderschöne Fahrt.“ Alle stimmten zu. Waygay fühlte sich ermutigt.

„Das ist ein recht starkes Beispiel für kosmische Zensur“, sagte er. „Singularitäten sind sogar in Schwarzen Löchern unsichtbar.“

„Waygay macht nur Spaß“, fügte Eda hinzu. „Wenn man erst einmal innerhalb des Ereignishorizonts ist, gibt es keine Möglichkeit, der Singularität eines Schwarzen Loches zu entkommen.“

Trotz Ellies beruhigender Worte schaute Devi zweifelnd zu Waygay und Eda hinüber. Physiker mußten Worte und Ausdrücke für Vorstellungen erfinden, die weitab von der Alltagserfahrung lagen. Es war ihre Art, reine Neuschöpfungen zu vermeiden und sich statt dessen, wie schwach auch immer, an ein analoges Wort der Alltagssprache anzulehnen. Eine andere Möglichkeit war es, den Entdeckungen und Gleichungen die eigenen Namen zu geben. Das wurde auch getan. Aber wenn Devi jetzt nicht gewußt hätte, daß Waygay und Eda über Physik sprachen, hätte sie sich Sorgen gemacht.

Ellie stand auf, um zu Devi hinüberzugehen, aber im gleichen Augenblick ließ Xi sie alle mit einem Schrei zusammenfahren. Die Wände des Tunnels bewegten sich wellenförmig. Sie umschlossen das Dodekaeder und preßten es vorwärts. Ein angenehmer Rhythmus kam zustande. Jedesmal, wenn das Dodekaeder fast zum Stillstand kam, bekam es erneut Druck von den Wänden. Ellie spürte eine leichte Übelkeit von der Bewegung in sich aufsteigen. An manchen Stellen ging es nur mühsam voran, die Wände arbeiteten schwer, Wellen von Kontraktionen und Expansionen liefen den Tunnel entlang. An anderen Stellen, vor allem in den Geraden, glitten sie leichter dahin.

In weiter Entfernung konnte Ellie einen schwachen Lichtpunkt erkennen, der langsam stärker wurde. Ein bläulichweißer Schein begann das Innere des Dodekaeders zu durchfluten. Sie konnte sehen, wie er von den schwarzen Erbiumzylindern abstrahlte, die jetzt fast stillstanden. Obwohl die Reise nur zehn oder fünfzehn Minuten gedauert zu haben schien, war der Kontrast zwischen dem gedämpften, schwachen Licht ihrer Umgebung während des größten Teils der Reise und dem immer heller werdenden Leuchten vor ihnen auffallend. Sie rasten darauf zu, schossen den Tunnel hinauf und wurden dann, wie es schien, in den gewöhnlichen Weltraum hinausgeschleudert. Vor ihnen stand, beunruhigend nahe, eine riesige, bläulichweiße Sonne. Ellie wußte sofort, daß es die Wega war.

Sie zögerte, durch das Teleobjektiv direkt in die Wega hineinzuschauen. Sogar direkt in die Sonne zu schauen, wäre verwegen gewesen, die doch ein viel kühlerer und dunklerer Stern war. Aber sie holte ein Stück weißes Papier hervor und hielt es so, daß es sich auf der Ebene des Brennpunkts des Teleobjektivs befand und sich der Stern hell darauf abbildete. Sie meinte, zwei große Gruppen von Sonnenflecken zu erkennen und schwache Schatten, möglicherweise von den Gesteinsbrocken der Ringebene. Sie legte die Kamera weg und hielt die Hand mit gestrecktem Arm so von sich weg, daß sie die Scheibe der Wega gerade bedeckte. Auf diese Weise bekam sie eine hell über den Stern hinauslodernde Corona zu sehen. Zuvor war sie unsichtbar gewesen, vom Leuchten der Wega überstrahlt.

