Auf den verdreckten Straßen der Stadt herrschte reger Berufsverkehr. Die Fahrzeuge drängten sich Stoßstange an Stoßstange, auf den Bürgersteigen versuchten die Fußgänger, sich ihren Weg durch die Menschenmenge zu bahnen, um nach einem langen Arbeitstag endlich nach Hause zu kommen.
Tagsüber säumten kleine Marktstände die Fußwege und boten preiswertes Obst, Silberschmuck und grelle Kleidung an – Dinge eben, die von Touristen bevorzugt gekauft wurden. Aber mit Anbruch der Nacht änderte sich das Bild dieser Straße. Es wurde düster und unheilvoll. Die Stände mit ihren bunten Auslagen waren fort, an ihrer Stelle türmten sich Müllsäcke und Kisten mit verdorbenem Obst, das von den Händlern weggeworfen worden war. Sushi-Stände schossen dann wie Pilze aus dem Boden. In den Seitenstraßen eilten Geschäftsleute wieselgleich von Tür zu Tür, immer auf der Suche nach dem neuesten Pornofilm, auch wenn der sich durch nichts von hundert anderen seiner Art unterschied.
Jede Sorte Mensch war in diesem Schmelztiegel der Kulturen zu finden, von kichernden Mädchen, die sich wie Nutten auftakelten, bis hin zu alten Obdachlosen, die in den Mülltonnen nach weggeworfenem Fast Food suchten.
Das Leben in der Stadt war nicht immer glanzvoll, aber es hatte seine Vorteile.
Bequemlichkeit war einer dieser Vorteile.
Drei junge Vampire in modischer Skate-Punk-Kleidung saßen auf einem heruntergekommenen Bürogebäude und betrachteten die Menschenmenge unter ihnen auf die gleiche Weise, wie ein Verhungernder vor einem All-You-Can-Eat-Bufett stand. Ihre Gesichter waren hager und kantig, die Neonlichter der Stadt tauchten sie einen bunten, ständig wechselnden Schein.
Ihr Anführer, ein dürrer Vampir namens Squid, vollführte mit seinem verchromten Fahrrad mit dem bananenförmigen Sitz eine Reihe von gewagten Manövern und genoss die Nachtluft, die ihm ins Gesicht wehte. Nach ein paar weiteren Sprüngen und Drehungen kehrte er zu den anderen zurück, die schon seit über fünf Minuten dort saßen. Für Squid waren das fünf Minuten zu viel. Er kauerte sich neben sie und spähte über die schmutzige Dachkante, dann musste er blinzeln, als er direkt in den grellen Schein der Neonschrift gleich unter ihm blickte.
Er zeigte in die Menge, um die anderen zur Eile anzutreiben. „Wie wär’s mit dem da?“
Die Gang kicherte. „Keine Fettsäcke. Die schmecken wie Kartoffelchips.“
Flip, der jüngste aus der Gang, sprang auf einmal begeistert auf. „Was ist mit der drallen Tante da drüben?“
Squid sah in die Richtung, in die der andere zeigte, dann verzog er angewidert den Mund. Auf keinen Fall! Die Alte hatte so viel Make-up auf ihre Haut geschmiert, dass sie eine Woche brauchen würden, um eine Ader freizulegen. „Vergiss es, Mann!“
Das Trio begann schallend zu lachen, ihre diversen Piercings spiegelten das Neonlicht wider. Sie waren alle im Teenager-Alter und trugen die aktuellsten Tattoos und Frisuren, die von MTV inspiriert waren. Auf ihre eigene Weise waren sie alle ihr Leben lang Vampire gewesen.
Dingo, ein drahtiger Einzelgänger in einem ausgefransten Lost Boys-T-Shirt, meldete sich gereizt zu Wort. „Macht schon, sucht euch einen aus.“
„Da! Baby an Bord!“
Wie ein Mann drehte sich die Gang um und sah nach unten zu einer unscheinbar wirkenden Frau, die eine Babytrage umgebunden hatte. Sie schleppte sich mit mehreren Einkaufstaschen ab und setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Sie wirkte recht erschöpft.
