17

»Da sind wir.«

»Was ist das für ein Ort?« fragte Marcus.

Die Ausgangssperre war schon seit langem in Kraft, doch dank unserer Armbinden, die uns als Hilfswächter kennzeichneten, hatten wir keine Probleme, sie zu umgehen. Bei jeder Kontrolle kontrollierten wir zuerst die anderen. Und sobald man unsere Fragen zufriedenstellend beantwortet hatte, gaben wir freiwillig unsere Namen und unsere Aufträge preis, die wir natürlich stets verschiedenen Befehlshabern zuschrieben. Sollten später Berichte verglichen werden, womit ich nicht rechnete, würden einige Offiziere bestimmt überrascht sein, wenn sie erfuhren, wie viele Hilfswächter mit verschiedenen Aufträgen in der Nacht unterwegs waren.

»In diesem insula residieren der Große Renato und seine Truppe!« sagte ich.

»Der Magier?«

»Ja.« Ich hatte vor Verlassen des Theaters die nötigen Erkundigungen eingeholt, während Marcus draußen auf mich wartete und über die miterlebten Wunder nachgrübelte.

»In einem solchen Loch würde ich nicht einmal die angekettete Ubara einer eroberten Stadt halten.«

»Aber sicher würdest du das tun.«

Er mußte grinsen. »Na ja, vielleicht«, gab er zu.

Manche sind der Meinung, solche Frauen sollten schnell für den Kragen vorbereitet werden, während andere finden, daß man sich damit viel Zeit lassen sollte.

»Nicht alle Theaterleute leben so gut, wie sie sollten«, sagte ich.

»Anscheinend können sie doch keine Goldstücke herbeizaubern.«

»Nicht ohne vorher mindestens ein Goldstück zu haben«, sagte ich.

»Sich das zu verdienen dürfte zweifellos das schwierigste Kunststück von allen sein.«

»Ganz genau«, sagte ich. »Laß uns reingehen.«

Ich drückte die schwere Tür auf. Sie hing nur an der oberen Angel und war nicht verriegelt. So wie es aussah, rechnete man offenbar nicht damit, daß jeder Mieter vor Beginn der Ausgangssperre zurück war. Aber vielleicht waren der Besitzer oder sein Verwalter einfach nur nachlässig in Dingen der Sicherheit. Der Hausflur und der Fuß der Treppe wurden vom Schein einer winzigen Tharlarionöllampe erhellt.

»Puh!« sagte Marcus.

Wie üblich in den insulae stand am Fuß der Treppe ein riesiges Exkrementefaß, in das die vielen kleinen Nachttöpfe der vielen winzigen Wohnungen des Gebäudes entleert wurde. Man transportiert diese Fässer mit Karren zu den Carnaria und entsorgt sie dort. Zwar hat Ar eine Kanalisation, aber die gibt es nur in den Bezirken der Reichen. Die insulae sind Mietskasernen.

Marcus sagte: »Das hier ist ein Schweinestall!«

»Beleidige nicht den Bauernstand«, sagte ich. »Der Heimstein ruht auf dem Ochsen.« Thurnock, einer meiner besten Freunde, war ein Mitglied jenes Standes.

Nicht jedermann trifft das große Faß mit der nötigen Sorgfalt. Faule Mieter oder Leute, die ihre Treffsicherheit testen wollen, versuchen es von einem höheren Treppenabsatz. Den Magistratsverordnungen zufolge sollen die Fässer abgedeckt werden, aber gegen diese Verordnung wird sehr oft verstoßen. Manchmal erleichtern sich Kinder auch im Treppenhaus. Es gibt da sogar ein Spiel; Gewinner ist derjenige, der die meisten Stufen beschmutzt.

»He, wer ist da?« fragte eine unangenehme Stimme vom Treppenabsatz her. Wir blickten in einen schwebenden Lichtschein, der von einer hochgehaltenen Laterne ausging.

»Tal«, sagte ich.

»Er ist nicht da«, sagte der Mann unfreundlich.

»Wer?«

»Wer auch immer.«

»Ist keiner zu Hause?«

»Genau.«

»Wir würden gern ein Zimmer mieten.«

»Nichts zu machen«, sagte der Mann. »Alle belegt.«

»Ich könnte die Treppe hinaufstürmen und ihn im Handumdrehen aufschlitzen wie einen Sack Nudeln«, schlug Marcus vor.

»Zu wem wollt ihr denn?« fragte der Mann, der offenbar über ein ausgezeichnetes Gehör verfügte, etwas freundlicher.

»Zu Renato dem Großen«, sagte ich.

»Der Schurke, der fette Urt, der Halunke?«

»Ja, das ist er.«

»Der ist nicht da.«

Vermutlich mochte der Kerl ihn und wollte ihn beschützen. Andererseits war es natürlich durchaus möglich, daß er von ihm noch nicht die Wochenmiete kassiert hatte.

»Laß dich von unseren Armbinden nicht täuschen«, sagte ich. »Wir kommen nicht in unserer Eigenschaft als Wachen.«

»Dann seid ihr bestimmt Geldverleiher«, sagte der Mann auf der Treppe, »oder betrogene Trottel, die schreckliche Rache verüben wollen.«

»Nein«, erwiderte ich. »Wir sind Freunde.«

Die Lichtquelle schien vor Gelächter zu erbeben.

Ich zog das Schwert und legte seine Spitze auf die schmale Ablage an der Wand, neben die kleine Lampe, die den Flur erhellte. Eine winzige Bewegung reichte aus, und ich hatte sie zu Boden geschleudert.

