21

Ich hörte die Kriegstrommeln dröhnen.

»Für wen reitest du?« fragte der Mann.

»Für die Kavars«, erwiderte ich. Ich trieb meine Kaiila an, die vier Packtiere und einen dahinstolpernden Gefangenen hinter sich herzog; seine Füße waren blutig, seine Beine staubbedeckt. Vier Tage lang war ich seiner Spur gefolgt, ehe ich ihn entkräftet im Sand fand. Ich hatte ihn gefesselt und mit Wasser und Salz ins Leben zurückgeholt. Danach hatte er sich nur zu gern bereiterklärt, mich zu dem Ort zu führen, wo die große Schlacht zwischen den Kavars und den Aretai stattfinden sollte. Dieses Ziel hatten wir jetzt erreicht. Es war ein großartiger Anblick. Auf der Ebene unter uns bewegten sich ungefähr zehntausend Reiter. Ihre Reihen erstreckten sich viele Pasang weit. Ich sah zahlreiche Wimpel und Standarten. Etwa vierhundert Meter lagen zwischen den beiden Armeen. Lanzen funkelten im grellen Sonnenlicht. Hinter jeder Formation erhoben sich Hunderte von Zelten in verschiedenen Farben.

Mein Kriegerblut geriet in Wallung.

»Bist du ein Kavar, der spät zu seiner Truppe stößt?« fragte der Mann weiter.

»Nein.«

»Welchem Vasallenstamm gehörst du an?« wollte er wissen.

»Keinem Vasallenstamm«, erwiderte ich. »Doch ich möchte mit den Kavars reiten.«

»Willkommen«, sagte der Mann erfreut und hob seine Lanze. Die Männer hinter ihm taten es ihm nach. »Sieht aus, als stünde uns ein großartiger Kampf bevor.«

Ich stellte mich in den Steigbügeln auf. Die Kavars nahmen die Mitte ein. An der linken Flanke befanden sich die Ta’Kara und die Bakahs. Rechts die Char und die Kashani.

»Unter welchem Namen bist du bekannt?« fragte der Mann.

»Hakim aus Tor.«

»Wolltest du mit deinen Packkaiila in den Kampf reiten?«

»Ich glaube nicht. Ich vertraue sie euch an.«

Der Mann gab einem seiner Begleiter ein Zeichen, der sich daran machte, meine Tiere im großen Bogen hinter die Linien zu führen. Meinen Sklaven gab ich ihm mit.

Rechts von mir erstreckten sich die Formationen der Aretai, die natürlich die Mitte einnahmen; ihre rechte Flanke wurde von den Luraz und den Tashid gehalten. Links hatten sich die Raviri und vier kleinere Stämme aufgebaut, die Ti, die Zevar, die Arani und die Tajuks. Die Tajuks sind eigentlich kein Vasallenstamm der Aretai, reiten aber dennoch für diesen Stamm. Vor über zweihundert Jahren war ein herumirrender Tajuk von Aretaireitern aus der Wüste gerettet worden, die ihn gut behandelt und ihm Wasser und eine Kaiila gegeben hatten. Der Mann war anschließend zu seinem Stamm zurückgekehrt. Seither waren die Tajuks in Kriegzeiten stets zu den Fahnen der Aretai geeilt, obwohl sie dazu in keiner Weise verpflichtet waren.

Ich sah, daß es auf der linken Flanke der Aretai Probleme gab. Die Reiter der Tajuks versuchten ihre übliche Stellung zwischen den Zevar und den Aretai einzunehmen; sie waren es gewöhnt, hier die erste Linie zu halten. Doch heute schienen die Zevar und Arani auf das Terrain der Tajuks geraten zu sein; vielleicht waren die Tajuks auch nur zu spät gekommen. Jedenfalls herrschte zwischen den Tajuks und den anderen Stämmen eine gewisse Unruhe.

Natürlich ging es nicht an, daß auf der Seite der Aretai Auseinandersetzungen ausgefochten wurden. Doch schon sah ich Reiter, die aus der Mittelposition der Aretai zur linken Flanke galoppierten; sie schienen einen Kampf unter Verbündeten nicht für unmöglich zu halten. Die heißblütigen Tajuks waren zum Kämpfen hier; auf Befehl ihres Anführers würden sie sich auch gegen die Zevar oder die Arani wenden. Die Zajuks waren empfindlich, stolz und arrogant. Wenn sie gekränkt waren und es nicht für ehrenvoll hielten, die Verbündeten der Aretai anzugreifen, mochten sie einfach abziehen und in ihr eigenes Gebiet zurückkehren, das immerhin tausend Pasang entfernt war. Es war auch nicht ausgeschlossen, daß sie zur Unterstreichung ihres Unwillens zu den Kavars überwechselten, was natürlich voraussetzte, daß sie auf der linken Flanke der Kavars eine entsprechend wichtige Rolle spielen durften. Ich respektierte die Tajuks, doch ich kann nicht behaupten, daß ich ihr Verhalten begriff. Einer der Reiter der Aretai, der auf die linke Flanke ritt, war im Sattel angebunden. Er krümmte sich vor Schmerzen. Ich erkannte ihn sofort und freute mich über diese Entdeckung. Suleiman, Pascha der Neun Brunnen, Herr über tausend Lanzen, war am Leben! Er hatte sich von seiner Couch erhoben, auf die ihn Hamid mit seinem heimtückischen Anschlag geworfen hatte, und wollte nun in den Kampf ziehen, obwohl seine Stichwunde noch nicht ganz verheilt war. Neben ihm ritt Shakar, der Hauptmann der Aretai.

