6

Ich hob den Kopf.

Ich nahm einen seltsamen Geruch wahr, ganz deutlich. Doch zu sehen war nichts. Ich erstarrte. Ich lehnte mit dem Rücken an der Steinmauer, die aus mächtigen Quadern bestand. Ich neigte den Kopf, so weit es ging. Ich trug einen schweren Eisenkragen, von dem links und rechts je eine kurze Kette ausging, die in Ringen an der Mauer endete. Meine Hände waren ebenfalls mit kurzen Ketten an die Mauer geschmiedet. Ich war nackt. Meine Fußgelenke waren an einem Bodenring vor mir festgemacht.

Ich lehnte mich vor, so weit es ging, und lauschte, ich saß auf dem Steinboden, auf schmutzigem Stroh. Ich blickte zur Tür, die etwa zwanzig Fuß entfernt war; sie bestand aus schweren Holzbalken, die man in Eisen gefaßt hatte. Hoch oben in der Tür befand sich ein kleines Fenster, etwa sechs Zoll hoch und achtzehn Zoll breit; diese Öffnung war mit fünf Gitterstäben gesichert worden. Ein muffiger Geruch lag in der Luft, doch die Zelle war nicht sonderlich feucht. Ein kleines vergittertes Fenster, das etwa zwölf Fuß über dem Boden lag, spendete Licht. In der schrägen Lichtbahn, die an der Wand zu lehnen schien, wirbelten Staubkörner durcheinander.

Ich bewegte die Nasenflügel, versuchte mir über die Gerüche klar zu werden. Ich roch schimmeliges Stroh, ich nahm den Gestank menschlicher Ausscheidungen wahr. Von draußen drang der Duft nach Dattelpalmen und Erdäpfeln herein. Ich hörte eine Kaiila vorbeitraben, begleitet von Kaiilaglocken, und den Ruf eines Mannes aus der Ferne. Es schien alles ganz normal zu sein.

Ich machte den Geruch von Kortrinden aus, die auf den Steinen trockneten, wohin ich sie nach dem letzten Abendessen geworfen hatte. Winzige sandfarbene Insekten, Vints, krabbelten darauf herum. Vor der Tür roch es nach Käse und BaziTee. Ich hörte, wie sich der Wächter auf dem Stuhl vor meiner Tür bewegte. Ich roch seinen Schweiß und das Veminiumwasser, mit dem er sich den Hals eingerieben hatte. Ich lehnte mich gegen die Steine.

Offenbar hatte ich mich geirrt.

Ich schloß die Augen. ›Gebt Gor auf‹ das war die Nachricht gewesen, die vor kurzem im Sardargebirge eingetroffen war, vermutlich eine Aufforderung der Stahlwelten. Und vor Monaten hatte der Karawanenjunge Achmed, Sohn des Händlers Farouk aus Kasra, eine Inschrift auf einem Felsen entdeckt: ›Vorsicht vor dem Stahlturm. Und dann die Warnung auf der Kopfhaut Veemas: ›Vorsicht vor Abdul«. Aber das schien mir nicht weiter wichtig zu sein, war doch Abdul der Wasserverkäufer in Tor gewesen, sicher nur ein unbedeutender Agent der Anderen, der Kurii. Ich lächelte. Vor einem Niemand wie Abdul brauchte man sich nicht in acht zu nehmen. Auf der Reise zu den Neun Brunnen hatte ich den Stein gesehen; Achmed hatte mich mit einer Eskorte hingeführt, in der auch Shakar und Hamid mitritten.

»Der Tote ist fort!« rief Achmed. »Er hat hier gelegen!«

Dafür war der Stein noch an Ort und Stelle; die Buchstaben waren deutlich lesbar. Sie entstammten dem Taharischen, der Schrift der Taharivölker. Die Wüstenbewohner sprechen zwar goreanisch, doch im Einklang mit zahlreichen anderen isolierten Volksgruppen verwendeten sie nicht die allgemein übliche goreanische Schrift. Da eine gewisse Verwandtschaft herrschte, hatte ich wenig Mühe, den Text zu entziffern.

»Hier ist kein Toter«, hatte Shakar gesagt, der Hauptmann der Aretai.

»Wohin kann er verschwunden sein?« fragte Hamid, sein Leutnant. Diese Frage war durchaus berechtigt. Nirgendwo waren Knochen zu erblicken, keine Überreste einer Mahlzeit von Aasfressern. Außerdem machte die Stelle nicht den Eindruck, als sei hier kürzlich etwas im Sand begraben worden. Zwar kommt es vor, daß ein Sturm in der Tahari die Landschaft verändert, doch meistens wird der Sand sofort weitergetragen und kann sich nur an bestimmten Stellen ablagern. Abgesehen davon verwest ein Körper in der Tahari nur langsam. Stirbt ein Wüstentabuk an Wassermangel, und wird der Leichnam nicht von Aasfressern zerfleddert, hält sich das Fleisch mehrere Tage lang in eßbarem Zustand. Äußerlich kann ein totes Tier jahrhundertelang unverändert bleiben.

Ich lehnte an der Mauer und bewegte langsam den Kopf hin und her. Mein Metallkragen war unangenehm eng. Ich zerrte ein wenig an meinen Handfesseln. Ein Schweißtropfen lief an meinem linken Unterarm hinab. Ich konnte mich kaum bewegen, war gefangen; ein hilfloses Opfer Ibn Sarans.

