»Grunthor, schleich bitte nicht so um mich herum. Es geht mir gut. Jo, sorg dafür, dass er damit aufhört.«
Jo gab dem Riesen einen spielerischen Klaps. »Sie sagt, es geht ihr gut. Also lass sie in Ruhe.«
»Ich bin ja nich taub«, erwiderte der Bolg entrüstet, »und ich kann auch ihren Hals sehen, vielen Dank, meine Dame. Du siehst aus, als hättest du eine Runde ›Dachs im Sack‹ verloren, Gräfin. Hast wohl ’nen Tritt in deinen bezaubernden kleinen Arsch gekriegt, was?«
»Ich bitte um Entschuldigung«, entgegnete Rhapsody in gespielt beleidigtem Ton. »Ich möchte feststellen, dass er mir keinen Tropfen Blut abgenommen hat, keinen Tropfen.«
»Jedenfalls nicht auf der Hautoberfläche«, schmunzelte Achmed. »Was glaubst du denn, woher blaue Flecken kommen?«
»Ja, schon gut, aber ihr hättet ihn sehen sollen, als es vorbei war«, meinte Rhapsody und schaffte sich den Riesen wieder vom Hals. »Willst du mich wohl in Frieden lassen?«
»Wenn der Patriarch doch so ’n guter Heiler is, warum hat er dann nich deinen Hals gerichtet, Fräuleinchen? Was is das denn für einer? Also wenn du mich verteidigt und mir meinen haarigen Arsch gerettet hättest, dann hätt ich dir wenigstens was gegen die Schmerzen gegeben.«
Rhapsody lächelte ihren Freund an, ehrlich gerührt von seiner Fürsorge. »Ich habe ihm keine Gelegenheit gegeben, Grunthor. Ich wollte nur so schnell wie möglich nach Hause. Außerdem sind die Blutergüsse schon viel besser. Ein Zehntagesritt ohne Zwischenfall wirkt Wunder bei kleinen Verletzungen.«
»Und ich sag trotzdem, es gefällt mir nich. Wir sind Kumpel, du und ich. Von jetzt ab will ich nich mehr, dass du allein losziehst. Kapiert?«
»Mal sehen. Ich habe nicht vor, in nächster Zeit irgendwohin zu gehen, aber ich habe etwas auf dem Herzen, was ich mit euch allen besprechen muss.«
Achmed nickte; Rhapsody hatte ihn gründlich über das in Kenntnis gesetzt, was sie auf ihrer Reise erfahren hatte, über ihre Einschätzung der Situation in Roland, die feindlichen Übergriffe und die zukünftige Wiedervereinigung der cymrischen Staaten. Schnell brachte er Grunthor aufs Laufende, während Jo die Geschenke auspackte, die Rhapsody mitgebracht hatte. Als sie schließlich alle zu dem massiven Tisch zurückkehrten, holte Rhapsody tief Atem und verschränkte die Arme.
»Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich Ashe helfen möchte«, verkündete sie. Jo lächelte, während Grunthor und Achmed sich anblickten.
»Wobei willste dem denn helfen?«
»Ich will ihm helfen, seine Seele zurückzubekommen. Den Dämon töten, der sie ihm gestohlen hat. Ich will ihm helfen, gesund zu werden. Ich will ihm helfen, König der Cymrer zu werden und das cymrische Volk zu vereinen.«
»Halt«, rief Achmed. »Und warum willst du das alles?«
»Ich hatte zehn Tage Zeit, darüber nachzudenken und die Fakten in meinem Kopf zu ordnen. Nachdem ich so lange mit ihm zusammen war, nachdem ich im Land herumgekommen bin, glaube ich, dass es das Richtige wäre.«
»Vögelst du mit ihm?«
»Du bist ein Ferkel«, gab Rhapsody zurück und hielt Jo schnell die Hände über die Ohren.
