56

Ohne ein weiteres Wort hob Grunthor das Schlafende Kind vom Altar aus Lebendigem Gestein in die Arme und machte eine Kopfbewegung zu dem Gang, der nach Ylorc führte. Dann rannten er und Achmed auch schon den Korridor hinauf.

Als Grunthor sicher war, dass Rhapsody ihn noch beobachten konnte, wandte er sich zur Seitenwand, hielt den Körper des Mädchens vor sich und trat in die Erde hinein. Der Granit glühte einen Augenblick, dann kühlte er ab und formte eine Felsöffnung. Achmed folgte Grunthor in den Bunker, den der Riese geschaffen hatte. Er lehnte sich zurück, gab Rhapsody ein Zeichen, und als er sie nicken sah, trat er wieder in die Nische. Grunthor versetzte der Wand einen heftigen Schubs, und der Fels, der weggerutscht war, um den Bunker zu bilden, glitt zurück an Ort und Stelle, sodass er ihr Versteck versiegelte. Langsam drehte Rhapsody sich im Kreis, um noch einmal das Loritorium anzuschauen, wie es einst gewesen war. Die Pfützen mit den silbern schimmernden Erinnerungen funkelten wie Fackeln auf dem Boden und reflektierten das Licht der Flamme im Feuerbrunnen. Sie kämpfte gegen die Verzweiflung, die sie bei dem Gedanken überfiel, dass ein solch edler Traum, ein so verdienstvolles Vorhaben der Vernichtung anheim fallen sollte. Der Drang nach Gelehrsamkeit und die Suche nach Wissen starben auf dem Altar der Gier und des Machthungers.

Als sie sicher war, dass ihre Freunde und das Kind gut im Erdbunker aufgehoben waren und das Felssiegel sich an seinem Platz befand, zog sie die Tagessternfanfare und flüsterte dabei ein Gebet zu den unsichtbaren Sternen meilenweit über ihr, dass sie das Richtige tat. In der mit uraltem Wissen geschwängerten Luft loderte die Flamme hoch auf und schmetterte ihren Fanfarenton. Ein silberner Blitz durchzuckte Rhapsody und die Höhle um sie herum; einen Augenblick lang war sie sicher, dass die Großmutter den melodischen Klang gehört und neuen Mut geschöpft hatte. Rhapsody schloss die Augen und konzentrierte sich, rief sich eine andere alte Frau ins Gedächtnis, eine Kriegerin wie die Großmutter, die allein und ohne Anerkennung für sich eingestanden war und versucht hatte, die Welt vor den F’dor zu beschützen.

Ich lebe schon viel länger, als meine Zeit währen sollte, und warte darauf, dass mich endlich jemand als Wächterin ablöst. Jetzt, da ich jemanden gefunden habe, an den ich mein Verwalteramt weitergeben kann, werde ich endlich zur Ruhe kommen und mit denen wiedervereint sein, die ich liebe. Nicht nur in dieser Welt gibt es Unsterblichkeit, Rhapsody. Die Worte höchster Weisheit von den Lippen des Schlafenden Kindes.

Zünd es an.

Rhapsody kämpfte die Übelkeit nieder, die in ihr aufstieg. Es spielte keine Rolle, dass sie das tat, was die Großmutter ihr befohlen hatte, oder wie notwendig es sein mochte, was ihr bevorstand. Sie war dennoch diejenige, die der letzten Dhrakierin den Tod brachte. Sie würde die Großmutter bei lebendigem Leibe verbrennen. Und da war noch etwas anderes ... etwas, was mit Verbrennen zu tun hatte und irgendwo am Rande ihrer Erinnerung existierte. Doch sie kam nicht darauf es kam ihr so vor, als wäre es aus ihrem Gedächtnis getilgt worden. Rhapsody schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben und sich auf ihr Schwert zu konzentrieren.

Tief in ihrem Innern fühlte sie eine Macht aufsteigen, etwas, das von ihren Händen, welche die Tagessternfanfare umklammerten, ausging und ihren Geist stärkte. Der Zweifel und die Traurigkeit über den bevorstehenden Tod der Großmutter lösten sich auf wie Tau unter den Strahlen der Morgensonne. Sie und das Schwert waren eins.

