Selbst nach Ashes filidischen Maßstäben waren die Gärten von Elysian für ihn wie ein Wunder. In den Jahren vor seinem nunmehr zwanzig Jahre zurückliegenden traumatischen Erlebnis hatte er sich sowohl um die Gewächshäuser seines Vaters als auch um seine eigenen weitläufigen Ländereien mit architektonischen Gärten und großen Treibhäusern gekümmert, die allerdings ausschließlich für heilige und zeremonielle Pflanzen angelegt waren. Sein Wissen über Gartenbau war profund, wenn auch nicht sehr vielseitig, und er hatte hunderte von Naturpriestern beaufsichtigt, die auf den Feldern und Klosterfarmen hart gearbeitet hatten. Er hatte zahlreiche Pflanztechniken kennen gelernt, aber Rhapsodys Umgang mit den Gartengewächsen war einzigartig.
Jeden Morgen war sie schon vor Sonnenaufgang auf den Beinen, backte Brot und süße Brötchen, deren Duft die Luft mit himmlischem Duft erfüllte. Bei der Arbeit sang sie leise vor sich hin, um ihn nicht zu wecken, aber der Drache wusste, dass sie nicht da war, sobald sie das Bett verließ, und begann einen langwierigen, unbewussten Prozess des vorsichtigen Fühlens, um sich zu vergewissern, dass sie noch immer in seiner Reichweite war. Die lieblichen Melodien lullten ihn wieder in den Halbschlaf, bis er schließlich, wenn sie ihre Arbeit im Haus erledigt hatte und hinausgegangen war, aufwachte, sich mürrisch erhob und nur ganz allmählich wieder menschlich wurde.
An den meisten Tagen ließ sie ihr Backwerk im Ofen und ging hinaus, um den Garten zu pflegen, denn sie wusste, dass er spürte, wann das Brot fertig war, und sich rechtzeitig auf rappelte, um es aus dem heißen Ofen zu holen. Dies diente als überaus wirksamer und sanfter Weckruf für Ashe, und er genoss das einfache häusliche Leben, das sie beide teilten. Noch benommen vom tiefen Drachenschlaf, trottete er die Treppe hinunter, zog das, was sie zubereitet hatte, aus dem Ofen und machte sich daran, das Frühstück vorzubereiten und auf einem Tablett herzurichten.
Schließlich trug er das Tablett hinaus in den Garten, um mit Rhapsody zu frühstücken. Unweigerlich fand er sie auf der Erde kniend, das Haar zu einem glänzenden Knoten gebunden und oft unter einem alten Tuch verborgen. Sie streichelte die Blätter winziger Pflänzchen, sang oder summte vor sich hin, während sie mit der Schaufel arbeitete. Für jede Blume hatte sie ein Lied, und sie begoss und pflegte ein jedes Samenkorn nach einer bestimmten Methode, die praktisch über Nacht einen üppig gedeihenden Garten herbeizauberte. Als sie Ashe nach Elysian gerufen hatte, hatte der Garten in den Farben des Sommers gestrahlt, und die Luft war erfüllt gewesen vom Duft der Gewürze und Kräuter. Jetzt war der Garten ein wahres Paradies, das mit seiner ausgewogenen Harmonie von Grüntönen und helleren Farben Auge und Nase gleichermaßen erfreute. Rhapsody hatte das Gespür und das Talent eines Bauern, und beides hatte Elysian eine gesunde, fröhliche Atmosphäre verliehen, die es zuvor ganz sicher nicht gehabt hatte. Eines Morgens war Ashe von einem besonders schönen Lied geweckt worden, einer Weise, die ihn an den Lauf der Jahreszeiten denken ließ, ohne dass er ein Wort davon vernahm. Später, als er den Text verstand, den der Gartenwind zu ihm herübertrug, musste er lächeln.
Weißer Schein
Lass die Nacht nicht sein
Und wach auf, wenn der Frühling ruft,
Komm und sieh, komm und sieh
Die warmen Winde bringen
Schmetterlingsschwingen
Die Vögel singen
Ein neues Jahr beginnt
Und grüßt das Erdenkind
Kühles Grün
In Wäldern so kühn
Sommersonne hoch am Himmel
Komm und tanz, komm und tanz
Auf dem grünen Grunde
In fröhlicher Runde
Die frohe Kunde
Die Zeit geschwind
Lacht mit dem Erdenkind
Rot und Gelb
Die Blätter sind welk
Sie fallen im Wind
Bleib und träum, bleib und träum
Der Sommer will gehn
Mit Farben so schön
Der Herbst bleibt stehn
Und hält fest es geschwind
Um zu trösten das Erdenkind
Weißer Schein
Lass die Nacht herein
Schnee bedeckt die gefrorne Welt
Schau und warte, schau und warte
Leg dich hin und schlaf ein
In Eisschlössern fein
Ein Versprechen soll sein
Ein Jahr, in dem nur wenige Tage noch sind
Erinnert sich gern an das Erdenkind
Später am Tag sprach er mit ihr über das Lied. Es ist schön meinte er und küsste sie. Viel zu schön, um von Grunthor zu handeln. Dafür müsste es deftiger und behäbiger sein, vielleicht auch ein paar Läuse haben. Rhapsody lächelte, aber ihre Augen verdunkelten sich auf eine Art, an der er erkannte, dass sie ihm irgendetwas vorenthielt. Es gibt Dinge, von denen wir beide wissen, dass wir sie nicht miteinander teilen können, weil sie die Geheimnisse anderer sind, hatte er in jener ersten Nacht gesagt, als sie ein Liebespaar geworden waren. Da wechselte er das Thema.
Am Rand einer unterirdischen Wiese hatte Rhapsody einen kleinen Obstgarten gepflanzt, an der einzigen Stelle, wo die Bäume genug Licht bekamen. Manchmal fand Ashe sie hier, wie sie sanft zu den Bäumchen sprach und sich um sie kümmerte wie um kleine Kinder. Wenn er sie in einer solchen Situation überraschte, setzte sie jedes Mal ein verlegenes Grinsen auf und rannte zu ihm, nahm seinen Arm und spazierte mit ihm zur Laube oder zu den Steinbänken in der Mitte des Kräutergartens, wo sie meistens frühstückten.
Dieser Morgen nun bildete keine Ausnahme. Ashe war ein wenig missgelaunt aufgewacht, mit der Erkenntnis, dass sie nicht mehr neben ihm lag, aber nach dem Frühstück kam er einigermaßen wieder zur Besinnung. Dann krempelte er die Ärmel auf, grub mit ihr die Erde um und half ihr, die Wurzeln zu trennen, die sie ans Seeufer vor dem Türmchen verpflanzen wollte.
Stundenlang arbeiteten sie in der Halbsonne der Grotte. Rhapsody sang fröhlich; sie fühlte sich nicht mehr gehemmt von Ashes Gegenwart, seit er vor einiger Zeit einmal in ein Lied eingestimmt hatte und die Melodien des Wachsens von ihr lernen wollte. Er hatte ihr auch ein paar neue beigebracht, die er selbst noch kannte, und sie war sogleich eifrig bei der Sache gewesen. Heute machte sie einen besonders glücklichen Eindruck; als er sie nach dem Grund für ihre gute Laune fragte, lächelte sie nur und küsste ihn.
»Schau dir den See an«, sagte sie dann.
Er wanderte ans Ufer hinunter und blickte ins Wasser, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches entdecken. So zuckte er mit den Achseln, und sie lächelte erneut.
»Er muss wohl ziemlich morastig sein heute Morgen«, sagte sie, kniete sich wieder hin und wandte sich erneut dem Haufen mit Blättern und Lehm zu, den sie in den Boden einarbeitete. »Für gewöhnlich reflektiert er besser.«
Ashe fühlte, wie Wärme ihn überflutete. Er trat hinter sie, beugte sich herab und umarmte sie von hinten.
