Es war eine ruhige Nacht im Schlachthausbezirk gewesen, bis das Gebäude explodierte.
Möwen flogen kreischend auf, als eine gewaltige Explosion die heruntergekommene Fabrik erschütterte. Weiße Flammen schossen aus den Fenstern und schlugen zum Himmel empor. Die Erde schien zu beben, als die Druckwelle wie ein feuriger Tsunami nach außen drängte und ganze Reihen von verstärkten Fensterscheiben in einen Regen aus glänzenden Scherben verwandelte. Öliger schwarzer Rauch folgte den Flammen, während die alten Ziegelsteinmauern unter der extremen Hitze nachgaben und als Schutt auf den Fußweg vor dem Gebäude niederregneten.
Nur Augenblicke später erfolgte eine zweite Explosion. Ein schreiender brennender Mann wurde von ihrer Wucht aus einem Fenster geschleudert und wirbelte wie ein menschlicher Komet mit feurigem Schweif durch den Nachthimmel. Ein Stück unter ihm flog die Fabriktür auf und wurde in ihren Angeln zurückgeworfen, nachdem sie den Blick auf das Inferno im Inneren des Gebäudes freigegeben hatte. Die kalte Luft war erfüllt von Schreien und lautem Getrampel, als etliche Männer aus der Fabrik stürmten, von denen die meisten ebenfalls Feuer gefangen hatten.
Es herrschte ein totales Chaos.
Dann teilten sich die Flammen für den Bruchteil eines Augenblicks, und ein kraftvoll wirkender Afroamerikaner trat seelenruhig aus der Feuersbrunst hervor, als könne ihm die Hitze nichts anhaben. Er war groß und sehr muskulös, und seine beeindruckende Silhouette ließ ein ganzes Arsenal an High-Tech-Waffen erkennen. Die züngelnden Flammen spiegelten sich in seiner Designersonnenbrille, als er das Inferno hinter sich ließ. Seine schweren Schritte übertönten das laute Knistern des Feuers und klangen so, als würden die Verdammten im gleichen Takt ihre Trommeln schlagen.
Der Name dieses Mannes war Blade, und für ihn hatte der Spaß erst angefangen.
Bei seinem Anblick liefen die meisten der Entkommenen noch schneller in die von dichtem Qualm erfüllte Nacht. Doch an ihnen war Blade nicht interessiert. Sein Blick war längst auf eine viel bessere Beute gerichtet – eine kleine Gruppe von Gestalten, die in die entgegengesetzte Richtung davoneilten.
Sie waren ihm wichtiger, denn… sie waren Vampire.
Blade lächelte gemein und zog seine Waffe. Er wusste, dass eine Jagd immer von einer Reihe von Regeln bestimmt wurde. Die erste Regel war die offensichtlichste: Lass dich nicht schnappen.
Die Vampirgang rannte über den Parkplatz vor ihm und schien alles daranzusetzen, diese Regel zu befolgen. Ihre Stiefel rutschten auf dem nassen Asphalt, während sie über das Grundstück hasteten. Sie stolperten und fielen übereinander, nur um Blade zu entkommen. Die Gruppe bestand aus drei Vampiren, von denen einer hässlicher war als der andere. Einer schnappte nach dem anderen, sie knurrten sich gegenseitig an, während jeder von ihnen verzweifelt versuchte, nicht der Letzte der Gruppe zu sein. Hätten sie einen Moment angehalten und nachgedacht, wäre ihn vielleicht ein geeigneterer Plan in den Sinn gekommen. Oder besser gesagt: überhaupt irgendein Plan.
Denn wenn man davonrennt, besteht immer die Gefahr, dass man gefasst wird.
Am Rand des Parkplatzes angekommen, sprangen die drei über eine Absperrkette und rannten weiter zu ihren zu Rennwagen aufgemotzten Fahrzeugen, die in zweiter Reihe abgestellt waren. Gedge, der Jüngste der Gruppe, sprang in den Eagle Talon, als zwei schnellere Vampire bereits im Begriff waren, ohne ihn abzufahren. Der andere Wagen, ein alter Mustang, wendete mit durchdrehenden Reifen und steuerte auf die Parkplatzausfahrt zu, und der Fahrer ließ den Motor spöttisch aufheulen, als er am Eagle vorbeifuhr.
Gedge warf die Tür hinter sich zu und verriegelte sie. Voller Angst bleckte er seine spitzen Reißzähne. Nervös sah er durch die gesprungene Windschutzscheibe zu Stone und Campbell – seinen zwei Kumpanen –, die auf ihre tiefergelegten und verlängerten Chopper stiegen. Sie starteten die Motoren, zur Flucht bereit.
Am anderen Ende des Parkplatzes warf Blade den Kopf herum, als er den Lärm hörte. Schneller und schneller lief er in ihre Richtung. Ein rascher Griff, so dass nur eine verwischte Bewegung zu sehen war, dann waren seine Finger bereits um eine automatische Mach-Pistole mit Schalldämpfer gelegt. Ohne sein Tempo zu verringern, feuerte Blade die Waffe ab und jagte den fliehenden Vampiren eine Salve aus silbernem Tod hinterher. In der Straße hallten die Schüsse nach. Die einzelnen Echos verschmolzen so miteinander, dass sie sich wie eine lang anhaltende Explosion anhörten.
Der Fahrer des Mustang trat auf die Bremse, als die Kugeln sich durch die Karosserie des Wagens bohrten. Fluchend legte er den Rückwärtsgang ein und trat das Gaspedal bis zum Bodenblech durch, um Blade zu überfahren. Seine Freunde in die Luft zu jagen, war eine Sache, aber auf seinen Wagen zu schießen, das war zu viel des Guten. Dafür würde der Daywalker teuer bezahlen.
