Nachdem sie mit dem Tee zurückgekehrt war, setzte sie sich neben ihn auf den Boden und reichte ihm ei: Tasse. Er nahm einen Schluck und fasste den Entschluss, seinen Plan endlich in die Tat umzusetzen.
»Darf ich dich etwas fragen?«
»Aber natürlich.«
»Warum hast du das getan?«
»Was getan?«
Er hielt die Hand mit dem Ring hoch. »Das. Und alles, was du getan hast, um ihn zu bekommen.«
Rhapsody sah verwirrt aus. »Das habe ich dir doch gerade erzählt; für einen Freund würde ich alles tun. Ich habe dir gesagt, wozu ich bereit bin, was es für mich bedeutet, dein Freund zu sein, nicht wahr?«
»Ja.«
»Nun, da hast du deine Antwort.«
»Gibt es noch andere Gründe?«
»Andere Gründe wofür?«
»Andere Gründe dafür, mir dieses unglaubliche Geschenk zu machen, mir auf diese Art und Weise zu helfen.«
Rhapsody war überrascht. »Andere Gründe? Andere Gründe als die, die ich dir genannt habe?«
»Ja, falls es welche gibt.«
Sie überlegte, die Augen auf ihren Schoß gesenkt, die Hände auf den Knien. »Nun«, meinte sie kurz darauf, »vermutlich gibt es noch zwei andere Gründe, aber die sind nicht so wichtig wie der erste.«
»Sag sie mir trotzdem«, bat Ashe. Er musste auf sie herabflicken, und es behagte ihm ganz und gar nicht, dass Rhapsody zu seinen Füßen kauerte, in der traditionellen Haltung einer Dienerin an einem menschlichen Königshof.
»Nun ja, ich weiß nicht, ob ich das richtig erklären kann ... Aber seit ich Herzog Stephen kennen gelernt und den Schrein gesehen habe, den er dir in seinem Museum gewidmet hat, habe ich nicht geglaubt, dass du tot bist, und das unerklärliche Bedürfnis verspürt, dir zu helfen.«
»Den Schrein?«
»Vielleicht ist das nicht ganz das richtige Wort dafür, aber Herzog Stephen hat in dem Museum seiner Festung einen kleinen Bereich eingerichtet, mit einer Inschrift, die er dir gewidmet hat, und ein paar Gegenständen, die dir gehörten. Ich habe ihn gefragt, wer dieser Gwydion gewesen sei, und er hat mir ein wenig von euch beiden erzählt. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Gwydion, ich meine, dass du noch am Leben sein könntest. Besser kann ich es nicht erklären.
Wie du weißt, habe ich seit langer Zeit Träume und Visionen von der Zukunft; diese sind oft erschreckend genau, und deshalb vertraue ich meist meinem Instinkt. Dieser Instinkt sagte mir, dass du lebst, und so war ich wohl ein wenig besessen von der Idee, dich zu finden und dir zu helfen. Natürlich wusste ich bei unserer ersten Begegnung nicht, dass du Gwydion bist, aber im Lauf der Zeit wurde es mir immer deutlicher, und ich habe dir geholfen, so gut ich eben konnte.«
»Und ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich dir bin«, erwiderte er und sah sie mit einem ganz neuen Blick in den Augen an. Rhapsody spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht stieg, ohne dass sie recht wusste, warum. Seine Augen waren so fremdartig; aus der Entfernung bemerkte man seine vertikalen Pupillen gar nicht, aber es war nicht zu übersehen, dass sie irgendwie anders waren. Vielleicht war das an dem seltsamen Blick schuld.
»Was noch? Du hast gesagt, es waren zwei Gründe.«
Rhapsody sah verlegen aus. »Womöglich ist dir das jetzt ein wenig unangenehm«, meinte sie und errötete noch mehr, während sie mit ihren strahlenden Augen, so grün wie die Baumwipfel des Waldes, zu ihm aufblickte.
Ashe konnte den Hoffnungsschimmer kaum ertragen. »Was?«
Wieder senkte sie den Blick auf ihre Hände. »Wenn sich die Dinge so entwickeln, wie wir es erwarten, dann wirst du irgendwann der cymrische Herrscher sein. Da ich Cymrerin. bin, bist du dann mein König und ich deine Untertanin, deshalb habe ich die Pflicht, dich zu unterstützen.«
Als sie den Ausdruck auf Ashes Gesicht sah, rückte sie ein wenig von ihm ab. Es war eine Mischung aus Enttäuschung und Entsetzen.
»Tut mir Leid, wenn ich dich an etwas Schmerzliches erinnert habe«, sagte sie und wünschte, sie hätte den Mund gehalten.
Er brauchte einen Augenblick, ehe er etwas erwidern konnte, bemühte sich aber, seine Stimme ruhig und sanft klingen zu lassen. Auf gar keinen Fall wollte er sie mit der Heftigkeit seiner Gefühle erschrecken.
»Rhapsody, ich möchte nicht, dass du meine Untertanin bist.«
Verblüfft und fast ein wenig verletzt blickte sie zu ihm auf.
»Wirklich?«
»Ja.«
Sie atmete tief ein und senkte erneut die Augen, als verstünde sie allmählich, was er sagen wollte.
»Nun gut«, sagte sie langsam, »wenn du so darüber denkst, dann werde ich mich wohl von Roland fern halten müssen. Hier ist Achmeds Land, das wird sowieso nicht unter cymrische Herrschaft kommen. Vielleicht kann ich ja auch in Tyrian leben, Oelendra hat gesagt, ich bin dort immer ...«
Sie unterbrach sich, denn er hatte sich mit einer schnellen Bewegung neben sie auf den Boden gesetzt, umfasste ihr Gesicht und küsste sie.
Seine Lippen waren warm und entschlossen, sein Kuss leidenschaftlich, aber nicht aufdringlich. Ihre Augen wurden weit vor Schreck, sie erstarrte in seinem Griff, und als er sie widerstrebend freigab, sah sie ihn völlig verblüfft an. Doch bemerkte sie die Verzweiflung, die ihm ins Gesicht geschrieben stand, stand auf und fuhr sich verlegen mit der Hand über die Haare.
Nach kurzem Schweigen sagte sie: »Weißt du, es ist wirklich erstaunlich, was die Leute alles anstellen, nur damit ich aufhöre zu reden. Einmal hat Achmed mir gedroht, mich am Spieß zu grillen und mich Grunthor als Delikatesse anzubieten, wenn ich ...«
»Weich nicht aus, Rhapsody«, fiel Ashe ihr ins Wort. »Das ist doch sonst nicht deine Art.«
»Ich weiche nicht aus«, protestierte sie und rang nervös die Hände. »Ich versuche nur herauszufinden, ob seine oder deine Maßnahme extremer war. Ich meine, er hatte schon die Marinade ausgesucht.«
»Schrecklich. Wahrscheinlich hat er es sogar erst gemeint«, sagte Ashe, verärgert über diese seltsame Wendung des Gesprächs.
»Ich weiß, dass er es ernst gemeint hat«, erwiderte Rhapsody und sah weg. »Aber bei dir weiß ich es nicht.«
»Ich meine es vollkommen ernst.«
»Warum?«, fragte sie ungläubig. »Was sollte das denn?«
Ashe betrachtete ihr Gesicht, auf dem der Schreck allmählich einem eher verwunderten Ausdruck Platz gemacht hatte. »Vermutlich konnte ich es einfach nicht länger verbergen, Rhapsody ... Ich ertrage es nicht, wenn du mit mir sprichst, als wäre ich dein Herr oder dein Bruder oder ein Fremder, der nichts für dich empfindet, oder selbst nur ein gewöhnlicher Freund. Vielleicht empfindest du ja nichts weiter für mich, aber das wäre wahrlich nicht das, was ich mir wünsche.«
»Was wünschst du dir denn?«
Ashe seufzte und blickte zur Zimmerdecke empor, ehe er sie wieder ansah. »Ich möchte dein Liebhaber sein, Rhapsody.«
Die Verwirrung verschwand. Zu seiner großen Überraschung entspannte sich ihr Gesicht, und sie begann zu lächeln.