»Ich liebe dich.«
Sie buddelte weiter.
»Wirklich?«
Er rieb die Nase an ihrem Nacken. »Ja. Merkst du das nicht?«
»Im Augenblick nicht, nein.«
Ashe blinzelte erstaunt. »Warum nicht?« Schon wurde ihm eng ums Herz. Sie würdigte ihn keines Blickes. »Weil kein Mann, der mich wirklich liebt, auf mein frisch gepflanztes Elfenkraut treten würde.« Sie schob spielerisch seinen Fuß vom Blumenbeet.
»Oh. Tut mir Leid, altes Mädchen.« Er zupfte an dem schimmernden Haarknoten unter dem hässlichen Tuch und tätschelte liebevoll ihr Hinterteil.
»Hände weg von meinem Brötchen, Herr.« Sie sah ihn an und tat so, als wäre sie ärgerlich.
»Von deinem was?«
»Nun, der Ausdruck stammt von dir«, lachte sie, stopfte die Haarsträhnen, die sich gelöst hatten, wieder unter das Tuch und machte sich erneut ans Umgraben. Er kauerte sich neben sie. »Wovon sprichst du überhaupt?«, fragte er und spielte mit den verirrten Strähnen.
Sie versuchte, ihr Lächeln zu verbergen, und arbeitete weiter. »Wer immer dir Alt-Lirinsch beigebracht hat, wusste wenig von feststehenden Redewendungen. Kwelster evet re marya du hast das allerschönste Brötchen.«
Ashe errötete verlegen und amüsiert zugleich. »Du machst Witze. Das habe ich gesagt?«
Sie nickte. »Was denkst du, warum ich fast jeden Morgen zum Frühstück welche backe? Ich habe noch nie erlebt, dass ein Mann mein Gebäck hübsch findet.«
Ashe prustete los und zog sie an sich, wobei er reichlich Moos und Blätter in die Gegend verteilte. Dann küsste er sie unterbrach damit ihr Gelächter und wischte die Erde von ihrer Stirn über sein ganzes Gesicht.
»Vermutlich muss ich an meinen Redewendungen noch ein bisschen arbeiten, was?«
»Nein, nicht unbedingt; mir hat es sehr gut gefallen.«
»Oh, bestens. Und was sagst du, wenn ich jetzt gern dein Brötchen sehen möchte?«
Sie schlang die Arme um seinen Hals. »Ich schlage ein schlichtes ›bitte‹ vor, obwohl mir auch einiges andere dazu einfällt.«
»In diesem Fall: bitte.«
Sie versetzte ihm mit ihrem Pflanzenheber einen leichten Schlag auf den Hinterkopf. »Bei allen Göttern, du bist wirklich unersättlich.«
»Daran bist nur du schuld, weißt du.« Die Drachenaugen zwinkerten, und ihre Smaragdaugen taten das Gleiche. Sie wussten beide, dass sie, wenn es um romantische Erfüllung ging, auch nicht schneller ermüdete als er. Aber jetzt versuchte sie, zu ihrer Gartenarbeit zurückzukehren.
»Warum sagst du das?«
Kurz entschlossen nahm Ashe ihr das Werkzeug aus der Hand und zog sie liebvoll auf seinen Schoß. »Du bist mein Schatz geworden, Rhapsody. Du musst wissen, dass das, von dem ein Drache am allermeisten besessen ist, von dem er niemals genug haben kann, sein Schatz ist.«
Er lächelte auf sie herab, aber gleichzeitig war er ein wenig unsicher, ob sein leichter Ton nicht womöglich dafür sorgte, dass sie an der Ehrlichkeit seiner Worte zweifelte. Er spürte, dass seine zweite Natur ihr ein wenig unbehaglich war, und hoffte, dass diese seine Bemerkung sie nicht abstieß. Neben der Angst, dass der Dämon ihn finden könnte, machte ihm der Gedanke an die Zukunft am meisten zu schaffen, eine Zukunft, in der sie sich womöglich von ihm abwenden würde wie sie es ja nicht anders erwartete. Ihm war klar, dass er in einem solchen Fall völlig außer sich geraten würde.
Rhapsody nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn. »Dann stamme ich vielleicht auch zum Teil von den Drachen ab.«
»Warum?«
»Nun, ich muss genau so von dir besessen sein, wenn ich mich durch dich ständig von meiner Gartenarbeit abhalten lasse, die für mich bisher das Zweitliebste auf der Welt war.«
»Das Liebste ist die Musik?«
»Natürlich.«
»Aber du hast schon den ganzen Morgen im Garten gearbeitet. Inzwischen wirst du doch bestimmt müde sein.«
Rhapsody stand auf, streckte sich und schüttelte den Rest Erde und Gras ab. »Genau genommen hast du Recht.« Sie streckte ihm die Hand hin und half ihm auf, dann schlang sie die Arme um seine Taille. »Und heiß ist mir auch, ich fühle mich wie eine Flamme in Menschengestalt.«
»Das kann ich bezeugen.«
»Da geht es schon wieder los mit deinen Anzüglichkeiten«, schalt sie, während sie das Tuch vom Kopf zog und ihren Haarknoten löste. »Kannst du denn an nichts anderes denken?«
»Entschuldige bitte«, gab Ashe gespielt beleidigt zurück. »Das war keineswegs schlüpfrig gemeint, ich habe lediglich auf dein Feuerwissen angespielt.«
»Oh!« Rhapsody lächelte. »Nun, als menschliche Flamme spüre ich dann das Bedürfnis, von Wasser umschlossen zu werden.« Sie umarmte ihn fester.
»Ich dachte schon, du würdest das niemals sagen«, murmelte er und küsste ihren Nacken.
»Was sagen? Ich werde ein Bad nehmen.« Damit schlängelte sie sich aus seiner Umarmung und rannte zurück zum Haus. Er folgte ihr dicht auf den Fersen. Ashe hielt sich im Wohnzimmer auf, während Rhapsody die Wanne mit kaltem, klarem Wasser von der Pumpe füllte. Als der Bottich endlich voll war, hielt sie die Hände hinein und konzentrierte sich auf das Feuer in ihrer Seele. Langsam wurde das Wasser warm, und bald darauf spürte man die Hitze im ganzen Raum. Schnell warf sie noch eine Hand voll mit Gewürzen versetzter Rosenblätter ins Wasser.
Sie blickte sich um. Es hatte eine Weile gedauert, bis das Bad eingelaufen war, und sie hatte erwartet, dass Ashe in der Zwischenzeit kommen würde, doch anscheinend hatte sie sich geirrt. Schließlich ging sie zur Tür und spähte hinaus, aber er war nirgendwo zu sehen.
»Ashe?«
»Ja?« Seine Stimme kam von unten.
»Wo bist du denn?«
»Im Wohnzimmer.«
»Was machst du?«
»Ich lese.«
»Oh.« Rhapsody gab sich Mühe, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »Du kannst gern zu mir in die Wanne steigen.«
»Nein, danke.«
Sie zupfte am Band ihres weißen Bademantels. »Bist du sicher?«
Einen Augenblick herrschte Stille. »Vielleicht komme ich nach.«
»Na gut«, seufzte Rhapsody. Sie ging zurück ins Badezimmer und merkte, dass sie immer trauriger wurde. Sie hatte ihn nicht beleidigen wollen; für gewöhnlich mochte er es, wenn sie sich wegen ihrer unermüdlichen Leidenschaft füreinander neckten. Vielleicht war sie zu weit gegangen. Hoffentlich hatte sie seine Gefühle nicht verletzt.
