Blade saß auf der Bettkante, den Rücken gerade, die Hände auf die Knie gelegt, während er darauf wartete, dass die Sonne aufging. Obwohl die Nacht fast vorüber war, trug er noch immer seine schwarze Hose und die Schutzkleidung. Sein Schwert lag über seinen Schoß, die Klinge funkelte schwach im bläulichen Mondschein.
Die anderen waren im Zimmer nebenan, lagen in den Betten und schliefen, um ihre Verletzungen auszukurieren. Blades Körper war ebenfalls müde, doch er würde nicht einschlafen. Er musste wachsam bleiben.
Er betrachtete die Stelle an der Wand vor ihm, die vom Mond beschienen wurde, und ließ den hellen Fleck seine Netzhäute durchdringen und seine Sinne in das helle Licht eintauchen. Sein Unterbewusstsein war von einem Hintergrundrauschen erfüllt, während er alle Informationen verarbeitete und zuordnete, die er an diesem Tag erfahren hatte, und sie in einen Zusammenhang zu dem stellte, was er bereits über die Pläne der Vampire wusste. Das Gesamtbild war so lückenhaft, dass Blade nur hoffen konnte, die fehlenden Bestandteile durch eine gründliche Analyse frühzeitig herauszufinden.
Er befreite seinen Geist von allen bewussten Gedanken und ließ seinem Unterbewusstsein freien Lauf, um die Fülle an neuen Tatsachen zu ordnen. Es war eine Art Meditation, die er von Whistler gelernt hatte, als er noch jünger gewesen war und seine Alpträume von Blut und Tod ihn so sehr lähmten, dass er nicht hatte einschlafen können. Normalerweise funktionierte das sehr gut, so dass er am nächsten Morgen so ausgeruht war, als hätte er die ganze Nacht geschlafen.
Diesmal brachten ihm seine Bemühungen dagegen nur Kopfschmerzen ein.
Es gab zu viele Faktoren, die er nicht kannte. Er musste mehr in Erfahrung bringen.
Blade blinzelte, und das statische Rauschen seines Unterbewusstseins wich dem warmen Leuchten seines Bewusstseins. Ein weiteres Mal blinzelte er, dann sah er sich um und fuhr sich über seine trockenen Lippen. Von nebenan waren leise Geräusche zu hören, Tassen wurden angeschlagen, leise Stimmen waren zu hören, die jemanden begrüßten. Offenbar war Blade nicht der Einzige, der nicht schlafen konnte.
Er legte sein Schwert auf das Bett, dann stand er auf und streckte sich.
Er war an der Zeit, die fehlenden Teile des Puzzles zu finden.
Als es fast drei Uhr am Morgen war, schenkte Abigail Blade noch eine Tasse Kaffee ein. Er saß auf der Werkbank und hörte aufmerksam zu, wie Sommerfield ihm die technischen Einzelheiten des neuen Plans schilderte. In der einen Stunde, seit er sich zu ihnen gesetzt hatte, waren die Fragen des Daywalkers sehr detailliert gewesen und hatten Dinge zu Tage gefördert, von denen selbst Abigail nichts wusste. Blades Gründlichkeit war beeindruckend, wenngleich auch ein wenig beängstigend.
Abigail beobachtete ihn aus dem Augenwinkel heraus. Ihr Vater hatte ihr über die Jahre hinweg so viel über Blade erzählt, dass es ihr fast so vorkam, als würde sie ihn durch die Geschichten über seinen Mut und seine Kraft seit einer halben Ewigkeit kennen.
Doch ihm leibhaftig gegenüberzustehen, das war eine ganz andere Sache. Sie wusste zwar, dass Blade ein Vampir-Hybride war, aber dadurch war ihr bis jetzt nicht bewusst gewesen, welche Wärme seine Haut ausstrahlte, als er jetzt keinen halben Meter von ihr entfernt stand. Von Blade schien eine immense Hitze auszustrahlen, kombiniert mit einer Aura der Anspannung und unterdrückten Energie, von der er offenbar mehr als genug besaß.
