John Norman Die Zauberer von Gor

1

»Eigentlich müßtest du das Gesetz kennen, meine Liebe«, sagte der Mann.

Sie kämpfte gegen das Netz an, das von der Decke auf sie herabgefallen war, um dann von den Wächtern ergriffen zu werden, die aus ihren Verstecken an den Wänden des Raumes sprangen.

»Nein!« rief sie. »Nein!«

Man drehte sie zweimal auf dem Diwan herum, damit sie sich noch gründlicher in den Maschen verfing.

»Nein!« schluchzte sie.

Die vier Wächter hielten das Netz gepackt.

In ihren Augen lag ein gehetzter Ausdruck. Ihre Finger verkrallten sich in den Maschen. Sie war wie ein verängstigtes Tier.

»Bitte!« schluchzte sie. »Was wollt ihr?«

Der Mann gab keine Antwort, sondern betrachtete sie nur, wie sie dort nackt in dem Netz gefangen lag; mit angezogenen Knien auf den weichen Fellen des großen Diwans, klein und verletzlich, entblößt und ertappt.

»Milo!« rief sie dem hochgewachsenen, hübschen Burschen zu, der an der Seite stand. »Hilf mir!«

»Aber ich bin ein Sklave«, sagte Milo und zog sich seine purpurne Tunika über.

Sie starrte ihn gehetzt an.

»Ich bin davon überzeugt, daß dir das Gesetz bekannt ist«, sagte der Mann, an dessen Seite nun zwei Magistrate traten.

»Nein!« rief die Frau.

Die Magistrate waren von Amts wegen Zeugen, die die Umstände der Gefangennahme bezeugen sollten. Das Netz war sehr widerstandsfähig und mit Gewichten versehen.

»Eine freie Frau, die sich zu dem Sklaven eines anderen Herrn aufs Lager begibt oder sich anschickt, sich ihm dort hinzugeben, wird selbst zur Sklavin und gehört von nun an dem Besitzer des Sklaven. Es ist ein eindeutiges Gesetz.«

Die Frau schluchzte.

»Sieh es doch einfach so, wie es ist, wenn dir das hilft«, sagte der Mann. »Du hast dich Milo hingegeben, aber Milo gehört mir und kann nichts besitzen, also hast du dich mir hingegeben. Das ist wie die Münze, die eine freie Person einem Straßenmädchen gibt und die dann natürlich nicht dem Mädchen, sondern ihrem Herrn gehört. Was man dem Sklaven gibt, gibt man seinem Herrn.«

Sie starrte ihn entsetzt an.

»Ich verabscheue dich!« rief sie dann. »Bringt mir meine Kleider!« befahl sie den Wächtern.

»Wenn die Dokumente bestätigt und eingereicht sind – und in diesem Fall wird es weder Schwierigkeiten noch Einwände geben –, gehörst du mir.«

»Nein!« schluchzte sie.

»Hebt sie auf die Knie, mitsamt dem Netz!« befahl er.

Die Wächter gehorchten.

Die Frau starrte Milo an. Tränen glitzerten in ihren Augen. »Werde ich dann, als Sklavin, deine Frau sein?« fragte sie.

»Das halte ich für unwahrscheinlich«, erwiderte Milo mit einem Lächeln.

»Der hübsche, charmante, liebenswürdige, wortgewandte Milo«, sagte der Mann, »ist ein Verführungssklave.«

»Ein Verführungssklave?«

Der Mann nickte. »Er hat meinen Besitz um einige Sklavinnen erweitert.«

Die Frau zerrte tränenüberströmt an dem Netz, aber sie war hilflos.

»Wären du oder deine Vorgängerinnen nicht so verstohlen vorgegangen, wärt ihr nicht so sehr darauf bedacht gewesen, eure Liebelei mit einem Sklaven zu verheimlichen, hätte Milos Nutzen als Verführungssklave mittlerweile bestimmt stark abgenommen. Andererseits verspricht die Sorge um euren Ruf, der euch freien Frauen so wichtig ist, den weiteren Erfolg dieser erfreulichen kleinen Unternehmungen.«

»Laß mich frei!« bettelte sie.

»Einige von Milos Eroberungen arbeiten auf meinen Feldern, andere in meinem Haus«, fuhr er fort. »Aber die meisten – und ich bin davon überzeugt, daß auch du dazu gehören wirst – werden verkauft, damit sie außerhalb der Stadt ein neues Leben beginnen können.«

»Ein neues Leben?« flüsterte sie.

