8

Die Oase der Zwei Krummsäbel ist ziemlich abgelegen und steht unter dem Einfluß der Bakahs, die seit ihrer Niederlage im Seidenkrieg von 8110 C.A. vor über zweihundert Jahren Vasallen der Kavars waren. Im Seidenkrieg ging es um die Kontrolle bestimmter Karawanenrouten, um das Recht, reisenden Kaufleuten einen Wegezoll aufzuerlegen. Die Auseinandersetzung erhielt ihren Namen, weil zu jener Zeit zum erstenmal turische Seidenstoffe in größeren Mengen in die taharischen Gemeinden importiert wurden. Ein Wegezoll wird im allgemeinen in der Tahari nicht mehr erhoben; im Hinblick auf die Kontrolle über die Wasserstellen der Oasen ist so etwas auch gar nicht mehr erforderlich. Die Karawanen müssen diese Orte aufsuchen. In den Oasen erheben die jeweiligen Herrscher üblicherweise eine Schutzsteuer von den Karawanen, sobald sie eine bestimmte Größe erreichen. Gewöhnlich liegt die Grenze bei fünfzig Kaiila. Die Schutzsteuer dient dem Unterhalt von Soldaten, die zumindest der Absicht nach in der Wüste als Polizeigewalt fungieren. So mancher Oasenpascha stammt indes von Wüstenräubern ab. Die meisten Amtsträger im Wüstengebiet sind Nachfahren von Männern, die früher mit dem Krummsäbel in der Hand vom hohen Rücken einer Kaiila aus geherrscht hatten. Das Äußere mag sich verändern, doch in der Tahari wie anderswo hängen Ordnung, Gerechtigkeit und Gesetz letztlich von der Entschlossenheit von Männern ab und von ihren Waffen.

Es war spät in der Nacht, als wir die Oase der Zwei Krummsäbel erreichten. Die drei Monde standen hoch am Himmel. Aus der Dunkelheit eilten Männer herbei und umringten uns waffenschwingend.

»Es ist Hassan«, sagte eine Stimme.

»Man kann heutzutage nicht vorsichtig genug sein«, bemerkte ein anderer.

»Tal«, wandte sich Hassan an den Kaufmann, der neben seinem Steigbügel stand.

»Wir haben Wasser«, sagte der Händler zur Begrüßung.

Hassan der Wüstenräuber stellte sich in seinen Steigbügeln auf, sah sich zwischen den Palmen, den Mauern aus rotem Lehm und den ummauerten Gärten um.

»Hast du Waren für mich?« fragte der Kaufmann.

»Ja«, erwiderte Hassan und setzte sich wieder. Das Mädchen, das gefesselt vor ihm quer über dem Sattel lag, wand sich und begann zu wimmern. Sie hieß Zina. Sie hatte ihre Karawane an Hassan verraten, wofür er ihr nach dem Überfall auf seine Weise gedankt hatte: er hatte sie zur Sklavin gemacht.

Das zweite Mädchen, Tafa geheißen, lag gefesselt vor einem anderen Reiter aus Hassans Gruppe. Die weichen Schenkel der beiden Mädchen waren dunkelbraun von getrocknetem Blut.

Die Lehmgebäude in einer Siedlung wie der Oase der Zwei Krummsäbel haben eine Lebensdauer von vielen Jahren. Es regnet hier nur äußerst selten. Doch wenn es schließlich tatsächlich zu Regengüssen kommt, verwandelt sich die Gegend in einen Morast. Unmittelbar nach solchen Niederschlägen erscheinen ungeheure Wolken von Sandfliegen, die aus ihrem Schlummer erwacht sind. Diese Tierchen ernähren sich vom Blut der Kaiila und der Menschen. Normalerweise sind Fluginsekten nur in der Nähe von Oasen anzutreffen. Kriechende Insekten dagegen gibt es in vielen Gegenden, oft weit vom Wasser entfernt. Der Zadit ist ein kleiner braungefiederter Vogel mit scharfem Schnabel. Wenn Sandfliegen und andere Insekten nach Regenfällen auftauchen und sich auf Mensch und Tier niederlassen, erscheint der Zadit und macht sich ans Werk. Er befreit die Kaiila von den Insekten, bringt ihnen aber dabei mit dem Schnabel zahlreiche Wunden bei, die sehr unangenehm sein können. Die kleinen Wunden entzünden sich oft und werden zu Schwielen, die von den Treibern mit frischem Kaiiladung behandelt werden.

