Kapitel Neunzehn

Durch unablässiges Umherstreifen machte Ingrey sich noch an diesem Tag mit jedem Winkel des Rossfluten-Anwesens vertraut Doch es kam wenig dabei heraus. Wenzel war erst vor wenigen Wochen hier eingetroffen, um dem Geheiligten König, dessen Krankheit sich verschlimmerte, zur Seite zu stehen; Fara war kurz darauf erschienen, trotz ihres verhängnisvollen Abstechers nach Burg Keilerkopf. Das Stadthaus wirkte beinahe leer, als würde das Paar nur kurz dort lagern und nicht wohnen. Hier gab es keine alten Geheimnisse auszugraben, auch wenn nur die fünf Götter wussten, was Ingrey auf Burg Rossfluten hätte finden können. Aber der Stammsitz des Grafen lag zweihundert Meilen entfernt am Mittellauf der Lure, und Ingrey bezweifelte, dass irgendwer dorthin reisen würde, ehe nicht alles längst vorüber war.

Wie versprochen — oder wie angedroht — führte Graf Rossfluten Ingrey später am Nachmittag zu seinen Stallungen, einem Steingebäude einige Straßen hügelab. Was die bedeutenden Familien an Reittieren besaßen, wurde zum großen Teil außerhalb der Stadtmauern gehalten, auf Weiden, die jenseits der Glaser und Färber am Storchenfluss lagen. Die Familie von Rossfluten bildete da keine Ausnahme, aber einige Pferde waren in der Nähe untergebracht für den Herrn und die Herrin, für Boten und Reitknechte, damit diese bei Bedarf andere Tiere herbeiholen konnten.

Wie es dem Rang des Grafen geziemte, waren die Stallungen edel ausgestattet: Der Mittelgang war mit farbigen Steinen ausgelegt, die Wände der Pferdestände bestanden aus polierter Eiche, und die Metallstangen waren mit ineinandergreifenden Bronzeblättern verziert. Ingrey war verwirrt, als er Ijadas auffällige Fuchsstute erkannte, die sich unruhig in einem schlichten Stand bewegte.

Ingrey verzichtete darauf, die Kruppe des Tieres zu tätscheln, aus Angst, einen Tritt abzubekommen. »Die hier kenne ich — ich habe bereits vermutet, dass es eine von Euren sein könnte.«

»Ja«, bestätigte Wenzel zerstreut. »Sie war viel zu temperamentvoll für Fara. Ich war froh, als ich jemand anderen fand, um sie zu reiten.«

Wenzel machte vor einem Stand auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges Halt und winkte Ingrey heran. Ein dunkelgrauer Wallach witterte in seine Richtung, schnaubte dann und scheute zurück, als Ingrey näher kam. »Er heißt Wolf«, erklärte Rossfluten in nüchternem Tonfall. »Wegen seiner Farbe. Doch nun möchte man beinahe an eine geheime Bestimmung glauben. Und wer bin ich schon, gegen eine Bestimmung anzukämpfen? Er gehört Euch.«

Der Wallach war ohne Zweifel ein schönes Tier, kräftig, wohl proportioniert, das gescheckte Fell von den Stallburschen des Grafen schimmernd gebürstet. Ingrey vermutete, dass das Tier zu einem rasanten Galopp fähig war. Doch was es sonst noch verborgen hielt — tödliche Bannflüche kamen ihm in den Sinn — konnte Ingrey nicht sagen. Hatte Wenzel eine Bestechung im Sinn? Möglicherweise. Nun, Ingrey konnte diesem geschenkten Gaul schwerlich ins Maul schauen, solange der Graf dabei zusah. »Ich danke Euch, Herr«, sagte er in ebenso ausdruckslosem Tonfall wie Rossfluten.

»Möchtet Ihr erproben, wozu er imstande ist?«

»Später vielleicht. Ich bin nicht zum Reiten gekleidet.« Und seit er in Birkenhain seinen Wolf erhalten hatte, waren fremde Reittiere in seiner Gegenwart stets erst mal unruhig. Er zog es vor, sich zunächst ungestört mit dem Pferd vertraut zu machen, und zwar in einem umfriedeten Gelände, wo man ein durchgegangenes Tier leichter wieder einfangen und besteigen konnte. Ausreiten wollte er mit einem Pferd erst dann, wenn man zu einem gegenseitigen Verständnis gelangt war oder wenn sie einander auf dem Übungsplatz zumindest weit genug erschöpft hatten, um ruhiger miteinander umzugehen. Dieses Exemplar hier konnte etwas schwerer zu ermüden sein.

»Oh. Wie schade.«

Zwei Stände weiter wurde Ingrey auf eine Bewegung aufmerksam, die gar nicht zu einem Pferd passen wollte. Mit einem Stirnrunzeln ging er durch den Stall und spähte hinein. Überrascht schnappte er nach Luft. Unvermittelt hob ein Hirsch sein geweihgekröntes Haupt aus dem Heu, von dem er äste. Das Tier schnaubte und tänzelte zur Seite. Es schlug zweimal mit dem Gehörn gegen die Bretter und löste verhaltene Unruhe unter den umstehenden Pferden aus.

»Ich glaube, Eure Gegenwart verstört ihn«, stellte Wenzel belustigt fest.

Nach einigen unentschlossenen Drehungen verharrte das wohlgebaute Tier am hinteren Ende des Verschlages, auch wenn es seinen Kopf nicht wieder zum Heu hinabbeugte. Die dunklen, feuchten Augen funkelten die Männer an. Ingrey kam zu dem Schluss, dass es schon seit geraumer Zeit in Gefangenschaft lebte: Frisch gefangene Hirsche konnten sich in ihrem wilden Fluchtinstinkt leicht selbst umbringen.

»Was habt Ihr damit vor?«, fragte Ingrey leichtherziger, als ihm zumute war. »Ein Abendessen? Ein Geschenk für die Schwiegereltern?« Und was für eine verwunschene Gabe konnte Wenzel wohl daraus machen?

Wenzel kräuselte ein wenig die Lippen, während er über Ingreys Schulter hinweg das aufgeregte Tier beobachtete. »Wenn man gegen so lange vorausplanende Gegner antritt wie ich, tut man gut daran, mehr als einen Plan in der Hinterhand zu haben. Aber vermutlich wird dieses Tier irgendwann einfach nur am Spieß enden. Nun kommt.«

Rossfluten blickte nicht zurück, als sie die Ställe verließen. Ingrey fragte: »Reitet Ihr heute noch oft zum Vergnügen aus? Wenn ich mich recht erinnere, wart Ihr seinerzeit von den Pferden Eures Vaters ziemlich angetan.« Genau genommen war das eines der wenigen Themen gewesen, über die sein begriffsstutziger Vetter überhaupt geredet hatte.

»War ich das?«, fragte Rossfluten abwesend. »Ich fürchte, heutzutage empfinde ich für Pferde so ziemlich dasselbe wie für Ehefrauen. Sie sterben viel zu schnell weg, und ich bin es müde geworden, mich damit zu befassen.«

Darauf fiel Ingrey keine Antwort ein. Schweigend folgte er ihm den Hügel empor.