Er hatte große körperliche Kraft, doch das war nicht alles. Selbst wenn er ganz ruhig dasaß, war er niemals entspannt. Blade war eine riesige gespannte Feder, die nur auf eine passende Gelegenheit wartete, um mit verheerender Macht und Wut zu explodieren. Abigail wusste, dass der Daywalker weder ihr noch den anderen jemals vorsätzlich wehtun würde, und dennoch fühlte sie sich von ihm bedroht. Ihre Wachsamkeit hatte seit ihrer ersten Begegnung nicht mehr nachgelassen, und nun war ihr endlich der Grund dafür bekannt.
Blade war kein Mensch. Diese Erkenntnis hatte für Abigail etwas Schockierendes. Er sah aus wie ein Mensch, aber er hatte so wenig mit einem Menschen zu tun, wie ein Hai mit einer Kaulquappe verwandt war. Abigail fühlte es in ihren Knochen, ein instinktiv bohrendes Gefühl, das ihr riet, zu ihm so weit wie möglich auf Abstand zu bleiben. Sie konnte sich vorstellen, dass ein Löwendompteur so empfand, wenn er in den Käfig ging und wusste, das die Tiere um ihn herum zwar friedlich wirkten, sich jeden Augenblick aber schier grundlos von einer ganz anderen Seite zeigen konnten.
Abigail beobachtete Blade, der sich angeregt mit Sommerfield unterhielt. Er wirkte trotz seiner beeindruckenden Statur überhaupt nicht wie ein Vampir, und ihm hing auch nicht der für Vampire typische Geruch an, jener schwache, moschusartige Hauch von Tod und Zerfall, der einem wie der Rauch eines Scheiterhaufens am Gaumen klebte. Abigail atmete einige Male tief durch, doch es war nichts zu riechen, was auch im entferntesten unangenehm war. Vielmehr roch Blade nach Leder und unparfümierter Seife, was sich mit einem schwachen Hauch nach Holzkohle und Schießpulver vermischte, Gerüche, die seine Kleidung angenommen hatte, wenn er seiner Arbeit nachging.
Wieder sah sie zu Blade, diesmal aber noch vorsichtiger. Nur sein Lächeln verriet ihn manchmal, wenn seine geringfügig längeren Eckzähne zu sehen waren, die bei jedem Grinsen durch den Ausdruck in seinen Augen ein wenig länger und spitzer wirkten.
Doch es war nicht nur sein Aussehen – eine Erkenntnis, die jeder schnell machte, der regelmäßig mit Vampiren zu tun hatte –, sondern es waren auch die vielen kleinen Details.
Blade rührte seinen Kaffee um, und ihr wurde bewusst, dass er immer um eine Tasse Kaffee bat, sie ihn aber noch nie Trinken gesehen hatte. Sie fragte sich, ob sie ihm vielleicht besser eine Tasse Schweineblut oder etwas ähnlich Ekelhaftes anbieten sollte. Whistler war nie ins Detail gegangen, was auf Blades Ernährungsplan stand, und sie selbst konnte sich nicht dazu durchringen, ihn zu fragen.
Von diesen Dingen abgesehen, wurde Abigail auch klar, dass es vor allem Blades Art war, die sie störte. Der Daywalker schien mit keinem von ihnen wirklich etwas zu tun haben zu wollen. Er trug seine Sonnenbrille, auch wenn er sich in einem geschlossenen Raum aufhielt, und selbst wenn er sie einmal abnahm, wirkte er trotzdem so, als würde er sie nach wie vor tragen. Sein Blick hatte immer etwas Vorsichtiges, so als ob er berechnen würde, wie groß das Risiko exakt war, das er einging, wenn er sich mit ihnen abgab und sie am Leben ließ.
Abigail bekam das Gefühl, dass sich Blade mit niemandem wirklich gern abgab…
Sie zuckte zusammen, als Hedges ihr auf einmal eine Hand auf die Schulter legte. Fragend lächelte er sie an. Abigail wurde bewusst, dass sie gedankenverloren mit ihrem Taschenmesser Späne von der Werkbank geschnitten hatte, die sich nun vor ihr auftürmten – so sehr war sie in Gedanken gewesen. Entschuldigend lächelte sie zurück und wischte die Späne in einen leeren Plastikbecher, während sie versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was er zu ihr sagte.