Inzwischen war die Wassertemperatur in der Wanne genau so, wie sie es wünschte. Rhapsody schüttelte die Tropfen von ihrer nassen Hand ab und lauschte auf Schritte. Nichts. Seufzend ergab sie sich schließlich in das Schicksal, sich allein den Rücken waschen zu müssen. Doch als sie vor dem Spiegel stand und sich die Pflanzenreste aus dem Haar bürstete, ging die Tür auf, und Ashe kam herein, ebenfalls im Bademantel, ein dickes Buch in der Hand. Rhapsodys Augen blitzten, aber ihr Gesichtsausdruck blieb neutral. »Ich dachte, du wärst in dein Buch versunken.«
»Das bin ich auch, aber ich dachte, vielleicht kannst du beim Baden ein bisschen Gesellschaft brauchen.«
»Ach so.«
»Natürlich bleibe ich hier, auf der anderen Seite des Zimmers. Ich möchte nicht, dass du denkst, ich warte auf eine Einladung oder so.«
»Nein, natürlich nicht.«
Ashe machte ein beleidigtes Gesicht. »Ich versichere dir, meine Absichten sind absolut ehrenwert.«
»Selbstverständlich.«
»Nein, wirklich. Ich möchte nur ein bisschen lesen.«
Rhapsody blickte ihn mit einem amüsierten Funkeln in den Augen an. »Hier ist aber kein guter Platz zum Lesen«, meinte sie mit einem viel sagenden Blick auf den warmen, duftenden Dampf, der sie umwogte. »In der feuchten Luft löst Pergament sich schnell auf.«
Mit brav vor dem Bauch gefalteten Händen kam Ashe ein Stück näher. Wie verspielte Kätzchen ringelten sich die duftenden Schwaden um seine Knöchel, und sein strahlendes Lächeln war so hell wie sein weißer Bademantel.
»Lass uns eine Abmachung treffen. Wenn du mich hier bleiben lässt, werde ich dich nicht berühren, solange du mich nicht ausdrücklich dazu aufforderst. Ich werde dich nicht stören, kein bisschen, ich setze mich einfach drüben neben die Tür. In Ordnung?«
»Aber von da wirst du nicht viel sehen können.«
»Wie ich dir bereits gesagt habe, bin ich nicht gekommen, um dir zuzuschauen, sondern ...«
»Ich weiß, du willst nur lesen«, unterbrach ihn Rhapsody lächelnd. »Na, dann amüsier dich gut.«
»Oh, darauf kannst du dich verlassen«, entgegnete Ashe und erwiderte ihr Grinsen. Langsam ging Rhapsody zurück zur Wanne. Über dem Wasser waberten Dampfschwaden, Nebelwolken stiegen auf, und Wassertropfen ließen sich auf ihren Wimpern nieder, sodass ihre Lider schwer wurden. Anscheinend geschah mit Ashe das Gleiche er hatte sich auf den Marmorfußboden gesetzt, sich gegen die Tür gelehnt und die Augen geschlossen. Rhapsody gab ihm noch eine letzte Chance.
»Weißt du, wenn du möchtest, kannst du gern mit in die Wanne kommen.«
Er hielt abwehrend die Hand hoch, die Augen noch immer geschlossen.
»Na schön«, meinte sie. »Ganz wie du willst.« Behutsam hob sie ein schlankes Bein über den Wannenrand und testete das Wasser mit dem Zeh; es war heiß, aber sie wusste, es würde gemütlich sein. Schnell tapste sie zu den Handtuchhaken hinüber, ließ den Bademantel von den Schultern rutschen und achtlos auf den Boden fallen. Mit einem Blick über die Schulter stellte sie fest, dass Ashe noch immer mit geschlossenen Augen an der Tür lehnte, fast, als schliefe er.
Rhapsody griff in eins der Apothekengläser, die auf dem Tisch unter den Handtuchstangen standen, und nahm noch eine weitere Hand voll süß riechender Gewürze und Rosenblätter heraus. Sie bückte sich, um ihren Bademantel aufzuheben, hängte ihn an den Haken und wandte sich wieder zur Wanne.
Ashe sah noch immer aus, als schliefe er, aber das Lächeln auf seinem Gesicht wurde breiter, als sie sich umdrehte.
»Aha! Du spickst!«, rief Rhapsody entrüstet.
»Wer in der ganzen Welt könnte dieser Versuchung widerstehen?«, konterte Ashe, ohne jedoch die Augen zu öffnen. »Außerdem habe ich nie behauptet, ich würde nicht spicken. Ich habe nur gesagt, dass ich dich nicht anfassen werde.«
»Offen gestanden wäre mir Letzteres lieber als Ersteres, aber mach, was du willst.«
Unbefangen trat Rhapsody zur Wanne und warf die Duftmischung hinein. Sie zischte, als die Wärme die ätherischen Öle freisetzte, und das Wasser wirbelte unter einem schimmernden Film, der sich über die Oberfläche gelegt hatte. Nun drehte Rhapsody ihr langes Haar auf dem Kopf zu einem Knoten und sicherte diesen mit ihrem üblichen schwarzen Band. Dann stieg sie langsam und genießerisch in die Wanne. Das Wasser umfing sie, als sie sich setzte und ausstreckte, sich wohlig räkelte und schließlich bis zum Hals ins warme Nass sank. Ihr Körper entspannte sich, und ihr Geist begann es ihm gleichzutun.
Nach einer Weile setzte sie sich wieder auf, sodass ihre Schultern über der Wasseroberfläche auftauchten, und legte den Kopf auf das Kissen auf dem Wannenrand. Die sanften Wellen wirbelten und plätscherten um sie herum, liebkosten ihre Haut und schwappten leise über ihre Brüste. Lächelnd genoss sie das Prickeln, das sich durch den Wechsel von heißem Wasser und kühler Luft auf ihrem Oberkörper ausbreitete. Ihre Brustwarzen, die gewöhnlich von derselben hellrosa Farbe waren wie das Innere einer Muschel, erwärmten sich im Wasser und nahmen einen dunkleren Farbton an.
Unter den sanften Liebkosungen des Wassers bekam sie eine Gänsehaut. Langsam ließ sie sich ein bisschen tiefer in die Wanne gleiten und legte die Füße ein Stück höher, sodass ihre Knie aus dem Wasser ragten. Mit einem Mal spürte sie eine Schwingung, wie eine Strömung in der Tiefe, die sich zwischen ihren Knien ausbreitete und sie langsam auseinander drückte. Ihr ganzer Körper fing nun an zu prickeln, während der Strudel sich nach unten senkte, ihre Hüften streichelte, ihren Rücken, und sich schließlich zwischen ihren Beinen niederließ. Immer stärker wirbelte das Wasser um ihre Beine und näherte sich ihren empfindsamsten Körperstellen. Sie begann zu zittern und spürte, wie ihr heiß wurde, aber diesmal inwendig, und diese Hitze strebte zu den Stellen, welche das Wasser liebkoste. Die Wellen wurden drängender, wirbelten und pochten und erregten sie mit jeder Bewegung mehr. Es war, als würde das Wasser fest und suchte ihren Körper ab, wo es ihr am meisten Vergnügen bereiten konnte. Ein Blitz durchzuckte ihren Körper, denn das Wasser erweckte ein immer dringlicheres Verlangen in ihr.
»Ashe«, sagte sie leise. Das Wort verfing sich in ihrer Kehle und kam ganz heiser heraus.
»Ashe, was tust du?«
»Ich lese.«
Sie zwang sich, die Augen zu öffnen, und sah, dass er noch immer wie im Halbschlaf an der Tür lehnte.
