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»Du darfst dich umdrehen«, sagte Marcus und stand auf.

Phoebe, die in unserem kleinen Zelt vor den Stadtmauern – inmitten Hunderter solcher Zelte, die hauptsächlich von Vagabunden, Reisenden und Flüchtlingen bevölkert wurden – noch immer keuchend auf dem Boden kniete, nahm die eben noch verschränkten Finger aus dem Nacken und hob den Kopf.

»Vielen Dank, Herr«, sagte sie atemlos. »Ich gehöre nur dir. Ich liebe dich. Ich liebe dich.«

»Steh auf und wende dich mir zu«, sagte er. »Laß die Arme an den Seiten herabhängen.« Er zog einen etwa anderthalb Meter langen Riemen aus der Gürteltasche und warf ihn sich über die Schulter.

»Werde ich jetzt gefesselt?« fragte sie.

»Außerhalb der Stadtmauern scheint die Luft viel sauberer und frischer zu sein«, sagte ich.

Um uns herum ertönte der Lärm des Lagerlebens.

»Hier stinkt es bloß nicht nach Weihrauch«, erwiderte Marcus mit einem Grinsen. »Weißt du, was das hier ist?« Er zog ein Stück Stoff aus der Tasche.

»Ich bin mir nicht sicher«, sagte sie schüchtern und hoffnungsvoll. »Herr.« Ihre Augen leuchteten.

Ich lächelte.

»Es ist eine Tunika!« rief sie entzückt.

»Eine Sklaventunika«, korrigierte er sie streng.

»Natürlich, Herr«, sagte sie begeistert, »denn ich bin ja eine Sklavin!«

Es handelte sich um eine ärmellose Tunika aus braunem Stoff. Großzügig bemessene Schlitze an beiden Seiten bewirkten, daß die Oberschenkel der Trägerin zusätzlich entblößt wurden. Ich sah, daß Phoebe das Kleidungsstück am liebsten an sich gerissen hätte, aber wie befohlen behielt sie die Hände an den Seiten.

Bei dem Riemen über Marcus’ Schulter handelte es sich natürlich um den Sklavengürtel, mit dem die Kleidung der Sklavin gehalten wird. Solche Gürtel können auf die verschiedensten Arten zugeknüpft werden, meistens so, daß sie die Figur der Trägerin betonen. Darüber hinaus können sie natürlich als Fessel dienen.

»Das ist doch für mich, oder?« fragte Phoebe begierig und voller Aufregung.

»Es ist mein Eigentum, da du mein Eigentum bist«, stellte Marcus fest, »aber es stimmt, daß ich es für dich erstanden habe, damit du es trägst, wenn ich es dir erlaube oder befehle.«

»Darf ich sie anfassen, Herr?« fragte sie entzückt.

»Ja.«

Ich sah zu, wie sie das winzige Kleidungsstück dankbar und erfreut in die Hände nahm. Es war schon erstaunlich, wieviel eine so nebensächliche Sache einem Mädchen bedeuten konnte. Es war bloß eine Sklaventunika, ein billiges, winziges Stück Stoff, kaum mehr als ein Ta-teera, und doch begeisterte sie sich dafür. Es war ein Kleidungsstück, das freie Frauen angeblich verabscheuen, das sie unaussprechlich schrecklich und einfach widerwärtig finden; ein Kleidungsstück, das sie mit Entsetzen betrachten, bei dessen bloßem Anblick sie scheinbar bereit sind, in Ohnmacht zu fallen. Aber für Phoebe, die Sklavin, bedeutete es mehr als das kostbarste Kleid in der Garderobe einer freien Frau. Natürlich hatte ich den Verdacht, daß freie Frauen nicht immer ganz ehrlich sind, wenn sie uns ihre Meinung über solche Tuniken kundtun. Einem goreanischen Sprichwort zufolge sind freie Frauen Sklavinnen, denen noch niemand einen Sklavenkragen um den Hals gelegt hat.

»Darf ich das anziehen?« fragte Phoebe.

»Ja, natürlich«, sagte Marcus. Er strahlte. Ich glaube, er hatte in diesem Augenblick ganz vergessen, daß er dieses Mädchen von ganzem Herzen haßte.

»Warum hast du mich eigentlich nach Ar begleitet?« fragte ich ihn.

»Das weißt du doch genau«, lautete seine Antwort.