Er lächelte. »Das Leben einer Sklavin.«

Sie kämpfte vergeblich gegen die Fesseln an.

»Schiebt ihr das Netz bis zu den Hüften hoch und streift es ihr bis zum Hals hinunter, dann bindet es fest«, befahl er. »Dann knebelt sie und stülpt ihr eine Haube über.«

Die Frau schüttelte verzweifelt den Kopf.

»Heute abend wirst du dein Brandzeichen und deinen Sklavenkragen bekommen.«

»Nein, bitte!« schluchzte sie.

Die Wächter befolgten die Anweisungen des Sklavenherrn und verfuhren auf solche Weise mit dem Netz, daß die Beine und der Kopf der Frau frei waren, ihre Arme jedoch gebunden blieben.

Der Mann sah den hübschen Sklaven an. »Du nimmst den anderen Ausgang«, befahl er.

»Ja, Herr.«

Die freie Frau sah Milo hinterher.

»Du kniest nun auf einem Diwan«, sagte der Mann, »für eine Sklavin eine große Ehre. Vermutlich wirst du Monate in der Sklaverei verbracht haben, bevor sie dir erneut widerfährt.«

»Milo!« rief sie dem Sklaven hinterher.

Die Wächter zwangen ihr den Knebel, der mit der Haube fest verbunden war, in den Mund und banden ihn fest.

Sie gab einen leisen Protestlaut von sich.

Dann stülpte man der neuen Sklavin die Haube über den Kopf, zog sie zurecht und schnallte sie unter dem Kinn zu. Nun war das Gesicht völlig verhüllt.

»Was gab es da zu sehen?« fragte Marcus.

Ich trat von dem Spalt in den Fensterläden zurück, durch den ich alles beobachtet hatte.

»Nichts«, sagte ich.

Wir standen in einer Straße in Ar, einer schmalen, dicht bevölkerten Straße, in der man uns ständig anrempelte. Sie befand sich im Metellanischen Bezirk, der sich wiederum südöstlich des Bezirks des Zentralzylinders befindet. Es ist ein schäbiger, aber sauberer Bezirk. Hier gibt es viele Mietshäuser oder insulae. Es ist eine Gegend, die weit genug von den breiten Prachtstraßen des Stadtzentrums entfernt liegt, damit man sich dort für ein Schäferstündchen treffen kann.

»Ist Ar immer so dicht bevölkert?« fragte Marcus gereizt.

»In dieser Straße, zu dieser Tageszeit«, erwiderte ich schulterzuckend.

Mein Gefährte war Marcus Marcellus von den Marcelliani, aus der Stadt Ar-Station am Vosk. Wir waren von Brundisium nach Ar gereist. Wie auch ich gehörte er der Kriegerkaste an. Direkt hinter ihm, als fürchtete sie, ihn in der Menge zu verlieren – während sie gleichzeitig wie so oft versuchte, sich so klein wie möglich zu machen und sich hinter seinem Rücken zu verstecken – stand Phoebe, ein schlankes, dunkelhaariges Mädchen mit auffallend heller Haut. Sie war vor einigen Monaten vor Brundisium in seinen Besitz übergegangen.

»Da wir die gelben Ostraka haben und es unsere Passiermarken nicht gestatten, uns nach Einbruch der Dunkelheit in der Stadt aufzuhalten«, sagte Marcus, »sollten wir uns zum Sonnentor begeben.«

Marcus gehörte zu den Menschen, die sich wegen solcher Dinge sorgten, Dingen wie Verhaftungen, Pfählungen und dergleichen.

»Wir haben noch genug Zeit«, beruhigte ich ihn. Die meisten Städte haben ein Sonnentor, manchmal sogar mehrere. Sie heißen so, weil sie für gewöhnlich bei Sonnenaufgang geöffnet und bei Sonnenuntergang geschlossen werden, ihre Öffnungszeit also dem Tageszyklus entsprechen. Ar ist die größte Stadt des bekannten Gor, meines Wissens nach sogar noch größer als Turia im weit entfernten Süden. Ar verfügt über vierzig öffentliche Stadttore und zusätzlich über eine Anzahl kleinerer Tore, Geheimtore und Zugänge. Vor langer Zeit hatte ich die Stadt einmal durch einen solchen Zugang betreten, dessen Einstieg man durch eine vermeintliche Dar-Kosos-Grube erreichte. Der Zugang war nun verschlossen, wie ich mich vergewissert hatte, als ich an einem Seil in die Grube heruntergestiegen war. Vermutlich traf das auch auf ähnliche Zugänge zu, zog man Ars Entsetzen über den Vormarsch der cosischen Truppen in Betracht. Eigentlich bedauerte ich diesen Verlust, denn es war ein geheimer Ein- und Ausgang in die Stadt gewesen. Es war durchaus möglich, daß es noch andere gab; leider kannte ich sie nicht.

