Abigail hing mehr als zehn Meter über dem Boden in der Luft und versuchte, ihre letzten Kraftreserven zu mobilisieren. Schweißtropfen brannten ihr in den Augen, als sie nach unten blickte.
Das hätte sie besser nicht getan.
Sie winkelte die Knie an und schwang wie ein Pendel hin und her. Jeder Muskel in ihrem Leib schmerzte. Sie musste es zur anderen Seite schaffen und King retten, ehe Danica ihn ein für allemal zur Hölle schickte.
Abigail hielt inne. Was war mit dem Pfeil? Was, wenn Drake Blade umbrachte und auf Nimmerwiedersehen verschwand?
Sie zögerte und verzog das Gesicht aus Wut über ihre Unentschlossenheit. Ihre Hand begann abzurutschen. Ihr Arm zitterte, weil er ihr ganzes Gewicht tragen musste. Sie gab sich einen Ruck und bekam den nächsten Querbalken zu fassen. Dann hing sie einen Moment lang zwischen beiden Balken, um zu verschnaufen. Dabei stachen sich winzige Metallsplitter durch ihre Lederhandschuhe in die Fingerspitzen, Blut vermischte sich mit Schweiß und machte es ihr noch schwieriger, sich festzuhalten. Ehe sie sich von der Stelle bewegen konnte, peitschte ein weiterer Schuss durch den Raum. Das Geschoss prallte von der Decke ab.
Abigail sah nach unten. Was war nun los?
Sie schrie vor Schmerz auf, als eine zweite Kugel ihre Schulter traf und sie beinahe dazu brachte, einfach loszulassen. Sie fing sich gerade noch und atmete schwer. Die Kugel hatte ihre Schulter zum Glück nur gestreift, dennoch ging eine Schockwelle durch ihren Arm, der ihre Hand sofort taub werden ließ. Sie biss die Zähne zusammen, so fest sie nur konnte, und schaffte es, mit der anderen Hand den nächsten Querträger zu fassen zu bekommen. Schweißgebadet wagte sie einen Blick nach unten.
Asher stand dort drüben und hatte ein altmodisches Gewehr auf sie gerichtet. Hilflos sah sie mit an, wie er sorgfältig zielte und darauf achtete, dass sie genau in seinem Fadenkreuz auftauchte. Da sie immer noch leicht hin und her schaukelte, bewegte er den Lauf ein wenig zur Seite, um sich auf ihre Vorwärtsbewegung einzustellen.
Dann drückte er ab.
Hinter ihr ging King zu Boden, als Danica ihn mit einer ganzen Salve von Haken traktierte. Ihren ersten Angriff hatte er noch mit einer gezielten Kopfnuss abwehren können, der mit einem Aufschrei und einem Knacken belohnt worden war, das sich nach einem gebrochenen Knochen angehört hatte. Nun aber hatte sie ihn am Hals gepackt und prügelte ihn grün und blau.
King rollte sich auf den Rücken, wischte sich mit einer Hand über sein angeschwollenes Gesicht und spuckte einen Splitter aus, der von einem seiner Zähne stammte. Die Lichter über ihm schienen sich zu drehen, als er versuchte, sich auf Danica zu konzentrieren. Sie ragte hoch über ihm auf und krempelte die Ärmel hoch, als würde sie jetzt erst richtig anfangen.
Er stöhnte auf und kam auf die Beine, wobei er wie ein Betrunkener schwankte. „Nimm’s nicht persönlich, Danica, aber ich wollte dich schon töten, nachdem ich mit dir geschlafen hatte.“
Danica hob eine Augenbraue. „War ich so schlecht?“
King täuschte einen plumpen Haken an, dem sie nach hinten auswich, und hob seine Waffe vom Boden auf. Er zielte auf sie, doch Danica begann zu lachen.
„Keine Munition mehr, King.“
Er lächelte breit, wenn auch blutverschmiert. Dann deaktivierte er die magnetische Sicherung, drückte den Rücken durch und sah Danica mit hasserfüllten Augen an. „Stimmt, aber das ist nicht so schlimm. Diese Babys lassen sich fernzünden.“
Bevor Danica sich rühren konnte, hatte King bereits den Abzug durchgezogen.