»Vor sechs Tagen«, sagte der Kaufmann, »haben Soldaten der Aretai aus der Oase der Neun Brunnen die Oase des Sand-Sleen überfallen.«

Seine Worte verblüfften mich. Ich blickte mich um. Man sah selbst im Mondlicht, daß Kaiila durch die Gärten galoppiert waren. Zwei Mauern waren eingestürzt. Ich zählte elf umgestürzte Dattelpalmen; die Stämme lagen auf dem Boden, die Blätter waren eingetrocknet, die Früchte unausgereift. Es dauert Jahre, bis so ein Baum Früchte trägt.

»Gestern nacht haben sie uns angegriffen«, fuhr der Mann fort. »Doch wir konnten sie abwehren.«

»Die Aretai sind Sleen!« bemerkte Hassan.

Ich wunderte mich, daß er so heftig auf die Nachricht reagierte; immerhin war er nur ein Bandit.

»Sie haben einen Brunnen zerstört«, sagte der Kaufmann. Diese Worte lösten ein tiefes Schweigen aus. Hassan stieß nicht einmal einen Wutschrei aus.

Dann sagte er gepreßt: »Mach keine Scherze!«

»Ich scherze nicht«, erwiderte der Kaufmann.

»Die Aretai sind Sleen«, fuhr Hassan fort, »doch sie stammen aus der Tahari. Und Männer der Tahari zerstören keine Brunnen.«

»Der Brunnen ist zerstört«, stellte der Händler fest, »willst du ihn dir ansehen?«

»Nein«, sagte Hassan.

»Wir versuchen im Augenblick Steine und Sand herauszuholen«, sagte der Kaufmann.

Hassans Gesicht war bleich.

Jemand, der nicht aus der Tahari stammt, kann sich gar nicht vorstellen, wie schwerwiegend die Zerstörung einer Wasserstelle ist. Eine solche Tat gilt als ein unvorstellbares Verbrechen, als die schlimmste Untat, die man in der Wüste überhaupt begehen kann. Sie übertrifft alles, was an feindlichen Handlungen begangen werden kann. Zweifellos würde sich innerhalb weniger Tage die Nachricht verbreiten, daß die Aretai in der Oase der Zwei Krummsäbel einen Brunnen zerstört oder einen entsprechenden Versuch unternommen hatten und diese Nachricht würde die Wüstenbewohner von Tor bis zum letzten turischen Handelsposten in Harnisch bringen. Dieser Angriff gegen die Bakahs in der Oase der Zwei Krummsäbel, einen Vasallenstamm der Kavars, konnte den totalen Krieg in der Tahari auslösen.

»Die Kriegsboten sind bereits unterwegs«, fuhr der Händler fort. Die Männer in den zahlreichen Oasen und Nomadenbezirken und Kasbahs wurden damit zu den Waffen gerufen. Der Wüstenkrieg stand bevor.

Ein Brunnen war vernichtet worden.

»Aber die Geschäfte müssen weitergehen«, sagte der Kaufmann. Er blickte zu Hassan empor. Seine Hand berührte Zinas Körper.

»Seid ihr sicher, daß die Angreifer Aretai waren?« fragte ich den Händler.

»Ja«, sagte er. »Sie haben sich keine Mühe gegeben, diese Tatsache zu verbergen.«

»Worauf gründet sich eure Feststellung?« wollte ich wissen.

»Aus welchem Stamm kommst du denn?« fragte er.

»Dieser Mann ist Hakim aus Tor«, sagte Hassan. »Ich bürge für ihn.«

»Die Agalschnur wies die Männer als Aretai aus«, sagte der Kaufmann.

»Ebenso die Markierungen an ihren Sätteln. Und bei dem Angriff haben sie gebrüllt: »›Für Neun Brunnen und Suleiman!‹«

»Ich verstehe«, sagte ich.

»Wenn die Aretai den Krieg wollen bis zur Vernichtung des Wassers dann sollen sie ihn bekommen«, sagte der Kaufmann entschlossen.

»Ich möchte noch vor dem Morgengrauen weiterreiten«, bemerkte Hassan.

