15

»Seht her!« rief der Söldner. »Wir haben ein Mitglied der Deltabrigade gefangen!«

»Zur Seite! Zur Seite!« rief sein Kamerad und stieß Männer zurück.

»Rettet mich denn keiner!« schrie der bärtige, gefesselte Mann, der sich im Griff des Söldners wand. »Seid ihr keine Männer mehr?«

Wir standen an der südwestlichsten Ecke des Teiban-Sul-Marktes. Es war Morgen, die achte Ahn, am zweiten Tag in der Woche. Natürlich hatten sich zu dieser Stunde und an diesem Tag hier viele Leute versammelt.

»Leichtsinnig, daß diese Kerle, die nicht einmal Stadtwächter sind, ihren Gefangenen so mutig und in aller Öffentlichkeit hier herumführen«, sagte Marcus. »Und das in einer Gegend, wo die Feindseligkeit gegenüber Cos jederzeit überhandnehmen könnte.«

»Ein offensichtlicher Mangel an Urteilsvermögen«, gestand ich ihm zu.

»Laßt mich los!« brüllte der Bärtige die beiden Söldner an. »Ich verlange, sofort freigelassen zu werden!«

»Schweig, du mieser Sleen!« rief der eine Söldner und versetzte dem Gefangenen einen Stoß, woraufhin sich dieser gebärdete, als hätte er einen brutalen, viel stärkeren Schlag davongetragen.

»Du Sleen von einem Verräter an Cos!« sagte der andere Söldner und schlug ebenfalls zu.

»Ich glaube, ich hätte ihn härter schlagen können«, sagte Marcus nachdenklich.

»Laßt ihn los!« rief ein Tur-Pah-Straßenverkäufer und schob sich zwischen den Körben mit dem schlingpflanzenähnlichen Gemüse durch.

»Misch dich nicht ein!« warnte der eine Söldner.

»Zurück, ihr widerlichen Patrioten Ars!« rief sein Kamerad aus.

Marcus verschränkte die Arme vor der Brust. »Seltsam, daß der Gefangene eine Armbinde mit einem Delka am Ärmel trägt.«

»Zweifellos haben ihn die Söldner auch deswegen als Mitglied der Deltabrigade erkennen können«, sagte ich.

»Seremides hätte es viel leichter, wenn alle Angehörigen der Brigade so hilfsbereit wären.«

»Vielleicht könnten sie ja eine Uniform tragen«, schlug ich vor, »um es ihren Gegnern einfacher zu machen, sie zu ertappen.«

»Das sind doch nur zwei Mann!« rief der bärtige Gefangene. »Befreit mich! Versteckt mich! Ruhm und Ehre für die Deltabrigade!«

Es hatte den Anschein, als würde es keiner der Umstehenden wagen, diesen Ruf zu erwidern, aber ihre Stimmung war eindeutig: Sympathie für den Gefangenen und Wut auf die Söldner, und es bestand die große Wahrscheinlichkeit, daß eines zum anderen führte und sie handelten.

»Hilfe! Wenn wahre Männer aus Ar da sind, helft mir!« rief der Gefangene.

Einer der Marktleute versetzte einem Söldner einen Stoß, woraufhin sich dieser wütend revanchierte.

»Aus dem Weg!« rief er.

»Wir bringen diesen Kerl ins Hauptquartier!« sagte sein Kamerad.

»Laßt ihn gehen!« rief ein Mann. Die beiden Söldner waren nun von einer Menschenmenge umringt.

»Mein einziges Verbrechen war meine Liebe zu Ar und meine Loyalität zum Staat«, rief der Gefangene.

»Laßt ihn los!«

Mehrere Männer trugen Stäbe, eine einfache Waffe, die in den Händen eines geschulten Kämpfers so verheerend sein kann. Das war nichts Ungewöhnliches, da viele der Straßenhändler Bauern vom Land waren. Der Stab dient natürlich nicht nur als Waffe, sondern wird für gewöhnlich als Stock in unwegsamem Gelände benutzt. Oder er ersetzt ein Joch, da man an seinen Enden Körbe balancieren kann. Was nun sein Potential als Waffe angeht, gibt es viele Männer, die so gut damit umgehen können, daß sie damit jedem Schwertkämpfer gewachsen sind.

