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»Wasser! Wasser!« rief der Mann.

»Wasser«, sagte ich.

Er näherte sich, beugte sich vor, ein dunkelhäutiger alter Mann, der mich angrinste, einen Beutel aus Verrhaut auf dem Rücken, ein Dutzend klappernder Messingbecher an Gürtel und Schultergurt. Seine linke Schulter war benetzt; der Beutel sonderte Flüssigkeit ab: unter dem Trageriemen wies das zerrissene Hemd Schweißflecke auf. Ohne den Beutel von der Schulter zu nehmen, füllte er mir einen Becher. Er trug einen Turban aus Reptuch ein Schutz gegen die Sonne, der zugleich eine freie Luftzirkulation zuläßt und bei Männern der unteren Klassen außerdem als Polster für den Transport von Lasten auf dem Kopf dient. Ich nahm den Becher und gab dem Mann einen Kupfertarsk. Ringsum nahm ich die Gewürzdüfte und Schweißgerüche Tors wahr. Ich trank langsam und mit Genuß. Die Sonne stand hoch am Himmel. Tor, das in der nordwestlichen Ecke der Tahari liegt, ist die wichtigste Versorgungsstätte für die verstreut lebenden Oasengemeinden dieser trockenen Leere, die man geradezu einen Kontinent aus Felsgestein, Hitze, Wind und Sand nennen könnte. Diese Gemeinden, die je nach Wasservorrat bis zu mehrere tausend Köpfe zählen, liegen oft viele hundert Pasang auseinander. Sie leben von Karawanen, die größtenteils aus Tor kommen, manchmal auch aus Kasra und sogar aus dem fernen Turia. Karawanen sind für die Versorgung der Oasen unentbehrlich. Im Gegenzug exportieren die Karawanen die Erzeugnisse der Wüste. In die Oasen werden die verschiedensten Güter gebracht zum Beispiel Reptuch, bestickte Stoffe, Teppiche, Silber, Gold, Juwelen, Spiegel, Kailiauk-Zähne, Parfüms, Felle, Federn, Edelhölzer, Werkzeuge, Nadeln, Fertigwaren aus Leder, Salz, Nüsse und Gewürze, bunte Dschungelvögel, die hier seltsamerweise besonders als Haustiere geschätzt werden, Waffen, Bauhölzer, Bleche, Bazi-Tee, Hurtwolle, Peitschen, Sklavinnen und viele andere Dinge. Der Haupt-Exportartikel der Oasen sind Datteln und gepreßte Dattelbarren. Einige Dattelpalmen werden größer als hundert Fuß. Es dauert zehn Jahre, bis ein Baum Früchte zu tragen beginnt doch wenn es einmal soweit ist, währt die Fruchtbarkeit oft ein Jahrhundert oder länger. Ein Baum bringt im Durchschnitt zwischen einer und fünf goreanischen Lasten an Früchten. Eine Last entspricht etwa zwanzig irdischen Kilogramm. Abgesehen davon gibt es in den Oasen einen intensiven Gartenbau. Diese Früchte werden allerdings kaum exportiert. Auch finden sich Kaiila und Verr in den Oasen, wenn auch nicht in großer Zahl. Diese Tiere sind in Herden in der Wüste anzutreffen, bewacht von Nomaden, die die Tiere von einem Verrgrasfeld zum nächsten, von einem Wasserloch zum nächsten treiben, nach dem Rhythmus, wie die Löcher im Sommer austrocknen. Die kleineren Quellen werden im Frühling benutzt, weil sie als erste das Wasser verlieren. Die Nomaden liefern den Oasen Fleisch, Felle und Stoffe aus Tierhaaren. Dafür tauschen die Nomaden Sa-Tarna-Korn, Bazi-Tee und andere Handelswaren ein. Sa-Tarna ist das Hauptnahrungsmittel dieser Menschen, die wenig Fleisch essen, weil es fast ausschließlich zum Verkauf bestimmt ist. Der Tee ist für die Nomaden von großer Bedeutung. Sie trinken ihn heiß und gezuckert aus kleinen Bechern oder Gläsern.