Immer noch mit ausgestreckter Hand musterte sie den Schuttring, der den Stern umgab. Die Beschaffenheit des Wegasystems war der Gegenstand weltweiter Diskussionen gewesen, seit die Primzahlen-BOTSCHAFT empfangen worden war. Ellie hoffte, keinen schwerwiegenden Fehler zu begehen, wenn sie jetzt im Namen der astronomisch interessierten Bevölkerung des Planeten Erde handelte. Sie machte mit unterschiedlichen Einstellungen von Belichtung und Aufnahmegeschwindigkeit eine Reihe von Videoaufnahmen. Sie waren in einem trümmerfreien Raum fast auf der Ringebene aufgetaucht, der den gesamten Stern umgab. Im Vergleich zu seiner riesigen seitlichen Ausdehnung war der Ring extrem dünn. Innerhalb der einzelnen Ringe konnte sie kleine Farbabstufungen erkennen, jedoch keines der einzelnen Teilchen, aus denen sie bestanden. Wenn sie den Ringen des Saturn überhaupt ähnelten, dann war ein Teilchen von einigen Metern Durchmesser bereits riesengroß. Vielleicht setzten sich die Ringe der Wega ausschließlich aus Staubkörnchen, Felsbrocken und Eissplittern zusammen. Ellie drehte sich um und schaute zu der Stelle zurück, an der sie aufgetaucht waren. Sie sah ein schwarzes Feld — ein schwarzes, rundes Loch, schwärzer als Samt und schwärzer als der Nachthimmel. Die Schwärze verdunkelte den vom Stern abgewandten Teil des Ringsystems der Wega, das dort, wo es nicht von dieser düsteren Erscheinung verdunkelt war, deutlich zu sehen war. Als sie durch das Objektiv genauer hinschaute, meinte sie, schwache, unregelmäßige Lichtblitze zu sehen, die genau vom Zentrum des Loches ausgingen. Hawkingsche Strahlung? Nein, ihre Wellenlänge wäre viel zu lang. Oder Licht vom Planeten Erde, das immer noch durch den Tunnel strömte? Auf der anderen Seite dieser Schwärze lag Hokkaido.

Planeten. Wo waren die Planeten? Sie suchte die Ringebene mit dem Teleobjektiv ab, sie forschte nach darin liegenden Planeten — oder zumindest nach der Heimat der Wesen, die die BOTSCHAFT gesendet hatten. In jeder Lücke der Ringe suchte sie nach einer lenkenden Welt, deren Gravitationswirkung den Staub von den Schneisen entfernt hatte. Aber sie konnte nichts finden. „Du findest keine Planeten?“ fragte Xi. „Nichts. Ganz in der Nähe sind ein paar große Kometen. Ich kann ihre Schweife sehen. Aber nichts, das wie ein Planet aussieht. Es müssen Tausende von einzelnen Ringen sein. Soweit ich sehen kann, bestehen sie alle aus Schutt. Das Schwarze Loch scheint eine große Lücke in die Ringe gerissen zu haben. Genau da sind wir jetzt, wir umkreisen langsam die Wega. Das System ist noch sehr jung, erst ein paar hundert Millionen Jahre alt, und einige Astronomen meinen, es sei zu jung, als daß es schon Planeten geben könnte. Aber woher kamen dann die Übertragungen?“

„Vielleicht ist es gar nicht die Wega“, schlug Waygay vor. „Vielleicht kommt unser Radiosignal von der Wega, aber der Tunnel führt zu einem anderen Sternensystem.“

„Vielleicht, aber es ist ein komischer Zufall, daß dein anderer Stern die gleiche Farbtemperatur wie die Wega hat — schau hier, er ist bläulich — und ein gleichartiges Ringsystem aus Schutt. Es stimmt schon, ich kann das nicht an den anderen Sternbildern überprüfen, weil es zu hell ist. Aber ich würde trotzdem zehn zu eins wetten, daß dies die Wega ist.“

„Aber wo sind dann die, die uns die BOTSCHAFT geschickt haben?“ fragte Devi.

