19

»Herr, ich fürchte mich«, sagte Lavinia.

Ich stieß sie in unser kleines Zimmer im insula von Torbon und schloß hinter uns die Tür.

»Wie ist es gelaufen?« fragte ich.

»Ich fürchte mich!«

»Warum?«

»Wie kann ich es wagen, vor ihn zu treten«, fragte sie, »als das, was ich nun bin, nämlich als Sklavin?«

»Du wirst die sittsame Kleidung einer Staatssklavin tragen.«

»Ich fürchte mich.«

»Nimm den Umhang ab.«

Sie gehorchte. Unter dem Umhang kamen das Kleid aus weißer Wolle und ihr Eisenkragen zum Vorschein.

»Ich würde es nicht einmal wagen, den Blick zu heben, um ihn anzusehen«, jammerte sie.

»Das mußt du aber, wenn er es befiehlt.«

»Ja, Herr«, sagte sie kläglich.

»Aber vielleicht ist es ja nicht nötig.«

»Ja, Herr.«

»Zieh dich jetzt um«, sagte ich, »aber beeile dich!«

Sie zog das weiße Kleid aus und stand einen kurzen Augenblick lang, vermutlich ohne sich dessen bewußt zu sein, nackt vor mir.

»Eitle Sklavin!« Ich mußte lachen.

Sie errötete und legte das Wollkleid schnell ab und griff nach der Tunika einer Staatssklavin.

Ich lächelte.

In diesem kurzen Augenblick hatte sie den Besitz ihres Herrn wirklich auf einnehmende Weise vorgeführt.

Im Handumdrehen hatte sie die Tunika über den Kopf gestreift und zog sie an den Hüften glatt.

Ich betrachtete sie, dann sagte ich: »Ausgezeichnet.«

Sie lächelte, und ich holte den Kragen, der dem Staatskragen so ähnlich sah, aus dem Lederkästchen. Ich trat hinter sie, legte ihr den Kragen um und entfernte den Kragen, den sie bis jetzt getragen hatte, den Kragen, der sie als Eigentum von Appanius kennzeichnete.

»Weißt du, wie spät es ist?« fragte ich.

»Nein«, antwortete sie. »Ich weiß ja kaum, was ich tue oder wo ich bin.«

»Knie nieder!«

Auf Gor gibt es Chronometer, aber sie sind selten und kostbar. Marcus und ich hatten zur Zeit absichtlich keinen in unserem Besitz. Er hätte nicht zu unserer Tarnung als Hilfswächter gepaßt.

Ich setzte mich ihr gegenüber, mit untergeschlagenen Beinen.

»Mein Herr scheint auch nervös zu sein«, sagte Lavinia. Dann wurde ihr bewußt, daß sie keine Erlaubnis zum Sprechen gehabt hatte. »Verzeih, Herr.«

»Schöpfe erst einmal Atem.«

»Danke, Herr.«

Sie hatte es nicht versäumt, ihre Knie in die richtige Position zu bringen. Schließlich befand sie sich in der Gegenwart eines freien Mannes. Wir mußten bald zum Theater von Pentilicus Tallux, dem Großen Theater, aufbrechen, das immerhin zwei Pasang von meiner Wohnung entfernt lag.

»Ich fürchte mich«, sagte sie wieder.

»Wie ist es gelaufen?«

In diesem Augenblick ertönte der Alarmstab, der die Zeit verkündete. In einer großen Stadt wie Ar wurden die Alarmstäbe regelmäßig geschlagen, damit die Bürger wußten, wie spät es war.

»Es ist erst die elfte Ahn«, sagte sie dankbar und schloß erleichtert die Augen.

»Du hast Angst, nicht wahr?« fragte ich.

»Ja«, flüsterte sie. Sie hatte das Recht, Angst zu verspüren. Schließlich war sie nur eine Sklavin.

»Wovor hast du Angst?«

»Vor ihm, in dessen Gegenwart ich mich begeben muß, und dann nur als niedere Sklavin.«

»Ach so«, sagte ich. Ich war eigentlich der Meinung gewesen, ihre Angst rühre von den Geschehnissen des Vormittags her.