Die Rufe der Bürger wurden immer lauter. »Laßt ihn los! Was habt ihr mit ihm vor? Was geschieht mit ihm?«

»Er wird gepfählt!« verkündete einer der Söldner.

Das rief einen wütenden Aufschrei hervor.

»Ich frage mich, ob die Söldner wissen, daß sie in Gefahr schweben«, sagte Marcus.

»Vermutlich bezahlt man sie gut«, erwiderte ich. »Ansonsten würden sie nämlich ganz schön ausgenutzt.«

»Rettet mich!« rief der Bärtige. »Laßt nicht zu, daß sie mich fortschaffen!«

»Zurück, ihr Sleen!« brüllte der Söldner, der den Mann festhielt.

»Zurück, Arer!« rief der andere.

»Auf jeden Fall sind sie nicht besonders diplomatisch«, bemerkte Marcus.

Ich nickte. »Nicht mal höflich.«

Der Gefangene wehrte sich. Man hatte ihm nicht nur die Hände auf den Rücken gefesselt, sondern zusätzlich ein Seil um ihn geschlungen, so daß ihm die Arme an den Körper gebunden waren.

»Ein hoffnungsvolles Zeichen sehe ich«, meinte Marcus. »Offensichtlich besteht Sympathie für die Deltabrigade.«

»Ja.«

Der Gefangene wehrte sich immer heftiger.

»Hast du den Eindruck, daß hier verkleidete Wächter in der Nähe sind?« fragte ich Marcus. Ich versuchte schon seit einiger Zeit, mir darüber klar zu werden.

Er sah sich um. Schließlich sagte er: »Ich glaube kaum.«

»Vielleicht ist es dann an der Zeit, unsere Armbinden zu entfernen, die Umhänge zu wenden und die Halstücher über den Kopf zu binden.«

Marcus nickte grimmig. »Ja, denn der arme Kerl braucht dringend ein paar Retter.«

Im Handumdrehen hatten wir die Armbinden verschwinden lassen, und nach einigen weiteren Veränderungen unseres äußeren Erscheinungsbildes bahnten wir uns einen Weg durch die Menge.

»Gebt ihm die Freiheit wieder!« rief ich. Nicht umsonst hatte ich einst bei der Truppe von Boots Tarskstück auf der Bühne vorsprechen dürfen. Auch wenn sich daraus nichts ergeben hatte.

»Wer bist du?« fragte der Söldner. Er war auch nicht übel. Bestimmt wußte er, mit wem er in dieser Situation zu rechnen hatte. Der Gefangene strahlte plötzlich. Angesichts der Halstücher vor den Gesichtern und der blankgezogenen Klingen gab es kaum einen Zweifel, wer wir waren.

»Die Brigade!« flüsterten einige der umstehenden Männer freudig erregt. »Laßt ihn frei!« rief ein Mann und fuchtelte mit seinem Stab herum. Ich hoffte, daß sich die Menge nicht auf die Söldner stürzte, denn dann blieb bestimmt nicht viel von ihnen übrig. Aber es hatte den Anschein, als begriffen sie nicht, in welcher Gefahr sie schwebten. So wenig Respekt hatte man heutzutage anscheinend vor den Männern aus Ar.

Natürlich war es durchaus möglich, daß sie die Menge besser einschätzten als ich. Aber ich bezweifelte es. Ich glaube, ich wußte viel besser über die in Ar vorherrschende Stimmung Bescheid, und das nicht erst seit kurzem – die gespannte, für alles bereite, häßliche Atmosphäre, die wie ein dunkler Himmel war, aus dem plötzlich Zerstörung und Blitzschlag niedergehen konnten. Tatsächlich waren es die Söldner, die, wie sich später herausstellen sollte, von mir und Marcus gerettet wurden.

»Wir beugen uns der Übermacht«, sagte der erste Söldner.

»Wir haben keine andere Wahl«, sagte sein Kamerad, der den Gefangenen hielt, anscheinend ähnlich resigniert.

Ein triumphierendes Gemurmel ging durch die Menge.

»Wir sind nur zu zweit«, sagte ich zu dem Söldner, der meiner Meinung nach das Kommando hatte. »Lassen wir doch unsere Klingen entscheiden.«

»Nein, nein, das ist schon in Ordnung.«

»Ihr habt hier zu viele Verbündete«, sagte sein Kamerad.

»Ich bin sicher, daß sie brav sind und sich nicht einmischen werden«, sagte ich.