»Bitte«, sagte sie, während das Wasser weiter um sie pulsierte. »Bitte, hör auf damit.« Ihr Atem war flach geworden, so sehr musste sie sich bemühen, ihre Erregung im Zaum zu halten.
»Womit soll ich aufhören?« Er lächelte, machte aber die Augen immer noch nicht auf.
»Das hier wird allmählich zu einem sexuellen Erlebnis«, erwiderte Rhapsody und versuchte vergeblich, Ruhe zu bewahren. »Lass es sein. Bitte.«
»Hast du etwas gegen sexuelle Erlebnisse?«, fragte er scherzhaft, ohne sie eines Blickes zu würdigen.
»Ja, wenn ich sie nicht mit dir teile.«
Endlich richtete Ashe sich auf, öffnete die Augen und blickte Rhapsody ernst an. »Meine Liebe, das bin ich«, entgegnete er offen. »Ich kann es genauso spüren wie du, vielleicht sogar noch mehr.«
»Aber darum geht es mir ja«, sagte sie, während das feste Wasser pochte und sie fast zur Verzweiflung brachte. »Das bist nicht du, das ist Wasser, ob du es nun spürst oder nicht. Aber du bist der Einzige, von dem ich mich so berühren lassen möchte. Bitte, Ashe. Bitte tu das nicht.«
Die Verzweiflung in ihrer Stimme und auf ihrem Gesicht war so deutlich, dass auch er sie endlich begriff; es war dieselbe wie an dem Tag am Tar’afel, als sie ihn anflehte, sie nicht hinüberzutragen. Er sprang auf die Füße und trat an die Wanne; sofort hörten die Wellenbewegungen auf.
»Tut mir Leid, Rhapsody«, sagte er und sah, wie ihre Nervosität auf der Stelle wich und ihr Gesicht wieder ruhig wurde. »Ich wollte dich wirklich nicht durcheinander bringen.«
Rhapsody setzte sich auf und zog die Knie an. »Ich weiß«, sagte sie, streckte ihre nasse Hand aus dem Wasser und legte sie auf seine Wange. »Ich weiß, und es ist nicht deine Schuld, sondern meine.«
Ashe wollte sie in die Arme nehmen, aber dann fiel ihm wieder ein, dass er ihr versprochen hatte, sie nur anzufassen, wenn sie den Wunsch danach äußerte; deshalb hielt er sich zurück.
»Wie kann es deine Schuld sein? Du wolltest doch nur baden. Tut mir Leid, dass ich mich so dumm benommen habe.«
Rhapsody sah ihm in die Augen, und die Verwirrung, die sie dort erblickte, rührte ihr Herz. Sie zog ihn zu sich und küsste ihn zärtlich.
»Nein, mir tut es Leid, Ashe«, widersprach sie sanft. »Du hast nichts falsch gemacht. Es ist nur so in der Vergangenheit haben Männer ihre sexuelle Erregung oft auf alle möglichen unsäglichen Arten ausgedrückt, und das war der schlimmste Teil meines damaligen Lebens. Und der Teil, über den ich wahrscheinlich nie ganz hinwegkommen werde, ist der, zur Schau gestellt zu werden und ...« Sie senkte den Blick, und ihre Stimme versagte. Nach einer Weile fuhr sie fort: »Als ich hierher kam, war ich froh bei dem Gedanken, nie mehr ein sexuelles Erlebnis haben zu müssen ein keusches Leben zu führen und mir dadurch viele Probleme zu ersparen. Und dann bist du gekommen und hast wieder Verlangen in mein Leben gebracht, zum ersten Mal auf eine positive Weise. Nie hätte ich das für möglich gehalten. Du hast mich zum ersten Mal wirklich geliebt. Die körperliche Liebe mit dir ist so unglaublich, so schön, dass ich mich sehr bemüht habe, sie von nichts aus meiner Vergangenheit berühren zu lassen; ich möchte die beiden Erfahrungen nicht miteinander in Verbindung bringen. Durch reine Willenskraft konnte ich immerhin verhindern, dass ich völlig verklemmt werde wie du bestimmt bemerkt hast.«
Jetzt lächelte Ashe; Rhapsody streichelte sein Gesicht, und ihre Finger waren vom warmen Wasser schon ganz schrumpelig. »Nur wenige Dinge erinnern mich noch an jene Zeit. Die Wahrheit ist, dass mich eigentlich nichts von dem stört, was du mit mir machen. möchtest, solange du mich nur in den Armen hältst oder zumindest ganz in meiner Nähe bist. Vermutlich ist es überaus komisch, dass ausgerechnet jemand wie ich in sexuellen Dingen so altmodisch eingestellt ist, aber ich kann es nicht ändern. Ich bin bereit, für dich jedes Zaubermittel auszuprobieren, mich jeder erdenklichen Phantasie auszuliefern und alles zu tun, was dir gefällt, aber nur, weil es für mich eine Art ist, meiner Liebe zu dir Ausdruck zu verleihen. Und es ist mein freier Wille, mich dir hinzugeben. Ich bin niemandes Spielzeug mehr.«
Er blickte in ihre smaragdgrünen Augen, und es war, als könnte er direkt in ihre Seele schauen. Die Ehrlichkeit ihres Herzens und ihrer Worte ließ ihn erzittern.
»Rhapsody, falls es dich an irgendetwas Unangenehmes erinnert, wenn wir miteinander schlafen ...«
»Sag das nicht«, unterbrach sie ihn schnell. »So habe ich das überhaupt nicht gemeint. Ich schlafe gern mit dir, sehr gern sogar; so gern, dass ich, als du sagtest, du wolltest lieber lesen, dachte ... na ja, ist ja egal, was ich dachte. Ich möchte nur, dass du mich festhältst, du selbst, nicht irgendeine körperlose Kraft. Es gibt eine Art Vereinigung, die nicht möglich ist, wenn ein Partner sich auf der anderen Seite des Zimmers aufhält. Außerdem habe ich dann keine Möglichkeit, mich zu revanchieren.« Ihre Worte trieben ihm die Röte ins Gesicht, und er umklammerte den Rand der Wanne, weil er sich so anstrengen musste, sein Versprechen zu halten.
Rhapsody lachte, als sie sah, wie seine Fingerknöchel weiß wurden. »Ich bewundere deine Zurückhaltung«, sagte sie, beugte sich vor, und während sie das Band an seinem Bademantel löste, gab sie ihm einen warmen, feuchten Kuss. »Nimm das als Aufforderung«, sagte sie, während ihre Augen schalkhaft blitzten, und sie rutschte auf die Seite, um ihm Platz zu machen.
Ashe ließ den Bademantel auf den Boden fallen und stieg zu ihr ins Wasser. Dort kniete er sich hin, beugte sich über Rhapsody und küsste sie zärtlich.
Sie erwiderte den Kuss ebenso zärtlich, streichelte mit den Händen über seine Arme und fühlte, wie stark sie waren. Dann flogen ihre Finger über die angespannten Muskeln seines Rückens. Ihre Zunge erforschte seinen Mund, sie schlang die Arme um ihn und wollte ihn zu sich herabziehen, aber er hielt sich am Wannenrand fest und hob sie ein Stück aus dem Wasser, sodass ihr Oberkörper und ihr Rücken plötzlich die kühlere Luft zu spüren bekamen. Er lachte über ihr verblüfftes Gesicht.
»Angeber«, schimpfte sie. »Na schön, wie du willst. Dann bleib da draußen und friere, obwohl es hier im Wasser wunderschön warm ist.«
»Ich genieße nur den angenehmen Effekt, den die frische Luft auf dich ausübt«, entgegnete er mit einem schelmischen Grinsen und einem viel sagenden Blick auf ihre Brüste. Als er sah, wie sie errötete, musste er wieder lachen.