Er dachte über den Plan hinter Wenzels Wahnsinn nach, oder womöglich war es auch umgekehrt. Wenzels Gründe für den mörderischen Anschlag gegen Ijada und der Leichtmut, mit dem er sich dann wieder anders entschieden hatte, waren eigentlich zu eigentümlich, um nur eine Lüge zu sein. Das bedeutete allerdings nicht, dass sie richtig waren. Dennoch mussten seine unberechenbaren Züge gegen die Götter in der Vergangenheit schon einen gewissen Erfolg gehabt haben. Wenn er Ijada als Köder der Götter bezeichnete, lag er damit sicher nicht ganz falsch. Diese Sorge allein war Grund genug, ihn rücksichtslos handeln zu lassen. Wenn seine Behauptung stimmte, hatte er diese Jagd schon vierhundert Jahre lang überstanden.

Die Götter täten besser daran, ihm an irgendeiner Engstelle aufzulauern und Wenzel auf dem Weg dorthin ungestört zappeln und schlagen zu lassen. Aber die seltsame Eindringlichkeit von Wenzels Begrüßung, als sie alle einander auf der Straße nach Ostheim begegnet waren, fand hier ihre Erklärung: Der Mann musste in fünf Richtungen gleichzeitig gedacht haben. Ja, doch das galt auch für seine Gegner.

Ingrey kam ein beunruhigender Gedanke: Womöglich war gar nicht Ijada der Köder bei dieser schicksalhaften Begegnung gewesen. Vielleicht war ich es.

Und Wenzel hat mich mit Haut und Haaren geschluckt.


Am nächsten Tag wurde Prinzessin Fara aufgerufen, vor dem Gericht, das mit der Untersuchung von Prinz Bolesos Tod betraut war, ihre Aussagen zu machen. Fara war im ersten Augenblick verärgert und empfand es als Kränkung, dass eine Tochter des Geheiligten Königs wie ein gewöhnlicher Untertan vor die Schranken des Gerichts zitiert wurde — Ingrey vermutete, dass es ihre geheimen Ängste waren, die sie hinter verletztem Stolz Zuflucht suchen ließen. Doch irgendein kluger Kopf, ohne Zweifel Hetwar, hatte Fürstmarschall Biast zum Überbringer der unwillkommenen Vorladung gemacht. Da Biast mehr an der Wahrheit interessiert war als daran, zweifelhafte Taten zu rechtfertigen, setzte sich seine ruhige Überzeugungskraft schließlich gegen den aufgeregten Widerspruch seiner Schwester durch.

Und so kam es, dass Ingrey schließlich die steile Anhöhe zur Tempelstadt emporschritt, als Teil einer Prozession, der auch der Fürstmarschall angehörte, dessen Bannerträger Symark, der den Zelter der Prinzessin am Zügel führte, Faras zwei Kammerfrauen, die auch auf Keilerkopf zugegen gewesen waren, und Faras Zwillingspagen. Auf dem zentralen Tempelplatz wurde Symark ausgesandt, um herauszufinden, wie man zu den Richtern gelangte. Fara entzog sich kurz dem Zugriff ihres Bruders, indem sie ihre Damen zu einem Gebet am Schrein der Mutter führte. Ob Fara dort die Göttin anrufen wollte, die ihre Gebete bisher so offensichtlich missachtet hatte, oder ob sie nur einen sicheren Vorwand suchte, um in relativer Abgeschiedenheit noch einige Minuten lang ihre Gedanken ordnen zu können, vermochte Ingrey nicht zu sagen.

Was immer der Grund war — jedenfalls stand Ingrey gerade mit Biast im Hof, als eine unerwartete Gestalt aus dem Schrein der Tochter zum Vorschein kam.

»Ingorry!«

Fürst Jokol winkte fröhlich und trat am Sockel mit dem heiligen Herdfeuer vorbei auf Ingrey zu. Der hünenhafte Inselbewohner wurde wie üblich vom treuen Ottovin begleitet, und Ingrey fragte sich, ob der junge Mann vielleicht im Auftrag seiner allem Vernehmen nach sehr beeindruckenden Schwester sicherstellen sollte, dass ihr Anverlobter in gutem Zustand von seinen Streifzügen zurückkehrte. Jokol trug wie früher schon die grellbunte Kleidung seiner Heimat, aber diesmal hatte er sich noch ein hellblau gefärbtes Leinenband um seinen dicken linken Oberarm geflochten, das Zeichen eines Bittgebetes an die Frühlingstochter.

»Jokol. Was führt Euch hierher?«

»Ach!« Der riesige Mann zuckte die Achseln. »Ich will immer noch den Geistlichen, den man mir versprochen hat. Aber sie vertrösten mich. Die einfältigen Schreiber erzählen mir ständig, ich soll weggehen und später zurückkommen. Aber heute rede ich mit ihrem Anführer, dem Erzprälaten.«

»Und Ihr habt um einen Termin gebeten?« Ingrey nickte in Richtung auf Jokols linkem Ärmel.

Jokol schlug mit der Rechten auf das blaue Band und lachte. »Das sollte ich vielleicht! Mich gleich an seine Vorgesetzten wenden.«

Ingrey hätte eigentlich angenommen, dass der Herbstsohn Jokols naturgemäßer Beschützer war, oder vielleicht, wenn man die jüngsten Ereignisse in Erwägung zog, der Bastard. Auch wenn es gewiss nicht die sicherste Sache war, zum Gott des Unglücks zu beten. »Die Frühlingsherrin ist doch gewiss nicht Eure übliche Schutzherrin?«

»Aber ja! Sie segnet mich sehr. Heute bete ich für Verse.«

»War nicht der Bastard der Gott der Dichtkunst?«

»Oh, der auch, ja, für Trinklieder und so was. Und für diese großartigen Lieder, wenn Mauern einstürzen und alles in Flammen aufgeht, o ja, die einem die Haare zu Berge stehen lassen. Die sind großartig!« Jokol schwenkte die Arme, um anzudeuten, welch schauerliche Tragödien würdig waren, in die epische Dichtkunst einzugehen. »Aber heute nicht. Heute möchte ich ein liebliches Lied für meine liebliche Breiga machen. Ich will sie wissen lassen, wie sehr ich sie in dieser Stadt aus Stein vermisse.«

Ottovin hinter ihm verdrehte die Augen. Ingrey hielt es für einen stillen Kommentar zum schwesterlichen Gegenstand des angekündigten Liedes, nicht zum Lied selbst. Er erinnerte sich, dass die Tochter nicht nur die Göttin der Jungfrauen war, sondern außerdem noch die Göttin jugendlichen Lerneifers, der bürgerlichen Ordnung und, ja, auch der lyrischen Dichtung.

Biast blickte zu Jokol auf und wirkte gegen seinen Willen beeindruckt. »Ist dies zufällig der Besitzer Eures Eisbären, Ingrey?«, fragte er.

Obwohl er nur zu gerne jede Verbindung zu dem Eisbären geleugnet hätte, jetzt und für alle Zeit, erinnerte diese Bemerkung Ingrey an seine gesellschaftlichen Pflichten. »Verzeiht mir, Hoheit. Wenn Ihr gestattet, möchte ich Euch Fürst Jokol von Arfrastpekka vorstellen und seinen Verwandten Ottovin. Jokol, dies hier ist Fürstmarschall Biast von Hirschendorn. Der Sohn des Geheiligten Königs«, fügte er noch hinzu für den Fall, dass Jokol einen einheimischen Führer durch den Sumpf der großen Politik von Ostheim benötigte.

