In Klima und ähnlichen Gebieten ist das Salz eine Industrie. Hier arbeiten Tausende von Menschen, Gefangene der Wüste. Klima besitzt eine eigene Wasserquelle, hängt jedoch hinsichtlich der Nahrungsmittel von Karawanen ab. Die Vorräte werden an vorher festgelegte Orte geliefert, welche einige Pasang von den Unterkünften entfernt liegen; von dort werden sie später durch Salzsklaven abgeholt. Auf dem umgekehrten Wege wandern die schweren Salzzylinder, die in Klima gepreßt werden, auf dem Rücken der Salzsklaven von den Lagerbezirken in Klima zu Lagerplätzen in der Wüste, wo sie an die Karawanen verteilt und verkauft werden. Die Zylinder sind mit zehn Stein standardisiert das entspricht dem Gewicht einer goreanischen ›Last‹, etwa zwanzig irdische Kilogramm. Eine normale Kaiila vermag etwa zehn solcher Zylinder zu tragen, fünf auf jeder Seite. Ein kräftiges Tier schafft sogar bis zu sechzehn Zylinder. Der größte Teil des Salzes aus Klima ist weiß, doch gewisse Gruben fördern auch rotes Salz; die Farbe rührt von Eisenoxyd in der Grundmasse her; dieses Salz wird später als das Rote Salz von Kasra verkauft, so benannt nach dem Verschiffungshafen am Zusammenfluß des Oberen und des Unteren Fayeen.
Aus Gors geologischer Vergangenheit scheinen die Salzregionen ähnlich verstreuten Pfützen kristalliner Überreste die Überbleibsel eines oder mehrerer riesiger ausgetrockneter Binnenmeere zu sein. Durchaus möglich, daß sich in ferner Vergangenheit ein Arm des Thassa bis hierher erstreckte und später vielleicht durch seismische Bewegungen oder Kontinentalverschiebungen vom Hauptteil des Ozeans abgetrennt wurde, woraufhin eine oder mehrere kleinere Salzwassermeere gebildet wurden. Vielleicht waren die Meere auch von vornherein unabhängig voneinander und wurden aus Flüssen gespeist, welche über Millionen von Quadratpasang hinweg das angesammelte Salz vom Felsgestein abwuschen. Ich wußte es nicht. In den Salzbezirken ist das Salz entweder in fester Form oder als Lösung anzutreffen. Klima ist bekannt für seine flüssigen Salzgruben. In fester Form ist Salz über wie auch unter dem Boden anzutreffen. Mit dem Verschwinden des Meeres und der Verschiebung der Bodenschichten wurden in manchen Gegenden Kubikpasang aus Salz in granitähnlichen Formationen zusammengepreßt, durch die man Tunnel graben kann. Diese Vorkommen befinden sich zum Teil tief unter der Taharioberfläche. Die Abbaumannschaften leben manchmal wochenlang dort unten. In anderen Gebieten liegen feste Salzvorkommen an der Oberfläche und werden im Tagebau oder wie Steinbrüche nutzbar gemacht. Salzberge dieser Art erreichen zuweilen eine Höhe von über sechshundert Fuß. In Klima jedoch ist der größte Teil des Salzes flüssig. Dabei handelt es sich um die unterirdischen Überreste der verschwundenen Meere, die in dieser Form fortbestehen, durch die tiefe Lage vor der Hitze geschützt, durch uralte Sickerflüsse gespeist Überreste ehemaliger mächtiger Ozeane, die vor langer Zeit an der goreanischen Oberfläche tobten. Das gelöste Salz wird auf zwei Arten gewonnen indem man danach bohrt und es herausspült, im Falle der tiefen Ablagerungen, indem man Sklaven in die Tiefe schickt, die die Lösung heraufholen. Beim Bohren und Heraufspülen werden zwei Systeme angewendet: das Innenrohrsystem und das Doppelrohrsystem. Beim Innenrohrsystem wird durch eine Außenröhre frisches Wasser in die Ablagerung hinabgepumpt, woraufhin die schwerere Lösung aus Salz und Wasser blubbernd durch die zweite Röhre emporsteigt, welche sich innerhalb des größeren Rohrs befindet. Beim Doppelrohrsystem sind die beiden Leitungen mehrere Meter voneinander entfernt - durch eine Röhre wird frisches Wasser hinabgepumpt, die Salzwasserlösung - das Salz hat sich im frischen Wasser aufgelöst - wird durch die andere Leitung emporgeschwemmt. Das zweite System gilt bei den meisten Salzmeistern als das wirksamste. Ein Vorteil des Innenrohrsystems besteht allerdings darin, daß man nur eine Bohrung vornehmen muß. Beide Systeme erfordern natürlich intensives Pumpen.