»Laß uns weitergehen«, schlug Marcus vor.

Ich sah einer jungen Sklavin nach, die vorbeiging, gekleidet in eine kurze braune Tunika und mit einer Hand einen Krug auf dem Kopf balancierend; ihre Schönheit schien das kurze, enge Kleidungsstück beinahe zu sprengen. Der Eisenkragen stand ihr. Sie ging barfuß.

»Laß uns gehen«, sagte Marcus. Phoebe drängte sich an ihn, ihre kleinen Finger krallten sich in seinen Ärmel.

»Immer mit der Ruhe.«

»Ich mag solche Menschenmengen nicht.«

Wir wurden herumgestoßen.

»Die Passiermarken tragen eine Nummer, und die Wächter werden am Tor kontrollieren, wer die Stadt verlassen hat und wer nicht.«

»Ich glaube, sie kommen gleich heraus«, sagte ich, »dort, durch diese Tür.«

»Wer?«

»Da, sieh selbst!«

Die Tür öffnete sich, dann trat der Sklavenherr auf die Straße. Die beiden Magistrate, die in der Zwischenzeit vermutlich ihre Eintragungen gemacht hatten, folgten ihm. Dann kamen die vier Wächter; sie gingen nacheinander in einer Reihe. »Aus dem Weg!« rief der Mann, und die Passanten machten ihm Platz. Der dritte Wächter trug eine Last auf der rechten Schulter. Es war eine nackte Frau, deren Oberkörper fest in ein widerstandsfähiges Netz gewickelt war. Ihr Kopf wurde von einer zugeschnallten Haube verborgen. Sie wand sich hilflos. Sie wurde mit dem Kopf nach unten getragen, wie man eben eine Sklavin trägt.

»Das hast du also beobachtet«, meinte Marcus. »Wie eine Sklavin eingefangen wird.«

»In gewisser Weise«, antwortete ich.

Etwa zur selben Zeit kam uns ein großer, sich anmutig bewegender blondgelockter Bursche entgegen, der einige Meter Abstand zu der Gruppe hielt und erstaunlich gut aussah, ja, fast schon hübsch zu nennen war. An seinem linken Handgelenk war ein silbernes Sklavenarmband befestigt. Seine Tunika bestand aus purpurfarbener Seide. Er trug goldene Sandalen.

Als der stattliche Bursche vorbeigegangen war, sprach ich einen Mann an, der in den weißen und goldenen Farben der Kaufmannsgilde gekleidet war. »Wer ist das?« Ich ging davon aus, daß ein solcher Mann allgemein bekannt sein dürfte. Er war kein gewöhnlicher Sklave.

»Das ist Milo, der Schauspieler«, sagte der Kaufmann.

»Er ist ein Sklave?« fragte ich überrascht.

»Er gehört Appanius, dem Landwirt, Impresario und Sklavenhändler«, sagte der Kaufmann, »der ihn an die verschiedenen Theater ausleiht.«

»Ein attraktiver Bursche«, sagte ich.

»Der schönste Mann von ganz Ar«, bestätigte der Kaufmann. »Freie Frauen versinken zu seinen Füßen in Ohnmacht. Milos Auftritt in einem Stück garantiert seinen Erfolg.«

»Er ist also populär.«

»Vor allem bei den Frauen.«

»Das kann ich verstehen.«

»Einige Männer sind weniger von ihm begeistert«, sagte der Kaufmann, und ich entnahm seinem Tonfall, daß er dieser Gruppe angehörte.

»Auch das kann ich verstehen.« Ich wußte nicht, was ich von diesem Milo halten sollte. Möglicherweise war daran der Verdacht schuld, Milo könnte attraktiver sein als ich.

»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte der Kaufmann.