Ich leerte den Becher und reichte ihn dem Wasserverkäufer. Er verbeugte sich grinsend und wich zurück.

Blinzelnd sah ich mich im grellen Licht der Sonne um. Die Gebäude Tors bestehen aus Lehm und ungebrannten Ziegeln, bedeckt mit einem leicht abblätternden bunten Verputz. Doch in der Sonne und im wallenden Staub kam mir alles recht farblos vor. Ich mußte mir schleunigst passende Kleidung zulegen. In einer solchen Stadt fiel ich zu sehr auf. Ich machte mich auf den Weg zum Basar.

Ich kannte mich im Umgang mit der leichten Lanze und der schnellen, seidigen Kaiila aus das hatte ich bei den Wagenvölkern gelernt. Der Krummsäbel dagegen war mir fremd. Das kurze Schwert, das in üblicher Weise über meiner linken Schulter hing, konnte mir auf dem Kaiila-Rücken wenig nützen. Die Männer der Tahari kämpfen nicht zu Fuß. Ein Mann, der in der Wüste auf seine Beine angewiesen ist, gilt als toter Mann.

Ich blickte an den Gebäuden empor. Ich befand mich nun im Schatten und ging eine steile Straße entlang in Richtung Basar. Die Häuser Tors sind selten mehr als drei Stockwerke hoch mehr läßt sich mit Balken und Lehmziegeln nicht schaffen. Infolge des unregelmäßigen Bodens sahen viele Gebäude aber erheblich höher aus, waren sie doch auf Vorsprüngen und Absätzen und an Hängen gebaut. Diese Häuser, die äußerlich glatt und schmucklos wirken und nur da und dort ein schmales Fenster aufweisen, stoßen unmittelbar an die Straßen, die auf diese Weise wie tiefe, schmale Schächte anmuten. In der Mitte der Straße verläuft eine Gosse. Zwar regnet es selten in Tor, doch die Gosse dient auch zum Sammeln des Abfalls. Jenseits der Mauern, die die Straßen so eng erscheinen ließen, befanden sich herrliche gepflegte Gärten. Nach goreanischen Verhältnissen war Tor eine reiche Kaufmannsstadt, das Hauptquartier vieler tausend Karawanenhändler. Hier lebten außerdem zahlreiche Handwerker Zimmerleute, Tischmacher, Steinschleifer, Juweliere, Schnitzer, Teppichweber, Färber, Beizer, Schuhmacher, Gerber, Töpfer, Wagner, Waffenschmiede und viele mehr. Ein Großteil der Stadt war natürlich darauf eingerichtet, das Karawanengeschäft zu beliefern. Es gab zahlreiche durch hohe Mauern geschützte und bewachte Lagerhäuser, die ein großes Personal an Schreibern und Wächtern beschäftigten. In unzähligen primitiven Unterkünften lebten Kaiilapfleger, Treiber und ähnliche Leute. Die Karawanenführer waren im allgemeinen fest angestellt und wurden von den Karawanenkaufleuten auch zwischen den Touren bezahlt. Treiber und Pfleger dagegen wechselten oft. Dabei wurden raffinierte Systeme angewendet mit Stöckchen, Formeln oder Losen , die dafür sorgen sollten, daß Treiber und Kaiilaburschen, soweit nicht persönlich bekannt, rein zufällig zur Anstellung kamen. Dies war eine Vorsichtsmaßnahme, damit ein ahnungsloser Kaufmann nicht eine Gruppe von Männern anwarb, die sich vorher schon verabredet hatte, Wächter und Kaufleute zu töten und sich mit der Karawane in die Büsche zu schlagen. Im großen und ganzen waren Treiber und Tierpfleger jedoch ehrliche Menschen. Wenn sie nach langem Treck durch die Wüste in die Stadt zurückkehrten, waren sie allerdings ziemlich ausgehungert nach den Vergnügungen, die eine große Stadt zu bieten hat, und es gab zahlreiche Etablissements, die sich schon bei Ankunft der Karawanen um diese Kunden bemühten. Der Lohn für eine Karawanenreise, die oft Monate dauert, hält auf diese Weise nur zehn oder fünfzehn Tage vor, die allerdings sehr angenehm verbracht werden. Nach dieser Zeit, die normalerweise mit körperlichem Unbehagen zu Ende geht, kehrt der Treiber oder Wächter an die Tische der Kaufleute zurück und versucht erneut eine Anstellung zu finden.

