15.

Miss Preussler hatte ihn gebeten, noch einmal nach draußen zu gehen und nach Cleopatra zu sehen, was Mogens auch gern getan hatte - allerdings ohne Erfolg. Er hatte auch nicht wirklich damit gerechnet: Niemand fand eine Katze, wenn diese sich nicht finden lassen wollte, und Cleopatra wollte es ganz offensichtlich nicht.

Mogens suchte auch nicht wirklich nach ihr, aber er nahm diesen Vorwand dankend an, um auf die andere Seite des Lagers zu gehen und sich die dort abgestellten Automobile anzusehen. Wenn ein siebzehnjähriger Junge vom Land einen solchen Wagen fahren konnte, dann sollte es ihm im Grunde doch auch gelingen.

Sein Mut sank jedoch, nachdem er auch nur einen Blick ins Führerhaus des ersten Pritschenwagens geworfen hatte. Abgesehen von dem übergroßen Lenkrad, das in Mogens' Augen die Dimensionen eines Schiffssteuers hatte, konnte er keine Ähnlichkeit mit dem Ford erkennen, in dem Tom ihn hergebracht hatte. Es gab gleich zwei Ganghebel und auch die Pedale schienen anders angeordnet zu sein. Mogens konnte nicht einmal erkennen, wie dieses Fahrzeug gestartet wurde, und er war jetzt nicht mehr ganz so sicher wie noch vor einer Minute, dass Graves' Ablehnung, sie zu fahren, nur pure Unhöflichkeit gewesen war. Vermutlich bestand für einen unkundigen Fahrer tatsächlich die Gefahr, mit einem solchen Monstrum im Straßengraben zu landen. Dennoch besah er sich auch noch den zweiten Wagen, allerdings mit dem gleichen Ergebnis.

»Versuch es erst gar nicht, Mogens«, sagte eine Stimme hinter ihm. »Ich weiß, dass du nicht Auto fahren kannst. Du würdest dieses Ding nicht einmal ankriegen... so wenig wie ich, übrigens.«

Mogens drehte sich betont langsam um und maß Graves mit einem eisigen Blick von Kopf bis Fuß. »Spionierst du mir nach?«

»Ich könnte genauso gut fragen, ob du hier herumschnüffelst, Mogens«, antwortete Graves.

»Ich suche Cleopatra«, sagte Mogens.

»Cleopatra?«

»Miss Preusslers Katze«, erklärte Mogens. »Sie ist aus dem Haus gelaufen, und Miss Preussler sorgt sich um sie. Immerhin ist das hier eine ungewohnte Umgebung für sie.«

»Sie hat ihre Katze mitgebracht?«, wunderte sich Graves. »Zu einem Höflichkeitsbesuch?. Eine sonderbare Person.« Er lachte. »Was will sie wirklich hier, Mogens? Niemand reist zweitausend Meilen, nur um einmal Hallo zu sagen.«

»Miss Preussler«, antwortete Mogens, »ist manchmal etwas eigenwillig. Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, dann erreicht sie es meistens auch.«

»Und jetzt hat sie sich in den Kopf gesetzt, dich zurückzuholen«, vermutete Graves. Er schüttelte den Kopf. »Und? Wirst du mit ihr gehen?«

»Was interessiert dich daran?«, gab Mogens zurück, ohne Graves' Frage damit direkt zu beantworten.

Graves hob die Schultern. »Vielleicht kann ich nur nicht verstehen, wieso ein Mann mit deinen Fähigkeiten es vorzieht, in einem Kaff am Ende der Welt zu versauern, statt die Gelegenheit zu ergreifen, sich nicht nur zu rehabilitieren, sondern darüber hinaus in die Geschichtsbücher einzugehen.« Er schüttelte abermals den Kopf. »Die allermeisten anderen Wissenschaftler, die ich kenne, würden ihre Seele verkaufen, um nur einen einzigen Blick in diesen Raum zu werfen.«

»Ja, vielleicht«, sagte Mogens. »Und du, Jonathan? Hast du deine Seele bereits verkauft? Und wenn ja, an wen?«

Graves setzte zu einer wütenden Antwort an, presste aber dann nur die Lippen aufeinander und beließ es bei einem abgehackten Kopfschütteln. »Das hat keinen Sinn«, seufzte er. »Eigentlich bin ich gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen, Mogens. Ich habe mich heute Morgen unmöglich benommen. Ich war außer mir, wegen Hyams und den anderen. Es tut mir aufrichtig Leid.«

»Das glaube ich dir sogar«, sagte Mogens. »Aber es ändert nichts an meinem Entschluss. Ich werde ebenfalls gehen.«

»Und ich habe keine Chance, dich umzustimmen?«, fragte Graves.

