»Guten Morgen«, begrüßte Oelendra Rhapsody, als diese verschlafen blinzelnd aus ihrem Zimmer kam. Die Kriegerin stellte einen Becher Tee an den Platz, an dem Rhapsody am Abend zuvor gesessen hatte. »Ich hoffe, du hast gut geschlafen.«
»Sehr gut sogar, danke«, antwortete Rhapsody gähnend. Sie hatte den rotseidenen Morgenmantel mit dem kunstvoll gestickten Drachenbild übergezogen, den sie am Fußende des Betts vorgefunden hatte. Er war viel zu groß für sie und hätte zweifellos nicht einmal ihrer Gastgeberin gepasst. Dankbar nahm sie Platz und schlürfte den Tee, während Oelendra wieder in ihre Küche zurückkehrte. Sie war bereits angezogen und wahrscheinlich schon seit Stunden auf den Beinen. Kurz darauf kam sie mit einem Teller Obst und einem Brot in der Form eines Sichelmonds zurück.
»Zuerst mal ein kleines Frühstück, dann ein wenig Bewegung ... Wir können zu Fuß in die Stadt gehen. Wenn wir zurückkommen, möchte ich sehen, wie du das Schwert handhabst.«
Oelendra reichte Rhapsody den Teller und setzte sich zu ihr an den Tisch. Sie aßen in gemütlicher Stille, während Rhapsody aus dem Fenster in den Garten starrte und dem Gesang der Vögel lauschte. Das Gefühl von Magie, das sie allein in den ersten verträumten Stunden in Tyrian empfunden hatte, kehrte nun zurück.
Nach dem Frühstück zeigte Oelendra Rhapsody die Stadt Tyrian. Sie erstreckte sich über eine Hügelkette, deren höchste Erhebung den Namen Tomingorllo trug und dem König als Palast diente. Die Mauer nahe diesem Hügel im nördlichen Zentrum hatte Rhapsody am ersten Tag passiert. Als die beiden Frauen das Tor durchquert hatten, wanderten sie einen unterirdischen Gang entlang und weiter in eine große Senke, die sich inmitten der Anhöhe befand und den Garten von Tomingorllo barg. Ringsum ragten natürliche Mauern aus Felsgestein auf, ähnlich wie die Hügelhänge außen, die so gut wie unmöglich zu erklimmen waren.
In den Garten gelangte man durch die unterirdischen Korridore, die sie soeben durchquert hatten, oder über einen gut versteckten Pfad, durch den Oelendra sie nun aus dem Garten hinausführte. Der eigentliche Königssitz befand sich in einer Festung mit einem großen Innenhof auf dem Gipfel des Tomingorllo und konnte nur durch die großen Hallen erreicht werden, die unter dem massiven Hügel lagen. Von jeder freien Stelle der Stadt aus war die Festung sichtbar. Während sie über die mit Kiefern bestandenen Hänge des Gartens wanderten, spähte Rhapsody immer wieder zu dem riesigen, runden Bauwerk mit seinen zahlreichen Pfeilern und der Kuppel aus silbern schimmerndem Marmor hinüber, die in der Morgensonne leuchtete, bis sie schließlich in den tiefer liegenden Teil der Stadt hinabstiegen. Tyrian-Stadt selbst ähnelte eher den Lirin-Städten in Rhapsodys Heimat und den Dörfern, durch die sie mit Cedelia gekommen war. Die Häuser waren schlicht, schmal, mit hohen Dächern und lagen an vom Wald selbst geschaffenen Wegen. In den Bäumen gab es hie und da hohe Plattformen, kleinere in den mächtigen Eichen, aber auch größere, die mehrere Bäume miteinander verbanden. Dazwischen verliefen Hängebrücken, die über den Waldwegen eine zweite Straße bildeten. In manchen Stadtteilen liefen auch Ziegen, Schafe und Schweine herum, aber zum größten Teil waren die Tiere, die ihnen über den Weg liefen, Waldkreaturen, die harmonisch unter den Lirin lebten.
Weniger offensichtlich waren die Verteidigungsanlagen der Stadt. Es gab gut versteckte Wachposten, um eventuell einfallende Feinde abzufangen und ins tödliche Kreuzfeuer zu nehmen. Immer wieder stieß man auf verborgene Gräben, die jeden organisierten Vorstoß in die Stadt mühelos verhindern würden. Außerdem gab es auch konventionellere Verteidigungsanlagen, mehr im Stil der Menschen. Jeder der sechs äußeren Hügel war von einer Verteidigungsmauer umgeben; dazwischen waren Schutzwälle mit Palisaden und Gräben angelegt, ein jeder größer oder tiefer als der vorhergehende. Auf dem Boden der Gräben befanden sich angespitzte Pfähle, sodass nahezu jeder, der hineinstürzte, dies mit dem Leben bezahlte. Über die Gräben verliefen Brücken, die vom Innern der Wälle aus leicht eingezogen werden konnten. Rhapsody überlegte, was Achmed oder Grunthor zu dieser Verteidigung gesagt hätten, und prägte sich die Anlagen ein, die man vielleicht in Ylorc verwenden konnte.