»He, sei vorsichtig!« knurrte der Bursche. Seine Sorge war nicht unberechtigt. Solche Unfälle, die für gewöhnlich in den Zimmern passieren, führen oft zur völligen Zerstörung eines insula. Viele Leute, die in diesen Gebäuden leben müssen, haben die Erfahrung gemacht, wie es ist, mitten in der Nacht in aller Eile aus ihrem insula zu fliehen. Außerdem können sich solche Brände schnell ausbreiten. Dabei sind schon ganze Häuserblöcke und sogar Bezirke niedergebrannt.

»Hol ihn«, sagte ich.

»Das ist nicht mein Haus«, erwiderte der Mann. »Es gehört Appanius!«

»Aha«, sagte ich.

»Kennst du ihn?« fragte Marcus.

Ich nickte. »Erinnerst du dich nicht mehr? Das ist der Besitzer Milos, des schönen Schauspielers, der den Lurius von Jad spielte. Darüber hinaus ist er ein Landwirt, ein Impresario und ein Sklavenhändler. Das erklärt auch sein Interesse an diesem Haus und seine Vorliebe für eine bestimmte Klientel.« Ich blickte zu der Laterne hinauf. »Es ist doch dieser Appanius, oder?«

»Ja«, sagte der Mann, »und darüber hinaus ist er ein mächtiger Mann.«

Ich senkte die Klinge. Ich wollte nichts tun, das Appanius mißverstehen konnte, wie zum Beispiel eines seiner Häuser niederzubrennen. Er war zweifellos ein großartiger Bursche, und es war durchaus möglich, daß es nötig sein würde, mit ihm ins Geschäft zu kommen. Ich schob das Schwert zurück in die Scheide.

Anscheinend flößte das dem Hausverwalter neuen Mut ein. »Appanius ist niemand, mit dem man sich versehentlich anlegen sollte!«

Marcus’ Klinge glitt ein Stück aus der Scheide. »Und was ist, wenn man sich absichtlich mit ihm anlegt?« fragte er. Marcus brachte den meisten Arern noch immer kein großes Wohlwollen entgegen und schien nicht bereit zu sein, bei dem Verwalter eine Ausnahme zu machen. Ich legte ihm die Hand auf den Unterarm und drückte das Schwert zurück in die Scheide. Dann zeigte ich auf einen Stab, der an einem Seil an der Wand hing.

»Das ist zweifellos ein Alarmstab, den man im Notfall schlägt. Wie bei einem Feuer.«

»Ja, und?« fragte der Verwalter mißtrauisch.

»Ich freue mich, ihn zu sehen«, fuhr ich fort. »Das erspart mir möglicherweise, das Haus niederzubrennen.«

»Warum wollt ihr denn zu Renato?« Der Verwalter klang nervös. Ich glaube, der Gedanke, auf dem Treppenabsatz zu stehen, falls die Mieter zu Hunderten von Panik erfüllt die Treppe hinunterstürmten, gefiel ihm nicht besonders.

»Das ist unsere Sache.«

»Ihr wollt ihn doch wohl nicht in Ketten abführen, oder?« fragte er. »Er schuldet mir zwei Wochenmieten.«

Bestimmt war Appanius’ Verwalter auf diese Weise schon mehr als eine Miete durch die Lappen gegangen.

»Nein.«

Plötzlich stieß er einen leisen Schrei aus. »Ha!«

»Was ist denn jetzt?«

»Es ist der gleiche Trick!«

»Was für ein Trick denn?«

»Letztes Jahr wurde der Schurke angeblich verhaftet und abgeführt, und dann stellte sich heraus, daß es Mitglieder seiner eigenen Theatertruppe waren. Auf diese Weise sind sie alle abgehauen, ohne die Miete zu zahlen!«

»Und trotzdem hast du ihn wieder hier aufgenommen?«

»Wer außer Appanius würde einem solchen Halunken schon Unterkunft gewähren?« fragte der Verwalter. »Aber er ließ ihn den doppelten Betrag und die ausstehenden Schulden zahlen!«

»Interessant«, sagte ich. »Aber wir sind wegen einer geschäftlichen Angelegenheit hier.«

»Wir könnten die Türen aufbrechen«, schlug Marcus vor. »Eine nach der anderen.«

»Hier gibt es mindestens hundert Zimmer«, sagte ich. »Wenn nicht sogar mehr.«

»Welchen Raum bewohnt er?« fragte Marcus. »Wir klopfen auch selbst an.«

Der Verwalter murmelte etwas Unverständliches. Schließlich sagte er: »Soll ich ihm sagen, daß zwei Wächter ihn sprechen wollen?«

»Nein, sag einfach ›zwei Freunde‹«, sagte ich.

»Ich bin nicht sein Freund«, protestierte Marcus.

»Also ein Freund«, rief ich.

»Ich verstehe«, sagte der Verwalter nachdenklich. »Es sind zwei Besucher für ihn da, die nicht möchten, daß er erfährt, daß sie Wächter sind; einer ist sein Freund, der andere nicht, beide sind bewaffnet und scheinen bereit, beim geringsten Anlaß ihre Schwerter zu ziehen.«

»Ich bin sicher, daß er zu Hause ist«, sagte ich. »Also komm nicht zurück und erzähl uns, er sei nicht da.«

»Soll ich mit ihm gehen?« fragte Marcus.

»Nein, nein!« rief der Verwalter schnell.