»Rhapsody, du wirst ja ganz rot!«
»Verrat es nur niemandem, sonst machst du noch meinen Ruf kaputt«, erwiderte sie ebenfalls lachend. Dann zerrte sie wieder ungeduldig an ihm.
Ashes Lippen glitten über ihre Wange, bis sie direkt über ihrem Ohr lagen.
»Dein Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben«, flüsterte er. Dann ließ er den Wannenrand los. Rhapsody stieß einen kleinen Schrei aus, als sie zusammen abrutschten, aber das Wasser fing sie auf wie ein Kissen, und aus dem Schrei wurde ein Lachen. Ashe spürte, wie die Temperatur unter Wasser anstieg, bis er ganz von wohliger Wärme umgeben war. Ein seidiges Bein strich über die Rückseite seines Oberschenkels und schlang sich mit einer sinnlichen Bewegung um ihn, sodass auch er schauderte. Trotz des warmen Wassers fröstelte Ashe; Wellen stiegen vom Grund der Wanne empor, wirbelten um Rhapsody herum und stiegen nahe den Schultern und Zehen sprudelnd an die Oberfläche. Ashes Hände folgten dem Rhythmus der Wellen und glitten geschmeidig über ihren Körper, vom Rücken nach oben, bis sie ihre Taille umfassten. Sie passte sich seinen Bewegungen an und ließ die Hände seinen Rücken hinaufwandern, über seine breiten Schultern und seinen starken Hals, über sein Gesicht.
Ashe sah ihr tief in die Augen und gab ihr wortlos zu verstehen, wie tief seine Liebe zu ihr war, die er jetzt mit einer Leidenschaft in sich aufsteigen fühlte, dass er sie kaum noch zügeln konnte. Dann schlössen sich seine Lider, und seine Lippen suchten ihre und pressten sich so heftig auf sie, dass Rhapsody unter ihm erzitterte.
Ihr Kuss wurde tiefer, während seine Hände dem Zittern ihres Körpers folgten und ihre weiche Haut genossen. Mit Handflächen und Fingerspitzen nahm er ihre Lust in sich auf, bis auch er am ganzen Körper zitterte. Eine Hand schlüpfte um ihren Rücken und zog sie fest an sich, während die andere den Umrissen ihrer Brust folgte, über ihre Rippen und ihre Taille wanderte, die Rundung ihrer Hüfte und ihres Oberschenkels nachvollzog und dort sanft nach innen glitt. Das Wasser wallte auf, von ihren Zehen zum Knie, und begegnete seiner Hand, die sich zu den immer empfindlicheren Bereichen ihres Körpers vortastete. Ihre Lippen trennten sich, und Rhapsody stöhnte unter seiner Berührung und dem rhythmische Pulsieren des Wassers auf; ihr Rücken wölbte sich, als ihre Hände wieder seine Schultern umfassten. Ashes Mund drückte sich in ihre Halsbeuge und liebkoste die Stelle, die er schon bei ihrer ersten Begegnung begehrt hatte, und von dort den Hals hinauf, bis seine Lippen ihr Ohr berührten. In der alten Sprache flüsterte er ihr seine tiefsten Gefühle ins Ohr, während seine Hände sich ihrem Vergnügen widmeten, sodass sich fleischliche Lust mit dem Ausdruck leidenschaftlicher Liebe vermengte, deren Tiefe er nicht ermessen konnte. Seine eigene Erregung wuchs, während er zusah, wie sich ein Strahlen auf ihrem Gesicht ausbreitete.
»Ich liebe dich«, flüsterte er.
Zwischen stoßweisen Atemzügen kam von ihr das Echo seiner Worte, und ihr Atem wurde flacher, während seine Hände ihre Bewegungen verstärkten und die Intensität seiner Berührung im Gleichklang mit ihrem Verlangen zunahm. Wieder kehrten seine Lippen in ihre Halsbeuge zurück und wanderten dann weiter nach unten, um liebevoll ihre Brüste zu küssen, die aus dem Wasser hervorlugten, warm vor Sehnsucht und Erregung. Winzige Strudel blieben zurück und kitzelten an den Stellen, wo seine Lippen gerade gewesen waren, während Ashe immer tiefer glitt und jetzt ihren schlanken Bauch mit Küssen bedeckte. Sein Kopf verschwand unter den Wellen, die Rhapsodys zitternder Körper in der Wanne hervorrief, bewegte sich hinunter zu ihren Oberschenkeln und tauchte zwischen sie. Die leisen musikalischen Geräusche, die Rhapsody von sich gab, verwandelten sich in ein Wimmern, das Wasser wurde wärmer, fast unerträglich heiß. Mit geschlossenen Augen packte sie den Wannenrand und wartete, dass Ashe nach oben kommen und Atem holen würde, aber er blieb, wo er war, bis sie vor Lust aufschrie und unter seinen Liebkosungen hemmungslos erbebte.
Warme, friedvolle Empfindungen breiteten sich in ihrem Körper aus, während sein Kopf auf ihrem Bauch ruhte und sie träge die Hände durch sein Haar gleiten ließ. Ihre Augen blieben geschlossen, als er sich langsam aufrichtete und sich wieder über sie beugte, aber sie spürte die Wärme seines Lächelns auch so.
Schließlich pressten sich seine Lippen in einem letzten liebevollen Kuss auf ihre, und sie öffnete die Augen. Auf seinem Gesicht lag ein fragendes Lächeln; seine Augen mit den seltsamen vertikalen Schlitzen schimmerten auf eine Art, die sie immer mehr liebte. Sie erwiderte das Lächeln, während er ihr langsam übers Haar strich, das kaum feucht geworden war. Dann glitt seine Hand auf ihren Rücken, zog sie an sich. Sie kuschelte sich an seine Brust und seufzte, wohlig und zufrieden.
»Na, hattest du eher etwas Derartiges im Sinn?«, fragte er.
Als Antwort zog Rhapsody ihn unversehens wieder auf sich, denn sie wusste, dass seine Bedürfnisse noch nicht gestillt waren.
»Eigentlich nicht«, antwortete sie, mit vor Schalk blitzenden Augen. »Aber wenn du möchtest, zeige ich dir gern, was ich gemeint habe.«
Damit spreizte sie die Beine, schlang sie um ihren Geliebten, und Ashe stieß ein tiefes, lustvolles Stöhnen aus. Wie jedes Mal staunte er auch jetzt über das Verlangen, das sie in ihm hervorrief, und über die Sehnsucht, die er empfand, wenn sie ihn berührte. Er schloss die Augen und begann erneut zu zittern, während sie ihn in sich aufnahm; als ihre Wärme ihn umschloss, klammerte er sich an sie und flehte sie leise an, ihn nicht zu schnell in die selige Vergessenheit stürzen zu lassen, die ihn zu überwältigen drohte. Ihre Antwort war zärtlich und beschwichtigend, aber gleichzeitig trieb sie seine Erregung in ungeahnte Höhen, beteuerte ihm, wie sehr sie ihn liebte, und bewies es ihm mit ihrem Körper. Ashe spürte, wie ihr Feuer ihn erfüllte, angefangen dort, wo sie körperlich vereint waren, bis hinein in die tiefsten Winkel seiner Seele.