»Berichte mir, was im Zentralzylinder geschehen ist«, sagte ich.

»Vieles ereignete sich genauso, wie du es vorausgesehen hattest«, sagte Lavinia. »Ich ging auf den Zentralzylinder zu. Ich kniete vor den Wachen nieder und senkte den Kopf. Die verschlossene Briefröhre berührte beinahe die Pflastersteine. Ich sah auf. Dann berichtete ich von meinem Auftrag, daß ich eine private Botschaft für die Ubara hätte, von Appanius’ Haus. Sie überprüften meinen Kragen und waren davon überzeugt, daß ich eins von Appanius’ Mädchen war. Die Wächter glaubten kaum, daß man mich zur Ubara vorließe, aber zu ihrer Überraschung erlaubte man es mir.«

»Man hat dich eingelassen, weil der Brief möglicherweise von einem ganz bestimmten Mitglied von Appanius’ Haushalt stammte und nicht von Appanius selbst, der kaum etwas direkt mit der Ubara zu tun hat«, sagte ich. »Die Ubara vermutete und hoffte vielleicht sogar, daß der Brief von dieser Person kam. Daß er auch noch ›privat‹ war, hatte ihre Vermutung nur noch verstärkt und sie neugierig gemacht.«

»Ja, Herr.«

Lavinia hatte natürlich mit auf den Rücken gefesselten Händen bei den Wächtern des Zentralzylinders vorgesprochen, und mit einer an ihrem Hals befestigten Briefröhre. Auf diese Weise hätte sie das Schreiben unmöglich lesen können und würde garantiert nichts von seinem Inhalt wissen. In gewissem Sinne stimmte das auch, da Marcus und ich den Brief mit Phoebes Hilfe am vergangenen Abend verfaßt hatten, während sie zu den Anschlagtafeln gegangen war, um nach Bekanntmachungen Ausschau zu halten, die möglicherweise von uns für Interesse waren. Es ist besser, wenn die Sklavinnen die Tafeln am frühen Morgen oder Abend besuchen, wenn dort nicht so viel Gedränge herrscht. Natürlich wußte sie in groben Zügen, worum es bei dem Brief ging und welche Rolle er in unseren Plänen spielte. Nachdem Lavinia den Zentralzylinder wieder verlassen hatte, hatte ich sie am vereinbarten Treffpunkt schon erwartet, ihr die Handschellen und die Briefröhre abgenommen und ihr den Umhang gegeben. Dann waren wir auf verschiedenen Wegen zum insula zurückgekehrt.

»Erzähl weiter.«

»Man überprüfte meine Handschellen«, sagte sie. »Wie man herausfand, war ich perfekt gefesselt.«

Ich nickte. Daß Lavinia vorher die Hände mit Handschellen auf den Rücken gefesselt worden waren, war lediglich als Annehmlichkeit für die Wächter gedacht gewesen. Das ersparte ihnen die Mühe, es selbst tun zu müssen, bevor sie sie vor die Ubara führten.

»Dann legten sie mir zwei Leinen an.«

»Ein Eisenkragen, mit Ketten auf jeder Seite?«

»Ja, Herr.«

Das überraschte mich nicht. Die Wächter hätten nicht riskiert, sie so ohne weiteres zur Ubara zu bringen, nicht einmal mit den Handschellen.

»Erzähl weiter«, sagte ich.

Und Lavinia gehorchte und berichtete, und ich hörte zu, ohne sie auch nur einmal zu unterbrechen.