Der Wagen jagte kreischend auf Blade zu. Dichte, weiße Rauchwolken stiegen rings um die breiten Reifen auf und es stank nach verbranntem Gummi, als der Fahrer das Lenkrad herumriss, um den Mustang auf der Stelle drehen zu lassen, und gleichzeitig wieder Gas gab, um auf Blade zuzurasen.
Der hatte die Situation noch gar nicht bewusst erfasst, da befand sich sein Körper längst in der Luft. Aus dem Stand machte er einen Satz und drehte sich um seine Achse, um dem Wagen auszuweichen, der unter ihm vorbeijagte. Kopfüber in der Luft zog er seine zweite Pistole und feuerte zwei Salven gleichzeitig ab. Eine durchlöcherte das Dach des Mustang, die andere traf den Motorblock.
Im Wageninneren schrieen die beiden Vampire, als sie von Blades Kugeln durchsiebt wurden. Gewöhnliche Kugeln konnten ihnen nichts anhaben, doch diese Projektile waren etwas ganz Besonderes: handgefertigte Geschosse aus Silber, gefüllt mit einer Mischung aus Knoblauch und Öl. Für einen Vampir war das eine tödliche Kombination. Alle Vampire reagierten extrem allergisch auf Allicin, den chemischen Stoff, der Knoblauch den stechenden Geschmack und Geruch verleiht. Noch allergischer allerdings reagierten sie auf Silber. Wenn beides zugleich in den Körper eines Vampirs eindrang, kam es zu einer Kettenreaktion, für die ein Mensch mehrere Liter Benzin hätte schlucken und sich dann mit einem Flammenwerfer anzünden müssen.
Glühend weiße Stichflammen jagten aus den Einschusslöchern und breiteten sich auf ihren Oberkörpern aus, wobei sie gleichzeitig die Kleidung in Brand setzten. Ihre Schreie wurden von einem gewaltigen Feuerball geschluckt, da der Mustang explodierte, sich überschlug und dabei den Tank entzündete. Die Explosion zerriss das Chassis des Wagens. Überall fielen große, brennende Trümmerteile zu Boden.
Blade landete ein paar Meter vor dem brennenden Wrack elegant auf dem Asphalt.
Die zweite Jagdregel? Schnapp sie, bevor sie dich schnappen.
Das war eine gute und nützliche Regel.
Blade wirbelte herum, zielte und eröffnete in einer einzigen fließenden Bewegung das Feuer auf den Eagle Talon und die beiden Motorräder, die hinter ihm vom Parkplatz fuhren. Mit qualmenden Reifen jagten sie auf die Straße hinaus. Im nächsten Augenblick hatte die Nacht sie verschluckt.
Blade feuerte weiter, bis seine Magazine leer waren. Das Adrenalin pulsierte in seinem Körper und er konnte den Finger nicht vom Abzug nehmen. Ein Mensch wäre schon etliche Male gestorben. Blade nicht. Allerdings war Blade auch kein menschliches Wesen.
Jedenfalls nicht völlig menschlich.
Als die letzte Hülse auf den Boden fiel, spürte Blade, dass jemand hinter ihm war. Er erstarrte. Seine Ohren dröhnten noch immer von den Schüssen.
„Keine Kugeln mehr, Blade?“
Langsam drehte sich Blade um und sah vier große, schattenhafte Gestalten, die sich im Halbkreis vor ihm aufgebaut hatten. Es waren Vampire, und sie waren ganz offensichtlich sehr verärgert.
„Ich schätze, dann wird es Zeit, dass du hochgehst.“ Ellingson hieß der Vampir, der ihn angesprochen hatte. Er hatte das Ganze hier unter Kontrolle, ihm war über Blade eine Menge zu Ohren gekommen – zumindest genug, um ihn töten zu wollen. Vor allem jetzt, nachdem dieser Hurensohn ihm sein Geschäft in Brand gesteckt und ganz allein gut zwei Drittel seines Personals abgeschlachtet hatte.
Ellingsons Augen blitzten auf wie Quecksilber. Eine Hand zitterte vor Schmerz, als das versengte Fleisch in der kalten Nacht langsam aufriss. Er sah sich um und lächelte finster, während seine Schläger sich Blade näherten. Es war an der Zeit, dass dieser Freak sein Leben beendete.
Blade betrachtete die rauchende Kleidung des Mannes, der gesprochen hatte. Er spürte dessen Unerfahrenheit und entspannte sich unmerklich. Blade steckte seine Pistolen weg und drehte beiläufig den Kopf hin und her, um seine verspannten Nackenmuskeln zu lockern. Mit einer Hand strich er über das gefährlich aussehende Kettenmesser, das an seinem in Leder gekleideten Oberschenkel befestigt war, und gestattete sich den Anflug eines Lächelns.
Ellingson deutete das als Beleidigung, knurrte und stürmte mit gebleckten Zähnen auf Blade los.
Der riss das Messer aus der Scheide, drückte auf einen der Knöpfe am Heft, und fast gleichzeitig schoss die Klinge mit hoher Geschwindigkeit dem angreifenden Vampir entgegen, gefolgt von nahezu zwei Metern Kette, deren Glieder rasiermesserscharf waren. Die massive Silberklinge schnitt sich so mühelos in Ellingons Brust wie ein Vorschlaghammer durch ein Stück frische Butter. Der Vampir schnappte nach Luft, als ein kleiner feuriger Geysir aus der Einstichstelle austrat. Eine Fontäne extrem heißer Flammen breitete sich rasend schnell in alle Richtungen aus und hatte Sekunden später den gesamten Körper eingehüllt.