Ein Mann ging an mir vorbei. Er trug mehrere lebende Vulos über der Schulter. Dicht hinter ihm ging ein zweiter mit einem Korb voller Eier. Ich folgte den beiden, denn ihr Ziel waren die Marktstraßen, in deren Nähe sich der Basar befinden mußte.

In einer Oase ist das Wasser natürlich am geographisch tiefsten Punkt zu finden. Die vornehmen Wohnhäuser stehen dagegen auf höherem Grund, wo normalerweise wenig wächst. Die Landwirtschaft findet im Tale statt, wobei die Bewässerung oft durch Hand erfolgt, meist mit Hilfe primitiver Schöpfanlagen. Dieses Land wird nicht für Wohnzwecke entfremdet. Innerhalb der Mauern Tors wurde nur wenig angebaut; die Stadt war hoch über dem Wasser angelegt, das durch mehrere Brunnen an der tiefsten Stelle der Stadt zugänglich gemacht worden war. Tors konzentrischer Aufbau orientierte sich nach diesen Brunnen. Ein Vorteil solcher Stadtplanung wenn auch kaum beabsichtigt liegt in der Tatsache, daß das Wasser so der am meisten geschützte Teil der Stadt ist, das Zentrum. Tor verfügte über ausreichend Wasser. Obwohl ich kaum ein Gebäude näher kennenlernte, wußte ich, daß es viele herrliche Gärten gab. Das Wasser für diese Anlagen wurde im Rahmen von Dienstverträgen mit Sklavenherren von männlichen Sklaven herangeschleppt und in Hauszisternen geschüttet, von wo es später durch Haussklaven entnommen und zur Gartenbewässerung verwendet wurde.

Ich befand mich nun im tieferliegenden Teil der Stadt.

»Wasser!« rief jemand. »Wasser!«

Als ich mich umdrehte, sah ich hinter mir den Wasserträger, von dem ich kurz vorher einen Becher erstanden hatte.

Eine verschleierte Frau ging an mir vorbei. In ihrem Mantel hielt sie einen Säugling.

Ich war vor vier Tagen in Tor eingetroffen, nachdem ich zunächst mit dem Tarn nach Kasra geflogen war. Dort hatte ich den Vogel verkauft, da ich in Tor nicht auffallen wollte. Von Kasra aus war ich mit einer Barke auf dem Unteren Fayeen flußaufwärts bis zu dem Dorf Kurtzal gefahren, das nördlich von Tor liegt. Güter, die von Tor nach Kasra transportiert werden sollen, werden zumeist erst über Land nach Kurtzal geschafft und dann von dort mit dem Boot auf dem Fluß weiterbefördert. Kurtzal ist kaum mehr als ein Umschlagplatz. Bei meiner Ankunft in Kasra war ich als Krieger aufgetreten, als Tarnsöldner. Zu meiner Verkleidung hatte ein nacktes Sklavenmädchen gehört, das quer auf meinem Tarnsattel lag ein barbarisches blondes Mädchen, das nicht einmal Goreanisch sprach. Samos und ich hatten uns ausgerechnet, daß niemand einen Agenten der Priesterkönige in mir vermuten würde, wenn ich mich in Begleitung eines primitiven, ungebildeten Mädchens sehen ließ - eine Gefangene, mühelos von einem Tarnkämpfer gebändigt. In Kasra ließ ich ihr einen Sklavenkragen anlegen, der sie als Eigentum Hakims aus Tor auswies ein hübscher Anblick am Hals der früheren Miß Priscilla Blake-Allen von der Erde.

Als ich jedoch später über die schmale Planke der Barke ging, die mich in Kurtzal absetzte, war ich kein Tarnkämpfer mehr. Den Tarn hatte ich in Kasra für vier goldene Tarnscheiben veräußert. Jetzt trug ich die Lumpen eines Kaiilatreibers. Vornübergebeugt, in der Hand einen dicken Beutel aus Kaiilahaartuch, betrat ich den Pier in Kurtzal, hinter mir das Mädchen in einer schwarzen Haik, unter der ihr Sklavenkragen nicht zu sehen war dem äußeren Anschein nach eine freie Frau, die meine Armut teilte.