Mit einem leisen Klick und einem Aufheulen wurden die Sundog-Kugeln aktiviert. Binnen Sekunden glühten sie grellweiß. Und dann explodierten sie.
Ein gleißender blauer Blitz aus UV-Licht ließ Danica kreischend die Hände hochreißen, um ihre Gesicht vor dem tödlichen Leuchten zu schützen, doch sie war nicht schnell genug. Der Gestank von brennendem Fleisch breitete sich aus, während Danica vor Erstaunen und Schmerz aufschrie. Mit qualmendem Gesicht wandte sie sich ab und stolperte durch eine Tür davon.
King ließ sie entkommen. Dass sie sterben musste, wa ihm klar. Aber nicht so leicht. Er wollte, dass sie erst noch litt. Er zog seine letzte Sundog-Kugel aus dem Magazin, machte sie mit einem Fingerschnippen scharf, dann schob er sie in die Pistole.
Um das Miststück würde er sich später kümmern, diese letzte Kugel war dagegen für ihren elenden Bruder bestimmt.
King kroch ein Stück nach vorn und hielt sich mit einer blutigen Hand am Metallgeländer fest, damit er auf Asher zielen konnte, der auf der anderen Seite des Raumes stand und mit seinem Gewehr auf Abigail zielte. Ohne zu zögern drückte King ab.
Die Sundog pfiff durch das Atrium und traf Asher genau in den geöffneten Mund. Der Einschlag der Kugel riss ihn mit und schleuderte ihn ein Stück weit nach hinten. Er ließ sein Gewehr fallen und griff hektisch nach seinem Mund, während ein dünnes Blutrinnsal zwischen seinen Lippen hervortrat.
Dann explodierte die Kugel. Grelles blaues Licht leuchtete aus Mund und Augenhöhlen, als Ashers Kopf von tödlichem UV-Licht erfüllt wurde. Er kippte schreiend und zuckend vornüber, als sein Kopf in sich zusammenfiel und dann in einem kleinen Feuerball explodierte. Sein kopfloser Rumpf fiel weiter nach vorn und stürzte über das Geländer. Während er nach unten stürzte, ging sein ganzer Körper in Flammen auf.
Erleichtert sank King auf die Knie.
Sein Job war erledigt.
Der Krieg war aber noch nicht vorüber. Unten im Atrium war Blade dem Tode nah. Allen Anstrengungen des Daywalkers zum Trotz schleuderte Drake ihn umher, als sei er eine große Puppe.
Blade segelte durch die Luft, schlug sich den Kopf an der Metallkante der Empore auf und stürzte dann gut zehn Meter in die Tiefe. Seine Sinne rasten, als die Schockwelle des Aufpralls sich durch seine Wirbelsäule fortpflanzte. Jede Zelle seines Körpers schien von ihrem angestammten Platz fortgezerrt worden zu sein, er war zu Tode erschöpft und konnte kaum noch klar denken – und doch wusste er, dass er sich weiter bewegen musste.
Stöhnend nahm Blade die wenige noch verbliebene Kraft zusammen und versuchte, sich auf die Seite zu rollen. Sein Körper rebellierte, seine geschundenen Muskeln legten Protest ein. Er hatte das Gefühl, als würde sich sein Körper durch eine dicke, klebrige Teermasse bewegen. Das eisige Stechen in seiner verletzten Schulter war zu einem dumpfen Schmerz abgeklungen, aber aus der tiefen Wunde lief weiterhin Blut, was ihn zusätzlich Kraft kostete und seine Körperpanzerung mit einer warmen, klebrigen Flüssigkeit überzog.
Blade wusste, dass er nicht mehr lange durchhalten konnte.
Während er sich wieder aufrichtete, warf Drake das Rohr weg. Dann packte er Blade, zerrte ihn hoch und drückte ihn gegen die Wand. Die Wucht des Aufpralls presste Blade die Luft aus den Lungen. Er konnte nicht länger die nötige Kraft aufbringen, um sich gegen den Fausthieb zu wehren, den Drake in seine Magengegend rammte. Gleich anschließend landete er einen Treffer an seinem Kopf, der Blade an die Wand hinter ihm schleuderte. Vor Blades Augen zuckten grelle Blitze, während Drake ihn wieder und wieder schlug und all seine Wut an dem Daywalker ausließ.