Aber Jokol war weder unwissend noch übertrieben ehrfürchtig. Er schlug das heilige Zeichen und senkte das Haupt, und Biast erwiderte sowohl den Gruß wie auch den Segen, die selbstbewussten Oberhäupter zweier Völker, die weder voneinander abhängig noch miteinander verbündet waren, es in der Zukunft jedoch möglicherweise sein würden und diese Möglichkeit nicht vorschnell zunichte machen wollten.

Die vielversprechende gegenseitige Musterung der beiden Fürsten wurde von Symarks Rückkehr unterbrochen. Dieser umklammerte den Arm eines grau gewandeten Akolythen. Nachdem er sich so einen Führer durch das ausufernde Durcheinander an Gebäuden gesichert hatte, das den Tempelbezirk ausmachte, holte Biast seine Schwester vom Schrein der Mutter ab.

Jokol verstand die Andeutungen und verabschiedete sich von Ingrey. »Ich muss mir mehr Mühe geben bei diesem Erzprälaten. Das kann eine Weile dauern. Also sollte ich wohl besser anfangen, nicht?«

»Wartet«, sagte Ingrey. »Ich will Euch sagen, wen Ihr sprechen solltet. In einem Gebäude, zwei Straßen hinter dem Tempel, im ersten Stock … nein, ich habe eine bessere Idee.« Er lief über den Hof und fischte sich einen jungen Novizen im Weiß des Bastards aus dem unregelmäßigen Getröpfel von Leuten, die mit den verschiedensten Zielen den Innenhof überquerten. »Weißt du, wie man zur Schreibstube des Gelehrten Lewko kommt?«, wollte er wissen.

Der Junge nickte beunruhigt.

»Dann führe diesen Herrn zu ihm.« Er reichte den Novizen an den verwirrten Jokol weiter. »Sag Lewko, Lord Ingrey schickt ihm hier eine Schwierigkeit für seine Sammlung.«

»Wird dieser Lewko mir helfen, mit dem Erzprälaten zu reden?«, fragte Jokol hoffnungsvoll.

»Entweder das, oder er wendet sich gleich an Fritines Vorgesetzte. Droht ihm, dass Ihr ihm Fafa überlassen wollt; das wird ihn dazu bewegen, etwas für Euch zu tun.« Ingrey grinste. Für den Gott der üblen Scherze musste das beinahe ein Gebet sein, entschied er.

»Ist er ein Mächtiger hier im Tempel?«

Ingrey zuckte die Achseln. »Zumindest hat er die Macht eines Gottes hinter sich, der nicht lange auf einfältige Schreiber wartet.«

Jokol schürzte die Lippen; dann nickte er, und sein Gesicht hellte sich auf. »Sehr gut! Danke, Ingorry!« Er trottete hinter dem Jungen davon, gefolgt von dem unschlüssig wirkenden Ottovin.

Ingrey glaubte, ein Lachen im Ohr zu hören, aber Symark, der dastand und ein wenig verständnislos dreinschaute, war es nicht. Vielleicht nur ein Spiel der Akustik auf dem Hof. Ingrey schüttelte den Kopf, um störende Gedanken loszuwerden, und zwang sich dann zu einer Haltung ernster Aufmerksamkeit, als Biast mit den Damen zurückkehrte.

Nach einem raschen Blick über den Hof bedachte Biast Ingrey mit einem eigenartigen Blick, unsicher und prüfend zugleich. Es kam Ingrey in den Sinn, dass sämtliche anwesenden Personen zum letzten Mal vor zwei Tagen hier versammelt gewesen waren, zu Prinz Bolesos Bestattung. Grübelte Biast gerade darüber nach, ob er wirklich glauben sollte, dass dieser die Seele seines verstorbenen Bruders in einem Schamanenwunder geläutert hatte? Oder — ein beinahe noch verstörenderer Gedanke — wenn dieser Glaube vorhanden war, fragte er sich dann, was für weitere Folgen daraus erwachsen würden?

Auf jeden Fall führte sie der grau gewandete Akolyth um den Tempel herum und zwischen das Gewirr der unterschiedlichsten Gebäude, in denen die Skriptorien und die Arbeitsstätten sämtlicher religiöser Orden untergebracht waren. Einige der Bauten waren neu und ihrem Zweck entsprechend errichtet, aber die meisten waren alt und nur umgewidmet. Sie gingen zwischen zwei lauten und geschäftigen, wenn auch ein wenig baufällig wirkenden früheren Familienanwesen vorbei. Das eine war nun das Findelhaus, das von der Kirche des Bastards unterhalten wurde, das andere das Siechenhaus der Mutter, dessen Säulengänge von den Schritten der Heilkundigen und der grün gewandeten Tempelbrüder widerhallten und deren entrückte Gärten genesende Patienten und ihre Pfleger beherbergten.

In der nächsten Straße gelangten sie zu einem großen Bauwerk, drei Stockwerke hoch und aus denselben gelblichen Steinen errichtet wie Hetwars Palast. Hier waren die Bibliotheken und Ratszimmer der Kirche des Vaters untergebracht. Eine Treppe lief um eine weitläufige Halle herum und brachte sie schließlich zu einem stillen, holzgetäfelten Raum.

Anscheinend waren die Befragungen schon im Gange, denn Ingrey glaubte einige Diener von Burg Keilerkopf wiederzukennen. Diese kamen gerade durch die Tür heraus und wirkten eingeschüchtert, aber erleichtert. Sie erkannten den Fürstmarschall und die Prinzessin und machten ihnen eilig Platz, mit hastigen Gesten der Ehrerbietung. Biast rang sich ein höfliches Nicken ab, aber Fara hielt den Kopf steif emporgereckt, Hochmut, der von einem Gefühl der Demütigung noch verstärkt wurde. Mit einem leichten Schnauben wie eine erschrockene Stute schnappte Fara nach Luft, als sie als erste Person auf der anderen Seite der Tür den Haushofmeister Bolesos antrafen, Ritter Ulkra. Ulkra verbeugte sich und erweckte den Anschein, als wäre ihm mindestens ebenso unbehaglich zumute wie der Prinzessin.

Ein langer Tisch erstreckte sich entlang der Stirnseite des Zimmers, und dahinter saßen fünf Männer mit dem Rücken zu den verhangenen Fenstern. Zwei trugen die schwarz-grauen Roben und die roten Tressen von Geistlichen des Vaters, und die übrigen drei trugen die Amtsketten eines königlichen Richters. An einem kleineren Seitentisch hockte eine Schreiberin mit ihren Federn, Tintenfässern und Pergamenten. An den übrigen Wänden standen weitere Bänke. Neben der Schreiberin, auf der Bank auf der anderen Seite des Raumes, saß ein weiterer Geistlicher, ein schlaksiger Bursche mit wirrem, ergrauendem schwarzen Haar, das farblich an seine Priestertracht angeglichen zu sein schien. Seine rote Schultertresse zeigte eine goldene Schnur als Zeichen eines höheren Gelehrten der Rechte. Etwa ein Berater für die Justizräte?

Die Richter erhoben sich und erwiesen dem Fürstmarschall und der Prinzessin ihren Respekt. Einige Novizen wurden ausgeschickt, um gepolsterte Sitzgelegenheiten für die Hintern der königlichen Familie herbeizuschaffen. In der Zwischenzeit rückte Ingrey näher an Ulkra heran, der ängstlich schluckte, Ingreys Gruß jedoch erwiderte.

