37

Von dem Augenblick an, als er ins Bolg-Land gekommen war, hatte Ashe ein Gefühl der Ehrfurcht empfunden. Sein Staunen wuchs, als er der Stimme folgte, durch die dunklen Berge, über die Heide, in die Tiefen des versteckten Reichs. Er hatte nur lange genug angehalten, um sich vor den Wachposten zu verstecken, und war dem Leitstrahl dann weiter gefolgt.

Als er bei Kraldurge auf die Wiese kam, wurde die Stimme klarer und stärker. Er betrachtete die Felsmauern, die um il herum aufragten, und wusste, dass er niemals allein hierher gefunden hätte, nicht einmal mit seinen Drachensinnen. Deshalb nistete sich ganz allmählich das Gefühl in ihm ein, dass er hier in Sicherheit war.

In meinem Haus wärst du auch in Sicherheit.

Im Kessel? Nein, danke.

Mein Haus liegt nicht im Kessel. Und ich denke, es ist noch schwerer zu finden als dieser Ort hier.

Als er in die Höhle hinabstieg, wuchs sein Staunen zu Ehrfurcht. Ein magischer Ort, mit seinem kristallklaren See, der rauschenden Wasserfall, den glänzenden Stalaktiten und Stalagmiten, die in der Grotte wuchsen.

Aber was ihn am meisten faszinierte, war das Lied der Höhle. Es war fröhlich, ganz anders als das Gefühl im Bolg-Land; es hallte durch die Luft und berührte die Ränder seines Bewusstseins mit harmonischen, friedlichen Klängen. Das kann niemand anderes sein als Rhapsody, dachte er. Wenn dieser Ort schon vor den Bolg hier gewesen war, wer Gwylliam und Anwyn einmal hier gelebt hatten, wäre er mit Sicherheit von Hass verunreinigt, von der Wut, welche die alten cymrischen Länder zerstört, sie öde und leblos zurückgelassen hatte. Dass hier eine warme, entspannte Atmosphäre herrschte, war ein sicheres Zeichen für Rhapsodys Anwesenheit. Als er das kleine Haus entdeckte, wusste er, dass es ihr gehörte. Er konnte sie fühlen, wie sie im Innern des Hauses von Raum zu Raum ging und ihre Wärme mit sich trug. Die Lichter der Hütte glitzerten heiter in der nachmittäglichen Dunkelheit, Rauch stieg aus dem Schornstein auf. Mit seinen Drachensinnen nahm er jede Einzelheit wahr, von der schimmernden Gartenlaube mit dem goldenen Vogelkäfig, in dem das Lied seines Namens noch widerhallte, bis zu dem ausgedehnten Garten, der in der Blütenpracht des Frühsommers erstrahlte. Allein diese Schönheit reichte schon fast, um die Qual zu lindern, die er stets mit sich trug. Er nahm all seinen Mut zusammen. Immerhin hatte er den Entschluss gefasst, ihr seine Gefühle zu gestehen und das Spiel des cymrischen Schweigens zu beenden. Wenn es überhaupt einen richtigen Ort gab, um das zu tun, dann war er hier, und jetzt war auch der richtige Zeitpunkt.

Rhapsody öffnete die Tür. Da stand er, den Umhang über dem Arm, und lächelte sie unsicher an, wie er es im Wald getan hatte, als er zum ersten Mal sein Gesicht enthüllt hatte. Sofort wanderte ihr Blick zu seinen Pupillen; sie waren vertikale Schlitze, wie damals. Dann schnappte sie nach Luft. Der struppige Bart war nicht mehr da, das Gesicht glatt rasiert wie in Sepulvarta. Augenblicklich verblasste sein Lächeln.

»Stimmt etwas nicht?«

Rhapsody starrte ihn noch einen Moment lang an, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, nein, tut mir Leid. Nein, es ist nichts. Bitte komm herein. Ich wollte nicht unhöflich sein.«

Ashe trat ins Wohnzimmer und blickte sich um. Seine Augen sogen den gemütlichen Anblick in vollen Zügen ein, und während er sich umschaute, verspürte er eine Sehnsucht, die er nicht hätte benennen können.