Verzweifelt holte Blade aus und stach seine Finger in Drakes Augen. Der Vampir schrie auf und hob die Hände, um Blade zur Seite zu schlagen. Er taumelte nach hinten, dann rammte er im Stile eines Hulk die beiden Panzerhandschuhe in den Boden und zerschmetterte einen großen Teil des Kalksteinbodens, um seiner Wut und brutalen Kraft Ausdruck zu verleihen. Fliesen wurden durch die Wucht des Treffers in die Luft gewirbelt.
Blade verlor den Halt durch die Erschütterung und landete rücklings auf dem zerstörten Fußboden. Als sein Kopf auf den Steinen aufschlug, blitzte vor seinen Augen ein greller Stern auf und der Raum um ihn herum begann zu verschwimmen. Trotz der Pein trieb Blades Verstand dahin, losgelöst vom Schmerz, und auf eine sonderbar ruhige Weise wurde ihm klar, dass er in einen Schock verfiel. Schwarze Punkte entstanden am Rand seines Gesichtsfelds, als die Dunkelheit begann, sich über den kleinen Rest von Bewusstsein zu legen, das ihm noch geblieben war.
Er holte zittrig Luft. Er kämpfte darum, nicht bewusstlos zu werden, als Drake auf ihn zuschritt und dabei das Bein einer Marmorstatue wie einen Baseballschläger schwang.
Ein einziger Gedanke ging Blade durch den Kopf.
Wo zum Teufel war Abigail?
Hoch über ihnen bewegte sich Abigail an den Trägern weiter, bis sie die Mitte des Atriums erreicht hatte. Sie ignorierte dabei den Schmerz in ihrer Schulter und hakte ihre Knie über dem Deckenträger ein, damit sie die Hände frei hatte.
Kopfüber hängend griff sie hinter sich und zog den Bogen aus seiner Scheide, um ihre Mission zu erfüllen. Es gab jetzt kein Zurück mehr. Sie nahm den Bogen in die andere Hand und klappte ihn leise auseinander. Doch ihre Haltung bewirkte, dass Blut von ihrer Schusswunde am Schlüsselbein entlang lief und ihr in die Augen tropfte. Sie blinzelte gereizt und begann, die brennende Flüssigkeit wegzuwischen. Dabei lockerte sich jedoch der Gurt um ihren Köcher, mehrere Pfeile rutschten heraus und fielen nach unten, ehe sie sie aufhalten konnte.
Reflexartig griff Abigail nach ihnen und bekam einige gerade noch zu fassen, bevor sie außer Reichweite waren – auch den Pfeil mit der Ampulle. Sie erstarrte und hielt den Pfeil fest umklammert, während ihr Puls in den Ohren hämmerte. Schweißtropfen liefen ihr über die Stirn, und sie kniff die Augen zu. Sie musste den Gedanken verdrängen, was wohl geschehen wäre, wenn sie ihn nicht mehr hätte fassen können.
Einen Augenblick später löste sie sich aus ihrer Starre und bewegte sich wie in Zeitlupe, als sie die geretteten Pfeile zurück in den Köcher schob. Drake war so in seinen Kampf mit Blade vertieft, dass er von den Pfeilen, die zu Boden gefallen waren, offenbar nichts mitbekommen hatte. Abigail legte den Pfeil mit der Ampulle wieder an und holte tief Atem. Sie hatte nur diese eine Chance, und die würde sie nutzen müssen, während sie kopfüber hing.
Sie musste blinzeln, weil ihr wieder Blut ins Auge lief, gleichzeitig vollzog sie jeden von Drakes Schritten nach. Sie musste nur darauf warten, dass er sich zu ihr umdrehte und ihr die ungeschützte Brust darbot.
Unter ihr tobte der Kampf mit unverminderter Härte weiter. Sie zuckte unwillkürlich zusammen, als Drake Blade hochhob und dann mit dem Kopf voran auf die zerschmetterten Fliesen warf. Der Daywalker bewegte sich nur noch träge, er war blutüberströmt. Drake rammte seine Schulter ein paar Mal gegen eine Säule dicht neben dem am Boden liegenden Blade und brach sie in der Mitte durch. Abigail stieß einen ersticken Schrei aus, als ein Teil des Metallgangs von der Empore wegbrach und auf Blade stürzte.