Ein gellender Schrei und Ellingsons Leib explodierte. Das verbrannte Fleisch platzte von seinen Knochen und ließ ein verkohltes Skelett zurück, das noch einen Moment lang wütend um sich schlug, ehe es am Boden zerfiel.
Noch bevor die verkohlten Überreste völlig zerfallen waren, hatte Blade bereits auf den zweiten Knopf gedrückt, mit dem die Kette mitsamt Klinge in das Heft zurückgeholt wurde. Dann wirbelte Blade herum und betätigte erneut den ersten Knopf.
Hinter ihm versuchte einer von Ellingsons tölpelhaften Vampiren, sich zu ducken, als die Klinge ihm entgegenschoss, doch er war eine Spur zu langsam. Die Kette wickelte sich wie eine Peitsche um seinen Hals und zog sich zu. Blade zog einmal lässig an der Kette, und schon wurde der Kopf des Vampirs so sauber abgetrennt, als wäre ein Chirurg am Werk gewesen. Der Stumpf glühte weiß auf, Flammen züngelten über den Torso nach unten und erfassten den restlichen Körper.
Ohne eine Spur langsamer zu werden, trat Blade den zuckenden Leib zur Seite, der orangefarbene Funken auf dem Asphalt verstreute. Dann zerfiel der Vampir zu einer Wolke aus feiner weißer Asche, die sofort vom Wind weggetragen wurde.
Blade zog die Klinge wieder ein und widmete sich den beiden verbliebenen Vampiren, die sich ihm von vorn und von hinten näherten.
Erneut sprang die Klinge aus dem Heft, bis das Ende der Kette erreicht war. Blade nahm das Messer hoch und ließ es über seinem Kopf kreisen. Er hielt beide Gegner im Auge, während die sirrende Klinge immer schneller und schneller wurde. Auf einmal ging er in die Hocke und zielte mit der singenden Kette, die nur noch als verwischte silberne Scheibe wahrnehmbar war, auf den ersten Vampir.
Die Kette fraß sich durch die Beine des ersten Widersachers und durchtrennte Sehnen und Knochen so mühelos, dass sie nicht einmal langsamer wurde. Die glücklose Kreatur schrie auf, als sie auf den Asphalt stürzte und hinter ihr die abgetrennten Beine in einer Flamme zu glühender Asche vergingen. Hilfesuchend streckte der Vampir die Arme nach seinem Kameraden aus. Dabei verriet er Blade jedoch unabsichtlich dessen Position.
Ehe der zweite Vampir angreifen konnte, hatte sich Blade bereits umgedreht und stieß in einer fließenden, lässigen Bewegung die silberne Klinge in den Bauch seines Gegners. Das Geschöpf hatte nicht einmal genug Zeit, um den Mund aufzureißen und einen Schrei auszustoßen, da jagte bereits das weiße Feuer durch seinen Leib und verkohlte es von innen heraus.
Mit einer schwungvollen Bewegung holte Blade die Klinge zurück, zog seinen Ledermantel zurecht und wischte ein wenig Vampirasche vom Ärmel. Die dritte Jagdregel? Mach dir nicht vor, jemand werde dich schon retten. Normalerweise war nämlich nie ein Retter zur Stelle, und dann stand man sehr dumm da.
Mehr als das – man war einfach tot.
Blade blieb nur lange genug, um den beinamputierten Vampir mit einem beiläufigen Messerhieb zu köpfen, dann machte er sich daran, die anderen Flüchtigen zu verfolgen.
Auf der Hauptstraße waren unterdessen die überlebenden Mitglieder der Vampirgang bereits einige hundert Meter weit gekommen und entfernten sich zusehends schneller. Laut hupend jagten sie durch den Verkehr und drehten hastig an den Handgriffen ihrer PS-starken Motorräder, während sie auf einer Zufahrtsrampe auf die unterhalb gelegene, stark befahrene Straße zurasten. Die Vampire sahen nicht ein einziges Mal nach hinten, um festzustellen, ob ihre Kollegen noch lebten. Wenn es hart auf hart kam, dann war ein Vampir immer nur auf sich allein gestellt. Lediglich Menschen waren so dumm, dass sie kehrtmachten, um Verletzte in Sicherheit zu bringen. Und nur sie hielten zusammen und wagten es, sich auf einen Kampf einzulassen.
Blade tauchte hinter ihnen aus der Einfahrt zum Parkplatz auf und jagte ihnen auf dem Fußweg hinterher. Selbst zu Fuß war er unglaublich schnell, schneller als jeder Mensch. Er nahm eine Abkürzung durch eine stillgelegte Tankstelle und stürmte auf die Betonüberführung, wobei er ein Tempo an den Tag legte wie ein Stier, dem man Steroide verabreicht hatte.
Durch das getönte Glas seiner Sonnenbrille sah Blade, wie die Vampire auf ihren Maschinen außer Sichtweite gerieten, als sie vom Freeway abbogen. Er gab einen leisen Laut der Verärgerung von sich, dann berührte er mit einer Hand die Seite seines Kopfs, wo ein winziger transparenter Empfänger hinter seinem Ohr festgeklemmt war. Er drückte darauf, um den Sendemodus zu aktivieren. „Whistler, ich bin auf dem Stonebridge Overpass bei Clemons.“
Der Empfänger knackte leise, als Whistlers blecherne Stimme aus dem Gerät drang. „Verstanden. Bin in östlicher Richtung unterwegs. Ich bin jetzt fast unter dir…“
Blade verließ den Fußweg und rannte quer über die Straße. Ein vorbeifahrendes Fahrzeug begann zu hupen und geriet ins Schlingern, als Blade die Kofferraumhaube des Wagens als Sprungbrett benutzte, um auf das Geländer der Überführung zu springen.
