22

»Du weißt, was du zu tun hast?« fragte ich sie.

»Ja, Herr«, sagte Lavinia, die neben mir kniete. Sie zitterte leicht.

Ich sah auf sie hinunter. Sie war nun mit einem kurzen Umhang bekleidet, unter dem sich eine winzige, locker fallende, gürtellose Stofftunika befand, die nur von dem Verschluß an ihrer linken Schulter gehalten wurde. Der Umhang verdeckte ihren Kragen, der sie diesmal als meinen Besitz kennzeichnete. Der Verschluß an der linken Schulter war eine Entkleidungsschleife. Das war wichtig. Ich wollte, daß sie sich schnell ausziehen konnte.

»Der zeitliche Ablauf der Geschehnisse ist außerordentlich wichtig.«

»Ja, Herr«, flüsterte sie. »Ich werde mein Bestes tun.«

Ich hatte durch langes vorheriges Üben dafür gesorgt, daß sie sich sowohl des Umhangs als auch der Tunika flink entledigen konnte.

Marcus, der an der Wand saß und sein Schwert schärfte, blickte auf. »Es hat zur fünften Ahn geschlagen«, sagte er.

Ich nickte. Wir konnten die Alarmstäbe trotz der Entfernung von über einem Pasang hören.

Wir befanden uns in einer Wohnung im Metellanischen Bezirk. Ich hatte die Schlagläden geschlossen und sie von innen verriegelt, damit niemand von außen durch die Schlitze beobachten konnte, was hier vorging. In der Zimmermitte stand eine große, runde Liege, deren Durchmesser etwa zweieinhalb Meter betrug. Sie war gut gepolstert und mit Fellen bedeckt, sie war weich und einladend. An einer Stelle war seitlich ein Sklavenring eingelassen. Neben der Liege hatten wir einen kleinen Tisch aufgestellt, auf dem eine Ka raffe mit Wein, Gläser und eine kleine, geschmackvoll auf einem Tablett arrangierte Auswahl an Süßigkeiten stand. Eine kleine Tharlarionöllampe erhellte den Raum. Ich hatte die Vorrichtung im Nebenraum bereits getestet. Sie wurde durch einen einfachen Hebel ausgelöst, den Rest würden die Gewichte erledigen. Ich hatte auch noch ein paar andere Gegenstände mitgebracht, die sich möglicherweise als nützlich erweisen würden.

»Du hast den Sklaven darüber informiert, daß das Treffen vorverlegt wurde und er sich hier nun um halb sechs Ahn einfinden soll?« fragte ich Lavinia.

»Ja, Herr.«

»Er glaubt, dies sei die neue Zeit des Stelldicheins?«

»Ja, Herr.«

»Und soweit du weißt, hatte er keine Zeit, diese Information an seinen Herrn weiterzugeben?«

»Ich glaube nicht, Herr.«

»Dann wird er es vermutlich als seine Aufgabe ansehen, die freie Frau – wer auch immer sie ist – hier festzuhalten, bis Appanius und die Magistrate auftauchen.«

»Ich glaube schon, Herr.«

»Was, soweit es ihn betrifft, um halb sieben Ahn ist?«

»Ja, Herr.«

»Gut.« Ursprünglich hatte das Schäferstündchen zur siebten Ahn stattfinden sollen; das war die Zeit, die dem Sklaven Milo genannt worden war und die er an seinen Herrn weitergegeben haben dürfte. Darum würden sein Herr und vermutlich auch die beiden Magistrate, die als Zeugen fungieren sollten und in gewissen Angelegenheiten versierte Offizielle sein würden, mit Sicherheit früher eintreffen wollen, vermutlich so gegen halb sieben Ahn. Die freie Frau würde natürlich nicht genau zur siebten Ahn kommen. Sie würde es vermutlich vorziehen, ihren vermeintlichen Liebhaber warten zu lassen, damit er sich quälte und an ihrer Absicht zweifelte, überhaupt zu kommen.

»Aber ich habe Appanius noch eine Nachricht zukommen lassen, eine anonyme Nachricht, aufgrund der er handeln wird. Wenn mein Plan funktioniert, wird er nicht um halb sieben Ahn eintreffen, wie sein Sklave annimmt, sondern bereits kurz nach seinem Sklaven.«

»Ich glaube«, sagte Marcus, »wir sollten langsam daran denken, uns zurückzuziehen.«

»Du hast recht.«

Marcus legte den Schleifstein beiseite und polierte die Klinge mit dem Saum seiner Tunika.

»Rechnest du damit, davon Gebrauch zu machen?« fragte ich.