Für einen kurzen Moment verschwanden sie unter der Wasseroberfläche, wo Ashe sich auf eine ihr unbegreifliche Art und Weise umdrehte, sodass sie, als sie wieder nach oben kamen, rittlings auf ihm kauerte. Das Band in ihrem Haar war längst fort, und ihre Locken flössen in einem goldenen Wasserfall um ihre Schultern. Ihr Anblick erinnerte ihn an die Legenden, die er vor langer Zeit gehört hatte, als er mit den Meeresmagiern zur See gefahren war, von Meerjungfrauen, von Nixen und Seenymphen, deren Lieder einem Mann für immer sein Herz rauben konnten. Einen Augenblick fragte er sich, ob sie nicht eine von ihnen war. Hingerissen betrachtete Ashe ihr Gesicht, auf dem sich ihre Empfindungen offen zeigten und sich veränderten wie ein Kaleidoskop, während ihr Genuss immer größer wurde und ihre Schönheit in etwas Unbeschreibliches verwandelte. Sie war völlig versunken in die Freude darüber, dass ein Mann sie so liebte, und Ashe konnte deutlich und ohne jeden Zweifel erkennen, was ihr das bedeutete. Seine Dankbarkeit war grenzenlos. Mit jeder Liebkosung, jeder Bewegung, jeder Welle fühlte Rhapsody, wie sie miteinander auf eine zweifache Ekstase zusteuerten, eine Ekstase, die ihre körperlichen Bedürfnisse zutiefst befriedigen und auf noch grundlegendere Weise ihre verwundeten Seelen mit dem heilenden Balsam vertrauensvoller Liebe füllen würde, an die keiner von ihnen mehr geglaubt hatte. Das Schwindel erregende, tollkühne Gefühl, das Rhapsody in den frühen, noch der gegenseitigen Erforschung gewidmeten Momenten ihrer Liebe verspürt hatte, der ständige, quälende Gedanke daran, wie weit sie sich schon eingelassen hatte all das war unwichtig geworden. Nicht einmal das Bewusstsein, dass ihre Beziehung vielleicht nur kurzfristig war, nicht einmal die Gefahr dessen, was kommen mochte, oder die fehlenden Zukunftsaussichten dämpften jetzt noch das Glück, das sie gemeinsam entdeckten, Stück um Stück.
Und in diesem Augenblick, als er sie mit seinem Körper, seiner Seele und seinen Worten liebte, hier im Wasser, verlor Rhapsody für immer ihre Furcht vor dem Teil seiner Natur, der ihr fremd war, dem sonderbaren Drachenerbe und der Macht, die es über die Elemente ausübte. Es war nur ein weiterer Teil von ihm, der zusammen mit allem übrigen ihre Wertschätzung verdiente. Der Drache in ihm war nicht anders als die Musik in ihr; etwas Kraftvolles, das ihn aus der Menge hervorhob. Und während sie den Mann, den sie liebte, zu befriedigen suchte, wollte sie auch diesen Teil in ihm glücklich machen. Sie nahm seine Hände und führte sie durch ihr Haar, denn sie wusste, wie das den Drachen erregte, zog sie weiter über ihren Körper, ließ sich von ihm umschließen und gab sich ganz seiner Umarmung hin. Ashe begann wieder heftig zu zittern; jetzt wusste sie, dass sie beide Teile seiner Natur erreichte, und dieses Wissen mischte sich mit der süßen Erregung, die er in ihr weckte, sodass sie gemeinsam auf einen Höhepunkt zutrieben, der sie beide zu verzehren drohte.
Wieder schloss Rhapsody die Augen; um sie herum brodelte das Wasser und massierte ihren Rücken. Sie spürte eine prickelnde Wärme, die in ihren Fingern und Zehen begann, um von dort nach innen zu ziehen und ständig zuzunehmen; wenn diese Wärme ihre Mitte erreichte, würde es eine Explosion geben. So klammerte sie sich an Ashe, der selbst darum kämpfte, den Augenblick zu beherrschen ein Kampf, den er längst verloren hatte. Sie schlug die Augen wieder auf und betrachtete sein Gesicht. Es war hingerissen, aber immer noch darauf bedacht, die Kontrolle zu wahren.
»Du nimmst dich zurück«, schalt sie ihn sanft zwischen zwei Atemzügen. »Lass dich gehen.«
Seine Augen schlössen sich, und er schüttelte leicht den Kopf. Inzwischen war Rhapsody an der Grenze eines Reichs angekommen, das sie nicht allein betreten wollte. Sie verlangsamte die köstlich erregenden Bewegungen ein wenig, und Ashes Hände umfassten ihre Taille fester. »Bitte«, flüsterte sie. »Ich möchte nicht ohne dich kommen. Lass los.«
Er tat es. Die Wellen brodelten mit der Heftigkeit eines brausenden Flusses, Stromschnellen stürzten übereinander, während der Rhythmus ihrer Bewegungen sich immer mehr beschleunigte. Das Wasser schäumte unter der Kraft ihrer Leidenschaft, schwappte über den Rand der Wanne und überflutete den Boden. Die Strömungen in der Wanne reagierten auf seine Verzückung, und das Wasser schlug über Rhapsody zusammen wie Wellen an einer Felsküste. Sogar die Luft in Elysian nahm ein elektrisches Summen an, und ganz von fern bemerkte Rhapsody, dass die Musik des Wasserfalls einem donnernden Rauschen gewichen war. Im Nebenzimmer loderte das Feuer im Kamin hoch auf.
Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie einander so genossen, aber es schien fast lange genug zu sein, um den Kummer eines ganzen Lebens auszulöschen. Endlich verschmolzen Feuer und Wasser in Ekstase, und sie schrien beide auf, als die Wellen über ihnen zusammenschlugen und sie schäumend bedeckten.
Einen Moment später kam Rhapsody wieder an die Oberfläche und legte den Kopf an Ashes Brust, die nun ebenfalls aus dem Wasser auftauchte. Sie rang nach Atem und streichelte seine Schultern, während er sie fest in den Armen hielt. Das noch immer warme, aber jetzt still gewordene Wasser hatte den ganzen Fußboden überschwemmt, und in ihrer glückseligen Benommenheit war Rhapsody froh über die Marmorfliesen.
Lange lagen sie stumm in der Wanne, bis irgendwann das Wasser abkühlte. Ashe küsste Rhapsody auf die Stirn und blickte auf sie hinab, das Herz in seinen Augen.
»Ist alles in Ordnung? Du hast kein Wasser eingeatmet, oder?«
Mit einem langen Seufzer wandte sie sich ihm zu und sah ihn lächelnd an. Wie auf dem Wasser schimmerndes Sternenlicht glänzten ihre Augen. Ashes Kehle war wie zugeschnürt.
»Amariel«, sagte er leise zu ihr, in der Sprache ihrer Kindheit. »Merei Aria. Evet hira, Rhapsody.« Stern des Meeres; ich habe meinen Leitstern gefunden. Du bist es, Rhapsody. Ihre Augen blitzten, seine Wortwahl war makellos.
»Wie romantisch.«
Er lächelte. »Ich denke, du hast mich so romantisch gemacht. Welch eine Heldentat.«
Jetzt lachte Rhapsody und richtete sich auf, um ihn zu küssen. »Ein romantischer Drache. Ist das nicht ein Widerspruch in sich?«
»Doch.« Sein Gesicht begann zu strahlen. »Liebst du mich trotzdem?«
Sie sah ihn ernsthaft an und griff auf ihre Fähigkeit als Benennerin zurück, um die reine Wahrheit auszusprechen. »Immer.«
Er zog sie an sich und küsste sie auf den Kopf. »Aria«, flüsterte er abermals. Und von diesem Augenblick an wurde Aria sein spezieller Name für sie, der Name, den er in ihren intimsten Augenblicken aussprach, als Ausdruck einer Liebe, die keine andere Sprache, kein anderes Symbol angemessen ausdrücken konnte.