»Oh, jetzt verstehe ich«, sagte sie freundlich. »Du hast so lange diese furchtbaren Schmerzen gelitten, Ashe, und jetzt fühlst du dich besser. Da ist es ja nur natürlich, dass auch solche Bedürfnisse zurückkehren, wenn ...«
»Sei doch nicht so begriffsstutzig«, unterbrach er sie erneut und konnte nicht verhindern, dass seine Worte bitter und unfreundlich herauskamen. »Damit beleidigst du uns beide. Hier handelt es sich nicht um ein plötzlich aufgetretenes körperliches Bedürfnis, das befriedigt werden will, weil die Schmerzen verschwunden sind. Ich habe mir das schon die ganze Zeit über gewünscht. Bei allen Göttern, du verstehst mich einfach nicht.«
»In diesem Punkt will ich dir nicht widersprechen«, entgegnete sie, allmählich etwas ungehalten. »Nun, wie könnte das wohl kommen? Überlegen wir mal zuerst verweigerst du mir jede Auskunft darüber, was du willst oder was du denkst oder auch nur, wer du bist. Dann erzählst du mir endlich, was du dir von mir wünschst. Ich glaube, die mir zugedachten Rollen waren ›Freund‹ und ›Verbündete‹. Ach ja, und ›Dienstmagd‹ gehörte auch noch dazu. Bitte korrigiere mich, wenn ich mich irre aber hast du das andere vielleicht schon einmal erwähnt, und ich habe es nur nicht gehört? Wie dumm von mir, dass ich nicht gleich den Zusammenhang zwischen diesen Dingen und einer Geliebten gesehen habe. Vielleicht hätte ich ihn erkennen können, als du mich für eine Kurtisane gehalten und es mir Geschmackloserweise auch noch gesagt hast? Oder vielleicht hätte ich es merken können, als du mir befohlen hast, mich von dir fern zu halten, als du mir erzählt hast, dass du mir nicht vertraust, dass ich dich in Ruhe lassen soll? Ich kann mir gar nicht erklären, wie ich das bei all den Vertraulichkeiten übersehen konnte, die wir tagtäglich miteinander ausgetauscht haben, Ashe. Diese Art von Liebesgeflüster bringt mich nämlich für gewöhnlich dazu, dass ich gleich die nächstbeste horizontale Oberfläche suche und mich hinlege.«
Unfähig, ihren Zorn länger im Zaum zu halten, wandte sie sich von ihm ab und drückte die geballten Fäuste gegen ihre brennende Stirn. »Ich kann das nicht glauben. Du hast Recht, Ashe, ich bin dumm. Die ganze Zeit habe ich gedacht, du hättest gelernt, mich gern zu haben, jedenfalls ein wenig, als Mensch, nicht nur als eine mögliche neue Eroberung. Ich habe mich bei dir wohl gefühlt, weil ich dachte, du willst nicht das, was alle wollen, du lernst endlich, mir zu vertrauen. Wahrscheinlich beweist das nur, welch eine Närrin ich bin. Ich hätte wissen müssen, dass das zu viel verlangt ist von allen außer Achmed.« Das Kaminfeuer loderte, die Flammen hüpften und verbreiteten ein wütendes Licht im Zimmer und auf den Bildern der adoptierten Enkelkinder, deren Augen in stummem Vorwurf zu funkeln schienen. Einen Moment stand Ashe reglos da und betrachtete die verschlungenen Muster auf dem Teppich. Dann trat er auf Rhapsody zu, stellte sich hinter sie ans Feuer und sah eine Weile zu, wie die Flammen sich drehten und in verwirrtem Zorn tanzten.
Schließlich stieß er einen tiefen, schmerzlichen Seufzer aus. »Nein, Rhapsody, du bist nicht diejenige, die dumm gewesen ist; ich denke, diese Ehre gebührt mir. Bitte fang nicht an, an deiner Wahrnehmung zu zweifeln. Du weißt sicherlich, wie Recht du damit hast, dass ich beginne, dir zu vertrauen.«
Auch Rhapsody starrte ins Feuer. »Genau genommen ist das Einzige, was ich mit Sicherheit über dich sagen kann, dass ich nichts von dir weiß, Ashe, wirklich überhaupt nichts.«
»Bitte sag, dass du das nicht ernst meinst.«
Rhapsody drehte sich um und sah ihn an, mit tief traurigem Gesicht. »Es tut mir Leid, aber das wäre eine Lüge. Und du weißt ja, dass ich versuche, nie zu lügen.«
Behutsam umfasste Ashe ihre Schultern und sah ihr in die Augen. »Wie kannst du daran zweifeln, dass ich dir vertraue, Rhapsody? Schau mich an. Kannst du mich sehen?« Sie nickte. »Nun, dann bist du seit etwa zwanzig Jahren die Erste. Nicht einmal mein Vater hat in dieser ganzen Zeit je mein Gesicht gesehen. Doch hier stehe ich in deinem Haus vor dir, ohne Umhang, unbewaffnet, offen und ungeschützt. Und so siehst du mich nicht zum ersten Mal. Sagt dir das nicht etwas?«
Rhapsody schenkte ihm ein sanftes Lächeln, um die Verzweiflung zu lindern, die sie in seinem Gesicht gewahrte. »Ich denke schon. Vermutlich weiß ich nur nicht recht, was.«
»Mir ist klar, dass du die Bedeutung dieser scheinbar ganz einfachen Dinge nicht verstehst, aber das kommt daher, dass du keine Ahnung hast, wie es für mich war, jeden Morgen Jahr um Jahr aufzuwachen und zu wünschen, ich wäre tot, gleichzeitig aber zu wissen, dass ich mir nicht das Leben nehmen konnte, weil es nichts genutzt hätte.«
Er ließ seine Hände über ihre Arme gleiten, ergriff ihre Hände und hielt sie fest, während er noch ernster fortfuhr.
»Irgendwo da draußen existiert ein abscheuliches Wesen, das genauso aussieht wie ich und aus einem Teil meiner Seele die Kraft für unaussprechliche Gräueltaten bezieht. Die ganze Zeit über hat dieses Wesen Verbrechen an unzähligen Unschuldigen begangen, die ich nicht beschützen kann, weil diese Kreatur vollkommen chaotisch und willkürlich vorgeht, nach einem grausamen Plan, den nicht einmal mein verdrehtes Gehirn nachvollziehen kann. Jedes Mal, wenn irgendwo etwas Schlimmes geschieht, ist das mein erster Gedanke. Er verfolgt mich bei jedem Herzschlag, bei jedem Atemzug.
Wie soll eine Seele, die so rein und unschuldig ist wie deine, das verstehen können?« Ein ersticktes Lachen kam über Rhapsodys Lippen, aber ihr ironisches Lächeln verblasste, als sie in Ashes Augen sah; sein Blick war fest, und er sprach, als wäre er sich seiner Sache ganz sicher.
»Lache nicht, Rhapsody; du bist unschuldig, auch wenn du selbst einiges erlebt hast. Du glaubst an Menschen, obwohl sie eigentlich kein Anrecht auf diesen Glauben hätten, du liebst Menschen, die es eigentlich nicht verdienen. Aber mehr als alles andere suchst du jemanden, dem du vertrauen kannst, weil das in deiner Natur liegt. Es spielt keine Rolle, welche Erfahrungen du gemacht oder was du getan hast es hat dich nicht wirklich berührt. Es ist, als wärst du eine Jungfrau, an Leib und Seele.«
Wieder lachte Rhapsody. »Du hast ja keine Ahnung, wie komisch diese Bemerkung ist«, sagte sie. »Wenn es das ist, wonach du suchst, dann bist du absolut auf dem Holzweg.«
»Ich suche gar nichts das ist doch gerade der Punkt«, erwiderte Ashe ernst. »Ich habe mich versteckt, Rhapsody, zwei Jahrzehnte lang, habe versucht, jeden Kontakt mit der Welt zu vermeiden, und das ist mir auch ganz gut gelungen. Und dann warst eines Tages du da, kamst aus dem Nichts, wie ein unerbittlicher Leitstrahl, und ganz gleich, wohin ich ging, ganz gleich, wie sehr ich versuchte, dich aus meinen Gedanken zu verbannen, wie weit ich mich von dir entfernte, du warst immer da, in den Sternen, im Wasser, in meinen Träumen, in der Luft um mich herum. Ich habe versucht, dich aus meinem Blut zu vertreiben, Rhapsody, aber es nutzt nichts. Ich werde dich einfach nicht los.
Und wahrscheinlich waren mein Verfolgungswahn, meine Versuche, dich von mir wegzustoßen, dich so zu verletzen, dass du mich hasst und endlich in Ruhe lässt, nur Methoden, mit denen ich der Anziehung entkommen wollte, die du auf mich ausübst, aber auch Experimente, mit denen ich geprüft habe, ob du wirklich das bist, was du zu sein schienst.
Du darfst nicht vergessen, was der Dämon sich alles ausdenkt, um Unschuldige zu umgarnen, sie an sich zu binden und dann durch sie zu wirken. Nach allem, was ich erfahren hatte, hättest du der F’dor persönlich sein können. Ich hatte keine Ahnung, ob du mich aus den gleichen Gründen suchst, wie mich seit jener Nacht vor zwanzig Jahren zahllose andere Sklaven gesucht haben um zu zerstören, was von meiner Seele noch übrig ist, oder schlimmer noch, diesen Rest auf noch abscheulichere Weise für ihre üblen Zwecke zu benutzen. Und es wäre doch bestens eingefädelt gewesen mir ein unschuldiges Herz über den Weg zu schicken, gehüllt in ein wunderschönes Äußeres, ausgestattet mit den Kräften einer alten Welt, die schon unter den Wellen des Meeres verschwunden war, bevor mein Vater gezeugt wurde welcher Köder wäre für einen Drachen besser geeignet gewesen? Besonders argwöhnisch machte es mich, als mir klar wurde, dass du Jungfrau bist wie wahrscheinlich ist so etwas schon?«
»Genau genommen ist es eigentlich nur eine theoretische Möglichkeit«, erwiderte Rhapsody humorvoll.