»Natürlich«, sagte der Händler. »Was haben wir denn hier?« fragte er und betrachtete Zina. Dann wandte er sich an zwei seiner Männer.

»Bringt die Packkaiila in meinen Hof und breitet die Waren aus.«

Hastig führten sie seinen Befehl aus.

»Das Brandzeichen des Mädchens ist frisch«, sagte der Händler lächelnd.

»Das ist wahr«, sagte Hassan.

»Zweifellos hast du ihr selbst das Eisen aufgedrückt.«

»Ja«, sagte Hassan.

»Ausgezeichnete Arbeit«, fuhr der Händler fort. »Du hast eine sichere Hand.«

Das Mädchen wimmerte.

»Ich habe schon viele Frauen gebrandet.«

Die Hände des Kaufmanns machten sich geschickt an dem Mädchen zu schaffen und erkundeten ihre körperlichen Qualitäten. Auf ähnliche Weise beschäftigte er sich mit Tafa, der anderen Gefangenen.

»Bringt sie ins Haus«, sagte er schließlich zu Hassan. »Ich werde die beiden schätzen und mache dir ein Angebot.«

»Mehr, ihr Herren?« fragte das Mädchen, das neben dem niedrigen Tisch kniete. Die Platte war kunstvoll mit Temholz eingelegt. Die Sklavin trug eine lange rote Seidenweste, die vorn von einem einzigen Haken zusammengehalten wurde; dazu einen durchsichtigen rotseidenen Chalwar, der ihr tief auf der Hüfte saß.

»Nein, Yiza, du kannst dich zurückziehen«, sagte der Kaufmann.

»Jawohl, Herr«, sagte sie leise.

Sie senkte den Blick, ergriff das Tablett mit dem schwarzen Wein und den Zuckersorten, erhob sich anmutig, machte einige Schritte rückwärts, drehte sich um und verließ den Raum.

»Die Zerstörung eines Brunnens«, sagte der Kaufmann, »ist ein geradezu unvorstellbares Verbrechen.«

Keiner von uns antwortete ihm, ebensowenig wie Hassan. Er hatte recht. Vorhin, nachdem wir die Verhandlungen abgeschlossen hatten und Hassan seine Beute Sklavinnen und andere Dinge günstig losgeworden war, hatten wir uns von ihm zu dem zerstörten Brunnen führen lassen, obwohl das zuerst nicht in unserer Absicht gelegen hatte. Im Fackelschein schufteten dort die Männer. Mit Ledereimern an langen Seilen bemühten sie sich, Steine und Sand aus dem Schacht zu holen. Bei diesem Anblick hatte Hassan die Fäuste geballt. Anschließend hatten wir uns in das Haus des Kaufmanns zurückgezogen, um schwarzen Wein zu trinken. Es waren noch zwei Ahn bis zum Morgengrauen.

Die verschiedenen Beutestücke erbrachten insgesamt elf Tarnscheiben aus Ar und vier aus Turia. Seinen neun Männern hatte Hassan jeweils eine Tarnscheibe aus Ar zugeworfen und den Rest für sich behalten. Eine goldene Tarnscheibe ist mehr als der Jahreslohn manches einfachen Arbeiters. Viele Goreaner niedriger Kaste haben eine solche Münze noch nie in der Hand gehalten. Hassans Männer warteten vor dem Gebäude, die Zügel ihrer Kaiila in der Hand. »Das Seltsamste ist aber«, sagte der Kaufmann und sah uns etwas ratlos an, »daß die niederträchtigen Aretai von einer Frau angeführt wurden!«

»Eine Frau?« fragte Hassan.

»Ja«, sagte der Kaufmann.

»Und die Kriegsboten sind bereits ausgeschickt worden?« wollte Hassan wissen.

»Zu allen Oasen der Kavars und ihrer verbündeten Stämme«, sagte der Händler.

»Ist vielleicht die Rede gewesen von Waffenstillstand, von Verhandlungen?« fragte Hassan.

»Mit Männern, die Brunnen zerstören?« fragte der Kaufmann. »Natürlich nicht!«

»Und was meint Haroun, der hohe Pascha der Kavars, zu der ganzen Sache?« erkundigte sich Hassan.

»Wer weiß schon, wo Haroun steckt?« fragte der Händler und breitete die Hände aus.