Wieder schloß ich die Augen. Suleiman war nicht gestorben. Der Stich des Mörders in der allgemeinen Verwirrung hatte nicht zu dem gewünschten Resultat geführt.

Zwei Sklavinnen hatten bei der Gerichtsverhandlung gegen mich ausgesagt. Zaya, ein rothaariges Mädchen, das für Ibn Sarans Zuckerportionen zuständig war, und die dazugehörige Weinsklavin Vella, beide hatten ausgesagt, daß ich den heimtükkischen Stich ausgeführt hätte. Der Richter verurteilte mich zur Verbannung in die Salzgruben von Klima, die im Kern des Dünenlandes lagen. Dort sollte ich Salz fördern, bis die Sonne, die Sklavenherren oder das Salz mit mir fertig wurden. Von den Salzgruben, so ging das Gerücht, gab es keine Wiederkehr. In Klima gibt es keine Kaiila; sogar die Wächter sind unberitten. Karawanen bringen die Vorräte und holen das Salz ab. Abgesehen von den Brunnen des Lagers gibt es auf tausend Pasang kein Wasser mehr. Klimas sicherste Mauer ist die Wüste. Außerdem ist Klima ein Lager ohne Frauen, damit sich die Männer nicht ihretwegen streiten. Plötzlich wehte mir der Geruch in die Nase, eindeutig, klar. Meine Nackenhaare sträubten sich.

Ich bäumte mich in meinen Ketten auf. Ich war nackt und völlig hilflos. Ich vermochte nicht einmal die Hand schützend vor den Körper zu heben.

Ich roch einen Kur!

»Ist da jemand?« rief der Wächter von draußen. Ich hörte, wie sich sein Stuhl bewegte. Er stand auf.

Er bekam keine Antwort. Tiefes Schweigen.

Ich rührte mich nicht.

Er ging zur Schwelle des großen Raums, der vor den Zellen liegt. Er bewegte sich vorsichtig. An dieser Schwelle gibt es keine Tür. Es ist ein schmaler Durchgang am Fuße einer gewundenen Treppe.

»Wer ist da?« rief er und wartete. Doch es kam keine Antwort. Daraufhin drehte er sich um und kehrte zu seinem Stuhl zurück. Ich hörte ihn wieder Platz nehmen. Doch gleich darauf scharrten die Stuhlbeine erneut über den Boden. »Wer ist da?« brüllte er. Er schien seinen Krummsäbel zu ziehen. Er drehte sich heftig hin und her. Dann hörte ich einen undeutlichen gurgelnden Entsetzensschrei, der abrupt endete. Ein Knacken ertönte.

Danach waren keine deutlichen Geräusche mehr zu hören, nur das Schlecken einer großen Zunge, die sich vorsichtig, tastend, schmeckend in Blut bewegte.

Dann hörte ich, wie Körperteile zu Boden geworfen wurden. Die Freßgeräusche verstummten. Ich spürte, wie sich vor meiner Tür eine große Gestalt aufrichtete und langsam zu meiner Zelle umdrehte. Ich spürte mit allen Sinnen, daß das Geschöpf nun vor der Zellentür stand. Ich vermochte den Blick nicht von dem kleinen Fenster in der Tür abzuwenden, obwohl draußen nichts zu erkennen war. Ich spürte, daß das Wesen dort stand, daß es zwischen den Stäben hindurchblickte. Dann bewegte sich der Schlüssel im Schloß!

Die Tür schwang auf. Doch auf der Schwelle zeigte sich nichts. Im Hintergrund lagen die blutigen Überreste des Wächters. Den Kopf hatte das unsichtbare Geschöpf abgebissen. Ich sah, daß sich im Inneren der Zelle Stroh bewegte. Der Kur-Geruch war auffällig stark. Die unheimliche Kreatur schien vor mir zu stehen.

Die Kette an meiner linken Hand wurde angehoben. Zweimal zog jemand daran. Dann fielen die Metallglieder wieder auf den Boden. Ich spürte ganz deutlich, daß das Ungeheuer unmittelbar vor mir stand. Gleich darauf vernahm ich die Stimmen mehrerer Männer. Sie kamen näher.

Deutlich machte ich die befehlsgewohnte Stimme Ibn Sarans aus. Die Gruppe kam die Treppe herab. Ein Entsetzensschrei ertönte. Ich konnte die Szene durch die offene Zellentür verfolgen. Ibn Saran erschien persönlich auf der Schwelle er trug einen schwarzen Mantel und eine weiße Kaffiyeh mit schwarzer Schnur.

Sofort hatte er den Krummsäbel in der Hand der Reflex eines Wüstenkriegers. Er verschwendete keinen Blick auf die übel zugerichtete Leiche zu seinen Füßen, sondern suchte mit geübten Blicken den Raum ab.

»Zieht eure Waffen!« rief er seinen erschrockenen Männern zu. Die Soldaten vermochten die Augen nicht von der zerstückelten Leiche zu wenden. Mit der Breitseite seiner Klinge mußte er die Krieger antreiben.

»Achtung!« rief er. »Versperrt die Tür!«

Er blickte in die Zelle. Ich sah ihn an. Ich war in sitzender Stellung angekettet und vermochte mich kaum zu rühren. Ihn Saran lächelte verkrampft. »Tal«, sagte er.

»Tal«, erwiderte ich und blickte auf seinen Krummsäbel.