»Vielleicht dient Milo ja nicht nur als Schauspieler«, meinte ich.

»Woran denkst du?« fragte der Kaufmann.

Ich winkte ab. »Ach, nichts.«

»Es ist Milo«, flüsterte eine verschleierte freie Frau ihrer ebenfalls verschleierten Begleiterin zu.

»Laß uns ihm nacheilen, um noch einen Blick auf ihn zu erhaschen«, erwiderte die andere Frau.

»Sei nicht schamlos!«

»Wir sind verschleiert!« erinnerte die zweite Frau ihre Freundin.

»Wir sollten uns beeilen«, drängte die erste Frau, und die beiden bahnten sich einen Weg durch die Menge, der in Purpur gekleideten Gestalt hinterher.

»So hübsche Burschen sollten gezwungen werden, in der Öffentlichkeit verschleiert zu gehen«, protestierte der Kaufmann.

»Vielleicht hast du recht«, gestand ich ihm zu. In den meisten goreanischen Stadtstaaten bewegen sich freie Frauen – vor allem Angehörige der höheren Kasten – in der Öffentlichkeit nur verschleiert. Darüber hinaus tragen sie die Gewänder der Verhüllung, die sie von Kopf bis Fuß bedecken. Meistens tragen sie sogar Handschuhe. Dafür gibt es viele Gründe – Schicklichkeit, Sicherheit und dergleichen mehr. Dafür laufen Sklavinnen nur aufreizend gekleidet herum, wenn sie überhaupt etwas tragen. Ihre Kleidung – sofern man sie ihnen gestattet – soll nur wenig von ihrer Schönheit der Phantasie überlassen. Ganz im Gegenteil, sie soll auf sie aufmerksam machen, sie enthüllen und in ihrer ganzen Großartigkeit zur Schau stellen. Goreaner schämen sich nicht der verruchten Pracht, der Sinnlichkeit, der Weiblichkeit und der Schönheit ihrer Sklavinnen. Nein, sie schätzen, preisen und feiern sie.

»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte ich zu dem Kaufmann.

Er wandte sich ab.

»Weitergehen!« rief da eine Stimme. »Bewegt euch!«

Ein Hausmarschall näherte sich, einen Schlagstock in der Hand, mit dem er die Leute berührte und einen Weg freimachte. Er ging der geschlossenen Sänfte einer freien, anscheinend sehr wohlhabenden Frau voraus, die von acht Sklaven getragen wurde. Ich trat zur Seite, um den Marschall, die Sänfte und ihre Träger vorbeizulassen. Die Seiten der Sänfte waren mit Vorhängen verhüllt.

»Seltsam, hier im Metellanischen Bezirk eine solche Sänfte zu sehen«, bemerkte ich.

»Vielleicht sollten wir uns lieber Gedanken darüber machen, unser Leben zu retten«, murrte Marcus.

Ich wandte den Kopf und blickte wieder in die andere Richtung. Von den Magistraten oder den Wächtern mit ihrer wohlgeformten Gefangenen war nichts mehr zu sehen.

»He!« beschwerte sich Phoebe.

Zweifellos hatte jemand aus der Menge sie im Vorübergehen angefaßt. Marcus blickte sich wütend um. Ich fragte mich ernsthaft, was er eigentlich erwartet hatte.

Ich blickte über die Menge hinweg. Etwa fünfzig Meter entfernt konnte ich die blonden Locken Milos entdecken. Er stand in der Nähe einer Häuserwand. Die Sänfte der freien Frau hatte kurz neben ihm angehalten und machte sich jetzt wieder auf den Weg.

»He!« rief Phoebe erneut.

Marcus drehte sich wieder um, schnell und wütend. Doch nur das gesichtslose Gedränge der Passanten war zu sehen.

»Wenn du so etwas vermeiden willst, solltest du ihr etwas zum Anziehen geben«, riet ich ihm.

»Sie soll nackt gehen«, erwiderte er. »Sie ist eine Sklavin.«

»Vielleicht wäre ein Kleidungsstück ja nicht verkehrt.«

»Sie hat ihren Kragen.«

»Dir ist es ja vielleicht nicht aufgefallen«, sagte ich, »aber sie ist eine außergewöhnlich schöne Frau.«

»Sie gehört zu den niedersten und verabscheuungswürdigsten aller Wesen«, entgegnete er grob.