»Wurdet Ihr bereits befragt?«, erkundigte sich Ingrey höflich.

»Ich sollte der Nächste sein.«

Ingrey senkte die Stimme. »Und wollt Ihr die Wahrheit sagen oder lügen?«

Ulkra befeuchtete sich die Lippen. »Was würde Lord Hetwar wünschen, Eurer Ansicht nach?«

Glaubte er immer noch, dass Ingrey Hetwars Gefolgsmann war? Dann war Ulkra entweder außergewöhnlich scharfsinnig, oder er war nicht ganz auf dem Laufenden, was den Klatsch und Tratsch in der Hauptstadt betraf. »Ich an Eurer Stelle würde mir mehr Gedanken darüber machen, was Hetwars künftiger Lehnsherr wünscht.« Er nickte in Richtung von Prinz Biast, und Ulkra folgte wachsam seinem Blick. »Er ist noch jung, aber das wird er nicht mehr lange bleiben.«

»Man sollte doch annehmen«, wagte Ulkra vorsichtig zu äußern und sprach so leise, dass er beinahe nicht zu vernehmen war, »dass er wünschen würde, seine Schwester vor Vorwürfen und Tadeln zu schützen.«

»Sollte man?«, sagte Ingrey unbestimmt. »Lasst es uns herausfinden.« Er winkte Biast zu, der neugierig herankam.

»Ja, Ingrey?«

»Hoheit. Der Ritter Ulkra hier ist unsicher, ob Ihr wohl wünscht, dass er die genaue Wahrheit spricht, oder ob er lieber etwas verschleiern soll, um Eurer Schwester Kummer zu ersparen. Was das über Euren Ruf aussagt, müsst Ihr nun selbst entscheiden.«

»Pst, Ingrey!«, flüsterte Ulkra verlegen und wütend, mit einem ängstlichen Schulterblick zur Richterbank.

Biast wirkte betroffen. Behutsam meinte er: »Ich habe Fara versprochen, dass niemand sie hier zur Angeklagten machen wird. Aber ganz gewiss sollte keiner seine heiligen Eide verletzen und vor den Richtern und den Göttern lügen.«

»Hier und heute bestimmt Ihr schon die Richtung, in die sich Euer zukünftiger Hof entwickeln wird, Hoheit. Wenn Ihr die Menschen entmutigt, in Eurer Gegenwart unangenehme Wahrheiten auszusprechen, dann übt Ihr hoffentlich auch Eure Fähigkeit, schmeichlerische Lügen zu entschlüsseln — denn Ihr werdet den Rest Eurer Regierungszeit, wie kurz auch immer, damit zubringen, durch solche trüben Gewässer hindurchzuwaten.« Ingrey wählte seinen Tonfall so, als wäre ihm vollkommen einerlei, wofür Biast sich letztlich entschied: Ingrey würde mit beidem zurechtkommen.

Biast kräuselte die Lippen. »Was hat Hetwar noch über Euch gesagt? Dass Ihr jeden herausfordert, der Euch in den Sinn kommt?«

»Wann immer ich es für richtig halte. Und so ist es Hetwar am liebsten. Andererseits ist auch Hetwar ein Mann, der sich für niemanden zum Narren macht.«

»Allerdings.« Biast kniff die Augen zusammen. Dann überraschte und erfreute er Ingrey, indem er sich an Ulkra wandte und knapp feststellte: »Erzählt die genaue Wahrheit.« Er atmete tief durch und ergänzte mit einem Seufzer: »Ich kümmere mich dann um Fara, wenn es nötig ist.«

Ulkra verbeugte sich mit weit aufgerissenen Augen und wich zurück, vermutlich aus Angst, Ingrey könnte noch weitere Schlingen für ihn auslegen. Die Stühle trafen ein. Ingrey bedachte Biast mit einer leichten, ernst gemeinten Verbeugung, die ein wenig spöttisch erwidert wurde. Dann nahm er Platz auf der hinteren Bank, von wo aus er den ganzen Raum im Auge behalten konnte, und auch die Tür.

Ihm kam ein müßiger Gedanke: Wenn Boleso einen Freund mit Rückgrat besessen hätte, der ihn im entscheidenden Augenblick entgegengetreten wäre, hätte er dann immer noch jene krummen Pfade eingeschlagen, die letztendlich zu seinem Tod geführt hatten? Boleso war stets der schwierigste der Prinzen gewesen. Womöglich hätte am Ende gar nichts mehr ihn retten können.

Nach einer kurzen, halblauten Beratung unter den Richtern wurde Ulkra aufgerufen, seinen Eid zu leisten und Rede und Antwort zu stehen. Ulkra suchte Zuflucht in einer soldatischen Haltung und stand ein wenig breitbeinig vor den Richtern, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Die Fragen waren zielstrebig. Anscheinend hatte das Gericht sich schon in groben Zügen über die Ereignisse auf Keilerkopf kundig gemacht.

Soweit Ingrey feststellen konnte, sprach Ulkra die reine Wahrheit über den Ablauf der Ereignisse, die zu Bolesos Tod geführt hatten, so weit er selbst Zeuge gewesen war. Weder verschwieg er den Leoparden noch seine Mutmaßungen über Bolesos frühere »Experimente«, auch wenn es ihm gelang, seine stille Komplizenschaft als Treue und Verschwiegenheit darzustellen, wie man sie von einem leitenden Mitglied des Haushalts erwarten konnte. Nein, er hatte keinen Verdacht geschöpft, dass Bolesos Leibdiener der abtrünnige Zauberer Cumril sein könnte. Also hatten die Richter von Cumril erfahren. Etwa von Lewko?

Einmal ließ der gelehrte Geistliche von der Seitenbank eine Notiz zu einem der Richter weiterreichen, der sie las und daraufhin einige besonders erhellende und scharfsinnige Fragen an den Haushofmeister richtete.

Die unverhohlene Scheußlichkeit von Ijadas Opfergang an Bolesos Schlafzimmertür wurde deutlich genug, zumindest für Ingreys Ohren, trotz Ulkras eigennütziger Neigung zu euphemistischer Umschreibung. Fara hörte hier zum ersten Mal die ungeschminkte Wahrheit über die Folgen, die es gehabt hatte, dass sie ihr Kammerfräulein auf Keilerkopf zurückgelassen hatte. Man merkte es an der Art, wie sie erstarrte. Die Scham trieb ihr nicht die Tränen in die Augen, doch ihr Gesicht hätte genauso gut aus Holz geschnitzt sein können. Gut.

Als Ulkra entlassen war und so schnell aus dem Raum entfloh, wie er nur konnte, ohne ungebührlich zu wirken, wurde Fara nach vorne gerufen. Ingrey spielte ganz den aufmerksamen Höfling und nutzte die Gelegenheit, als er ihr aus dem Stuhl half, um in ihr Ohr zu hauchen: »Ich werde wissen, wann Ihr lügt.«

Sie musterte ihn kühl. »Sollte mir das etwas ausmachen?«, flüsterte sie zurück.