Der größte Teil des Salzes in Klima kommt aus den berühmten Salzgruben. Davon gibt es zwei Arten die ›offene‹ und die ›geschlossene‹ Grube. In den geschlossenen Gruben steigen Männer tatsächlich in die Tiefe und waten in der Salzmasse herum oder befahren sie mit Flößen; sie füllen ihre Gefäße und schütten den Inhalt in Ledersäcke, die an Haken hängen und von der Oberfläche aus mit Hilfe von Winden nach oben gezogen werden. Das Schöpfgefäß ähnelt einem durchlöcherten Kegel mit Griff, an dem sich ein Seil befindet. Das Gefäß wird durch den Salzschlamm gezogen und angehoben; das freie Wasser fließt dabei ab und läßt den Salzschlamm zurück, der sodann in ein Aufbewahrungsgefäß geschüttet wird, im allgemeinen ein großes Holzfaß. Die Aufbewahrungsgefäße werden später in die großen Ledersäcke entleert, die an Stricken hochgezogen werden. Da und dort sind die Salzgruben ›offen‹ und liegen an der Oberfläche, wo sie durch Quellen aus den unterirdischen Flüssen gespeist werden, was ihr Austrocknen durch Verdampfen verhindert. In den offenen Gruben halten sich die Sklaven nicht lange. Dieselben unterirdischen Wasserströme, die stellenweise die Salzgruben füllen, versorgen Klima an anderen Stellen nach Durchfließen salzfreier Schichten mit Frischwasser. Natürlich schmeckt dieses Wasser ein wenig salzig, wie fast überall in der Tahari, doch ist es trinkbar. Das Salz im gewöhnlichen Trinkwasser der Tahari hat durchaus seinen Sinn, gleicht es doch bei Tieren und Menschen den Salzverlust, der durch das Schwitzen eintritt, aus. Ähnlich wie das Wasser ist das Salz lebenswichtig für einen Organismus und das übermäßige Schwitzen in der Tahari kann gefährlich sein. So ergeben sich die anmutigen, fast schläfrigen Bewegungen der Nomaden und Tiere dieser Gegend. Und die schwere Kleidung der Wüstenbewohner soll einen Wasserverlust verhindern und die Feuchtigkeit der Haut erhalten. Neben den Gruben der Salzbezirke stehen Lagerhäuser und Büros, in denen man die Aufzeichnungen führt und die Sendungen an die Wüstenlager vorbereitet. Außerdem gibt es Verarbeitungszonen, in denen das Salz von Wasser befreit und zu verschiedenen Qualitäten verfeinert wird in einem komplizierten System aus Gestellen und Pfannen, die der Sonnenhitze ausgesetzt werden. Hier waren Sklaven am Werk; sie mußten das Salz harken, wenden und sieben. Dicht daneben stehen die Formschuppen, in denen das Salz zu den großen Zylindern gepreßt wird, die man zusammenbindet und schließlich auf Packkaiila verlädt. Beim Salz unterscheidet man neun verschiedene Qualitäten.
Auf jedem Zylinder werden die Qualität, der Name der Abbauzone und das Zeichen des jeweiligen Salzmeisters vermerkt.
Natürlich verfügte Klima auch über die üblichen Nebeneinrichtungen solcher Anlagen Küchen und Vorratsräume, Hütten, Kantinen und Strafgruben, Versammlungsort, Schmiede und Läden, Quartiere für Wächter und Schreiber, ein Krankenlager für das Aufsichtspersonal und so weiter. In mancher Hinsicht ähnelte Klima einer normalen kleinen Stadt wenn auch zwei große Unterschiede bestanden. Hier gab es weder Kinder noch Frauen.
Als wir uns Klima näherten, hatte Hassan zu mir gesagt: »Versteck das Stück Seide irgendwo in der Salzkruste.«
»Wieso?«
»Es ist ein Stück Sklavenseide«, erwiderte er. »Es verbreitet noch immer den Duft einer Frau.«
»Und warum soll ich es verstecken?«
»Weil die Männer in Klima dich deswegen umbringen könnten.«
Ich versteckte das Stück neben einem der niedrigen weißen Gebäude in der Salzkruste.
Der Mann, der zu uns sprach, war T’Zshal, Meister von Hütte 804.