»Nein!« rief der Mann mit dem Stab. »Wir mischen uns nicht ein!«

»Macht ihnen Platz!« rief ein anderer Bauer. Tatsächlich wichen die Männer zurück.

»Ich sage dir doch, daß wir den Gefangenen freigeben«, sagte der Söldner irgendwie gereizt. »Wir geben ihn frei! Habt ihr das nicht verstanden?«

»Doch.«

»Wir ergeben uns der überlegenen Gewalt.«

»Schön.«

Die Söldner drehten sich um und zogen sich geschickt zurück.

»Ihr müßt fliehen!« rief einer der Straßenhändler. »Sie werden den Wächtern Bescheid sagen, und die kommen mit Verstärkung zurück!«

»Das glaube ich kaum«, sagte ich.

Männer blickten mich überrascht an.

»Ich danke euch, Brüder!« sagte der Gefangene. »Aber unsere Mitbürger haben recht! Wir müssen fliehen! Nehmt mich mit, versteckt mich!«

Ich schob das Schwert in die Scheide zurück, Marcus folgte meinem Beispiel.

»Schnell! Nehmt mir die Fesseln ab!« rief der Gefangene. »Und dann laßt uns verschwinden!«

Ich betrachtete seine Fesseln. »Die scheinen dich aber nicht besonders sorgfältig gefesselt zu haben«, sagte ich dann.

»Heh!« brüllte er. »Was tust du da? Au!«

»Jetzt bist du richtig gefesselt!«

Der Bärtige kämpfte kurz gegen die Seile an. Dann erkannte er seine Hilflosigkeit. »Was soll das denn?«

»Ja, was tust du da?« fragte einer der Zuschauer.

Ich ging in die Hocke, schob die Knöchel des Gefangenen zusammen und band einen Riemen darum, damit er keine größeren als einen oder zwei Hort weite Bewegungen mehr machen konnte. Er konnte stehen, aber nicht fliehen.

»Bindet mich los«, verlangte er. »Wir müssen entkommen!«

»Du gehörst der Deltabrigade an?« fragte ich.

»Ja, genau wie du!«

»Wieso sagst du das?« fragte ich.

»Du hast mich gerettet!«

»Du betrachtest dich also als gerettet?« fragte ich.

»Sicher, du mußt doch wie ich auch ein Angehöriger der Brigade sein.«

»Ich glaube nicht, daß ich dich kenne«, meinte ich.

»Ich gehöre nicht zu deiner Zelle«, antwortete er.

»Aber vielleicht sind wir gar nicht von der Deltabrigade«, sagte ich.

Er starrte uns an. »Wer seid ihr dann?«

»Vielleicht sind wir loyale Bürger Ars«, sagte ich, »die, wie es sich für die Anhänger des neuen Ars gehört, die Deltabrigade hassen und gegen sie sind, die in ihr eine Bedrohung für Ars bedingungslose Kapitulation – also für Harmonie und Frieden – sehen. Die sie als Bedrohung für die Herrschaft Cos’ betrachten, als Bedrohung der glorreichen Freundschaft und Verbrüderung der beiden großen Ubarate.«

»Das klingt wie eine Verlautbarung auf den Anschlagtafeln«, bemerkte ein Straßenhändler.

»Auf jeden Fall ein Teil davon«, stimmte ihm ein Bauer zu.

»Ich dachte immer, daß nur die Kleinmütigen und naiven Jugendlichen solchen Schwachsinn ernst nehmen«, sagte ein anderer Straßenhändler.

Der Gefangene blickte sich unsicher um. »Ich verstehe nicht.«

»Bist du für das alte oder das neue Ar?« fragte ich.

»Ich gehöre zur Deltabrigade«, sagte er. »Und es gibt nur ein Ar, das alte Ar, das wahre Ar!«

»Ganz genau«, sagte der Bauer.

»Ein tapferer Bursche«, sagte der Bauer. »Bindet ihn los und versteckt ihn.«

»Nein«, sagte der Gefangene. »Sie haben recht. Sie müssen sich vergewissern, daß ich einer von ihnen bin! An ihrer Stelle würde ich das gleiche tun.«

»Dann beeilt euch«, sagte der Bauer. »Die Zeit könnte knapp werden!«

»Keine Angst«, sagte ich.