»Zu spät, ich hab’s schon gehört«, sagte Jo. »Und, tust du’s?«
»Nein«, antwortete Rhapsody verärgert. »Was ist denn los mit euch? Ich habe euch allen irgendwann mal geholfen, und ich teile mit keinem von euch das Lager.« . »Na ja, an mir liegt das aber bestimmt nich, ich hab’s immer wieder bei dir versucht.«
»Ach, halt du am besten den Mund. Früher oder später wird der Rakshas hinter uns her sein, davon gehe ich fest aus, nach dem, was im Haus der Erinnerungen und nun noch in der Basilika geschehen ist. Und ich kann nicht glauben, dass du nicht den Wunsch hast, den F’dor zu jagen und zu töten, Achmed. Ich dachte, das liegt deiner Rasse im Blut.« Der Firbolg-König schwieg. »Und was die Wiedervereinigung der Cymrer angeht, denke ich, dass es sich als durchaus sinnvoll erweisen könnte, wenn wir uns um die Leute kümmern, die aus dem gleichen Land stammen wie wir.«
»Tja, dann gehöre ich ja wohl nicht dazu«, meinte Jo und erhob sich. »Ich komme aus Navarne, und meinetwegen können hier alle die Pocken kriegen. Ich geh jetzt schlafen. Tu, was du nicht lassen kannst, Rhaps, du weißt ja, dass du auf meine Hilfe zählen kannst.«
»Danke, Jo«, sagte Rhapsody und warf ihr eine Kusshand zu, als sie das Zimmer verließ. Langwierige politische Streitgespräche waren nicht Jos Sache.
Wie Rhapsody etliche Stunden später eingestehen musste, war Jos Entscheidung klug gewesen. Sie argumentierten und debattierten endlos und ohne Erfolg. Achmed misstraute Llauron noch mehr als Ashe. Grunthor kam nicht mit der Vorstellung zurecht, dass der Rakshas und Ashe zwei getrennte Wesen waren.
»Du sagst also, dass er nicht dieses Ding ist, sondern dass dieses Ding nur aussieht wie er, stimmt’s?«
»Richtig.«
»Und hast du sie jemals zusammen gesehen?«
»Nein«, gab sie zu. »Ich denke, wenn der Rakshas Ashe gefunden hätte, wäre er tot, oder noch schlimmer seine Seele würde ganz dem F’dor gehören. So mächtig, wie Ashe ist, würde er bei der Konfrontation mit dem Rakshas gegen seine eigene Seele kämpfen. In beiden Fällen ist er verdammt, ob er gewinnt oder verliert. Das ist der Hauptgrund, warum er sich in seinem Nebelumhang verbirgt, denke ich.«
»Hat Ashe dir das erzählt?«, erkundigte sich Grunthor argwöhnisch.
»Nein«, gestand Rhapsody widerwillig. »Ich habe es mir aus meinen eigenen Beobachtungen und aus dem, was Elynsynos und Oelendra gesagt haben, zusammengereimt. Und natürlich aus meinen Visionen.«
»Wenn du sie nich zusammen gesehen hast, wie willste dann wissen, dass es nich einfach ein und derselbe ist, der sich nur anders benimmt?«
»Ich weiß es natürlich nicht mit Sicherheit«, räumte Rhapsody ein. »Aber ich habe sie beide gesehen und beim Kämpfen beobachtet, und da sind sie wirklich sehr verschieden.«
»Nee, das reicht mir nicht. Ich denk, es ist ein und derselbe. Vielleicht weiß Ashe es selbst nich mal, aber der Rakshas ist bestimmt einfach seine eigene böse Seite.«
»Noch mal eins nach dem anderen«, schlug Rhapsody vor und bemühte sich, nicht ungeduldig zu werden. »Es gibt also zwei Möglichkeiten. Die erste ist, dass Ashe und der Rakshas ein und derselbe sind, dass Gwydion gestorben ist, der F’dor ihn irgendwie wieder beleben konnte und als seinen Sklaven benutzt.«
»Ja, das würde ich annehmen, Gnädigste.«
»Und wenn das stimmt, dann bin ich unversehrt mit ihm durch den größten Teil des Kontinents gereist, ohne dass er auch nur einmal den Versuch unternommen hat, mir ein Leid zuzufügen.« Die Stimme blieb ihr im Halse stecken, als sie daran dachte, wie er sein Schwert gegen sie gezogen hatte. »Nun, vielleicht ein Mal, aber da hat er mir nicht wirklich etwas getan.«