»Wollt Ihr tatsächlich eine solche Waffe in meine Hände legen, Herrin?«

Sie zögerte. »Nein.«

»Gut. Allmählich denkt Ihr wie eine Prinzessin.«

Ihr Blick wirkte überrascht, als er noch ermutigend ihren Arm drückte und sie dann losließ. Dann sah sie einen Augenblick lang nachdenklich drein, als sehe sie neue Wege vor sich, die sie vorher gar nicht wahrgenommen hatte.

Die Richter hielten ihre Fragen kurz und höflich, damit dem Recht und der Schicklichkeit gleichermaßen Genüge getan war. Wie bei Ulkra war auch bei ihr die Wahrheit im eigenen Interesse ein wenig geglättet. Ihre Eifersucht als Ursache des Ganzen blieb völlig außen vor, was Ingrey nur gut fand. Aber die seiner Einschätzung nach wichtigsten Einzelheiten kamen zwischen den Zeilen deutlich genug zum Ausdruck: Dass der Wunsch von Boleso ausgegangen und Fara dem ohne Rücksprache nachgekommen war und dass Ijada weder die Verführerin gewesen war, noch die willfährige Teilhaberin. Fara wurde mit taktvollen Dankesworten verabschiedet und schloss erleichtert die Augen, als sie sich abwandte.

Nach Faras Vorbild erzählten die beiden obersten Kammerfrauen ebenfalls die Wahrheit und ergänzten einige kleinere Begebenheiten, die Fara nicht mitbekommen hatte und die Boleso sogar in noch schlechterem Licht dastehen ließen. Biast wirkte entschieden unglücklich dabei, machte aber keine Anstalten, die Aussagen zu beeinflussen. Allerdings gab es keinen Zweifel, dass sich die Richter der Gegenwart des Fürstmarschalls und seiner Reaktionen nur allzu bewusst waren. Ingrey stellte fest, dass der gelehrte Geistliche Prinz Biast ebenfalls verborgene, einschätzende Blicke zuwarf. Wenn Biast in den entscheidenden Augenblicken beschlossen hätte, ein Stirnrunzeln, ein abfälliges Schnauben oder eine unruhige Bewegung zu zeigen, hätte er dann die Fragen beeinflussen können? Sie zugunsten seines verstorbenen Bruders verändern? Möglicherweise. Aber Biast hörte in erzwungener Neutralität zu, wie es sich für einen Mann geziemte, dem die Wahrheit wichtiger war als alles andere. Ingrey hoffte, dass sich der Gedanke an ein Wergeld nun verlockender für ihn anhörte.

Ein Rascheln lief durch den Saal, als die Gesellschaft sich zum Gehen erhob. Ingrey wies den Pagen an, zu seinem Zwillingsbruder zu eilen und den Zelter der Prinzessin herbeizuholen. Der Junge verbeugte sich und erwiderte: »Jawohl, Lord Ingrey!«, in seiner hohen, hellen Stimme, ehe er davoneilte. Der Rechtsgelehrte blickte sich um. Er starrte Ingrey an, runzelte die Stirn und beugte sich dann über die Schulter eines der Geistlichen auf der Richterbank, wo er ihm etwas ins Ohr flüsterte. Der Richter horchte auf und nickte. Er warf einen Blick in Ingreys Richtung und flüsterte etwas zurück. Dann hob er die Hand und seine Stimme und rief: »Lord Ingrey! Würdet Ihr noch einen Moment bleiben?«

Trotz der höflichen Formulierung war es offensichtlich ein Befehl, keine Bitte und keine Einladung. Ingrey antwortete mit einem Nicken und blieb aufmerksam stehen. Biast, der soeben seine Schwester durch die Tür geleitete, runzelte verärgert die Stirn, anscheinend hin- und hergerissen zwischen seinem Bedürfnis, Faras Wünschen nachzukommen und sie so schnell wie möglich von hier fortzubringen, und dem eigenen Wunsch, zu erfahren, was man von dem Wolfsherren wollte.

»Ich hole Euch unterwegs ein, Hoheit«, ließ Ingrey ihn wissen. Biast bedachte ihn mit einem Gesichtsausdruck, der deutlich machte, dass sie später noch darüber reden würden, dann nickte er und folgte seiner Schwester nach draußen.

Ingrey nahm vor der Richterbank eine Haltung ein, die sehr an die von Ulkra erinnerte, wartete ab und verbarg sein Unbehagen. Er hatte nicht erwartet, heute befragt zu werden.

Der gelehrte Geistliche stand hinter seinem Kollegen und verschränkte die Arme. Mit herabhängenden Schultern und vorgerecktem Gesicht wandte er seine ganze Aufmerksamkeit Ingrey zu. Durch die schnabelartige Nase und das fliehende Kinn ähnelte er einem Storch, der in seichtem Wasser watete und irgendeinem Fisch oder Frosch unter der Oberfläche hinterherstöberte. »Ich habe mir sagen lassen, Lord Ingrey, dass Ihr bei Prinz Bolesos Bestattung ein Erlebnis hattet, das für diese Ermittlungen sehr sachdienlich ist.«

Der Mann hatte also mit Lewko geredet. Wie viel hatte der Geistliche des Bastards dem Gelehrten des Vaters verraten? Die beiden Kirchen waren für gewöhnlich nicht für ihre gute Zusammenarbeit bekannt. »Ich bin in der Hitze ohnmächtig geworden. Alles andere wäre keine Erfahrung, die vor Gericht zulässig ist, habe ich mir sagen lassen.«

Der Mann schürzte die Lippen, und zu Ingreys Überraschung nickte er dann zustimmend. Aber er sagte: »Das ist kein Prozess. Es ist eine Anhörung. Euch dürfte auffallen, dass ich Euch keinen Eid abverlangt habe.«

Hatte das etwa irgendeine geheimnisvolle juristische Bedeutung? Dem leichten Nicken einiger Richter nach zu urteilen, war das anscheinend so. Außerdem hatte die Schreiberin die Feder beiseite gelegt und machte keine Anstalten, sie wieder aufzunehmen, auch wenn sie Ingrey fasziniert anstarrte. Offenbar war diese Unterhaltung hier inoffiziell. Doch wenn man bedachte, wer daran teilnahm, so hatte Ingrey Zweifel, ob es ihm etwas nutzte.

»Seid Ihr je zuvor in der Hitze zusammengebrochen?«, wollte einer der königlichen Richter wissen.

»Nun … nein.«

»Bitte beschreibt Eure Vision«, sagte der gelehrte Geistliche.

Ingrey blinzelte langsam. Wenn er sich weigerte, hier zu reden, wie viel Druck würden sie dann auf ihn ausüben? Vermutlich würden sie ihn unter Eid stellen; und dann zogen möglicherweise sowohl Sprechen wie auch Schweigen noch schlimmere Folgen nach sich. Besser also auf diese Weise. »Ich fand mich, Lady Ijada und Prinz Bolesos verlorene Seele an einem … Ort wieder. Einem sehr unbestimmten Ort. Ich konnte durch Prinz Bolesos Körper hindurchsehen. Er war voll von den Geistern toter Tiere, die in Schmerz und Verwirrung durcheinanderstolperten. Der Herbstsohn kam hinzu.« Ingrey befeuchtete sich die Lippen und hielt seine Stimme so ausdruckslos wie möglich. »Der Gott bat mich, die Tiergeister aus Boleso herauszurufen. Lady Ijada unterstützte diese Bitte. Ich kam ihr nach. Der Gott nahm Bolesos Seele auf und ging davon. Ich erwachte auf dem Boden des Tempels.« So, gar nicht mal so schlecht. So glaubwürdig wie jeder andere Verrückte und unter Auslassung einiger problematischer Elemente.