Fünf Wächter führten mich, Lavinia, durch das Flügeltor des Zentralzylinders. Der Anführer ging zuerst. Zwei Männer gingen rechts und links von mir, jeder hielt eine Leine. Zwei Wächter mit Speeren bildeten den Abschluß. Im Inneren des Tores setzte man mir eine Haube auf, dann führten sie mich durch ein Labyrinth aus Gängen und Abzweigungen und verschiedenen Ebenen. Manchmal drehten sie mich sogar ein paarmal im Kreis. Ich hatte jede Orientierung verloren und nicht die geringste Vorstellung, wo genau im Zentralzylinder ich mich befand. Schließlich befahl man mir niederzuknien. Ich gehorchte, kniete nieder, spreizte die Beine und senkte den Kopf, wie es sich gehört, dabei hatte ich den Eindruck, daß man die Leinen am Boden festmachte.

Plötzlich ertönte eine Frauenstimme. »Gib mir den Brief meines guten Freundes Appanius«, sagte sie. Die Stimme schien freundlich, sogar nett zu sein, aber irgendwie klang da ein drohender, bösartiger Unterton durch.

Ich fühlte, wie man den Brief aus der Röhre nahm. Vermutlich war das der Anführer der Wächter. Eine Zeitlang herrschte Stille. Dann ergriff die Frau erneut das Wort.

»Es ist nichts Besonderes«, sagte sie. »Nur eine Nachricht von unserem Freund Appanius, es geht um ein neues Theaterstück. Laßt uns nun allein. Aber bevor ihr geht, enthüllt das Gesicht der Sklavin. Ich will es sehen.«

Man nahm mir die Haube ab.

Allem Anschein nach kniete ich in einem privaten Audienzgemach, irgendwo in den Tiefen des Zentralzylinders. Es wurde von Lampenschein erhellt. Die Wandteppiche waren scharlachrot und prächtig. Ein paar Schritte vor mir befand sich ein Podest, und auf diesem Podest saß eine königliche Gestalt, die ein kostbares Gewand der Verhüllung mit einem wunderbaren Schleier trug, auf einem kurulischen Stuhl. Ich war sprachlos.

»Wir warten draußen«, sagte der Befehlshaber der Wächter. Er und seine Männer zogen sich zurück.

Ich blickte die Frau auf dem Stuhl demütig an. Anscheinend nahm sie keine Notiz von mir. Sie las den Brief wieder und wieder, offensichtlich mit großem Interesse.

Die Ketten, die an dem Metallkragen um meinen Hals befestigt waren, hatte man an im Boden eingelassenen Ringen eingeklinkt. Ich konnte nicht aufstehen.

Die Frau sah auf mich herab. Ich senkte den Kopf bis zum Boden.

»Ist das die Art, wie du vor einer freien Frau kniest?« fauchte sie.

»Vergib mir, Herrin«, schluchzte ich. »Die Wächter waren anwesend!«

»Aber jetzt sind sie nicht mehr da«, erwiderte sie, »und selbst wenn sie es wären, bin ich hier die Herrin und nicht sie!«

»Vergib mir, Herrin!« flehte ich sie an.

»Du wirst sittsam vor mir knien.«

»Ja, Herrin.« Und ich schob die Oberschenkel zusammen und gab mir die allergrößte Mühe, so sittsam und anständig vor ihr zu knien, wie ich nur konnte.

Die Frau musterte mich. Ich wagte es kaum, den Blick zu heben. Meistens hielt ich den Kopf gesenkt. Ich zitterte sogar. Man kann sich sicher vorstellen, wie klein und bedeutungslos ich mir in Gegenwart der Ubara von Ar vorkam.

»Dieser Brief kommt nicht von Appanius«, sagte sie schließlich.

»Nein, Herrin«, antwortete ich.

»Weißt du, wer ihn geschrieben hat?«

»Der schöne Milo«, sagte ich.

»Kennst du seinen Inhalt?«

»Nein, Herrin.«

»Kannst du lesen?«

»Ja, Herrin.«

»Aber du hast ihn nicht gelesen?«

»Nein, Herrin.«

»Hast du eine Ahnung, worum es hier geht?«

»Ich fürchte schon, Herrin«, sagte ich.

»Weiß du, wer ich bin?«

»Die majestätische und wunderschöne Talena, die Ubara des glorreichen Ar.«

»Man könnte ihn schon allein für den Gedanken, einen solchen Brief zu schreiben, hinrichten lassen.«

Darauf erwiderte ich nichts.