Grunthors Bernsteinaugen wurden schmal. »Was soll das denn jetzt heißen?«
»Nichts. Es war ein Missverständnis. Und es ist ja wohl offensichtlich, dass er das gehalten hat, was er versprochen hatte er hat mich dorthin gebracht, wo ich hinwollte, und ist dann gegangen. Wenn er der Diener des F’dor wäre, warum hat er mich dann nicht getötet, als er die Gelegenheit dazu hatte, und die Prophezeiung zunichte gemacht?«
»Vielleicht ist er dir gefolgt, um sich ein Bild von deiner Mission zu verschaffen«, meinte der Riese. »Er könnte doch für den F’dor spionieren.«
Rhapsody schluckte ihre Frustration hinunter. »Die zweite Möglichkeit die ich für zutreffend halte ist die, dass Ashe und der Rakshas zwei verschiedene Wesen sind. Ashe ist Gwydion, und trotz allem, was Oelendra und Stephen glauben, ist er noch am Leben; er hat den Angriff des F’dor überlebt. Allein und unter Schmerzen wandert er durch die Welt und versucht, sich vor dem Dämon zu verstecken, der ihm den Rest seiner Seele rauben will. Der Rakshas existiert getrennt von ihm, ist aber sozusagen um den Teil herum geschaffen worden, den der F’dor sich angeeignet hat. Er ist gemacht aus Eis, Erde, dem Blut des F’dor und wahrscheinlich einem wilden Tier. So hat die Drachin es mir erklärt.«
»Aber sie hat nicht ausdrücklich gesagt, dass Ashe und der Rakshas nicht derselbe sind, oder, Fräuleinchen?«
»Nein.«
»Dann denke ich, wir können davon ausgehen, dass sie es sind.«
»Nun, was soll ich dann deiner Meinung nach tun?«, fragte Rhapsody aufgebracht.
»Ich würd sagen, wir töten ihn. Und wenn wir uns geirrt haben und ein anderer taucht auf, dann töten wir den auch.«
Rhapsody erbleichte; ihr war klar, dass der Bolg-Riese seinen Vorschlag ernst meinte. »Du kannst nicht einfach rumlaufen und irgendwelche Leute töten, ohne sicher zu sein, ob das richtig ist.«
»Und warum nicht? Das hat bei uns doch immer funktioniert. Mal im Ernst, Euer Liebden, das Risiko is einfach zu groß, wenn du es nich sicher weißt.«
»Das ist lächerlich, Grunthor.«
»Nein, keineswegs«, mischte sich nun Achmed ein. Er hatte den größten Teil des Abends geschwiegen, hatte Argumente gesammelt und gegeneinander abgewogen, während Rhapsody und Grunthor aufeinander losgegangen waren. »Lächerlich ist höchstens dein unersättliches Bedürfnis, die Welt, die du verloren hast, wiederherzustellen.
Deine Familie ist tot, Rhapsody, und jetzt sind wir Grunthor und Jo und ich an ihre Stelle getreten. Deine Stadt gibt es nicht mehr; jetzt lebst du hier, bei den Bolg. Der König, den deine Familie verehrt hat, ist seit zweitausend Jahren tot, und die hiesigen Fürsten können ihm und seiner Regentschaft nicht das Wasser reichen. Er hat eine ganze Generation in den Tod geführt wegen eines Ehekrachs. Diejenigen, die aus Serendair hierher kamen, waren miserable Vertreter unserer Kultur. Sie verdienen keine zweite Chance. Und was Ashe angeht warum willst du deine schlechte Beziehung zu einem verqueren Irren denn unbedingt wiederholen? Vermisst du den Wind des Todes wirklich so sehr?«
Vor Verblüffung blieb Rhapsody der Mund offen stehen. »Wie kannst du nur so etwas sagen?«, stammelte sie. »Ashe hat mir nie wehgetan oder mich auf irgendeine Art kompromittiert. Er ist ein Gejagter, Achmed ich würde denken, dass gerade du mit seinem Schicksal mitfühlst. Ein Stück seiner Seele ist die Quelle, aus welcher der Rakshas seine Macht bezieht; es befindet sich in den Händen eines anscheinend sehr mächtigen F’dor, was Verdammnis in Leben und Tod bedeutet. Die Wunde, die der Dämon ihm zufügte, als er das Stück Seele aus seiner Brust riss, ist nie verheilt; er leidet unaussprechliche Schmerzen. Trotz allem aber hat er mich nie um etwas gebeten, außer darum, dass ich mir überlege, ob ich seine Verbündete sein möchte. Wie kommst du nur auf die widersinnige Idee, ihn mit Michael zu vergleichen? Michael war ein Bastard der niedrigsten Sorte und ein Lügner obendrein.«