»Wer mag das getan haben?« fragte einer seiner Männer entsetzt.

»Ich bin gewarnt worden«, erwiderte Ibn Saran.

»Ein Djinn?« fragte jemand.

»Riecht ihr es?« fragte Ibn Saran. »Es ist noch hier!«

Ich hörte den Kur in der Nähe atmen.

»Versperrt die Tür!« sagte Ibn Saran.

Die beiden Männer an der Tür sahen sich um, schwenkten verängstigt die Klingen.

»Habt keine Angst, meine Freunde«, sagte Saran. »Hier ist kein Djinn am Werk, sondern ein Wesen aus Fleisch und Blut. Doch nehmt euch in acht!« Daraufhin ließ er die Männer in einer Reihe vor der gegenüberliegenden Wand vor der Zelle Aufstellung nehmen. »Man hat mich gewarnt, daß so etwas geschehen könnte«, sagte er. »Und es ist geschehen. Habt keine Angst. Wir werden es schaffen.«

Mit weit aufgerissenen Augen starrten sich die Männer an.

»Auf mein Signal hin«, sagte Ibn Saran, »rückt ihr in einer Reihe vor und hackt mit den Schwertern durch die Luft, aber achtet darauf, jeden Winkel zu erfassen. Wer den Gegner zuerst berührt, schreit sofort los; dann müssen sich die anderen säbelschwingend auf die Stelle stürzen, als wollten sie die Luft in Stücke hauen.«

Einer der Männer sah ihn an. »Aber hier ist doch gar nichts«, flüsterte er. Ibn Saran richtete sich auf und lächelte. »O doch«, sagte er. »Hier ist etwas. In der Tat!« Plötzlich rief er. »Ho!« und sprang vor, wobei er seine Waffe in schnellen diagonalen Hieben bewegte, Rückhand aufwärts, Vorhand abwärts, mit schnellen sicheren Drehungen der Klinge. Sein rechter Fuß stampfte vor, er drehte sich nach links, damit sein Körper ein möglichst kleines Ziel bot, der Kopf fuhr nach rechts, damit er einen klaren Überblick behielt, der rechte hintere Fuß stand im rechten Winkel zur Angriffslinie, wodurch eine gute Hebelwirkung erzielt und das Gleichgewicht gesichert wurde. Seine Männer folgten ihm; doch einige fuchtelten ohne rechte Überzeugung in der Luft herum.

»Hier ist nichts, edler Herr!« sagte wieder einer von ihnen. Ibn Saran stand an der Tür zur Zelle. »Er ist in der Zelle!« sagte er. Ich beobachtete seinen Säbel, eine bösartig aussehende gekrümmte Klinge. »Es ist gefährlich, die Zelle zu betreten«, sagte Ibn Saran. »Ihr folgt mir sofort und stellt euch in einer Reihe auf, mit dem Rücken zur diesseitigen Wand.«

»Wir sollten lieber die Tür schließen und verriegeln«, sagte ein Mann.

»Das Wesen würde die Gitterstäbe aus dem Fenster reißen und fliehen«, sagte Ibn Saran.

»Wie soll es das schaffen?« fragte der Mann ungläubig.

Offenbar hatte der Mann keine Ahnung von den Körperkräften eines Kur. Um so interessanter war die Erkenntnis, daß Ibn Saran Bescheid wußte.

»Ein solches Ungeheuer«, sagte er, »darf nicht in der Zelle bleiben. Wir müssen seine Leiche verschwinden lassen.«

Das konnte ich verstehen. Nur wenige Goreaner wußten von dem geheimen Krieg zwischen den Priesterkönigen und den Anderen, den Kurii. Die Leiche eines Kur hätte zweifellos viele Fragen ausgelöst und vielleicht sogar unwillkommene Spekulationen. Außerdem wären die Kurii auf diesen Ort aufmerksam geworden und hätten sich vielleicht für den Tod ihres Artgenossen gerächt.

»Ich gehe als erster in die Zelle«, fuhr Ibn Saran fort. »Ihr folgt mir.« Er hatte seine Lässigkeit völlig abgestreift und bewegte sich mit gefährlicher Zielstrebigkeit. Ibn Saran schien ein ungemein mutiger Mann zu sein. Mit einem Schrei warf er sich über die Schwelle der Zelle und hieb um sich. Seine verängstigten Männer folgten ihm und stellten sich mit bleichen Gesichtern nebeneinander vor der Wand auf. Der Durchgang zur Wendeltreppe im Vorraum war im Augenblick nicht bewacht dafür stand Ibn Saran vor der Zellentür.

»Hier ist nichts, Herr!« rief einer der Männer. »Das ist doch sinnlos!«

»Es ist fort«, sagte ich zu Ibn Saran.

Der Mann lächelte. »Nein«, widersprach er. »Das Wesen ist hier. Hier irgendwo.« Er wandte sich an seine Männer: »Seid still! Lauscht!«

Ich hörte nicht einmal mehr das Atmen der Männer. Sonnenlicht strömte durch das Gitterfenster auf die grauen Steine des strohbedeckten Bodens. Ich blickte auf die Männer, die Mauern, die trockenen Kortrinden auf dem Boden.

Von draußen drang die Stimme eines Mannes herein, der Melonen verkaufte. Zwei Kaiila trotteten mit klirrenden Glocken vorüber. Plötzlich stieß einer der Männer Ibn Sarans einen entsetzlichen Schrei aus. Ich hob den Kopf.