»Er hat ihn sogar unterschrieben. Was für ein Narr, was für ein armer, verrückter, verblendeter Narr!«

Auch darauf gab ich keine Antwort.

»Wie konnte er nur etwas derartig Dummes, Kompromittierendes, völlig Verrücktes tun?«

»Vielleicht hat ihn ein flüchtiger Blick auf die Schönheit der Herrin sämtlicher Zurückhaltung beraubt«, flüsterte ich.

Das schien sie zu interessieren. »Sprich!« befahl sie mir.

»Er hat Vorstellungen im Zentralzylinder gegeben«, sagte ich. »Lesungen und dergleichen. Vielleicht hat ihn bei einer dieser Gelegenheiten die Stimme der Herrin bezaubert – selbstverständlich ohne daß sie etwas dafür konnte –, wie das Lied der Veminiumvögel. Oder es waren ihre Anmut und Ausstrahlung, das Ergebnis von tausend Generationen vererbter Eleganz. Vielleicht ist auch für einen kurzen Augenblick der Schleier der Herrin verrutscht, natürlich völlig unabsichtlich, und er hatte das Pech, einen Blick auf ihre Gesichtszüge zu erhaschen, oder aber er sah ein Stück ihres Handgelenks zwischen Ärmel und Handschuh, oder er sah – welch beängstigende Vorstellung – unter dem Saum ihres Gewandes ihren Knöchel aufblitzen.«

»Schon möglich«, erwiderte die Ubara. Und ich hatte nicht den geringsten Zweifel, daß die königliche Schlampe ausreichend dafür gesorgt hatte, daß sich solche scheinbar zufälligen Möglichkeiten ergeben hatten.

»Weißt du, daß er mir die erste Vorstellung seines ›Lurius von Jad‹ widmete?«

Das war mir bekannt. Ich nickte.

»Man sagt, es sei seine beste Vorstellung gewesen«, fuhr sie fort.

»Ja, Herrin«, erwiderte ich.

»Und er hat mir auch noch viele andere Auftritte gewidmet.«

Ich nickte.

»Die alle als begeisternde Auftritte gefeiert wurden.«

»Ja, Herrin.«

»Ich sollte diesen Brief zerstören«, sagte die Ubara dann. »Ich sollte ihn an eine der Flammen in einer dieser winzigen Lampen halten.«

»Ja, Herrin.«

»Wenn einer der Ratsmitglieder oder Seremides oder Myron oder auch sein Herr nur einen Blick davon zu sehen bekämen, könnte es seinen Tod bedeuten!«

»Ja, Herrin«, sagte ich. Aber die Ubara machte keine Anstalten, den Brief zu zerstören, sondern faltete ihn sorgfältig zusammen und verbarg ihn unter ihrem Gewand der Verhüllung.

»Milo vergißt auf unverschämte Weise seine Stellung!« sagte sie. Aber ich glaube, sie freute sich. Dann stand sie von ihrem Stuhl auf und kam auf mich zu. »Zu welchem Haus gehörst du, Mädchen?« fragte sie.

»Ich gehöre dem Haus von Appanius«, antwortete ich, wie es mir mein Herr befohlen hatte.

»Knie gerade und heb das Kinn«, befahl sie. »Den Kopf noch weiter zurück!« Sie beugte sich herunter und überprüfte den Kragen. »LIEFERE MICH BEI APPANIUS VON AR AB«, las sie laut vor. »Eine passende Inschrift für einen Kragen«, sagte sie und erhob sich. »Passend für eine Sklavin.«

»Ja, Herrin«, erwiderte ich.

»Es ist schon unglaublich, welch ein Unterschied zwischen einer wie dir und einer wie mir besteht« staunte sie. »Wie nennt man dich?«

»Lavinia.«

»Das ist ein hübscher Name.«

»Danke, Herrin.«

»Und du bist ein hübsches Mädchen.«

»Danke, Herrin.«

»Wage es nicht, den Kopf zu senken«, fuhr sie mich an, ergriff meinen Kragen und blickte mir wütend in die Augen. »Wertloses, versklavtes Miststück!«

»Ja, Herrin!« keuchte ich erschreckt.