Ungeduldig wartete Grunthor in der Nachmittagssonne am Rand von Kraldurges Wächterfelsen und lauschte auf das Heulen des Windes in den spitzen Steinformationen. Er war gekommen, weil Rhapsody ihn gerufen hatte; jetzt wurde er jeden Moment hektischer und fragte sich, wo sie blieb. Die Nachricht, die sie ihm auf dem Wind hatte zukommen lassen, hatte keine Spur von Furcht oder Panik enthalten, es war nur eine schlichte Bitte, sich mit ihr auf der Wiese oberhalb von Elysian zu treffen.
Endlich sah er sie aus dem Schatten treten, trotz der brütenden Sommerhitze in ihren üblichen Umhang gehüllt.
»Wurde auch langsam Zeit, Gräfin«, brummte er, als sie näher kam. »Noch ein Tag länger, und ich war mit meinem Eliteregiment angerückt.« Damit schloss er sie stürmisch in die Arme und drückte sie an sich, während Angst und Ärger versickerten wie Wasser in Kies. »Geht’s dir gut?«
»O ja«, antwortete Rhapsody und lachte, als der Riese sie wieder absetzte. »Eigentlich geht’s mir sogar besser als gut.«
Argwöhnisch beäugte Grunthor sie. »Und woher kommt das?«, wollte er wissen. Ihr strahlendes Gesicht und das glänzende Haar, das nicht länger von ihrem allgegenwärtigen schwarzen Band zusammengehalten wurde, sprachen Bände. Doch ehe sie antworten konnte, hielt er seine großen Pranken abwehrend in die Höhe. »Ach, ist ja egal. Sag es mir lieber nicht, Gnädigste.«
Das Strahlen in ihrem Gesicht verblasste ein wenig. »Warum?«
»Tu’s einfach nicht, bitte«, erwiderte der Sergeant schlicht. Dann seufzte er tief. Ihre Antwort war ihm auch so klar genug. Was er am meisten gefürchtet hatte, war eingetreten: Ein Drache hatte sie als seinen Schatz auserkoren, wenn auch nicht derjenige, von dem er es vermutete hatte.
Er dachte daran, wie Achmed reagieren würde, und erschauderte bei der Vorstellung. Schnell wandte er den Blick von ihrem Gesicht ab, das jetzt einen fragenden Ausdruck angenommen hatte, und sah hinüber zu den sonnenbeschienenen Klippen der Zahnfelsen. »Du steckst also nicht in irgendwelchen Schwierigkeiten und brauchst Hilfe, oder?«, fragte er schließlich.
»Nein, natürlich nicht«, antwortete Rhapsody leicht verunsichert. »Wäre das der Fall gewesen, hätte ich euch sofort gerufen.« Sie versuchte, den Kloß in ihrem Hals hinunterzuschlucken, der sich bei Grunthors abwehrender Begrüßung gebildet hatte, streckte die Hände aus und drehte sein breites Gesicht sanft in ihre Richtung. Als die bernsteinfarbenen Augen den ihren begegneten, sah sie eine große Traurigkeit in ihnen, ansonsten aber hatte sich Grunthor hinter seiner üblichen unbekümmerten Maske versteckt.
»Ich dachte, du möchtest, dass ich glücklich bin, Grunthor«, sagte sie leise.
Nachdenklich blickte Grunthor auf sie herab. »Tu ich auch, Fräuleinchen. Mehr als alles andere.«
»Kannst du dich dann nicht einfach für mich freuen?«
Wieder wandte der Riese sich ab und starrte auf die Bergspitzen. Früher einmal hatten sie als unüberwindbar gegolten, doch jetzt bestiegen die Bolg regelmäßig die Pässe, hielten die alten Belüftungssysteme in Ordnung und bauten die cymrische Sternwarte wieder auf. Alles, was ihnen einst so weit entfernt vorgekommen war, befand sich jetzt in Reichweite. Die Ironie hinterließ einen bitteren Geschmack in seinem Mund.
»Ich werd mein Bestes tun, Euer Liebden«, meinte er endlich. »Wenn das alles ist, dann muss ich mich jetzt wieder auf den Weg machen. Ich bin auf Erkundungsgang in die Reiche der Tiefe. Falls du mich brauchst in vierzehn Tagen oder so bin ich wieder da.«
»Warte«, sagte Rhapsody und holte ein zusammengefaltetes Stück Pergament aus ihrem Umhang hervor und reichte es Grunthor. »Du könntest etwas für mich tun, wenn du dazu bereit wärst. Das ist für Jo. Ich wollte ihr erklären nun, ich wollte ihr sagen, was passiert ist und wie es dazu kam, damit sie Zeit hat, sich ein bisschen an die Situation zu gewöhnen.« Sie wischte sich einen Schweißtropfen von der Stirn. »Jo hat Jo empfindet eine gewisse Zuneigung für Ashe, und ich möchte sie nicht verletzen«, fügte sie unbeholfen hinzu. »Kannst du bitte dafür sorgen, dass sie den Brief bekommt, Grunthor? Bevor du aufbrichst? Ich möchte ihr gern so viel Zeit wie möglich lassen.« Der riesenhafte Sergeant nickte und stopfte den Brief in sein Wams. »Und könntest du auch Achmed Bescheid sagen?«
Grunthor nickte auch hierzu mit unbewegter Miene. An ihrem leichten Ton und daran, dass sie Achmed als Letzten erwähnte, wurde deutlich, dass sie keine Ahnung hatte, wie schwer ihre Bitte zu erfüllen sein würde. Zum ersten Mal, seit Grunthor den Firbolg-König kannte, würde er um Worte verlegen sein. »Wann kommst du denn mal wieder vorbei?«, fragte er schließlich.
»Ich dachte, ich warte noch ein wenig, damit Jo sich nicht überrumpelt fühlt«, meinte sie.
»Ich werde versuchen, meinen Besuch auf deine Rückkehr abzustimmen. Dann möchte ich mich mit dir und Achmed zusammensetzen und mit euch beratschlagen, wie wir Jagd auf den Rakshas machen.«
Grunthor fuhr mit dem Finger in seinen Kragen. »In Ordnung, Fräuleinchen. Aber jetzt muss ich wirklich los.« Ungeschickt tätschelte er ihren Kopf mit seiner Riesenpranke und zog sie dann noch einmal an sich.
»Ist alles in Ordnung mit dir, Grunthor? Du siehst müde und verhärmt aus.«
»Ich schlafe nicht besonders gut«, antwortete der Riese. »Albträume, irgendwas kommt aus der Dunkelheit. Aber ich kann noch kein Gesicht erkennen. Jetzt kapiere ich allmählich, was du die ganze Zeit durchgemacht hast, Gnädigste.« Er seufzte tief und drückte sie noch einmal.
»Pass auf dich auf, ja? Und lass deinen nebligen Freund wissen: Wenn er sich nicht anständig benimmt, kriegt er’s mit mir zu tun.«
Rhapsody lächelte, an Grunthors Rüstung gepresst. »Ich werde es ihm ausrichten«, versprach sie, machte sich dann los und küsste den Riesen auf die Wange. »Sag auch den anderen liebe Grüße, vor allem meinen Enkelkindern.«
Grunthor drückte noch einmal ihre Schultern, dann wandte er sich um und verließ die windige Wiese, die jetzt in den hellen Farben wilder Stiefmütterchen leuchtete, die Rhapsody dort zum Ende des Winters gepflanzt hatte. Obgleich sie als Blumen des Mitleids galten, die oft Trauernden geschenkt oder auf Gräbern und Schlachtfeldern gepflanzt wurden, konnten sie die Herzen der beiden, die eben noch inmitten ihrer blühenden Pracht gestanden hatten, leider nur wenig erleichtern.