»Wie?«, fragte der Geistliche neugierig. »Wie habt Ihr sie herausgerufen?«

»Es war nur ein Traum, Hochwürden. Man kann nicht erwarten, dass Geschehnisse im Traum einen Sinn ergeben.«

»Trotzdem.«

»Mir war … eine Stimme verliehen.« Es gab keinen Grund, näher zu erklären wie oder von wem, oder?

»Die Zauberstimme? Wie die Stimme, mit der Ihr den wild gewordenen Bären zwei Tage zuvor unter Eure Herrschaft gezwungen habt?«

Bei diesen Worten hoben einige der Richter den Kopf.

Verflucht. »Ich habe gehört, dass sie so genannt wird.«

»Könnt Ihr sie erneut gebrauchen?«

Ingrey hatte Mühe, sie in diesem Moment nicht zu gebrauchen: alle Männer in diesem Zimmer zu lähmen und dann zu entfliehen. Oder seinen merkwürdig ausgedehnten Wolf zu einem kleinen Kügelchen unter dem Herzen zusammenzuziehen und zu verbergen. Dummkopf, sie können ihn ohnehin nicht sehen. »Ich weiß es nicht.«

»Um genauer zu werden«, fuhr der Geistliche zielstrebig fort: »Lady Ijada steht unter dem Verdacht, vom Geist eines toten Leoparden heimgesucht zu sein. Wie uns die Kirchengeschichte lehrt, und Eure Vision von dem verstorbenen Prinzen scheint das zu stützen, hält eine solche Heimsuchung eine Seele von den Göttern fern.«

»Eine tote Seele«, berichtigte Ingrey ihn vorsichtig. Sowohl er wie auch Ijada trugen Tiergeister in sich, und doch hatte der Gott zu beiden gesprochen. Aber nicht zu Boleso, erkannte Ingrey. Er hatte das Bedürfnis zu erklären, wie die Schamanen des Alten Weald die Seelen ihrer verschiedenen Kameraden geläutert hatten. Dann aber besann er sich eines Besseren: Er empfand nicht das geringste Bedürfnis, zu erklären, wie er das alles erfahren hatte.

»Ganz recht. Meine Frage ist nun: Wenn Lady Ijada infolge des zukünftigen Prozesses hingerichtet werden soll, könnt dann Ihr, Lord Ingrey, den Tiergeist, der sie heimsucht, von ihrer Seele lösen, wie Ihr es für Prinz Boleso getan habt?«

Ingrey erstarrte. In diesem Augenblick erinnerte er sich an Wenzels Sorge, dass Ijada wie ein Opferbote des Alten Weald den Ort am Heiligen Baum für die Götter öffnen sollte. Wenzel war der Ansicht gewesen, dass dieses Tor durch Ijadas Heimsuchung sicher verschlossen sei. Das war allerdings nicht so sicher und nicht so verschlossen, wenn Ingrey es einfach wieder öffnen konnte. Und das könnte ich. Bei den fünf Göttern, und verflucht sollen sie sein, war das etwa der unselige Plan, der für sie beide vorgesehen war? Habt ihr uns deshalb hierhin getrieben? Ingreys Gedanken gingen durcheinander, und er versuchte, Zeit zu gewinnen: »Weshalb fragt Ihr, Hochwürden?«

»Das ist ein theologisches Detail, das ich gerne geklärt hätte. Wenn man es genau betrachtet, ist eine Hinrichtung die Bestrafung des Leibes für Vergehen in der materiellen Welt. Die Frage nach Heil oder Verdammnis einer Seele wird davon nicht mehr beeinflusst als durch jeden anderen Tod, und das darf es auch nicht. Denn eine Seele bewusst der Verdammnis auszuliefern, wäre eine abscheuliche Sünde und eine Last für diejenigen, die mit der Ausführung einer solchen Pflicht betraut werden. Eine Hinrichtung, die eine solche unnötige Verdammnis nach sich zieht, muss verhindert werden. Eine solche Hinrichtung darf niemals stattfinden.« Stille folgte diesen Worten, und besorgt fügte der Geistliche hinzu: »Ihr versteht diesen Einwand, Lord Ingrey?«

Ingrey verstand ihn. Wenn ich sage, ich kann ihre Seele läutern, so erlaubt ihnen dies, unbekümmert ihren Körper aufzuhängen. Wenn er sagte, er könne das nicht, wäre es eine Lüge. Aber was sonst? »Es war nur …«, flüsterte er, hielt inne und räusperte sich. Dann sprach er in normaler Lautstärke weiter: »Es war nur ein Traum, Hochwürden. Ihr baut zu viel darauf auf.«

Eine warme, herbstliche Stimme flüsterte irgendwo zwischen seinem Ohr und seinem Verstand: Wenn Ihr mich und Euch selbst in dieser kleinen Runde verleugnet, Bruder Wolf, wie wollt Ihr dann in einem sehr viel größerem Kreis zurechtkommen?

Ingrey wusste nicht, ob er erbleichte, auch wenn mehrere Richter ihn besorgt anstarrten. Mit Mühe verhinderte er, dass er ins Wanken geriet oder gar — mochten es die fünf Götter verhüten! — ohnmächtig wurde. Wäre das nicht eine dramatische Wende, genau passend nach seinen abwiegelnden Worten?

»Hm«, meinte der gelehrte Geistliche und kniff die Augen zusammen. »Aber dieser Punkt ist überaus wichtig.«

»Nun, wie wäre es dann, wenn ich die Sache für Euch einfacher mache? Wenn ich diese Fähigkeit nicht besitze, ist diese ganze Unterhaltung hier müßig. Wenn ich sie besitze … dann weigere ich mich, sie für diesen Zweck zu benutzen.« Was sagt ihr dazu!

»Kann man Euch zwingen?« Der Tonfall des Geistlichen zeigte keine Spur von Drohung, wirkte einfach nur neugierig.

Ingrey entblößte die Zähne zu einem Lächeln, in dem keine Spur von Belustigung lag … Einige der Anwesenden drückten sich instinktiv tiefer in ihre Stühle zurück. »Man könnte es versuchen«, hauchte er. Unter diesen Umständen — unter solchen Umständen, wenn Ijadas toter Körper vom Galgen geschnitten und zu seinen Füßen aufgebahrt wurde — mochte er durchaus im vollen Umfang lernen, wozu sein Wolf wirklich fähig war. Bis er selbst niedergestreckt wurde. »Hm.« Der gelehrte Geistliche zupfte sich an der Lippe. Seltsamerweise wirkte sein Gesichtsausdruck eher zufrieden als besorgt. »Sehr interessant.« Er blickte hinab zur Richterbank. »Gibt es noch weitere Fragen?«

Der Vorsitzende machte einen sehr beunruhigten Eindruck. »Nein … im Augenblick nicht. Ich danke Euch, Eure Gelehrsamkeit, für Eure … äh … stets zum Nachdenken anregenden Anmerkungen.«

»Ja«, bemerkte ein anderer Richter halblaut. »Es war ja zu erwarten, dass Ihr irgendeine unerfreuliche Komplikation zutage fördern musstet, an die niemand sonst auch nur gedacht hätte.«

Der Gelehrte neigte leicht den Kopf, und ein Glitzern in seinen Augen zeigte an, dass er diese Bemerkung ungeachtet des Tonfalls eher als Kompliment denn als Beschwerde ansah. »Dann danke ich Euch, Lord Ingrey.«

Damit war er offensichtlich entlassen, und keinen Augenblick zu früh. Ingrey brachte ein höfliches Nicken zustande und wandte sich ab. Er unterdrückte das Verlangen, davonzulaufen. Draußen auf der Galerie hielt er kurz inne und atmete tief durch. Aber bevor er sich noch vollends wieder beruhigt hatte, hörte er schon Schritte hinter sich. Er sah sich um und erkannte, dass der seltsame Geistliche ihm nach draußen gefolgt war.