Die anderen wichen zurück.

»Rettet mich!« rief der Mann. »Hilfe!«

Er schien plötzlich von den Füßen gerissen worden zu sein; wie von unsichtbaren Fäden bewegt, hatte er sich zehn Fuß in die Luft gehoben. Dort wand er sich nun, gegen die Steine der Decke gepreßt, schreiend.

»Haltet die Stellung!« sagte Ibn Saran. »Haltet die Stellung!«

»Hilfe!« flehte der Mann.

»Jeder bleibt an seinem Platze!« wiederholte Ibn Saran noch einmal. Der Mann wurde langsam herabgesenkt. Er stieß einen kurzen Schrei aus; es folgte ein weiches gurgelndes Geräusch; eine Seite seines Halses war abgebissen worden; aus der Halsschlagader spritzte helles Blut.

»Keiner rührt sich!« brüllte Ibn Saran.

Ich bewunderte seine Klugheit. Wären seine Männer zum Angriff übergegangen, hätte der Kur ihnen sein Opfer entgegengeschleudert und wäre in dem nachfolgenden Durcheinander bestimmt entkommen. Ibn Saran stand kaltblütig vor der offenen Zellentür.

»Haltet die Säbel bereit!« brüllte er. »Ho!«

Die Männer griffen an, in einer Reihe rückten sie über den blutigen Boden vor; Ibn Saran blieb an der Tür stehen.

»Aii!« brüllte ein Mann und prallte erschrocken zurück. An seinem Säbel schimmerte Blut, »Ein Djinn!« rief er.

In diesem Augenblick stach Ibn Saran von der Tür mit gewaltigem Hieb zu.

Ein schmerzvolles Brüllen ertönte, ein Wutschrei, und ich sah, daß die Klinge auf etwa sechs Zoll mit dem Blut des Kur bedeckt war.

»Wir haben ihn!« brüllte Ibn Saran. »Haut zu! Haut zu!« Die Männer sahen sich um. »Dort!« brüllte Ibn Saran. »Das Blut!

Das Blut!« Ich erblickte einen Blutfleck auf dem Boden, dann den blutigen Abdruck einer mächtigen Klauentatze. Blutstropfen begannen wie aus dem Nichts hervorzuquellen und zu Boden zu klatschen. »Zielt auf die blutende Stelle!« brüllte Ibn Saran. Die Männer eilten von allen Seiten darauf zu und begannen zuzuhauen. Zwei weitere Wutschreie ertönten; noch zweimal wurde das Ungeheuer getroffen. Im nächsten Augenblick wirbelte ein Mann zurück. Er hatte kein Gesicht mehr. Die Männer umringten die Stelle, an der das Blut austrat plötzlich ertönte ein kratzendes Geräusch, und die Stangen in dem kleinen Fenster begannen zu beben. Ein Metallstab löste sich bereits aus der Wand, begleitet von Gesteinsbrocken und Mörtelstaub.

»Zum Fenster!« brüllte Ibn Saran. »Das Ungeheuer will fliehen!« Er sprang zum Gitterfenster und hieb wild um sich. Doch er traf nur die Mauer. Seine Männer taten es ihm nach.

Ich lächelte, sah ich doch, wie sich das tropfende Blut in dem Durcheinander langsam der Tür näherte, im Vorraum verschwand und sich zur Treppe hin entfernte.

Der Kur hatte seine Gegner getäuscht. Wahrscheinlich hatte er sofort erkannt, daß ihm nicht die Zeit blieb, das Gitter aus der Wand zu lösen und durch die schmale Öffnung zu entfliehen. Mit seiner List hatte er Ibn Saran von der Tür fortgelockt.

Ibn Saran wandte sich ab. Seine Klinge war an vielen Stellen eingekerbt und stumpf, so kräftig hatte er auf die Mauer eingeschlagen. Er sah die Blutspuren, die zur Tür führten. Mit einem Wutschrei machte er kehrt und hastete aus der Zelle.

»Wir haben ihn getötet«, sagte Ibn Saran. »Er ist tot.«

Vermutlich hatten die Männer tatsächlich keine Mühe gehabt, der blutigen Spur zu folgen. Das Tier war mehrfach verwundet worden.

»Die Leiche ist beseitigt«, fuhr Ibn Saran fort. »Das Wesen wollte dich töten. Wir haben dir das Leben gerettet.«

Ich zuckte die Achseln. »Vielen Dank«, sagte ich.

Es war Mitternacht. Vor den Zellenfenstern schwebten die drei goreanischen Monde.

Die Zelle war gesäubert, Stroh und Unrat waren entfernt worden. Der größte Teil des Blutes war fortgeschrubbt. Nur da und dort wies ein dunkler Fleck auf die Auseinandersetzung hin, die vorhin in dieser Zelle stattgefunden hatte. Das Gitterfenster war ebenfalls wieder repariert worden.

Vier Männer begleiteten Ibn Saran. Einer hielt eine Tharlarionöllampe empor.

»Begreifst du, was es heißt, nach Klima geschickt zu werden?« fragte Ibn Saran.

»Ich glaube schon.«

»Es beginnt mit dem Marsch nach Klima durch das Dünenland, zu Fuß, angekettet. Viele Sklaven sterben schon auf dem Weg dorthin.« Ich schwieg.