Marcus runzelte die Stirn. »Dir ist klar, daß der Bursche versuchen könnte, uns über das Dach zu entwischen, oder aus dem Fenster klettert und dabei zu Tode stürzt?«

»Oder sich in Luft auflöst?« fragte ich.

»Wer weiß«, knurrte Marcus leise. Offenbar war er noch immer ein Skeptiker, was diese Sache anging.

»Ich weiß, was wir tun«, sagte ich und wandte mich wieder an den Verwalter. »Sag ihm einfach, der schlechteste Schauspieler der Welt will mit ihm sprechen.«

»Hört sich aber seltsam an.«

»Das ist nicht so seltsam, wie du vielleicht glaubst«, erwiderte ich.

»Also gut« Er drehte sich um und stieg die Treppe hinauf, in Richtung der unangenehmsten, heißesten und gefährlichsten Etagen des insula. Wir sahen dem flackernden Licht der Laterne nach, die schließlich aus unserem Blickfeld verschwand.

»Zweifellos ergreift dein Freund in diesem Augenblick die Flucht«, sagte Marcus.

Ein Urt raste die Treppe hinunter, schoß die Wand entlang und verschwand in einer Mauerspalte.

»Vielleicht sollten wir draußen warten, um ihm den Fluchtweg abzuschneiden.«

»Draußen ist es dunkel«, erwiderte ich.

Im nächsten Augenblick hörten wir das Quietschen von Treppen, dann eilte ein dicker Mann mit wabbelndem Bauch, der sich offensichtlich an der Wand des .Treppenhauses entlangtastete, mit wehendem Gewand die Treppe hinunter.

»Er bewegt sich schnell«, sagte Marcus. »Kann er etwa im Dunkeln sehen?«

»Nein.«

»Vielleicht ist ja ein Teil von ihm ein Sleen.«

»Es gibt Leute, die sind der Meinung, daß es mehr als nur ein Teil ist«, erwiderte ich.

Marcus pfiff leise vor sich hin.

»Er kennt die Treppe eben«, sagte ich etwas gereizt. »Das würdest du auch, wenn du hier wohntest.«

Dann hatte der Dicke den Flur erreicht und schoß auf mich zu. Ohne zu zögern riß er mich an sich und umarmte mich.

Dann hielten wir einander freudig an den Oberarmen.

»Woher wußtest du, daß ich es bin?« fragte ich.

»Es konnte kein anderer sein!« rief er erfreut. Dann sah er Marcus. »Und wer ist das?«

»Mein Freund Marcus aus Ar-Station.«

»Aus dem Stadtstaat der Schurken, Verräter und Feiglinge?« fragte Renato der Große.

Ich hielt Marcus zurück.

»Ich freue mich, dich kennenzulernen!« sagte Renato und streckte die Hand aus.

»Paß auf«, warnte ich Marcus, »sonst stiehlt er dir den Geldbeutel.«

»Hier ist deiner«, sagte Renato und gab ihn mir zurück.

»Eine saubere Leistung«, sagte ich ernsthaft beeindruckt. »Ist noch was drin?«

»Fast alles«, sagte mein Freund.

Marcus trat einen Schritt zurück und streckte vorsichtig die Hand aus.

Renato der Große, wie er sich zur Zeit nannte, ergriff sie und schüttelte sie lebhaft. Es war Marcus’ Schwerthand. Ich vertraute darauf, daß sie nicht verletzt wurde. Wir würden sie noch brauchen.

»Woher hast du gewußt, wo du mich findest?« fragte Renato.

»Mit Hilfe von ein paar Silbertarsk zog ich Erkundigungen im Theater ein.«

»Gut zu wissen, daß man Freunde hat.«

»Bewirkst du deine Wunder mit Taschenspielertricks, oder ist es Magie?« wollte Marcus wissen.

»Meistens bediene ich mich bewährter Tricks«, sagte Renato der Große, »aber ich muß zugeben, daß ich manchmal, wenn ich müde bin oder keine Lust oder Zeit habe, mir die Mühe zu machen, die die Tricks erfordern, auf Magie zurückgreife.«

»Siehst du T« sagte Marcus triumphierend zu mir.

»Nun hör schon auf, Marcus«, erwiderte ich.

»Es ist, wie ich dir gesagt habe!« beharrte er.

»Möchtest du eine Demonstration sehen?« fragte Renato eifrig bemüht. »Ich könnte in Betracht ziehen, dich in ein Zugtharlarion zu verwandeln.«

Marcus wurde leichenblaß.

»Natürlich nur für eine gewisse Zeit.«

Marcus trat noch einen Schritt zurück.

»Keine Angst«, sagte ich zu ihm. »Hier im Flur ist nicht genug Platz für ein Tharlarion.«

»Du bist so praktisch veranlagt wie immer«, sagte Renato strahlend. Dann wandte er sich Marcus zu. »Wenn ein Wagen im Schlamm steckenblieb, war er immer der erste, der es entdeckte! Wenn es mal nicht genug zu essen gab, er bemerkte es zuerst!«

Ich hatte schon immer einen gesunden Appetit.

»Ich will nicht in ein Zugtharlarion verwandelt werden«, sagte Marcus gefährlich leise.

»Nicht mal für eine Zeitlang?« fragte ich.

»Nein!«

»Keine Angst«, sagte Renato. »Selbst wenn ich es wollte, könnte ich es nicht.«

»Aber du hast gesagt…«

»Ich sagte, in könnte in Betracht ziehen, dich in ein Zugtharlarion zu verwandeln«, sagte er, »und es ist ziemlich einfach, es sich vorzustellen. Schwierig wird es nur, es tatsächlich zu tun.«

»Macht man sich hier über mich lustig?« fragte Marcus.