Vor den Linien der Kavar sah ich eine andere Gestalt in weißem Burnus mit Gesichtsschleier. Neben ihm hielt ein Reiter den Kommandowimpel der Kavars empor. Dieser Mann mußte Baram sein, Scheich von Bezhad, Wesir Harouns, des hohen Paschas der Kavars.

Um den Hals trug ich den Ring des Kur. Nachdenklich betastete ich das Schmuckstück.

Auf der linken Flanke der Aretai herrschte nun ein ziemliches Durcheinander. Suleiman versuchte Ordnung zu stiften.

Die Reihen der Kavars und ihrer Vasallenstämme gerieten in Bewegung. Die Trommeln veränderten ihren Rhythmus; Wimpel stiegen empor. Wenn sie gesenkt wurden, begann vermutlich der Angriff. Baram schien den günstigen Augenblick ausnützen zu wollen.

Dank der Tajuks befand sich Suleiman nicht in der Mitte, und seine linke Flanke war inzwischen im offenen Aufruhr. Reiter wirbelten durcheinander, Staub stieg auf, Waffen blitzten.

Baram, der Wesir Harouns, des Hohen Paschas der Kavars, hob den Arm. Im gleichen Augenblick drehte sich Suleiman entsetzt um. Doch Baram senkte die Hand nicht. Statt dessen drehte er sich plötzlich im Sattel um und schwenkte beide Arme. «Halt!« rief er.

Gemächlich ritt ein einsamer Reiter zwischen den aufmarschierten Reihen hindurch. Er trug einen weißen Kavarburnus. In der rechten Hand funkelte eine lange Lanze mit einem rotweißen Wimpel das Zeichen Harouns, des hohen Paschas der Kavars. Hinter ihm, mit Leinen an seinem Tier angebunden, stolperten vier nackte Gefangene. Baram ritt der Gestalt entgegen. Auf beiden Seiten tänzelten die Reihen der Kämpfer; Suleiman kehrte zu den Aretai zurück.

Von allen Seiten ritten nun Männer auf die einsame Gestalt zu. Zu der Konferenz in der Mitte des Schlachtfeldes kamen die Paschas der Ta’Kara und Bakahs, der Char und Kashani; Suleiman, der hohe Pascha der Aretai, begab sich ebenfalls zu der Zusammenkunft, begleitet von Shakar, dem Hauptmann seines Stammes, und einigen Wächtern. Die Anführer der Luraz, Tashid und Raviri folgten diesem Beispiel, und da wollten die Ti und Zevar und Arani nicht zurückstehen; ihnen folgte der junge Khan der Tajuks, der als einziger keinen Wächter mitbrachte. Ich konnte nur für mich selbst sprechen und war natürlich neugierig. Ich trieb meine Kaiila den Hang hinab. Ich wollte an der Konferenz teilnehmen.

Nach kurzer Zeit hatte ich mich höflich, aber bestimmt durch die äußere Kette der Wächter geschoben.

»Mächtiger Haroun«, sagte Baram, Scheich von Bezhad, »das Kommando gehört dir! Die Kavars erwarten deine Anordnungen!«

»Die Bakahs ebenfalls!« rief der Pascha der Bakahs. »Und die Ta’Kara!«

»Und die Char!« »Und die Kashani!« Die Paschas hoben ihre Lanzen. Die verschleierte Gestalt nickte und übernahm das Kommando über die vielen tausend erfahrenen Krieger.

Dann drehte sich Haroun um. »Sei gegrüßt, Suleiman«, sagte er.

»Sei gegrüßt, Haroun, Hoher Pascha der Kavars«, erwiderte Suleiman.

»Wie ich höre, warst du schwer verletzt«, sagte Haroun zu Suleiman.

»Warum nimmst du diesen mühsamen Ritt auf dich?«

»Um gegen dich in den Krieg zu ziehen!« sagte Suleiman. »Die Kavars haben Aretaigemeinden überfallen und Brunnen zerstört!«

»Denkt an den Roten Felsen!« rief ein Wächter der Tashid.

»Und die Zwei Krummsäbel!« rief ein anderer Mann.

»Wer das Wasser vernichtet, der darf keine Gnade erwarten!« brüllte ein Wächter der Luraz.

Krummsäbel wurden gelockert. Ich zog mir den Schleier enger um das Gesicht; immerhin waren Aretai anwesend. Doch niemand kümmerte sich um mich.