Doch am meisten bewegte sie das tägliche Leben in der Stadt. Tyrian war ein geschäftiger Ort, überschäumend vor Aktivität und mit einem regelrechten Gewimmel von Passanten. Obgleich die Lirin Fremden gegenüber zurückhaltend waren, benahmen sie sich innerhalb der Stadtmauern ausgesprochen freundlich, und Rhapsody lachte und scherzte mit Leuten, die sie eben erst kennen lernte. Überall, wo Oelendra sie hinführte, wurde sie herzlich aufgenommen. In einem Gasthaus aßen sie an einem Tisch im Freien ein Mittagsmahl aus gewürztem Wildbret, Oliven und Nüssen, das Rhapsody so gut schmeckte, dass sie kaum aufhören konnte. Gruppen von Kindern rannten lachend durch die Straßen und blieben einen Moment stehen, um Oelendra und Rhapsody anzustarren, streckten gelegentlich die Hände aus, um Rhapsody zu berühren oder ihr eine Blume zuzuwerfen, ehe sie wieder davonstoben. Beim Anblick des Volks von Tyrian mit den großen, mandelförmigen Augen und dem teilweise drolligen Äußeren wurde Rhapsody warm ums Herz, ohne dass sie gänzlich verstand, warum. Das muss Elynsynos mit ihrer Bemerkung über die Cymrer gemeint haben, dachte sie, als ihr bewusst wurde, dass sie ständig lächelte. Jetzt verstehe ich, wie jemand auf den Gedanken kommt, ein Volk als einen wertvollen Hort zu betrachten. Sie grinste zwei kleine Mädchen an, die vor ihrem Tisch stehen geblieben waren.
»Wenn du fertig bist, zeige ich dir das Schloss«, sagte Oelendra und durchsuchte ihre Jackentasche. Dann legte sie etwas auf ihre Handflächen, hielt es den Kindern entgegen und nickte ihnen ermutigend zu. Sofort grapschten es sich die beiden Mädchen, obgleich Oelendra die Hände mit der Schnelligkeit einer zuschnappenden Schlange wieder schloss. Nachdem die Kinder ihre Beute begutachtet hatten, rannten sie kreischend wieder davon, beide eine rote Kiran-Beere im Mund und voller Begeisterung darüber, dass sie schneller gewesen waren als die Lirin-Kriegerin. Rhapsody lachte und applaudierte den beiden Siegerinnen.
»Ja, das Mahl war wirklich köstlich.« Sie erhob sich, faltete ihre Serviette zusammen und winkte den Kindern nach, die kichernd verschwanden. »Gehen wir weiter, Oelendra. Ich folge Euch, wo immer Ihr hingeht.«
»Dies sind der Hof und der Thron von Tomingorllo«, erklärte Oelendra, als sie die beiden schweren eichenen Türflügel aufstieß. Jenseits der Tür befand sich eine riesige marmorne Rundhalle mit einer von Säulen getragenen Kuppel. Die Säulen ragten im Abstand von zehn Fuß von der Wand aus in die Höhe, und die Kuppel wies oben eine große Öffnung auf, sodass die Mitte des Saals unter dem wolkenlosen Himmel lag.
Auf der anderen Seite des Saals stand ein großer, aus schwarzem Walnussholz geschnitzter Thron, weit weniger prunkvoll, als Rhapsody es erwartet hätte, sondern vielmehr recht streng, mit säulenartigen Armlehnen und einer niedrigen, gleichförmigen Lehne. Zwei große steinerne Kamine, breiter als in Oelendras Haus, bildeten dunkel und kalt die beiden anderen Richtungspunkte des Kreises.
An den Wänden rund um den Saal verlief eine Holzbank, nur unterbrochen von der Lücke für die Tür und einer weiteren für den Thron. Im Zentrum stand auf einem kunstvoll verzierten silbernen Ständer ein kleiner Glasbehälter, der nicht so ganz zu der Strenge der sonstigen Ausstattung zupassen schien. Weiter oben war der Saal von einem Balkon umgeben, von dem aus man auf den Schaukasten in der Mitte blickte. Den einzigen anderen Schmuck bildeten vier sternförmige Gitter im Boden. Die Luft war rein und kalt.
»Hier würde der König sitzen, wenn es einen gäbe, und hier wurde das erste Bündnis der Neuen Welt geschlossen und gebrochen. Komm mit.« Oelendra ging auf das seltsame Ausstellungsstück in der Mitte des Saals zu. Rhapsody folgte ihr und blickte in den Glaskasten.
»Die Krone des Lirin-Königreichs«, sagte Oelendra.
»Wie schön sie ist.« Rhapsody starrte auf das Diadem, das in dem Kasten vor ihr lag. Es bestand aus zahllosen winzigen sternförmigen Diamanten. Acht ähnlich geformte größere Steine bildeten den mittleren Ring der Krone. Sie funkelten im Sonnenlicht, das von der Öffnung über ihnen in den Thronsaal herabfiel. Rhapsody hatte nie zuvor etwas Derartiges gesehen.