Wir fuhren mit einem leeren Salzwagen von Kurtzal nach Tor. Es gab einen besonderen Grund, warum ich Miß Blake-Allen, wie wir sie der Einfachheit halber nennen wollen, mit in die Tahari gebracht hatte. Kühle, weißhäutige Frauen sind für Männer der Tahari besonders interessant, und erst recht, wenn sie noch blaue Augen haben. Mit ihrem Teint mochte Miß Blake-Allen eines Tages noch von großem Nutzen für mich sein.

In Kasra hatte ich Näheres über den Jungen erfahren, der den Stein mit der Inschrift ›Vorsicht vor dem Stahlturm‹ gefunden hatte. Er hieß Achmed, sein Vater hieß Farouk und war ein Kaufmann aus Kasra. Ich hatte die beiden in Kasra nicht wie vorgesehen sprechen können, da sie sich gerade in der Nähe von Tor aufhielten und Kaiila kauften für eine Karawane zur Kasbah des Suleiman aus dem Aretai-Stamm, Herr über tausend Lanzen, Ubar der Oase der Neun Brunnen.

Vor mir erhob sich lautes Geschrei. Ich trat durch das Markttor und befand mich im Gewirr der Marktstraßen.

Energisch stieß ich einige Aprikosenverkäufer und Gewürzhändler zur Seite. »Komm mit in das Cafe der Roten Käfige«, sagte ein Junge und zupfte mich am Ärmel. Ich ignorierte ihn.

Vorsichtig drängte ich mich durch die Menge.

Die Verkäufer verlassen ihre Dörfer in der Nähe Tors noch bei Dunkelheit, damit sie frühzeitig auf dem Markt eintreffen und eine günstige Stelle für ihre Waren finden, vorzugsweise in der Nähe des Markttors. Zwei Männer in Djellabas stießen mich zur Seite. Mein Fußgelenk schmerzte. Fast wäre ich in einen Korb mit Pflaumen getreten. Ohne aufzublicken, hatte mir eine Frau mit ihrem Stock einen Schlag versetzt, um ihre Früchte zu schützen. »Kauft Melonen!« rief ein Bursche neben ihr. Ein Junge kam mir entgegen und spuckte mir die Kerne einer Tospit vor die Füße. Es überraschte mich, daß der Junge die Frucht roh gegessen hatte, da das Fruchtfleisch ziemlich bitter schmeckt, doch mir war inzwischen klar geworden, daß die Menschen der heißen Tahari für starke Aromen und Düfte empfänglich waren. So manches Pfeffergericht, das die TahariKinder lieben, gab dem durchschnittlichen Bürger von Thentis oder Ar das Gefühl, der Mund werde ihm mit einem glühenden Eisen ausgebrannt.

Nach Art des Kriegers blickte ich mich von Zeit zu Zeit um. Ich kam an Kisten mit Suls vorbei, daneben verkaufte eine Frau Datteln, dahinter saß wiederum ein Seifenhändler.

Bei meiner Ankunft in Tor hatte ich sofort einen kleinen engen Raum in einem großen Lehmgebäude nahe der Straße der Karawanentische gemietet. Man erreichte das Zimmer über eine schmale Holztreppe zwischen engen Wänden und über einen schmalen Korridor, der von einer Tharlarionöllampe erleuchtet wurde.

Kaum hatte ich die Holztür hinter uns geschlossen und den schweren Riegel vorgelegt, als ich mich auch schon Miß Blake-Allen zuwandte. Sie stand in ihrer Haik vor mir und sah mich fragend an. Ich machte einen Schritt vorwärts und schleuderte sie zu Boden, riß ihr die Haik vom Leibe. Entsetzt starrte sie mich an.

»Ein Mädchen kniet vor seinem Herrn«, sagte ich.

»Das wußte ich nicht, Herr«, sagte sie.