Der Ingenieur beendete soeben einen längeren Monolog. Er wandte sich wieder an Blade. „Wir befinden uns also sozusagen mitten in einem Wettrüsten. Sie benutzen Drakes DNS, um einen besseren Vampir zu erschaffen.“
„Und wir benötigen sein Blut, um sie zu töten.“ Blade überlegte einen Moment, dann berührte er sanft Sommerfields Arm. „Welche Fortschritte macht deine Waffe?“
„Wir sind fast fertig“, erwiderte sie und deutete auf eine Reihe ampullenförmiger Prototypen, die auf der Werkbank gleich neben ihnen aufgestapelt waren. „Das Virus ist für Menschen unschädlich, also haben wir uns entschieden, es in die Nahrungsquelle der Vampire zu geben.“ Sie strich stolz über das Glas eines der Prototypen. „Die eine Sache, die wir mit Sicherheit über die Vampire wissen, ist die, dass sie Blut trinken müssen. Wenn wir das durchziehen können, werden wir in der Lage sein, jede Blutquelle auf der Welt zu infizieren. Dann gibt es niemanden mehr, von dem sie sich ernähren können.“
Abigail stand auf und ging rastlos hin und her. Sie hatte das alles schon zuvor gehört. „Das hilft uns nur nicht, wenn uns keine Zeit bleibt, es fertig zu stellen.“ Sie drehte sich nicht um, dennoch wusste Blade, dass sie ihn meinte. „Wir können nicht einfach hier herumsitzen. Wir müssen den Kampf zu ihnen tragen.“
Sommerfield nickte unglücklich und rieb sich nachdenklich das Kinn. „Wenn die Vampire versuchen, den Erbfaktor in Drakes Genen zu finden, der ihn immun gegen Sonnenlicht macht, dann benötigen sie Laborausrüstung und gewisse Bestände. Beispielsweise gibt es ein Enzym namens Taq Polymerase, das sie benötigen. Es gibt aber nur wenige Lieferanten.“ Sie hielt inne, als ihr klar wurde, dass sie soeben laut gedacht hatte. „Gebt mir ein paar Stunden, ich will sehen, ob ich nicht ein paar Hinweise zusammentragen kann.“
Während die anderen nebenan redeten und scherzten, begab sich Blade in den verlassenen Waffenraum und setzte sich in der Dunkelheit auf eine Bank. Er zog den Inhalator aus der Jackentasche, biss auf das Mundstück und betätigte den Auslöser. Ein leises Zischen war zu hören, als das Serum in seine Lungen gepumpt wurde.
Er spannte seine Muskeln leicht an und spürte, wie die Flüssigkeit die Zellwände durchdrang und heiß und kalt zugleich in den Blutkreislauf gelangte. Erleichtert seufzte er, als der Hunger nachließ, der die ganze Nacht über immer stärker geworden war. Dieses Zeugs funktionierte tatsächlich.
Er legte den Inhalator neben sich auf den Tisch und versuchte, sich zu entspannen.
Das Serum war Whistlers kostbarstes Vermächtnis, das er ihm hinterlassen hatte. Soweit Blade das verstand, enthielt es einen Ersatzstoff für menschliches Hämoglobin, kombiniert mit einer starken antiviralen Formel, die das Vampirvirus in ihm vorübergehend außer Gefecht setzte und es daran hinderte, sich zu vermehren. Denn nur dann, wenn das Virus in einem menschlichen Wirt eine Vermehrung anstrebte, musste es genährt werden. Das zwang den Wirt dazu, wieder und wieder zu töten, bis das Virus genug frische Nahrung zur Verfügung hatte, um sich fortzupflanzen.