Der Raum war liebevoll eingerichtet mit farbenfrohen Teppichen aus gewebter Wolle, zwei zueinander passenden Sesseln vor dem offenen Kamin und einem kleinen Sofa. Überall standen Blumenvasen, einfache, schöne Gegenstände schmückten Wände und Tische. In einem Schrank aus mit Kork eingelegtem Kirschbaumholz waren Musikinstrumente untergebracht. Der Duft würziger Kräuter und frischer Seife lag in der Luft, zusammen mit einer Spur Vanille. Ashe seufzte tief, als er ihn einatmete.

»Hübsches Häuschen.«

»Danke.« Automatisch streckte Rhapsody die Hand nach seinem Umhang aus, bemerkte ihren Fehler aber in dem Moment, als er ihr das Kleidungsstück reichte, und ließ ihn vor lauter Aufregung gleich fallen. Unglaublich, dass Ashe ihn ihr gegeben hatte! Der Umhang fühlte sich kühl in ihren Händen an, und ein feiner Nebeldunst stieg von ihm auf, aber ansonsten schien er sich nicht von anderen Kleidungsstücken zu unterscheiden. Nachdem sie ihn an einen der Haken neben der Treppe gehängt hatte, wandte sie sich um und trat zu ihm.

»Was ist mit deinem Bart geschehen?«

Ashe sah ins Feuer und lächelte. »Eine Person, an deren Meinung mir sehr viel liegt, scheint der Überzeugung zu sein, dass ich ohne ihn besser aussehe.«

»Oh.« Sie schwieg verlegen und wusste nicht, was sie als Nächstes sagen sollte. Ashe sah sie an. »Nun? Du hast mich gerufen?«

»Oh«, wiederholte sie. »Ja. Hoffentlich habe ich dich nicht bei etwas Wichtigem gestört.«

»Was wolltest du denn?«

Rhapsody lehnte sich ans Geländer. »Genau genommen zwei Dinge. Das erste ist oben in meinem Schlafzimmer. Würde es dir etwas ausmachen, mit hinaufzukommen?«

Ashe schluckte schwer und versuchte, die Erregung zu unterdrücken, die bereits in ihm aufgeflammt war, als sie die Tür geöffnet hatte. »Aber nein«, antwortete er, und seine Stimme klang ein wenig angestrengt.

Rhapsody lächelte ihn an, und er spürte die Aufwallung der Gefühle, wie immer, wenn ihr strahlender Blick auf ihm ruhte. Er folgte ihr die Treppe hinauf und hängte unterwegs seinen Waffengürtel zu ihrem auf das Gestell neben der Tür.

Auch ihr Schlafzimmer war wunderschön, geschmackvoll dekoriert und voll von Dingen, die sie liebte. Durch die offene Tür des Kleiderschranks aus Zedernholz sah man eine sorgfältig geordnete Garderobe von Kleidern in hübschen Farben, von denen er allerdings keines jemals an ihr gesehen hatte. In einer Zimmerecke stand ein großer Wandschirm in den gleichen Sonnenuntergangsfarben wie der Krug und die Schüssel auf dem Waschtisch; vor dem Kamin funkelten Feuerböcke aus Messing. Rhapsody ging zu dem reich geschnitzten Kaminsims und nahm zwei kleine Gemälde herunter, die dort standen. Als Ashe zu ihr ans Feuer trat, gab sie sie ihm.

Auf einem der Bilder, einem Ölgemälde, waren zwei menschliche Kinder zu sehen, ein Junge an der Schwelle zur Adoleszenz, das Mädchen ein paar Jahre jünger. Beide waren hübsch, das Mädchen blond und hell, der Knabe etwas dunkler. Das andere Bild dagegen wimmelte von grinsenden, mit Holzkohle skizzierten Gesichtern, grob und haarig. Sofort erkannte Ashe die Kinder als Firbolg. Fragend blickte er Rhapsody an.

»Das sind meine Enkel«, erklärte sie, und ihre Smaragdaugen erforschten sein Gesicht. Noch immer verstand Ashe nicht. »Oh. Ja, du hast sie erwähnt. Jetzt erinnere ich mich wieder.«

»Ich dachte, diese hier würdest du besonders gern sehen«, meinte sie und deutete auf das Ölgemälde. Ihre Stimme klang sehr sanft. »Das sind Herzog Stephens Kinder.«

Wie sie es erwartet hatte, stiegen Tränen in Ashes Augen, und er setzte sich benommen auf das Sofa vor dem Kamin. Anscheinend hatte Llauron sich nicht die Mühe gemacht, seinen Sohn über die wichtigen Dinge im Leben seines besten Freundes auf dem Laufenden zu halten, und er wusste nichts von der Existenz dieser Kinder. Rhapsody tat das Herz weh. Sie beugte sich über die Sofalehne, wobei sich ihre eine Hand ganz selbstverständlich auf seine Schulter legte, während sie mit der anderen auf die beiden Kinder zeigte.