»Und sein Wesir Baram, Scheich von Bezhad?«

»Die Kriegsboten sind unterwegs«, sagte der Mann.

»Ich verstehe.«

»Die Stämme kommen zusammen«, fuhr der Kaufmann fort. »Es wird Krieg geben in der Wüste.«

»Ich bin müde«, sagte Hassan, »und ich halte es nicht für klug, mich bei Tageslicht in der Oase der Zwei Krummsäbel sehen zu lassen.«

»Hasaad Pasha, unser Herr, weiß, daß Räuber in die Oase der Zwei Krummsäbel kommen«, sagte der Händler lächelnd. »Das ist nur gut für unsere Wirtschaft. Wir liegen abseits der wichtigen Handelsrouten.«

»Offiziell weiß er nichts«, entgegnete Hassan. »Und ich möchte nicht, daß er hundert Soldaten auf die Suche nach mir schicken muß, nur um der Bitte aufgeregter Bürger nachzukommen. Mir und meinen Männern ist im Augenblick nicht nach einem anstrengenden Ritt zumute. Und wenn wir uns tatsächlich über den Weg liefen, wäre das für beide Gruppen ziemlich peinlich. Was sollten wir dann wohl tun?«

»Vielleicht könntet ihr aneinander vorbeireiten und dabei laut brüllen?«

schlug der Kaufmann vor.

»Das wäre eine Möglichkeit«, sagte Hassan lächelnd.

»Wahrscheinlich müßtet ihr euch gegenseitig umbringen«, sagte der Kaufmann. »Möglich.«

»In der Nacht«, sagte der Kaufmann, »bist du mit deinen Männern in der Oase der Zwei Krummsäbel stets willkommen.«

»Willkommen bei Nacht, verfolgt bei Tage«, bemerkte Hassan. »Ich glaube, das Denken ehrlicher Männer wird mir immer ein Rätsel bleiben.«

»Wir sind wirklich kompliziert«, räumte der Kaufmann ein.

»Ich wünschte, die Bewohner anderer Oasen wären ebenso kompliziert«, sagte Hassan. »Mancherorts ist nämlich eine hohe Belohnung auf meinen Kopf ausgesetzt.«

»Wir Bewohner der Oase der Zwei Krummsäbel«, sagte der Kaufmann,

»sind natürlich nicht verantwortlich für den Mangel an Einsicht bei solchen primitiven Burschen.«

»Aber an wen verkaufst du die Waren, die ich dir bringe?« fragte Hassan.

»An eben diese primitiven Burschen«, sagte der Kaufmann.

»Ich verstehe. Na ja, es wird bald hell. Ich muß weiter.«

Er richtete sich nicht ohne Mühe auf, hatte er doch mehrere Stunden lang mit untergeschlagenen Beinen dagesessen. Ich stand ebenfalls auf.

»Mögen eure Wasserbeutel niemals leer sein. Auf daß ihr immer Wasser habt«, sagte der Händler.

»Mögen deine Wasserbeutel niemals leer sein«, gaben wir zurück. »Auf daß du immer Wasser hast.«

Es war kurz vor Beginn der Morgendämmerung. Tau befeuchtete die Steine ringsum. Hassan und seine Männer stellten die Füße in die Steigbügel und hoben sich in die Sättel ihrer Kaiila. Ich folgte ihrem Beispiel.

»Hassan«, sagte ich.

»Ja?«

»Der Händler hat uns erzählt, vor sechs Tagen hätten Aretai von den Neun Brunnen die Oase des Sand-Sleen überfallen.«

»Ja.«

»Vor sechs Tagen«, sagte ich, »waren die Soldaten der Neun Brunnen aber in der Nähe ihrer eigenen Oase. Sie suchten dort nach einem Gefangenen, der wegen eines angeblichen Attentatsversuchs auf Suleiman Pascha zu den Salzgruben von Klima verurteilt worden war.«

»Ist der Mann denn geflohen?«

»Offenbar ist ihm die Flucht gelungen«, sagte ich. »Aber ich will auf folgendes hinaus: Wenn die Soldaten von den Neun Brunnen vor sechs Tagen in der Nähe ihrer Oase waren, können sie nicht die Oase des Sand-Sleen angegriffen haben.«

»Nein«, bemerkte Hassan.