Auf dem schmalen Geländer kauernd, beobachtete Blade den dichten Verkehr auf der dreispurigen Straße unter ihm, ohne sich von der Schwindel erregenden Höhe beeindrucken zu lassen. Seine Augen leuchteten auf, als er eine Zugmaschine herankommen sah, die einen Auflieger im Schlepp hatte.
Als sich der Lastwagen der Brücke näherte, hupte der Fahrer dreimal kurz, und aus Blades Empfänger war ein schepperndes „Jetzt!“ zu hören.
Im selben Moment sprang Blade von der Brücke. Völlig entspannt glitt er durch die Luft, während sein langer Ledermantel um ihn herum flatterte, als verfüge er über ein Paar schwarzer Flügel. Die Zeit schien förmlich stillzustehen, als er die Arme ein wenig ausbreitete, um den heftigen Wind auszugleichen.
Dann war das Dach des vorüberfahrenden Sattelschleppers direkt unter ihm und empfing ihn in einem Wirbel aus Geräuschen und Farben. Geschickt drehte sich Blade in der Luft und zwang sich, seine Beinmuskeln zu entspannen, damit er sich bei der Landung nicht die Knie verdrehte. Er landete hart auf dem Auflieger und breitete seine Arme ganz aus, um das Gleichgewicht zu wahren.
Trotz seines jahrelangen Trainings hatte sich Blade bei seinem Sprung um den Bruchteil einer Sekunde verkalkuliert. Sobald die Vorwärtsbewegung des Lastwagens ihn erfasste, wurde er nach vorn geschleudert, als hätte ihn eine riesige Hand von den Beinen gerissen und ihn über die vordere Kante des Aufliegers gestoßen.
Purer Instinkt brachte Blade dazu, die Hände hochzureißen und nach einem der Stahlseile zu greifen, die von außen um das Dach des Aufliegers gewickelt waren. Ruckartig wurde seine Bewegung gestoppt, und er hing mit einer Hand an der Dachkante. An dem Seil baumelnd sah er zweifelnd nach unten, wo die Straße an ihm vorbeiraste. Das hätte hässlich enden können, dachte er. Es war nicht das erste Mal an diesem Tag, dass Blade froh war, seine dicken Lederhandschuhe zu tragen. Das Seil war zwar stabil, aber auch sehr dünn, und im Augenblick musste es nicht nur ihn, sondern auch noch fast zwanzig Kilo Waffen tragen.
Einen Herzschlag lang fühlte Blade, wie er zu rutschen begann, da er einen Krampf in der Hand bekam. Gerade rechtzeitig konnte er noch einen Satz nach oben machen und sich auch mit der anderen Hand festklammern, um so das Gewicht ein wenig zu verteilen. Nachdem er Halt gefunden hatte, begann er, hin und her zu pendeln. Dass andere Autofahrer ihn beim Überholen beunruhigt ansahen, wie er immer weiter ausholte, scherte ihn nicht. Nach dem dritten Mal spannte er seinen muskulösen Arm an und schaffte es, sich über die Dachkante zu schwingen. Dann ließ er sich in den offenen Teil des Aufliegers fallen und war verschwunden.
Ein paar Sekunden später war in der Dunkelheit für einen Moment eine Flamme zu sehen, dann ertönte das Röhren eines Auspuffs, gefolgt vom Aufheulen eines PS-starken Motors.
Aus dem Heck des Aufliegers schoss ein nachtschwarzer Dodge Charger Baujahr 1969 und flog über das Dach eines anderen Wagens hinweg, dessen Insassen – eine Gruppe nicht mehr ganz so jugendlicher Raser – den Sattelschlepper über einige Kilometer hinweg verfolgt hatten. Der Charger landete in einem Funkenregen auf der Fahrbahn, prallte einmal vom Asphalt ab und beschleunigte dann auf der dreispurigen Straße – jedoch entgegen der Fahrtrichtung. Eine Kakophonie aus Hupen und Reifenquietschen erfüllte die Nacht, als die anderen Fahrer mit Mühe und Not dem Wagen auswichen, während sie ihm Beschimpfungen und obszöne Gesten hinterherschickten.
In dem angenehm klimatisierten Charger schaltete Blade in aller Ruhe in einen niedrigeren Gang und bremste so heftig, dass der ramponierte Wagen schleuderte. Ruhig hielt er das Lenkrad fest, während das Auto durchgerüttelt wurde, als er mit den Fahrzeugen kollidierte, die auf den Fahrspuren neben ihm versuchten, ihn zu passieren.
Als der Wagen endlich in der richtigen Richtung fuhr, trat Blade abermals auf die Bremse. Er ignorierte das wilde Hupen ringsum und warf einen Blick in den Innenspiegel, um den Sitz seiner Frisur zu überprüfen. Dann trat er das Gaspedal voll durch.
Da waren ein paar Vampire unterwegs, die er sich vornehmen wollte.
Der Charger beschleunigte auf ein halsbrecherisches Tempo. Der Tacho war bereits im roten Bereich, als Blade den Sattelschlepper einholte. Im Führerhaus saß ein Mann mit wettergegerbtem Gesicht und einem grauen Bart. Er schaute herüber und hupte laut, um den vorbeifahrenden Blade gutgelaunt zu grüßen.
Hinter seiner Sonnenbrille kniff Blade die Augen amüsiert zusammen. Noch lächelte Whistler, aber er würde ihn umbringen, wenn er erst einmal gesehen hatte, was Blade soeben mit seinem Wagen angestellt hatte.
Achselzuckend griff Blade zwischen die Sitze, um die neu eingebaute Stickstoffoxid-Einspritzanlage zu aktivieren.