Plötzlich fragte sie: »Was bedeutest du Milo?«

»Nichts, Herrin!« rief ich. »Nichts!«

»Wie kommt es, daß du den Brief überbracht hast?« fragte sie. »Und wage es nicht, den Kopf zu senken.«

»Mein Herr Appanius hat mich Milo als persönliche Dienerin zur Verfügung gestellt, um sein Quartier zu säubern und für ihn Botengänge zu erledigen.«

»Und hat er dich zum Schlafen an seinem Sklavenring festgemacht?«

»Nein, Herrin!« stieß ich atemlos hervor. »Er läßt mich auf meiner Matte schlafen, in der Zimmerecke, und ich darf nie vor dem Morgen gehen!«

»Das ist lächerlich!« fauchte die Ubara. »Er hat dich nie angefaßt, in der Art der Männer?«

»Nein, Herrin!«

»Erwartest du, daß ich das glaube?«

»Ja, Herrin«, flehte ich sie an. Sie schaute mich wütend an. »Ich bin für Milo nur eine bedeutungslose Dienerin.«

»Aber du würdest gern mehr sein«, stellte sie fest.

»Bitte, Herrin, verlangt nicht, daß ich dazu etwas sage«, schluchzte ich. Da blickte sie auf mich herab und lachte, und dieses Lachen traf mich tief.

»Milo hat dich also nie angefaßt?«

»Nein, Herrin.«

»Interessant.«

»Ich fürchte, seine Gedanken gelten nur einer Frau.«

Die Ubara sah überrascht aus.

»Ja, Herrin«, sagte ich. »Und ich fürchte, allein sie ist es, der sein Herz gehört.«

»Und wer sollte das sein?«

»Vielleicht kann die Herrin es sich denken.«

Plötzlich berührte sie ihr Gewand an der Stelle, an der sie den Brief verborgen hatte. »Er ist ein Narr, einen solchen Brief zu schreiben!«

Ich schwieg.

»Sind wir die einzigen, die von diesem Brief wissen?« wollte sie dann wissen.

»Ich glaube schon, Herrin«, antwortete ich.

»Vielleicht sollte ich dir dann die Zunge herausschneiden und dir bei lebendigem Leibe die Haut abziehen lassen!«

Ich wagte nicht, darauf etwas zu sagen, und bemühte mich, mein Zittern zu unterdrücken. Schließlich sagte sie: »Du darfst den Kopf senken.«

»Danke, Herrin.«

»Was meinst du, sollten wir unseren verrückten, tollkühnen Milo verbrennen lassen?«

»Ich hoffe, daß die Herrin angesichts ihrer berühmten Schönheit und des Schadens, der allein der Gedanke daran im Herzen armer Männer anrichten kann, eher Mitleid hat und diese Unverschämtheit mit Nachsicht betrachtet.«

Die Ubara lächelte.

»Kann man es dem Morgen zum Vorwurf machen, daß ihn das Licht der Sonne erhellt, oder daß die Gezeiten den Monden unterworfen sind?«

»Eigentlich nicht«, sagte daraufhin dieses eitle, hochmütige Geschöpf. »Aber du mußt wissen, daß ich persönlich an solchen Dingen nicht im mindesten interessiert bin. Aber es gibt da eine mir bekannte Frau, die eine solche Aufmerksamkeit vielleicht nicht gänzlich unwillkommen heißen würde.«

»Herrin?« fragte ich. Ich glaube, sie dachte ernsthaft, ich würde ihr das abnehmen!

»Ich werde mich mit ihr beraten müssen«, sagte die Ubara.

»Ja, Herrin.«

»Es ist Ludmilla von Ar.«

»Aber du bist es doch, Herrin, für die der schöne Milo schwärmt wie ein liebestoller Verr«, protestierte ich und ging damit ein leichtsinniges Wagnis ein, wie ich beschämt zugeben muß.