»Die Steine, welche diese Krone bilden, waren einst der Reinheitsdiamant, ein Stein von der Größe einer Männerfaust, der mit dem Licht der Sterne erstrahlte. Wir brachten ihn aus der alten Welt mit und übergaben ihn dem Lirin-Stamm Gorllewinolo als Zeichen der Freundschaft, denn sie waren das erste eingeborene Volk, dem wir begegneten, die Seher ausgenommen. Sie waren die Vorfahren der Lirin, die jetzt in Tyrian leben, und zusammen mit den Lirin unserer Insel haben sie diese Stadt gegründet, deren Haupthügel ihren Namen trägt.«
»Tomingorllo: der Turm der Gorllewin, Volk des Westens«, sagte Rhapsody leise zu sich selbst.
»Ja. Im Lauf der Jahre veränderte sich der Name, aber die Stadt und das Volk blieben dieselben.«
»Aber was geschah mit dem Diamanten? Ihr habt gesagt, dass all diese kleineren Steine einst einen einzigen Diamanten bildeten. Haben sie ihn zerbrochen?«
»Nein, nicht sie, sondern Anwyn.«
»Das verstehe ich nicht. Warum hat sie das getan?«
»Niemand hat es verstanden. Die Lirin dieses Landes waren unsere Freunde und Verbündeten. Sie hielten zu uns, als alle anderen uns im Stich ließen, sie unterstützten Anwyn im Krieg, als selbst ihr eigenes Volk sie verlassen hatte. Das Bündnis zwischen den Lirin und Anwyn war älter und tiefer als selbst das zwischen Anwyn und den Cymrern, die sie Jahrhunderte zuvor zu ihrer Herrin auserkoren hatten, und der Reinheitsdiamant war ein Symbol dieses Bündnisses mit den Lirin. Zu jener Zeit ergaben Anwyns Handlungen oft keinen Sinn. Erst Jahre später ahnte ich den Grund dafür. Vermutlich hätte ich gleich Verdacht schöpfen müssen.« Oelendra strich mit dem Finger gedankenverloren über eine dünne Staubschicht, die sich auf dem Kasten gebildet hatte.
»Es geschah kurz vor ihrem geplanten Treffen mit Gwylliam, das er allerdings nicht mehr erleben sollte. Sie kam in den Thronsaal, wo der Diamant lag, hob die Hände, rief das Sternenfeuer vom Himmel herab und sprach die Worte der Macht, die den Stein in tausend Stücke zerschmetterten und das in ihnen enthaltene Licht für immer heraustrieb. Dann verschwand sie ohne ein Wort.
Wegen dieser Tat weigerten sich die Lirin und mit ihnen viele von Anwyns treuesten Anhängern, nach Gwylliams Tod ihren Anspruch auf die Alleinherrschaft über die Cymrer anzuerkennen. Sie hatte das Geschenk zerstört, dass die Erste Flotte der Cymrer den Lirin dieses Landes gemacht hatte, das Symbol des Friedens und der Einheit mit dem Land, welche ihrem Glauben nach ihr Lebensstil verkörperte.
Für die Lirin war es der Bruch des Vertrags, der größte Verrat, aber für Anwyns eigenes Volk war es lediglich der letzte Verrat einer ganzen Reihe von Vergehen. Sie kehrte zum Baum zurück und musste dort erkennen, dass nicht nur die Lirin ihr den Rücken gekehrt hatten, sondern auch ihr eigenes Volk sie verleugnete. So ging sie weg, nachdem erreicht war, was sie sich vorgenommen hatte, nämlich Gwylliam zu vernichten, aber sie musste teuer dafür bezahlen. Am Ende war sie allein mit ihrem gärenden Hass, bis schließlich niemand mehr etwas mit ihr zu tun haben wollte außer ihrem Sohn und einer Hand voll Pilgern, die zu ihr kamen, weil sie nach Antworten auf Fragen aus der Vergangenheit suchten. Als Llauron viele Jahre später den Schaden beheben wollte und sich anbot, mit der Königin der Lirin eine Bündnisheirat einzugehen, zeigte sie ihm diese Krone, gefertigt aus den Splittern dessen, was eine Friedensgabe gewesen war. ›Könnt Ihr das hier reparieren?‹, fragte Königin Terrell ihn, und Llauron musste zugeben, dass er es nicht vermochte. ›Was macht Euch dann glauben, dass man ein Bündnis so leicht wieder kitten kann?‹
Llauron erklärte, er habe den Wunsch, das, was seine Eltern den Cymrern und den Lirin angetan hatten, wieder gutzumachen und sie so vereint zu sehen wie nie zuvor. Königin Terrell lehnte sowohl sein Friedensangebot als auch seinen Heiratsantrag ab, sagte ihm jedoch, wenn er oder sonst jemand den Stein wieder zum Leben erwecken, ihn aufs Neue mit dem Licht der Sterne erstrahlen lassen könne, wie es einst gewesen war, dann würden die Lirin diese Person als Oberhaupt der Cymrer und König beider Völker anerkennen. Bis zu dieser Zeit aber würden die Lirin für sich bleiben und ihren eigenen Herrschern folgen. Llauron akzeptierte das, und segnete als Fürbitter die Krone und die Königin, ehe er in den Gwynwald zurückkehrte. Seit damals ruht die Krone an diesem Ort und wartet auf das Kommen des cymrischen Königs oder der cymrischen Königin, um das Unrecht zu heilen, das hier geschehen ist.«
»Warum hat Anwyn den Diamanten zerstört, was glaubt Ihr?«, fragte Rhapsody, während sie um den Glaskasten herumging und die Krone von allen Seiten betrachtete.