Ich warf sie auf den Rücken ins Stroh und nahm sie. Als ich fertig war, sagte ich: »Ich werde jetzt ein Stündchen schlafen. Du machst inzwischen das Zimmer sauber.«

»Jawohl, Herr«, sagte sie.

Während ich schlief, machte sie sich mit Bürste, Tuch und einem Eimer Wasser ans Werk. Zitternd sah sie zu, wie ich schließlich ihre Arbeit inspizierte. »Zufriedenstellend«, sagte ich, und sie atmete auf. Als ich schließlich ging, ließ ich sie mit zusammengeketteten Füßen zurück, so daß sie nicht aufstehen konnte. Ich suchte die Cafes auf, um Informationen aufzuschnappen. Ich mußte wissen, wie die Menschen hier fühlten und dachten. Ähnlich wie die Pagatavernen des Nordens sind die Cafes das beste Mittel, sich mit den Gegebenheiten einer unbekannten Stadt vertraut zu machen und die letzten Neuigkeiten zu erfahren.

Auf meinem Rundgang wurde mir klar, daß sich eine Auseinandersetzung zwischen den Stämmen der Kavars und der Aretai anbahnte. In letzter Zeit war es wiederholt zu Überfällen gekommen. Wenn es zwischen den beiden Krieg gab, dann wurden auch die verbündeten Stämme mit hineingezogen die Char, die Kashani, die Ta’Kara, die Raviri, die Tashid, die Luraz und die Bakahs: dann konnte sich kein Teil der Tahari den Kriegswirren entziehen.

Ich bin zwar ein Angehöriger der Kriegerkaste, doch gefiel mir die Aussicht auf einen umfassenden Konflikt in diesem Wüstengebiet nicht besonders so etwas konnte meine Arbeit nur erschweren.

Ich war spät in mein Zimmer zurückgekehrt. Ich hatte gut gegessen Verrfleisch am Spieß mit Pfeffer und Larmascheiben, Vulogulasch mit Rosinen, Nüssen, Zwiebeln und Honig und eine Kort mit zerschmolzenem Käse. Nach der Mahlzeit gab es heißen gesüßten Bazi-Tee und turischen Wein. Meine Sklavin vergaß ich natürlich nicht. Ich warf ihr einige Brotkrusten hin, die sich das Mädchen gierig in den Mund stopfte.

Ich verließ die Marktstraßen und betrat eine Gasse mit zahlreichen Läden und Verkaufsständen.

»Die Aretai werden sich das nicht gefallen lassen«, hörte ich einen Mann zu einem anderen sagen.

Ich blieb vor einem Verkaufsstand stehen, an dem leichte Gehketten für Sklaven verkauft wurden. Ich erstand ein Paar für Miß Blake-Allen. Wenig später kam ich an der Tür eines Sklavenhändlers vorbei und erblickte in einem der schmalen Fenster ein Mädchen. Sie hatte das Gesicht gegen die Gitterstäbe gepreßt. Ich warf ihr nach goreanischer Art einen Handkuß zu.

Ich starrte in einen Laden, in dem ein Töpfer arbeitete. An seiner Seite saß ein kleiner Junge inmitten zahlreicher unfertiger Gefäße und strich vorsichtig mit den Fingern blaue Pigmentfarbe auf den Ton. Sobald der Krug in den Brennofen geschoben wurde, verhärtete sich die Farbe zu einer schimmernden Glasur. Die Öfen befanden sich im hinteren Teil der Werkstatt.

»Die Kavars sind schon dabei, Kämpfer zusammenzurufen«, sagte jemand.

Die Teppiche Gors sind von bester Qualität. Ich nahm mir die Zeit, mehrere Exemplare anzuschauen, die zum Verkauf aushingen. An manchen Teppichen müssen fünf Mädchen über ein Jahr lang arbeiten. Die Muster werden in den Familien weitervererbt. Da und dort waren an langen Gestellen dicke, frisch gefärbte Wollknäuel zum Trocknen aufgehängt. Die Wollkämmer und Färber sind übrigens Unterkasten, die sich von den Webern gelöst haben. Die Weber wiederum sind eine Unterkaste der Teppichmacher, die ihrerseits als Untergruppe der Tuchmacher gelten.