Blades zuverlässiger Charger hatte über die Jahre hinweg einiges über sich ergehen lassen müssen, doch jetzt musste selbst Blade zugeben, dass er es mit seiner neuesten technischen Spielerei womöglich übertrieben hatte. Um diese Anlage einzubauen, mussten die Eingeweide des Wagens herausgerissen werden. Dann wurde ein Antriebssystem installiert, das jeden NASA-Mitarbeiter vor Neid erblassen lassen würde und das ihm vermutlich auf jedem Kontinent ein dauerhaftes Fahrverbot einbringen würde.
Vorausgesetzt, jemand würde ihn stoppen können.
Der Charger schoss mit einem ohrenbetäubenden Jaulen los, als die Stickstoffoxid-Einspritzanlage zu arbeiten begann und dem Motor zusätzliche dreihundert PS verlieh. Flammen schossen aus dem Auspuff hervor, während Whistler und die aufgebrachten anderen Fahrer weit hinter ihm zurückfielen. Keine dreißig Sekunden später hatte Blade die flüchtigen Vampire auf ihren frisierten Motorrädern eingeholt.
Stone und Campbell warfen nur einen Blick auf Blades schwarzen Charger, der rasch näher kam, dann zogen sie ihre TEC-9-Pistolen. Als sie das Feuer auf ihn eröffneten, versuchten die anderen Verkehrsteilnehmer sofort, aus der Schusslinie zu gelangen. Die Kugeln sprühten Funken, als sie den Charger trafen, fraßen sich in die Karosserie und hinterließen lange Striemen im Lack. Doch die kugelsichere Windschutzscheibe trotzte dem Beschuss genauso wie die Kevlarplatten, die Motor und Tank schützten.
Blade atmete erleichtert auf. Whistler hatte wieder mal großartige Arbeit geleistet.
Er gab dem Wagen einen weiteren Schuss Stickstoffoxid, um seinen Job endlich hinter sich zu bringen.
Der Charger jagte wieder los und überholte Stone und Campbell, die sich sofort zurückfallen ließen und jeder an einen anderen Fahrbahnrand fuhren, um nicht länger ein einziges Ziel zu bieten. Die Maschinen reagierten mit Widerwillen auf das abrupte Lenkmanöver, und die beiden Vampire mussten all ihre übermenschliche Kraft und ihre Reflexe aufbieten, um die Motorräder daran zu hindern, sich zu überschlagen und von der Fahrbahn abzukommen.
Blade blieben höchstens zwei Sekunden, um sich seine weitere Vorgehensweise zu überlegen, ehe die beiden Motorräder zu weit voneinander entfernt waren. Timing war alles, insbesondere wenn es darum ging, Vampire zu fassen zu bekommen. Daher checkte er im Rückspiegel ihre momentane Position und trat dann heftig auf die Turbo-Bremse.
Der Charger bäumte sich auf wie ein Wildpferd, als er abrupt von über hundertsechzig auf weniger als achtzig Stundenkilometer gebremst wurde. Blade hielt seine Arme verschränkt vor das gepolsterte Lenkrad, um zu verhindern, dass er sich bei seinem Bremsmanöver den Kopf anschlug. Irgendwie gelang es ihm, auf seiner Fahrspur zu bleiben. Im nächsten Moment wurde der Charger von dem Aufprall der beiden Motorräder auf sein Heck erschüttert. Glassplitter und Blechteile flogen umher, während die beiden Fahrer höchst unfeierlich wie Dummies über die Lenker geschleudert wurden.
Stone flog ein Stück weit durch die Luft und zerschmetterte bei der Landung die Heckscheibe von Blades Wagen, riss den Rahmen mit sich und krachte dann mit dem Kopf voran in den Vordersitz. Campbell erging es nicht viel besser. Er prallte vom Dach des Charger ab, rutschte in einem Regen aus Blut und Glas über die Windschutzscheibe und glitt dann über die Motorhaube hinab. Dabei versuchte er, sich an einem Scheibenwischer festzuhalten. Schließlich gelang es ihm, sich breitbeinig auf der Haube zu halten.
Blade umklammerte das Lenkrad und stieß einen gespielten Seufzer aus. Das war nun wirklich nicht sein Tag. Erst benötigte er nicht mal eine Minute, um seinen aufgerüsteten Wagen zu demolieren, und nun hatte er zwei neue Probleme am Hals. Eines davon steckte kopfüber im Fußraum vor dem Beifahrersitz und heulte rachsüchtig auf, das andere hing auf seiner Haube wie ein Tier, das ihm vor den Wagen gelaufen war, nahm ihm die Sicht und hatte einen Scheibenwischer bis zur Unbrauchbarkeit verbogen.
Als würde das nicht genügen, waren nun auch noch Glassplitter in seinem Schoß gelandet.
Natürlich musste das an dem Tag geschehen, an dem er zum ersten Mal seine neue Lederhose angezogen hatte.
Blade duckte sich instinktiv, als einer von Stones stahlkappenbewehrten Stiefeln über seinen Kopf hinwegtrat. Er knurrte, da sich eine Scherbe innen in seinen Oberschenkel gebohrt hatte, und warf Stone einen wütenden Blick zu. Der Vampir versuchte, sich zu befreien, und schlug und trat dabei wie wild um sich. So konnte das nicht weitergehen. Blade hielt das Lenkrad nur noch mit einer Hand fest, mit der anderen griff er hinter sich zwischen die Sitze. Seine Finger schlossen sich um den kalten Lauf seiner Schrotflinte. Er packte sie, richtete die Mündung auf seinen unfreiwilligen Beifahrer und drückte ab, ohne sich die Mühe zu machen, groß zu zielen.