»Und genau das ist das Problem, das ich mit den Cymrern habe, Ashe inbegriffen. Sie sind Lügner, allesamt. In der alten Welt wusste man wenigstens, wer die bösen Götter verehrte, weil sich die Betreffenden dazu bekannten. Hier in diesem neuen, verdrehten Land sind sogar die angeblich Guten nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Die Bösen von früher haben nie so viel Verheerung angerichtet, wie ein angeblich guter cymrischer Herrscher und seine Herrscherin es ganz nebenbei geschafft haben. Und du möchtest dich dem womöglich schlimmsten Lügner von allen auf einem Silbertablett servieren.«
Jetzt war Rhapsodys Geduld am Ende. »Nun, wenn ich das tue, dann ist es meine Entscheidung. Ich werde das Risiko auf mich nehmen und nach meinem eigenen freien Willen leben oder sterben.«
»Ganz falsch.« Langsam erhob sich Achmed, und an seinen steifen, betont gelassenen Bewegungen war deutlich zu erkennen, wie wütend er war. »Wir alle werden vielleicht dieses Schicksal erleiden müssen, weil du nicht nur dich selbst in Gefahr bringst du wirfst unsere Neutralität mit in den Topf, und wenn du zu viel riskierst, haben wir alle verloren.«
Rhapsody sah ihn an. Seine Augen funkelten, seine Schultern waren verkrampft so wütend hatte sie ihn schon lange nicht mehr gesehen.
»Warum bist du denn so zornig? Nur weil ich einem anderen helfen will, bedeutet das noch nicht lange nicht, dass meine Loyalität zu euch darunter leiden muss.«
»Das hat nichts damit zu tun.«
»Da bin ich anderer Meinung.« Rhapsody stand auf, ging zu Achmed auf die andere Seite des Tischs und setzte sich vor ihn auf die Tischplatte. »Ich glaube, dass es viel damit zu tun hat. Und ich möchte dich daran erinnern, dass ich, während ich euch geholfen habe, in diesem Land eure Ziele durchzusetzen, eine ganze Reihe von Dingen getan habe, derer ich mir alles andere als sicher war oder die mich sogar abstießen. Aber ich habe sie trotzdem getan, weil ihr mich darum gebeten habt und weil ihr gesagt habt, es sei das Richtige. Ich habe an euch geglaubt. Warum sollte ich nicht auch an ihn glauben?«
»Weil er dir nichts von all dem gesagt hat. Er hat sein Versteckspiel mit dir getrieben, er hat dir Informationen aus der Nase gezogen und war nicht bereit, selbst das Geringste preiszugeben. Er vertraut dir nicht. Nach allem, was du weißt, könnte er genauso gut der F’dor höchstpersönlich sein.«
»Das glaube ich aber nicht.«
»Na, das ist ja beruhigend. Du bist die schlechteste Menschenkennerin der Welt. Und deine Intuition ist auch mit Vorsicht zu genießen.«
Tränen der Wut traten in Rhapsodys Augen. »Warum sagst du das? Ich liebe dich, ich liebe Grunthor. Was glaubst du, wie viele Nicht-Bolg in der Lage wären, sich über dein fieses Benehmen hinwegzusetzen und das Gute in dir zu sehen?«
»Keiner. Und zwar, weil sie uns besser verstünden als du. Seit wir uns kennen, hast du meine Absichten falsch gedeutet.«
»Was meinst du damit?« Auf einmal hatte Rhapsody einen Knoten im Magen. Achmed legte die Hände links und rechts neben ihr auf den Tisch, beugte sich vor, bis er nur wenige Zoll von ihrem Gesicht entfernt war, und zwang sie so, ihm in die Augen zu sehen.