»Es war der Preis, den sie dafür bezahlte, sich ihres Ehemanns zu entledigen.«
Rhapsody blickte erstaunt auf. »Was meint Ihr damit?«
Oelendras Gesicht wurde härter. »Sie hat sich auf einen Handel mit dem Dämon eingelassen. Genau genommen war das für mich die erste Bestätigung, welches Übel uns gefolgt war, denn die F’dor fürchten sich vor Diamanten; anscheinend haben sie Angst, von ihnen verletzt und geschwächt zu werden. Ich habe nie herausgefunden, warum es so ist, aber ich glaube, es liegt daran, dass Diamanten das Licht der Sterne in sich tragen, wie es auch bei der Tagessternfanfare der Fall ist ein Element, das dem Feuer vorausgeht und als älteres Element noch mächtiger ist. Dieser Diamant war so groß, dass er die Essenz selbst des mächtigsten Dämonengeists hätte einfangen und zerstören können.
Ich kannte dieses Böse, und ich hasste es. Einst war es verantwortlich gewesen für das meiste Übel, das der Insel widerfahren war; es hatte alles und jeden vernichtet, was ich geliebt hatte, hatte meinen Großvater und meinen Ehemann getötet. Ich wusste, dass es irgendwo lauerte, stets außer Sichtweite, immer im Hintergrund, und darauf wartete, dass seine Macht zunahm und der richtige Zeitpunkt herannahte.
An jenem Tag, als die Erste und die Dritte Flotte sich vereinten, vermutete ich seine Gegenwart nur anhand des Geruchs F’dor verbreiten in ihrer wahren Form einen ekelhaften Gestank, und manchmal bekommt man ein bisschen davon mit, wenn sie an einen Wirt gebunden sind aber bis zu dem Tag, an dem der Diamant zerstört wurde, hatte ich keine Bestätigung dafür.
Doch Anwyn wusste es. Anwyn hatte es immer gewusst, schließlich war sie die Seherin der Vergangenheit. Noch im selben Augenblick, als der F’dor das Schiff betreten hatte, war ihr klar gewesen, dass der Dämon entflohen war; und sie wusste, an welche Seele er sich klammerte. Vor ihr konnte er sich nicht verstecken, und wenn sie mir damals gesagt hätte, wo er sich eingenistet hatte, hätten wir das Böse schon vor Generationen vernichtet. Aber sie war ein Wyrmling, ein Drachenkind, und sie hortete dieses Wissen, wie sie alles andere hortete, in der Gewissheit, es eines Tages zu ihrem Vorteil nutzen zu können. Und so geschah es denn auch, aber wie bei allen Dingen, welche mit den F’dor in Berührung kommen, war dieser Vorteil in Wahrheit keiner.
Nach siebenhundert Jahren Krieg mit Gwylliam wandte sie sich an die einzige Macht, von der sie wusste, dass sie ihn besiegen konnte, die einzige Macht der Welt, die alt genug war, um Geheimnisse zu kennen, die selbst über ihre Gabe der Erinnerung hinausgingen. Sie wandte sich an den Dämon, und er bot ihr einen Handel an: Der F’dor würde ihren Herzenswunsch erfüllen und ihren Ehemann töten, der unsterblich war und den sonst nichts bedrohen konnte, und als Gegenleistung würde sie den Reinheitsdiamanten zerstören, den der Dämon noch mehr fürchtete als selbst die Tagessternfanfare.
Sie war töricht, denn sie glaubte, weil sie von zwei der uralten, mächtigen Rassen abstammte von den Seren und den Drachen, könne sie mit den F’dor verhandeln. Doch ihr Wissen über die Vergangenheit vermochte sie nicht zu beschützen; sie begriff nicht, dass der Dämon nicht einfach von einer älteren Rasse abstammte, sondern aus der Vorzeit kam, und dass er deshalb Dinge wusste, von denen sie nicht einmal träumen konnte.