»Das hier ist Melisande, geboren am ersten Frühlingstag; sie ist ein echter Sonnenschein. Ihr Bruder ist ernster, mehr in sich gekehrt, aber wenn er lächelt, wird es hell im Raum. Sein Geburtstag ist der letzte Tag im Herbst.« Sie hielt inne, denn sie wollte ihn nicht gleich überfordern. »Sein Name ist Gwydion.«

Ashe blickte zu ihr auf, und Rhapsody sah in seinen Augen ein Gefühl, das sie nicht einordnen konnte. Lange starrte er sie an, dann wandte er sich wieder dem Bild zu.

»Möchtest du gern einen kleinen Eindruck von ihnen bekommen?«, fragte sie. Ashe nickte;

Rhapsody legte auch noch die andere Hand auf seine Schulter und sang das Lied, das sie für die Kinder geschrieben hatte, als sie sich kennen gelernt hatten, ein Lied, das die beiden haargenau beschrieb. Melisandes Melodie war munter, luftig und unberechenbar, Gwydions eindringlich, tief und weich, jeder Refrain etwas komplizierter als der vorherige. Als Rhapsody geendet hatte, blickte sie über die Sofalehne und sah, dass Ashe weinte. Voller Besorgnis lief sie um das Sofa herum und kniete vor ihm nieder.

»Ashe, das tut mir sehr Leid. Ich wollte dich nicht durcheinander bringen.«

Ashe sah sie an und lächelte unbeholfen. »Entschuldige dich nicht, du hast mich nicht durcheinander gebracht. Danke.«

»Ich denke, das leitet zu dem über, was ich dir sagen wollte«, fuhr Rhapsody fort, während er sich mit dem Handrücken über die Augen wischte. »Offensichtlich weiß ich, wer du bist.«

Ashe nickte müde. »Ich meine, ich weiß genau, wer du bist.«

»Und wer bin ich?«

»Bitte, treib keine Spielchen mit mir, Ashe«, entgegnete sie ein wenig ärgerlich.

»Offensichtlich kenne ich die Verbindung zwischen dir und Herzog Stephen. Ich kenne auch deinen Namen gut genug, um dich zu rufen. Vermutlich weißt du, was das bedeutet. Dass ich nämlich auch alles andere weiß, was dazugehört.«

Ashe seufzte. »Ja, ich denke schon.«

»Stört es dich?«

»Eigentlich nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Irgendwie ist es sogar eine Erleichterung.«

»Nun, bevor die Nacht verstrichen ist, hoffe ich, dass du noch erleichterter bist.«

»Wie das?«

»Das wirst du gleich sehen. Zuerst muss ich dir noch etwas Wichtiges sagen.«

Ashe nickte, und ihre Blicke trafen sich. »Ich höre.«

Auch Rhapsody nickte. »Gut. Ich habe einen Entschluss gefasst, und da er auch dich betrifft, dachte ich, du solltest ihn erfahren.«

»Ja?«

Sie holte tief Luft. »Ich habe genug von der cymrischen Geheimniskrämerei. Deshalb habe ich beschlossen, dir zu trauen, und offen gestanden ist es mir egal, ob ich damit Recht habe oder nicht. Ich war mir unsicher über meine Gefühle, aber ich will das nicht mehr sein. Deshalb habe ich beschlossen, dein Freund zu sein, gleichgültig, ob du meiner bist oder nicht. Als mein Freund wirst du mir immer am Herzen liegen, und ich werde dich mit meinem Leben beschützen. Ich werde dich gegen die Sklaven der Unterwelt verteidigen, genau wie ich es auch für Achmed, Grunthor oder Jo tun würde. Und wenn du mich betrügst, wenn du etwas Schändliches gegen mich im Schilde führst, dann erzähle mir bitte nichts davon. Mir ist es lieber, wenn du mich jetzt tötest, als wenn du mich später betrügst. Wie auch immer, ich gehe das Risiko ein. Du brauchst dich auch nicht zu revanchieren, du musst nur mithelfen. Bitte strecke deinen Ringfinger aus.«

