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Meridion lehnte sich mit einem Ruck auf seinem Stuhl zurück, und sein pulsierendes Energiefeld waberte rot und heiß vor Frustration. Seit Stunden schon hatte er es versucht; jetzt brannten ihm die Augen von der peniblen Kleinarbeit. In seinen Fingern waren tiefe Furchen eingegraben, weil er die Instrumente so fest umklammert hatte, aber es hatte nichts genützt. Er bekam einfach keinen anderen Traumfaden zu fassen.

Rhapsody war nutzlos für seine Zwecke geworden. Beim ersten Mal war es ein völliger Fehlschlag gewesen, inzwischen war es noch weniger aussichtsreich; in ihren Trauminhalten gab es keine Flexibilität mehr, seit sie endgültig mit Ashe verbunden war. Obwohl sie die Erinnerung an jene Nacht verloren hatte, hatte sie ihr Unterbewusstsein ganz den Gedanken an ihn überlassen. Meridions Versuche, einen Faden herauszulösen und irgendwo anzufügen, wo er ihn gerade brauchte, führten nur zu Schmerz und Verzweiflung; das war ihm mehr als deutlich geworden, als er mit angesehen hatte, wie Angst und Fieber ihre Träume in der Nacht heimgesucht hatten, nachdem sie und Ashe sich getrennt hatten. Verzweifelt warf er das dünne Spießchen auf den Boden.

Das Ende war nah. Und er hatte keine Möglichkeit, sie zu warnen. All seine Manipulationen an der Vergangenheit waren vergeblich gewesen, es würde doch auf das Gleiche hinauslaufen.

Meridion legte den Kopf auf das Armaturenbrett des Zeit-Editors und weinte. Unter seinem Gesicht befanden sich Fragmente der Zeit, Splitter und Fetzen Film, die von der Zerstörung des Originalstreifens der Vergangenheit übrig geblieben waren, die er hatte aufheben wollen. Niedergeschlagen wischte er sie beiseite. Einer blieb an seinem Pullover hängen.

Meridion wollte ihn abschütteln, aber das Stückchen Film klebte fest. Er hielt es an die Lichtquelle des Zeit-Editors .

Von dem Bild war nichts mehr da; der Zeit-Editor hatte so an ihm gezerrt, dass es unwiederbringlich verloren war. Auch der obere Rand mit der sensorischen Information war zerfetzt. Nur der untere Teil war noch intakt, das Stück, in dem der Klang der Vergangenheit steckte. Meridion hielt ihn an sein Ohr und lauschte.

Mit Müh und Not konnte er die trockene, insektenartige Stimme der Großmutter hören.

Die Erlösung der Welt ist keine Aufgabe für einen Einzelnen. Eine Welt, deren Schicksal in den Händen eines Einzelnen ruht, ist viel zu einfach, als dass es sich lohnte, sie zu retten. Meridion wog die Worte ab. Keine Aufgabe für einen Einzelnen. Nicht für einen Einzelnen.

Plötzlich durchfuhr ihn ein Gedanke, so heftig, dass ihm vor Aufregung heiß, schwach und schwindlig wurde.

Rasch warf Meridion den Zeit-Editor von neuem an. Dröhnend erwachte die Maschine zum Leben. Helles Licht blitzte über die Glaswände seines sphärischen Raumes, der über den verblassenden Sternen schwebte; die Hitze der brodelnden Meere hüllte die Oberfläche der Welt unter ihm in eine Nebeldecke.

Es gab einen anderen Weg, eine andere Verbindung, die mit dem Traumfaden hergestellt werden konnte. Ein Weg, der bereits markiert war, Gleichzeitigkeit, die bereits existierte. Ein Name, der bereits bekannt war.

Als die Maschine in Gang gekommen war, blickte Meridion wieder durch das Okular. Behutsam drehte er den Film um eine Nacht zurück und suchte unter der Linse eine andere Stelle der dunklen Berge, pechschwarz. Er brauchte eine Weile, um in dem sich zusammenbrauenden Sturm zu finden, was er suchte; im Wind der Zahnfelsen bildeten sich Kristalle bitterkalten Schnees.

Fast mühelos erwischte er den Traumfaden und verankerte ihn ebenfalls ohne Schwierigkeiten. Die Warnung war an Ort und Stelle platziert.

Jetzt war es nur eine Frage, ob sie sie beachteten.

Ein Sonnenstrahl, so golden wie Rhapsodys Haar, brach zwischen den morgendlichen Wolken hervor. Ashe trat in das Licht, und der Nebel seines Umhangs glitzerte in einer Million winziger Diamantentröpfchen, die schwer in der Winterluft hingen. Unter ihrer Kapuze lächelte Rhapsody. Es war ein wunderschöner Anblick, eine Erinnerung, an die sie sich in den kommenden traurigen Tagen klammern würde. Wie er im Sonnenlicht da stand, wirkte Ashe selbst unter seinem Umhang fast wie ein Gott, hier auf dem Kamm der ersten Hügelkette, unterwegs zu den höheren Gipfeln. Bald schon würden sich ihre Wege trennen, auf dem Pass, der ins Vorgebirge führte und dann würde er aus ihrem Leben verschwunden sein.

Ein Dröhnen hallte durch die Zahnfelsen und ließ sie erzittern. Es brach sich an den Gipfeln, hallte über das weite Marschland und erschreckte die Natur, die sich noch nicht gänzlich vor dem Winter verkrochen hatte. Der Lärm war unverkennbar.