»Erinnerst du dich noch an das Allererste, was ich zu dir gesagt habe?«
Rhapsody schluckte. »Ja. Du hast gesagt: »Komm mit uns, wenn du am Leben bleiben möchtest/«
»Und du hast gedacht, das bedeutet, dass ich dich retten würde, wenn du mit mir kommst, oder?«
»Ja, und das hast du auch getan.«
»Schon wieder falsch«, fauchte Achmed. »Vielleicht hätte ich mich dir gegenüber anders ausdrücken sollen. Mach keinen Fehler, Rhapsody. Ganz gleich, was sich seither zwischen uns verändert hat, ganz gleich, welche Gefühle für dich im Lauf der Zeit in mir erwacht sind in diesem Augenblick hätte ich zu dir sagen sollen: »Komm mit uns, sonst bringe ich dich um.‹ Verstehst du jetzt? Du willst ständig glauben, dass die Leute so gut sind, wie du es dir wünschst. Im Großen und Ganzen ist das aber nicht der Fall. Nicht bei mir, nicht bei Grunthor und schon gar nicht bei Ashe. Seine Seele befindet sich in der Hand eines Dämons aus der alten Welt weißt du, was das bedeutet?«
»Nein.«
»Nun, ich weiß es aber. Denk dran, ich habe es selbst erlebt.« Mit den Fäusten schlug er neben ihr auf den Tisch, dass sie vor Schreck zusammenzuckte. »Im Gegensatz zu dir verstehe ich, was Ashe durchmacht. Ich weiß, wie es ist, wenn ein Teil der eigenen Seele sich in dämonischen Händen befindet. Man tut alles, man hintergeht jeden, nur um zu verhindern, dass einem der Rest auch noch genommen wird. Ich will ihn deswegen nicht schlecht machen, Rhapsody; wenn es nicht um ihn, sondern um mich ginge, dürftest du mir auch nicht trauen. Ich habe dir schon des Öfteren gesagt, dass die F’dor ihre Opfer auf verschiedene Weise in Besitz nehmen können. Ashe muss nicht der eigentliche Wirt sein, um von dem Dämon versklavt zu sein. Manchmal pflanzt der F’dor einen einzigen Gedanken in den Kopf eines Unwissenden, gerade lange genug, dass der Betreffende irgendetwas für ihn tut. Manchmal nimmt er sein Opfer voll in Besitz und kann es ganz nach Belieben herumkommandieren, schreckt aber davor zurück, seinen Geist ganz an den Körper des Unglücklichen zu binden. Das bedeutet, dass jeder, dem wir hier begegnen, verdächtig ist. Warum verstehst du das nicht?
Schlimm genug, dass du nicht aufhören kannst, Waisen zu adoptieren, die das Biest vielleicht kennen gelernt haben. Die FirBolg-Kinder und sogar die von Stephen sind höchstwahrscheinlich harmlos, aber Jo haben wir im Haus der Erinnerungen gefunden, weißt du noch? Sie war eine Gefangene des Rakshas. Wer weiß, ob sie vielleicht auch an den F’dor gebunden war?«
Rhapsody zitterte. »Ich weiß es«, antwortete sie. »Jo ist nicht seine Gefangene. Du vergisst, Achmed, dass sie dort war, um als Blutopfer zu dienen, zusammen mit all den anderen Kindern. Warum sollten der F’dor oder der Rakshas Zeit, Energie und Lebenskraft darauf verschwenden, etwas zu besitzen, das sie zerstören wollen?«
Doch der Zorn in den ungleichen Augen wurde nicht geringer. »Das ist auch der einzige
Grund, warum ich dir erlaubt habe, sie mitzunehmen. Trotzdem war es ein ernstes Versagen meiner Urteilskraft.«
»Wie kannst du so etwas sagen?«, fragte Rhapsody wieder. »Ich dachte, du magst sie.«