»Wie bitte?«

Rhapsody hüstelte verlegen. »Wahrscheinlich war ich jetzt doch ein bisschen zu forsch. Ich wüsste es sehr zu schätzen, wenn du diesen Ring anstecken würdest.« Sie hielt den Siegelring in die Höhe, den der Patriarch ihr gegeben hatte, den Ring, der sein heiliges Amt bewahrte, die Weisheit und die Heilkunst, die damit einherging. Ashes Augen wurden groß vor Erstaunen. »Wo ins aller Welt hast du diesen Ring her?«

»Aus Sepulvarta. Ich habe dem Patriarchen beigestanden und gegen den Rakshas gekämpft ja, ich fürchte, das war ich.« Die Nachricht von dem Kampf hatte sich wie ein Lauffeuer in ganz Roland verbreitet, und Rhapsody war sicher, dass auch Ashe davon gehört hatte.

»Niemand weiß es, aber in jener Nacht hat Seine Gnaden mir sein Amt übergeben und mich gebeten, es zu bewahren und mit meinem Leben zu beschützen. Da ich dir die gleiche Pflicht auferlegt habe und da ich weiß, dass der Ring dich heilen wird, gebe ich ihn jetzt dir. Streif ihn über.« Doch Ashe starrte sie nur an.

»Ach, übrigens«, fuhr Rhapsody fort, »übrigens weiß ich I auch Bescheid über den Rakshas. Ich werde ihn für dich töten und dir das Stück deiner Seele zurückholen, das er dir gestohlen hat. Dann kannst du dich ganz der Aufgabe widmen, König der Cymrer zu werden. Ich werde dir helfen, so gut ich kann, das Reich wiederzuvereinigen.«

Unvermittelt stand Ashe auf und ging zur Feuer stelle. Er legte die Hände auf den Kaminsims und holte mehrmals tief Luft. Schweigend beobachtete Rhapsody ihn, während er das, was sie ihm gesagt hatte, Stück für Stück in sich aufnahm. Schließlich drehte er sich zu ihr um.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«

»Warum musst du unbedingt etwas sagen? Ich habe dich nur darum gebeten, den Ring anzuziehen.«

»Ich glaube, du weißt nicht, was du mir da gibst.«

Verärgert runzelte sie die Stirn. »Du musst mich wirklich für sehr dumm halten, Ashe.«

»Ich ... ich halte dich überhaupt nicht für dumm. Im Gegenteil, ich ...«

»Ich habe den Ring nicht in einer Schachtel mit alter Unterwäsche auf dem Speicher oder an einem Marktstand entdeckt, ich habe ihn vom Patriarchen persönlich ausgehändigt bekommen, in der Nacht des Rituals am Hochheiligen Tag, dem ich beigewohnt habe. Was bringt dich auf den Gedanken, er könnte mir so einen wichtigen Gegenstand gegeben haben, das Wertvollste, was er besaß, wenn ich seine Bedeutung nicht begriffen hätte?«

»Dann verstehst du vielleicht nicht, wie das mit meinem Vater ist, dass er nämlich ...«

»... dass er das Oberhaupt der Entgegengesetzten Glaubensrichtung ist und dass auch du eines Tages wahrscheinlich sein Nachfolger wirst? Doch, auch das verstehe ich. Ist dir klar, dass es nur eine einzige Religion gab, als die Cymrer aus Serendair kamen, eine Kombination der Praktiken aus Gwynwald und Sepulvarta, und dass es die cymrische Spaltung war, die diese Glaubenstrennung vorantrieb? Wenn du planst, den Riss in der Regierung des cymrischen Volks zu kitten, warum nimmst du dir dann nicht auch gleich noch die religiöse Teilung vor? Ich habe religiösen Riten beider Kirchen beigewohnt; sie sind einander viel ähnlicher, als du vielleicht glaubst. Wer braucht einen Patriarchen und einen Fürbitter? Warum kann nicht einer beides sein? Oder warum kann der Cymrer-Herrscher nicht das vereinende Oberhaupt beider Sekten sein und die geistliche Herrschaft der jeweiligen Gruppe überlassen? Anerkennen, dass den Menschen das Recht auf Glaubensfreiheit zusteht, sie aber dennoch als ein monotheistisches Volk vereint bleiben können.«

Sie hielt inne; Ashe starrte sie ungläubig an.