»Grunthor!« Rhapsody wirbelte herum, und suchte nach dem Ursprung des Schreis, geblendet vom grellen Morgenlicht.

Ashe legte die Hände über die Augen und ließ den Blick über das Panorama der im hellen Sonnenschein liegenden Gipfel gleiten. Dann deutete er auf einen Pass auf den Wächtergipfeln, zu den Baracken der Bergwache.

»Dort«, sagte er.

Auch Rhapsody legte die Hand an die Stirn. Aus der Höhlentür, die in die Barackenhalle führte, quollen Gestalten hervor, wie Asche aus einem ausbrechenden Vulkan. Die Bolg-Soldaten beeilten sich, den Korridor zu evakuieren, und suchten Schutz hinter jedem Felsbrocken, der ihnen Deckung gewährte. Rhapsody schüttelte den Kopf.

»Bestimmt hat Grunthor mal wieder Albträume«, sagte sie, während sie zusah, wie die Bolg auseinander stoben.

Einen Augenblick später fand sie ihre Vermutung bestätigt. Eine wesentlich größere Gestalt, die vor den mächtigen Gipfeln dennoch geradezu zwergenhaft wirkte, trat aus der Öffnung. Selbst aus der Entfernung war ihr die Aufregung anzumerken.

Rhapsody wartete den nächsten Windstoß ab, von dem sie sicher sein konnte, dass er ihre Stimme zum obersten Gipfel hinauftragen würde. »Hier, Grunthor!«, rief sie dann in den Wind hinein. Einen Augenblick später hielt die Gestalt inne, spähte zu ihr herüber und begann dann wie wild zu winken. Rhapsody winkte zurück.

»Entschuldige«, sagte sie zu Ashe, der sich auf seinen Wanderstock stützte, das Gesicht wieder unter der Kapuze seines Nebelumhangs verborgen. »Ich muss zu Grunthor.« Sie strich mit der Hand über seinen Arm.

Ashe nickte. Falls er sich ärgerte, verbarg der Umhang jedes Anzeichen davon.

»Selbstverständlich«, antwortete er nur und verlagerte sein Gewicht. »Ich warte.«

Noch einmal berührte Rhapsody seinen Arm, dann rannte sie zu dem Felsvorsprung auf halbem Weg zum Gipfel. Unterwegs sah sie schon, wie sich die Soldaten, mit dem Rücken an die Felswand gepresst, verstohlen in den Barackengang zurückzogen, sobald sie Grunthor in sicherer Entfernung wussten.

»Bei allen Göttern, was ist denn los? Du siehst ja furchtbar aus.« Der Sergeant wirkte zerzaust, und seine Augen funkelten. »Wir müssen da runter, Gräfin. Sie braucht uns.« »Die Großmutter? Oder das Kind? Woher weißt du es?« Der FirbolgRiese beugte sich keuchend vor und legte die Hände auf die Knie. »Das Erdenkind. Ich weiß nich genau, woher ich das weiß, aber ich weiß es. Und so, wie’s ihr geht, kann ich es mehr als gut verstehn. Du musst noch mal für sie singen, Hoheit. Sie hat schrecklich Angst.«

»In Ordnung, Grunthor«, erwiderte Rhapsody beschwichtigend. »Ich komme mit dir. Ich muss mich nur zuerst noch von Ashe verabschieden, er verlässt uns nämlich.«

Grunthor betrachtete sie durchdringend. »Endgültig?«

»Ja.«

Der forschende Blick wurde weicher und voller Mitgefühl. »Alles in Ordnung, Gräfin?«

Rhapsody lächelte. Sie dachte daran, wie er diesen Ausdruck zum ersten Mal gebraucht hatte, das erste von vielen, vielen Malen. Es war im Tunnel an der Wurzel gewesen, als er sich vergewissert hatte, dass sie nicht in die endlose Finsternis gestürzt war. Jedes Mal hatte sie seine Frage, ob alles in Ordnung sei, bejaht, obwohl es nur teilweise stimmte ganz gleich, ob sie wieder in Sicherheit war oder nicht, es würde nie wieder ›alles in Ordnung‹ sein. Eine traurige Ironie des Schicksals, dass sie es ausgerechnet jetzt wieder hörte.

»Es wird schon wieder«, antwortete sie schlicht. »Weck Achmed und hol meine Rüstung. Ich treffe dich dann draußen auf der Heide.«

Grunthor nickte, klopfte ihr auf die Schulter und machte sich auf den Rückweg zum Kessel. Rhapsody blickte ihm nach und kehrte dann zu Ashe zurück.

Er stand noch da, wo sie ihn verlassen hatte, auf seinen Wanderstock gelehnt.

»Alles in Ordnung?«, fragte auch er.

Rhapsody legte die Hand über die Augen und blickte in die Dunkelheit seiner Kapuze empor. Der Anblick schnitt ihr ins Herz, aber sie schluckte den Schmerz hinunter und hoffte, dass er, wenn sie ihn das nächste Mal sah wahrscheinlich im Großen Gerichtshof, bei seiner Krönung endlich in der Lage sein würde, mit unverhülltem Gesicht, der Sonne zugewandt und vor den Augen aller Menschen furchtlos dahinzuschreiten.

»Mein jüngstes Enkelkind braucht meine Hilfe«, erklärte sie. »Ich werde mich um sie kümmern, sobald sich unsere Wege am Fuß des Vorgebirges trennen. Komm, lass uns aufbrechen.«

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