»Ihr könnt jederzeit verschwinden«, sagte er. »Niemand wird gegen seinen Willen hier festgehalten.«
Wir saßen auf dem Boden des Schuppens, nackt. Man hatte uns mit einem leichten Seil am Hals zusammengefesselt.
»Ich mache keine Witze«, sagte der Mann.
Wir waren nun schon vier Tage in Klima. Man hatte uns mit Wasser und Nahrungsmitteln gut versorgt. Wir hatten uns im Schatten aufhalten dürfen. Man hatte uns das Seil angelegt, als wir nacheinander aus der Wüste hereingetaumelt waren. Vier Männer waren in diesen vier Tagen noch gestorben. Alles in allem hatten also nur fünfzehn Männer den Marsch nach Klima geschafft.
T’Zshal trug Wüstenstiefel, weite Leinenhosen und eine rote Schärpe; in ihr steckte ein gekrümmter Dolch. Seine Brust war nackt und haarig; auf dem Kopf trug er Kaffiyeh und Agal. Er hielt eine Peitsche, die sogenannte Schlange, das Zeichen seiner Macht über uns. Hinter ihm lauerten zwei mit Krummsäbeln bewaffnete Wächter. Durch eine Öffnung in der Decke fiel Licht herein.
Er kam auf uns zu. Mehrere Sklaven duckten sich. Er zog den krummen Dolch und schnitt das Seil durch, das uns zusammenhielt. »Ihr könnt gehen, wenn ihr wollt«, sagte er.
Er schritt zur Tür der Hütte und stieß sie auf. Draußen schimmerte die Sonne auf der Salzkruste; dahinter erstreckte sich die Wüste.
»Geht!« sagte er lachend. »Geht!«
Keiner der Männer rührte sich.
»Ah«, sagte er. »Ihr entschließt euch also zu bleiben. Das ist eure freie Entscheidung. Also gut, ich bin damit einverstanden. Doch wenn ihr bleibt, dann nur zu meinen Bedingungen.« Plötzlich ließ er die Peitsche knallen. »Habt ihr das begriffen?« fragte er.
»Ja«, versicherten einige Sklaven hastig.
»Kniet nieder!« brüllte T’Zshal.
Wir knieten nieder.
»Wird man euch das Bleiben aber gestatten?« fragte er.
Mehrere Männer warfen sich beunruhigte Blicke zu.
»Vielleicht ja, vielleicht aber auch nicht«, sagte T’Zshal. »Diese Entscheidung liegt allein bei mir. Es ist nicht einfach, sich in Klima den Unterhalt zu verdienen. Die Lebenskosten sind bei uns sehr hoch. Ihr müßt euch das Recht verdienen, bei uns zu bleiben. Ihr müßt schwer arbeiten. Ihr müßt mich zufriedenstellen und zwar sehr.« Er blickte von einem zum anderen.
Diesmal fragte er nicht erst, ob wir verstanden hatten. Wir hatten ihn verstanden. »Aber wir dürfen Klima verlassen, wann wir wollen?«
erkundigte sich Hassan.
T’Zshal sah ihn an. Er schien sich zu fragen, ob Hassan den Verstand verloren hatte. Ich lächelte. T’Zshal schien etwas verdattert. »Ja«, sagte er dann.
»Sehr gut«, stellte Hassan fest.
»Es gibt wenig Leder in Klima«, fuhr T’Zshal fort. »Wir haben nicht viele Wasserbeutel. Und die Beutel, die wir haben, fassen nur einen Talu. Sie werden bewacht.«
In Klima wird das Wasser im allgemeinen in kleinen Eimern befördert, die an hölzernen Schulterjochen baumeln und gleich mit Schöpfkellen versehen sind. Ein Talu entspricht etwa acht Litern. Ein Talubeutel ist nur klein; ein Nomade gibt sich mit einem Talubeutel zufrieden, wenn er in der Nähe einer Oase seine Verrherde bewacht.
»Hast du die Absicht«, wandte sich T’Zshal an Hassan, »dir mehrere Beutel zu verschaffen, sie gegen den Willen der Wächter zu füllen und damit aus Klima zu verschwinden?«
Selbst wenn so ein Streich gelänge, war es doch sehr unwahrscheinlich, daß man genug Wasser mitschleppen konnte, um zu Fuß die Wüste zu durchqueren.
Hassan zuckte die Achseln. »Das wäre eine Möglichkeit«, sagte er.
»Du scheinst dich für besonders kräftig zu halten«, stellte T’Zshal fest.
»Ich habe den Marsch nach Klima geschafft«, erwiderte Hassan.