»Es spielt keine Rolle«, fuhr Ashe fort. »Verstehst du nicht, was ich sagen will? Du bist das Höchste, was ich, als Mann und als Drache, mir jemals wünschen könnte du bist viel zu schön, um wahr zu sein. Deshalb war ich dir gegenüber natürlich sehr misstrauisch. Ich muss paranoid sein sonst hätte ich die letzten zwanzig Jahre nicht überlebt. Da kamst du und wolltest mich trösten, mir helfen, mich in dein Herz schließen; das konnte unmöglich wahr sein. Deshalb wartete ich, dass du deine andere Seite zeigen und dich gegen mich wenden würdest. Ich wartete und wartete. Aber natürlich geschah nichts dergleichen. Wenn überhaupt, dann hast du dich mir gegenüber viel verletzlicher gemacht, als ich es dir gegenüber je hätte sein können.
Dann begann mein Herz sich allmählich zu wünschen, dass es doch wahr wäre. Seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe, hat es sich an diese Hoffnung geklammert, aber die vernünftigeren Teile meines Selbst haben es in seine Schranken verwiesen. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Du hast zuvor gesagt, du habest beschlossen, mir zu vertrauen und mit den Folgen zu leben oder zu sterben; ich hatte den gleichen Entschluss gefasst ich musste es dir einfach gestehen und beten, dass ich damit nicht den Rest meiner Seele dem F’dor überantwortete.
Ehrlich, Rhapsody, wenn es so wäre, es wäre mir gleich. Ich wäre zu dir gekommen, auch wenn du mich nicht gerufen hättest. Ich habe noch darüber nachgedacht, wie ich es dir am besten sagen könnte, und vermutlich habe ich es jetzt verpatzt, aber ich konnte einfach nicht mehr lügen. Nicht bei einer Frau, die nicht einmal lügen würde, um ihr Leben zu retten. Wie könnte ich je darauf hoffen, deiner würdig zu sein, wenn ich weiter lüge?«
Die Ironie seiner Worte überwältige sie, und obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, sich zusammenzunehmen, fing sie laut an zu lachen. »Tut mir Leid, Ashe, bitte entschuldige«, sagte sie und versuchte, sich wieder in die Hand zu bekommen. »Das ist einfach zu komisch.«
Ashe war wie vom Donner gerührt. »Warum?«
Rhapsody ergriff seine Hände. »Du bist der zukünftige cymrische König, der Schnittpunkt der königlichen Linien aller drei cymrischen Geschlechter. Aber ich bin eine Bäuerin, ich stamme aus der untersten Schicht. Und du hoffst, meiner würdig zu sein? Findest du das nicht zum Brüllen komisch?«
»Nein«, erwiderte Ashe brüsk. »Ich finde das nicht komisch. Eigentlich überrascht mich deine Reaktion, Rhapsody. Ich dachte, gerade du müsstest am besten wissen, dass die Abstammung einer Person nicht ihren Wert bestimmt.«
»Nicht als Person, natürlich«, entgegnete Rhapsody, und weil er so streng war, wurde auch sie wieder ernst. »Aber wenn man über Liebe spricht, geben Leute wie du selten einer Frau wie mir diese Rolle, es sei denn als Befehl oder als Freizeitvergnügen, und ich denke nicht, dass du etwas Derartiges mit mir im Sinn hattest. Soweit ich mich erinnere, haben wir dieses Thema damals am Ufer des Tar’afel geklärt.«
Ashe drehte sich zum Kaminsims um, und Rhapsody spürte, dass er sich sammelte. Gedankenverloren nahm er das Bild der FirBolg-Kinder in die Hand und betrachtete es noch einmal.
»Jetzt sehe ich, was die Grundlage für unser Missverständnis bildet«, sagte er schließlich, mehr zu dem Gemälde als zu Rhapsody. »Du verstehst nicht, was ich damit meine, wenn ich sage, ich möchte dich als Geliebte.«
Gegen ihren Willen musste Rhapsody schon wieder lachen. »Ich denke, ich verstehe das weit besser, als dein Drachenverstand es dich glauben lässt. Du weißt vieles nicht über mich, Ashe.«
»Und du weißt eine sehr wichtige Sache nicht über mich, Rhapsody.«
»Nur eine?«
»Nur eine, die wirklich wichtig ist.«
»Und die wäre ...?«
Er blickte von dem Bild auf und fixierte sie mit seinen kristallklaren blauen Augen. »Ich liebe dich.«
Rhapsody seufzte leise.
»Tu das nicht«, sagte Ashe, und in seiner Stimme lag ein drohender Unterton. »Tu es nicht einfach ab, Rhapsody, ich weiß, was du jetzt denkst.«
»Wirklich?«
»Nun, ich glaube schon, aber entscheide du. Du denkst, dass ich mit heiligen Worten um mich werfe, wie bereits unzählige andere Narren vor mir, entweder weil deine Schönheit mich dazu gebracht hat oder weil ich dich ins Bett kriegen will.«
»Eigentlich ...«
»Wage es nicht, mich mit diesen Schwachsinnigen in einen Topf zu werfen, die dir nach einem Blick in dein Gesicht ihre Liebe gestehen, während ihnen schon der Sabber aus dem Mund läuft. Ich bin nicht einer von denen, Rhapsody. Ich habe mich in dich verliebt, ehe ich dich gesehen habe, ich konnte deine Magie schon spüren, als ich noch meilenweit von dir entfernt war. Was glaubst du denn, was ich in Bethe Corbair wollte?«
»Einkaufen vielleicht?«
»Nein, meine Liebe.«
»Ich habe wirklich keine Ahnung. Tut mir Leid, dass ich so vernagelt bin.«
»Ich habe dich gesucht, Rhapsody, ich wollte herausfinden, wer mein Herz zu sich gerufen hatte, dort draußen auf den Krevensfeldern, sechs Meilen weit entfernt. Ich bin gekommen, um dich zu suchen, und als ich dich gefunden hatte, wusste ich, dass ich verloren bin. Hast du gedacht, ich bin nach Ylorc gekommen, weil es mir so großes Vergnügen macht, mich ständig von Achmed beleidigen zu lassen?«
»Nun, das ist wirklich ein ganz außergewöhnlicher Genuss. Außerdem ist der Blick von den Zahnfelsen im Frühling wunderschön.« Inzwischen war Rhapsodys Humor zurückgekehrt und ergoss sich über Ashe wie wohlig warmes Wasser.
»Ja, da hast du Recht«, meinte er und erinnerte sich daran, wie sie über die Bergwiesen gelaufen, wie sie mit dem Wind über die Heide getanzt war. »Nun, habe ich Recht?« Er lächelte sie an, um ihre veränderte Stimmung zu überprüfen, und war entzückt, als sie sein Lächeln freimütig erwiderte.