Sie erklärte sich mit seinen Bedingungen einverstanden und zerstörte das Geschenk, das sicherlich eine unserer besten Waffen gegen die F’dor war. Als Gegenleistung tötete der F’dor Gwylliam, den letzten serenischen König, und gewann so den Krieg, den er auf der Insel, in der alten Welt, verloren hatte. Dann zerstörte er die Überreste des cymrischen Bündnisses, entledigte sich der Führer zweier cymrischer Geschlechter, zerbrach die Bande mit den Lirin und auch die der verschiedenen Lirin-Gruppen untereinander. Anwyn hatte Tür und Tor für die Entzweiung der Cymrer geöffnet. Vielleicht hatte Gwylliam den Krieg begonnen, aber Anwyn hat ihn für uns alle verloren.
Die nächsten Jahre verbrachte ich damit, den F’dor zu jagen. Anwyn weigerte sich, mir bei der Suche nach ihm zu helfen, denn ich hatte mich aus dem Krieg herausgehalten, weil ich nicht bereit gewesen war, eine Seite bei der Zerstörung der anderen zu unterstützen. Ich hatte auch den Lirin geraten, neutral zu bleiben, aber sie hatten mir kein Gehör geschenkt und waren Anwyn gefolgt was sie später zutiefst bereuten. Ich suchte den Dämon überall, aber er war zu schlau, er ließ sich nicht von mir aufspüren. Er hatte sich zurückgezogen und wartete auf einen günstigen Zeitpunkt, auf geeignete Bedingungen für seine Rückkehr. Nun, da sich wiederum ein Krieg zusammenbraut, da es von allen Seiten Grenzüberfälle gibt und der Rassenhass aufblüht, kann diese Zeit nicht mehr fern sein.«
Obgleich ein breiter Sonnenstrahl durch die Öffnung in der Kuppel auf Rhapsody fiel, fröstelte sie. Allmählich wurde ihr klar, was Oelendra von ihr erwartete. Seit der Diamant zerstört war, gab es nur noch eine Waffe, die genug Macht besaß, um den F’dor zu töten: das Schwert, das Rhapsody trug. Kein Wunder, dass Oelendra bereit war, sie in seiner Handhabung zu unterrichten.
»Sehr gut«, sagte Oelendra und steckte ihr Schwert in die Scheide. Rhapsody ging schwer atmend zu Boden. »Ihr macht Witze«, stieß sie keuchend hervor. »Nie zuvor in meinem Leben bin ich derart gedemütigt worden.« Zwar hatte sie nicht erwartet, sich gegen die Lirin-Kämpferin behaupten zu können, aber sie hatte doch gehofft, sich wenigstens eine Blamage zu ersparen. Oelendra lachte und streckte ihr die Hand entgegen, die Rhapsody ein paar Sekunden anstarrte, ehe sie zugriff.
»Ach, komm schon, du warst wunderbar.« Die ältere Frau half der müden Sängerin auf; sie selbst zeigte kaum Anzeichen von Anstrengung. Rhapsody aber fühlte sich vollkommen erledigt. Ihr Arm war taub, und die Finger schmerzten von den Schlägen, die ihre Stahlklinge zum Schwingen gebracht hatten. Beim ersten Zusammentreffen hatte sie die Tagessternfanfare nicht hergenommen, da Oelendra hatte sehen wollen, wie gut sie focht, wenn sie keinen derartigen Vorteil auf ihrer Seite hatte.
»Wenn ich in einem echten Kampf so ›wunderbar‹ gewesen wäre, würde mein Kopf jetzt irgendeinen Fahnenmast zieren.«
»Sei nicht so hart zu dir. Du hast dich gut geschlagen und dich vor allem nicht von mir zu unbedachten Angriffen verführen lassen und du hast deine Abwehr aufrechterhalten, obwohl du kaum mehr stehen konntest. Aber vor allem weißt du, wie man sich auf dem Boden bewegt und bist sehr gut beim Parieren und mit deinen Ausweichmanövern. Das ist das Schwerste, weißt du.«
»Aber so war es gar nicht.«
»Aber ja. Du hattest ein gutes Training.«
»Danke, das werde ich Grunthor sagen.«
»Ist das dein Bolg-Freund, von dem du mir auf dem Rückweg aus der Stadt erzählt hast?«
»Ja, er hat mir die Grundlagen des Schwertkampfs beigebracht.«
»Aha, das wundert mich nicht. Wie gesagt, ein guter Anfang, aber jetzt wirst du lernen, wie unser Volk zu kämpfen.«
»Glaubt Ihr, dass die Lirin-Art zu kämpfen besser ist als die der Firbolg?«, fragte Rhapsody zwischen zwei Atemzügen.
»Ja, zumindest für Lirin ist sie besser. Die Bolg sind groß, stark und ungeschickt, die Lirin aber sind klein, flink und schwach. Natürlich entspricht nicht jeder Einzelne genau diesen Kategorien, aber doch immerhin so sehr, dass der jeweilige Kampfstil sie widerspiegelt. Du verlässt dich beispielsweise viel zu sehr auf die Kraft und nicht genug auf deine Beweglichkeit und deine Schlauheit, dabei hast du nicht die Körpermasse, um zu kämpfen wie ein Untier nimm es mir nicht übel, dass ich das sage.«
»Ich nehme es Euch nicht übel«, entgegnete Rhapsody und hob die Waffe wieder auf.