Das bist du, Rhapsody; ich wusste es von dem Augenblick an, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Selbst wenn du nicht zu den Drei gehören würdest, glaube ich in meinem Herzen, dass du diejenige bist, die das vollbringen kann, die wahre Iliachenva’ar. Rhapsody starrte in die leuchtende Flamme des Feuerbrunnens und lauschte ihrem Lied. Einst war sie durch das Feuer im Herzen der Erde gegangen, dasselbe Feuer, das auch den Ursprung dieser Flamme bildete. Das Feuer hatte sie unversehrt gelassen, es war in ihre Seele eingedrungen, bis es zu einem Teil ihrer selbst geworden war.

Zu dem größten Teil.

Auch jetzt würde es ihr nichts antun. Es wartete nur auf ihren Befehl. Rhapsody richtete die Tagessternfanfare auf den Feuerbrunnen. In der flackernden Flamme konnte sie das Spiegelbild ihrer Augen erkennen, grün brennende Augen, die sich in die zahlreichen Farbschattierungen der Flammen einfügten.

Zünd es an.

»Vingka jai«, sagte sie mit dem tiefsten Wissen einer Benennerin. In ihrer Stimme schwang Autorität und füllte die Höhle des Loritoriums. Brenne und breite dich aus. Ein Feuerball erhob sich, und sie konnte kaum die Augen offen halten. Die züngelnden Flammen der Tagessternfanfare loderten auf in gerechtem Zorn, und vom Schwert zum Feuerbrunnen spannte sich ein funkelnder Feuerbogen. Als die Flamme des Schwerts mit dem Feuer der Erde zusammentraf, bildete sich ein Lichtstrahl, der heller war als alles, was Rhapsody bisher gesehen hatte, heller selbst als das Sternenfeuer bei Jos Begräbnis. Eine Mischung aus Feuer und Erde, aus dem Äther der Sterne und den reinsten Flammen des elementaren Feuers, so schoss der brennende Strahl aus dem Brunnen und entzündete die flüssige Zündschnur, die Achmed ausgelegt hatte, sodass eine wilde Flammenwand bis zum Deckengewölbe emporstieg. Dann fing das Lampenöl mit einem mächtigen Brüllen Feuer. Als der gigantische Feuerball durch den Tunnel und in die Ruinen der Kolonie schoss, erfüllte er den gesamten Raum, sandte flüssige Hitze und gleißendes Licht in jede Ritze, breitete sich aus, bis er auch die hintersten Winkel der Höhlen und Tunnel erreichte. Er brauste über Rhapsody hinweg und erfüllte sie mit elementarer Wärme und Freude. Sie vernahm das Lied des Feuers im Herzen der Erde, ein Lied, das sie in sich trug, seit sie es das erste Mal vernommen hatte. Ihr war, als würde sie abermals wiedergeboren, gereinigt von Schmerz und Kummer, die sie so lange mit sich herumgetragen hatte.

Aus dem Inneren der ehemaligen Kolonie drang ein scheußliches Kreischen und Brüllen, Schreie von dämonischer Kraft, die durch das Loritorium hallten und seine von Flammen versengten Wände zum Erbeben brachten. Rhapsody umfasste ihr Schwert fester und konzentrierte sich mit aller Kraft darauf, das Feuer durch die zerstörten Gänge zu leiten und sich vorzustellen, wie die verschlungene Ranke zu Asche verbrannte.

»Cerant ori sylviat«, befahl Rhapsody. Brenne, bis alles verzehrt ist. Die Heftigkeit der Flammen nahm in der Ferne noch zu und verstärkte das Ächzen der gigantischen Schlangenranke zu einem ohrenbetäubenden Heulen.

Mitten im Brausen des Feuers begann Rhapsody das Lirin-Lied des Übergangs zu singen, ein Klagelied für die Großmutter. Obgleich die Dhrakierin ihr ganzes Leben unter der Erde verbracht hatte, stammte sie auch von den Kith ab, dem Volk des Windes. Vielleicht würde der Wind ihre Asche erfassen und sie über die wilde Welt tanzen lassen, jenen Ort, den sie nie von oben gesehen hatte. Das Lied durchdrang das Getöse und mischte sich harmonisch in das Brausen der Flammen.

Und dann wurden die Flammen plötzlich schwach und verloschen; mit sich nahmen sie auch die letzten Reste von Luft aus der Höhle. Eine hohle Stille donnerte durch das Lorito rium und verklang schließlich zu einem gespenstischen Zischen. Rhapsody fiel auf die Knie und rang in dem leblosen Rauch nach Atem.

Wer heilt, wird auch töten.