»Niemals!« sagte ich. Marcus sah mich stirnrunzelnd an. Ich bin mir nicht sicher, ob er wußte, wie er sich in Gegenwart zweier Burschen wie mir und Renato verhalten sollte.

»Und was treibst du so?« fragte Renato den jungen Krieger. »Jonglierst du, oder bist du ein Seiltänzer? Unser Freund Tarl hier war ausgezeichnet darin, sich an einem Draht festzuklammern. Einer seiner besten Tricks.«

Es war nicht mein Fehler, daß ich kein Lecchio war.

»Ich bin Krieger«, sagte Marcus stolz.

»Das ist aber schade«, sagte der Dicke. »Unsere Militärrollen sind alle besetzt. Wir haben schon einen Hauptmann, einen General und zwei Speerträger.«

Das mußten Petruccio, Andronicus, Lecchio und Chino sein.

»Ich bin kein Schauspieler«, widersprach Marcus heftig.

»Das war noch nie wichtig, um auf der Bühne Erfolg zu haben«, versicherte ihm Renato. »Denk nur an den sagenhaften Milo.«

Marcus’ Lippen verzogen sich zu einem maliziösen Grinsen. Er machte sich nicht viel aus Milo. Oder vielmehr traf es wohl eher zu, daß er sich nicht viel daraus machte, daß Phoebe ihn anschmachtete.

»Ich halte Milo für einen ausgezeichneten Schauspieler«, sagte ich.

»Siehst du?« sagte Renato zu Marcus.

»Ja.«

»Hast du ihn als Lurius von Jad gesehen?« fragte ich.

»Ja. Aufgrund dieser Darbietung habe ich mir ja meine Meinung gebildet.«

»Ich verstehe.« Wie häßlich Eifersucht unter Kollegen doch sein kann.

»Milo hat die Gewandtheit, das Ausdrucksvermögen und das Feingefühl eines Holzblocks.«

»Viele Leute finden ihn eindrucksvoll«, sagte ich.

»Das ist der Brunnen von Hesius auch«, sagte Renato der Große, »und der kann auch nicht schauspielern.«

»Man hält ihn für den schönsten Mann von ganz Ar«, sagte ich. Dann fügte ich nach einigem Nachdenken hinzu: »Für einen der schönsten.«

»Deine Einschätzung ist vernünftig«, sagte Renato.

»Allerdings«, sagte Marcus, der ebenfalls ausgiebig über diese Frage nachgedacht hatte. Bescheiden wie ich war, sagte ich nichts mehr zu dem Thema. Die beiden anderen auch nicht.

Renato wandte sich wieder an Marcus. »Und, hast du in letzter Zeit irgendeinen Heimstein verloren?«

Marcus’ Augen blitzten auf.

»Nimm dich in acht«, sagte ich. »Marcus ist ein empfindlicher Bursche, und er bringt den Arern nicht viel Wohlwollen entgegen.«

»Er weiß eben nicht, was für edle, gutherzige, fröhliche Burschen wir sind«, behauptete der Dicke.

»Warum hast du eigentlich deinen Namen geändert?« wollte ich wissen.

»Auf mich wurden verschiedene Haftbefehle ausgestellt«, erklärte er. »Meine Namensänderung gibt den örtlichen Wächtern auf der Straße der Theater eine Entschuldigung, meine Bestechungsgelder mit gutem Gewissen anzunehmen.«

»Haben die anderen auch ihre Namen geändert?«

»Derzeit schon.«

»Seine Litsia hieß früher Telitsia«, sagte ich zu Marcus.

»Das ist aber keine große Veränderung«, meinte er.

»Sie hat sich ja auch nicht groß verändert«, sagte Renato. Litsia war die Kurzform von Telitsia.

»Ich hoffe, daß ich dir helfen kann«, fuhr er fort. »Leider reisen wir in nächster Zeit nicht, darum sind deine besonderen Talente zur Zeit nicht sehr gefragt.«

»Welche besonderen Talente?« fragte Marcus.

»Er kann einen Wagen ganz allein hochheben«, sagte der Dicke. »Er kann die Pfähle einer Bühne mit der Handkante in den Boden rammen!«

»Er scherzt«, sagte ich.

»Trotzdem würden wir uns freuen, wenn du wieder unseren Kessel teilst, und zwar so lange du willst.«

»Danke.«

»Die anderen würden sich auch freuen, dich zu sehen«, sagte er. »Andronicus jammert häufig über die Beschwerlichkeit körperlicher Arbeit.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Andronicus war ein sensibler Bursche mit einem ausgeprägten Sinn dafür, was sich für einen Schauspieler seiner Qualität gehörte und was nicht. Er war einer der Sänftenträger gewesen. Petrucchio, Lecchio und Chino waren die anderen gewesen. Trotz seiner beachtlichen Statur hielt er sich für schmächtig.

»Kommst du mit rauf?« fragte Renato. »Der Schurke aus Ar-Station, der Heimat von Verrätern und Feiglingen, ist natürlich auch willkommen.«

»Zurück, Marcus«, sagte ich. Dann schüttelte ich den Kopf. »Die anderen dürfen nichts von unserer Begegnung erfahren.«

»Du willst nicht bei uns unterschlüpfen?«

»Nein.«

»Aber du wirst doch von den Behörden gesucht?«

»Eigentlich nicht.«

»Wir könnten dich verstecken. Wir haben alle möglichen Kisten und Truhen, die sich dazu ausgezeichnet eignen.«

Marcus erschauderte.