Ich kam an einem jungen Mann vorbei, der damit beschäftigt war, ein Intarsienmosaik zu vervollständigen; es folgten der Laden eines Silberschmieds und Verkaufsstände voller Körbe, die zum Teil eine erstaunliche Größe hatten. Ein Stück weiter hingen gegerbte Lederhäute, frisch gefärbt und in den verschiedensten Farben. Daneben wurden Djellabas und Burnusse angeboten. Im Gegensatz zu einem Burnus kann eine Djellabah wegen der Ärmel nicht zurückgeworfen werden. Ein Kaiilareiter, der mit Krummsäbel und Lanze hantieren muß, wählt grundsätzlich den Burnus, weil er darin eine größere Bewegungsfreiheit hat.

Ich kam an einem weiteren Stand vorbei, in dem Matten verkauft wurden. Es gibt verschiedene Verwendungsmöglichkeiten für diese Matten, manchmal senkrecht stehend als Trennwände, doch meistens waagerecht als Unterlage zum Sitzen oder Schlafen. Die Matten lassen sich fest zusammenrollen und nehmen in dieser Form nur wenig Platz ein. Ich entdeckte in den Auslagen einige grober gestaltete Sklavenmatten und auch eine Unterwerfungsmatte, auf der die Sklavin ihren Herrn erwartet, wenn er sie zu beschlafen geruht. Ich sah Halstücher und Bauchbinden, Schleier und Haiks, Chalwars und Roben, Sandalen und Kaftans und Schnüre für Agals. Es folgten die Tuchhändler mit ihren Seidenstoffen und Reptuchrollen. In einem anderen Laden wurde ein Sklavenmädchen verkauft. Ich schaute eine Zeitlang zu, wie sie vor den potentiellen Käufern tanzte, und wandte mich schließlich ab.

Ich roch Veminiumöl. Die Blütenblätter der Veminium, der ›purpurnen Veminium‹ und der blauen Thentisveminium, werden in Wasser gekocht. Der emporsteigende Dampf wird zu einem öl kondensiert, welches dazu dient, Wasser zu parfümieren. Dieses Wasser wird nicht getrunken, sondern in den Haushalten der Mittel und Oberschicht dazu verwendet, vor und nach dem Abendessen die Eßhand zu reinigen. Da und dort machte ich kleine Einkäufe.

Zweimal kamen mir Doppelpatrouillen von Wächtern in weißen Roben mit roten Schärpen und Krummsäbeln entgegen - die torische Polizei. Kaum fünf Schritte hinter ihnen sah ich, wie ein zerlumpter Dieb einem Kaufmann die Börse aufschlitzte, den Inhalt in die ausgestreckte Hand fallen ließ und blitzschnell in der Menge verschwand. Der Kaufmann hatte nichts gemerkt. Ich selbst bewahrte mein Vermögen in Gürteltaschen auf und führte nur das Nötigste in einer kleinen Geldbörse bei mir. Vorsichtig griff ich nach dem Beutel. Es war alles in Ordnung. Andere Diebe waren nicht so erfolgreich gewesen. Mehrere abgehackte rechte Hände hingen verschrumpelt an einem Anzeigebrett, das normalerweise für die Bekanntgabe von Salzpreisen benutzt wurde. Es waren nur Männerhände. Erwischt man in Tor eine Diebin, wird sie sofort zur Sklavin gemacht.

Ich sah mich um. Schon zum zweitenmal fielen mir einige Männer auf. Es waren nur vier.

Ich trat zur Seite, als eine Gruppe männlicher Sklaven vorbeigeführt wurde. Ihr Ziel waren die Salzgruben der Tahari, die den größten Teil des Karawanensalzes lieferten.

Miß Blake-Allen wohnte nicht mehr bei mir in dem kleinen Zimmer. Sie befand sich nun in den öffentlichen Gehegen Tors, deren Sklavenmeister sich gegen Zahlung einer Gebühr bereit erklärt hatte, das Mädchen in die Geheimnisse des Sklavendaseins einzuweihen.