Auf einmal überwältigte sie die volle Bedeutung dessen, was sie der Großmutter angetan hatte; sie fing an zu würgen und übergab sich.

Grunthor und Achmed hielten sich die Augen zu, legten die Arme schützend über den Kopf und stellten sich vor das Schlafende Kind, als der Rückschlag der Flammen den Tunnel entlang und an ihrem Bunker vorbeirollte. Selbst durch die Felswand hindurch spürten sie die sengende Hitze, und ihre Kleider wurden warm. Ihre Blicke trafen sich. Achmed lächelte ein wenig, als er in Grunthors Augen das Glimmen der Angst erkannte.

»Sie wird es überstehen.«

Grunthor nickte. Sie warteten, bis der Lärm nachließ, und lauschten.

»Noch ein bisschen«, meinte Achmed. »Gleich wird sie kommen.«

»Was macht dich da so sicher?«, wollte Grunthor wissen.

Achmed lehnte sich zurück an die Felswand. »Ich habe ihr ein paar von ihren Tricks abgeschaut. Glaub daran, dass das eintritt, was du dir wünschst, vertraue darauf, dass es so kommen wird, und irgendwie, wie durch ein Wunder, passiert es wenigstens bei ihr. Es hat funktioniert, als ich sie ins Leben zurückgesungen habe. Es wird auch jetzt klappen.«

Unsicher nickte Grunthor und wandte sich dem Erdenkind zu. Im Dunkeln lag das Mädchen in seinen Armen; zum ersten Mal seit langem schlief sie ganz ruhig und so tief, dass er kaum erkennen konnte, ob sie überhaupt noch atmete. Schweigend und fasziniert sah er den sanften Bewegungen zu, mit denen sich ihre Brust hob und senkte.

Einen flüchtigen Augenblick lang hatten sie sich einen Körper geteilt, das Erdenkind und er. Bei dieser Begegnung hatte er viele Geheimnisse der Erde erfahren, obgleich er keines davon hätte in Worte fassen können. Es war fast etwas Heiliges an dem Gefühl, das pochende Herz der Welt in sich gespürt zu haben, ein unübertreffliches Schwingen, das er jetzt, wo es nicht mehr da war, heftig vermisste.

Er starrte ins Gesicht des Erdenkindes, grob und ungeschlacht wie sein eigenes und dennoch seltsam glatt und schön, sichtbar für ihn auch ohne Licht. Er wusste, dass stumme Tränen in schlammigen Bächlein über ihre blanken Wangen rannen, wusste, dass sie um die Großmutter trauerte und hinter ihren Augen eine stille Totenwache abhielt. Jetzt verstand er, was die dhrakische Matriarchin gemeint hatte, als sie sagte, sie kenne das Herz des Kindes. Vielleicht würde er es jetzt ebenfalls kennen.

Erst als Achmed unruhig wurde und sich enger an die Wand ihres Bunkers lehnte, dämmerte ihm, wie lange Rhapsody inzwischen schon weg war. Der König legte das Ohr an die Wand, dann trat er kopfschüttelnd wieder zurück.

»Hörst du irgendwas?«, erkundigte sich Grunthor hoffnungsvoll. Aber Achmed schüttelte nur abermals den Kopf.

»Kannst du sie durch die Erde fühlen?«

Grunthor überlegte einen Moment. »Nein. Alles ist durcheinander, wie unter Schock. Ich kann nichts erkennen.«

Zittrig stand Achmed auf. »Vielleicht kann ich ihren Herzschlag aus dem gleichen Grund nicht spüren.« Grunthors Augen waren plötzlich voller Besorgnis. »Wir geben ihr noch einen Moment, und wenn sie dann nicht auftaucht, gehen wir sie suchen«, setzte Achmed hinzu, lehnte sich an die Felswand und lauschte erneut, ob er von der anderen Seite etwas hören konnte. Nichts.

»Rhapsody!«, rief er, aber der Klang seiner Stimme kam zu ihm zurück, um einen Augenblick später von ihrem Erdbunker verschlungen zu werden. Er wandte sich an Grunthor, und seine dunklen Augen blitzten.

»Mach wieder auf«, befahl er schroff und deutete auf die Felswand. Behutsam bettete Grunthor das Erdenkind auf einen Arm und fasste mit der freien Hand in die Felswand hinein. Vor ihm brach ein großes Stück weg. Wie als Antwort hörte er Rhapsodys Stimme, die von der anderen Seite der Steinwand nach ihnen rief.