»Nein.«

»Du bist nicht auf der Flucht?«

»Nein.«

»Dann ist das lediglich ein Höflichkeitsbesuch?«

»Nein.«

Er strahlte. »Dann geht es um ein Geschäft?« Ich nickte. Sein Grinsen wurde breiter.

»Ein Geschäft, das geheim bleiben muß, das mit Gefahr verbunden ist?«

»Es ist sogar außerordentlich gefährlich«, mußte ich zugeben.

Er verschränkte die Arme über der Brust. »Sprich!«

»Wir haben einen Auftrag für dich, einen gefährlichen Auftrag, und ich glaube, du bist einer der fünfzig Männer in Ar, die ihn erledigen könnten«, sagte ich. »Er birgt ein großes Risiko und wenig Aussicht auf Erfolg. Solltest du versagen, wird man dich verhaften und einer ausgeklügelten, langen und schmerzhaften Folter unterziehen, die zweifellos erst Monate später mit der Gnade eines schrecklichen Todes endet.«

»Ich verstehe.«

»Hast du Angst?«

Er sah mich ungläubig an. »Natürlich nicht!«

»Es ist eine sehr gefährliche Sache«, sagte Marcus grimmig.

Ich hoffte, daß Marcus ihn nicht entmutigte.

»Ich weiß, daß du immer behauptet hast, ein großer Feigling zu sein, und bei jeder sich bietenden Gelegenheit auch so handelst«, sagte ich, »aber ich habe vor langer Zeit den leichtsinnigen Helden entdeckt, der sich hinter dieser durchtriebenen Pose verbirgt.«

»Du bist sehr scharfsichtig.«

»Darauf wäre ich nie gekommen«, sagte Marcus ehrfurchtsvoll.

»Du bist interessiert?« sagte ich. Ich wußte genau, daß ich sein Interesse geweckt hatte. »Möchtest du wissen, worum es geht?«

»Wenn es in Ar fünfzig Männer gibt, die den Auftrag erledigen könnten, warum fragst du nicht sie? Oder hast du sie schon gefragt?«

»Nein«, erwiderte ich. »Und du bist der einzige dieser Männer, die ich kenne. Außerdem bist du mein Freund.«

Renato ergriff gerührt meine Hand. Dann drehte er sich um.

»Wohin gehst du?«

»Nach oben, ins Bett«, sagte er. »Telitsia dürfte mittlerweile nach mir stöhnen.«

»Aber du hast dir doch unserer Vorhaben noch gar nicht angehört.«

»Ist dir klar, was mein Tod für die Kunst bedeuten würde?«

»Unter diesem Gesichtspunkt habe ich es noch nicht betrachtet«, mußte ich zugeben.

»Willst du, daß es mit der Kunst einer ganzen Welt bergab geht?«

»Nein.«

»Ich wünsche dir alles Gute.«

»Laß ihn gehen«, sagte Marcus. »Er hat recht. Unser Vorhaben ist keine Aufgabe für einen einfachen Sterblichen. Ich war nur damit einverstanden, daß wir das Thema überhaupt zur Sprache bringen, weil ich noch immer glaubte, er sei ein echter Magier.«

»Was?« fragte Renato und drehte sich ruckartig um.

»Nichts«, sagte Marcus.

»Was habt ihr vor, das so schwierig ist, daß nicht einmal einer wie ich es schaffen könnte?«

»Das gilt nicht nur für dich, sondern für jeden gewöhnlichen Mann«, sagte Marcus.

»Ich verstehe«, sagte Renato.

Marcus erwiderte seinen Blick. »Entschuldige. Ich wollte dich nicht beleidigen.«

»Marcus hat natürlich recht«, sagte ich plötzlich. »Kein normaler Mensch könnte hoffen, diese Aufgabe zu vollbringen. Sie würde Genialität, Schneid, Einfühlungsvermögen, Fingerfertigkeit, ja, sogar Schauspielkunst verlangen. Nur ein wahrer Meister könnte sie durchführen. Ach, was sage ich, der Meister aller Meister.«

»Und wofür hältst du mich?« fragte Renato. »Ich bin ein Meister, ich verfüge über eine gewaltige Ausdruckskraft, sie reicht von einem Horizont des Theaters zum anderen. Ich beherrsche ein nuanciertes Spiel, das alle anderen nur beschämen kann.«

»Tatsächlich?« fragte Marcus.

»Aber natürlich«, sagte Renato.

»Eigentlich brauchten wir ja eine Armee.«

»In meiner Jugend war ich eine Ein-Mann-Armee!« sagte Renato. Beim goreanischen Theater wird die Armee meistens durch den Schauspieler repräsentiert, der hinter einem Offizier das Banner trägt.

»Willst du, daß Ar dem cosischen Joch entflieht?« fragte ich.

»Aber sicher.«

»Ist dir bekannt, daß sich Ar weigerte, Ar-Station zu helfen, und daß Ar-Stations Loyalität es seine Mauern und seinen Heimstein kostete?«

Renato nickte. »Das weiß ich, auch wenn ich es nicht wissen dürfte.«

»Ar hat Ar-Stations Mut und Ausdauer viel zu verdanken.«

»Ja, stimmt.«

»Würdest du gern einen Teil der Schuld begleichen, die diese Stadt Ar-Station schuldet?«

»Sicherlich.«

»Und würdest du mit deiner Truppe eine Reise in den Norden unternehmen, eine Reise, die dich am Ende nach Port Cos bringt, in die Stadt am Nordufer des Vosk?«

»Leben dort treue Freunde des Theaters?«

»Es ist eine reiche Stadt.«

»Also treu genug«, sagte er.