In der Mittsommernacht zeigte sich die Macht des Rings, den der Patriarch Rhapsody überantwortet hatte. Sowohl in Rhapsodys als auch in Ashes Tradition war diese Nacht von großer Bedeutung, und deshalb freuten sie sich, sie gemeinsam zu begehen. Sie hatten auf der Heide ein Lager aufgeschlagen, wo Ashe darauf wartete, die Riten seiner väterlichen Religion abzuhalten, während Rhapsody den Zeremonien huldigte, die den Lirin heilig waren. Danach lagen sie auf einem Fleckchen, das von Waldmeister überwuchert war, und beobachteten den Nachthimmel, wortlos, ihr Kopf auf seiner Schulter.
Ein Sternschnuppenregen zog über sie hinweg, und einen Augenblick später spürte Rhapsody, wie die Muskeln von Ashes Brustkorb unter ihr erstarrten. Rasch setzte sie sich auf und sah ihn an.
»Was ist los?«
Er starrte auf seine Hand, einen sonderbaren Ausdruck im Gesicht. »Faszinierend«, murmelte er nur.
»Was?«
»Nun, ich habe gerade an einen Gwadd-Chemiker gedacht, einen Apotheker namens Quigley aus der Ersten Generation, der in dem Ruf stand, das Geheimnis jedes medizinischen Tonikums und Tranks zu kennen, die je gemischt wurden. Hauptsächlich war es wohl deshalb so, weil er die meisten von ihnen selbst erfunden hatte. Ich kenne seine Vergangenheit und auch die Geschichte seiner Reise mit der Ersten Flotte Gwadd sind im Allgemeinen keine Seeleute, und die Fahrt war schrecklich unangenehm für ihn. Trotzdem entwickelte er unterwegs aus getrocknetem Seetang eine Kräutermedizin gegen Seekrankheit. Ich dachte, es wäre doch sicher faszinierend für dich, die Bekanntschaft dieses Mannes zu machen.«
Rhapsody nickte. »Dann ist mir eingefallen, dass ich keine Ahnung habe, woher ich das alles weiß.«
»Wie merkwürdig.«
»Ja, aber nicht so merkwürdig wie meine Gedanken über die Bergmesser. Sie sind eine Gruppe stämmiger, kräftiger Männer, Nain vermutlich, die mit ihren Messern so kunstfertig umgehen, dass sie ein ganzes Heer von Soldaten praktisch ausweiden können, ehe diese es richtig bemerken. Eine Legion ihrer Opfer ist noch eine Meile weitermarschiert, ehe sie buchstäblich auseinander fiel. Sie sind ein dickköpfiges, fröhliches Volk, und wenn sie einen Sieg errungen haben, dann feiern sie mit einem Kriegstanz und ohrenbetäubendem Geschrei, selbst wenn die Gefahr noch lange nicht vorüber ist. Sie stammen ebenfalls aus der Ersten Generation, und auch dies wusste ich bis eben noch nicht.«
»Und du glaubst, es hat etwas mit dem Ring zu tun?« Ihre Frage beantwortete sich einen Augenblick später von selbst, als der weiße Stein in der Mitte des Rings zu glühen anfing. Ein Lächeln breitete sich auf Ashes Gesicht aus.
»Ich weiß es, Rhapsody, es ist wie ein Wunder. Plötzlich kenne ich alle, die aus der Ersten Generation noch leben, ihren Aufenthaltsort, ihren Charakter, sogar das Maß an Loyalität, das sie der cymrischen Sache entgegenbringen. Ein paar wundervolle Menschen sind noch am Leben Sänger, Heiler, Adlige und Bauern, Priester und Piraten, und ich kenne sie alle. Ich frage mich, ob der Patriarch ebenfalls über dieses Wissen verfügte.«
»Das bezweifle ich«, meinte Rhapsody. »Er sagte zu mir, es sei ein Ring der Weisheit und gebe ihm das Wissen, aufgrund dessen er auch die Pflichten seines Amtes ausüben könne. Ich stelle mir vor, dass der Ring dir diese Dinge mitteilt, weil das Amt, das du innehaben wirst, das des cymrischen Königs sein wird, und nun liefert der Ring dir Informationen, die du in dieser Funktion brauchen wirst. Offensichtlich hält er dich für den besten Kandidaten.«
»Welch eine Enttäuschung.«
»Hör auf damit, du beleidigst meinen Lehnsherrn.« Sie beugte sich zu Ashe hinunter und küsste ihn. Dann fiel ihr etwas ein. »Was ist mit der Regentschaft? Gibt dir der Ring irgendwelche Hinweise darauf, wer ein guter Berater ist oder wer einen guten Vizekönig abgeben würde?«
Er nickte.
»Es ist, als könnte ich mir allein schon auf dieser Grundlage in Urteil bilden über ihren Wert, nicht als Menschen, sondern als Führungspersönlichkeiten.« Rhapsody zog die Knie an die Brust und wurde auf einmal ganz still. Ashe merkte es fragte: »Was hast du, Aria? Was ist los?«
»Nichts«, antwortete sie, den Blick zu Boden gesenkt. »Was ist mit den Kandidatinnen für das Amt der cymrischen Königin? Gibt es irgendeine Frau aus der Ersten Generation, die dafür in Frage kommt?«
Ashe blickte sie ernst an. »Nun, es gibt sogar mehrere.«
Mit einem kleinen Lächeln blickte Rhapsody zu ihm auf. »Das ist gut. Dann hast du eine Auswahl und findest bestimmt eine, mit der du glücklich wirst.«
»Nein, eine Auswahl gibt es eigentlich nicht«, entgegnete Ashe. »Eigentlich kommt nur eine Einzige in Betracht, eine Frau von einem Adelsstand, der unter den Cymrern unanfechtbar ist. Sie verfügt auch über Weisheit und hat Großes geleistet; sowohl die Cymrer als auch ich selbst wären glücklich, sie zur Herrscherin zu haben.«
»Nun, das klingt ja viel versprechend«, meinte Rhapsody, noch immer lächelnd. »Ich freue mich, dass du mit der Wahl deiner Frau glücklich werden wirst.«
»Zuerst einmal muss die cymrische Herrscherin nicht unbedingt meine Frau sein. Und obgleich es bestimmt sinnvoll wäre, wenn ich ihr einen Antrag machte, bedeutet das noch lange nicht, dass sie mich haben will. Vielleicht zögert sie genau genommen bin ich mir sogar sicher, dass sie zögern wird. Wenn sie gewollt hätte, hätte sie den Titel längst für sich allein beanspruchen können, denn sie verfügt bereits seit einiger Zeit über die dazu notwendige Macht.«
Rhapsody küsste ihn abermals. »Ich zweifle nicht daran, dass sie dich nehmen wird, Ashe. Du hast gesagt, sie ist weise. Eine Frau, die dich ablehnen würde, wäre töricht.«
»Hoffentlich hast du Recht.« Er spürte, wie sie neben ihm kühler wurde, als würde ihr inneres Feuer ein wenig herunterbrennen, und zog sie wieder in seine Arme. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Mir geht es gut«, antwortete sie kurz angebunden. »Aber mir ist kalt, wer hätte das gedacht, heute in der Mittsommernacht. Wollen wir vielleicht reingehen?«
»Aber natürlich«, sagte Ashe, stand auf und streckte ihr seine Hand hin. »In Elysian erwartet uns eine Feuerstelle, die in meinem Herzen immer einen ganz besonderen Platz einnehmen wird. Da diese Nacht dem Nachdenken und der Erinnerung gewidmet ist, lass uns doch zurückgehen und die erste Erinnerung, die wir dort erschaffen haben, noch einmal neu durchleben.«
Sie nickte und nahm seine Hand. Gemeinsam kehrten sie durch die Dunkelheit zurück unter die Erde, nach Elysian.