In dem beengten Raum war der Schuss ohrenbetäubend, erfüllte aber seinen Zweck. Stone begann zu kreischen und zu zucken, als sich das mit Silber umhüllte Schrot in seinen Oberkörper fraß. Sein Körper ging in blaue und weiße Flammen auf, dann verbrannte er auf dem Beifahrersitz, wobei das Glas des Seitenfensters versengt wurde.
Scheiße, dachte Blade und schlug mit der Faust auf das Lenkrad. Verdammt schlau von mir.
Ehe sich Stone in eine Aschewolke verwandeln konnte, die ihm die Inneneinrichtung ramponieren würde, drückte Blade auf eine Taste, und die Beifahrertür öffnete sich automatisch. Der sterbende Vampir stürzte aus dem Wagen und fiel genau vor einen herannahenden Bus. Der machte einen kleinen Satz, dann waren Stones Überreste auch schon zu Staub zermahlen worden.
Blade zog die Tür wieder zu und widmete sich seinem zweiten Gegner.
Campbell hatte es inzwischen geschafft, eine Hand in den Lufteinlassschlitzen der Haube zu verkrallen, mit der anderen schlug er auf das kugelsichere Glas, um ins Wageninnere zu gelangen. So robust die Scheibe auch war, zeichneten sich erste Risse ab, die an ein Spinnennetz erinnerten.
Blade gab Gas und fuhr Schlangenlinien, um die Kreatur abzuschütteln, doch es half nichts. Der Vampir hielt sich auf der Haube, als klebte er dort fest – wie eine hässliche, blutige Kühlerfigur.
Plötzlich zerbarst Glas, Splitter flogen ins Innere. In der Windschutzscheibe klaffte ein Loch. Campbell schob seine Klauenhand hindurch und griff blindlings nach dem Lenkrad, während er das Glas von innen mit dunklem Blut verschmierte. Ohne eine Sekunde zu verlieren, griff Blade nach seiner Schrotflinte, schob sie durch das Loch in der Scheibe und rammte sie in Campbells grinsenden Mund.
Blade murmelte ein Stoßgebet an den Gott der Verkehrssicherheit und betätigte den Abzug.
Es gab einen lauten Knall, dann legten sich die verkohlten Überreste des Vampirs in einer dicken schwarzen Wolke auf die Scheibe und nahmen Blade die Sicht.
Automatisch schaltete er die Scheibenwischer ein, doch das half nichts. Der verdrehte Wischer drehte sich nutzlos hin und her. Blade betätigte die Waschanlage, in der Hoffnung, dass der Fensterreiniger ihm halbwegs freie Sicht bescheren würde. Doch die Überreste des Vampirs verwandelten sich in eine klebrige schwarze Masse, durch die er noch weniger als vorher sehen konnte.
Blade fluchte.
Der Eagle mit Gedge und seinem Kumpel an Bord raste unterdessen weiter vorne über den Highway. Der Fahrer wechselte ständig die Spur und schlug mit einer Hand rhythmisch aufs Lenkrad. Der Adrenalinstoß, den die wilde Flucht in ihm auslöste, beflügelte ihn. Gedge bewegte sich unruhig auf seinem Platz, während er immer wieder über die Schulter nach hinten sah. Er hatte über Blade genug gehört, um zu wissen, dass sie noch längst nicht in Sicherheit waren, selbst wenn es im Augenblick so schien.
Vermutlich brachten sie sich nur noch weiter in Schwierigkeiten.
Gedges Nackenhaare richteten sich auf, als er Blades unverkennbaren Charger entdeckte, der sich durch den Verkehr allmählich nach vorn arbeitete. Der Wagen war erheblich beschädigt worden, und er war mit einer dicken schwarzen Schlammschicht überzogen, doch das hielt Blade nicht davon ab, weiter Gas zu geben und auf sie zuzuhalten.
Gedge stieß vor Schreck einen Schrei aus und machte den Fahrer auf ihre Verfolger aufmerksam, der sich daraufhin aus dem Fenster des Eagle lehnte und seine automatische Pistole auf den Charger richtete. Er zielte auf die beschädigte Windschutzscheibe und feuerte mehrere Salven ab. Die Geschosse trafen ihr Ziel und gaben der geschwächten Scheibe den Rest. Sie zerplatzte in Tausende von Glaswürfeln, die ins Wageninnere flogen.
Blade duckte sich, als das Glas ihm entgegenflog und die Splitter sich in die abgewetzten Ledersitze bohrten. Schnell richtete er sich wieder auf und drückte auf einen blauen Knopf, der mit „UV“ gekennzeichnet war. Ein Surren war zu hören, als eine ganze Batterie extrem starker, ultravioletter Strahler auf dem Dach des Chargers ausgefahren wurde. Sie drehten sich in ihren Fassungen und summten leise, als sie vorgewärmt wurden. Dann flammten sie auf und tauchten den Wagen mitsamt seinen Insassen in tödliches UV-Licht.
Der Fahrer des Eagle wurde von der vollen Kraft des Lichts getroffen. Er schrie auf und legte einen Arm schützend vor sein Gesicht, doch dafür war es bereits zu spät. Die Hautstellen, die der Helligkeit ausgesetzt worden waren, verhärteten und rissen auf wie mürb gewordenes Leder. Seine Kleidung wurde in Brand gesteckt, als Flammen aus den bis auf die Knochen reichenden Rissen in seinem Fleisch austraten. Einen Moment lang wütete das Feuer, dann erlosch es gleich wieder, als sich sein ganzer Körper in feste Asche verwandelt hatte.