»Eine Stadt, in der man euch nach der erfolgreichen Vollendung dieser Aufgabe wie Helden feiern wird«, sagte ich.

»Wir sind bereits Helden«, meinte Renato. »Wir werden allerdings nicht dementsprechend gefeiert.«

»Wenn du diesen Auftrag übernimmst, dann bist du wirklich ein Held.«

»Port Cos?« fragte er nachdenklich.

»Ja.«

»Dort haben sich doch die Überlebenden aus Ar-Station angesiedelt, nicht wahr?«

»Viele von ihnen.«

»Was hast du vor?«

»Die Deltabrigade läßt in Ar wieder Mut und Stolz aufleben«, sagte ich. »Die Regierung, nun ein Teil der cosischen Hegemonie, will die Brigade diskreditieren, indem sie der öffentlichen Meinung einreden will, sie habe etwas mit Ar-Station zu tun, das die Bürger zu hassen und zu verabscheuen gelernt haben.«

»Das war mir schon seit einiger Zeit klar«, sagte Renato.

Ich nickte. »Glaubst du, daß die meisten Bürger mittlerweile glauben, Ar-Station sei für die Brigade verantwortlich?«

»Nein«, sagte er. »Die einhellige Meinung lautet, daß es eine Organisation aus Veteranen des Deltas ist.«

»Was, glaubst du, würde geschehen, wenn der Heimstein von Ar-Station vor der Nase der Behörden verschwände?«

»Ich weiß es nicht«, sagte er nachdenklich, »aber ich vermute, alle würden denken, daß die Deltabrigade, die Veteranen, ihn gerettet hätten, was die offizielle Propaganda Lügen strafen würde, und die Tatsache, daß die Brigade zugunsten von Ar-Station handelt, könnte es möglicherweise in den Augen der Bürger rehabilitieren. Zumindest würde das Verschwinden des Steins die Regierung und Cos in Verlegenheit bringen und Zweifel an ihrer Tüchtigkeit wecken. Also könnte sein Verlust ihre Herrschaft unterminieren.«

»Das denke ich auch.«

»Du möchtest, daß ich für dich den Heimstein von Ar-Station besorge?«

Ich schüttelte den Kopf. »Für Ar«, erwiderte ich. »Für Ar-Station, für die Bürger von Ar-Station, für Marcus.«

Renato schwieg. »Nein«, sagte er dann.

»Wie du willst.« Ich trat einen Schritt zurück. Ich verspürte nicht den Wunsch, ihn zu bedrängen. Genausowenig wie Marcus.

»Du hast mich getäuscht.«

»Das tut mir leid.«

»Du hast mir gesagt, die Aufgabe sei schwierig, gefährlich«, sagte er verächtlich.

Ich war verblüfft.

»Ist dir bekannt, daß der Stein in der Öffentlichkeit zur Schau gestellt wird?« fragte er. »Jeden Tag eine Ahn lang?«

Ich nickte.

»Er ist allen zugänglich!«

»In gewisser Weise.«

»Er wird keineswegs in einem Turm unter Verschluß gehalten, von einem Burggraben voller Haie umgeben, hinter zehn Eisentüren versteckt, umringt von tödlichen Osts, wilden Sleen und fauchenden Larls.«

»Nein«, erwiderte ich. »Meines Wissens nicht.«

Renato sagte: »Ich werde es nicht tun!«

»Ich mache dir deshalb keinen Vorwurf.«

»Hast du eine so niedrige Meinung von mir?«

»Wie kommst du darauf?« fragte ich überrascht.

»Du bittest mich – mich, so etwas zu tun?«

»Wir hatten gehofft, du würdest es dir überlegen«, gab ich zu.

»Niemals!«

»Ganz wie du willst.«

»Was seid ihr beiden doch nur für niederträchtige Schurken!« sagte Renato ärgerlich.

»Was?« Ich verstand nicht, worauf er eigentlich hinauswollte.

»Es ist zu einfach!« sagte er. »Das ist meiner nicht würdig! Eine Beleidigung meiner Fähigkeiten! Das ist keine Herausforderung!«

»Es ist zu einfach?« wiederholte ich.

»Würdest du zu einem Meisterchirurg gehen, um dir eine Warze entfernen zu lassen?«

»Nein«, mußte ich zugeben.

»Zu einem Baumeister, um eine Tür einsetzen zu lassen?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Zu einem Schriftgelehrten, um dir die Bekanntmachungen auf den Anschlagtafeln vorlesen zu lassen?«

»Nein!« sagte Marcus. Ich schwieg.

Schließlich sagte ich: »Damit wir uns nicht mißverstehen: Du glaubst, diese Aufgabe sei zu einfach?«

»Aber natürlich«, erwiderte er. »Hier geht es doch um nichts weiter als um einen einfachen Austausch.«

»Glaubst du, du könntest es schaffen?« fragte Marcus begierig.

»Jeder könnte das schaffen«, antwortete Renato ärgerlich. Er verstummte. »Mir fällt da zumindest ein Mann ein, aus Turia«, sagte er dann.

»Aber das ist in der südlichen Hemisphäre.« Diese Bemerkung konnte ich mir nicht verkneifen.