Xi, der scharfe Augen hatte, starrte nach oben — durch die Matrix aus kohlenstoffgebundenem Silizium und die durchsichtigen fünfeckigen Scheiben starrte er in den Himmel über der Ringebene. Er sagte nichts, und Ellie folgte seinem Blick. Dort war tatsächlich etwas. Es glänzte im Sonnenlicht und hatte eine erkennbar eckige Form. Sie schaute durch das Teleobjektiv. Es handelte sich um ein riesiges, unregelmäßiges Polyeder, auf dessen Flächen sich jeweils. eine Art Kreis befand? Eine Scheibe? Oder Mulde? Eine Höhlung? „Hier, Qiaomu, schau da durch und sage uns, was du siehst.“

„Aha! Wie auf der Erde. Radioteleskope! Tausende, nehme ich an, die in viele Richtungen zeigen. Aber es ist keine bewohnte Welt. Ich sehe nur technisches Gerät.“ Sie benutzten das Teleobjektiv abwechselnd. Ellie konnte kaum ihre Ungeduld zügeln, bis sie wieder an der Reihe war. Die grundsätzliche Bauart eines Radioteleskops war mehr oder weniger durch die physikalische Beschaffenheit der Radiowellen festgelegt, aber sie war doch enttäuscht darüber, daß eine Zivilisation, die fähig war, für eine Art hyperrelativistischen Transport Schwarze Löcher herzustellen oder auch nur zu benutzen, immer noch an ihrem Aussehen erkennbare Radioteleskope benutzte, wie groß ihre Reichweite auch sein mochte. Für Wegianer kam ihr das rückständig vor. phantasielos. Sie verstand, daß es von Vorteil war, die Teleskope auf einer polaren Umlaufbahn um den Stern zu halten. Hier waren sie nur zweimal pro Umdrehung der Gefahr einer Kollision mit Trümmern des Ringsystems ausgesetzt. Aber die Tausende von Radioteleskopen, die in alle Himmelsrichtungen wiesen, deuteten auf eine umfassende Überwachung des Himmels hin, auf einen gewissenhaften Argus. Unzählige in Frage kommende Welten wurden beobachtet, um Fernsehübertragungen, militärischen Radar und vielleicht andere Arten früher Radioübertragungen aufzufangen, die auf der Erde unbekannt waren. Fingen sie häufig solche Signale auf, oder war die Erde der erste Erfolg, den sie nach einer Million Jahre des Suchens gehabt hatten? Es gab keine Spur eines Empfangskomitees. War eine Abordnung aus der Provinz etwas so Unbedeutendes, daß niemand abgestellt worden war, ihre Ankunft auch nur zur Kenntnis zu nehmen?

Als sie das Objektiv wieder zurückbekam, stellte sie Schärfe, Belichtung und Belichtungsdauer sorgfältig neu ein. Sie wollte ein dauerhaftes Dokument, um der National Science Foundation zu zeigen, was wirklich ernsthafte Radioastronomie war. Sie wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, die Größe der polyedrischen Welt über ihnen zu bestimmen. Die Teleskope bedeckten die Welt wie Entenmuscheln einen Wal. In der Schwerelosigkeit konnte ein Radioteleskop im Grunde genommen jede beliebige Größe haben. Wenn die Bilder entwickelt waren, würde sie die Winkelgröße bestimmen können (vielleicht ein paar Bogenminuten), aber die lineare Größe, die wahren Abmessungen konnten nicht berechnet werden, wenn man nicht wußte, wie weit das Ding entfernt war. Trotzdem hatte sie den Eindruck, daß seine Größe gewaltig war.