»Grunthor! Achmed! Alles in Ordnung mit euch da drinnen?«

Der Bolg-Riese griff noch tiefer in den Felsen und riss ihn von der Öffnung weg. Als er auf die andere Seite trat, erhellte ein müdes Lächeln sein Gesicht.

»Aber, aber, Hoheit, du hast dir ganz schön Zeit gelassen, stimmt’s? Wir ham uns Sorgen gemacht, und zwar nich zu knapp.«

Rhapsody erwiderte sein Lächeln und bot Achmed ihre Hand an, um ihn aus dem Bunker zu ziehen. »Du hast gut reden«, meinte sie zu Grunthor. »Eine halbe Ewigkeit dachte ich, du wärst noch in der Kolonie, begraben unter einem Schuttberg.« Ihr Lächeln verblasste, als sie sah, dass er das Schlafende Kind trug. »Ich muss gestehen, als ich sah, wie sie umherging, dachte ich, jetzt wäre alles vorbei. Wie hast du das angestellt? Bist du mit ihr verschmolzen, wie du es auch bei den Felsen machst?«

»Jawohl. Was glaubst du denn, was sie ist, wenn nich aus Stein?«, antwortete Grunthor schlicht. »Ich hab mir gedacht, dass ich sie kaum wohlbehalten aus dem ganzen Schutthaufen rausschleppen kann. Da war es so am einfachsten.«

Mit einer Handbewegung zum Eingang der Kolonie meinte Achmed: »Lasst uns jetzt gehen.«

In dem riesigen Tunnel herrschte Totenstille, abgesehen von einem gelegentlichen leisen Knallen oder Zischen von der Asche, welche die Wände und den Boden bedeckte. Um sie herum und über ihnen, wo die Ranke gewaltsam in die Höhle eingedrungen war, waren nur mehr verbrannte Wurzelstücke und die verschlungenen Überreste der Gänge zu erkennen, die sie in die Erde gegraben hatten.

Achmed beugte sich über die Trümmer des Bogens über dem Katafalk des Schlafenden Kindes und ließ seine empfindsamen Finger über die vertrauten Buchstaben gleiten, die dort eingemeißelt gewesen waren. Einst hatten sie eine Welt, die sie nie zu Gesicht bekommen würde, davor gewarnt, das hier ruhende Kind zu wecken. Nun lagen sie auf dem Boden verstreut, zerbrochen zu sinnlosem Kauderwelsch.

Rhapsody legte ihm die Hand auf die Schulter. »Alles in Ordnung?«

Achmed nickte abwesend. Irgendwo hier musste die Asche der Großmutter sein, für immer vermischt mit den Überresten der Dämonenranke, unzertrennlich wie das ineinander verflochtene Schicksal von Dhrakiern und F’dor. Es machte ihn traurig, wenn er daran dachte, dass das Ende der Zeit sie so vorfinden würde. Schließlich stand er auf, klopfte sich den Schmutz von den Händen und starrte in den gewundenen Tunnel hinauf, aus dem die Ranke gekommen war.

»Der Gang reicht bis ins Haus der Erinnerungen, mindestens sechshundert Meilen von hier«, meinte er, während er mit zusammengekniffenen Augen in die Finsternis spähte. »Das ist nicht gut. Die F’dor haben einen Zugang in den Berg, das macht uns verletzlich.«

»Aber nicht lange«, entgegnete Grunthor fröhlich. Er zog das Schlafende Kind enger an seine Brust, schloss die Augen und fühlte, wie nah das Lebensblut der Erde seinem Herzen war. Dann streckte er die Hand aus und legte sie an die Wand.

Rhapsody und Achmed sprangen zurück, als der Tunnel anschwoll und in sich zusammenstürzte, sodass sich der Spalt füllte, den die Ranke in die Erde gerissen hatte. Die Erde verlagerte ihre Masse und schloss den Zugang, durch den der F’dor in den Berg gedrungen war.

Rhapsody blickte nach oben. Trotz der mächtigen Verschiebungen war ihnen außer ein wenig Staub nichts auf den Kopf gefallen. Wieder sah sie Grunthor an. Er wirkte fast durchsichtig, und es ging das gleiche Strahlen von ihm aus, das die Erde erfüllt hatte, als sie an der Axis Mundi entlanggekrochen waren. Das Kind der Erde, dachte sie voller Zuneigung. Als das Strahlen nachließ, zog Grunthor die Hand zurück, wandte sich zu seinen Freunden um und lächelte.