»Womit fangen wir an?«
»Mit einem Schluck Wasser.« Oelendra nahm einen großen Schluck aus dem Trinkschlauch und reichte ihn dann an Rhapsody weiter. »Die erste Lektion ist, auf deinen Körper zu hören. Es gibt Situationen, in denen du ihn ignorieren musst, und du hast mir gezeigt, dass du bereits gelernt hast, wie du deine Grenzen überschreiten kannst.«
»Nun ja, das habe ich oft getan.« Auch Rhapsody trank einen großen Schluck vom Wasser.
»Das sieht man«, meinte Oelendra. Rhapsody studierte das Gesicht der Kriegerin nach Anzeichen dafür, dass sie sich lustig machte und ihre Bemerkung womöglich sarkastisch meinte, sah aber nur ehrliche Bewunderung. »Jetzt ist es Zeit zu lernen, auf deinen Körper zu hören, den Rhythmus zu spüren, in dem du dich bewegst, und dann den Rhythmus in deinem Gegenüber zu erkennen und deine Bewegungen den seinen anzupassen. Du bist bereits Sängerin, Rhapsody; nun machen wir dich zu einer Tänzerin.« Oelendra zog erneut ihr Schwert und kehrte zum Unterricht zurück.
An diesem Tag verbrachten sie viele Stunden mit einer Reihe grundlegender Angriffe, Verteidigungen und weiterer Bewegungen, bis Rhapsody das Ritual schließlich ohne Mühe bewältigte. Als die Sonne sank und die Wolken eine rosige Färbung annahmen, ging Rhapsody die einzelnen Schritte mit der Tagessternfanfare durch, und ihre Bewegungen erschienen ihr fließender denn je.
Als die das Schwert durch die kühle Luft schwang, nahmen die Flammen der Klinge die sanften Pastellfarben und Rotschattierungen des Himmels auf, und das silberne Heft schimmerte golden im verblassenden Sonnenlicht. Rhapsody spürte, wie sie sich immer mehr auf den Tanz einließ, und während ihr Arm den letzten Schwung vollzog, einen langsamen Schlag von oben, verspürte sie ein beruhigendes Gefühl von Gleichgewicht und Kraft. Mit dem Ende der Übung atmete sie tief ein und langsam wieder aus, ehe sie sich ihrer Lehrerin zuwandte. Oelendra stand mit verschränkten Armen vor ihr, ein leichtes Lächeln auf den Lippen.
»Ein guter Anfang«, sagte sie. »Jetzt komm mit mir.«
Gemessenen Schrittes verließ sie die Lichtung und ging einen Waldweg hinunter; Rhapsody steckte das Schwert in die Scheide und folgte ihr. Mit der hereinbrechenden Nacht wurde es merklich kälter, während sie unter einer Reihe von Bäumen entlanggingen, deren uralte Äste sich wie die gewölbte Decke einer Basilika über sie spannten. Die frischen Blätter filterten das Licht der untergehenden Sonne zu einem friedlichen Grün, gelegentlich durchbrochen von einem goldenen Schimmer. Sie gingen nun zügig ihres Weges, und Oelendra sprach kein Wort. Schließlich traten sie aus dem Wald heraus und gelangten zu einem kleinen kahlen Hügel. Um sie herum nahm der Himmel eine tief orangerote Färbung an, die Wolken bekamen scharlachrote Ränder.
»Hat deine Mutter dir die Abendhymne beigebracht?«, fragte Oelendra, als sie auf den Hügel stiegen.
Die Frage und die damit wachgerufenen Erinnerungen trafen Rhapsody völlig unvorbereitet.