»Ich mag sie ja auch, jedenfalls meistens. Und der Umstand, dass du mit einem so dummen Einwand daherkommst, zeigt mir, dass dir der Ernst der Lage nicht einmal annähernd klar ist. Liebe und Freundschaft haben hier keinerlei Bedeutung, nicht die geringste. Wenn man es mit den F’dor zu tun hat, ist es schlimmer als im Kampf um Leben und Tod. Ich weiß, dass du Jo liebst, und Grunthor liebt sie auch. Nichtsdestoweniger bereue ich ständig, dass ich sie nicht getötet habe, gleich als sie zum ersten Mal etwas Dummes getan und uns in Gefahr gebracht hat. Das ist wiederholt passiert, sowohl in deiner Gegenwart als auch in deiner Abwesenheit. Allmählich glaube ich, dass es ein Muster ist, Rhapsody, dass es einen Grund dafür gibt, den wir nicht erkennen, und dass sie nicht anders kann. Wenn sich herausstellt, dass dies tatsächlich der Fall ist, dann sind die Folgen für uns und für die Bolg so weitreichend, dass die Zerstörung von Serendair im Vergleich dazu verblasst. Und diese Folgen werden ewig andauern sie sind nicht mit dem Tod zu Ende.«
»Um Himmels willen, Achmed, sie ist ein junges Mädchen! Hast du in ihrem Alter nie etwas Dummes oder Unüberlegtes getan?«
»Nein. Doch das ist nicht der Punkt. Der F’dor oder sein Lakai kann sehr wohl ein junges Mädchen sein oder ein Kind, oder der gut aussehende Dummkopf, der dir auf der Straße begegnet ist und vor deinen Füßen eine Blume hat fallen lassen. Jeder kann es sein, Rhapsody, jeder!«
»Aber nicht wirklich, Achmed. Irgendwann müssen wir Stellung beziehen und eingreifen. Wir können nicht einfach den Kopf in den Sand stecken, wir können uns nicht für den Rest der Ewigkeit in Ylorc verkriechen. Wenn auch nur irgendetwas von dem Mythos der Wahrheit entspricht und wir zu der scheußlichen Form von Langlebigkeit verdammt sind, die an Unsterblichkeit grenzt, dann wird es früher oder später zu einer Konfrontation zwischen uns und dem F’dor kommen.
Außerdem, wenn du wirklich glaubst, dass jemand, der dir am Herzen liegt, unter der Macht des Bösen steht, findest du dann nicht, dass du die Pflicht hast, wenigstens zu versuchen, diese Person vor der ewigen Verdammnis zu retten? Den Teil, der sich in der Hand eines F’dor befindet, zurückzufordern?«
Achmed wandte sich ab und fuhr sich ärgerlich mit der Hand durchs Haar. »Jetzt meinst du aber nicht Jo, oder? Du bist wieder bei Ashe. Mir war bisher nicht klar, dass er inzwischen zu jemandem aufgestiegen ist, ›der uns am Herzen liegt‹.«
»Wir können ihm helfen«, flüsterte Rhapsody. »Wir können den F’dor finden und töten. Wir sind die Einzigen, die dazu imstande sind. Erinnerst du dich an die Prophezeiung, von der Llauron uns erzählt hat? Hast du es noch nicht erraten? Wir sind die Drei. Du bist das Kind des Blutes, das ist ganz offensichtlich, Grunthor ist das Kind der Erde, das weißt du auch. Und ich bin eine Lirin, uns nennt man die Kinder des Himmels. Das sind wir, Achmed. Man hat unser Kommen in diesem Land prophezeit.«
Achmed wirbelte herum und starrte sie wütend an. »Dann sollten wir also den Prophezeiungen folgen, nur weil irgendein verrückter cymrischer Seher sie von sich gegeben hat? Möchtest du vergnügt losziehen und die Welt von dem Bösen befreien, obwohl diese Leute selbst dafür gesorgt haben, dass es wieder an Macht gewinnt? Was gibt es für eine Garantie? Woher willst du wissen, dass du nicht das nächste Opfer sein wirst?«
»Was gibt es für eine Garantie, dass es nicht sowieso passiert? Meinst du nicht, dass das Böse inzwischen von uns weiß? Es ist auf einem cymrischen Schiff hierher gekommen. Vielleicht waren sein ursprünglicher Wirt und auch viele der nachfolgenden cymrischer Herkunft. Der F’dor hat an den Ratssitzungen teilgenommen, er kennt die Prophezeiungen. Und neben der rein zufälligen Gelegenheit, dass wir ihm sowieso begegnen, besteht eine ziemlich große Wahrscheinlichkeit, dass er versuchen wird, uns zu zerstören, nur weil irgendein verrückter cymrischer Seher etwas prophezeit hat. Vergiss Ashe, vergiss Llauron. Wir müssen das verdammte Ding ohnehin töten, uns selbst zuliebe.«