»Was ist?«, fragte sie.

»Du bist erstaunlich.«

»Warum?«

Ashe schüttelte lächelnd den Kopf. »Und beängstigend. Erstaunlich und beängstigend.«

»Jetzt verstehe ich wirklich nicht, was du meinst.«

Er hielt sich weiter am Kaminsims fest und senkte den Kopf, sodass der Feuerschein auf seinem metallisch roten Haar glänzte. So verharrte er eine Weile, sammelte seine Gedanken und atmete tief. Rhapsody fragte sich, ob ihm übel war. Schließlich jedoch richtete er sich auf und wandte sich zu ihr um.

»Wie hast du das alles herausgefunden?«

»Es war nicht leicht«, antwortete sie und verschränkte die Arme. »Du jedenfalls hast mir ganz bestimmt nicht geholfen. Also, lass mich sehen, ob ich dich jetzt verstehe, Ashe oder soll ich dich lieber Gwydion ap Llauron ap Gwylliam und so weiter nennen?«

»Nein, danke, Ashe genügt.«

»Du bist der Sohn Llaurons, der einzige Enkel von Gwylliam und Anwyn, Träger des Schwertes Kirsdarke, das du von der Seite deiner Mutter bekommen hast. Außerdem bist du von manossischem Adel, Herr des Geschlechts Neuland sowie Erbe des cymrischen Königstitels, sollten die Cymrer wiedervereint werden.«

Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. »Bist du sicher?«

Verärgerung schlich sich auf ihr freundliches Gesicht. »Unterbrich mich nicht ich musste das alles ohne deine Hilfe herausbekommen, also hör mir lieber zu und warte, bis du an der Reihe bist. Ob ich sicher bin? Nein. Wenn ich mir einer Sache sicher bin, dann sage ich es auch so. Aber ich habe mehr als einen vagen Verdacht, dass ich Recht habe, und jetzt misch dich bitte nicht noch mal ein, es sei denn, du musst mich in den Fakten korrigieren. Abgemacht?«

»Ja«, antwortete er und senkte lächelnd die Augen.

»Vor etwa zwanzig Jahren hast du mit einem Dämon aus der alten Welt gekämpft, der als blinder Passagier auf Gwylliams Schiff in dieses Land gekommen war; als du versucht hast, ihn zu töten, hat er dir ein Stück von deiner Seele aus der Brust gerissen. Seither lebst du in ständiger Qual, und der Dämon hat die Macht, dich zu finden. Du hast dich versteckt, hast alle, die dich kannten, in dem Glauben gelassen, du wärest tot, bist unter einem Nebelumhang umhergewandert und hast versucht, den neuen Wirt des Dämons zu finden, um die kleinen Kriege zu verhindern, die er heraufbeschwört. Leider hattest du in beider Hinsicht nicht viel Erfolg, wenn du mir verzeihst, dass ich das sage.

Unterdessen hat sich der Dämon das Stück deiner Seele genommen und hat eine Art Maschine darum herum gebaut, in Wesen, das genau so aussieht wie du und das die Kraft aus deiner Seele bezieht, aber aus dem Blut des F’dor geschaffen ist. Dieses Wesen ist für einen großen Teil des Schreckens verantwortlich, der das Land an den Rand eines folgenschweren Kriegs gebracht hat, und sollte jemand ihm begegnen und diese Begegnung überleben, so würde der Betreffende dich für diese Untaten verantwortlich machen, vorausgesetzt, er würde es für möglich halten, dass du noch am Leben bist.

Doch das ist nicht sehr wahrscheinlich. Vermutlich weiß nicht einmal der Dämon, dass du lebst. Trotzdem hat der Rakshas die ganze Zeit im Auftrag seines Meisters nach dir gefahndet, hat versucht, sich auch deinen Körper und den Rest deiner Seele anzueignen, wahrscheinlich, um dich zum neuen Wirt des Dämons zu machen. Er sucht nach wie vor nach dir, deshalb wanderst du in einem Umhang umher, der dich verbirgt. Liege ich bisher einigermaßen richtig?«

Ashe nickte benommen.