»Ja ... in meiner Kindheit. Die Abendhymne, die Morgenaubade und all die anderen Lobgesänge und Lieder der Liringlas ... Mein Vater hat sich immer ein bisschen darüber lustig gemacht und gemeint, meine Mutter wisse für jede Gelegenheit ein Lied.«
»Das stimmt wahrscheinlich sogar«, entgegnete Oelendra ernst. »Das war eben die Art unseres Volkes. Würde es dich stören, wenn ich heute bei der Abendhymne mitsinge?«
»Nein, natürlich nicht«, antwortete Rhapsody, ein wenig überrascht. »Wie ich Euch gestern schon gesagt habe, finde ich es wunderbar, mit jemandem zu singen, der die Lieder kennt.«
»Ich habe mich gestern Abend zum ersten Mal nach langer Zeit wieder daran erinnert«, sagte Oelendra und blieb auf dem runden Gipfel des Hügels stehen, wo die rote Sonne den Wald im Westen mit den Farben von Feuer und Blut berührte. »Ich hatte sie verloren, als ich hierher kam. Du hast sie mir zurückgebracht, Rhapsody. Wahrscheinlich bist du die Einzige auf der ganzen Welt, die versteht, was es für mich bedeutet hat, diese Lieder zu verlieren und dann zurückzubekommen.« Rhapsody blinzelte und lächelte dann, während die alte Kriegerin sich abwandte und den Horizont betrachtete. »Es ist Zeit. Du solltest die Tagessternfanfare aus der Scheide ziehen und sie während des Lieds halten. Schließlich ist das Schwert nicht nur mit dem Feuer, sondern auch mit den Sternen verbunden, und seine Macht wächst, wenn das Sternenlicht auf es fällt.«
Rhapsody gehorchte und bemerkte, dass das Feuer des Schwerts jetzt genau der Farbe des Himmels entsprach. Sie schloss die Augen, spürte die Präsenz der Waffe und wurde sich ihrer wachsenden Macht gewahr. Das Gefühl prickelte und strömte durch ihre Hände in ihr ganzes Wesen, als erwachte die Tagessternfanfare und erweckte dabei auch einen Teil ihrer selbst. Dann hörte sie, wie Oelendra die Abendhymne anstimmte. Alter und Kummer hatten ihrer Stimme zugesetzt, aber es lag ein Mitgefühl darin, das Rhapsody zutiefst rührte. Es war die Stimme einer Großmutter, die einem geliebten Enkelkind etwas vorsingt, oder die einer Witwe, die sich ganz in das Klagelied für ihren im Kampf gefallenen Mann vertieft. Eine seltsame, traurige Stimme, zu der Rhapsody behutsam ihre eigene gesellte. Während sie sangen, verschwand die Sonne hinter den Hügeln im Westen, und der Himmel wurde erst orange, dann feuerrot und schließlich dunkelblau. Über dem westlichen Horizont war ein Glitzern zu sehen. Die Sonne versank, und die Flammen der Tagessternfanfare, die bisher die Farben der Sonne nachgeahmt hatten, wurden silberweiß. Wie als Antwort stimmte Oelendra ein neues Lied an, eines, das Rhapsody wohl vertraut war. Es war die Hymne an den Stern Seren, der nach dem Glauben der alten Lirin über ihre Heimat wachte, über die Insel, die es nicht mehr gab. Rhapsody wollte mitsingen, aber ihre Stimme versagte; Seren war der Stern, unter dem sie geboren war, der Stern, den sie damals, als Ashe ihr zugehört hatte, Aria genannt hatte. So klar, als wären die Erinnerungen Gegenwart, vernahm sie die Stimme ihrer Mutter, die sie das Lied ihres Leitsterns lehrte. In ihren Augen standen verbotene Tränen, und Rhapsodys Gesicht wurde heiß bei dem Versuch, sie zurückzuhalten.
Unwillkommene Bilder aus der Vergangenheit, Erinnerungen, die sie unterdrückt hatte, überfluteten sie; Bilder, wie sie Barney und Dee zum letzten Mal im Federhut getroffen hatte, Bilder von Pilam, dem Bäcker, und von anderen Stadtbewohnern aus der alten Zeit. Sie dachte an die Kinder, für die sie am Brunnen auf dem Marktplatz gespielt hatte, Analise und Carli und Ali und Meridion, der immer wieder um das gleiche Lied gebettelt hatte. Die Flut der Erinnerungen überschlug sich, Gedanken an Kindheitsfreunde, die seit tausend Jahren tot waren, Bilder ihrer Brüder, ihres Vaters, ihrer Mutter ... Als das Gesicht ihrer Mutter auftauchte, blickte sie empor und sah Oelendra, die zum Himmel sang, das runzlige Gesicht silbern schimmernd im Licht der Sterne.
Es war zu viel des Glücks. Sie verlor den Kampf gegen die Tränen, die ihr übers Gesicht strömten, und begann am ganzen Körper zu zittern. Achmeds Befehl an sie ertrank in der Woge des Kummers, den sie schon so lange zurückhielt, hinter dem Damm, den seine harten Worte in jener ersten Nacht an der Wurzel in ihrer Seele errichtet hatten. Diese Barriere hatte standgehalten, als sie all ihre Lieben verloren hatte, als die Welt, die sie gekannt hatte, untergegangen war, als das Leben geendet hatte, dem sie in jener Nacht entrissen worden war. Rhapsody beugte sich vor und schlang die Arme um ihren Bauch in dem Versuch, die Tränen mit ihrer üblichen Methode zu vertreiben, aber diesmal hatte sie keinen Erfolg. So sank sie, heftig schluchzend, zu Boden.
Dunkelheit verschluckte den Hang des Hügels, als sie spürte, wie eine Hand ihre Schulter berührte. Sanfte Worte erklangen an ihrem Ohr, aber sie hörte sie nicht. Schließlich blickte sie in Oelendras Gesicht, und die Kriegerin wiederholte, was sie gesagt hatte.