»Aber es ist Wahnsinn.«

Während der Belagerung von Ar-Station hatte man den Heimstein der Stadt durch die feindlichen Linien nach Ar geschmuggelt, wo er in Sicherheit verwahrt werden sollte. Dazu bediente man sich des Wagens eines Mannes namens Septimus Entrates. Allerdings hatten wir nach dem Fall von Ar-Station erfahren, daß im Süden das Gerücht kursierte, Ar-Station habe dem cosischen Expeditionsheer seine Tore geöffnet, und zwar für viel Gold. Aus diesem Grund galten die Bürger Ar-Stations nun als Verräter. Dieser angebliche Verrat diente natürlich als Erklärung für den gescheiterten Versuch Ars, die belagerte Stadt zu entsetzen. Wie man munkelte, hatte sich Ars Heer dem Dilemma gegenübergesehen, entweder seine einstige Kolonie anzugreifen oder sich um das Expeditionsheer zu kümmern. Aufgrund der Annahme, das letzere habe Priorität, drang das Heer Ars bei der Verfolgung der Cosianer in das Flußdelta des Vosk ein, in dessen trügerischem morastigen Untergrund ein Regiment nach dem anderen ausgelöscht oder dezimiert wurde.

Die Vernichtung der Arer im Delta war die vermutlich größte militärische Katastrophe in der Geschichte des Planeten. Von den über fünfzigtausend Mann, die das Delta betraten, überlebten kaum mehr als schätzungsweise vier- bis fünftausend. Einige von ihnen hatten sich natürlich bis nach Ar durchschlagen können. Und soweit es diese Männer wußten, entsprachen die Gerüchte der Wahrheit, daß Ar-Station seine Vaterstadt verraten hatte, daß seine Mauern unversehrt und es jetzt ein cosischer Außenposten war. Das hatte man ihnen in ihrem Winterlager in Holmesk erzählt.

Phoebe zog sich die Tunika über den Kopf.

Marcus ließ sie dabei keinen Augenblick lang aus den Augen.

Nach diesen offiziellen Verlautbarungen über die Geschehnisse im Norden wurden Ar-Station und seine Bürger in Ar verständlicherweise verachtet und gehaßt.

Phoebe zupfte die Tunika an den Oberschenkeln zurecht und drehte sich glücklich vor Marcus im Kreis.

»Aii!« rief Marcus.

»Gefällt dir deine Sklavin?« fragte Phoebe entzückt. Die Frage war offensichtlich rhetorisch gemeint.

»Sie ist zu kurz«, behauptete der junge Krieger.

»Unsinn«, sagte ich.

»Sie ist sogar viel zu kurz.«

»Um so besser kann mein Herr meine Oberschenkel betrachten«, sagte Phoebe. Sie waren tatsächlich entblößt, vor allem durch die Schlitze an den Seiten.

»Wie andere Männer auch«, sagte er wütend.

»Natürlich, Herr«, sagte sie. »Schließlich bin ich eine Sklavin.«

»Sie ist außerordentlich schön«, sagte ich. »Soll sie sich doch so entblößt zeigen. Sollen sich die anderen vor Neid verzehren, daß sie dein Eigentum ist.« •

»Hm«, machte Marcus und verlor sich in der verzückten Betrachtung seiner schöner Sklavin.

»Sicher hast du dein verrücktes Vorhaben mittlerweile verworfen«, fuhr ich fort.

»Nein«, sagte er abwesend.

Wie bereits erwähnt befand sich Ar-Stations Heimstein in Ar. Und allein aus diesem Grund war Marcus hierhergereist.

Weil die Wut auf Ar-Station so gewaltig war (nicht zuletzt durch die angebliche Tatsache, daß der Heimstein gar nicht aus Sicherheitsgründen nach Ar gesandt worden war, sondern als Geste der Verachtung und Zurückweisung, die der ebenfalls angeblichen Entgegennahme eines neuen, von den Cosianern überreichten Heimsteins vorausging), wurde der Stein zu bestimmten Stunden öffentlich zur Schau gestellt. Dies geschah in der Nähe des Zentralzylinders, auf der Straße des Zentralzylinders. Nun konnten die Bürger Ars ihren Abscheu an dem Stein abreagieren, indem sie ihn verfluchten, anspuckten oder auf andere Weise besudelten.