Der Gefangene stand nun stolzer, selbstbewußter da. Er rechnete damit, einer Prüfung unterzogen zu werden. Und das wurde er auch, wenn auch nicht auf die Weise, die er erwartet hatte.

»Du stimmst also zu«, sagte ich, »daß das einzige, das wahre Ar das alte Ar war, das verraten wurde und Cos Widerstand entgegensetzt?«

Für einen kurzen Augenblick wurde der Gefangene leichenblaß. Dann sagte er mutig: »Ja, das ist das wahre Ar.«

»Und du stimmst zu, daß Seremides und die Ubara Ar verraten haben und Marionetten der Cosianer sind?«

»Natürlich«, sagte er nach kurzem Zögern.

Hier und da ging ein Raunen durch die Zuschauer. Obwohl es unter ihnen vermutlich nur wenige gab, die Cos nicht verabscheuten und ihm möglicherweise Widerstand entgegenbrachten, waren längst nicht alle von dem Ausmaß des Verrats überzeugt, der so deutlich zu ihrem Sieg beigetragen hatte. Ich fand es von Vorteil, daß die Bürger diese Ansicht von dem Gefangenen hörten.

»Seremides ein Verräter?« fragte ein Mann.

»Talena auch?«

»Ja!« sagte der Gefangene.

»Er gehört offensichtlich der Deltabrigade an«, sagte der Bauer. »Befreit ihn!«

»Du willst, daß wir dich verstecken?« fragte ich.

»Ja«, sagte der Gefangene.

»Dir vertrauen, dich zu unseren geheimen Versammlungsorten mitnehmen, dir unsere Pläne verraten, dich unseren Anführern vorstellen, dich in unsere geheimen Wege der Nachrichtenübermittlung einweihen?«

»Natürlich nur, wenn ihr mich später für vertrauenswürdig haltet.«

Diese letzte Frage sollte der Menge vorgaukeln, die Deltabrigade sei eine entschlossene, disziplinierte, gut organisierte und zahlenmäßig große Macht, die der Bevölkerung berechtigte Hoffnung machen und den Besatzern Furcht einjagen konnte. Natürlich hatte ich nicht die geringste Vorstellung von dem Ausmaß, der Macht und den Möglichkeiten der Deltabrigade. Ich war nicht einmal davon überzeugt, daß es sie überhaupt gab. Zuerst hatten Marcus und ich geglaubt, die Deltabrigade zu sein. Später waren dann Sabotageaktionen in ihrem Namen geschehen, an denen wir nicht beteiligt waren. Es konnten die Taten von Einzelpersonen oder auch ganzen Gruppen gewesen sein, von Patrioten, Kriminellen oder Narren, aber keinesfalls von einer Organisation. Der Brandanschlag auf die Registratur war offensichtlich eine verabredete Tat gesehen, aber das bewies nicht notwendigerweise die Existenz einer ›Brigade‹. Es konnte die Tat einer kleinen Gruppe von Männern gewesen sein, möglicherweise Veteranen des Deltafeldzuges, die ein Interesse daran hatten, es Cos zu erschweren, ihre Identitäten herauszufinden.

»Hast du im Delta gekämpft?« fragte ich.

»Aber sicher.«

»Wer war der Kommandant der Vorhut?«

»Labienus«, antwortete er. »Ein Bürger dieser Stadt.«

»Und sein Stellvertreter?«

»Das weiß ich nicht«, sagte er. »Ich gehörte nicht zur Vorhut.«

»Wer war der Kommandant des Siebzehnten Regiments?«

»Daran kann ich mich nicht mehr erinnern.«

»Vinicius?«

»Ja«, sagte er. »Vinicius.«

»Und des Elften?«

»Keine Ahnung.«

»Toron aus Venna.«

»Ja, du hast recht«, sagte er. »Toron aus Venna.«

»Bei welchem Regiment warst du?«

»Beim Vierzehnten.«

»Kommandant?«

»Honorius.«

»Sein Erster Stellvertreter?«

»Falvius.«

»Der Zweite Stellvertreter?«

»Camillus?«

»Du warst also beim vierzehnten Regiment, als es im Norden des Flußdeltas besiegt wurde?«

»Ja.«

»Zusammen mit dem Siebten, Elften und Neunten?«

»Ja, genau.«

Zuerst nahm ich ihm die Armbinde mit dem Delka ab und steckte sie mir in den Gürtel. Dann riß ich einen Fetzen aus seiner Tunika und stieß ihn ihm in den Mund. Ich band den Knebel mit der Armbinde fest. Er blickte mich zuerst fragend an, dann ängstlich. Ich überkreuzte seine Knöchel, woraufhin er stürzte, und band sie zusammen. Er wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton hervor. Er wollte sich aufsetzen, aber ich stieß ihn zurück, setzte ihm den Fuß auf die Brust und sah auf ihn hinunter. Er sah zu mir hoch, so hilflos wie eine Sklavin.