Da lachte sie. Offensichtlich hielt sie mich für ein dummes Ding.

»Du wirst ihm den Namen Ludmilla nennen«, fuhr sie fort. »Er wird schon verstehen.«

»Und wie soll ich diese Ludmilla erkennen? Wie soll er sie erkennen?«

»Du wirst mir Bericht erstatten«, sagte die Ubara. »Alles wird allein durch mich arrangiert werden.«

»Ja, Herrin.«

»Und als erstes wirst du ihm mitteilen, daß Ludmilla ihm wegen seiner Dummheit, einen solchen Brief zu schicken, sehr böse ist und daß der Gedanke, deshalb ihr Mißvergnügen erregt zu haben, ihn vor Entsetzen zittern lassen soll.« Dann fügte sie nachdenklich hinzu: »Aber sag ihm auch, daß Ludmilla, wie es ihrer Natur entspricht, dazu geneigt ist, Nachsicht walten zu lassen, daß sie seine Not vielleicht sogar rührt.«

»Aber sollte die Herrin nicht vorher mit der edlen Ludmilla sprechen, bevor sie solche Aussagen in ihrem Namen macht?« fragte ich.

»Ich kann für sie sprechen«, erhielt ich zur Antwort.

»Ja, Herrin.«

»Sag ihm auch, daß seine Klage nicht unbedingt abschätzig aufgenommen wurde.«

»Ja, Herrin.«

»Und jetzt senk den Kopf, Sklavin!«

Ich gehorchte und hörte das Rascheln von Seide, als Würde ein Schleier entfernt.

»Du darfst wieder hinsehen.«

Und ich blickte auf und konnte nur aufstöhnen. Ich brachte kein Wort hervor, sondern starrte sie nur ehrfürchtig an. Sie war schöner, als ich es mir je hätte vorstellen können! Sie war schöner, als ich es mir hätte erträumen können!

Als ich mich wieder gefaßt hatte, sagte ich: »Sicherlich kann sich die Lady Ludmilla nicht mit der Schönheit der Herrin messen!«

»Sie ist genauso schön wie ich«, erwiderte die Ubara. Sie lächelte zufrieden, richtete ihren Schleier und sagte mir, man würde mich zu jeder Zeit zu ihr vorlassen. Dann rief sie die Wachen herein und gab ihnen Anweisungen, die ich nicht verstehen konnte, die aber vermutlich mich betrafen. Dann brachten mich die Wächter wieder hinaus, wo mein Herr schon ungeduldig auf mich wartete.


Lavinias Bericht stimmte mich sehr zufrieden. Talenas Reaktion auf Milos angeblichen Brief war genau so gewesen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Lavinia hatte recht; sie war in der Tat eine sehr schöne Frau. Und ein eitles, hochmütiges Geschöpf. Ich fragte mich, wie sie in Sklavenketten aussehen würde, zu meinen Füßen. Ich lächelte.

»Meine Liebe«, sagte ich zu Lavinia. »Du bist jetzt die Botin in einer Intrige.«

In diesem Augenblick ertönte der Alarmstab und verkündete die zwölfte Stunde.

Lavinia sah erschrocken auf.

»Es ist spät«, sagte ich. »Wir müssen los.«

Ich stand auf. Sie trug bereits das Gewand, das soviel Ähnlichkeit mit der Tunika einer Staatssklavin hatte, also mußte ich ihr nur noch den dazugehörigen Kragen anlegen. Ich hob den kurzen Umhang auf, den sie zuvor getragen hatte, und legte ihn ihr über die Schultern. Wieder mußte ich lächeln. Es war fast so, als würde ein Mann einer jungen Dame in den Mantel helfen. Doch welch einen Unterschied gab es hier! Sie war mein Eigentum, mit dem ich machen konnte, was ich wollte.

Wir verließen unseren kleinen Raum im insula von Torbon, ich zuerst, und Lavinia ein paar Schritte hinter mir.

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