»Alles wieder dicht.«

»Bis hinauf nach Navarne?«, fragte Achmed ungläubig.

»Jawohl.«

»Wie hast du das angestellt?«

Der Bolg Sergeant blickte auf das Kind in seinen Armen. »Hatte hier ein bisschen Hilfe, Herr.«

Nun, da die Höhle wieder sicher verschlossen war, kehrten sie ins Loritorium zurück. Rhapsody lächelte Grunthor zu und strich mit den Fingern zart über die Stirn des Mädchens. Das Erdenkind seufzte leise im Schlaf.

»Was wirst du jetzt mit ihr machen, Achmed?«

»Sie bewachen«, antwortete er.

»Natürlich. Ich hab mich nur gefragt, wo.«

Achmed blickte sich in den Ruinen des Loritoriums um, dessen kunstvolle Schnitzereien rissig und versengt waren, die schönen Fresken und Mosaiken rußgeschwärzt, die Pfützen mit den silbern schimmernden Erinnerungen ein für allemal verschwunden. »Hier«, antwortete er schließlich. »Zuerst habe ich gedacht, ich nehme sie mit in den Kessel, damit ich sie leichter im Auge behalten kann, aber das wäre wohl zu weit für sie. Das hier ist ein idealer Platz. Tief genug unter der Erde, dass die Bolg sie nicht stören. Sie kann auf dem Altar aus Lebendigem Gestein schlafen, dort schien sie ganz friedlich zu sein.«

Rhapsody nickte. »Vielleicht tröstet sie das.«

»Vielleicht. Allerdings müssen wir auch den Tunnel, den wir auf dem Weg hierher gegraben haben, wieder verschließen, und hier neue Sicherheitsvorkehrungen treffen. Im Brunnen gibt es noch genug Lampenöl, um einen Vulkan zu bauen, wenn wir wollen. Wenn Grunthor sich erholt hat, kann er einen Gang vom Loritorium zu meinen Gemächern graben. Sollte der F’dor jemals noch einen Versuch unternehmen, an sie heranzukommen, dann muss er sich mit mir persönlich anlegen. Zwar wird das Ganze ein technischer Albtraum, aber ich denke, dem sind wir gewachsen.«

Rhapsody nickte, als Grunthor das Kind behutsam auf den Altar legte. »Er wird es garantiert noch mal versuchen, wisst ihr.«

»Natürlich. Aber ich denke, nicht noch einmal auf die gleiche Weise. Er sammelt ein Heer, um das Bolg-Land anzugreifen; mir ist zwar noch nicht ganz klar, was er im Einzelnen plant, aber ich bin sicher, dass er es tun wird. Deshalb war Ashe ja auch seine Zielperson in ihm fließen die cymrischen Linien zusammen, und er ist außerdem auch noch der Sohn des Fürbitters. Er hätte ohne weiteres den Thron von Roland für sich beanspruchen können. Wahrscheinlich hätte er Manosse und die neutralen Cymrer der frühen Generationen ebenfalls für sich gewinnen können, denn sie sind grundsätzlich loyal gegenüber den Vertretern der Seite, die sich gehalten hat wie beispielsweise Anborn.«

»Und vermutlich auch Tyrian«, fügte Rhapsody hinzu. »Seine Mutter war eine Lirin.« Auf einmal dachte sie an das, was Oelendra gesagt hatte, als sie zusammen am Feuer gesessen hatten. Wenn der F’dor in der Lage gewesen wäre, ihn an sich zu binden, den Drachen zu beherrschen ich schaudere bei dem Gedanken, wie er die Macht missbraucht hätte, um die Elemente selbst zu kontrollieren. »Die ganze Welt kann von Glück sagen, dass er stark genug war, um zu entkommen.«

Achmed starrte auf die Ruinen ringsum. »Das Heer, das Ashe um sich hätte scharen können, wäre vielleicht tatsächlich in der Lage gewesen, das zu tun, was Anwyn nicht zu tun vermochte den Berg einzunehmen. Er wäre ein idealer Wirt für den F’dor gewesen, aber er hat es geschafft zu entkommen und sich die letzten zwei Jahrzehnte im Verborgenen zu halten. Jetzt, da der F’dor weiß, dass Ashe am Leben ist, wird er zweifellos wieder nach ihm suchen.«

»Mit diesem Problem muss er jetzt aber selbst fertig werden«, meinte Rhapsody energisch.