Während die Vampire zusahen, schob die Frau das Baby ein Stück höher, dann verließ sie den Fußweg und bog in den erhöht liegenden Zugang zu einer Haltestelle ein.
Leichte Beute.
Dingo nickte und lächelte zustimmend, während er zu Flip gewandt einen Daumen in die Luft reckte. „Sieht aus, als hätten wir ein Essen mit Beilage.“
„Wenn du dir eine Beute ausgesucht hast, dann ist und bleibt sie deine Beute.“ Dingo sah zur Seite, wo der schlaksige Proof stand und ihn verrückt angrinste, während er begeistert auf der Stelle tänzelte. Dingo schüttelte den Kopf. Entweder war der Freak wieder auf Speed, oder er hatte Junkies verspeist. Dabei hatte er es ihm sicher tausend Mal gesagt…
Unten in der U-Bahnstation zog die junge Frau ihren Mantel enger um sich, als sie die Treppe zum Bahnsteig hinunterging. Ihr Name war Abigail, und sie war auf dem Heimweg. Als sie sich dem Bahnsteig näherte, ging sie etwas schneller, froh darüber, dass ein langer, harter Tag endlich vorüber war.
Der schlecht beleuchtete Bahnsteig hatte etwas Deprimierendes an sich. Graffiti im Manga-Stil überzogen den an der Wand festgemachten Fahrplan, und Abfall bedeckte den Gleiskörper wie eine Schneeschicht. Es stank nach Ammoniak. Über der Digitaluhr hing eine tote Taube im Drahtgeflecht der Decke. Sie hatte sich hoffnungslos in dem Maschendraht verfangen, ihre leeren Augenhöhlen schienen vorwurfsvoll nach unten zu blicken.
Abigail schauderte, während sie sich einen Platz suchte, um an diesem zugigen Ort die Wartezeit zu überbrücken. Die Station war menschenleer, was bedeutete, dass sie entweder früh dran war oder gerade eben eine Bahn verpasst hatte.
Typisch.
Abigail sah sich um und entdeckte eine Sitzbank. Sie trug ihre schweren Einkaufstaschen dorthin und setzte sich. Es war ohnehin schon kalt, doch die Bank – die aus Metall gefertigt war, um Penner abzuschrecken und Vandalen keine Chance zu geben – war so eisig, dass es Abigail so vorkam, als würde sie ihr die Körperwärme noch schneller entziehen. Sie wollte einfach nur noch nach Hause.
Abgesehen von der Kälte machte ihr auch der Hunger zu schaffen. Ihre Gedanken schweiften ab und gingen noch einmal die Ereignisse des abgelaufenen Tages durch. Die Arbeit war anstrengend gewesen, aber wenigstens hatte sie auf dem Weg zur Bahn auf dem Markt noch ein paar Pfand überreifer Tomaten günstig erstehen können, die sie für einen schönen heißen Eintopf verwenden konnte. Mit dieser Menge Tomaten würde sie einige Tage auskommen, und das war es wert, sie acht Blocks weit bis zur U-Bahn zu tragen.
Abigails Magen knurrte, als sie überlegte, was sie mit den Tomaten alles machen konnte. Vielleicht würde sie ein paar von ihnen aufschneiden, dazu ein paar Champignons und Zwiebeln, um einen großen Topf Pasta Mediterrana zuzubereiten, wie ihre Mutter ihn immer gemacht hatte. Aus den Resten ließ sich für morgen eine köstlich dicke Tomatensuppe kochen, die sie im Kühlschrank länger aufbewahren konnte, falls sie nicht alles schaffen sollte.
Anschließend würde sie heiß duschen, um den Geruch der Stadt aus ihren Haaren zu bekommen, dann würde sie früh zu Bett gehen, damit sie sich vom Stress der letzten Woche erholen konnte. Immerhin musste sie morgen wieder früh aufstehen, um…
Ein lautes Rascheln riss sie aus ihren Gedanken, sie blickte auf, doch es war niemand zu sehen.