»Womit?«
»Mit dem, was ich gedacht habe?«
Rhapsody kicherte. »Na ja, nicht ganz«, antwortete sie, nahm ihm das Bild ihrer Enkel aus der Hand und betrachtete es selbst. »Aber vielen Dank, dass du es versucht hast.«
»Und?«
»Nun«, meinte sie, drehte ihren Rücken zum Feuer und ließ sich die Schultern wärmen, »nun, ich musste eben an eines unserer Gespräche denken, als wir zusammen unterwegs waren.«
Ashe stützte einen Ellbogen auf den Kaminsims. Er war blitzsauber, ohne eine Spur von Staub. »Wirklich? An welches denn?«
»Weißt du noch, wie ich dir gesagt habe, dass meiner Erfahrung nach Waldläufer und umherziehende Wanderer bei Frauen andere Dinge suchen als die meisten übrigen Männer?«
»Ja«, antwortete er, und sein Gesicht wurde warm bei der Erinnerung. »Du hast gesagt, die meisten Männer wollen Vergnügen und Ablenkung, während es den Wanderern um Nähe geht.«
»Ja, genau das meinte ich.«
»Warum musst du gerade jetzt daran denken?«
Rhapsody seufzte. »Ich kann mich der Frage nicht erwehren, warum du etwas mit einer Frau anfangen willst, die in deinem Leben eindeutig nichts anderes wäre als ein kurzfristiges Intermezzo, vor allem, wenn gleichzeitig noch so ein großes Risiko damit verbunden ist.«
»Ich habe keine Ahnung, was du damit meinst.«
Sie drehte sich um und starrte ihn an. »Nein? Vielleicht kann ich dich an ein paar Situationen erinnern, die du vergessen zu haben scheinst. Erstens kommen wir, wie ich bereits erwähnt habe, aus gänzlich unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, ja, wir könnten kaum verschiedener sein. Daher kann dein Interesse an mir nur anhalten, bis du eine andere findest, die sich für dich besser als Lebenspartnerin eignet, eine Frau königlicher oder zumindest adliger Abstammung, denn sie muss ja irgendwann die Rolle der cymrischen Herrscherin erfüllen.«
»Du hast wirklich keine Ahnung, wie die Nachfolge funktioniert, Rhapsody.«
»Willst du mir damit sagen, dass du keinen Anspruch auf die Königswürde hast?«
Ashes Gesicht wurde ernst. »Nein, das nicht, aber ...«
»Und erwarten die anderen nicht auch, dass du eine passende Frau erwählst, die dann deine Königin wird?«
»Ja, aber ...«
»Na, da hast du es doch schon, Ashe«, stellte sie fest. »Unser Zeitplan für das nächste Jahr sieht so aus, dass wir den F’dor finden und töten und dann die Cymrer vereinen. Ich bin nicht sicher, wie lange es für dich danach noch angemessen wäre, unverheiratet zu bleiben, aber ich habe wohl schon des Öfteren erwähnt, dass ich mich um keinen Preis mit verheirateten Männern einlasse, auf gar keinen Fall, ohne jede Ausnahme. Daher wäre unserer Liebesbeziehung von vornherein nur eine sehr kurze Lebensdauer vergönnt. Ich bin nicht sicher, ob ich verstehe, warum es dann für dich die Zeit und Mühe lohnt angesichts dessen, was du mir zum Thema Langlebigkeit gesagt hast.«
Ashe nahm den Ellbogen wieder vom Kaminsims und verschränkte die Arme. Von ihrem Standpunkt betrachtet, war ihre Logik unangreifbar, und daher war es im Augenblick vollkommen sinnlos, ihr zu widersprechen. »Du glaubst also, dass Liebe nichts wert ist, wenn sie nur kurz dauert?«
Rhapsody blickte zu ihm empor, und ihre Augen füllten sich mit Erinnerungen. Sie dachte an ihre Unterhaltung mit Oelendra über deren Ehemann. In der kurzen Zeit, die wir gemeinsam verbrachten, liebten wir uns für ein ganzes Leben. »Nein«, antwortete sie leise, aus Respekt vor diesem Gedanken. »Das glaube ich ganz bestimmt nicht.«
»Was dann?« Wieder spürte Ashe eine ihm wohl vertraute Verzweiflung in sich aufsteigen.
»Was muss ich tun, damit du mir eine Chance gibst?«
»Eine Chance worauf?«
Am liebsten hätte Ashe sie geschüttelt. »Eine Chance, meinen Gefühlen entsprechend zu handeln, Rhapsody. Eine Chance, dich zu lieben und Zeit mit dir gemeinsam zu verbringen, eine Chance, zu dir so ehrlich zu sein, wie du es zu mir gewesen bist, dir von ganzem Herzen zu vertrauen, selbst wenn ...« Er unterbrach sich, unfähig, den Satz zu vollenden.
»Selbst wenn was?« Ihre Stimme klang sanft, und als Ashe sie ansah, stand die gleiche Milde auch in ihren Augen.
»Selbst wenn du es nicht behalten möchtest.« Der Schmerz in seinem Gesicht und in seiner Stimme rührten sie tief, auf eine traurige Art, die ihr nicht fremd war. Aus Angst, sie könnte anfangen zu weinen, wenn sie ihn länger anschaute, senkte sie den Blick. Eine Weile verharrten sie so Ashe sah Rhapsody an, Rhapsody betrachtete die tanzenden Schatten des Feuers an der Wand. Doch schließlich hob sie die Augen wieder.
»Du wärst also bereit, mit mir eine Liebesbeziehung einzugehen, obwohl du weißt, es wäre nur für eine kurze Zeit?«
»Ja. Ich wäre dankbar für jeden Augenblick mit dir, ganz gleich, wie kurz die Zeit auch sein mag. Ich weiß, dass für mich kein Preis zu hoch wäre.«
»Und das wäre genug?«
»Fall es nicht anders geht, ja. Wenn man sich etwas so sehr wünscht, ist man zufrieden mit allem, was man bekommt.«
Einen Moment schwieg sie nachdenklich, dann nickte sie, als hätte sie einen Ausweg gefunden. »Und welchen Teil von dir würdest du während dieses zeitweiligen Arrangements für dich behalten?«
»Keinen. Ich glaube nicht, dass ich fähig wäre, etwas vor dir zurückzuhalten, Rhapsody und ich will es eigentlich auch gar nicht. Wir sprechen nicht über die Vergangenheit, weil es wehtut, aber wenn du es möchtest, dann tue ich es.« Sie schüttelte den Kopf. »Es gibt Dinge, von denen wir beide wissen, dass wir sie nicht miteinander teilen können, weil sie die Geheimnisse anderer sind. Aber ansonsten hätte ich keine Geheimnisse vor dir.« Freude stieg in ihm auf, als er sah, wie sich der Ausdruck in ihren Augen veränderte, und er preschte weiter vor.
»Ich weiß, dass die Vorstellung, von einem Drachen geliebt zu werden, erschreckend ist, vor allem, wenn man etwas über die Natur der Bestie weiß wir neigen dazu, in höchstem Maße Besitz ergreifend zu werden. Aber es ist der menschliche Anteil in mir, der dich am meisten liebt, und der Drache würde uns nicht im Wege stehen, selbst wenn du irgendwann gehen willst.«
Voller Staunen schüttelte Rhapsody den Kopf. »Ich glaube, du siehst das ein bisschen verdreht«, meinte sie lachend. »Ich bin nicht diejenige mit den ganzen königlichen Verpflichtungen.«
Ashe lächelte. »Dann wirst du also darüber nachdenken?«
Rhapsody gab ihm das Bild zurück und wandte sich wieder zur Feuerstelle um. Lange schwieg sie, ganz in Gedanken versunken, doch Ashe war diese Momente der Stille gewohnt und wartete geduldig. Er wusste, dass Rhapsodys Gedanken in jeder Sekunde endlose Entfernungen zurücklegten und dass sie dann wirklich so weit weg war. Daher beschloss er, ihr die Frage später noch einmal zu stellen. Schließlich jedoch sagte sie: »Glaubst du, dass es so etwas gibt wie Seelenpartner? Du weißt schon dass zwei Menschen zwei Hälften derselben Seele sind?«
»Ja.«
»Und bist du deiner Hälfte jemals begegnet?«
Einen Augenblick schwieg Ashe.
»Ja«, antwortete er endlich.
Rhapsody blickte auf, und zum ersten Mal seit einer ganzen Weile konzentrierten sich ihre Augen ganz klar auf ihn. »Wirklich? Darf ich fragen, was mit ihr geschehen ist?«
»Sie ist tot«, antwortete er mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Rhapsody errötete betroffen. »Ashe, das tut mir sehr Leid.«
»Es war nicht nur das«, fügte er hinzu, unfähig, die Worte länger für sich zu behalten. »Sie ist gestorben in dem Glauben, ich hätte sie betrogen, weil ich mich nicht von ihr verabschiedet habe.«
Rhapsody wandte den Blick ab. Mindestens zum zweiten Mal an diesem Nachmittag wollte sie ihn in die Arme schließen und trösten. Ihr fiel wieder der Waldweg in Tyrian ein, und obwohl er jetzt von seinen Schmerzen geheilt war, hatte sie Angst, einen Fehler zu machen und ihm irgendwie wehzutun. Doch dann gestand sie sich die Wahrheit ein: Noch viel mehr Angst hatte sie davor, was mit ihrem eigenen Herzen geschehen würde. Ashe blickte auf und sah, dass die sich abgewandt hatte. »Was ist mit dir?«, fragte er.
»Glaubst du selbst denn an Seelenpartner?«
»Nein«, antwortete sie leise. Sie wünschte, sie könnte das Thema einfach fallen lassen, aber sie wusste, dass das unmöglich war. »Nun, ich habe es einmal gedacht, habe mich aber vollkommen geirrt.«
»Was ist passiert?«
»Oh, nichts Ungewöhnliches. Ich habe mich in jemanden verliebt, der mich nicht geliebt hat. Das Übliche eben.«
Ashe lachte laut und schüttelte den Kopf.
»Was?«, fragte Rhapsody ärgerlich. »Ist das so schwer zu glauben?«
»Wenn ich ehrlich sein soll ja.«
Sie war bass erstaunt. »Warum?«
Ashe stellte das Bild der FirBolg-Kinder auf seinen Platz zurück und ging zum Sofa. Mit verschränkten Armen lehnte er sich dagegen und musterte Rhapsody, wie der Feuerschein auf ihren Zügen spielte, immer passend zu ihrer Stimmung. Jetzt brannten die Flammen ruhig, nur gelegentlich war ein Knistern oder ein Zischen zu hören.