»Da hast du auch wieder recht.«

»Dann tust du es?«

»Ich werde mir den Stein vorher genau ansehen müssen«, sagte er. »Aber das ist kein Problem. Ich werde morgen hingehen und ihn beschimpfen.«

Marcus versteifte sich.

»Das ist nötig«, sagte ich an ihn gewandt. »Er tut nur so.«

»Dann«, fuhr Renato fort, »sobald ich meinem Gedächtnis jede seiner Einzelheiten anvertraut habe, werde ich ein Duplikat anfertigen.«

»Du kannst dir alle Einzelheiten merken?« fragte ich.

»Mit einem Blick«, versicherte er mir.

»Bemerkenswert.«

»Einen Verstand wie den meinen gibt es jedes Jahrhundert nur ein- oder zweimal.«

Marcus fehlten die Worte, so überwältigt war er.

Renato wandte sich an ihn. »Junge, bist du mit dem Stein gründlich vertraut?«

Marcus nickte.

»Gut«, sagte Renato.

»Warum ist das gut?« fragte ich.

»Nur für den Fall, daß ich seine Farbe vergesse oder dergleichen.«

Ich nickte nachdenklich. Dann sagte ich: »Dir ist doch klar, daß der Stein unter ständiger Bewachung steht?«

»Schon, aber nicht in der Viertelihn, die ich brauche.«

»Du wirst es mit Hilfe eines Ablenkungsmanövers machen?«

»Es sei denn, du hast eine bessere Idee – oder siebzig bewaffnete Männer?«

»Nein«, sagte ich.

»Dort werden viele Wächter sein«, sagte Marcus.

»Ich arbeite am besten vor einem Publikum.«

Das bezweifelte ich nicht. Andererseits machte er mich etwas nervös. Ich hoffte, daß er kein zu großes Spektakel veranstalten würde. Es kam allein darauf an, den Stein zu holen, ihn aus der Stadt und falls möglich nach Port Cos zu schaffen.

»Bürger!« sagte Marcus.

»Ja, mein Junge?« fragte Renato der Große.

»Selbst wenn du bei diesem Unternehmen versagen und eines schrecklichen Todes sterben solltest, will ich, daß du eines weißt: der Dank Ar-Stations ist dir gewiß!«

»Danke«, sagte Renato. »Das finde ich rührend.«

»Oh, nicht doch, das ist doch selbstverständlich«, versicherte ihm Marcus.

»Nein, nein!« sagte Renato. »Sollten die Folterbank, rotglühende Eisen und brennende Zangen mein Schicksal sein, werde ich darin Trost finden.«

»Du bist der mutigste Mann, den ich je kennengelernt habe!« sagte Marcus.

Renato sah mich an. »Es scheint, als sei meine kunstfertig vorgetäuschte Furchtsamkeit, die ich mein ganzes Leben lang kultiviert habe, heute abend zweimal durchschaut worden.«

»Willst du den Heimstein mit Magie oder durch einen Zaubertrick in deinen Besitz bringen?« wollte Marcus wissen.

»Da habe ich mich noch nicht entschieden«, sagte Renato. »Was wäre dir lieber?«

»Falls es dich nicht in größere Gefahr bringt«, sagte Marcus entschlossen, »würde ich den Zaubertrick vorziehen, ein ganz und gar menschliches Betrugsmanöver.«

»Ganz meine Meinung«, erwiderte Renato. Er zwinkerte mir zu. »Und was meinst du?«

Ich zuckte nur mit den Schultern.

»Mit einem Zaubertrick überlisten wir Ar«, sagte Marcus todernst. »Wir halten sie zum Narren, erreichen unser Ziel innerhalb der Regeln, gewinnen auf ehrliche Weise!«

»Das ist wahr«, sagte Renato. »Ich habe für die Magier, die in der Sicherheit ihrer Schloßtürme bleiben, ihre Zauberbücher konsultieren, ihre Zaubersprüche aufsagen, ihre Zauberstäbe schwingen und dann wertvolle Gegenstände verschwinden lassen, nichts als Verachtung übrig. Da ist doch kein Wagnis dabei, keine Ehre! Das ist keine saubere Sache. Nein, es ist Betrug.«

Marcus nickte mit glänzenden Augen. »Ja, es wäre Betrug!«

Renato strahlte. »Du hast mich überzeugt! Ich werde einen Zaubertrick benutzen und keine Magie!«

»Ja!« sagte Marcus.

»Es ist gefährlich«, erinnerte ich Renato.

»Eigentlich nicht«, erwiderte er.

»Das ist mein Ernst.«

»Wäre ich der Meinung, daß auch nur ein Hauch von Gefahr dabei wäre, glaubst du, ich würde dieses Unternehmen auch nur in Betracht ziehen?«

»Ja, das glaube ich.«

»Es kommt doch auf den Mann an, der es versucht«, sagte Renato. »Würdest du es versuchen und dich dabei auf deine Fingerfertigkeit und Geschicklichkeit verlassen, wäre es in der Tat eine gefährliche Sache, sogar absolut verhängnisvoll. Ich glaube, ich würde noch am Vorabend die Folterbank vorbereiten lassen. Aber ich versichere dir, für mich ist das gar nichts, nicht mehr als ein Niesen.«

»Er ist ein Magier«, erinnerte Marcus mich.

»Aber er will es mit einem Taschenspielertrick machen«, erwiderte ich leicht gereizt.

»Das ist wahr«, sagte Marcus nachdenklich.

»Würdest du bitte draußen auf mich warten?« bat ich ihn.