„Wenn es hier keine Welten gibt“, sagte Xi, „dann gibt es auch keine Wegianer. Niemand lebt hier. Die Wega ist nur eine Wachstube, ein Ort, an dem sich die Grenzpatrouille die Hände wärmen kann.“

„Diese Radioteleskope“ — er blickte in die Höhe — „sind die Wach türme der Großen Mauer. Wenn einem durch die Lichtgeschwindigkeit Grenzen gesetzt sind, ist es schwierig, ein galaktisches Imperium zusammenzuhalten. Man befiehlt einer Garnison, eine Rebellion niederzuschlagen. Zehntausend Jahre später findet man dann heraus, was passiert ist. Das reicht nicht. Zu langsam. Also gesteht man den Garnisonskommandanten Autonomie zu. Dann gibt es kein Imperium mehr. Aber das“ — und nun deutete er auf den zurückbleibenden Fleck am Himmel hinter ihnen — „das sind die Straßen eines Imperiums, Rom hatte solche Straßen. China hatte sie auch. Damit sind die Grenzen der Lichtgeschwindigkeit aufgehoben. Mit Straßen kann man ein Imperium zusammenhalten.“

Aber Eda schüttelte gedankenverloren den Kopf. Er hatte die physikalische Grundlage noch nicht verstanden. Man konnte jetzt sehen, daß das Schwarze Loch, wenn es denn wirklich eines war, die Wega auf einer breiten Bahn, die völlig frei von Schutt war, umkreiste. Zwischen den inneren und den äußeren Ringen hatte es weiten Spielraum. Es war kaum zu glauben, wie schwarz es war. Während Ellie eine kurze Schwenkaufnahme des Schuttrings vor sich machte, überlegte sie sich, ob sich aus ihm eines Tages ein eigenes Planetensystem bilden würde, ob die Teilchen zusammenstoßen würden, sich miteinander verbinden, immer weiterwachsen und sich unter dem Einfluß der Gravitation verdichten würden, bis schließlich nur einige wenige, große Welten den Stern umkreisten. Das entsprach ziemlich genau dem Bild, das sich die Astronomen von der Entstehung der Planeten, die um die Sonne kreisten, machten. Ellie konnte jetzt auch Ungleichmäßigkeiten in den Ringen erkennen, Stellen mit sichtbaren Ausbuchtungen, wo sich offenbar Trümmerteile aneinander angelagert hatten.

Die Bewegung des Schwarzen Lochs um die Wega rief sichtbare Wellenbewegungen in den unmittelbar benachbarten Ringen hervor. Das Dodekaeder zog zweifellos ein bescheideneres Kielwasser nach sich. Sie fragte sich, ob diese Störungen der Gravitation, diese sich ausbreitenden Verdünnungen und Verdichtungen, langzeitige Folgewirkungen hatten — und ob sie den Verlauf der folgenden Planetenbildung verändern würden. Wenn das der Fall war, könnte die bloße Existenz eines Planeten Milliarden von Jahren in der Zukunft eine Folge des Schwarzen Lochs und der Maschine sein. und damit der BOTSCHAFT und des Projekts Argus. Sie wußte, daß sie es zu persönlich sah. Wenn sie nie gelebt hätte, hätte sicherlich früher oder später ein anderer Radioastronom die BOTSCHAFT empfangen. Die Maschine wäre zu einem anderen Zeitpunkt in Betrieb gesetzt worden, und das Dodekaeder hätte seinen Weg hierher in einer anderen Zeit gefunden. Aber jetzt verdankte ein zukünftiger Planet dieses Systems seine Existenz trotzdem ihr. Zum Ausgleich hatte sie freilich die Existenz einer anderen Welt ausgelöscht, die sich gebildet hätte, wenn sie nie gelebt hätte. Sie fand es bedrückend, durch ihre unschuldigen Handlungen für das Schicksal unbekannter Welten verantwortlich zu sein. Sie versuchte einen Kameraschwenk, der im Innern des Dodekaeders begann, dann über die Streben hinwegglitt, die die durchsichtigen fünfeckigen Scheiben miteinander verbanden, und fortgesetzt wurde bis zu der Lücke in den Schuttringen, in der sie zusammen mit dem Schwarzen Loch kreisten. Mit der Kamera folgte sie dem Verlauf der Lücke, die von zwei bläulichen Ringen begrenzt war, immer weiter. Dort oben war etwas Merkwürdiges, eine Art Biegung im benachbarten inneren Ring.