Sie beugte sich auf ihrer Bank nach vorn, um bis zu den Säulen am Bahnsteigaufgang sehen zu können. Alles war menschenleer. Ihr schauderte ein wenig, und sie schob die Fingerspitzen unter die Nylongurte ihrer Babytrage, um sie ein Stück weiter auf ihren Schoß zu verlagern. Der elastische Gurt brachte sie noch um. Wo zum Teufel blieb bloß der Zug?
Ihr Blick ging zu der Digitaluhr, doch die war um zwölf Minuten nach Mitternacht stehen geblieben, die Neonanzeige für die Sekunden sprang immer wieder vor und zurück.
Sie stieß einen Seufzer aus.
Plötzlich zuckte Abigail zusammen, als sie in den Augenwinkel einen Schatten vorüberhuschen sah. Sie drehte den Kopf, doch der Schatten war so schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war.
Abigails Herz begann schneller zu schlagen, sie stand auf und drückte schützend die Babytrage enger an sich. Sie hätte schwören können, dass sich gerade eben jemand hinter dem Betonpfeiler unter der Uhr versteckt hatte. Während sie einen wachsamen Blick auf den Eingang zum Bahnsteig wahrte und ein Stück nach hinten zurückwich, versuchte sie gleichzeitig zu sehen, was sich hinter dem Pfeiler befand.
Da war niemand!
Sie versuchte, ihre Atmung unter Kontrolle zu bringen. Es gab keinen Grund, sich über etwas aufzuregen, das gar nicht da war. Vielleicht war es eine Taube gewesen. Manchmal schafften sie es bis auf den Bahnsteig, um dort zu brüten. Aber sie hatte kein Flügelschlagen gehört. Vielleicht bildete sie sich alles bloß ein.
Vielleicht aber auch nicht.
Abigail stieß keuchend die Luft aus, als sie hinter sich Schritte hörte, die schnell näher kamen. Sie wirbelte herum, aber auch diesmal war niemand da. Ein übelriechender Wind wehte durch die Station und trieb den Abfall vor sich her, der die Gleise bedeckte.
Stille.
Sie hatte genug. Sie nahm ihre Einkaufstaschen und wandte sich um, damit…
Abigail lief mit ihrer Drehung Dingo und Proof geradewegs in die Arme, die auf einmal dicht hinter ihr standen. Sie schnappte erschrocken nach Luft und starrte die zwei an, die nicht so aussahen, als wollten sie ihr helfen, die Einkaufstaschen zu tragen.
„Hey, hübsche Lady.“
„Hallo, scharfe Mama.“
Dingo und Proof grinsten sie breit an. Abigail bemerkte die spitzen Reißzähne der beiden und stieß einen Schrei aus.
Sie wich zurück und wirbelte herum, um in Richtung Ausgang zu rennen, doch Flick und Squid waren längst hinter dem Pfeiler hervorgekommen und versperrten Abigail den Weg.
Die beiden Vampire lachten begeistert, als sie mit ihnen zusammenstieß. Dann folgte eine rasche Bewegung, und im nächsten Moment hatten sie ihr die Babytrage vom Körper gezerrt, dann drängten sie sie rückwärts zu den beiden anderen Mitgliedern der Gang.
Dingo packte Abigail an den Haaren und trat ihr die Beine zur Seite weg, so dass die Frau auf den Bahnsteig stürzte. Er und Proof begannen, ihr die Kleidung vom Leib zu reißen, während sie lauthals grölten. Seit Tagen hatten sie sich nicht mehr so vergnügt, und so schnell sollte dieser Spaß nicht vorüber sein.
Dingo packte Abigails Bluse und zerfetzte sie mit einer flinken Bewegung. „Wenn es wehtut, Chica, dann schrei.“
Flick stand ein paar Schritte entfernt und gab einen hungrigen Laut von sich, während er das Baby aus der Trage hob. Speichel tropfte ihm aus dem Mundwinkel.
Er war so von dem Schauspiel gefesselt, was vor seinen Augen geschah, dass er einen Moment brauchte, um zu erkennen, was nicht stimmte. Das Baby in seinen Armen war viel zu leicht, und es bewegte sich nicht. Flick starrte es an, verstand aber nicht, was genau eigentlich los war.