»Rhapsody, falls du es noch nicht weißt es gibt Männer, die dir nach dem ersten Blick ewige Liebe schwören. Sogar wenn du dich in einen Umhang hüllst und die Kapuze bis in die Stirn ziehst, gaffen die Männer so, dass sie gegen die Wand laufen, mit Ochsenkarren zusammenstoßen oder einfach mit offenem Mund stehen bleiben. Schon allein der Klang deiner Stimme bringt glücklich verheiratete Männer zum Weinen, vor lauter Kummer, weil sie dich nicht früher kennen gelernt haben. Und dein Lächeln dein Lächeln erwärmt selbst das kälteste Herz, selbst das Herz jener, die seit Jahrzehnten allein und tief verletzt durch die Welt gegangen sind.
Trotzdem könnte ich wahrscheinlich einen Mann verstehen, der dich wegen dieser Dinge nicht liebt, denn sie betreffen nur dein Äußeres. Aber so schön dein Körper auch ist, er ist nur ein Abbild der Seele, die er beherbergt. Wie jemand dich wirklich kennen kann und nicht sein Herz an dich verliert, das übersteigt offen gestanden meine Vorstellungskraft. Ob du es nun begreifst oder nicht, Rhapsody, ich liebe dich wirklich, und nicht nur wegen deiner äußeren Erscheinung, sondern wegen der unendlich vielen widersprüchlichen Dinge, die dich ausmachen.«
»Was bedeutet das? Weshalb bin ich widersprüchlich?«
»Fast alles an dir ist ein Widerspruch, und ich liebe jeden davon. Ich liebe es, dass du Sängerin bist, aber dass die meisten deiner Lieder in einer Sprache geschrieben sind, die niemand versteht. Ich liebe es, dass du die Iliachenva’ar bist, aber ich hasse es, wenn du dein Schwert schwingen musst. Ich liebe es, dass du eine Jungfrau bist und doch die Reize und Betörungen einer Prostituierten zu kennen scheinst.« Rhapsody wurde rot, und Ashe musste rasch wegsehen, um ein Lachen zu unterdrücken.
»Möchtest du auch den Rest noch hören? Na gut, dann spitz die Ohren. Ich liebe es, dass du den wahrscheinlich scheußlichsten Tee kochst, den ich mir je einverleiben musste. Ich liebe es, dass dir bei traurigen Liedern immer noch Tränen in die Augen kommen, auch wenn du sie schon tausendmal gesungen hast. Ich liebe es, dass deine besten Freunde ein Halb-Bolg-Riese und die unangenehmste Kreatur sind, die ich je gesehen habe, dass sie unfassbar grob mit dir umgehen und du sie dennoch liebst wie Brüder. Ich liebe es, dass Essen für dich etwas ist, was du mit Musikinstrumenten vergleichst...«
»Du hast aber gesagt, damit würde ich andere manipulieren«, warf Rhapsody ein.
»Unterbrich mich nicht. Ich liebe es, dass du einen besseren rechten Haken hast als ich und keine Angst, ihn einzusetzen, obwohl du gerade mal halb so groß bist wie ich. Ich liebe es, dass du die Ballade von Jakar’sid singst und beim Refrain immer den falschen Text erwischst. Ich liebe es, wie du dich um Jo kümmerst, als wäre sie ein kleines Mädchen, wo doch jedem klar ist, dass sie schon vor Jahren ihre Unschuld verloren hat. Und ich liebe es besonders, wenn du mir die Meinung sagst, selbst wenn ich sie nicht hören will. Ich liebe es, dass du dir nicht vorstellen kannst, dass jemand eifersüchtig sein kann, weil du selbst keine Eifersucht in dir hast, ich liebe es, dass du glaubst, alle Frauen hätten die gleiche Wirkung auf Männer dass du nicht einmal merkst, wie schön du bist. Ich liebe es, dass deine Schönheit die fast alle anderen so bewundern und auch besitzen wollen der Fluch deines Lebens ist.
Ich liebe es, dass du den Untergang deiner gesamten Welt überstanden hast, dass du unter Ungeheuern gelebt hast und anderen Leuten immer noch ehrenwerte Absichten unterstellst. Ich liebe es, dass du den Verstand einer Gelehrten besitzt, den Willen einer Kriegerin und das Herz eines kleinen Mädchens, das nur geliebt werden möchte, trotz allem anderen. All das liebe ich ich liebe dich, und ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand dich kennen lernen und dich nicht ebenfalls lieben würde nicht für das, was du zu sein scheinst, sondern für das, was du bist. Wer dieser Mann auch gewesen sein mag, der dich so behandelt hat auf alle Fälle war er der größte Esel aller Zeiten.
Aber vielleicht liegt darin ja schon die Antwort. Vielleicht versteht dich niemand außer mir so gut. Ich kenne dich, Rhapsody, ich kenne dich wirklich. Ich weiß, wie es ist, wenn man all die Menschen verliert, die man liebt, wenn man sie zurücklassen muss und weiß, dass sie bis ans Ende ihrer Tage nie erfahren werden, was aus einem geworden ist. Ich kenne diesen Kummer, wenn auch sicher nicht in der Tiefe, in der du ihn erfahren hast.«
Mit jedem Wort war Rhapsodys Gesicht rosiger geworden, doch jetzt erblasste sie und drehte sich zum Feuer um, sodass sie Ashe den Rücken zuwandte, die Schultern ganz gerade. Der Drache in ihm spürte Tränen aufsteigen, aber der Damm in ihm war bereits gebrochen, und er konnte seine Worte nicht mehr zurückhalten.
»Ich weiß auch, was schlimmer ist dass man das Gefühl hat, die Lücken, die im Leben zurückbleiben, nicht einmal mit neuen Freunden und neuer Liebe füllen zu können, aus Angst, das Gesicht zu zeigen. Das ist, glaube ich, der schlimmste Schmerz überhaupt. Du bist eine Frau, die sich Nähe zu anderen wünscht, aber deine Schönheit zwingt dich dazu, dich unter einem Umhang zu verstecken, aus Angst vor den Folgen. Und dann ist da noch die Angst, ob die so wortreich versicherte Liebe echt ist oder von etwas anderem angetrieben etwas so Unschuldigem wie blinder Verzückung über deine körperlichen Reize, oder etwas Finsterem, beispielsweise, dass jemand dich besitzen und deine Seele zerstören will. Ich kenne diese Angst. Ich weiß vielleicht besser als alle anderen, wie es ist, hinter einer Maske zu leben, unerkannt, obwohl das Herz nach Anerkennung schreit. Es ist abscheulich einsam, auf eine Art, die man vorher nicht erwarten würde. Am liebsten möchte man allem den Rücken kehren und sich in irgendeiner Ziegenhütte verkriechen, aber das geht nicht. Das Schicksal lässt es nicht zu, und ich kenne das Gefühl. Ich weiß, wie es ist, unter Schmerzen zu leben, Rhapsody. Ich weiß, wie es ist, dieser Art von Heilung zu bedürfen. Und ich würde mein Leben dafür geben, um dir einen weiteren Augenblick davon zu ersparen.« Seine Stimme brach, und er schwieg.
Während er sprach, war das Feuer zu leise glimmender Glut heruntergebrannt; nun loderten ein paar Flammen empor, fanden neues Leben in noch unverbranntem Holz. Rhapsody wandte ihm ihr Gesicht wieder zu.
Dank seiner Drachensinne wusste Ashe, dass sie weinte, aber der Anblick ihrer Tränen traf ihn unvorbereitet. Nie war ihr Gesicht schöner gewesen, und sein Herz, das jetzt ganz war und frei von altem Schmerz, zog sich zusammen.
Doch sie lächelte unter Tränen, stand auf, stellte sich vor ihn und sah, vielleicht zum ersten Mal, auf ihn herunter. Vorsichtig berührten ihre Finger das kupferrote Haar, strichen ihm sanft die Strähnen aus der Stirn, voller Staunen. Wie an jenem Tag im Wald, als sie ihn zum ersten Mal ohne seine Tarnung gesehen hatte, funkelten ihre Augen, als sie seine Gesichtszüge in sich aufnahmen. Dann beugte sie sich vor und legte ihre Stirn an seine.
»Also«, sagte sie und schloss die Augen, »dann bist du auch gekommen, um mich zu heilen?«
»Eigentlich nicht«, antwortete Ashe. »Ich bin gekommen, weil du mich gerufen hast. Ich bin gekommen mit der Absicht, dir zu sagen, was ich wirklich fühle.« Im Licht des Feuers sah sie, wie er errötete. »Und wenn ich ganz ehrlich bin, wenn du meine tiefsten Wünsche erfahren möchtest, dann bin ich gekommen, um dich zu lieben.«
Wieder lächelte Rhapsody. »Das hast du gerade getan«, meinte sie leise. Sie küsste ihn behutsam, trat dann zurück und schlug die Augen auf. In seinem Gesicht standen so viel Hoffnung, so viel Zuneigung und Furcht, dass es ihr schier das Herz brach. Er streckte die Hände nach ihr aus, und sie kam zurück in seine Arme und küsste ihn noch einmal.