Der Wagen fuhr durch ein Schlagloch, und die verkohlte Statue kippte nach vorn und zerfiel. Asche verteilte sich auf den Vordersitzen. Führerlos steuerte der Eagle nun in Richtung Straßenrand. Gedge war gezwungen, auf den Fahrersitz zu klettern und das Lenkrad zu übernehmen. Er zuckte zusammen, als die verkohlten, heißen Reste des anderen Vampirs zerfielen, sobald er sich auf sie setzte. Im Wagen roch es nach verbranntem Katzenfell und Schwefel. Angewidert rümpfte Gedge die Nase und klammerte sich in Panik am Lenkrad fest, als der Eagle durch einen seitlichen Aufprall beinahe von der Fahrbahn gedrängt wurde.
Entsetzt sah er aus dem Seitenfenster. Der Daywalker hatte ihn gerammt! War der Kerl verrückt? Bei dem Tempo würde er sie beide umbringen!
Im Charger neben ihm stellte Blade seinen Rückspiegel wieder richtig ein, dann rammte er den Eagle ein zweites Mal. Funken sprühten, als die beiden Fahrzeuge aneinander gerieten. Sie lösten sich voneinander, aber Blade riss das Lenkrad ein drittes Mal herum und rammte den Eagle abermals, um ihn von der Straße zu drängen.
Endlich gelang es ihm. Der Eagle machte einen Satz zur Seite, als Gedge die Kontrolle über das Fahrzeug verlor. Das Lenkrad wurde ihm aus den Händen gerissen, als sich die Räder nach rechts stellten und verkeilten. Der Wagen schrammte an einer Reihe parkender Fahrzeuge vorbei, bis eine Lücke auftauchte und er eine Baustellenrampe hinaufraste, die normalerweise von Betonmischwagen benutzt wurde, die dort ihre Ladung ins Fundament pumpten.
Der Eagle durchbrach die letzte Absperrung und flog durch die Nacht, der Motor heulte auf, da die Räder keinen Widerstand mehr fanden. Dann schlug er mit einem herzhaften Krachen auf dem Dach auf und rutschte auf den belebten Bürgersteig zu.
Das Gewicht und die Fliehkräfte ließen den Wagen meterweit über den Fußweg rutschen, wobei er Telegrafenmasten und Zeitungsautomaten mitriss. Touristen auf ihrem Abendspaziergang brachten sich mit einem Sprung zur Seite in Sicherheit, während das Auto auf einen kleinen Markt auf dem Bürgersteig zusteuerte. Stände voller billiger Ware wurden weggeschleudert, als der Eagle in sie hineinrutschte und dabei auf die Seite kippte.
Dann endlich rammte er mit der Schnauze eine eiserne Straßenlaterne, die seiner Vorwärtsbewegung ein abruptes und lautstarkes Ende setzte. Die Laterne knarrte bedenklich, und Sekunden später stürzte sie auf das Fahrzeugwrack.
Als sich der aufgewirbelte Staub gelegt hatte, kam allmählich wieder Leben in die Straße. Passanten krochen aus ihren Verstecken hervor und näherten sich dem qualmenden Wrack. An der Bushaltestelle wählte jemand den Notruf. Die Schaulustigen hielten respektvoll Abstand, da sie das Schlimmste befürchteten.
Ein erschrockenes Raunen ging durch die Menge, als sich auf einmal die Tür des Eagle öffnete, die nun zum Himmel gerichtet war. Gedge zuckte zusammen, als er sich langsam aus den zermalmten Überresten des Wagens befreite. Die Umstehenden ignorierte er völlig. Er blutete, er hatte Prellungen davongetragen, aber er lebte noch.
Er stützte sich am Wagen ab, um sich aufzurichten, schwankte einen Moment lang leicht, bekam sich dann aber wieder unter Kontrolle. Nur mit Mühe gelang es ihm, das nun hochkant stehende Handschuhfach zu öffnen und eine silberne Pistole herauszuholen. Er entsicherte die Waffe und warf einen gehetzten Blick über die Schulter, dann humpelte er die Straße entlang. Die Menge teilte sich vor ihm wie das Rote Meer.
Blade stoppte seinen Charger am Fahrbahnrand ein Stück vor Gedge, der Motor gab ein Klingeln von sich, das davon zeugte, wie stark die Maschine während der Verfolgungsjagd beansprucht worden war. Wie ein Mann drehte sich die Menge um, als die große, dunkle Gestalt mit einer Schrotflinte in der Hand aus dem nahezu schrottreifen Wagen ausstieg.
Die Umstehenden begriffen schnell, was hier im Gange war, und wichen zügig zurück. Eine Mutter schrie auf, packte ihr Kleinkind und rannte los, um es in Sicherheit zu bringen. Blade nahm von niemandem Notiz. Was sich hier zutragen sollte, würde für sie ohnehin keinen Sinn ergeben, selbst wenn sie es mit eigenen Augen beobachteten. Er würde den Vampir jagen und töten, der würde zu Staub explodieren und keine Spur hinterlassen, die seine vormalige Existenz beweisen konnte.
Das war äußerst praktisch. Blade hatte es schon tausend Mal miterlebt, und jedes Mal hatte er zu schätzen gewusst, wie zweckmäßig es war.
Wenn er wieder weg war und die Menschen den ersten Schock überwunden hatten, würden sie schließlich glauben, man habe ihnen einen Streich gespielt. Vielleicht handelte sich um irgendeinen ausgefeilten Gag, der für eine TV-Sendung mit versteckten Kameras mitgefilmt wurde. In ein paar Tagen würden sie längst vergessen haben, was sich vor ihren Augen abgespielt hatte.
Blade lächelte finster, als er dem fliehenden Gedge folgte. Die Leute sahen immer nur das, was sie sehen wollten. Weder Logik noch gesunder Menschenverstand konnte sie von ihrer Meinung abbringen, da halfen auch nicht die Beweise, die sie aus erster Hand vorgeführt bekamen. Es war bedauerlich, dass er vor Publikum agieren musste, doch es war seine Pflicht, den Job zu erledigen. Wenn auch nur ein Vampir dem heutigen Blutbad entkam, könnte er andere warnen, die auf Blades Liste standen, und ihm so seinen mühsam erarbeiteten Vorteil zunichte machen.