»Vicinius hat nicht das Siebzehnte befohlen«, sagte ich, »genausowenig wie Toron das Elfte. Vicinius war der Befehlshaber des Vierten Regiments, und Toron der des Dritten. Deine Antworten hinsichtlich der Kommandoketten im Vierzehnten waren richtig, aber das Regiment wurde nicht im Norden besiegt, sondern im Süden, und zwar zusammen mit dem Siebten, dem Neunten und dem Elften. Im Norden wurde das Dritte, Vierte und Siebzehnte Regiment besiegt.«

Er kämpfte vergeblich gegen die Fesseln an.

»Er ist ein cosischer Spion«, sagte ich.

Männer schrien wütend auf.

Der Bärtige, der jetzt tatsächlich ein Gefangener war, sah entsetzt zu uns hoch. Er versuchte sich aufzurichten, die Schultern vom Pflaster zu nehmen, aber wütend niederfahrende Stäbe stießen ihn zurück, und einen Augenblick später lag er flach am Boden, von Stäben niedergedrückt, die jede Bewegung verhinderten und ihn am Boden festnagelten.

»Bringt einen Sack«, sagte ich. »Steckt ihn hinein.«

»Am besten einen der Säcke, die wir für Tarskfleisch benutzen«, sagte der Straßenhändler.

»Ja, genau«, sagte ein Metzger. »Wir hängen ihn neben das Fleisch. So wird er keine Aufmerksamkeit erregen.«

»Und wir werden ordentlich mit unseren Stäben draufschlagen«, sagte der Bauer grimmig, »so wie wir unser Tarskfleisch in den Säcken weichklopfen.«

»Das paßt«, sagte der Straßenhändler.

»Das wird wenig Aufmerksamkeit erregen«, sagte der Metzger.

»Wir werden ihm jeden Knochen brechen«, sagte der Bauer.

»Und am Morgen dafür sorgen, daß man ihn auf den Treppen des Zentralzylinders findet.«

»Genau.«

»Malt ein Delka auf den Sack«, sagte ich.

»Genau!« lachte der Bauer.

Ein Sack wurde gebracht, und man schob den gefesselten Burschen, der wild mit den Augen rollte, hinein. Man verschnürte ihn über seinem Kopf, dann zogen ihn zwei Bauern zur anderen Seite des Platzes zu den Ständen der Metzger.

»Und was ist, wenn er überlebt?« fragte Marcus.

»Das hoffe ich sogar«, sagte ich. »Ich glaube, daß seine gebrochenen Knochen, das Blut, sein Stöhnen, sein Bericht über das Geschehene und sein Entsetzen der Deltabrigade mehr nutzt als sein Tod.«

»Hast du ihn aus diesem Grund verschont?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Er schien ein netter Kerl zu sein, außerdem kannte er die Kommandokette des Vierzehnten Regimentes.«

»Für dich ist alles ein Spiel«, beschwerte sich Marcus, »aber andere Leute sehen das nicht so.«

»Meinst du die beiden Burschen, die man in der Hintergasse fand, in der Nähe der Taverne im Anbar-Bezirk?«

»Ja, mit blutigen Delkas, die man ihnen in die Brust geschnitten hatte«, sagte er. »Gerüchten zufolge wollten sie die Deltabrigade infiltrieren.«

»Interessant.«

»Ich fürchte, es gibt tatsächlich eine Deltabrigade.«

»Ich weiß nicht«, erwiderte ich. »Aber vielleicht hast du ja recht.«

»Ist dir aufgefallen, welchen Rückhalt die Brigade bei den Leuten genießt?«

»Ja«, sagte ich. »Den Söldnern auch.«

»Und dem Spion.«

»Natürlich. Hoffen wir, daß er es überlebt, um Bericht erstatten zu können.«

Marcus nickte.