»Natürlich.«

»Außerdem darfst du nicht vergessen, daß ich sie hasse!«

»Wie könnte ich das, nachdem du mir das doch schon so oft gesagt hast.«

Phoebe senkte lächelnd den Kopf.

»Davon abgesehen ist sie meine Feindin.«

»Falls sie jemals deine Feindin war, dann in der Vergangenheit. Jetzt ist sie eine Sklavin. Sieh sie dir an. Sie ist dein Eigentum. Glaubst du, sie wüßte das nicht? Ihr einziger Lebensinhalt besteht nur noch darin, dir zu dienen und dich zu erfreuen.«

»Sie ist eine Cosianerin«, sagte er.

»Zeig ihm deinen Oberschenkel, Sklavin«, befahl ich. »Berühre deinen Kragen!«

Phoebe gehorchte.

»Du kannst ihr Brandzeichen sehen«, sagte ich. »Du kannst ihren Kragen sehen. Sie gehört dir.«

Er betrachtete die Sklavin, die demütig und gehorsam vor ihm stand, die Finger ganz leicht auf den Kragen um ihren hübschen Hals gelegt.

»Und es ist ein hübscher Oberschenkel«, sagte ich, »und ein hübscher Hals.«

Er stöhnte leise.

»Und du bist derselben Meinung, wie ich sehe.«

Der junge Krieger brachte seiner Sklavin außerordentlich zwiespältige Gefühle entgegen. Sie gehörte nicht nur zu den Frauen, die er unwiderstehlich und geradezu quälend schön fand – wie ich genau gewußt hatte, bevor ich sie ihm zum ersten Mal zeigte –, zu meiner Überraschung und Freude schien zwischen ihnen auch eine ganz besondere Magie oder Anziehungskraft zu bestehen. Jeder war der gestaltgewordene Traum des anderen. Es war, als wäre sie für seine Ketten geboren worden. Sie paßten zusammen wie ein Schloß und sein Schlüssel. Sie liebte ihn aufrichtig und hilflos, und das vom ersten Augenblick an. Auch er war von ihr hingerissen gewesen. Und dann hatte er entdecken müssen, daß sie aus Cos kam, aus dem Ubarat, das sein verhaßter Feind war, dessen Söldner und regulären Truppen seine Stadt zerstört hatten. Es war kein Wunder, daß er wütend geschworen hatte, die schöne Sklavin an Cos’ Stelle für alles bezahlen zu lassen, an ihr seinen Haß auf alles Cosische abzureagieren. Und so hatte er sich entschlossen, sie zu demütigen und leiden zu lassen, aber mit jedem Befehl und jedem Schlag der Peitsche liebte sie ihn nur noch mehr.

Phoebe lächelte schüchtern.

»Cosische Schlampe!« knurrte Marcus. Er packte sie bei den Armen, stemmte sie in die Höhe und stieß sie mit dem Rücken gegen die Häuserwand. Dort hielt er sie fest, mit den Füßen in der Luft.

»Ja!« rief sie. »Ja!«

»Werde auf diese Weise benutzt, wie es sich für dich gehört«, stieß er hervor, »Sklavin und cosisches Miststück!«

»Ja, Herr!« schluchzte sie, umschlang ihn mit den Beinen, schloß die Augen und warf stöhnend den Kopf in den Nacken.

Dann schrie er auf und setzte sie wieder ab. Sie sank auf die Knie, schluchzte dankbar und umklammerte sein Bein.

»Widerlich«, sagte eine freie Frau im Vorübergehen und zog sich den Schleier dichter vors Gesicht. Wußte sie nicht, daß sie, wäre sie eine Sklavin gewesen, auf ähnliche Weise dem Vergnügen ihres Herrn unterworfen gewesen wäre?

»Das hier ist ein sehr öffentlicher Ort«, sagte ich zu Marcus.

Um uns herum hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt, die im Strom der vorbeihastenden Bürger einem Strudel ähnelte.

»Dieses Miststück kommt aus Cos«, sagte Marcus zu einem der Umstehenden.

»Schlag sie für mich«, erwiderte der Mann.

»Sie ist nur eine Sklavin«, sagte ich.

»Eine cosische Schlampe«, sagte ein Mann zu seinem Begleiter.

»Sie ist nur eine Sklavin«, wiederholte ich, diesmal etwas energischer.