Blade konnte sich glücklich schätzen. Nach vielen Tests war Whistler zu der Erkenntnis gelangt, dass sich in seinem Körper eine stabile Version des Virus befand, das mit seinem Körper arbeitete, nicht gegen ihn. Blade hatte Whistler einmal nach dem Grund gefragt. Doch als Antwort hatte er von dem alten Mann eine so langatmige wissenschaftliche Erklärung bekommen, dass er sich eine sehr große geistige Notiz gemacht hatte, niemals wieder dieses Thema anzuschneiden.
Soweit Blade das verstand, wurde man nicht zwangsläufig zum Vampir, wenn man von einem gebissen wurde. Whistler hatte ihm das sehr deutlich gemacht. Seine Tests zeigten, dass dieses Virus in einem gesunden menschlichen Körper ein extremer Fremdkörper war, der vom Immunsystem entdeckt und zerstört wurde.
Whistler vermutete, eine Verwandlung vom Menschen zum Vampir könne sich nur dann ereignen, wenn infiziertes Blut in den Körper des Opfers gelangte, so dass sich die infizierten roten Blutkörperchen des Vampirs an die seines Wirts heften konnten. Durch diesen Prozess würde es dem Virus möglich sein, die Immunabwehr des Wirts zu umgehen und sich von den „gespendeten“ Zellen des Vampirs auf die des Opfers zu übertragen. Wenn das erst einmal geschehen war, stand das körpereigene Immunsystem dieser neuen Situation machtlos gegenüber.
Blade sah vor seinem geistigen Auge wieder die zuckenden roten Blutkörperchen, die unter dem Mikroskop mit unglaublicher Geschwindigkeit mutierten und sich dann teilten. Whistler hatte ihm diesen Prozess während der Suche nach einem Medikament viele Male gezeigt, und jedes Mal hatte Blade von dem Anblick eine Gänsehaut bekommen. Wenn er das Virus so extrem vergrößert sah, hätte er am liebsten das Mikroskop zu Boden geworfen und darauf herumgetrampelt, bis diese verdammten Viren alle tot waren.
Von Whistler wusste er auch, dass es sich um ein sehr kluges Virus handelte. Wenn es erst einmal übertragen worden war, veränderte es die DNS des Wirtes so lange, bis dessen Gene nicht mehr wiederzuerkennen waren. Der Wirtskörper „starb“ dann – üblicherweise an einem Schock, der den ganzen Organismus erfasste, oder an Blutverlust –, und das Gehirn verfiel in eine Art Winterschlaf. Gleichzeitig breitete sich das Virus so weit aus, bis es den Körper neu starten konnte. Das Gehirn erwachte dann aus seiner Starre, und der übernommene Körper „lebte“ wieder – als eine Maschine, der es nur daran gelegen war, das Virus weiter zu verbreiten.
Normalerweise war dieser Prozess nach nur zwei Stunden abgeschlossen.
Blade zog die Stirn in die Falten und sah auf seine Arme und Beine. Der Dämon steckte in jeder einzelnen Zelle, nicht wahr? Es musste so sein, um den Körper des Vampirs bewegen zu können. Der Dämon hatte die Gewalt über Muskeln, Blut und Knochen, und er saß so prahlerisch da wie ein verwöhntes Kind, während die Seele allmählich verrottete, da sie sich nicht zur Wehr setzen konnte. Das Serum und der Knoblauch trieben es für eine Weile zurück, doch es kam immer wieder und schwärmte wie eine schwarze Woge aus Kakerlaken in das Haus eines toten Mannes.
Blade hatte in dieser Hinsicht wirklich Glück gehabt. Obwohl das Virus in ihm lebte und atmete, hatte er seine Menschlichkeit und seinen freien Willen bewahren können. Die meisten anderen bekamen diese Chance nicht. Blade wusste, dass die meisten frisch verwandelten Vampire kaum mehr als Herdentiere waren, die nur von ihrem Hunger angetrieben wurden.
Sie rotteten sich im Untergrund in kleinen Gangs zusammen und verbrachten die ersten Jahre ihres neuen „Lebens“ damit, zu essen, zu kämpfen und mit allem Sex zu haben, was sich bewegte – oder nicht bewegte, was häufiger der Fall war. Sie waren schlampig und undiszipliniert, und ihre draufgängerische Art machte es recht leicht, sie zu töten. Im Laufe der Jahre hatte Blade Tausende von ihnen umgebracht.