Augenblick mal! Das war ja gar kein Baby!
Das war eine verdammte Plastikpuppe!
Flick hielt sie ins Licht und sah, dass mit schwarzem Stift FUCK YOU! quer über die Brust der Puppe geschrieben stand.
Was zum Teufel…?
Der Vampir war für ein paar Sekunden verwirrt, bis auf einmal das „Baby“ explodierte und ihn in eine Wolke konzentrierten, Übelkeit erregenden Gases hüllte.
Flick zuckte zurück und würgte. „Aaah! Das ist verdammter Knoblauch!“ Er schleuderte die Puppe zu Boden und begann, sich hastig sein bereits brennendes Gesicht abzuwischen.
Dingo und Proof hielten mitten in ihrem Angriff inne und blickten verwirrt auf.
Unter ihnen hörte Abigail auf, sich zu wehren, stattdessen wand sie sich lautlos und zog ein Knie bis vor die Brust. Ein leises Klicken war zu hören, dann glitt ein silberner Dorn mit Widerhaken aus der Stiefelspitze. Sie sah kurz auf ihre Armbanduhr, presste sich gegen den Boden, so fest es nur ging, und dann holte sie mit aller Kraft aus, um Proof den Dorn von unten ins Kinn zu jagen.
Mit einem entsetzten Kreischen ging der Vampir in Flammen auf, als das Silber durch tausend winzige Kapillargefäße in seinen Blutkreislauf eindrang, sich rasend schnell im ganzen Körper ausbreitete, der gleich darauf von blauen Flammen verzehrt wurde. Proof packte mit seinen brennenden Händen nach Abigails Stiefel und versuchte, den todbringenden Widerhaken aus seinem Kiefer zu ziehen.
Doch es war bereits zu spät. Proof sackte in sich zusammen, während sich die chemische Reaktion in seinem Körper fortpflanzte, seine inneren Organe auslöschte und die Verbindungen auflöste, die seine Knochen zusammenhielten. Der Körper zerfiel buchstäblich in sich, die Haut löste sich in großflächigen Schuppen ab, als das Fleisch darunter verkohlte, da das Silber ihn von innen heraus verbrannte. Sein rotglühendes Skelett zerplatzte in einen Ascheregen, der sich auf dem verdreckten Bahnsteig verteilte.
Dingo war in seiner Position erstarrt. Er konnte nicht glauben, was er sah. Ehe er reagieren konnte, schlang Abigail ihre Beine um die Unterschenkel des tätowierten Vampirs und zog sie ruckartig an sich.
Der Vampir fiel nach hinten und landete mit einem lauten Krachen auf dem Rücken. Er sah Abigail völlig schockiert an und war noch überraschter, als sie aufsprang und dabei den schweren Mantel und ihre Mütze abstreifte. Lange, glänzende Zöpfe kamen zum Vorschein und fielen ihr federnd auf die Schultern.
Dingo riss den Mund auf. Die Frau war keineswegs so unscheinbar, wie sie gedacht hatten.
Genaugenommen sah sie sogar ausgesprochen gut aus.
Abigail machte einen Schritt nach hinten und warf der Kreatur am Boden einen vernichtenden Blick zu.
Unwillkürlich wanderten Dingos Augen über das bemerkenswerte Waffenarsenal, das die Frau an ihrem geschmeidigen, muskulösen Körper untergebracht hatte. Dieser Anblick war an sich schon beunruhigend, doch der Ausdruck ihrer Augen war für den Vampir der größte Schock. Obwohl er bereits tot war, hatte Dingo das Gefühl, dass sich eine eisigkalte Hand um sein Herz legte und zudrückte.
Er bemerkte, wie die anderen ihn anstarrten, und schüttelte den ersten Schock ab. Die Frau war nur irgendein Miststück, nichts weiter. Sie hatte bloß Glück gehabt, das war alles. Er würde sie von einer Sekunde auf die nächste überwältigen.
Trotzig knurrend stand Dingo langsam auf.