»Und solltest du das Pech haben«, fuhr er fort, »die Salzgruben lebend zu erreichen, dann erwarten dich dort viele unangenehme Aufgaben. Die Sklaven pumpen Wasser durch unterirdische Salzlager, um das Salz zusammen mit dem Wasser an die Oberfläche zu schwemmen, und anschließend pumpen sie dasselbe Wasser noch einmal durch. Schon viele Männer sind in der Hitze an den Pumpen gestorben. Andere, die Träger in der Grube, müssen Eimer auf den Schultern tragen, in die die schlammige Salzlösung geschaufelt wird, und schleppen die Lasten aus der Grube zu den Trockentischen; wieder andere müssen das Salz einsammeln und es zu Zylindern formen.« Er lächelte. »Manchmal töten sich die Männer gegenseitig, um für eine leichtere Arbeit eingeteilt zu werden.«

Ich wich seinem Blick aus.

»Dir aber«, fuhr er fort, »der du versucht hast, den ehrenwerten Suleiman Pascha umzubringen, dir wird man natürlich keine leichten Arbeiten übertragen.«

Ich zerrte an meinen Ketten.

»Deine Fesseln bestehen aus Ar-Stahl«, sagte er spöttisch. »Du hast keine Chance Tarl Cabot.«

Ich sah ihn an.

»Es wird mir eine Freude sein, an Tarl Cabot zu denken, wie er sich in den Salzgruben zu Tode schuftet. Während ich in meinem Palast liege, in kühlen Zimmern, auf weichen Kissen, umsorgt von meinen Sklavinnen, zu denen deine hübsche Vella gehört ja, dann werde ich an dich denken, Tarl Cabot, sehr oft sogar.«

Ich rasselte hilflos mit meinen Ketten.

»Der berühmte Agent der Priesterkönige Tarl Cabot«, sagte er, »in den Salzgruben!«

Ich schwieg.

»Hervorragend!« Er lachte. »In Klima beginnt der Arbeitstag vor Sonnenaufgang und endet erst in der Dunkelheit. Auf den erhitzten Felsen kann man sich das Essen kochen. Die Salzkrusten schimmern weiß; ihr Glanz kann einen Menschen blenden. Aus Klima ist bisher noch keine Sklave entkommen. Zu den weniger angenehmen Dingen gehört auch, daß ihr dort keine Frauen habt. Aber du hast ja die Erinnerung an deine hübsche Vella!«

Meine Fäuste ballten sich. Oft hatte ich in den letzten Tagen Vellas Gesicht vor meinem inneren Auge gesehen, triumphierend und haßerfüllt verzerrt nach ihrer falschen Aussage, die mich zu den Salzgruben in Klima verdammte. Sie hatte sich gefreut ihre Rache war vollkommen. Ihre Lüge, die die falsche Aussage anderer bestätigte, besiegelte mein Schicksal. Immer wieder dachte ich an ihr häßliches Lächeln. »Wenn ich sie auf meinem Schoß habe«, fuhr Ibn Saran fort, »werde ich an dich denken.«

»Wo hast du sie gefunden?« fragte ich.

»In einer Taverne in Lydius«, sagte er. »Eine interessante Sache. Ursprünglich erwarben wir sie als einfache Sklavin daran haben wir immer Bedarf. Für uns ist es wichtig, Spitzel in gewissen Häusern zu haben, damit wir in den Besitz von Geheimnissen kommen oder Offiziere und andere wichtige Leute verführen können. Bei solchen Aufgaben sind erstklassige Sklavinnen unentbehrlich.«

»Also auch Vella.«

»Die ehemalige Miß Elizabeth Cardwell aus New York«, sagte er.

»Du scheinst viel zu wissen.«

»Die Sklavin von der Erde hat uns viel erzählt. Mit ihr hatten wir Glück.«

»Was hat sie euch erzählt?«

»Alles, was wir wissen wollten.«

»Oh, ich verstehe.«

»Wir brauchten sie gar nicht erst zu foltern«, sagte Ibn Saran. »Die Androhung einer solchen Pein genügte. Sie ist ja nur eine Frau. Wir haben sie entkleidet in einem Verlies angekettet und Urts auf sie losgelassen. Schon nach wenigen Minuten teilte sie uns mit, sie wolle bereitwillig Auskunft geben. Wir haben sie eine Nacht lang verhört. Dabei erfuhren wir alles, was sie wußte.«

»Sicher habt ihr dem Mädchen daraufhin die Freiheit geschenkt«, sagte ich lächelnd. »Nach all der Hilfe . . .«

»Soweit ich mich erinnere, hatten wir ihr so etwas versprochen«, erwiderte er, »haben es aber später wieder vergessen. Wir haben sie als Sklavin behalten. Wir wollten ihre Talente nicht brachliegen lassen.«

»Das gehört sich auch so«, sagte ich. »Was habt ihr im einzelnen von der ehemaligen Miß Cardwell erfahren?«

»Viele interessante Dinge, doch vor allem eine Tatsache die Schwäche des Nests der Priesterkönige!«

»Daraufhin werdet ihr nun angreifen?«

»Das wird gar nicht nötig sein.«

»Ein neuer Plan?«

»Vielleicht.«

»Natürlich braucht ihre Aussage nicht zu stimmen«, sagte ich.

»Ihre Angaben entsprechen denen anderer Leute, die vor langer Zeit aus dem Sardargebirge geflohen sind.«

Dabei handelte es sich wahrscheinlich um die ehemaligen menschlichen Nestbewohner, die sich nach dem Nestkrieg dafür entschieden hatten, an die Oberfläche Gors zurückzukehren.