»Seht!« sagte Haroun und deutete auf die nackten Gefangenen. »Hebt die Arme, ihr Sleen!« befahl er.

Die Männer hoben die gefesselten Arme.

»Seht ihr?« fragte Haroun.

»Kavars!« rief ein Angehöriger der Raviri.

»Nein!« widersprach Suleiman. »Der Krummsäbel auf dem Unterarm. Die Spitze weist in die falsche Richtung.« Er wandte sich an Haroun.

»Diese Männer sind keine Kavars«, stellte er fest.

»Nein.«

»Aretai haben Oasen der Kavars überfallen!« rief ein Mann vom Stamme der Ta’Kara. »Sie haben Brunnen zugeschüttet!«

Suleimans Hand verkrampfte sich um den Griff seines Krummsäbels.

»Nein!« rief er. »Das ist nicht wahr!«

Ärgerliches Gemurmel wurde laut.

Haroun hob die Hand. »Suleiman spricht die Wahrheit«, sagte er. »In diesem Jahr hat noch kein Aretai Überfälle verübt und wenn, dann hätte er keinen Brunnen zerstört. Die Aretai sind Söhne der Tahari.«

Das war das höchste Kompliment, das ein Mann der Tahari einem anderen aussprechen konnte.

»Die Kavars sind ebenfalls Söhne der Tahari«, sagte Suleiman mit Nachdruck.

»Wir haben einen gemeinsamen Feind«, fuhr Haroun fort, »dessen Absicht es ist, uns gegeneinander aufzuhetzen.«

»Wer?« fragte Suleiman.

Haroun wandte sich an seine Gefangenen, die auf die Knie niedersanken.

»Für wen seid ihr geritten?« fragte er.

Einer der Männer hob matt den Kopf. »Für Tarna«, sagte er.

»Und wessen Untertanin ist sie?« wollte Harouft wissen.

»Sie bekommt ihre Befehle von Abdul, dem Salz-Ubar«, lautete die Antwort.

»Ich begreife das alles kaum«, sagte der junge Khan der Tajuks. Am linken Arm trug er einen schwarzlackierten Lederschild und in der rechten Hand eine schmale schwarze Temholzlanze. An seiner Hüfte hing ein Krummsäbel. Turban und Burnus vervollständigten das exotische Bild, das er bot. Aufgebracht sah er sich um. »Ich bin hier, um zu kämpfen«, sagte er. »Wird jetzt etwa der Frieden ausgerufen?«

Haroun sah ihn an. »Du sollst deinen Kampf bekommen«, sagte er und wandte sich an Suleiman. »Die Kavars und ihre Vasallenstämme stehen dir zur Verfügung.«

»Ich bin ein schwacher Mann«, sagte Suleiman. »Ich habe mich noch nicht wieder voll erholt. Verfüge über die Aretai und all jene, die mit ihnen reiten.«

Haroun musterte den jungen Khan der Tajuks. »Und du?« fragte er.

»Führst du uns an?«

»Ja.«

»Dann folge ich dir!« Der junge Khan zog seine Kaiila herum. »Wer hält die linke Flanke?« fragte er über die Schulter.

»Die Tajuks«, sagte Haroun.

»Aii!« rief der junge Anführer und stellte sich in den Steigbügeln auf. Dann galoppierte er davon.

»Solltest du nicht zur Oase der Neun Brunnen zurückkehren, Suleiman?« fragte Haroun.

»Nein«, erwiderte Suleiman. »Ich sage meinen Männern Bescheid.«

Die Paschas und ihre Wächter, die uns umringt hatten, kehrten zu den Streitkräften zurück. Haroun, der Hohe Pascha der Kavars, reichte einem Begleiter Barams die Lanze mit dem Wimpel.

»Sollen wir die Sleen umbringen?« fragte Baram und deutete auf die knienden Gefangenen.

»Nein«, erwiderte Haroun. »Bringt sie zu den Zelten. Wir verkaufen sie in die Sklaverei.«

Befehle wurden gegeben. Nach kurzer Zeit ritten die Streitkräfte in endlosen Reihen durch die Wüste. In der Mitte befanden sich die Kavars und die Aretai; die anderen Stämme hatten sich zu beiden Seiten gruppiert ganz links die Tajuks.

Hinter uns, hinter Haroun und mir, die allen anderen vorausritten, erstreckte sich das allmächtige Reiterheer der Tahari.

»Wie ist es dir im Dünenland ergangen?« fragte Haroun.

»Bestens«, sagte ich.

Er zog sich den Windschleier um die Schultern. »Wie ich sehe, trägst du noch immer das Stück Seide am Handgelenk«, sagte er.

»Ja.«

»Du mußt mir erzählen, was du im Dünenland erlebt hast.«

»Das wird mir eine Freude sein«, sagte ich. »Mit welchem Namen soll ich dich anreden?«

»Mit dem Namen, den du am besten kennst.«

»Ausgezeichnet«, sagte ich, »Hassan.«

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