»Ich weiß.«
Da brachen Tränen aus einer noch tieferen Quelle des Kummers hervor. Oelendra nahm Rhapsody in die Arme und drückte den Kopf der jungen Sängerin an ihre Schulter. Die Worte kamen stoßweise aus Rhapsodys Mund, Worte, die niemand verstehen konnte außer sie selbst. Langsam wiegte Oelendra sie hin und her und streichelte über das goldene Haar, das im Sternenlicht schimmerte.
»Lass es raus, mein Schatz, lass es einfach raus. Siehst du hier fangen wir an.«
So verbrachten sie die Nacht, Rhapsody geborgen in Oelendras Armen. Manchmal wurde sie still, nur um abermals so heftig zu weinen, dass sie zu sterben glaubte. Die ganze Zeit murmelte Oelendra tröstende Worte, die nicht dazu gedacht waren, die Trauer zu beenden, sondern sie ermutigten, ihre Gefühle zuzulassen, und ihr den Weg durch sie hindurch er leichterten ganz ähnlich, wie man versucht, die Schmerzen der Geburt zu lindern. Der Morgen fand sie noch immer auf dem Hügel. Rhapsody erwachte am leisen Gesang ihrer Mentorin, die das Aufgehen des Tagessterns und der Sonne mit dem alten Lied ihres Volkes begrüßte. Obwohl ihr Kopf vom vielen Weinen noch ganz benommen war und ihre Stimme immer wieder brach, stimmte Rhapsody mit ein. Ihre Hand zitterte, als sie das Schwert aus seiner schwarzen Elfenbeinscheide zog und es unter die Himmelskörper hielt, die jetzt aufstiegen; seine Flammen reflektierten sanfte Blau, Rosa und Goldtöne, während die Sonne über den Horizont kletterte.
Schließlich stand die Sonne klar am Himmel, und der Abendstern war in ihrem Licht unsichtbar geworden. Oelendra erhob sich und half auch Rhapsody auf die Beine. Sie kehrten zu Oelendras Haus zurück, und Rhapsody machte es sich auf den Kissen am Boden bequem, mit der Tasse Tee, die Oelendra ihr behutsam in die Hand drückte. Beim Frühstück tauschten sie Erinnerungen an die alte Welt aus, sprachen liebevoll von den Menschen und Dingen, die sie vermissten und von denen sie wussten, dass sie sie nie wieder sehen würden. Heilendes Lachen erklang, ein paar Tränen wurden vergossen, aber vor allen Dingen redeten sie. Als Rhapsody sich irgendwann besser fühlte, warf Oelendra ihr einen verständnisvollen Blick zu.
»Du hast deinen Verlust bis jetzt niemals richtig betrauert, nicht wahr?«
Rhapsody trank ihren Tee aus. »Nein.«
»Darf ich fragen, warum?«
»Es ist mir verboten worden.«
»Von wem?«
Rhapsody lächelte. »Vom Anführer unserer Expedition. Von meinem Herrn, sollte ich wahrscheinlich sagen. Von jemandem, den ich damals hasste, zu dem ich aber inzwischen vollstes Vertrauen gefasst habe. Er ist einer meiner liebsten Freunde geworden.«
»Warum hat er dir verboten zu weinen?«
Rhapsody überlegte einen Moment. »Ich bin mir nicht ganz sicher; ich glaube, es tut seinen Ohren weh. Er reagiert sehr empfindsam auf Schwingungen, das könnte es zumindest teilweise erklären. Jedenfalls war seine Anweisung klipp und klar. Ich sollte nie mehr weinen.«
»Eine höchst unkluge Anordnung. Rhapsody, die Regeln, die ich dir als deine Mentorin zum Gebrauch der Tagessternfanfare beibringe, sind für dich überlebenswichtig, aber das Leben selbst ist mehr als simples Überleben. Das sage ich dir als Freundin und als eine, die verloren hat, was auch du verloren hast, und die deshalb versteht, was es dich gekostet hat. Die erste Regel war, dass du auf deinen Körper hören sollst, die zweite lautet: Du sollst deinem Herzen folgen.
Du hast eine wirklich bemerkenswerte Zähigkeit bewiesen, obgleich dein Körper genau wie dein Herz nach Ruhe und Erneuerung verlangt hat. Nimm dir die Zeit, besser für dich zu sorgen, nicht nur für deinen Körper, sondern auch für deine Seele. Sei traurig, wenn dir danach ist. Sonst wird es dich irgendwann zerstören, wenn du so viel Leid mit dir herumträgst, gerade so, als würdest du in schlechter körperlicher Verfassung in den Kampf ziehen. Kümmere dich um dich selbst. Wenn du es nicht tust, dann wirst du niemals in der Lage sein, dich um jemand anderen zu kümmern.«
Rhapsody lächelte. »Ja, das werde ich tun. Danke, Oelendra, danke für alles, was Ihr für mich getan habt. Wenn Ihr bereit seid, möchte ich jetzt gern wieder an die Arbeit gehen.« Rasch wusch sie ihren Becher in der Wassertonne aus, trat ans Waffengestell und gürtete sich unter den lächelnden Blicken ihrer Mentorin das Schwert um.