»Wir haben ihm das Werkzeug geliefert, das er zum Überleben braucht. Seine Seele gehört ihm wieder, er ist ganz und leidet keine Schmerzen mehr. Wenn er muss, kann er sich noch eine Weile verstecken. Das hat er zwanzig Jahre lang getan. Er wird es schon schaffen.«

Ein spöttisches Lächeln spielte um Achmeds Mundwinkel. »Ich kann nicht sagen, wie gut es mir tut, dich so über ihn sprechen zu hören«, sagte er. »Bedeutet das, dein Techtelmechtel mit ihm ist überstanden?«

Rhapsody wandte den Blick ab. »Ja.«

»Was hast du jetzt vor?«

Sie stellte sich ein wenig aufrechter hin, und Achmed staunte, wie kampflustig ihr Gesicht und ihre Haltung auf einmal wirkten. »Zuerst einmal möchte ich mich um Ylorc kümmern. Ich werde dir und Grunthor helfen, das Loritorium auszuräumen, und dafür sorgen, dass das Erdenkind eine gemütliche Ruhestatt bekommt. Danach brauche ich einen Tag zum Trauern, ich will Klagelieder singen für alle, die wir verloren haben.« Achmed nickte und bemerkte, dass der feste Blick in ihren Augen nicht flackerte, als sie ihre Schwester und die Großmutter erwähnte. »Vorausgesetzt, ihr seid im Bolg-Land für eine Weile entbehrlich, könnte ich dann eure Hilfe brauchen, um die Kinder des F’dor aufzuspüren.«

»Nur wenn du planst, sie auszurotten«, erwiderte Achmed, und ein warnender Unterton schlich sich in seine Stimme. »Bei deiner Vorliebe für Kinder kann ich mir kaum vorstellen, dass du bei so einer Unternehmung Erfolg haben wirst, Rhapsody.«

»Ich habe nicht die Absicht, sie auszurotten, solange es nicht unbedingt notwendig ist. Aber dann würde ich es ohne Skrupel tun«, entgegnete sie. »Die Sache ist genauso wie bei Ashe. Es sind Leute mit menschlichen Seelen, Achmed, mit Dämonenblut in den Adern. Man kann ihnen helfen. Sie brauchen unsere Hilfe.«

»Woher willst du wissen, dass es nicht kleine dämonische Ungeheuer sind wie der Rakshas?«, fragte er leicht irritiert. Ihm gefiel die neue Wendung des Gesprächs nicht.

»Sie wurden von Menschenmüttern geboren, und Ashes Seele war im Rakshas gegenwärtig. Wenn ein Elternteil eine Seele hat, bekommt das Kind ebenfalls eine. Das sind keine Ungeheuer, Achmed, nicht mehr als die Bolg. Es sind Kinder, Kinder mit vergiftetem Blut. Wenn wir dieses Blut irgendwie isolieren können, dann können sie wenigstens hoffen, der ewigen Verdammnis zu entgehen.«

»Nein«, widersprach der König ärgerlich. »Das Risiko lohnt sich nicht. Jedes dieser Kinder könnte bereits an den F’dor gebunden sein. Wir wollen uns vom F’dor nicht die Bedingungen für unsere Auseinandersetzung diktieren lassen.«

Rhapsody lächelte kühl. »Genau. Deine Fähigkeit, Blut aus der alten Welt aufzuspüren, wird uns helfen, die Kinder zu finden, Achmed. Wenn dieser dämonische Teil ihres Blutes irgendwie entfernt werden kann, gebe ich ihn dir. Dann hast du das Blut des F’dor, eine Geruchsspur für die Jagd.« Sie blickte zu Grunthor hinüber, der das Gespräch aufmerksam verfolgte. »Vielleicht werden wir ihn endlich finden können. Er hat uns die Möglichkeit dazu verschafft.«

Blut wird das Mittel sein.

Der König und der Sergeant tauschten einen raschen Blick, dann sah Achmed wieder zu Rhapsody.

»In Ordnung«, meinte er. »Aber mach keinen Fehler, Rhapsody. Wenn ein Dämonenspross auch nur den Bruchteil einer Sekunde für irgendeinen von uns eine Gefahr darstellt, werde ich ihm die Kehle durchschneiden und ihn im Handumdrehen ins Reich seines Vaters in der Unterwelt zurückschicken. Darüber gibt es keine Diskussion. Bist du damit einverstanden?«

Rhapsody nickte. »Gut«, sagte sie.

Загрузка...