Er ließ das Schwert in die Scheide gleiten. »Ich weiß nicht.«

»Wird der Sklave den Haupteingang benutzen?« fragte ich Lavinia.

»Das kann ich nicht sagen.«

»Als du damals eintrafst, war er schon da, nicht wahr?«

»Ja.« Sie lächelte. »Aber ich ließ ihn warten.«

»Aber du bist durch diese Tür dort gegangen?«

»Ja. Das ist die Tür, durch die ich den Raum betrat. Appanius und die Magistrate hatten anscheinend einen Seiteneingang benutzt.«

»Das ist richtig«, sagte ich. »Er führt auf eine Gasse hinaus, die an der Straße endet.«

»So habe ich das Haus damals verlassen«, sagte Lavinia.

Ich nickte.

»Ich war völlig durcheinander, wußte nicht einmal, wo ich war«, fuhr sie fort. »Bis man mir die Haube abnahm und ich mich am Hals angekettet in der Zelle des Magistrats wiederfand.«

»Viel Glück!« wünschte ich ihr.

Marcus ging voraus. Wir würden durch die Hintertür gehen.

»Danke, Herr!« Wie großartig sie doch mit dem Eisenkragen um den Hals aussah.

Schon einen Augenblick später standen Marcus und ich draußen auf der Straße.

»Da!« sagte Marcus.

»Der Kerl mit der Kapuze, in dem Gewand?« fragte ich.

»Kein Zweifel, das ist unser Freund«, sagte Marcus.

»Bei dieser Größe, ja.« Die goldenen Sandalen boten ebenfalls einen deutlichen Hinweis, daß es derjenige war, auf den wir warteten.

»Er will in die Gasse einbiegen«, sagte Marcus. »Er wird den Seiteneingang benutzen.«

»Ich hoffe, daß Lavinia nicht allzu sehr enttäuscht sein wird.«

»Warum sollte sie?«

»Egal.«

»Er wird glauben, daß er mindestens eine Ahn Zeit mit ihr hat.«

»Selbst wenn er nicht im mindesten an ihr interessiert ist«, sagte ich, »weiß Lavinia, was sie zu tun hat.«

»Warum sollte er nicht an ihr interessiert sein?« wollte Marcus wissen. »Sie ist eine wohlgeformte Sklavin.«

»Nur so eine Vorahnung.«

»Du hast dir wirklich genug Mühe bei den Einzelheiten gegeben«, sagte Marcus.

»Gründlichkeit ist wichtig.«

»Ich habe noch nie eine Frau gesehen, die sich so schnell ausziehen konnte«, meinte der junge Krieger.

»Es muß zwischen dem Geräusch eines Schrittes und dem Aufbrechen der Tür geschehen.«

»Ich ziehe es vor, wenn sich die Sklavin langsam und sinnlich auszieht.«

»Da stimme ich dir grundsätzlich zu«, sagte ich, »wenn genug Zeit ist.«

Es ist ein Genuß, wenn sich eine Sklavin vor einem entkleidet, sich ihrem Herrn sinnlich und voller Anmut zeigt. Frauen beherrschen diese Kunst auf eine großartige Weise. Sie scheinen einen Instinkt dafür zu haben. Und ich bin der festen Überzeugung, daß es ihnen gefällt, die Wirkung zu beobachten, wenn sie sich vor ihrem Herrn entblättern und ihm mit dieser Enthüllung ihrer Schönheit vor Verlangen den Verstand rauben. In solchen Dingen verfügt eine Sklavin über eine große Macht.

»Ach!« sagte Marcus. »Welch eine Schande!«

»Was ist eine Schande?«

»Der arme Kerl wird kaum Zeit für sie haben.«

»Ja«, erwiderte ich. »Und wenn mich nicht alles täuscht kommt dort Appanius, und er hat ein paar seiner Männer dabei.«

»Gehst du auf ihn zu?« fragte Marcus.

»Aber sicher doch.«

Ich stieß mich von der Wand ab. »Halt!« sagte ich und legte Wut in meine Stimme. »Bist du Appanius der Landwirt, das Oberhaupt des allseits bekannten Hauses von Appanius?«

Er musterte mich ärgerlich. »Wer bist du denn?«

»An meiner Armbinde erkennst du, daß ich die Autorität habe, dich anzuhalten«, sagte ich unfreundlich. Marcus und ich trugen wie gewöhnlich unsere Armbinden, die unseren Status als Hilfswächter zeigten. Der wichtigste Vorteil bestand natürlich darin, daß sie uns erlaubten, Waffen zu tragen.