»Alyena«, sagte ich zu ihr diesen Namen hatte ich ihr in Anlehnung an ihren irdischen Namen Blake-Allen gegeben. »Alyena, ich verkaufe dich nicht. Du befindest dich hier in den öffentlichen Sklavengehegen Tors. Du wirst hier Unterkunft erhalten und trainiert werden. Man wird dir die goreanische Sprache beibringen, die du wie ein Kind lernst, ohne Übersetzung. Und du wirst sie schnell lernen. Auch wird man dich unterweisen, wie du dich als Sklavin zu bewegen hast.«

»Ja«, flüsterte sie, »Herr.«

»Wenn du dich widerspenstig anstellst«, fuhr ich fort, »oder begriffsstutzig, wird man dich strafen verstehst du das?«

»Ja, Herr«, sagte das Mädchen mit weit aufgerissenen Augen. Nachdem Alyena fortgebracht worden war, wandte ich mich an den Sklavenmeister der öffentlichen Gehege. Ich versuchte meiner Stimme einen beiläufigen Klang zu geben, obwohl jetzt erst das Anliegen kam, das mich hierhergeführt hatte. »Vor längerer Zeit war bei dir ein Mädchen zu Gast, für das ich mich interessiere. Sie hieß Veema. Ich möchte gern wissen, was aus ihr geworden ist.«

»Kennst du ihre Nummer hier bei uns?« fragte der Beamte.

»87432«, erwiderte ich.

»Solche Informationen stehen normalerweise nur dem Magistrat zu«, sagte der Mann.

Ich legte einen Silbertarsk auf den Tisch. Ohne nach der Münze zu greifen, ging er zu einigen dicken Büchern.

»Sie wurde für zwei Tarsks einem Karawanenherrn namens Zad abgekauft. Der Mann stammt aus der Oase von Farad.«

»Mich interessiert mehr, wer sie gekauft hat.«

»Sie wurde für vier Tarsks verkauft«, sagte der Offizier.

»An wen?«

»Behalte deinen Tarsk«, sagte der Mann. »Wir haben hier keinen Namen notiert. Offensichtlich war es eine anonyme Transaktion. Schau selbst.«

Ich warf einen Blick in das Buch. Die Eintragungen waren klar.

»Du hast dir den Tarsk verdient«, sagte ich zu dem Mann und verließ sein Büro. Ich hatte nicht in Erfahrung bringen können, wer Veema gekauft und sie womöglich später mit der Warnung zu Samos nach Port Kar geschickt hatte: »Vorsicht vor Abdul!«

Auf meinem Rundgang durch den Basar blieb ich erneut stehen und tat, als sähe ich mir einige Spiegel an. Die vier Männer, die mir zuvor schon aufgefallen waren, folgten mir noch immer zwei große und zwei kleine Männer in weißen Burnussen.

Ich hatte mir den Tahari-Namen Hakim zugelegt, der einem Kaufmann angemessen war.

Den Ort des Geschehens wollte ich mir selbst aussuchen. Ich kam an einem Laden vorbei, in dem die hohen leichten Kaiilasättel gemacht wurden. Außerdem standen hier Satteldecken, Peitschen, Glocken und Kaiilazügel zum Verkauf. Der Kaiilazügel ist ein einzelner Strang, der aus verschiedenen Lederstreifen zusammengeflochten ist. Interessanterweise ist der einzelne Strang kaum dicker als ein Nähfaden. Die Streifen werden freihändig mit dem Messer geschnitten, eine Arbeit, die große Geschicklichkeit erfordert. Der Zügel wird in einem Loch befestigt, das in die rechte Nüster der Kaiila gebohrt worden ist. Von dort führt der Zügel vor dem Hals des Tiers herum nach links. Will man das Tier nach links lenken, zieht man den Zügel nach links; soll es nach rechts gehen, bewegt man den geflochtenen Strang, der am Hals des Tiers entlangführt, und übt gleichzeitig einen nach rechts gerichteten Druck aus. Zum Anhalten muß man den Zügel anziehen.