Blade hob seine Schrotflinte, die ein neues Extra aufwies – eine Schnellfeuervorrichtung für Pflöcke, die unter dem Lauf montiert war. Dies war eines der neuesten Experimente von Whistler, und Blade wollte es unbedingt testen. Ehe jemand in der Menge einen Entsetzensschrei ausstoßen konnte, hatte er auf Gedge gezielt und betätigte den Abzug.
Ein silberner Pflock, der von einer Düse mit CO2-Gas angetrieben wurde, traf die flüchtende Gestalt in den Rücken und brachte sie zu Fall. Gedge verlor seine Waffe, die über den Fußweg rutschte und im Rinnstein verschwand. Die Schaulustigen schrien auf und wichen weiter zurück, um irgendwo Zuflucht zu suchen, während sich Blade der Gestalt näherte, die im Staub auf dem Fußweg lag.
Aus weiter Feme vernahm Blade das Heulen von Polizeisirenen, doch er kümmerte sich nicht darum. Lange bevor sie auch nur nahe genug waren, um ihn sehen zu können, würde er längst verschwunden sein.
Für den Augenblick hatte er erst einmal seinen Job zu erledigen.
Gedge starrte Blade an, der als düstere Gestalt vor ihm stand. Mit einem Mal war er ruhig. Über die Jahre hinweg hatte sich Gedge immer wieder vorgestellt, wie er wohl sterben würde, aber diese Möglichkeit hatte er nie in Erwägung gezogen. Er hatte immer im Kampf sterben wollen, umgeben von Vampirschönheiten in hautengen, schwarzen PVC-Overalls, die dann den Rest ihres Lebens ausschließlich damit verbringen würden, seinen ehrenvollen Tod zu rächen.
Zugleich empfand Gedge aber auch gewisse Befriedigung, dass sein Tod nicht völlig sinnlos sein würde. Immerhin brachte er das größte Opfer: Er starb, damit andere leben konnten. So schloss sich der Kreis seines langen Lebens.
Nur schade, dass der Kerl, der ihn umbringen würde, ausgerechnet Lederhosen trug.
Blade sah Gedge verwirrt an. Der Vampir lebte noch. Und als würde das nicht genügen, lachte er auch noch. Aber wieso?
Gedge fletschte trotzig die Zähne und unterdrückte ein hysterisches Lachen, während er fühlte, wie sich seine Lungen mit Blut füllten.
Blade hockte sich vor ihm hin und sah ihn auf die gleiche Weise an, wie eine Katze eine Kröte betrachtete. „Ich habe dich mit Silber gepfählt. Wieso bist du nicht zu Asche zerfallen?“
Gedge musste angestrengt husten, Blut rann ihm aus dem Mund, während er sich bemühte, trotz seiner zerfetzten Eingeweide zu reden. „Wieso bist du nicht schlauer?“ zischte er ihn an, griff in seinen Mund und zog an den Reißzähnen.
Im nächsten Moment hielt er sie in der Hand. Sie waren falsch.
„Bin kein Vampir, du Trottel… Hab dich drangekriegt.“ Gedge sah an Blade vorbei und grinste jemandem zu, dann riss er die Augen auf, sackte nach hinten weg und hauchte rasselnd sein Leben aus.
Unbehagen ergriff von Blade Besitz. Widerwillig drehte er sich um und spähte in die Dunkelheit. Hinter ihm lag ein großer Wohnblock, dessen Front von Metallstegen und Feuerleitern durchzogen war. Das Dach war mühelos zu erreichen, und von dort oben konnte man die Szene bestens beobachten.
Blade sah eine dunkle Gestalt, die dort kauerte. Eine Frau, die hungrig wirkte.
Ihr Blick war auf ihn gerichtet.
Als sie erkannte, dass Blade sie bemerkt hatte, trat sie ohne besondere Eile ein paar Schritte nach hinten und verschwand zwischen den Schatten.
Heulende Sirenen veranlassten Blade, den Blick von der mysteriösen Gestalt abzuwenden und sich von dem toten Menschen zu entfernen, der vor ihm auf dem Boden lag. Die Straße war durch eine massiven Front aus Polizeiwagen blockiert, die sich langsam näherten. Die Behörden waren mit einem großen Aufgebot angerückt, und diesmal würden sie sogar einen handfesten Beweis finden, mit dem sie sich die Zeit vertreiben konnten.
Blade erhob sich wie ein Geist und lief zu seinem ramponierten Charger. Er sprang hinein, ließ den Motor aufheulen und fuhr mit durchdrehenden Reifen los. Während sich die Polizeiwagen näherten, schaltete er den Stickstoffoxid-Antrieb zu und beschleunigte, um endlich in der Dunkelheit zu verschwinden und die unangenehme Bescherung hinter sich zu lassen, die er zu verantworten hatte.
Zum ersten Mal in seinem Leben wusste Blade nicht, wie er weitermachen sollte.
Eine Stunde später schloss Danica im Hochhauskomplex Phoenix Towers die Tür hinter sich und legte ein digitales Videoband in den ultramodernen silbernen Player. Sie hockte sich hin und drückte auf Wiedergabe. Auf dem Monitor erschien eine körnige Aufnahme von Blade, wie er Gedge fertigmachte. Es war von recht weit oben aufgenommen worden.
Danica lächelte befriedigt, als sie sich das Chaos auf dem Bildschirm ansah, das Blade hinterlassen hatte.
Perfekt.
Endlich hatte sie diesen Freak von Daywalker.