Appanius hob wütend seinen Stab.

Ich mißachtete die unzulängliche Waffe. Natürlich hätte ich ihn auf der Stelle töten können. Mein Kodex erlaubte das.

»Sei vorsichtig, Appanius«, warnte ihn einer seines Begleiter. Insgesamt waren sie zu viert, und sie alle trugen Stäbe. Darüber hinaus waren sie nicht bewaffnet. Genau wie es die Waffengesetze verlangten. Zwei von ihnen trugen Ketten.

»Dir wurde eine Frage gestellt«, erinnerte ich Appanius.

Er senkte den Stab. »Ja«, sagte er. »Ich bin Appanius, das Oberhaupt dieses Hauses, das am bekanntesten für seine Landwirtschaft ist.«

»Besitzt du einen ungehorsamen, widerspenstigen Sklaven?« fragte ich.

»Ich verstehe nicht.«

»Ich bin Besitzer einer kleinen Schlampe namens Lavinia«, sagte ich.

»Lavinia!« rief er wütend aus.

»Ich habe sie erst kürzlich erworben.«

»Dieses kleine Miststück!«

»Ein Bursche, der, wie ich von anderen erfahren habe, dein Sklave ist, hat sie anscheinend verführt.«

Er starrte mich an. »Unmöglich!«

»Du kennst diese Lavinia?«

»Ich glaube schon, ja«, sagte er. »Ich hätte sie schon vor Monaten als Topfmädchen in die Stadt verkaufen sollen.«

»Anscheinend treffen sie sich«, sagte ich. Das entsprach sogar der Wahrheit, da Lavinia in der Tracht einer Staatssklavin mehrere Male zu dem Sklaven Milo Kontakt aufgenommen und ihm Botschaften überbracht hatte, bei denen es um das geplante Stelldichein an diesem Morgen ging. Natürlich hatte sie in ähnlichem Kontakt mit der Ubara gestanden, nur daß sie in dieser Rolle einen Kragen trug, der sie als Angehörige des Hauses von Appanius ausgab.

»Das kann ich nicht glauben!« sagte Appanius ärgerlich.

»Warum bist du hier?« fragte ich.

»Du!« rief er. »Du hast mir heute in aller Frühe die Botschaft geschickt!«

»Ja«, sagte ich. »Ich bin ihm gefolgt. Sie treffen sich irgendwo hier, ich weiß nur nicht genau wo.«

»Wenn das stimmt«, brüllte Appanius, »dann weiß ich wo!«

»Dein Sklave sollte gezüchtigt werden«, meinte ich.

»Deine Sklavin sollte gezüchtigt werden«, erwiderte er heftig. »Meiner ist unschuldig!«

»Und meine ist nur eine Sklavin.«

»Nur eine Sklavin! Nur eine Sklavin!« rief er aus. »Genau das ist es doch! Sie sind alle gleich! Sie alle haben dieses Feuer im Unterleib und können sich nicht beherrschen. Unablässig betteln und lecken und küssen sie! Und diese Lavinia ist eine der schlimmsten! Sie ist eine Verführerin, das kann ich dir sagen! Sie sind alle Verführerinnen!«

»Soweit ich weiß, ist es dein Sklave, der hier der Verführungssklave ist«, sagte ich.

»Wer hat das gesagt?« rief Appanius.

»In der Stadt kursieren derartige Gerüchte.«

»Das stimmt nicht!« behauptete er. »Das ist eine Lüge!«

»Trotzdem trifft die Schuld deinen Sklaven.«

Er schüttelte erregt der Kopf. »Nein. Ich kenne deine Lavinia, sie ist es, die die Schuld an allem trägt.«

»Wie dem auch sei«, sagte ich, »anscheinend treffen sie sich.«

»Das kann nicht sein!«

»Wie es aussieht, unterhält dein Sklave ein schamloses Verhältnis mit ihr.«

»Das kann nicht sein!«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihn gesehen. Ein großer, hübscher Bursche. Warum also sollte er es nicht tun?«

»Er würde mich nicht verraten!«

»Ich verstehe nicht.«

»Weißt du, wer mein Sklave ist?« fragte er.

»Ist er in Ar bekannt?«

»Das schon«, gab Appanius widerstrebend zu.

»Ich bin nicht aus Ar.«

»Das habe ich mir schon gedacht«, sagte er. »Denn dann wüßtest du, daß ein Sklave von dieser Qualität nicht im mindesten an deiner kleinen Schlampe interessiert ist.«

»Bist du dir da sicher?«

»Absolut.«

»Und doch bist du mit deinen Männern gekommen.«

Appanius nickte zögernd. »Um seine Unschuld zu beweisen.«

»Tragen deine Leute deshalb Stäbe und Ketten?«

»Du bist unverschämt, Kerl!« brüllte er.