Schließlich kam ich an einem der torischen Brunnen vorbei. Breite konzentrische Stufen führten zum Wasser hinab. Zu dieser Jahreszeit lagen acht Stufen frei. Zahlreiche Menschen holten hier ihr Wasser. Ich sah Kinder, die auf allen vieren dahockten und Wasser schlürften, Frauen, die ihre Krüge eintauchten, Männer mit Beuteln, die sich blubbernd füllten. Wie fast überall in der Tahari, war das torische Wasser leicht salzig und trüb.

Unauffällig blickte ich mich um und musterte die vier Männer. Ich taxierte sie im Geiste, versuchte mir darüber klar zu werden, wer wohl der schnellste sein würde und der gefährlichste; ich versuchte eine Art Reihenfolge festzulegen.

Bei dieser Gelegenheit entdeckte ich wieder einmal den Wasserträger mit seinen Messingbechern. Mir kam es plötzlich seltsam vor, daß er sich in diesem Teil des Basars herumtrieb, in der unmittelbaren Nähe der Brunnen, wo er doch wohl kaum Geschäfte machen konnte. Er ging die Stufen hinab und tauchte seinen Beutel ins Wasser, wobei er mich angrinste. Offenbar erinnerte er sich an mich. Ich erwiderte sein Lächeln und wandte mich zum Gehen. Er war ein einfacher armer Mann, diensteifrig, schmächtig. Ich kam mir wie ein Dummkopf vor. Natürlich mußte er hierher kommen. Sollte er denn seinen Beutel mit dem weißen Staub der höhergelegenen Terrassen Tors füllen?

Ich wählte eine Seitenstraße, von der eine Sackgasse abging. Hier waren nur wenige Menschen unterwegs.

Ich hörte die Männer mit schnellen Schritten näher kommen. Ich ließ die Gehkette, die ich erworben hatte, in meiner Hand schwingen, ohne mich umzudrehen. Dabei achtete ich auf das Spiel der Schatten. Bestimmt nahmen die Männer an, daß ich in der Gasse festsaß. Dabei hatte ich diesen Weg absichtlich gewählt, um sie endlich aus der Reserve zu locken. Außerdem war die Gasse hinter den Männern offen, was ihnen eine Fluchtmöglichkeit eröffnete. Ich wollte sie nicht umbringen.

Wahrscheinlich handelte es sich um einfache Straßenräuber. Ich sah die huschenden Schatten, hörte das Rascheln der Burnusse. Lachend, beflügelt von der Energie des Kriegers, fuhr ich herum und ließ die Laufkette durch die Luft wirbeln. Die Metallglieder trafen den Anführer ins Gesicht. Er schrie auf, als sich die Kette um seinen Kopf wickelte. Ich benutzte seinen Körper, um die beiden Männer links von mir abzublocken. Dann ging ich in die Knie und schnellte mich kraftvoll auf den Mann zur Linken des Anführers zu. Ein Fuß traf ihn in die Brust. Ich glitt hinter den Anführer, packte den kleinen Mann rechts von ihm mit dem Arm und schleuderte ihn mit dem Kopf voran gegen die Mauer. Den letzten hob ich von den Füßen und ließ ihn den gleichen Weg gehen. Er stürzte neben seinem Kumpan nieder. Der Anführer wischte sich das Blut von der Stirn und trat zurück.

»Du bist ein Angehöriger der Kriegerkaste«, flüsterte er ehrfürchtig. Dann machte er kehrt und floh.

Ich verfolgte die Männer nicht, sondern kehrte auf den Basar zurück und erkundigte mich, wo ich Waffen und Kaiila kaufen konnte. Ein zerlumpter Jüngling, dem ich einen Kupfertarsk schenkte, gab mir Auskunft. Die Straße der Waffenschmiede schloß sich an den Basar an, während sich die Kaiilagehege vor dem Südtor der Stadt befanden.

Auf dem Weg zur Straße der Waffenschmiede kam ich erneut an dem Wasserverkäufer vorbei. Der Beutel auf seiner Schulter war nun wieder feucht und prall gefüllt.

»Tal, Herr«, sagte er zu mir.

»Tal«, erwiderte ich und betrat die Straße der Waffenschmiede. Ich war begierig, das TahariKrummschwert kennenzulernen.

»Zwischen den Kavars und den Aretai wird es zum Krieg kommen«, hörte ich einen Mann sagen.

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