Ashe merkte, wie seine Selbstkontrolle schwand. Die Wärme, die Süße ihres Munds berauschten ihn, ihm war schwindlig vor Freude. Er zog sie noch enger an sich und drückte ihren geschmeidigen Körper an seinen. Das Brennen in seinen Fingern, das eingesetzt hatte, als er seiner Drachennatur erlaubt hatte, sie zu spüren, kühlte bei der Berührung ab und verschwand. Doch am wunderbarsten war das Gefühl, endlich wieder ganz zu sein, ihr nichts mehr vormachen zu müssen, zu wissen, dass sie seine Gefühle kannte und ihnen ohne Angst begegnete. Und als er sich der Ekstase ihrer Umarmung hingab, erhob sich der Drache und wollte mehr von der Frau in seinen Armen spüren.
Ich möchte sie berühren.
Aber Rhapsody wich ein Stück zurück, schob ihn von sich und wandte sich ab, die Hände vors Gesicht geschlagen. Ashe konnte fühlen, wie jeder Muskel in ihrem Körper zu zittern anfing. Heiße Tränen tropften auf seine Hände, ihre Schultern waren hart vor lauter Anspannung, ihr Herz raste. Vor seinen Augen geriet sie völlig aus der Fassung.
»Ich kann nicht. Ich kann nicht. Ich kann nicht. Oh, es tut mir Leid, es tut mir Leid, aber ich kann nicht. Ich kann das nicht tun. Ich kann nicht. Es ist nicht richtig, es ist nicht gerecht. Ich kann nicht.«
»Gerecht wem gegenüber?«, fragte Ashe.
In sich fühlte er das Universum beben. Die Macht, die der Drache über die Naturgewalten besaß, begann sich zu erheben. Zwar verriet kein äußeres Anzeichen die innere Auseinandersetzung, aber in seiner Seele stand Ashe vor einem Abgrund und kämpfte verzweifelt gegen seine eigene Natur und gegen die Sehnsucht, die beide Teile gemeinsam hegten. Körperlich blieb er so ruhig wie möglich, doch er betete inbrünstig, dass Rhapsody ihn nicht anblickte, solange der Drache die Oberhand hatte, denn in seinen Augen hätte sie gesehen, dass er zu allem bereit gewesen wäre, um sie für sich zu gewinnen. All seine Sinne waren auf das ausgerichtet, was der Drache wollte, doch am Ende siegte der Mann in ihm. Die menschliche Seele sehnte sich noch viel tiefer nach ihr, als der Drache es jemals vermocht hätte, und der Mensch wusste, dass sie ihm ihre Liebe freiwillig geben musste, dass er sie sich nicht nehmen durfte. So wurde der Wyrm schließlich in die Unterwerfung gezwungen, und zurück blieb der Mann, menschlich und allein.
»Gerecht dir gegenüber«, antwortete sie mit Tränenerstickter Stimme. »Du hast wirklich eine bessere Frau verdient, eine Frau, die deine Liebe erwidern kann. Eine, die ein Herz hat. Es tut mir Leid. Es tut mir so Leid.«
Ashe stand auf, ging zu ihr und stellte sich neben sie.
»Bitte dreh dich um«, sagte er.
Ihr Körper wurde starr, aber sie wich ihm nicht aus. Langsam gehorchte sie, sah zu ihm empor durch glänzende Haarsträhnen, die ihr übers Gesicht gefallen waren, mit dunklen Augen und zitterndem Kinn. Er hob die Hand.
»Darf ich dich berühren?«, fragte er leise.
Rhapsodys Augen wurden klar. Er dachte an sein Versprechen. Sie nickte. Er streckte die Hand aus und streichelte vorsichtig ihre Wange, einer Tränenspur folgend. Ihre Augen schlössen sich bei seiner Berührung, und ihr Kopf neigte sich leicht seiner Hand entgegen. Seine Finger glitten weiter, die Linie ihres Halses hinunter, zu ihrem Kragen, dem Ausschnitt ihrer Bluse, dem er bis zu der Stelle zwischen ihren Brüsten folgte. Dort hielt er inne, ließ die Hand leicht auf ihrem Brustkorb ruhen, direkt über dem Herzen, und spürte es schlagen.
Scharf sog Rhapsody die Luft ein und stand zitternd unter seiner Berührung da. Sie wollte es, ein Teil von ihr wollte es. Und weil dieser Teil mit dem Feuer verbunden war, erhob er sich tief in ihrem Innern und floss in die blinden Flecken von Ashes Seele, denen das Feuer geraubt worden war. Langsam öffnete sie die Augen und schaute ihn an. So standen sie einen Augenblick regungslos, ohne zu atmen. Ashe fühlte ihr Herz unter seiner Handfläche pochen und sah den verwirrten Ausdruck auf ihrem Gesicht, während widersprüchliche Gefühle in ihr kämpften.
»Für mich fühlt es sich an, als hättest du sehr wohl ein Herz«, sagte Ashe schließlich. Mit angehaltenem Atem sah er sie an, zitternd, verletzlich, aber nicht wehrlos, und er wollte sie. Als Ashe, als Gwydion, als Mann und als Drache wollte er sie. Nicht um sie zu bezwingen oder zu besitzen, sondern um sie zärtlich zu lieben und für sie zu sorgen. Er wollte sie und wartete voller Angst auf ihre Antwort. »Du hast ein Herz, Rhapsody. Warum vertraust du nicht auf das, was es dir sagt?«
Ihre Antwort war nur ein Flüstern: »Weil es lügt.«
»Du lügst niemals. Daher kann ein Teil von dir es auch nicht tun.«
»Dann hat es eine schrecklich schlechte Urteilskraft. Früher einmal habe ich ihm geglaubt, doch es hätte sich nicht schlimmer irren können.«
»Gib ihm noch eine Chance. Ich dachte, du glaubst an das Risiko.«
Er musste sich noch näher zu ihr beugen, um ihre leise Entgegnung zu verstehen. »Es ist zerbrechlich. Es würde nicht überleben, wenn es sich noch einmal irrte.«
Ashe nahm seine Hand von ihrer Brust und liebkoste wieder ihr Gesicht. »Du hast dich selbst zur Wächterin meines Herzens ernannt, Rhapsody. Warum machst du mich nicht zum Wächter des deinen? Ich verspreche dir, ich werde es beschützen.«
Rhapsody war schwindlig von dem Kampf, der um sie und in ihr tobte. Mühsam klammerte sie sich an das, was sie für die Wirklichkeit hielt, und ihre Augen suchten Halt in den seinen. Sie schienen so fremd und doch menschlicher als je zuvor, und die Tiefe, die sie in ihnen gewahrte, setzte sie in Erstaunen. Wie konnte ich mich so in ihm irren?, fragte sie sich und dachte unwillkürlich daran, wie sie sich auf ihrer Reise gekabbelt hatten, wie er sofort auf Distanz gegangen war, wenn sie etwas über ihn zu erfahren versucht hatte, was ihre platonische Form des Trostes gewesen war. Ich habe ihn überhaupt nicht gekannt. Er war genauso widersprüchlich wie sie schön und fremdartig, Jäger und Gejagter, Drache und Sterblicher, Lirin und Mensch; er hatte sie von sich weggestoßen und sich doch die ganze Zeit über gewünscht, sie würde näher zu ihm kommen. Und auch sie hatte Dinge über ihn gewusst, bevor sie sich kennen gelernt hatten; sie hatte gewusst, dass er noch lebte, während die ganze übrige Welt ihn für tot hielt. Warum?
Während ihre Gedanken diese Frage hin und her wälzten, fühlte sie tief in sich etwas erwachen, das viele Jahre lang weggeschlossen und vernachlässigt worden war. Zuerst fühlte sie es als ein Tröpfeln, als hörte sie mit einem Mal das Plätschern eines Baches, der doch die ganze Zeit in der Ferne Vorbeigeflossen war. Dann überwältigte es sie mit einer größeren Kraft, als sie es je für möglich gehalten hätte. Sie ertrank in Sehnsucht, in Schmerz und Begehren und in noch etwas anderem, etwas Seltsamem und Wunderbarem und lange Verdrängtem Eine Flut von Gefühlen riss sie mit sich fort, zu schnell, um in Gedanken mit ihnen Schritt halten zu können, und die ganze lyrische Schönheit ihrer Talente als Sängerin, als Benennerin ließ sie im Stich. Übrig blieb nur die aufrichtige, wenig poetische, aber inständige Bitte einer verletzlichen Frau.
»Bitte sei, was du zu sein scheinst. Bitte, bitte tu mir nicht weh.«
Tränen brannten in Ashes Augen. »Ich bin der, der ich zu sein scheine. Und ich werde dir niemals wehtun.«
Und dann lag sie wieder in seinen Armen, ihre Tränen mischten sich mit seinen, und sie hielt ihn fest, als hinge ihrer beider Leben davon ab.