»Wir alle haben den Marsch nach Klima geschafft«, stellte T’Zshal fest. Diese Worte überraschten uns.
»Bei uns in Klima gibt es niemanden«, erklärte T’Zshal, »der den Marsch nicht geschafft hat. Wir alle hier, meine Freunde, sind Sklaven des Salzes, Sklaven der Wüste. Wir graben das Salz aus für die Freien; dafür erhalten wir zu essen.«
»Gilt das auch für den Salzmeister?« wollte Hassan wissen.
»Auch er kam vor langer Zeit nackt nach Klima«, sagte T’Zshal. »Unsere Rangordnung richtet sich nach Können und Kampfstärke. Wir, die Sklaven, haben diese Nation gebildet und verwalten sie, wie wir es für richtig halten. Wird das Salz pünktlich geliefert, stört man uns nicht. Nach innen hin sind wir völlig unabhängig.«
»Und wir?« fragte Hassan.
»Ihr«, sagte T’Zshal grinsend, »seid die wahren Sklaven, ihr seid die Sklaven von Sklaven.« Er lachte.
»Bist du verhüllt nach Klima gekommen?«
»Ja, wie wir alle, sogar der Salzmeister.«
Das war eine enttäuschende Information. Hassan hatte zweifellos mit dem Gedanken gespielt, einen Wächter oder Hüttenaufseher und vielleicht sogar T’Zshal persönlich zu überwältigen und zu zwingen, uns in die Freiheit zu führen, sofern er an Wasser herankam. Wie es sich jetzt erwies und wir hatten keinen Grund, dem Hüttenmeister zu mißtrauen , gab es in Klima keinen Mann, der den Weg in die Freiheit kannte.
Natürlich war uns bekannt, daß die Oase des Roten Felsens und die Kasbah des Salz-Ubar ungefähr nordwestlich von Klima lagen; doch wenn man die Wüstenwege nicht kennt, nützt einem eine solche Information wenig. Zu leicht wandert man an einer Oase oder sogar seinem Ziel vorbei. Die genaue Kenntnis der Wege und Wasserstellen war unerläßlich.
In Klima wußte niemand den richtigen Weg. Die Freien, die wahren Herren dieser Welt, hatten dafür gesorgt.
Um die Salzregionen zu schützen, waren die Wege nicht gekennzeichnet. Dabei handelte es sich um eine Schutzmaßnahme zu Gunsten der Salzmonopole der Tahari; die Wüste allein schien den wahren Verantwortlichen nicht zu genügen.
T’Zshal lächelte im Augenblick war er ein sehr menschlicher Sklavenmeister. »Meine Freunde, niemand kennt den Weg in die Freiheit. Solch einen Weg gibt es nicht.«
»Oh, den Weg gibt es schon«, stellte Hassan fest. »Man braucht ihn nur zu finden.«
»Viel Glück«, sagte T’Zshal. Mit der Peitsche deutete er auf die offene Tür der Hütte. »Geh«, sagte er.
»Ich möchte aber lieber bleiben im Augenblick jedenfalls«, sagte Hassan.
»Meine Hütte fühlt sich geehrt«, sagte T’Zshal und neigte den Kopf. Hassan erwiderte die Geste.
T’Zshal lächelte. »Du solltest dir allerdings klarmachen, daß wir uns gekränkt fühlen würden, wenn du uns verläßt und unsere Gastfreundschaft verschmähst. Nur wenige kehren nach Klima zurück. Doch die wenigen, die es schaffen, überleben selten die Strafgruben, und wer das schafft, muß in den offenen Gruben arbeiten.« Er hob die Peitsche und betrachtete den anmutigen Bogen des Leders. Dies war die ›Schlange‹ mit den vielen Reißzähnen - winzige Metallstücke, die man in das Leder geflochten hatte. »Klima«, fuhr T’Zshal langsam fort,
»mag euch wie ein schrecklicher Ort vorkommen. Vielleicht stimmt das sogar; ich weiß es nicht. Ich habe vergessen, wie es woanders aussieht. Und doch unterscheidet es sich wohl nicht allzusehr von der Welt auf der anderen Seite des Horizonts. In Klima - und so ist es überall auf der Welt gibt es die Leute mit der Peitsche, und die anderen, die arbeiten und leiden müssen.« Er sah uns an. »Hier«, fuhr er fort, »in dieser Hütte, schwinge ich die Peitsche.«
»Wie«, fragte ich, »wird man Hüttenmeister?«
»Töte mich«, sagte T’Zshal.
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