»Aber sind diese Berichte denn wirklich wahr?« fragte ich. »Oder nimmt man nur in ehrlicher Überzeugung an, daß sie wahr sind?«

»Natürlich könnte es sich um eingepflanzte Erinnerungen handeln«, räumte Ibn Saran ein. »Vielleicht ist das Ganze ein Trick, der uns zu einem Angriff auf die Priesterkönige verleiten soll.«

Ich schwieg.

»Wir beziehen eine solche Möglichkeit durchaus in unsere Pläne ein«, sagte er. »Entsprechend behutsam sind wir vorgegangen.«

»Aber jetzt kommt es vielleicht nicht mehr so darauf an?« fragte ich.

»Jetzt kommt es überhaupt nicht mehr darauf an. Wir brauchen nicht mehr atemlos dem Geplapper von Sklavinnen zu lauschen.«

»Ihr habt eine neue Strategie?« fragte ich.

»Kann sein«, erwiderte er lächelnd.

»Vielleicht kannst du dein Geheimnis einem Manne anvertrauen, dessen Zukunft in den Salzgruben von Klima liegt . . .«

Er lachte. »Du könntest mit Wächtern darüber sprechen.«

»Du könntest mir die Zunge herausschneiden lassen.«

»Und sollte ich dir auch die Hände abhacken lassen?« Er lachte. »Was könntest du uns in den Gruben dann noch nutzen?«

»Woher weißt du, daß Vella früher einmal Elizabeth Cardwell hieß?«

wollte ich wissen.

»Das verrieten uns ihre Fingerabdrücke«, erwiderte er. »Ihr Akzent und gewisse andere Eigenarten ließen darauf schließen, daß sie von der Erde stammte. Ihre Abdrücke stimmten mit denen in unseren Unterlagen überein sie war Miß Elizabeth Cardwell, nach Gor verschleppt und versklavt, um einen Briefkragen zu den Tuchuks zu bringen.«

Ich erinnerte mich an den Kragen. Als ich sie auf den Ebenen der Wagenvölker zum erstenmal erblickte, zerlumpt, eine Gefangene der Tuchuks, hatte sie diesen Kragen getragen. Damals verstand sie kaum etwas von den Dingen, die um sie herum vorgingen. Ganz so unschuldig war das Mädchen heute nicht mehr.

»Der Briefkragen«, fuhr Ibn Saran fort, »führte leider nicht zu deinem Tod, zur Unterbrechung deiner Suche nach dem letzten Ei der Priesterkönige.« Er lächelte. »Im Gegenteil das Mädchen wurde sogar deine Sklavin.«

»Ich habe sie befreit.«

»Weichherziger Dummkopf!« sagte er. »Jedenfalls kümmerten wir uns näher um sie, wußten wir doch, daß sie dich mit dem letzten Ei der Priesterkönige ins Sardargebirge begleitet hatte. Wir suchten weitere Verbindungen. Sehr bald wurde uns klar, daß sie deine Verbündete gewesen war, deine Helferin beim Sturz des Hauses von Cernus, eines unserer fähigsten Agenten.«

»Wie seid ihr nur darauf gestoßen?«

»Ein Mann, der das Haus Cernus kannte, wurde in meinen Palast gebracht. Zum Entsetzen des Mädchens hat er sie sofort erkannt. Wir entkleideten sie und steckten sie zu den Urts in das Verlies.«

»Und daraufhin verriet sie die Priesterkönige?« fragte ich.

»Absolut.«

»Und jetzt dient sie den Kurii?«

»Sie dient uns gut«, sagte er. »Und ihr Körper ist eine Wonne. Sie scheint dich zu hassen sie hat mir größter Freude gegen dich ausgesagt.«

»Ich verstehe«, sagte ich.

»Die Rache einer Frau ist ernst zu nehmen.«

»Da magst du recht haben.«

»Ein Punkt hat ihr Sorgen gemacht«, fuhr Ibn Saran fort. »Sie hatte Angst, daß du aus Klima fliehen könntest.«

»Oh?«

»Aber ich versicherte ihr, daß eine Flucht von dort ganz unmöglich sei.«

»Sie hat dir gut gedient«, sagte ich.

»Sie hat uns mehr geholfen als erwartet. Als du in die Oase der Neun Brunnen kamst, hat sie dich heimlich beobachtet und sofort erkannt eine ausgezeichnete kleine Sklavin. Und eine höchst temperamentvolle Gefährtin auf den Kissen.«

»Hübsche Vella«, sagte ich.

»In den Gruben von Klima sollst du an sie denken, Salzsklave!«

Mit wehendem Umhang wandte er sich zum Ausgang und verließ die Zelle, gefolgt von seinen Männern.

Ich nahm nicht an, daß man mich wirklich in die Salzgruben von Klima schicken würde.

Folglich überraschte es mich nicht, daß eine Stunde später zwei in weite Umhänge gekleidete Männer verstohlen im Flur vor meiner Zellentür erschienen.

In Anbetracht der Unruhe zwischen den Kavars und den Aretai war es vermutlich nicht ungefährlich, einen Sklaven nach Klima zu bringen. Durchaus denkbar, daß die Sträflingskarawane überfallen wurde. An Ibn Sarans Stelle wäre ich dieses Risiko nicht eingegangen. Meine Zellentür wurde geöffnet.