„Qiaomu“, sagte sie und reichte ihm das Teleobjektiv. „Schau dort hinüber. Sag mir, was du siehst.“

„Wo?“

Sie deutete noch einmal hinaus. Einen Augenblick später hatte er es gefunden. Sie merkte es an seinem kaum hörbaren, doch unmißverständlichen Einatmen. „Noch ein Schwarzes Loch“, sagte er. „Nur viel größer.“

Sie stürzten wieder. Diesmal war der Tunnel geräumiger, und sie kamen schneller voran.

„Ist das alles?“ hörte Ellie sich zu Devi hinüberrufen. „Die bringen uns zur Wega, um mit ihren Schwarzen Löchern anzugeben. Sie lassen uns aus tausend Kilometern Entfernung einen Blick auf ihre Radioteleskope werfen. Wir verbringen dort zehn Minuten, dann stecken sie uns in ein anderes Schwarzes Loch und schicken uns zurück zur Erde. Haben wir dafür zwei Billionen Dollar ausgegeben?“

„Vielleicht liegen wir falsch“, sagte Lunatscharski. „Vielleicht wollten sie sich nur an die Erde anschließen.“ Ellie stellte sich nächtliche Ausgrabungen unter den Toren Trojas vor.

Mit gespreizten Fingern machte Eda eine beruhigende Handbewegung. „Abwarten“, sagte er. „Das ist ein anderer Tunnel. Woher wißt ihr, daß er zur Erde zurückführt?“

„War die Wega etwa nicht unser Ziel?“ fragte Devi. „Machen wir die Probe. Laßt uns abwarten, wo wir als nächstes herauskommen.“

In diesem Tunnel stießen sie seltener an die Wände, und es gab weniger Wellenbewegungen. Eda und Waygay diskutierten über ein Raum-Zeit-Diagramm, daß sie in ein Kruskal-Szekeres-Koordinatenkreuz gezeichnet hatten. Ellie hatte keine Ahnung, wovon sie redeten. Das Stadium der Verzögerung, also der Teil ihrer Vorwärtsbewegung, der einem das Gefühl gab, als ob es bergauf ginge, verursachte ihr immer noch ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Dieses Mal war das Licht am Ende des Tunnels orangefarben. Sie erschienen mit beträchtlicher Geschwindigkeit im System eines Kontaktdoppelsterns, zweier sich berührender Sonnen. Die äußeren Schichten eines aufgedunsenen, älteren roten Riesensterns ergossen sich in den Lichtkreis eines kraftvollen Zwerges mittleren Alters, der der Sonne ziemlich ähnlich war. Die Kontaktzone zwischen den beiden Sternen war strahlend hell. Ellie suchte nach Ringen aus Schutt, Planeten oder kreisenden Radioobservatorien, konnte aber nichts finden. Das hatte nichts zu bedeuten, sagte sie sich. Es konnte sein, daß solche Systeme eine ganze Menge Planeten hatten, sie aber wegen ihres kleinen Teleobjektivs nie davon erfahren würde. Sie projizierte den Doppelstern auf das Stück Papier und photographierte das Abbild mit einem Objektiv kurzer Brennweite.

Weil keine Ringe vorhanden waren, gab es in diesem System weniger gestreutes Licht als im Bereich der Wega. Mit dem Weitwinkelobjektiv konnte sie nach einigem Suchen ein Sternbild erkennen, das dem Großen Wagen einigermaßen ähnlich sah. Aber es bereitete ihr Schwierigkeiten, die anderen Sternbilder zu erkennen. Weil die hellen Sterne im Großen Wagen mehrere hundert Lichtjahre von der Erde entfernt waren, schloß sie daraus, daß sie nur wenige hundert Lichtjahre weit gesprungen waren.