»Dir ist klar, was die Cosianer jetzt tun werden?« fragte ich ihn. »Jetzt, in diesem Stadium des Spiels?«

»Was denn?«

»Sie müssen versuchen, die Deltabrigade zu diskreditieren.«

»Natürlich«, sagte Marcus.

»Aber nicht mehr, indem sie versuchen, sie mit den Veteranen gleichzusetzen.«

»Warum nicht?«

»Weil sich die öffentliche Meinung den Veteranen zuneigt«, sagte ich. »Seremides bringt die Brigade zweifellos mit den Veteranen in Verbindung, und vielleicht nicht einmal ganz zu unrecht, aber er ist klug genug um zu erkennen, daß die Popularität der Deltabrigade die Unterstützung für die Veteranen erhöht hat. Er muß jetzt versuchen, einen Keil zwischen die Veteranen und die Deltabrigade zu treiben.«

»Aber wie?« fragte Marcus.

»Ist das nicht offensichtlich?«

»Nun sag schon«, meinte Marcus ungeduldig.

»Seremides braucht etwas oder jemanden, um die Deltabrigade von den Veteranen zu trennen.«

»Weiter!«

»Er will, daß sich die Bevölkerung von der Deltabrigade abwendet. Darum muß die Brigade als etwas für Ar Abträgliches erscheinen, als Werkzeug seiner Feinde.«

»Welcher Feinde denn?« fragte Marcus. »Doch sicher nicht seiner wahren Feinde Cos und Tyros.«

»Wer hat Ar im Norden verraten?« fragte ich. »Welche Stadt hat dem cosischen Expeditionsheer die Tore geöffnet?«

»Keine«, sagte Marcus ärgerlich.

»Ar-Station!« Ich lächelte.

»Ich verstehe.«

»Das mußte geschehen«, fuhr ich fort. »Cos braucht einen Feind für Ar, der es natürlich nicht selbst sein kann. Es muß von seiner Tyrannei ablenken. Wenn wir die Veteranen unberücksichtigt lassen, bleibt praktisch nur Ar-Station über. Wie du weißt machen viele Bürger Ar-Station und seine angebliche Unterwerfung nicht nur für ihre derzeitige mißliche Lage, sondern auch für die Katastrophe im Delta verantwortlich.«

»Lächerlich«, schimpfte Marcus.

»Nicht, wenn du die Wahrheit nicht kennst«, sagte ich, »und dir nur die cosische Propaganda und die Lügen der verräterischen Regierung im Zentralzylinder zur Verfügung stehen.«

»Das ist also dein Spiel?«

»Ja. Mit dem, was wir in Bewegung gesetzt haben, haben wir Seremides gezwungen, die Verteufelung von Ar-Station fortzusetzen.«

»Und für seine Kampagne wird er den Heimstein von Ar-Station brauchen?«

»Genau.«

»Und das hast du geplant?«

»Für unsere Zwecke.«

»Auch für dich?«

»Auch ich habe ein bestimmtes Interesse daran«, mußte ich zugeben.

»Aber ich glaube nicht, daß es dir um den Heimstein geht.«

»Nein«, erwiderte ich. »Es hat mit etwas anderem zu tun.«

»Die Menge hat sich aufgelöst«, sagte Marcus. »Ich glaube, es wäre besser, wir würden uns zurückziehen.«

Ich nickte, und ein paar Augenblicke später hatten wir in einer abgeschiedenen Ecke wieder unsere gewöhnliche Kleidung angelegt und sahen wie Hilfswächter aus, Angehörige der von Cos bezahlten Ordnungsmacht.

»Wie sieht dein Plan aus? Den Platz anzugreifen, auf dem der Heimstein wieder ausgestellt werden wird, falls sich Seremides dazu entschließt, ihn dem Spott der Öffentlichkeit preiszugeben?«

»Das wird er«, sagte ich.

»Und welchen Angriffsplan hast du dir ausgedacht?«

»Ich habe nicht vor, irgend etwas anzugreifen.«

»Wie willst du denn sonst an ihn herankommen?«

»Ich habe vor, ihn von jemandem mitnehmen zu lassen.«

»Mitnehmen? Glaubst du nicht, daß sie ihn vermissen werden?«

»Nein.«

»Warum nicht.«

»Weil er noch immer da sein wird.«

»Du bist verrückt«, sagte Marcus.

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