Der hagere Bursche schlug das heilige Zeichen zum Gruß: Eine rasche Bewegung, aber sehr exakt, weder flüchtig noch nachlässig. Ingrey nickte wieder, und seine Hand beschrieb eine Bewegung zum Schwertgriff. Dann aber entschied er, dass diese Bewegung als allzu drohend empfunden werden konnte, und hielt die Hände auf dem Rücken umklammert. »Kann ich Euch helfen, Hochwürden?« Über das Geländer der Galerie vielleicht, mit dem Kopf voran?

»Ich bitte um Vergebung, Lord Ingrey. Aber mir ist gerade bewusst geworden, dass ich vorgestellt wurde, ehe Eure Gesellschaft hier eintraf, anschließend aber nicht mehr. Ich bin der Gelehrte Oswin von Neresblatt.«

Ingrey blinzelte. Sein Verstand war einen kurzen Augenblick wie gelähmt und tat dann einen Satz in eine ganz neue Richtung. »Hallanas Oswin?«

Der Geistliche lächelte und wirkte dabei seltsam verlegen. »Von all meinen Titeln ist das der wahrste, fürchte ich. Ja, ich bin Hallanas Oswin, um meiner Sünden willen. Sie hat mir viel von der Begegnung mit Euch in Rottwall erzählt.«

»Geht es ihr gut?«

»Gut, und sie hat ein gesundes Mädchen zur Welt gebracht. Ich bete zur Frühlingsherrin, dass sie ihrer Mutter ähnlicher sehen wird als mir, wenn sie heranwächst, ansonsten dürfte sie viel Grund zur Klage haben, wenn sie älter wird.«

»Ich bin froh, dass sie alles sicher überstanden hat. Sie beide. Die Gelehrte Hallana hat mir Sorge bereitet.« Auf mehr als eine Weise. Er betastete seine immer noch verbundene Rechte und dachte daran zurück, wie kurz er davor gestanden hatte, sein Schwert zu erreichen, während des blutroten Wahns in jener Stube im Obergeschoss.

»Hättet Ihr Zeit gefunden, sie besser kennen zu lernen, wäret Ihr nicht besorgt wegen ihr.«

»Ach?«

»Ihr wäret entsetzt, so wie wir anderen. Und doch haben wir alle ihre Gegenwart überlebt, wieder einmal. Sie hat mich hergeschickt, müsst Ihr wissen. Hat mich sozusagen von ihrer Bettkante vertrieben. Das machen viele Frauen mit den bedauernswerten Ehemännern, nachdem sie ein Kind zur Welt gebracht haben. Aber diesmal geschah es aus anderen Gründen.«

»Habt Ihr Euch mit dem Gelehrten Lewko unterhalten?«

»Ja, in aller Ausführlichkeit nach meiner Ankunft gestern Abend.«

Ingrey erwog die nächsten Worte sorgfältig. »Und um wessentwillen hat Hallana Euch hierhin geschickt?« Verspätet kam ihm in den Sinn, dass der beunruhigende theologische Einwand des Geistlichen im Sitzungssaal womöglich Ijadas Hinrichtung behindern, nicht beschleunigen sollte.

»Nun … nun, das ist schwer zu erklären.«

Ingrey dachte darüber nach. »Warum?«

Zum ersten Mal zögerte Oswin, bevor er antwortete. Er fasste Ingrey am Arm und führte ihn davon, um eine Ecke der Galerie herum und außer Hörweite von der Tür, wo bereits zwei weitere Personen — vermutlich ebenfalls Diener von Burg Keilerkopf — von einem grau gewandeten Novizen in den Raum geführt wurden. Oswin stützte sich auf das Geländer und blickte nachdenklich in die Halle hinab. Ingrey nahm dieselbe Haltung ein und wartete.

Als Oswin schließlich fortfuhr, klang seine Stimme seltsam zaghaft: »Ihr seid ein Mann von reichlicher Erfahrung mit dem Übersinnlichen und Göttlichen, so weit ich mitbekommen habe. Die Götter sprechen in Visionen zu Euch, von Angesicht zu Angesicht.«

»Nein …!«, setzte Ingrey an und hielt inne. Wollte er es wieder verleugnen? »Nun … auf gewisse Weise schon. Ich hatte in letzter Zeit viele bizarre Erlebnisse. Sie scheinen sich um mich zu versammeln. Das heißt nicht, dass ich in solchen Dingen geübt wäre.«

Oswin seufzte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in solchen Sachen überhaupt Übung erlangen kann. Ihr müsst verstehen: Ich hatte noch nie im Leben unmittelbare Erfahrungen mit dem Heiligen, auch wenn ich nach bestem Gewissen versuchte, meinem Gott zu dienen, gemäß meiner Möglichkeiten, wie uns gelehrt wird. Abgesehen von Hallana. Sie war das einzige Wunder, das mir je widerfahren ist. Diese Frau scheint überreich versorgt mit göttlichen Erfahrungen. Einmal habe ich ihr vorgeworfen, dass sie mir meinen Anteil gestohlen hat, und sie beschuldigte mich, ich hätte sie nur geheiratet, um mir einen Anteil daran zu sichern. Die Götter spazieren durch ihre Träume wie durch einen Garten. Ich träume höchstens davon, dass ich durch meine alte Schule irre, ohne Kleidung und verspätet zu einer Prüfung in einem Fach, von dem ich nicht einmal wusste, dass ich es hatte, und Ähnliches.«

»Als Schüler oder als Prüfer?« Ingrey konnte sich die Frage nicht verkneifen.

»Sowohl als auch, je nachdem.« Oswin legte die Stirn in Falten. »Und dann sind da noch die Träume, wo ich durch ein Haus streife, das gerade auseinanderfällt, und ich habe keine Werkzeuge dabei, um es zu reparieren … nun, wie auch immer.« Er atmete tief durch und beruhigte sich wieder. »In der Nacht, nachdem unsere Tochter geboren wurde, schlief ich mal wieder bei Hallana. Wir beide teilten denselben bedeutsamen Traum. Ich erwachte mit einem Entsetzensschrei. Sie hingegen war regelrecht ausgelassen. Sie hielt den Traum für ein Zeichen, dass wir nach Ostheim reisen müssten. Ich fragte sie, ob sie verrückt geworden sei. Sie könne noch nicht aufstehen und umherlaufen! Sie erwiderte, sie würde sich eine Liege hinten in den Wagen stellen und könne dann während des ganzen Weges ausruhen. Wir stritten den ganzen Tag darüber.