Für Drake war dieses Finale offenbar noch immer nicht dramatisch genug. Knurrend sprang er auf den Schutthaufen und zog Blade aus den Trümmern. Der hing so schlaff in Drakes Griff wie ein toter Fisch an der Angel. Mit einem boshaften Grinsen verpasste Drake dem Daywalker eine Kopfnuss, die ihm eine gebrochene Nase bescherte. Blut spritzte umher, und Drake stieß ein triumphierendes Geheul aus, als der Körper seines Feindes krampfartig zu zucken begann, da der Schmerz ihn gegen seinen Willen wieder zu Bewusstsein kommen ließ.
Drake entdeckte Blades Schwert, das gut einen Meter entfernt lag. Er hob es auf, gleichzeitig ließ er seinen Gegner achtlos zu Boden sinken. Seine Augen funkelten, während er mit der Waffe so ausholte, als wollte er Blade in zwei Hälften zerteilen.
Als Blade hörte, wie sein Schwert – sein Schwert! – die Luft zerschnitt, riss er die Augen auf. Sein Körper war augenblicklich wieder von Leben erfüllt, und er warf sich zur Seite. Die Klinge verfehlte ihn um Haaresbreite und bohrte sich stattdessen in die Trümmer.
Drake stieß ein wütendes Zischen aus, zog das Schwert heraus und schlug noch einmal zu.
Doch diesmal hatte Blade nicht schnell genug reagiert. Die Klinge traf seine Rippen und schnitt sich sauber durch seine Schutzkleidung, Blut spritzte umher. Die Wucht des Treffers wirbelte Blade um seine eigene Achse und ließ ihn das Gleichgewicht verlieren. Er sackte auf die Knie, während das Blut aus der Wunde an seiner Seite strömte.
Hoch oben unter der Decke schlug Abigails Herz noch schneller, als sie sah, wie Drake Blade förmlich abschlachtete. Sie konnte nicht noch länger warten. Eine Minute länger, und Blade würde tot sein.
Diese Befriedigung wollte sie Drake nicht gönnen.
Sie bewegte sich so schnell, wie sie es für vertretbar hielt, und hob den Bogen hoch. Zwei Finger legte sie unter die Sehne und zog sie nach hinten, dann löste sie mit der anderen Hand die automatische Erfassung. Die Sehne zitterte, als die ganze Kraft des gespannten Bogens auf ihrem verletzten Arm ruhte. Ihre Muskeln protestierten, doch der Arm hielt der Belastung stand. Sie zielte auf Drake, als er wieder mit dem Schwert nach Blade schlug und den erschöpften Daywalker nur um Zentimeter verfehlte, weil er sich abermals zur Seite geworfen hatte.
Jetzt oder nie.
Abigails Augen brannten, als sich erneut ein wenig Blut in ihnen sammelte, doch sie wagte es nicht, es wegzuwischen. Blinzeln war das Einzige, was sie sich gestattete. Sie atmete ein, um zur Ruhe zu kommen, dann richtete sie die dunkle Spitze des Pfeils auf Drake. Der hob in diesem Moment das Schwert hoch über seinen Kopf, bereit, es in den Leib seines Gegners zu jagen, der zu keiner Regung mehr fähig war. Für den Bruchteil einer Sekunde war Drakes Oberkörper ungeschützt.
Abigail konnte ihr Glück kaum fassen. Das war die perfekte Gelegenheit.
Sie ließ die Sehne los.
Der Pfeil schoss mit mehr als neunzig Metern pro Sekunde auf Drake zu. Abigails Herz setzte einen Schlag lang aus, als sie zusah, wie sich das Geschoss unaufhörlich seinem Ziel näherte.
Im allerletzten Augenblick aber bewegte Drake den Schwertarm ein wenig, so dass die Schussbahn mit einem Mal blockiert war.
Der Pfeil traf das Heft des erhobenen Schwerts, prallte ab und landete keinen halben Meter neben Blade auf dem Boden.
Abigails Hoffnung war zerstört worden. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich tiefe Verzweiflung ab. Alles war umsonst gewesen.