Es waren die Alten, die, die reinen Blutes waren, die am schwersten zu töten waren. Blade spürte eine Gänsehaut, als er nur an die Alten dachte. Gerüchten zufolge stammten sie direkt von Dracula ab, wurden als Vampire geboren und waren ihrerseits in der Lage, selbst Kinder zu zeugen und auszutragen. Moderne oder „bekehrte“ Vampire waren üblicherweise steril und verließen sich ausschließlich auf die Kraft des Virusderivats, um sich fortzupflanzen.
Blade wusste, dass diejenigen, die von reinem Blut waren, einen großen Vorteil besaßen: Sie konnten sich im Sonnenlicht aufhalten. Sie konnten am Tag das Haus verlassen, solange sie daran dachten, eine Sonnenschutzcreme aufzutragen, die Oktylsalizylat und gemahlenes Bleiweiß enthielt – ein Trick, den sie sich bei der elisabethanischen Aristokratie abgesehen hatten. Es gab bereits Berichte darüber, dass es unter den Modernen den Trend gab, diese längst vergessene Fähigkeit zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen. Laut Insiderinformationen fasteten diese Vampire eine Woche lang, dann zogen sie los und nahmen einen Alten gefangen, um ihn zu töten und sein Blut zu trinken. Das Blut „reiner“ Vampire erlaubte es ihnen, sich einen Tag lang im Schein der Sonne zu bewegen, vorausgesetzt, sie trafen die gleichen Vorkehrungen wie die Alten.
Blade presste die Kiefer aufeinander, während Zorn in ihm aufstieg. Deacon Frost, der Vampir, der seine Mutter angegriffen und getötet hatte, sollte angeblich diese Methode häufig angewandt haben, um am Tag nach draußen gehen zu können. Als er und Blade sich das erste Mal begegnet waren, hatte Frost diese weiße Sonnencreme auf seine Haut aufgetragen und damit seinen Verdacht bestätigt.
Whistler hatte eine Theorie über Frost aufgestellt, die einen direkten Zusammenhang zu Blades Hybrid-Eigenschaften herstellte. Er glaubte, die große Menge Blut der Alten, die Frost über die Jahre konsumiert hatte, könnte zu einer Mutation des heutigen Vampirvirus in seinem Körper geführt haben, so dass es zu einer früheren Entwicklungsstufe zurückgekehrt war. Whistler war sicher, dass das Virus durch diesen Prozess in der Lage gewesen war, seine Mutter und auch ihn zu infizieren. Eine winzige Menge von Frosts Blut oder Zellmaterie war in das Blut seiner Mutter gelangt – vermutlich über die Bisswunden – und dann auf ihn übertragen worden.
Nach dieser Hypothese musste es zu dem extrem seltenen Fall gekommen sein, dass das Vampirgen von Blades Genstruktur absorbiert worden war, anstatt sie komplett umzuschreiben. Diese wacklige Koexistenz machte Blade zu dem, was er war – zu einem Hybriden, der weder Mensch noch Vampir war.
Im Lauf der Jahre hatte Blade dafür gesorgt, dass jeder Vampir, der von den Umständen seiner wundersamen Geburt erfahren hatte, umgehend aufgegriffen und getötet wurde. Es gab einen guten Grund dafür. Die meisten Vampire wussten von ihm. Manche hielten ihn nur für einen Mythos, aber es gab viele, die die exakten Bedingungen seiner Geburt nachzustellen versuchten, wenngleich meist auch mit tödlichen Folgen. Nach allem, was Blade aus den Vampiren hatte herausprügeln können, ehe er sie tötete, endeten diese Experimente meist in einem von zwei gängigen Szenarien. Entweder war es ein völliger Reinfall, und die Mutter versuchte, das menschliche Baby gleich nach der Geburt zu verzehren. Oder das Gen zeigte im Ungeborenen sofort Wirkung, woraufhin das Kind zum Vampir wurde und anfing, die Mutter von innen heraus aufzufressen, was besonders blutige Folgen nach sich zog.