»Oh, und ich weiß auch, dass du hauptsächlich vom Fürsten und der Fürstin von Rowan geheilt wurdest. Und dass du ein Drache bist, zumindest teilweise. Daher wusstest du auch, in welcher der hundert Hütten ich Gavin finden würde.«

»Was wirst du mit dieser Erkenntnis anfangen?«

Rhapsodys Augen funkelten. »Nun, zuerst einmal hoffe ich, dass du mich nicht auf der Stelle umbringst.«

»Ich denke, für den Augenblick bist du in Sicherheit.«

»Oh, gut. Als Nächstes plane ich, dir zu helfen. Ich glaube, ich habe schon in etwa angedeutet, wie, aber du hast den Ring immer noch nicht angesteckt.«

»Ich weiß.«

»Hast du Angst davor?«

»Ein wenig.«

»Warum?«

Er seufzte. »Rhapsody, das ist es nicht, was ich von dir zu hören erwartet habe.«

Sie lächelte, und ein neugieriges Funkeln trat in ihre Augen. »Wirklich? Was hast du denn dann erwartet?«

»Eigentlich habe ich keine Ahnung. Vermutlich dachte ich, du könntest vielleicht selbst Hilfe brauchen oder du wolltest mir nur mitteilen, dass du wieder da bist.«

»Aha. Sieh mal, Ashe, du warst einer der wenigen Menschen, die mir, seit ich in diesem Land bin, tatsächlich geholfen haben, das zu finden, was ich gesucht habe; du hast mir geholfen, und ich würde mich gern bei dir revanchieren. Seit ich in diesem Land bin, war ich ziemlich isoliert; bis jetzt habe ich meine Zeit hauptsächlich mit Achmed und Grunthor verbracht. Abgesehen von Jo bist du eigentlich der einzige Freund, den ich habe. Ich weiß, du bist es gewöhnt, allein zu sein, und konntest lange Zeit niemandem trauen außer Llauron, aber bitte, lass mich dir helfen. Ich glaube, du brauchst genauso dringend einen Freund wie ich, vielleicht sogar noch dringender.« Ashe lächelte. Rhapsody setzte sich und klopfte auf den Platz neben sich. »Bitte, ich weiß, dass du mir nicht vertrauen magst, aber du musst es versuchen, wirklich. Früher oder später wird der Dämon dich in einem unvorbereiteten Augenblick erwischen. Du brauchst jemanden, der dir den Rücken frei hält. Außerdem sollte eine Frau einen Mann nicht anflehen müssen, einen Ring anzustecken, das ist demütigend.«

Ashe lachte. Er trat zur Couch, setzte sich neben Rhapsody und nahm ihre Hand. »Ich wollte, ich wüsste, was ich dir sagen soll.«

»Meinetwegen brauchst du gar nichts zu sagen. Bitte, Ashe, zieh einfach nur den Ring an. Es ist der erste Schritt, dass du wieder vollständig wirst. Sobald du heil und von der Qual befreit bist, mache ich mich auf den Weg, den Rakshas für dich zu töten. Hier.« Abermals hielt sie ihm den Ring hin.

Ashe nahm ihn auf seine Handfläche und legte bedächtig die Finger darüber. Allein ihn zu halten linderte schon seine Schmerzen; er spürte die intensive Kraft, die von ihm ausging. Er sah die Frau an, die da neben ihm auf dem Sofa saß und deren Augen vor Erwartung schimmerten. Seine verwundete Seele schrie warnend auf, dass alles nur eine Illusion sei, viel zu schön, um wahr zu sein. Eine Falle, flüsterte der Drache. Der Dämon hat sie geschickt, sie wird uns verraten. Beherrsch dich. Gleichzeitig war dieser Teil seiner Natur aber auch von der Macht des Rings fasziniert, und mehr als alles andere wollte seine Seele ihr glauben. Er schluckte schwer und steckte den Ring an den Finger. Zunächst nahm er keine Veränderung wahr. Dann aber hatte er ein Gefühl, als fielen Gänsedaunen weich auf seinen Kopf herab, sanft wie Schneeflocken. Er blickte auf, konnte aber nichts sehen. Als Nächstes spürte er etwas Schwereres, wie ein warmer Umhang, der sich auf seine Schultern senkte, und vom Boden schien eine Kraft in ihn aufzusteigen, die seine Adern weit machte und sein Herz stärkte. Sein Brustkorb dehnte sich, das Atmen wurde leicht, und seine Drachensinne fühlten, wie tausende Gefäße und Muskeln wieder zusammenwuchsen und heilten, wie sich neue Knochen aufbauten und neue Haut entstand, bis alle verwundeten Stellen wieder heil waren. Da brauste die Kraft durch seinen Körper, strömte durch sein Blut und in seine Gedanken, die sich, gemeinsam mit seiner Fähigkeit zu verstehen, weiter ausdehnten und wuchsen, denn die Weisheit des Rings hatte ihn durchdrungen.