In der nächsten Nacht wiederholte sich der Traum. Hallana befand, damit sei die Sache bestätigt. Ich erinnerte sie an ihre Pflichten dem Neugeborenen und den anderen Kindern gegenüber, die sie weder zurücklassen noch mitschleppen könne. Sie gab nach. Ich triumphierte. An diesem Nachmittag stieg ich auf mein Pferd. Ich war schon zehn Meilen weit geritten, ehe ich erkannte, dass ich mich sauber hatte hinters Licht führen lassen.«

»Wie das?«

»Durch meine Abreise hatte ich keine Möglichkeit mehr, weiter auf sie einzureden. Oder sie aufzuhalten. Ich habe nicht den leisesten Zweifel daran, dass sie in diesem Augenblick schon unterwegs ist, höchstens einen Tag hinter mir. Ich frage mich, ob sie wohl die Kinder mitgebracht hat? Mir graut bei dem Gedanken. Wenn Ihr sie vor mir hier trefft, oder ihre treuen Diener, so lasst sie wissen, dass ich für uns alle Gemach im Lilienhof angemietet habe, gegenüber dem Siechenhaus der Mutter.«

»Ist sie … äh, mit denselben Dienern unterwegs wie in Rottwall?«

»O ja, Bernan und Hergi. Sie und Hallana sind unzertrennlich. Bernan war einer ihrer frühen Erfolge in der Zauberheilung, müsst Ihr wissen. Hergi brachte ihn zu ihr, als er von Gallen- oder Nierensteinen Todesqualen litt. Er krampfte seine Finger in den eigenen Leib und schrie von Selbstmord, war vor Schmerzen einem Herzschlag nahe, und um sein Leben wie um seine geistige Gesundheit schien es gleichermaßen hoffnungslos bestellt. Hallana ließ die Steine in seinem Leib zerplatzen, und er schied sie sogleich aus — schon nach einem Tag war er wieder auf den Beinen und konnte lächeln. Die beiden würden Hallana bei jeder Torheit folgen.« Oswin schnaubte. »Ich ersinne die raffiniertesten Argumente im Namen des Vaters, die mein Verstand und meine gründliche Ausbildung nur hervorbringen können, und doch kann ich mit all meiner Vernunft die Leute nicht so gut lenken, wie sie nur … nur indem sie dasteht und atmet! Das ist vollkommen ungerecht.« Er versuchte, empört zu klingen, bekam aber nur einen sehnsüchtigen Tonfall zustande.

»Der Traum«, erinnerte ihn Ingrey.

»Oh, verzeiht. Normalerweise schwatze ich nicht so viel. Das verrät vielleicht etwas über meine Hallana … ich habe es vorher schon dem Gelehrten Lewko dargelegt und jetzt Euch. In diesem Traum gab es fünf Leute: Hallana, mich, Lewko und zwei junge Männer, die ich nie zuvor gesehen hatte. Bis heute. Prinz Biast war einer von ihnen. Ich bin beinahe von der Bank gefallen, als er in den Saal trat und vorgestellt wurde. Der andere war ein noch fremdartigerer Bursche; ein hünenhafter Mann mit langem roten Haar, der in einer fremden Sprache redete.«

»Ah«, stellte Ingrey fest. »Das ist ohne Zweifel Fürst Jokol. Sagt ihm, er soll Fafa einen Fisch von mir geben, wenn Ihr ihm begegnet. Genau genommen könnt Ihr ihn jetzt noch einholen. Ich habe ihn vor kurzem erst zu Lewko gesandt. Womöglich ist er immer noch dort.«

Oswin riss die Augen auf und spannte sich an, als wolle er im nächsten Augenblick losrennen. Dann aber schüttelte er den Kopf und fuhr fort: »In diesem Traum … ich bin ein Mann der Worte, aber ich weiß kaum, wie ich es beschreiben soll. Alle fünf waren wir von den Göttern berührt. Schlimmer noch: Die Götter streiften uns über und trugen uns wie einen Handschuh. Wir zersprangen …«

Sie setzen mir inzwischen hart zu, hatte Rossfluten gesagt. Es hatte ganz den Anschein. »Nun, wenn Ihr herausfindet, was das alles bedeutet, so lasst es mich wissen. Kam sonst noch jemand in dem Traum vor?« Ich oder Ijada zum Beispiel?

Oswin schüttelte den Kopf. »Nur diese fünf. Bisher. Der Traum wirkte unvollendet, was mich beunruhigte. Aber Hallana ging ohne Umschweife darüber hinweg. Ich sehne den Schlaf herbei und fürchte ihn gleichermaßen, weil ich dann mehr herausfinden könnte. Aber jetzt leide ich unter Schlaflosigkeit. Hallana ist vielleicht bereit dazu, ins Ungewisse hinauszulaufen, aber ich wüsste gern, wo die Trittsteine zu finden sind.«

Ingrey lächelte bei diesen Worten grimmig. »Vor kurzem erst wurde mir nahegelegt, von einem Mann, der schon länger mit den Göttern Erfahrung hat, als ich es mir überhaupt vorstellen kann, dass die Götter uns unseren Weg einfach deshalb nicht deutlicher zeigen, weil sie ihn selbst nicht kennen. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob ich das tröstlich finden soll oder eher das Gegenteil. Zumindest würde es bedeuten, dass sie uns nicht nur zur eigenen Belustigung quälen.«

Oswin klopfte mit der Hand auf das Geländer. »Hallana und ich haben uns über diesen Punkt schon oft gestritten — über den Weitblick der Götter. Es sind die Götter. Wenn überhaupt jemand Bescheid weiß, dann sie.«

»Vielleicht weiß niemand Bescheid«, wandte Ingrey leichthin ein.

Oswin verzog das Gesicht wie jemand, der gezwungen ist, eine bittere Medizin von zweifelhaftem Nutzen zu schlucken. »Ich versuche es dann mal bei Lewko. Womöglich weiß dieser Jokol mehr.«

»Das bezweifle ich, aber viel Glück.«

»Ich bin mir sicher, wir werden uns bald wiedersehen.«

»Mich würde zurzeit gar nichts mehr überraschen.«

»Wo kann ich Euch erreichen? Lewko meinte, Ihr wäret als Spion beim Grafen von Rossfluten untergebracht, der auch irgendwie in diese Sache verwickelt zu sein scheint.«

»Vermutlich ist es ein Glück«, zischte Ingrey zwischen den Zähnen hervor, »dass Rossfluten schon weiß, dass ich ihn ausspionieren soll, wenn es sowieso jeder weitertratscht.«

Oswin schüttelte heftig den Kopf. »Weder jeder noch Tratsch. Es ist ein enger Kreis. Lewko hatte auch so etwas wie diesen Traum, wie er meinte.«

Irgendwie in diese Sache verwickelt, allerdings. »Haltet Euch von Rossfluten fern. Er ist gefährlich. Wenn Ihr mich sprechen wollt, dann schickt eine Nachricht dorthin, aber schreibt nichts von Bedeutung. Geht davon aus, dass sie abgefangen und von unfreundlichen Augen gelesen wird, ehe ich sie bekomme.«

Oswin nickte düster. Gemeinsam stiegen sie die umlaufende Treppe hinunter und traten auf die Straße. Ingrey verabschiedete sich von dem Geistlichen und wandte sich mit schnellen Schritten hügelab der Königsstadt zu.

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