Sie teilte ihren Schluß Eda mit und fragte ihn, was er dazu meine.

„Was ich dazu meine? Ich glaube, wir sitzen in einer U- Bahn.“

„Eine U-Bahn?“

Sie erinnerte sich an das Gefühl zu stürzen, wie in die Tiefen der Hölle. So war es ihr einen Moment lang vorgekommen, unmittelbar nachdem die Maschine in Betrieb gesetzt worden war.

„Eine Metro. Eine Untergrundbahn. Das sind die Stationen. Die Haitestellen. Die Wega, dieses System hier und noch andere. An den Haltestellen steigen Passagiere ein und aus. Man steigt hier um.“

Er wies zu dem Kontaktdoppelstern hinüber, und sie bemerkte, daß seine Hand zwei Schatten warf, einen antigelben und einen antiroten. Ihr fiel nur ein Bild dazu ein: wie in einer Diskothek.

„Aber wir, wir können nicht aussteigen“, fuhr Eda fort. „Wir sitzen in einem verschlossenen Waggon. Wir fahren bis zur Endstation.“

Drumlin hatte derartige Spekulationen ins Reich der Phantasie verwiesen. Es war das erste Mal — so weit sie wußte —, daß Eda dieser Versuchung erlegen war.

Sie war die einzige an einem Observatorium angestellte Astronomin der Fünfergruppe, wenn auch die Optik nicht ihr Spezialgebiet war. Sie fühlte sich dafür verantwortlich, so viele Daten wie möglich zu sammeln — in den Tunneln und den gewöhnlichen vierdimensionalen Raum-Zeit-Gefügen, in denen sie in regelmäßigen Abständen auftauchten. Die mutmaßlichen Schwarzen Löcher, aus denen sie herauskamen, befanden sich immer in der Umlaufbahn um einen Stern oder ein Sternsystem. Die Löcher kamen immer paarweise vor, jeweils zwei von ihnen hatten eine ähnliche Umlaufbahn: dasjenige, aus dem sie herausgeschleudert wurden, und ein anderes, in das sie hineinfielen. Nicht zwei der Systeme ähnelten einander. Keines war dem Sonnensystem besonders ähnlich. Alle hielten aufschlußreiche astronomische Erkenntnisse bereit. In keinem einzigen gab es so etwas wie einen künstlich hergestellten Gegenstand zu sehen, kein zweites Dodekaeder und kein technisches Großprojekt, bei dem Welten auseinandergenommen und wieder zu etwas zusammengesetzt wurden, das Xi Produkt technischer Intelligenz nennen würde.

Gerade tauchten sie in der Nähe eines Sterns auf, der seine Helligkeit sichtbar veränderte (sie konnte das an der Veränderung der erforderlichen Belichtungseinstellung erkennen). Vielleicht handelte es sich um einen der Sterne aus dem Sternbild der Leier. Als nächstes kamen sie in ein Fünffachsystem. Dann zu einem schwach leuchtenden Braunen Zwerg. Manche Sterne befanden sich frei im Weltraum, andere waren von Nebelhüllen und glühenden Molekülwolken umgeben.