»Der Stein wird scharf bewacht«, sagte ich.

Das hatten wir am Morgen herausbekommen. Wir waren zu Ludmillas Freudenhausgasse gegangen, in die Straße, in der Achiates insula steht. Ich hatte das insula nicht betreten, aber in seiner Nähe ein paar Erkundigungen eingeholt. Diejenigen, die ich suchte, wohnten hier anscheinend nicht mehr. Ich erkundigte mich allerdings nicht nach den Leuten, die so offensichtlich in seiner Nähe herumlungerten.

Am Nachmittag gingen wir erneut hin. Die Männer lungerten noch immer herum. Das hatte mich zu der Annahme gebracht, daß sie dort als Wachposten aufgestellt worden waren. Ganz in der Nähe saß ein Straßenhändler hinter seiner Decke, auf der er seine Waren aufgebaut hatte. Ich konnte nicht sagen, ob er zu den Posten gehörte oder nicht. Es spielte auch keine große Rolle. Gewöhnlich werden derartige Überwachungen immer mit mindestens zwei Männern durchgeführt. Auf diese Weise kann einer den Vorgesetzten Bericht erstatten, während der andere an Ort und Stelle bleibt.

Soweit mir bekannt war, wußte niemand von meiner Anwesenheit in Ar. Mir war klar, daß mich bestimmte Personen erkennen konnten. Bei meinem letzten Besuch in Ar hatte ich dem Regenten Gnieus Lelius Briefe von Dietrich von Tarnburg aus Torcodino überbracht. Später hatte ich dann als Kurier eine gefälschte Botschaft befördert, die an Aemilianus, den Stadtkommandanten von Ar-Station, gerichtet war und mich beinahe das Leben gekostet hätte. Ich zweifelte keinen Augenblick lang, daß man mich als Feind der Verräterclique identifiziert hatte, der eine Gefahr darstellte. Ich wußte allerdings nicht, ob der Regent Gnieus Lelius zu ihr gehörte oder nicht. Anhand der in Holmesk erhaltenen Informationen war mir jedoch klar, daß Seremides aus Tyros, der Hohe General der Stadt, in den Verrat verwickelt war. Vor langer Zeit in Brundisium erbeutete und entschlüsselte Dokumente hatten unter anderem noch einen weiteren Namen enthüllt, den einer Frau – Talena, Tochter des Marlenus von Ar, die er verstoßen hatte. Angeblich hatte sich ihr Glück gewandelt, und sie war wieder im Aufstieg begriffen.

»Ich bin mir durchaus bewußt, daß der Stein sehr gut bewacht wird«, sagte Marcus.

»Dann verzichte auf deinen verruckten Plan.«

»Nein.«

»Du wirst niemals an den Stein herankommen.«

»Bist du nicht aus einem Grund nach Ar gekommen, dessen Umsetzung noch viel geringere Erfolgsaussichten hat?«

Ich schwieg.

»Nun?« fragte Marcus mit einem Lachern.

Ich würdigte ihn keiner Antwort. Statt dessen dachte ich an die Frau, die nun in Ar eine hohe Stellung bekleidete, die mir einst irrtümlicherweise etwas bedeutet hatte, eine eitle, stolze Frau, die mich in dem Glauben, ich sei hilflos und verkrüppelt, verspottet und im Stich gelassen hatte. Ich dachte an sie und an Ketten. Natürlich war es unmöglich, an sie heranzukommen. Und doch, sollte es mir trotz allem gelingen, sie in meine Gewalt zu bekommen, wollte ich sie nicht einmal für mich behalten, sondern sie einfach nur loswerden, sie verschenken oder als geringste aller Sklavinnen verkaufen.

»Ich verstehe«, sagte Marcus.

»Herr?« fragte Phoebe und drehte sich wieder vor Marcus im Kreis.

»Ja«, sagte er, »du bist sehr hübsch.«

»Danke, Herr, daß du mir eine Tunika gegeben hast.«

»Daß ich dir erlaube, eine zu tragen«, verbesserte Marcus sie.

»Ja, Herr.«

»Draußen spielt Musik«, wandte sich Marcus an mich. »Vielleicht veranstaltet man ein Fest oder einen Jahrmarkt.«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Laß uns nachsehen.«

»Nun gut.«

Marcus legte Phoebe die Leine an, und wir verließen das Zelt.

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