Die Menge schob sich bedrohlich ein Stück näher heran. Phoebe sah furchtsam auf.

In diesem Gedränge gab es nicht einmal genug Platz, um das Schwert zu ziehen, geschweige denn es zu schwingen.

»Töten wir sie«, schlug ein Passant vor.

»Geh zurück!« rief Marcus wütend.

»Ein Miststück aus Cos«, sagte ein anderer Passant.

»Bringt sie um!«

Phoebe kniete klein und hilflos vor der Wand auf den Pflastersteinen.

»Geht weiter«, sagte ich zu den Männern, die sich um uns versammelt hatten. »Kümmert euch um eure Angelegenheiten.«

»Cos ist unsere Angelegenheit«, erhielt ich zur Antwort.

Die Feindseligkeit der Menge war eine Reaktion auf die Ereignisse der unmittelbaren Vergangenheit, die in Ar Verwirrung, Unsicherheit und Angst heraufbeschworen hatten, vor allem aber auf die militärische Katastrophe im Vosk-Delta, ein Unternehmen, an dem absurderweise der größte Teil der Streitkräfte beteiligt gewesen war. Und dann natürlich die Nachricht, daß das cosische Heer vor Torcodino – eine der größten Ansammlungen von Bewaffneten, die Gor je gesehen hatte – unter ihrem Polemarkos Myron, dem Vetter von Lurius von Jad, dem Ubar von Cos, seine Standarten in Richtung Ar bewegte. Torcodino hatte der cosischen Invasionsstreitmacht auf dem Kontinent als Nachschubbasis gedient. Die Stadt war von dem Söldnerführer Dietrich von Tarnburg erobert worden, um den Vormarsch auf Ar aufzuhalten.

Aber Ar hatte nichts unternommen. Es war weder der Besatzungsarmee in Torcodino zur Hilfe gekommen, noch hatte es Ar-Station im Norden des Kontinents Entsatz geschickt. Als Dietrich schließlich begriff, daß in Ar an hoher Stelle Verräter am Werk waren, hatte er es geschafft, sich aus Torcodino zurückzuziehen. Sein Aufenthaltsort war unbekannt, und Cos hatte auf seinen Kopf einen Preis ausgesetzt. Nun lag so gut wie kein Hindernis mehr zwischen der Hauptstreitmacht von Cos und den Toren von Ar. Obwohl in der Stadt viel von Widerstand, den Traditionen und dem Heimstein die Rede war, glaubte ich nicht, daß die Bürger, die von der scheinbar unerklärlichen Folge der Katastrophen verwirrt und wie betäubt waren, den Willen aufbrachten, sich den Cosianern entgegenzustellen. Wäre ein Mann wie Marlenus von Ar in der Stadt gewesen, ein Ubar, der die Menschen aufrütteln und sie anführen konnte, vielleicht hätte es dann noch Hoffnung gegeben. Aber die Stadt wurde nun von dem Regenten Gnieus Lelius regiert, der meiner Meinung nach unter normalen Umständen einen Stadtstaat, in dem alles seinen geregelten Gang ging, zweifellos hervorragend verwaltet hätte, der in einer Zeit der Dunkelheit, der Krise und des Schreckens jedoch keinen guten Führer abgab. Er war ein guter Mann und ein schätzenswerter Verwaltungsbeamter, aber er war nicht Marlenus von Ar. Marlenus war vor Monaten auf einer Strafexpedition in den Voltaibergen verschwunden. Man hielt ihn für tot.

»Tötet sie!«

»Tötet sie!«

»Nein!« sagte Marcus.

»Nein!« sagte ich.

»Die sind doch nur zu zweit«, sagte ein Bursche.

Ich hob die Hand. »Hört doch!«

Die Menge verstummte augenblicklich. Mehr als nur ein Mann wandte den Kopf. Wir drehten uns um. Phoebe schob sich noch dichter hinter Marcus’ Beine.

Glockengebimmel und Gesang ertönten. Einen Augenblick später kam der an seinem Stab in die Höhe gehobene goldene Kreis in Sicht. Alle Passanten beeilten sich, sich eng an die Häuserwände zu drücken.

»Erleuchtete«, sagte ich zu Marcus.

Ich sah die Prozession jetzt deutlich.

»Knie nieder«, sagte einer der Männer neben uns.

»Knie dich hin«, sagte ich zu Marcus.