Sie erinnerte sich an die Warnung: „Das wird Ihnen im Paradies abgezogen.“ Von ihrem Anteil im Paradies gab es bisher noch nichts abzuziehen. Trotz ihrer bewußten Anstrengung, professionell die Ruhe zu bewahren, begann ihr Herz angesichts dieser Fülle von Sonnen schneller zu schlagen. Sie hoffte, daß jede einzelne davon die Heimat irgendwelcher Wesen war oder eines Tages sein würde. Aber nach dem vierten Sprung begann sie sich Sorgen zu machen. Ihrem Gefühl und ihrer Armbanduhr nach zu schließen, war etwa eine Stunde vergangen, seit sie Hokkaido verlassen hatten. Wenn ihre Reise noch viel länger dauerte, würde sich das Fehlen gewisser Annehmlichkeiten bemerkbar machen. Es gab wohl Aspekte der menschlichen Physiologie, die auch die fortgeschrittenste Zivilisation durch aufmerksames Fernsehen nicht erschließen konnte. Und Wenn die Außerirdischen so klug waren, warum ließen sie die Menschen dann so kleine Sprünge vollführen? Zugegeben, vielleicht mußte man für den Sprung von der Erde weg ein primitives Gerät benutzen, weil auf der der Erde zugewandten Seite des Tunnels die primitiven Bewohner der Erde arbeiteten. Aber hinter der Wega? Warum konnten sie das Dodekaeder nicht direkt dorthin springen lassen, wohin es unterwegs war?

Jedesmal, wenn sie aus einem Tunnel herausrasten, war sie voller Erwartung. Welches Wunder wartete als nächstes auf sie? Sie fühlte sich an einen raffinierten Vergnügungspark erinnert und stellte sich unwillkürlich vor, wie Hadden in dem Augenblick, in dem die Maschine gestartet war, mit seinem Teleskop auf Hokkaido heruntergeschaut hatte. So großartig die Panoramen auch waren, die ihnen die Absender der BOTSCHAFT boten, und so sehr sie es auch genoß, den anderen im Hochgefühl ihrer Kompetenz Aspekte der stellaren Entwicklung zu erklären, nach einiger Zeit war sie doch enttäuscht. Bald hatte sie den Grund für ihr Gefühl gefunden: Die Außerirdischen protzten. Das gehörte sich nicht. Es verriet Charakterschwäche. Als sie in einen weiteren Tunnel eintauchten, der diesmal breiter und gewundener als die anderen war, fragte Luna-tscharski Eda, warum seiner Meinung nach die U-Bahn-Haltestellen in so wenig vielversprechende Sternsysteme gelegt worden waren. „Warum nicht in die Nähe eines einzelnen Sterns, eines jungen, gesunden Sterns ohne Schuttringe?“

„Weil“, erwiderte Eda, „— aber ich rate jetzt nur, weil du mich danach fragst — weil all diese Systeme bewohnt sind.“

„Und sie nicht wollen, daß Touristen die Eingeborenen verschrecken“, vollendete Sukhavati den Satz lachend. Auch Eda mußte lachen. „Oder andersherum.“

„Aber das ist es doch, was du glaubst, oder? Daß es eine Art Ethik der Nichteinmischung gibt, was primitive Planeten betrifft. Sie wissen, daß manche der Primitiven hin und wieder die U-Bahn benützen könnten.“

„Und sie sind sich der Primitiven ziemlich sicher“, spann Ellie den Gedanken weiter. „Aber sie können nicht absolut sicher sein. Schließlich sind Primitive primitiv. Deshalb läßt man sie nur auf Strecken fahren, die in die hinterste Provinz führen. Die Erbauer müssen ein sehr vorsichtiges Volk sein. Aber warum haben sie uns dann einen Bummelzug geschickt und keinen Schnellzug?“

„Wahrscheinlich ist es zu schwierig, einen Schnellzugtunnel zu bauen“, sagte Xi, der jahrelange Erfahrung beim Graben von Tunneln hatte. Ellie dachte an den Tunnel zwischen Honshu und Hokkaido, der als ein Meisterstück der zivilen Ingenieurkunst galt mit seinen insgesamt einundfünfzig Kilometern Länge.

Es ging immer steiler auf und ab. Sie dachte an ihren Thunderbird, und dann hatte sie das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Sie beschloß, es so lange zu unterdrücken, wie sie nur konnte. Das Dodekaeder war nicht mit Spucktüten ausgerüstet.