Drake vollzog seine Bewegung weiter, ohne aufzublicken, und rammte das Schwert in Blades Seite. Die Spitze der Klinge trat am Rücken wieder aus und bohrte sich in den Fußboden, wobei sie deutlich hörbar eine Fliese zerbrach. Abigail verkniff sich einen Entsetzensschrei, als sie sah, wie Blade nach Luft schnappte und von seiner eigenen Waffe durchbohrt zusammensank.
Das war’s.
Drake stieß einen Triumphschrei aus, gleichzeitig begann er sich zu verwandeln. Seine menschlichen Gesichtszüge lösten sich auf, als Blut dicht unter seine Haut strömte und seiner Haut eine tiefe, karmesinrote Farbe verlieh.
Hilflos musste Abigail miterleben, wie sich sein ganzer Körper umformte und sich sein Skelett vor ihren Augen neu anordnete. Sein Kiefer wurde länger, als sich gewaltige Reißzähne aus dem Zahnfleisch schoben, die seine Lippen teilten und an beiden Seiten seines Kiefers nach unten wuchsen. Krallen, so hart wie Stahl, platzten aus den Fingerspitzen hervor und verteilten eine feinen blutigen Nebel, knochige Sporne traten überall an seinem Körper aus und bildeten zusammen eine Haut aus rasiermesserscharfen Dornen. Ein abscheuliches Knacken und Krachen war zu hören, als sich Drakes Kniegelenke und Knöchel drehten und ihre Beugerichtung umkehrten, bis sie mit einem grässlichen Geräusch regelrecht einzurasten schienen.
Drake wandte sich um und begann, ein lautes Heulen auszustoßen, wobei er ein Gebiss präsentierte, dass die Reißzähne eines gewöhnlichen Vampirs daneben wie die Zähnchen eines frisch geborenen Kätzchens wirkten. Seine Pupillen färbten sich blutrot, seine Haut war im nächsten Moment von dornenbewehrten Schuppen überzogen, einem knöchernen Schutzpanzer gleich.
Endlich hatte Drake sein wahres Aussehen enthüllt.
Nach siebzig Jahrhunderten der Gewalt und der Jagd stand Drake nun als der reine, zu Gestalt gewordene Tod inmitten der Überreste des Atriums. Seine schuppigen Lippen verzogen sich zu einem animalischen Grinsen, als er die angerichtete Verwüstung betrachtete.
Ihm gefiel, was er sah.
Hinter ihm war ein leises Geräusch zu hören. Drake drehte sich um und kniff die Augen zusammen, als er feststellte, dass der jämmerliche Daywalker immer noch lebte. Er kroch durch den Schutt langsam, aber beharrlich auf ihn zu. Mit einem spöttischen Grinsen hob Drake abermals das Schwert, um dem besiegten Jäger endgültig den Rest zu geben. Die Klinge funkelte hoch über seinem Kopf und zeigte tausend strahlende Spiegelbilder in der polierten Oberfläche.
Darunter auch das einer winzigen Gestalt, die sich von hinten an ihn heranschlich…
Das Schwert hatte soeben den höchsten Ausholpunkt erreicht, da trat Zoe hinter Drake aus dem Schatten. Ehe der Meister der Vampire darauf reagieren konnte, rannte sie auf ihn zu und stach ihm ihren Silberpflock so fest und tief in den Oberschenkel, wie sie nur konnte.
Drake geriet ein wenig ins Wanken, da das Silber sein Fleisch versengte. Er wandte sich kurz zu der Kleinen um und zischte ihr wie eine Schlange nach. Zoe schrie auf, als die alptraumhafte Bestie sich ihr näherte und nach ihr mit den Kiefern schnappte, während sie versuchte, das Kind zu fassen zu bekommen.
Zoe hatte dem Vampir nichts anhaben können, doch durch sie hatte Blade ein paar entscheidende Sekunden gewonnen. Er aktivierte seine letzten Kraftreserven und beugte sich hinüber zu dem abgeprallten Pfeil, der aus dem Schutt neben ihm herausragte. Er umklammerte ihn mit tauben Fingern, erhob sich und baute sich leicht schwankend vor Drake auf.