»Appanius, sei vorsichtig«, warnte ihn einer der Gefolgsmänner, offensichtlich der Sprecher der Gruppe. »Er ist ein Ordnungshüter.«

»Lucian, das regele ich schon allein«, fuhr Appanius ihn an.

Der mit Lucian Angesprochene zuckte mit den Schultern.

»Wir könnten die Sache ein für allemal klarstellen«, schlug ich vor. »Wir müßten nur wissen, wo sie sind.«

Der Landwirt lachte verächtlich. »Du weißt also nicht, wo deine Sklavin ist?«

»Woher soll ich das wissen?«

»Wenn du sie zu Hause angekettet hättest, wüßtest du es.«

»Und wenn du deinen Sklaven in einer Zelle eingesperrt hättest«, erwiderte ich, »wüßtest du auch, wo er ist.«

»Es war dein Fehler, eine Schlampe wie Lavinia von der Kette zu lassen!«

»Und du läßt deinen Sklaven wie einen Vulohahn in Ar herumstreifen!«

»Mein Sklave ist unschuldig, ehrlich und vertrauenswürdig!«

»Und genau darum hast du Männer, Ketten und Stäbe mitgebracht.«

»Sleen!« brüllte Appanius.

»Sei vorsichtig!« sagte Lucian. Im Gegensatz zu seinem Arbeitgeber war er sich offensichtlich durchaus bewußt, daß Marcus mit der Hand am Schwertgriff hinter ihnen stand. Ich schätzte, daß der junge Krieger zweien von ihnen die Kehlen durchschneiden konnte, bevor sie überhaupt Gelegenheit hätten, in verschiedenen Richtungen auszuweichen. Danach würde er mindestens noch einen von ihnen angreifen können, vorausgesetzt, sie wichen tatsächlich in verschiedene Richtungen aus, was für sie die beste Taktik sein würde. Ich würde mit etwas Glück den anderen stellen können, nachdem ich Appanius niedergestreckt hatte. Hätte ich eine Wette abschließen müssen, wäre ich davon ausgegangen, daß keinem von ihnen die Flucht gelang. Kein Stab kann gegen eine Klinge bestehen, außer er wird von Expertenhänden geführt.

»Wie dem auch sei«, sagte ich, »ich bin Lavinia bis in diese Gegend hier gefolgt, und ich habe auch deinen Sklaven gesehen, und irgendwie gelang es ihnen zu verschwinden.«

Das gab ihm zu denken. »Aber du hast sie nicht zusammen gesehen?«

»Nein.«

»Dann sind sie auch nicht zusammen!«

»Ich bin davon überzeugt, daß sie zusammen sind.«

»Nein!«

»Aber beide sind verschwunden.«

»Und du kannst dir nicht vorstellen, daß sie eines der Häuser betreten haben, natürlich unabhängig voneinander?« fragte Appanius.

»Wie könnte das sein?« erwiderte ich. »Sklaven betreten nicht so ohne weiteres irgendwelche Häuser, nicht ohne konkreten Anlaß. Und niemand heißt ihm unbekannte Sklaven in seinem Haus willkommen, begrüßt sie freundlich und bietet ihnen an, mit ihm den Kessel zu teilen. Und ich gehe mal davon aus, daß sie kein Geld haben, um eine freie Person dafür zu bestechen, ihnen ein Zimmer für ihr heimliches Rendezvous zur Verfügung zu stellen. Lavinia hatte jedenfalls kein Geld.«

»Hast du in letzter Zeit deine Münzen gezählt?« fragte Appanius lauernd.

»Hast du deine gezählt?«

»Mein Sklave verfügt über Taschengeld.«

»Dann könnten sie überall sein«, sagte ich wütend.

»Nein«, erwiderte er. »Dazu ist er zu bekannt.«

»Wo sind sie also dann?«

»Da kommt nur ein Ort in Frage!« gab er widerstrebend zu.

Seine Gefolgsmänner blickten sich an und nickten.

»Und wo ist das?« fragte ich. Dabei standen wir keine zehn Meter von dem Haupteingang entfernt.