»Tal, edler Ibn Saran«, sagte ich, »und großmütiger Hamid, Leutnant Shakars.«

Ibn Saran hatte den Krummsäbel gezogen. Ich bewegte mich in meinen Ketten. Die beiden Männer hatten keine Lampe bei sich, doch das Mondlicht war hell genug, daß wir uns deutlich erkennen konnten.

»Offensichtlich«, sagte ich, »soll ich die Salzgruben von Klima gar nicht erst erreichen.«

Ich beobachtete den Krummsäbel. Ich nahm nicht an, daß die beiden mich in der Zelle umbringen würden, was den Magistraten der Neun Brunnen doch etwas unerklärlich vorkommen würde als ein Ereignis, das gründlich untersucht werden mußte.

»Du irrst dich in uns«, sagte Ibn Saran.

»Und wie!« sagte ich. »In Wirklichkeit seid ihr heimliche Agenten der Priesterkönige und erweckt nur den Anschein, für die Kurii zu arbeiten. Vor euren Männern mußtet ihr die Rolle natürlich weiterspielen, damit eure wahre Loyalität nicht offenbar wurde. Zweifellos habt ihr alle in die Irre geführt doch bei mir gelingt euch das nicht.«

»Du hast einen wachen Verstand«, bemerkte Ibn Saran.

»Offensichtlich wollten die Kurii mich töten sie schickten einen ihrer Artgenossen zu mir. Ihr aber habt mich vor den gnadenlosen Fängen gerettet.«

Ibn Saran neigte den Kopf und steckte seinen Krummsäbel in die Scheide.

»Wir haben nicht viel Zeit«, sagte er. »Draußen wartet deine gesattelte Kaiila. Eine Waffe hängt am Sattel, außerdem Wasserbeutel.«

»Aber wo ist der Wächter?« fragte ich.

»Er war draußen«, sagte Ibn Saran. »Wir haben ihn für dich umgebracht.«

»Ah«, sagte ich.

»Wir bringen die Leiche in die Zelle, sobald dir die Flucht gelungen ist.«

Die Klammern um meine Hand und Fußgelenke waren mit Schlössern gesichert. Hamid zog einen Schlüssel hervor und öffnete sie. »Und Hamid«, fuhr ich fort, »brachte Suleiman absichtlich nicht um, sondern stellte sich ungeschickt und verwundete ihn nur.«

»Genau«, stimmte mir Ibn Saran zu.

»Wenn ich ihn hätte töten wollen«, sagte Hamid gepreßt, »hätte ich ihn auch getroffen.«

»Zweifellos«, bemerkte ich.

»Um unserer Rolle in den Augen der Kurii gerecht zu werden, mußten wir den offenkundigen Versuch unternehmen, dich aufzuhalten, dich daran hindern, deine Mission für die Priesterkönige zu erfüllen.«

»Natürlich«, sagte ich. »Aber nachdem nun der Schein gewahrt ist, befreit ihr mich, damit ich meine Arbeit fortsetzen kann.«

»Richtig«, sagte Ibn Saran.

Hamid zog Hammer und Meißel unter seinem Mantel hervor. »Öffne den Metallkragen«, sagte ich zu ihm. »Beschränke dich nicht darauf, nur die Kettenglieder abzumachen. Das dauert zwar länger, ist aber viel bequemer.«

»Man wird uns hören!« rief Ibn Saran.

»Ich bin sicher, daß uns niemand hört.« Ich lächelte. »Es ist spät.«

Ich hatte einen besonderen Grund für den Wunsch, meine Flucht um etwa eine Viertel-Ahn zu verlängern.

»Öffne ihm den Kragen«, befahl Ibn Saran ärgerlich.

»Wir haben eine schöne Mondnacht«, stellte ich fest. »Das erleichtert mir die Flucht, kann ich doch deutlich erkennen, welchen Weg ich einschlage.«

Ibn Sarans Augen blitzten, »Ganz recht«, sagte er.

»Es freut mich zu erfahren, daß ihr für die Priesterkönige arbeitet.«

Ibn Saran neigte den Kopf.

»Müßt ihr nicht eine Erklärung finden für meine Flucht?«

»Der Wächter wurde bestochen«, sagte Ibn Saran. »Doch du hast die Vereinbarung nicht eingehalten und ihn getötet.«

»Wir lassen die Leiche hier neben den Werkzeugen liegen«, sagte Hamid.

»Ihr habt alles gründlich überlegt«, stellte ich anerkennend fest. Ich schob meinen Hals aus dem Kragen, dessen Kante mir die Haut ritzte. Das Metallstück baumelte nun an der Wand, gehalten von den beiden kurzen Ketten. Das Aufstehen war sehr schmerzhaft. Ich bewegte Arme und Beine und fragte mich, wie weit mich die beiden kommen lassen würden. Wenn es stimmte, daß meine Kaiila auf mich wartete, wollte man vermutlich in der Wüste über mich herfallen, wahrscheinlich kurz nach Verlassen der Oase.

Die Angelegenheit schien gut durchgeplant zu sein. Offenbar hielten die Männer diese Aktion für sicherer als den Marsch in der Sträflingskarawane.

Ich verließ die Zelle. Draußen lag Kleidung auf einem Tisch. Ich zog mich an. Es waren meine Sachen. Ich überprüfte meine Geldbörse. Sie enthielt die Edelsteine, die ich nach meiner Verhandlung mit Suleiman dorthin gesteckt hatte.