Das Element des Feuers in ihr fand den Weg in die dunklen Stellen seines Wesens, die keine Wärme mehr gespürt hatten seit der Nacht, in der seine Seele aufgerissen worden war, und drang vor bis zu seinem verwundeten Herzen. Die Flammen erfüllten die leeren Teile seiner Seele, und er spürte, wie sie heil wurden, wenigstens für eine Weile. Dann plötzlich pressten sich ihre Lippen auf die seinen, aus freien Stücken, und als sich ihr Kuss zu berauschender Dunkelheit vertiefte, kam der Drache wieder zum Vorschein, von dort, wo er ihn festgehalten hatte, um das Wunder zu spüren, diese Frau.
Ich möchte es berühren.
Ja.
Seine Wahrnehmung erweiterte sich, und er spürte, wie ihre Tränen versiegten, ihr Atem sich entspannte und ihre Abwehr nachgab. Seine Hände glitten über ihren Körper, und der Drache konnte jede Stelle fühlen, an der die Berührung ihr gefiel. Er genoss all die winzigen Einzelheiten, die der Drache erspürte, und ließ sich ganz darauf ein. Schweißtropfen bahnten sich einen Weg über ihren Rücken; ihre Muskeln wölbten sich fließend, wenn sie sich in seinen Armen bewegte. Ihre Bluse verhakte sich in seiner Umarmung, und der gezerrte Stoff gab am Saum nach, Faden um Faden. Im Nebenzimmer wurde ein Riss in einer Holzdiele in winziges bisschen breiter, als sie sich bewegten.
Das Dunkelgrün von Rhapsodys Augen wandelte sich in ein leuchtendes Smaragd. Sie atmete tief ein; im Kamin loderte und knisterte das Feuer, sodass Funken in den Schornstein hinaufsprühten, wo sie in den Backsteinen hängen blieben und leise vor sich hin glühten. Ströme und Strudel von Energie flössen durch den Raum, kreisten um sie und um das uralte Wissen, das sie hüteten Musik, Feuer, Zeit, Drachenweisheit, wurden in ihre Leidenschaft hineingesogen und als sprudelnde Essenz in einem einzigen Atemzug wieder entlassen. Schneller, wilder, aber richtungslos, so wirbelte es durch die Luft, über das Land, über das Wasser, das widerhallte. Die Grotte wurde lebendig von all der Energie, wie seit unzähligen Jahrhunderten nicht mehr, seit der Krieg begonnen hatte.
Im See sprang ein Fisch; sanft breitete sich das Geräusch in der Höhle aus, wurde von den Felswänden zurückgeworfen und ertrank im Rauschen des Wasserfalls. Überquellend stürzte er sich in den Teich, und aus seiner Musik entstand der Dunst, in dem das Mondlicht sich zu einem kaum sichtbaren Regenbogen brach; Myriaden von Schwingungen stoben in alle Richtungen und verbargen diesen Ort sicher vor den neugierigen Augen ihrer Verfolger. Das aufgewühlte Wasser schlug mit seinen Wellen ans Ufer der kleinen grünen Insel, auf der das Haus stand, und aus dem Schornstein stieg Rauch auf, Rauch von dem Feuer, das von Rhapsodys wachsender Leidenschaft angefacht wurde.
Rhapsody, deren Körper Feuer und Hitze ausstrahlte und deren sanfte Stimme selbst dann noch musikalisch klang, wenn sie beim Küssen nach Atem rang. Rhapsody, auf deren Rücken noch die Striemen vom Kampf mit dem Rakshas zu sehen waren. Deren Herz pochte, dass ihr Blut schneller floss unter den Bewegungen seiner Hände auf ihrem Körper. Rhapsody, die Frau, die er geliebt hatte von dem Augenblick an, als er sich ihrer bewusst geworden war. Ashe löste das Band aus ihrem Haar und fühlte mit geschlossenen Augen jede Strähne, die nun über ihre Schultern fiel, bis hinunter zu ihrer Taille. Dann nahm er ihr Gesicht zwischen die Hände und sah sie an. Das Licht funkelte in ihren Augen, die ihn musterten, und das Feuer zauberte Leben jn ihr Haar. Sie atmete tief ein und hielt die Luft an; ihr Mund war leicht geöffnet, aber sie sagte nichts.
Wieder küsste er sie, und seine Hände wanderten ganz von selbst zu den Stellen, an denen sie sich seine Berührung wünschte. Sie tat das Gleiche, streichelte sanft über seine Schultern und ließ die Hände dann auf seiner Brust ruhen, sodass er ihre Hitze fühlte. Dann berührten sie unter seinem Hemd behutsam seine Haut und die Narbe, die ihm bis zu dieser Nacht solche Schmerzen bereitet hatte.
Ashe strich ihr übers Gesicht und ließ die Finger langsam im schimmernden Wasserfall ihrer Haare verschwinden, bewegte sie durch die glänzenden Locken, die noch seidiger waren, als er es sich vorgestellt hatte. Schauer durchliefen seinen ganzen Körper, seine Erregung war inzwischen nahezu unerträglich. Dann glitten seine Hände unter ihre Bluse, unter das Spitzenhemd, und seine Finger spielten behutsam mit ihren Brüsten, genossen ihre weiche Festigkeit. Er spürte, wie sie zitterte, und seine Lippen suchten ihre Halsbeuge, sogen den Duft ihrer Haare, ihrer Haut ein. Auch Rhapsody fuhr mit den Händen durch sein kupferrotes Haar, voller Staunen, dass es so weich war, wo es doch so metallisch wirkte. Ihre Finger schlangen sich um die schimmernden Locken und hielten sie fest, während er ihren Hals mit Küssen bedeckte.
Nun umkreiste Ashes Hand ihre Taille, liebkoste ihr Kreuz, während er vorsichtig ihre Rockbänder löste. Als das letzte Band gelockert war, umfasste er ihre Mitte und hob sie hoch, sodass der Rock zu Boden glitt. Lächelnd schaute Rhapsody auf Ashe herab, während sie sich an den Bändern seines Hemds aus feinem Wollstoff zu schaffen machten; er wartete, bis sie fertig war, ehe er sich aufrichtete, um erneut ihren Mund zu küssen. So bewegten sie sich in einem wortlosen Tanz und befreiten sich gegenseitig von ihren Kleidern. Beim Anblick seiner nackten Brust traten Rhapsody abermals Tränen in die Augen, doch das geschwärzte Fleisch und die wulstige Narbewaren verschwunden und an ihrer Stelle schimmerte neue, verheilende Haut, nicht anders als auf ihrem Bein. Überwältigt wandte sie sich ab, doch Ashe nahm sie in die Arme, drückte sie fest an sich, und beide feierten so seine Befreiung von den grausigen Schmerzen. Sie griff in ihren Nacken und öffnete den Verschluss des Medaillons, hielt das Kettchen aber einen Augenblick fest in der Hand, ehe sie es auf den Tisch neben dem Sofa legte. Mit den Lippen liebkoste Ashe ihren Nacken, dann drehte er sie behutsam um, blickte in ihre Augen und sah zum ersten Mal, dass sie sein eigenes Hochgefühl erwiderte. Erneut umarmten sie sich, und während sie langsam zu Boden sanken, entledigten sie sich der letzten Kleidungsstücke. Er beugte sich über sie, entzog sich einen Moment ihrer Umarmung und nahm mit den Augen die Formen wahr, die seine Drachensinne bereits so gut kannten. Ein Strahlen ging von ihr aus; sie war vollkommen, und ihre Haut leuchtete, wie er es sich in seinen schönsten Träumen nicht hätte ausdenken können.
»Du bist schön«, sagte er, mit vor Ehrfurcht heiserer Stimme. »Wunderschön.«
Lächelnd erwiderte Rhapsody: »Ich bin froh, dass du das findest«, und strich ihm sanft übers Gesicht. Ashe schloss die Augen und nahm ihre Hand in seine, küsste erst sie, dann ihre Armbeuge und verlor sich ganz in ihr. Hinter ihnen loderte das Feuer, und sie liebten sich auf dem Boden von Elysian.