»Nein«, antwortete Mogens. Er machte eine Kopfbewegung auf die beiden Pritschenwagen. »Wenn du mich angelogen hast, weil du glaubtest, mich umstimmen zu können, dann war die Mühe umsonst.«

»Angelogen?«

»Beide Wagen sind hier«, antwortete Mogens. »Mit dem dritten sind Hyams und die beiden anderen weggefahren. Wenn du Tom also nicht zu Fuß in die Stadt geschickt hast, dann nehme ich an, dass er sich noch hier im Lager aufhält.«

»Es hat wohl keinen Sinn, dir etwas vormachen zu wollen«, seufzte Graves. »Ja, du hast Recht. Tom ist unten im Tunnel. Ich hatte gehofft, dich vielleicht doch noch überreden zu können. Warum diese plötzliche Ablehnung, Mogens? Interessiert es dich tatsächlich nicht, was wir dort unten gefunden haben?«

»Du begreifst es immer noch nicht, Jonathan«, antwortete Mogens. »Ich werde gehen, weil ich weiß, was dort unten ist. Wir haben etwas geweckt, das mit gutem Grund dort unten eingesperrt wurde. Wir haben schon viel zu viel angerichtet. Es ist ein Wunder, dass keine Menschen zu Schaden gekommen sind!«

»Du glaubst das tatsächlich, wie?«, fragte Graves. »Du glaubst allen Ernstes, dass wir dieses Erdbeben ausgelöst haben.«

»Nein«, antwortete Mogens. »Ich weiß es. Gib dir keine Mühe. Ganz egal, was du sagst oder tust, ich werde dir nicht weiterhelfen.«

Er wollte sich umwenden und gehen, aber Graves hielt ihn mit einer raschen Bewegung am Arm zurück. Seine Berührung war so unangenehm, dass Mogens allein um ihretwillen mitten im Schritt erstarrte. Graves war unerwartet stark, sein Griff tat weh. Aber das war nicht alles. Er fühlte sich nicht wirklich an wie der Griff eines Menschen. Unter dem schwarzen Handschuh pulsierte etwas, als umhülle das glänzende Leder nicht tatsächlich die Finger eines Menschen, sondern ein Gewimmel aus unzähligen schleimigen Würmern, die gewaltsam in diese Form gepresst worden waren und nun versuchten, ihr Gefängnis zu sprengen.

Als hätte Graves Mogens' Gedanken gelesen, ließ er seinen Arm los und trat hastig zwei Schritte zurück. »Entschuldige. Aber ich bitte dich, mich anzuhören. Nur noch dieses eine Mal.«

Es fiel Mogens schwer, Graves' Worten zu folgen. Er blickte auf seinen Arm herab, dorthin, wo Graves' Hand ihn berührt hatte. Sie war nicht mehr da, aber er spürte ihre Berührung immer noch, als hätte sich der Abdruck der von schwarzem Leder umhüllten Finger in seine Haut eingebrannt. Er hatte das Gefühl, von etwas Unheiligem, durch und durch Unmenschlichem besudelt worden zu sein, etwas, das so... so falsch war, dass es nicht sein durfte.

»Ich bitte dich, noch ein einziges Mal mit mir nach unten zu gehen, Mogens«, fuhr Graves fort. »Tom hat den Gang wieder geräumt und die am schlimmsten beschädigten Stellen abgestützt, und er hat gute Arbeit geleistet. Es besteht also keine Gefahr. Und du musst kein Wort sagen, wenn du nicht willst!«

»Warum willst du dann, dass ich dich begleite?«, fragte Mogens. »Ich werde dir nicht helfen, Jonathan.«

»Und ohne deine Hilfe habe ich nicht die geringste Aussicht, diese Tür zu öffnen«, fügte Graves hinzu. »Du siehst also, es besteht nicht die geringste Gefahr. Ich kann diese Schrift nicht einmal lesen.«

Ich kann sie auch nicht mehr lesen, wollte Mogens antworten, aber er sagte sich, dass Graves ihm das kaum glauben dürfte und es als bloße Schutzbehauptung abtun würde. »Warum dann also die Mühe?«, fragte er erneut.

»Weil du es mir verdammt noch mal schuldig bist!«, antwortete Graves. »Du glaubst, dass dort unten etwas Gefährliches begraben liegt. Ich glaube das nicht. Was ist an dieser Situation so außergewöhnlich? Zwei Wissenschaftler, die unterschiedlicher Meinung über einen Fund sind! Überzeuge mich!«

»Du bist ja verrückt«, seufzte Mogens. »Gib endlich Ruhe, Jonathan. Ich werde nicht mit dir kommen.« Er machte eine Handbewegung in Richtung seiner Hütte. »Ich denke, ich werde jetzt zu Miss Preussler gehen und sie zu einem kleinen Spaziergang einladen. Unser Gepäck lassen wir dann morgen abholen.«

»Wovor hast du Angst, Mogens?«, fragte Graves. »Dass ich dort unten über dich herfallen und dir etwas antun könnte?« Er lachte böse. »Oder dass du dir eingestehen musst, dass ich vielleicht Recht habe?«

Die ehrliche Antwort wäre ein klares Ja gewesen, auf beide Fragen. Mogens schenkte ihm jedoch nur einen verächtlichen Blick und wandte sich ab, um zu gehen. Endgültig.

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