Blade sah aus dem vergitterten Werkstattfenster und hörte zu, wie das Meer an die Kaimauern schlug. Er hatte wirklich großes Glück gehabt. Frosts Blut hätte ihn eigentlich töten oder in einen richtigen Vampir verwandeln müssen. Aber vielleicht war es nicht dazu gekommen, weil Frost das Blut der Alten bevorzugt hatte.
Dennoch meldete sich das Virus in Blade regelmäßig zu Wort, pumpte Adrenalin in seinen Körper und schickte chemische Botschaften an Hirn und Magen, die nur schwer zu ignorieren waren. Blade wurde von dem Hungergefühl so sehr erfasst, dass er nicht in der Lage gewesen war, sich dagegen zu wehren.
Bis Whistler den Impfstoff entwickelt hatte.
Anfangs war die Verabreichung des Prototyps dieses Impfstoffs eine Tortur gewesen. Das Virus in ihm ließ das hyperbeschleunigte Immunsystem die synthetischen Antikörper des Impfstoffs angreifen, und sobald die beiden ihren lautlosen Kampf in seinem Inneren austrugen, wurde er von unerträglichen Schmerzen heimgesucht. Im Lauf der Jahre hatte sich sein Körper angepasst, doch die Nebenwirkungen waren unverändert geblieben. Selbst in jüngerer Zeit hatte Whistler ihn an einem Stuhl anketten müssen, um zu verhindern, dass er sich selbst Schaden zufügte, sobald die Wirkung des Serums einsetzte.
Jetzt sah es so aus, als sei es den Nightstalkern gelungen, eine verbesserte Version des Serums herzustellen. Sommerfield hatte ihm erklärt, wie sie Whistlers Grundformel um einige zentrale Proteine reduziert hatte, die mit Blades Nerven und zugleich mit dem Virus verbunden gewesen waren. Jetzt ließ sich das Serum so mühelos schlucken, als hätte er einen gekühlten Likör vor sich.
„Warum machst du das?“
Blade zuckte zusammen und war sofort wieder voll bei der Sache. Er entdeckte die kleine Zoe, die im Schatten verborgen auf einer alten Schiffstruhe kauerte und ihn anblickte.
Das Mädchen beobachtete immer alles, nichts entging den wachsamen Blicken.
Angesichts der Tatsache, dass ihre Mutter blind war, konnte das nur gut sein. Blade gab einen unbestimmbaren Laut von sich und versuchte, mit gleichmäßiger Stimme zu sprechen, während der Impfstoff brennend durch seine Adern jagte. „In mir befindet sich etwas Bösartiges. Das hier sorgt dafür, dass es nicht herauskommt.“
Zoe starrte den Inhalator auf dem Tisch neben Blade mit großen Augen an. „Kannst du nicht einfach nur nett sein?“
Er folgte ihrem Blick und rieb sich das Genick. „Gute Frage – “
Zoe starrte ihn nur weiter an.
Er fand es unangenehm, von ihr beobachtet zu werden, und stand auf, um das Zimmer zu verlassen und zu den anderen Nightstalkern zu gehen, die sich im Labor nebenan versammelt hatten.
Sommerfield stand an ihren Rechnern und las etwas auf dem Blindenschriftdisplay ab. Die Atmosphäre war angespannt. King fehlte, Abigail dagegen sah deutlich besser aus. Die Platzwunde in ihrem Gesicht verheilte gut.
Mit einem Pfeifton erschienen die Ergebnisse von Sommerfields Recherche auf dem Display, und sie rief triumphierend: „Ich glaube, ich habe etwas gefunden. Biomedica Enterprises. Sie haben in großem Stil eingekauft: Taq Polymerase, Wachstumsergänzungsmittel für Knochenmark, Enzyme für genetische Strukturierungen…“
Blade nahm die Schrotflinte in den Anschlag, die mittlerweile umgerüstet worden war, um auch UV-Kugeln abzuschießen. „Dort sollten wir uns mal umsehen.“