Nach einer Zeit nahm er sie hoch und trug sie zum Bett, wo sie sich weiter in den Armen lagen, bis die Nacht dem neuen Tag wich und die Flammen zu schläfrig glühenden Kohleresten heruntergebrannt waren, die auf dem Rost glommen wie feurige Edelsteine und Wärme aus dem Zimmer in den Nebel hinaufschickten, der über dem stillen See wirbelte. In der Nacht erwachte Ashe und fühlte in der Dunkelheit ihren Kopf ganz nah bei seinen Lippen; sanft schlafend lag sie auf seiner Brust. Der Drache hatte sich um ihre Träume gelegt und schützte sie vor Albdrücken; ganz ruhig lag sie da und atmete leicht und tief. Er hauchte ihr einen Kuss aufs Haar, zog sie noch näher an sich und vergrub das Gesicht an ihrem Hals. Mit einem tiefen Atemzug sog er ihren Duft, die Wärme und Süße ihrer Haut tief in sich ein. Im Schlaf fühlte Rhapsody warme Tränen in der Schulterbeuge und Ashes heißen Atem. Als sie fühlte, wie er erschauderte, drehte sie sich schläfrig auf die Seite, schlang die Arme um seinen Hals, zog seinen Kopf an ihre Brust und wiegte ihn wie ein Kind, um ihn vor den Dämonenträumen zu beschützen, die ihn vielleicht geweckt hatten. Aber Ashe war nicht unglücklich; er vergoss Tränen der Dankbarkeit, Dankbarkeit darüber, dass dieses Mal der Traum, den er in den Armen gehalten hatte, Wirklichkeit gewesen und immer noch bei ihm war, als er erwachte. Seine Lippen strichen über ihre Schulter und weiter zu ihrer Brust; mit seinem warmen Mund liebkoste er die zarte Haut und spürte, wie sie sich unter seiner Berührung regte und auf ihn reagierte.
Ashes Kuss wurde inniger, und er ließ seine Fingerspitzen über ihre Seite hinauf wandern. Sehnsucht erfüllte ihn, Sehnsucht, ihr Freude zu bereiten, sie so glücklich zu machen, wie sie ihn gemacht hatte. Träge streckte sie sich, und während sie sich räkelte, glitt seine Hand sanft über ihren schlanken, flachen Bauch und kam auf ihrem Bein zur Ruhe, das leise zitterte, als er es berührte.
Im Halbschlaf seufzte sie auf, ein leiser, musikalischer Laut, der ihn noch mehr in Erregung versetzte. Ungeduldig wartete er, dass sie erwachte, aber ihre Augen blieben geschlossen und ihre Arme schläfrig um seinen Hals geschlungen, während ihre Finger gedankenverloren die Haare in seinem Nacken streichelten. Offensichtlich schlief sie wirklich. Was sollte er jetzt tun? Sein Verlangen nach ihr wuchs von einem Moment zum nächsten, aber der Drache wusste, dass sie müde war, erschöpft von der emotionalen Anstrengung des gestrigen Abends und von der Heftigkeit der körperlichen Liebe, die auf dem Boden vor dem Feuer bei Sonnenuntergang ihren Anfang genommen und bis lange nach Mitternacht gewährt hatte. Sie hatte ihn auf eine Art befriedigt, die er sich nicht einmal hätte träumen lassen; doch sie war unwiderstehlich, und je mehr er von ihr bekam, desto mehr wollte er. Nun aber war ihre Energie verausgabt, und sie schlief tief und fest, während ihr Körper neue Kraft schöpfte. Er dachte daran, sie noch einmal zu lieben, so, dass er ihr etwas von der Freude zurückgeben konnte, die sie ihm bereitet hatte, aber dann sah er ihr ins Gesicht und beschloss, es lieber nicht zu tun. Die Erschöpfung hatte sie an sich gerissen wie ein übereifriger Liebhaber, und ihr Schlaf war ungestört von den Träumen, die sie sonst so ängstigten. Zum ersten Mal, seit er sie kannte, schlief sie vollkommen in Frieden. So schluckte er sein Bedürfnis herunter, auch wenn es ihm schwer fiel, und schloss sie in die Arme, wachte über ihre Träume und ihre Ruhe. Er konnte warten.
In der grauen Morgendämmerung, die dem Sonnenaufgang vorausging, erhob sich Ashe in der unterirdischen Höhle aus dem Bett, leise und vorsichtig, um Rhapsody nicht zu wecken. Seine Füße zuckten vor der Kälte des Fußbodens zurück, als er zur Feuerstelle schlich, wo der Drache das Zeichen gespürt hatte. Er wusste, was es war, doch er wollte es trotzdem sehen, mit seinen eigenen, nicht ganz menschlichen Augen. Auf dem Boden waren Blutstropfen, Rhapsodys Blut, Blut, das in Leidenschaft vergossen worden war. Natürlich hatte er gewusst, dass sie unberührt war; der Drache hatte es von Anfang an gefühlt. Es waren drei Tropfen wie bei Emily, drei Tropfen. Zweifellos ein Omen, auch wenn er es nicht deuten konnte. Ihm entging nicht, dass sie sich im Haus seiner Großmutter befanden, und auch ihr Amt als Seherin der Vergangenheit konnte nicht bedeutungslos sein. Drei Blutstropfen, genau wie Emily. Ein Zeichen für zukünftige Dinge oder dafür, dass etwas Vergangenes nun vollendet war?
Ashe wandte sich wieder zum Bett um und betrachtete Rhapsody, die noch immer sanft schlief. In ihrem Gesicht war keine Spur von Bedauern oder Furcht; ihre Träume schienen glücklich zu sein. Mit einem melancholischen Lächeln verließ Ashe das Zimmer und ging die Treppe hinunter in die Eingangshalle, wo sein Umhang am Haken hing. Er griff hinein, fühlte die kühle Feuchte des Nebels und zog einen kleinen, silbernen Gegenstand heraus, den er dort seit Jahren aufbewahrte. Den Umhang ließ er zurück, trat aus dem Haus und wanderte hinunter ans Ufer des Sees.
Dort stand er und lauschte, wie das Wasser von Anwyns Hütte mit dem Wasser seiner Seele sprach, während er den silbernen Gegenstand fest in der Hand hielt und über das Omen der Blutstropfen nachgrübelte. Er schloss die Augen, atmete tief ein, schloss die Hand fester um das silberne Etwas, beugte sich dann zurück und warf es in den See der Grotte.
»Lebe wohl, Emily«, flüsterte er und blieb noch einen Augenblick regungslos, mit Tränen in den Augen, stehen.
Als Rhapsody erwachte, wusste sie sogleich, dass Ashe nicht mehr im Bett war, aber mit der gleichen Gewissheit wusste sie auch, dass er sich ganz in ihrer Nähe aufhielt. Sie fühlte seine Anwesenheit so sicher wie sie seinen Atem gehört hatte, als er neben ihr im Bett gelegen und geschlafen hatte. Und obgleich all das, was geschehen war, sie verwirrte, war sie glücklich, dass er bei ihr war.
Rasch zog sie eine Decke um sich, stand auf und ging ohne Zögern zum Fenster. Sie wusste, dass sie ihn von hier aus sehen würde. In der Ferne konnte sie denn auch seine Gestalt ausmachen, nackt und in den Nebel des Sees gehüllt starrte er ins Leere was er dort sah, konnte sie nicht ahnen. Ihre Haut prickelte, und ihr war klar, dass der Drache ihre Bewegung ebenso zweifelsfrei fühlte wie sie seine Anwesenheit einen Augenblick zuvor. Der Gedanke war tröstlich.
Bei seinem Anblick wurde ihr Herz von einer Melancholie ergriffen, die sie erst nicht erkannte, obgleich sie sie schon früher gespürt hatte. Seit einiger Zeit begleitete sie dieses Gefühl, und ihr wurde bewusst, dass sie es in den letzten Monaten immer dann verspürt hatte, wenn sie an Ashe gedacht hatte. Erst jetzt verstand sie es, denn es war lange her, seit sie etwas Ähnliches gefühlt hatte.
Welch ein seltsamer Mann du bist, Ashe, dachte sie. Manch | mal war er so unangreifbar wie ein sprungbereiter Drache, doch jetzt sah er aus wie ein verlorenes Kätzchen. Was immer er war, zum Guten oder zum Schlechten, er besaß ihr Herz, das Herz, das sie verloren geglaubt hatte. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Unten am Ufer fröstelte er und rieb sich mit den Händen über die Arme, als wollte er sich wärmen. Rhapsody fasste sich ein Herz und lief zu ihm, sprang die Stufen hinab, riss die Tür der Hütte weit auf und rannte hinunter an den Strand. Ohne ihren Schritt zu bremsen, umarmte sie ihn von hinten und legte ihm ihre Decke um die Schulter. Ashe wandte sich um und lächelte auf sie herab, dann zog er sie zu sich unter die Decke. Sanft küsste er sie auf den Kopf und versuchte zu entscheiden, was mehr strahlte ihr Haar oder ihr Gesicht.
»Gut geschlafen?«
»Sehr gut, danke«, antwortete sie. »Ich habe etwas entdeckt und dachte, du solltest es wissen.«
»Ja?«
»Ich liebe dich auch. Und das weiß ich ganz sicher.«
Seine Antwort war ein tiefer, langer Seufzer, der mehr sagte als tausend Worte. Rhapsody legte ihre Hände auf seine Brust, und dort am Ufer des Sees hielten sie einander fest, bis die Morgendämmerung der hellen Sonne gewichen war. In dem grünen Licht, das durch die Büsche über dem Firmament Hineindrang, sah die Grotte aus, als läge sie in einem tiefen Wald.
Und obwohl es allen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit widersprach, wurde in diesem Augenblick ein kleiner silberner Gegenstand unbemerkt ans Ufer der Insel gespült.