»Und es will mir unwahrscheinlich vorkommen«, sagte ich, »daß sich Aretai von den Neun Brunnen gestern hier herumgetrieben haben.«

»Es wäre auf jeden Fall ein weiter Ritt, denn diese Oase ist ziemlich abgelegen. Die Handelsrouten sind fern.«.

»Wo könnten die Männer die Beute aus der Oase des Sand-Sleen veräußern?«

»Vielleicht haben sie das Zeug in der Wüste versteckt«, meinte Hassan.

»Warum der Überfall auf die Zwei Krummsäbel?« fragte ich. »Es ist eine kleine Oase, die nicht einmal den Kavars gehört.«

»Keine Ahnung.«

»Suleiman, Pascha der Neun Brunnen«, sagte ich, »liegt lebensgefährlich verletzt in seinem Palast. Ein ungewöhnlicher Zeitpunkt für seine Aretai, plündernd in der Gegend herumzuziehen.«

»In der Tat«, bemerkte Hassan lächelnd.

»Immerhin haben die Angreifer Aretai-Kleidung getragen, ihre Sattelmarkierungen stimmten, und sie brüllten: »›Für Neun Brunnen und Suleiman!‹«

»Seltsam«, sagte Hassan. »Ich finde diese Worte irgendwie seltsam.«

»Warum?«

»Normalerweise kommt in einem solchen Kriegsgeschrei der Name des Anführers nicht vor. Der Stammesname ist wichtig, nicht der einzelne Mann, das Ganze, nicht ein kleiner Teil. Soweit ich weiß, lautet der Kriegsschrei der Aretai: »›Aretai zum Sieg!‹«

»Interessant«, bemerkte ich. »Haben die Kavars einen ähnlichen Ausruf?«

»Ja«, erwiderte Hassan. »›Kavars über alles!‹«

»Dann scheint ja alles hinzudeuten, daß nicht Aretai die Oase der Zwei Krummsäbel angegriffen haben.«

»Nein«, sagte Hassan. »Das waren keine Aretai.«

»Woher weißt du das so genau?«

»Bei dem Überfall ist ein Brunnen zerstört worden«, sagte Hassan. »Die Aretai sind zwar Sleen, doch als Gegner muß man sie ernst nehmen. Sie sind gute Kämpfer und gute Wüstenbewohner. Sie würden niemals einen Brunnen zerstören. Sie sind Abkömmlinge der Tahari.«

»Wer hat aber die Oase des Sand Sleen und die Oase der Zwei Krummsäbel überfallen?«

»Das weiß ich nicht«, erwiderte Hassan. »Zu gern wüßte ich es. Ich bin neugierig.«

»Ich auch.«

»Wenn es in der Wüste zum totalen Krieg kommt«, sagte Hassan, »wird die Tahari praktisch gesperrt sein. Der Handel wird unterbrochen, Bewaffnete werden sich überall herumtreiben, Fremde werden automatisch in Verdacht geraten. Man wird kein Risiko eingehen wollen und sie vermutlich sicherheitshalber töten.« Seine Worte munterten mich nicht gerade auf.

»Seltsam«, sagte Hassan, »daß diese Zuspitzung gerade jetzt eintritt.«

»Wieso seltsam?«

»Sicher ist es nur ein Zufall.«

»Ich verstehe nicht, was du meinst.«

»Ich hatte eine Expedition in das unerforschte Dünenland geplant«, sagte Hassan.

»Ich bin ebenfalls viel unterwegs«, sagte ich.

»Das hatte ich mir gedacht.«

»Was erwartest du dort zu finden?« fragte ich.

»Was für ein Mensch bist du?«

»Ein einfacher Juwelenhändler.«

»Ich habe dich in Tor gesehen«, sagte er, »mit dem Krummsäbel.«

»Oh.«

»Und zum zweitenmal sah ich dich an einer Wasserstelle auf dem Wege zur Oase der Neun Brunnen. Du hast mich nicht bemerkt.«

»Und in der Oase«, sagte ich, »hast du meine blonde blauäugige Sklavin entführt!«

Er lachte.