»Sie hat Recht, Herr«, sagte Grunthor aus der Ecke, in die er sich vor der Hitze des Gefechts zurückgezogen hatte. Die anderen beiden zuckten überrascht zusammen. »Wenn das Ding da draußen ist und wir die Einzigen sind, die es töten können, dann sag ich, sehn wir zu, dass wir’s hinter uns bringen, und Schluss damit. Ich jedenfalls will mich nich den Rest meines Lebens wieder dauernd besorgt umgucken müssen.«
Achmed betrachtete seinen Sergeanten schweigend und nickte dann. »Na gut«, meinte er etwas ruhiger, aber immer noch mit einem zornigen Blick auf Rhapsody. »Vermutlich wäre es klug, die Sache wenigstens anzugehen. Was hast du vor?«
»Ich werde Ashe nach Elysian rufen, allein, und ihm den Ring geben. Wenn er geheilt ist, können wir den Rakshas suchen und töten.«
»Warum rufen wir ihn nicht einfach hierher?«
Rhapsody dachte daran, wie distanziert Ashe stets blieb. »Weil Ashe sich darauf niemals einlassen würde. Er kommt nur an einen Ort, an dem er sich in Sicherheit weiß. Elysians Wasserfälle sind bestens dazu geeignet, um seine Schwingungen vor seinen Verfolgern zu verbergen.«
»Nein. Das wäre nämlich gefährlich für dich«, brummte Achmed. »Nach Elysian gibt es kein Sprechrohr. Du könntest im Notfall nicht mal um Hilfe rufen.«
»Nein, aber der Pavillon ist dort. Er ist ein natürlicher Verstärker. Glaub mir, Achmed, wenn ich dir ein Signal schicke, wirst du es hören.«
»Zweifellos«, meinte er säuerlich, und seine Augen bohrten sich in ihre. »Bevor oder nachdem er dir all unsere Geheimnisse abgeluchst hat?«
»Ich würde Ashe nie etwas verraten, was für dich eine Bedrohung sein könnte, Achmed«, sagte sie und erwiderte sein Starren mit einem milden Gesichtsausdruck. »Meine Loyalität gilt zuerst und vor allem meiner Familie.« Sie lächelte Grunthor zu und atmete ein wenig leichter, als sie ihn ein Lächeln unterdrücken sah. »Das ist Teil des Grundes, warum ich geholfen habe, das Bolg-Land zu unterwerfen. Nicht, dass du es nicht allein hättest tun können, aber mit ein bisschen Glück werden die Bolg irgendwann mehr deiner Wunschvorstellung von einer Nation entsprechen. Die vereinigten Cymrer werden keine Bedrohung für sie darstellen, vor allem, wenn ich mit Ashe Recht behalte. Wir werden Verbündete sein. Er wird das Gefühl haben, dass er uns etwas schuldet. Und wenn ich mich geirrt habe, dann werde ich ihn persönlich umbringen. Versprochen.«
»Wir werden sehen.«
»Aber unsere Hilfe muss freiwillig sein, sonst ist sie nicht so viel wert.«
»Weißt du, Rhapsody, manchmal wünschte ich mir, du würdest eine Unterredung nicht ständig mit einer Feilscherei auf dem Markt verwechseln. Es ist durchaus annehmbar, wenn man auch einmal nicht das meiste aus einer Sache herausholt.«
Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. »Dann wirst du zulassen, dass ich ihm helfe?«
»Du bist eine erwachsene Frau, Rhapsody. Ich brauche dir gar nichts zu erlauben.«
»Aber du hilfst mir.«
Ein seltsames Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Ja. Aber nicht seinetwegen. Allein dir zuliebe. Aber jetzt würde ich es sehr schätzen, wenn du mir hilfst, mich zuerst um etwas anderes zu kümmern, ehe du diesen nutzlosen Narren in mein Land einlädst. Mach irgendeinen netten Jahrgang auf, den du mitgebracht hast. Dann erzählen Grunthor und ich dir alles über das Loritorium.«