»Waffen?« fragte ich.

»Ein Krummsäbel am Sattel«, sagte Ibn Saran.

»Ich verstehe. Und Wasser?«

»Ebenfalls am Sattel.«

»Offenbar verdanke ich dir nun schon zum zweitenmal mein Leben«, sagte ich. »Heute nachmittag hast du mich vor dem Angriff des Ungeheuers gerettet und jetzt befreist du mich und ersparst mir damit die Salzgruben von Klima. Ich stehe tief in deiner Schuld.«

»Du würdest an meiner Stelle genauso handeln.«

»Ja«, sagte ich.

Sein Blick verschleierte sich.

»Beeil dich«, sagte Hamid. »Der Wächter wird bald abgelöst.«

Ich erstieg die Treppe, durchquerte den Vorraum und trat durch das Portal ins Freie.

»Nicht so auffällig«, sagte Ibn Saran. »Sieh dich vor!«

»Niemand beobachtet uns«, versicherte ich ihm lächelnd. »Es ist spät.«

Ich erblickte die Kaiila mein Tier. Es war gesattelt, an der Flanke hingen Wasserbeutel herab; rechts baumelte an Riemen eine Säbelscheide mit einer Waffe. Ich überprüfte den Sattelgurt und die Zügel. Alles war in Ordnung. Ich hoffte, daß man das Tier nicht betäubt hatte. Ich ließ die Hand vor den Augen der Kaiila vorbeifahren. Das Tier blinzelte sogar mit dem dritten, dem durchsichtigen Lid. Sanft berührte ich seine Flanke und spürte das zuckende Fleisch unter meinem Finger.

»Was machst du da?« fragte Ibn Saran.

»Ich begrüße meine Kaiila«, erwiderte ich.

Die Reflexe des Tiers schienen in Ordnung zu sein. Vermutlich war es nicht betäubt worden. Hatte man ihm ein schnell wirkendes Mittel gegeben, mußte die ViertelAhn Verzögerung, die ich herausgeholt hatte, ausreichen, um die Veränderung im Verhalten sichtbar zu machen. Und ein langsam wirkendes Gift war sicher nicht verwendet worden, denn bei einer solchen Aktion war die Zeit ein wichtiger Faktor. Ibn Saran hätte es niemals riskiert, mir auf einer schnellen Kaiila eine Ahn Vorsprung zu gewähren. Ich freute mich, daß das Tier offenbar im Vollbesitz seiner Kräfte war.

Plötzlich kam mir der Gedanke, daß Ibn Saran und Hamid vielleicht tatsächlich Agenten der Priesterkönige waren, wie sie behaupteten. Wenn das stimmte, hatte meine Handlungsweise sie in Lebensgefahr gebracht.

Ich stieg auf.

»Mögen deine Wasserbeutel niemals leer sein«, sagte Ibn Saran. »Auf daß du immer Wasser hast.« Er legte die Hand auf den prallen Wasserbeutel links hinter dem Sattel, ergänzt durch eine gleich schwere Last auf der anderen Seite.

»Mögen deine Wasserbeutel niemals leer sein«, erwiderte ich. »Auf daß du immer Wasser hast.«

»Reite nach Norden«, riet mir Ibn Saran.

»Vielen Dank«, sagte ich und bohrte dem Tier die Hacken in die Flanken. Sand spritzte unter den Hufen auf, und ich lenkte die Kaiila nach Norden.

Kaum war ich außer Hörweite der beiden Männer und in Dekkung zwischen den Mauern der Oasengebäude, als ich die Zügel anzog. Ich blickte zurück und bemerkte hoch über mir im Mondlicht einen Pfeil mit einem Silberschweif. Das Geschoß stieg in den Himmel empor, wurde immer langsamer, schien schließlich zu verharren und stürzte in anmutigem Bogen zur Erde zurück. Das Mondlicht spiegelte sich funkelnd auf dem silbrigen Streifen.

Ich kontrollierte die Pfoten der Kaiila und fand das Gesuchte an der rechten Vorderpfote. Ich entfernte den winzigen abgerundeten Wachsball, der von Schnüren an Ort und Stelle gehalten wurde. Innerhalb des Wachses, das sich beim Reiten durch die Körpertemperatur des Tiers bald aufgelöst hätte, fand ich eine Nadel. Ich roch daran; die Spitze war mit Kanda eingeschmiert, einem gefährlichen Gift, das aus den Bodenwurzeln des Kandabusches gewonnen wird. Ich wischte die Nadel ab, säuberte sie mit einem Stück Tuch und warf Nadel und Tuch in einen Abfallhaufen.

Dann kostete ich von dem Wasser. Wie erwartet gesalzen. Das Wasser war nicht genießbar.

Ich zog den Krummsäbel aus der Scheide. Die Waffe hatte ich noch nie gesehen. Ich untersuchte sie und fand die sorgfältig eingefeilte Stelle dicht unter dem Griff. Ich ließ die Waffe leicht in den Sand fallen; die Klinge brach am Griff ab. Ich versteckte Griff und Klinge in dem Abfallhaufen. Dann zog ich die Kaiila in den Schatten.

Zwei Männer ritten vorbei Ibn Saran und Hamid.

Ich schüttete das Salzwasser in den Sand. Es war spät. Ich beschloß, mir für die Nacht eine Schänke zu suchen.

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