»Das heißt«, sagte Appanius, »es gibt nur einen Ort, an dem mein Sklave sein könnte. Ich weiß nicht, wo deine Sklavin herumstreunt. Die könnte überall sein, sich in einem Hauseingang an jemanden klammern, sich auf einer Matte winden, in einem dunklen Korridor stöhnen, wer weiß das schon?«

»Ich wette«, erwiderte ich, »finden wir deinen Sklaven, haben wir auch meine Sklavin gefunden.«

»Ich weiß, wo mein Sklave ist«, sagte Appanius widerstrebend. »Er hat sich an einen Ort begeben, an dem er sich in aller Ruhe in seinen Text vertiefen kann.«

»Seinen Text?«

»Er ist Schauspieler.«

»Wenn er sich in etwas vertieft, dann zweifellos in meine Lavinia.«

»Sleen!« fauchte Appanius. Die Gefolgsmänner traten unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Zwei von ihnen drehten die Köpfe und warfen Marcus einen besorgten Blick zu, als stünde ein Larl hinter ihnen.

»Ich glaube, sie sind zusammen!« behauptete ich.

»Niemals!« sagte Appanius im Brustton der Überzeugung. »Das kann nicht sein!«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Folgt mir!« sagte er und strebte dem Eingang zu, der direkt von der Straße in die Wohnung führte.

Ich verließ mich darauf, daß Lavinia genug Zeit blieb, den Umhang fallen zu lassen und die Entkleidungsschleife ihrer Tunika zu öffnen, bevor sich die Tür öffnete. Dann konnte sie die Arme um Milo schlingen und ihm ihre Liebe gestehen. Ich hoffte, daß sie überzeugend war.

Appanius blieb einen Schritt vor dem Hauseingang stehen. Anscheinend war ihm ein Gedanke gekommen.

»Nun öffne schon die Tür«, sagte ich, »wenn das das Haus ist.« Ich wollte auf keinen Fall, daß sie zum Hintereingang schlichen und die beiden Sklaven ohne Warnung überraschten. Lavinia würde keine Zeit bleiben, die Kleider fallen zu lassen. Falls man sie einige Meter voneinander entfernt vorfand, voll bekleidet, in eine Unterhaltung über den Zustand des unter cosischer Verwaltung stehenden Theaters vertieft, konnte ich meine Pläne vergessen. Ich ging zur Tür und ballte die Faust, um gegen das Holz zu pochen und sie eine oder zwei Ihn später einzutreten.

»Nein«, flüsterte Appanius und ergriff meine Hand. Ich ließ mich ungehalten ein paar Schritte zurückdrängen.

»Du hast recht, Appanius«, sagte Lucian. »Es wäre besser, von hinten hineinzugehen. Dann kann man durch die Beobachtungsschlitze in das Vorderzimmer hineinsehen.«

»Beobachtungsschlitze?« fragte ich.

»Dann brauchen wir ihn nicht bei seinem Rollenstudium zu stören, womit er zweifellos beschäftigt sein wird, und, was viel wichtiger ist, er wird überhaupt nichts von unserem Besuch erfahren«, sagte der Mann leise und diplomatisch. »So wird ihm niemals der Verdacht kommen, du wärst eifersüchtig auf ihn gewesen oder hättest ihn des Verrats verdächtigt.«

»Eifersüchtig?« fragte ich. »Verrat?«

»Genau mein Gedanke«, sagte Appanius. Wie ich jetzt erkannte, war dieser Lucian mehr als ein beliebiger Gefolgsmann, er war ein fähiger Höfling. Solche Burschen haben das Talent, wichtigen Leuten immer das zu sagen, was sie hören wollen. Es ist schon vorgekommen, daß solche Burschen für den Sturz von Ubars und auch ihren eigenen verantwortlich sind, und das nur wegen ihres Bestrebens, den Thron vor unerwünschten Wahrheiten zu beschützen. Es war nicht selten vorgekommen, daß in einer königlichen Residenz Frohsinn herrschte, während die Landesgrenzen zusammenbrachen. Ich aber verspürte den Wunsch, den Kerl mit dem Schwert zu durchbohren. Verzweiflung bemächtigte sich meiner.

»Kommt mit«, sagte Appanius. »Aber seid leise.«

»Natürlich«, sagte ich durch zusammengebissene Zähne. Ich warf Marcus einen Blick zu. Er lächelte.

Das machte mich wütend. Begriff er denn nicht, daß meine Pläne im nächsten Augenblick zunichte gemacht werden konnten?

Ich blieb zurück und hob die Faust, um gegen die Tür zu klopfen, aber er nahm mich fest beim Arm, und wir folgten Appanius und seinen Gefolgsleuten die Straße entlang, bis wir links in die schmale Gasse einbogen.

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