Er sah Rhapsody an, die seine Verwandlung ehrfürchtig beobachtete, und auf einmal wusste er, dass sie keine Sklavin des Dämons, sondern im Gegenteil vollkommen ohne Falsch war; sie war genau das, was sie zu sein schien. Tränen traten ihm in die Augen, und ein tiefer Seufzer, der ihn erzittern ließ, entrang sich seiner Brust.

Auf ihrem Gesicht wandelte sich das Staunen blitzschnell in Besorgnis. »Ist alles in Ordnung mit dir?«

Mit einem leisen Lächeln nickte er und ließ ihre Hand los. Er konnte spüren, wie das Blut wieder ungehindert in die Finger floss, und schämte sich, weil er sie so eng umklammert hatte. Seine Hände zitterten, als er sein Baumwollhemd aufnestelte. Die hässliche Wunde, die seine Brust auseinander gerissen hatte, war verschwunden, und an ihre Stelle war eine dünne rosarote Narbe aus neuer, gut verheilender Haut getreten. Wieder blickte er Rhapsody an. Auch in ihren wunderschönen Augen standen Tränen, und auf ihrem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, bei dem sein Herz vor Freude einen Satz vollführte.

»Wie fühlst du dich?«

Seine Schmerzen waren verschwunden, ihm war schwindlig, und er fühlte sich leer, aber wundervoll.

»Besser«, antwortete er und versetzte sich in Gedanken einen Fußtritt, weil seine Antwort so halbherzig und unangemessen klang.

»Gut. Ich freue mich, dass der Ring dir geholfen hat.«

Zum zweiten Mal an diesem Nachmittag war Ashe unfähig, seine Gefühle auszudrücken:

Erleichterung, Freude, Erwartung, Hoffnung. Wie konnte er in Worte kleiden, was ihm all dies bedeutete? Nach Jahrzehnten endlich befreit zu sein von Qual und Leid, zum ersten Mal seit undenklichen Zeiten Hoffnung zu schöpfen ... Er öffnete den Mund, doch es kamen keine Worte heraus, und in Gedanken verfluchte ihn der Drache wegen seiner Unzulänglichkeit. Doch Rhapsody schien sehr zufrieden. »Nun, da wir das hinter uns haben, tust du mir einen Gefallen?«

Er holte tief Luft. »Alles. Ich tue alles, was du willst.«

Sie tätschelte seine Hand. »Würdest du mir die Ehre gewähren, die Erste zu sein, die du ohne Schmerzen in die Arme schließt? Ich habe mich schrecklich gefühlt, weil ich dir damals im Wald so wehgetan habe.«

Um sich nicht zum Narren zu machen, erwiderte Ashe lieber nichts, sondern breitete nur wortlos die Arme aus, zog sie an sich und wagte kaum, sie zu spüren, aus lauter Angst, der Drache könne ihm seinen letzten Rest Selbstbeherrschung rauben. Wie ein Kind, das vorsichtig in ein Schwimmbecken steigt, erst einen Zeh hineinhält, dann einen Fuß, so erlaubte er seinen Sinnen nur ganz langsam, Rhapsody in sich aufzunehmen. Ihr Haar roch immer noch wie der Morgen, wie eine frische Wiese nach einem Sommerregen. Der Stoff ihrer Bluse umschloss die Wärme ihres Oberkörpers, eine Hitze, die seine Hände zum Zittern brachte.

Aber ehe er zu tief in sie versinken konnte, ließ sie ihn los und stand auf. »Wie wäre es mit einer Tasse Tee?«, fragte sie zubereite, nicht magst, aber du kannst ihn ja so lange ziehen lassen, wie du möchtest. Ich hole nur rasch den Kessel. Ruh dich doch hier ein wenig aus, ich bin gleich wieder da.«

Damit verließ sie das Zimmer, und Ashes Herz folgte ihr zur Tür hinaus.

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