Anscheinend ohne erst Luft zu holen, holte Abigail aus und trat ihm mit dem Stiefelabsatz, der eine Metallspitze aufwies, so heftig ins Gesicht, dass sie ihm das Nasenbein zerschmetterte. Während Dingo jaulte und sich sein verletztes Gesicht hielt, trat sie ein zweites Mal zu. Sein Kopf wurde nach hinten gerissen, und im gleichen Moment setzte ein Trommelfeuer aus Hieben ein, die Blut auf den Bahnsteig spritzen ließen.
Dingo sackte nach hinten auf den Boden, gleichzeitig erholten sich Flick und Squid vom ersten Schock. Sie stürmten auf Abigail zu, johlten und fletschten die Zähne. Squid griff als Erster an und nahm die Frau von hinten in einen eisernen Schwitzkasten. Er packte noch fester zu und bog ihren Kopf in der Absicht nach hinten, ihr das Genick zu brechen, als hätte er einen Zweig in der Hand. Abigail hatte damit aber gerechnet und beugte sich mit Schwung zur Seite, so dass sie sich aus dem Griff lösen und die Bewegung des Vampirs selbst dazu nutzen konnte, ihn nach hinten wegzuschleudern, wobei sie ihre Schulter als Achse einsetzte.
Squid wirbelte hoch, beschrieb eine volle Drehung um sich selbst, ehe er mit einem Aufschrei vor ihren Füßen landete. Abigail sah ihn an, erinnerte sich, was er und seine Freunde mit ihrer Bluse angestellt hatten, und trat ihn mit voller Wucht in den Schritt.
Während sich Squid stöhnend wie ein Embryo zusammenrollte, drehte sich Abigail um. Sie wehrte Flicks Angriff ab, indem sie ihm den Ellbogen in die Kehle rammte und ihm damit fast das Genick brach, da er sich noch in der Vorwärtsbewegung befunden hatte. Sofort drehte sie ihren Arm mit Schwung nach unten. Gleichzeitig aktivierte sie einen Mechanismus und ein silberner Katardolch, der an ihren Unterarm geschnallt war, sprang vor.
Squid sah, was sie in der Hand hatte, und gab ein sehr leises und sehr unmännliches Wimmern von sich. Einen Herzschlag später war er nur noch ein Häufchen Vampirasche, das unerlaubt den Bahnsteig verschmutzte.
Abigail nahm sich kaum Zeit, um von ihrem grausigen Werk Notiz zu nehmen, sondern griff hinter sich und zog aus einer ledernen Scheide auf ihrem Rücken ein halbmondförmiges Objekt hervor. Flick schlich sich an sie heran. Seine Augen blitzten angriffslustig und er stieß ein leises, kehliges Knurren aus. Abigail nahm keinerlei Notiz von ihm. Sie hielt das Objekt in der Mitte fest, wandte die geschwungenen Enden von sich ab und drehte an einer Scheibe, die im Mittelpunkt befestigt war.
Mit einem metallischen Geräusch sprang das Gerät auf und bildete mit einem Mal einen stählernen Bogen mit einem Durchmesser von fast einem Meter. Ein UV-Laserstrahl verband die beiden Enden miteinander. Er summte gefährlich wie ein Schwarm Killerbienen.
Als Flick sich auf sie stürzte, erhöhte Abigail die Leistung des Geräts und wartete seelenruhig, bis ihr Gegner sie erreichte. Ehe Flick seinen Ansturm bremsen konnte, hatte Abigail bereits ausgeholt und einen seiner Arme so mühelos abgetrennt, wie ein Förster einen Baumstamm von kleineren Zweigen befreite. Der Arm war noch nicht einmal am Boden aufgetroffen, da hatte Abigail bereits das Gerät dazu benutzt, um Flicks Torso mit tödlicher Präzision vom Unterleib zu trennen.
Flicks Oberkörper glitt zur Seite weg und verging in einer Feuersbrunst, das Gesicht in totalem Schock verzerrt, ehe er als Ascheregen auf dem Bahnsteig niederging. Einen Augenblick später tat sein Unterleib es ihm nach. Ein Windstoß erfasste die Reste und erzeugte einen wirbelnden Mahlstrom aus Funken.
Abigail betrachtete einen Moment lang das Schauspiel, während das flackernde Licht Schatten auf ihr Gesicht warf.