»Dein Überfall im Palast des Suleiman war kühn«, sagte ich. »Noch nie habe ich eine so geschickte Gefangennahme eines Mädchens mit der Peitsche gesehen.«

Er neigte den Kopf. »Wenn ich mich nicht irre, geht das Gerücht, du, Hakim aus Tor, hättest den Arm gegen Suleiman erhoben.«

»Ich war es nicht«, sagte ich.

»Warum sollte man das aber annehmen?«

»Man hält mich für einen Spion der Kavars.«

»Oh?«

»Ja.«

»Ist dir bekannt, wer das Attentat in Wirklichkeit verübt hat?«

»Ja«, erwiderte ich. »Ich kenne den Täter: Hamid, Leutnant des Shakar, Hauptmann der Aretai.«

»Ich finde es interessant, daß Hamid der Täter ist«, sagte er. »Ich habe dich kennenlernen wollen.«

»Oh?«

»Ich dachte mir, wenn ich deine hübsche kleine Sklavin stehle, würdest du mir in die Wüste folgen. Natürlich wußte ich nicht, daß Hamid den Überfall auf Suleiman verüben und dich dadurch aufhalten würde.«

»Willst du mit mir sprechen?«

»Natürlich behalte ich das Mädchen«, sagte er und sah mich an.

»Möchtest du ihretwegen mit mir kämpfen?«

»Das brauche ich nicht sofort zu entscheiden, oder?«

»Natürlich nicht. Du bist mein Gast.« Er grinste. »Natürlich kannst du sie jederzeit nehmen, wenn du willst.«

»Hassan ist sehr großzügig.« Ich lachte. »Aber was hättest du getan, wenn ich deine Spur verloren hätte?«

»Das wäre dir bestimmt nicht passiert!«

»Aber trotzdem!«

»Dann hättest du eine Information zugespielt erhalten, wo sich deine meine hübsche Alyena aufhielte. Und dann hätten wir uns getroffen.«

»Was wäre, wenn ich jetzt den Versuch machte, dich zu töten?«

»Das tust du bestimmt nicht, denn du bist mein Gast«, sagte Hassan.

»Warum hast du außerdem eine solche Sklavin in die Wüste gebracht ein blondes, hellhäutiges, blauäugiges Mädchen?«

»Warum wohl?«

»Jedenfalls nicht als einfache Sklavin«, sagte er. »Du könntest in jeder Oase Mädchen kaufen oder mieten. Du hast sie mit einer bestimmten Absicht hergebracht. Du wolltest sie verkaufen oder gegen irgend etwas eintauschen Hilfe, Information, irgend etwas.«

»Du bist klug«, sagte ich.

»Ich hoffe, daß die Sklavin unsere Beziehung nicht belastet.«

»Wie sollte das einer einfachen Sklavin möglich sein?«

»Da hast du recht.«

»Sie scheint in deinen Ketten zufrieden zu sein.«

»Sie ist ja immerhin eine Sklavin.«

»Sie scheint dich zu lieben«, sagte ich.

»Ich habe ihr keine andere Wahl gelassen«, erwiderte Hassan grinsend und fuhr fort: »Es ist fast schon wieder hell. Wir wollen die Oase verlassen.«

Ich ritt neben ihm.

»Was wolltest du mit mir besprechen?« fragte ich ihn schließlich.

»Ich glaube, wir haben ein gemeinsames Interesse.«

»Worin?«

»Im Reisen.«

»Reisende interessieren sich oft für Kuriositäten.«

»Ich gedenke, einen Ausflug in die Wüste zu unternehmen«, sagte er.

»Das ist heutzutage nicht ungefährlich.«

»Kennst du einen Stein«, fragte er, »in der Nähe der Route zwischen Tor und den Neun Brunnen, einen Stein mit einer Inschrift?«

»Ja«, sagte ich.

»Und in der Nähe dieses Steins lag ein Mann, der die Inschrift eingeritzt hatte, ehe er starb.«

»Ja«, sagte ich. »Aber als ich den Stein zu sehen bekam, war der Tote fort.«

»Ich habe die Leiche fortgeschafft«, sagte Hassan, »und in einem mächtigen Buschfeuer verbrannt. Die Asche habe ich anschließend dem Sand überantwortet.«

»Du hast ihn gekannt?«

»Er war mein Bruder«, sagte Hassan.

»Was suchst du in der Wüste?« wollte ich wissen.

»Einen Stahlturm«, erwiderte er.

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