Wir gingen auf ein Knie hinunter. Es überraschte mich, daß die Passanten niederknieten, denn für gewöhnlich knien freie Goreaner nicht, nicht einmal im Tempel der Erleuchteten. Goreaner beten im Stehen, manchmal mit erhobenen Händen, im Gegensatz zu den Erleuchteten, die immer die Hände heben.

»Für so jemanden gehe ich nicht in die Knie«, sagte Marcus.

»Bleib unten«, raunte ich. Er hatte schon genug Unheil angerichtet.

Man konnte schon den Weihrauch riechen. Zwei junge Burschen mit geschorenen Köpfen und weißen Gewändern führten die Prozession an und schlugen die Glöckchen. Ihnen folgten zwei weitere, die die Weihrauchfässer schwenkten. Das waren die Novizen, die das erste Gelübde abgelegt hatten.

»Die Priesterkönige seien gepriesen!« rief ein Passant andächtig.

»Die Priesterkönige seien gepriesen!«

Unwillkürlich mußte ich an meinen Freund Misk denken, den Priesterkönig, der dieses Verhalten bestimmt gebannt und verblüfft verfolgt hätte.

Ein erwachsener Erleuchteter in einem fließenden weißen Gewand trug den Stab mit dem goldenen Kreis, eine Form ohne Anfang und ohne Ende, das Symbol der Priesterkönige. Ihm folgten zehn weitere Erleuchtete, die in Zweierreihen gingen. Sie sorgten für den Gesang.

Eine freie Frau zog hastig und furchtsam ihr Gewand zurück, damit es mit keinem der Erleuchteten in Berührung kam. Es ist den Erleuchteten verboten, Frauen zu berühren, das gleiche gilt natürlich auch für die Frauen. Erleuchtete meiden auch Fleisch und Bohnen. Den größten Teil ihrer Zeit widmen sie Opferungen, Andachten, Chorälen, Gebeten und dem Studium mystischer Schriften. Durch das Studium der Mathematik versuchen sie sich zu reinigen.

»Errettet Ar!« schluchzte ein Mann.

»Rettet uns, o ihr Vermittler zu den Priesterkönigen!« bat eine Frau.

»Betet für uns zu den Priesterkönigen«, rief ein anderer Mann.

»Ich werde dem Tempel zehn Goldstücke spenden!«

»Und ich zehn Verr, ausgewachsene Verr, mit vergoldeten Hörnern!«

Aber die Erleuchteten beachteten die durchaus gerechtfertigten Bitten nicht. Was kümmerten sie schon solche Angelegenheiten?

»Laß den Kopf unten«, raunte ich Marcus zu.

»Schon gut«, knurrte er. Phoebe lag hinter uns am ganzen Leib bebend auf dem Bauch und bedeckte den Kopf mit den Händen. Ich beneidete sie nicht, eine nackte Sklavin, die es ohne eigenes Verschulden an einen solchen Ort verschlagen hatte.

Augenblicke später war die Prozession vorbei, und wir erhoben uns. Die Menge um uns herum hatte sich zerstreut.

»Du bist jetzt sicher«, sagte ich zu Phoebe.

Sie kniete eingeschüchtert zu Marcus’ Füßen und umklammerte sein Bein.

»Wir können Cos nicht widerstehen«, hörte ich einen Mann sagen.

»Wir müssen auf die Priesterkönige vertrauen«, bekam er zur Antwort.

»Unsere Männer werden uns schon beschützen!« sagte ein anderer Passant.

»Die paar erbärmlichen Regimenter und die Bürgerwehr?« fragte jemand.

»Wir müssen auf die Priesterkönige vertrauen!«

»Die Menschen Ars haben Angst«, meinte Marcus.

Ich nickte. »Welches Ziel mögen die Erleuchteten wohl haben?« fragte ich ihn dann.

»Vermutlich ihren Tempel.«

»Wozu?«

»Für die Abendandacht, nehme ich an«, erwiderte er etwas gereizt.

»Das glaube ich auch.«

»Das Sonnentor!« rief er. »Wir müssen vor Einbruch der Dunkelheit dort sein!«

»Ja, das müssen wir.«

»Reicht die Zeit?«

»Ich glaube schon.«

»Dann komm«, sagte er. »Aber schnell!«

Er eilte davon. Ich folgte ihm, und Phoebe lief hinter uns her.

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