Ganz plötzlich befanden sie sich auf einer Geraden, und dann war der Himmel voller Sterne. Überall, wohin sie auch schauten, waren Sterne. Nicht das armselige Gesprenkel der paar tausend Sterne, die die Beobachter auf der Erde gelegentlich immer noch mit bloßem Auge erkannten, sondern ein riesiges Meer von Sternen umgab sie auf allen Seiten. Oft schien es, als ob ein Stern den anderen berührte. Die meisten von ihnen waren gelb oder blau oder rot gefärbt, vor allem rot. Der Himmel strahlte vor in der Nähe liegenden Sonnen. Ellie konnte eine gewaltige Spiralwolke aus Staub erkennen, eine wachsende Scheibe, die anscheinend in ein Schwarzes Loch von schwindelerregenden Ausmaßen floß und aus der Strahlungsblitze schössen wie Wetterleuchten in einer Sommernacht. Wenn dies das Zentrum der Galaxis war, wie sie vermutete, mußte es von Synchrotronstrahlung überflutet sein. Sie hoffte, daß die Außerirdischen daran gedacht hatten,

wie empfindlich Menschen waren. Und als sich das Dodekaeder drehte, schwamm etwas in ihr Blickfeld. etwas Erstaunliches, Unerhörtes, ein Wunder. Fast im gleichen Moment waren sie über ihm. Es bedeckte die Hälfte des Himmels. Jetzt flogen sie darüber hinweg. Auf seiner Oberfläche befanden sich Hunderte, vielleicht Tausende beleuchteter Eingänge, jeder von einer anderen Form. Die meisten waren vieleckig oder kreisförmig oder hatten einen elliptischen Querschnitt, manche hatten vorstehende Teile oder eine Reihe sich teilweise überlappender Kreise ohne gemeinsamen Mittelpunkt. Ihr wurde klar, daß es sich um Anlegestellen handelte, um Tausende verschiedener Landebuchten. Manche maßen nur wenige Meter im Durchmesser, andere sicherlich mehrere Kilometer oder sogar noch mehr. Ellie vermutete, daß jede einzelne von ihnen einer interstellaren Maschine wie der ihren genau entsprach. Große Wesen in bedeutenden Maschinen hatten eindrucksvolle Ankunftshäfen. Kleine Wesen wie sie hatten winzige Landebuchten. Es war eine demokratische Einrichtung, bei der nichts auf besonders privilegierte Zivilisationen deutete. Die Verschiedenheit der Landestellen ließ kaum auf soziale Unterschiede zwischen den verschiedenen Zivilisationen schließen, aber sie ließ eine atemberaubende Vielgestaltigkeit von Wesen und Kulturen vermuten. Wie die Grand Central Station in Manhattan, dachte Ellie. Bei der Vorstellung von einer bevölkerten Galaxis, von einem Universum, das vor Leben und Intelligenz übersprudelte, kamen ihr fast vor Freude die Tränen. Sie näherten sich einer gelb erleuchteten Bucht, die, wie Ellie sehen konnte, genau zu dem Dodekaeder paßte, in dem sie flogen. Sie beobachtete, wie sich in der Landestelle daneben etwas, das die Größe des Dodekaeders und die Form eines Seesterns hatte, langsam in eine dazu passende Eingangsöffnung senkte. Sie schaute nach links und rechts,

nach oben und unten auf die kaum sichtbare Krümmung dieses großen Bahnhofs, der ihrer Schätzung nach in der Mitte der Milchstraße lag. Was war es doch für eine Bestätigung für die menschliche Rasse, endlich hierher eingeladen zu werden! Es gibt noch Hoffnung für uns, dachte sie. Es gibt Hoffnung! „Na, Bridgeport ist es jedenfalls nicht.“ Sie sagte das laut, während das Landemanöver in völliger Lautlosigkeit zu Ende ging.

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