»Aber sicher«, sagte der junge Krieger sofort und verließ das Haus.

»Ein netter Junge«, sagte Renato.

»Mit dem Unternehmen sind ernsthafte Risiken verbunden.«

»Für dich vielleicht, für mich nicht.«

»Wir haben Gold.«

»Fällt dir nichts anderes ein als der vergebliche Versuch, mir diesen Reichtum aufzuzwingen, selbst gegen meinen Willen?«

»Ich möchte, daß du zumindest darüber nachdenkst.«

Er schürzte die Lippen. »Das ist das mindeste, was ich für einen Freund tun kann«, sagte er dann.

»Es dürfte dabei helfen, die Kosten der Truppe im Norden zu decken.«

»Es handelt sich also um eine Spende für die Kunst?«

»Aber sicher.«

»Und du wärst ernsthaft beleidigt, falls ich sie abschlagen würde?«

Ich nickte mit ausdruckslosem Gesicht.

»Unter diesen Bedingungen läßt du mir keine andere Wahl.«

»Großartig«, sagte ich.

»Die Summe überlasse ich natürlich deiner wohlbekannten Großzügigkeit.«

»Wie du willst.«

»Natürlich sollte sie angemessen sein, da du der Patron bist und im Gegensatz zu mir die Risiken genau kennst.«

»Soviel Gold gibt es auf ganz Gor nicht«, sagte ich.

»Tatsächlich?«

»Ja.«

»Dann hoffe ich, daß meine Einschätzung der Risiken wesentlich zutreffender als die deine ist.«

»Das hoffe ich auch, von ganzem Herzen sogar.«

Renato dachte nach. »Hm. Findest du, daß ein ganzes Goldstück, sagen wir, ein Stater oder eine Tarnscheibe, zuviel für ein Unternehmen wäre, das die Kunst fördern soll?«

»Überhaupt nicht.«

»Und was ist mit zwei Goldstücken?«

»Das wird zu machen sein.«

»In diesem Fall kannst du dem jungen Mann seinen Geldbeutel zurückgeben.« Er gab mir Marcus’ Geldbeutel. Ich tastete sofort nach meinem. Er hing noch da, wo er hängen sollte.

»Es ist noch alles da«, versicherte er mir.

»Gut.« Marcus und ich trugen nie viel Geld mit uns. »Sei vorsichtig«, sagte ich dann.

»Wäre ich nicht vorsichtig, gäbe es mehr als nur elf auf mich ausgestellte Haftbefehle und es wüßten mehr als zweiundzwanzig Geldverleiher, wo ich zu finden bin.«

Darauf wußte ich keine Antwort.

»Ich muß jetzt nach oben und Telitsia zufriedenstellen. Seit sie eine Sklavin ist, hat sie mit der freien Frau, die du kanntest, nicht mehr viel gemeinsam.«

»Da bin ich mir sicher«, sagte ich. Ich streckte die Hand aus. »Ich wünsche dir alles Gute.«

»Ich wünsche dir alles Gute«, sagte er. Dann drehte er sich um und stieg die Treppe hinauf. Ich verließ das Haus.

»Weißt du, wer das war?« fragte ich Marcus, der auf dem Bürgersteig auf mich wartete.

»Ein Magier.«

»Hier ist dein Geldbeutel.«

»Aii«, sagte Marcus und griff zu seinem Gürtel.

»Angeblich fehlt nichts.«

»Er ist fortgezaubert worden«, sagte Marcus.

Ich schüttelte den Kopf. »Manchmal glaube ich, seine Finger sind flinker, als es für ihn gut ist.«

»Nein«, beharrte Marcus. »Ich habe nichts davon bemerkt. Das war Magie. Er ist ein echter Magier.«

»Vielleicht ist er zu sehr in seine Tricks verliebt.« Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie manche Goreaner in einer vergleichbaren Situation mit dem Messer auf ihn losgingen oder später mit dieser Absicht auf seiner Schwelle auftauchten, nachdem sie ihren Verlust entdeckt hatten.

»Vielleicht sollten wir ihn dazu ermutigen, bei seinem Angriff auf den Heimstein doch Magie einzusetzen«, meinte Marcus. »Ich möchte nicht, daß man ihn auf der Folterbank in Stücke reißt.«

»Er hat seine Entscheidung getroffen«, sagte ich. »Er würde nichts davon hören wollen.«

»Welch ein Mut!« rief Marcus bewundernd.

»Weißt du, wer er ist?« fragte ich erneut.

»Renato der Große«, antwortete Marcus mit einem Schulterzucken.

»Das ist nicht sein richtiger Name.«

»Wie heißt er dann?«

»Würde ich dir das’ verraten, wäre dir sofort alles klar«, sagte ich. »Du wärst erstaunt, daß ein solcher Mann sich dazu herabläßt, uns zu helfen. Ganz Gor kennt ihn. Er ist berühmt. Sein Ruhm ist in Tausenden von Städten und hundert Ländern verbreitet. Man kennt ihn von den dampfenden Dschungeln Schendis bis zu den Eisschollen des Nordens, von den Küsten des Thassa bis zu den trockenen Ödländern östlich der Thentisberge!«

»Wie lautet sein Name?« fragte Marcus begierig.

»Boots Tarskstück!«

»Wie?«

Ich seufzte. »Steck deinen Geldbeutel weg«, sagte ich.

»Wie du meinst.«

Ich überprüfte meinen Beutel ebenfalls noch einmal. Er hing dort, wo er hingehörte, und mit seinem Inhalt war alles in Ordnung.

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