Dann wandte sie sich Dingo zu, der die kurze Verschnaufpause genutzt hatte, um die Flucht zu ergreifen.
Sie packte ihre UV-Klinge zusammen und verstaute sie wieder in der Scheide am Rücken, dann zückte sie eine sonderbar aussehende Schusswaffe mit einem weit geöffneten Lauf. Nachdem sie sorgfältig auf Dingo gezielt hatte, betätigte sie den Abzug.
Mit Hochdruck schoss Antipersonen-Spray über den Bahnsteig und traf Dingos Beine. Der Schaum wurde sofort hart, klebte Dingos Beine zusammen und brachte ihn zu Fall. In Panik drehte sich Dingo um und versuchte in aller Eile, die Masse abzukratzen. Es gelang ihm nicht, vielmehr blieben nun auch noch seine Hände an der Substanz kleben.
Dingo stieß ein leises Wimmern aus. Er saß in der Falle.
Langsam kam Abigail auf ihn zu und ließ sich Zeit. Sie beobachtete, wie der kleine Schurke vor Angst die Augen weit aufriss, während sie ihn ansah. Dabei versuchte sie gar nicht erst, zu verbergen, wie wenig sie sich um sein Leid scherte. Nachdem sie die Waffe weggesteckt hatte, zog sie einen der acht silbernen Pflöcke heraus, die an ihrem Oberschenkel festgemacht waren.
Sie erhob den Pflock und sagte: „Wenn es wehtut, Chico, dann schrei.“
Während sich Dingo schreiend in einen Glutregen verwandelte, wischte sie ihre Hände ab und richtete sich langsam auf, um sich die Bescherung auf dem Bahnsteig anzusehen. Die Asche der Vampirgang war auf dem Boden verstreut und knackte wie verkohltes Holz am Lagerfeuer, nachdem es intensiv gebrannt hatte und dann erloschen war.
Ihr Blick fiel auf die Digitaluhr an ihrem Arm. Siebenunddreißig Sekunden waren verstrichen, seit die Vampire ihren Angriff gestartet hatten.
Sie verzog das Gesicht. Nicht schlecht, aber immer noch Welten von ihrer persönlichen Bestleistung entfernt.
Mit einem Schulterzucken sammelte sie die beiden Silberpflöcke ein, die inmitten der Asche lagen, dann hob sie ihren Mantel auf, klopfte den Vampirstaub aus dem Stoff und zog ihn an. Sie setzte ihre Mütze wieder auf und schob ihre Zöpfe darunter, dann nahm sie die Einkaufstaschen von der Bank.
In diesem Moment wurde der Luftzug aus dem Tunnel stärker. Ihr Zug fuhr ein und kam vom Zischen der hydraulischen Bremsen begleitet zum Stehen. Abigail wartete geduldig an der Sicherheitslinie, während sich die Türen öffneten und ein Strom Fahrgäste auf den Bahnsteig drängte. Die Menge eilte zum Ausgang und lief dabei über die Vampirasche, ohne von ihr Notiz zu nehmen. Keiner von ihnen ahnte, welcher Kampf sich hier erst wenige Sekunden zuvor abgespielt hatte.
Abigail blickte ihnen nach und schob eine Locke hinter das Ohr. Sie überlegte, was sie am besten machen sollte. Vielleicht sollte sie auf dem Heimweg bei 7-Eleven haltmachen und einen Beutel Reis kaufen. Dann konnte sie die Tomaten für morgen liegen lassen, wenn sie mehr Zeit hatte, um eine große Portion Risotto zuzubereiten. Das würde viel länger reichen als die Nudeln, und es wären nur halb so viele Kalorien.
Ja, das war die beste Lösung.
Zufrieden kämpfte sie sich durch die Masse der Berufspendler und stieg in die Bahn, als sich die Türen gerade schließen wollten. Sie war die Einzige in der nun menschenleeren Bahn, die mit hoher Geschwindigkeit in den finsteren Tunnel einfuhr.
Für Abigail Whistler war ein weiterer Arbeitstag zu Ende gegangen.