Der drehte den Kopf nach ihm, war aber ein klein wenig zu langsam. Blade warf sich nach vom, um die geringe Distanz zwischen ihnen zu überwinden, und bohrte den Pfeil so tief in Drakes Brust, dass die Spitze auf dem Rücken in einer Fontäne aus dunklem Blut wieder auftauchte.
Drake taumelte wütend ein paar Schritte nach hinten, dann knurrte er Blade an und hob seine Klauen, um sich den Pfeil aus dem Leib zu ziehen.
Auf einmal blieb er stehen.
Auf seinem Gesicht zeichnete sich pures Entsetzen ab, als er merkte, wie das lebende Gift im Pfeil zu wirken begann. Das Seuchenvirus strömte aus der zerbrochenen Ampulle, die in seinem Leib steckte, und ergoss sich über seine Organe wie eine Säure, die man in seinen Blutkreislauf injiziert hatte. Drake schrie vor Wut und Schmerz auf, als er spürte, wie sich sein Inneres auflöste, als das Virus in sein Blut gelangte und als unaufhaltsame nekrotische Welle durch seine Adern jagte und jeden Winkel seines Körpers überschwemmte. Blade sank zu Boden. Die Erschöpfung war einfach zu groß. Drake ließ das Schwert los, das klirrend zu Boden fiel, und drehte sich empört zu Blade um. Was hatte der Daywalker ihm angetan?
Dann erreichte das Virus Drakes Herz. Er fasste sich an die Brust und stieß einen unmenschlichen Schrei aus, während er einen großen roten Schwall Blutes erbrach. Sein Körper zuckte, als sein Inneres in flüssigen Klumpen aus verkohltem Fleisch wegbrannte. Er taumelte vorwärts und griff nach Blade, die Gesichtszüge durch unerträgliche Schmerzen verzerrt. Die knochigen Sporne seines Leibes zogen sich wieder ein, als der Vampir in einen Schock fiel und sich seine Adern rasch mit den zerfallenden Resten von sterbenden Gewebe füllten.
Langsam sank er auf die Knie. In seinen Arterien heftete sich das Seuchenvirus an seinen Blutkörperchen fest und sorgte dafür, dass sie sich schwarz verfärbten und auszudehnen begannen, bis schließlich jedes einzelne Blutkörperchen in seinem Körper explodierte. Eine dünne schwarze Flüssigkeit strömte aus Nase und Mund, womit Abermillionen von aktivierten Viruszellen in die Luft freigesetzt wurden.
Drake sah hinauf zum Himmel, ballte die Fäuste und schrie…
Auf der Empore begann Danica zu husten, als sie die ersten Sporen des Seuchenvirus einatmete. Winzige dunkle Adern breiteten sich auf ihrem Gesicht aus, als das Virus durch ihren Körper jagte und jede Zelle zerstörte, mit der es in Kontakt kam.
Sie schwankte leicht und sah verständnislos zur Wand.
Dann brach sie zusammen und wand sich vor Schmerz. Eine farblose Flüssigkeit lief ihr aus dem Mund, als ihre Eingeweide zu zerfallen begannen.
Danica presste eine Hand an die Lippen und versuchte, den Schwall an Flüssigkeit zu stoppen, während sie hilflos auf dem Boden lag. Kings biologische Waffe! Nein! Nicht jetzt! Ihre Reißzähne wurden länger, während sie von Schmerz und Zorn erfasst wurde. Verzweifelt streckte sie beschwörend eine Hand nach King aus, der ihr gegenüberstand. Völlig teilnahmslos beobachtete er ihr Sterben.
Danicas Körper zuckte und ging schließlich in blaue Flammen auf. Durch die Flammen hindurch sah sie, wie er sich verächtlich von ihr abwandte und wegging.
Dann starb Danica, einen letzten Fluch auf den Lippen, den sie nicht mehr aussprechen konnte.
Überall im Gebäude wurden die fliehenden Vampire von dem Seuchenvirus eingeholt. Sie fielen übereinander, schrien und keuchten, ehe sie in zuckende Staubwolke zerplatzten.
Nach nicht einmal einer Minute waren sie alle tot, zurück blieb nur ihre Asche.
Zum ersten Mal in der Geschichte des Gebäudes war in den Phoenix Towers alles ruhig.