18

»Es ist dort«, sagte Hassan. »Aber es wäre Wahnsinn, sich dem Geschöpf zu nähern.«

»Es hätte uns im Graben töten können«, gab ich zurück. »Aber das hat es nicht getan.«

Zu unserer Überraschung hatte der Sturm nachgelassen, nach kaum einem Tag. Die Landschaft schien sich unmerklich verändert zu haben; dennoch hatten wir keine Mühe, unseren Graben wiederzufinden. Wir waren in dem Sturm nicht weit gekommen etwa einen Pasang, ehe wir von den Füßen gerissen wurden, uns am Boden hinkauerten und unsere Köpfe und das Wasser zu schützen versuchten. Mit leichter Drehung nach Norden hatte der Sturm nachgelassen so plötzlich, wie er gekommen war.

»Es wird noch andere Stürme geben«, sagte Hassan. »Wir müssen uns absetzen, ehe es noch schlimmer wird.« »Ich kehre zum Graben zurück«, sagte ich. »Ich begleite dich.«

Von einer kleinen Anhöhe aus vermochten wir die Überreste des Grabens auszumachen, der fast völlig wieder aufgefüllt war. Die Sonne stand hoch am Himmel. Neben dem Graben, halb mit Sand bedeckt, lag der Kur.

Als wir uns dem Wesen näherten, drehte es den Kopf in unsere Richtung. »Es lebt noch«, sagte Hassan.

»Es scheint geschwächt zu sein«, bemerkte ich. »Wir sind ebenfalls geschwächt. Wir haben kaum noch die Kraft, unser Wasser zu tragen.«

Wir gingen um den Kur herum, der die Augen schloß. Das lange Fell war sandverkrustet.

Ich hockte mich in seiner Nahe nieder. Das Geschöpf öffnete die Augen und sah mich an.

An der linken Vorderpfote oder Hand befand sich an einem der sechs Glieder ein schwerer Ring, der anscheinend aus Gold bestand. Ein solches Schmuckstück hatte ich bisher noch bei keinem Kur gesehen. Arm und Beinreifen waren mir schon aufgefallen, auch Ohrschmuck, doch kein Ring, der um ein einzelnes Fingerglied paßte. Kurii sind eitle Geschöpfe.

»Ich habe diesen Kur schon einmal gesehen«, sagte ich. Ich kannte das Wesen aus einem Verlies in Port Kar. Sechs Männer waren bei der Gefangennahme gestorben, ehe das Geschöpf in Samos’ Haus gebracht werden konnte. Die sandigen Augen besaßen schwarze Pupillen, die Iris wirkte hell, die ledrige Schnauze machte einen trockenen Eindruck, die Lippen waren hochgezogen, die schwarze Zunge schien geschwollen zu sein. Daß dieser Kur auf dem Weg in die Wüste gewesen war, gehörte zu dem Rätsel, welches meine Reise in die Tahari ausgelöst hatte. Was hatte er in der Tahari zu suchen?

»Er wird bald sterben«, sagte Hassan. »Laß ihn in Ruhe.«

Ich blieb neben dem Kur hocken. »Er braucht Wasser«, sagte ich.

»Geh nicht näher ran!« warnte mich Hassan.

Es gibt wohl kaum einen schrecklicheren Gegner für den Menschen als die mächtigen Kurii wenn man von anderen Menschen absieht. Die Kurii und die Priesterkönige führten einen erbarmungslosen Krieg gegeneinander; dabei ging es um zwei Welten, zwei Planeten um Gor und die Erde. Die Menschen schienen nur unbedeutende Verbündete zu sein in dieser Auseinandersetzung wem sie auch dienen mochten. Vor uns lag mein Feind, hilflos. »Töte ihn«, sagte Hassan.

»Dieses Geschöpf ist intelligent«, sagte ich. »Und es braucht Hilfe.«

»Hör mit diesem Wahnsinn auf!« drängte Hassan.

Ich hob den pelzigen Kopf, der gut einen Fuß durchmaß. Zwischen die scharfen Fangzähne schob ich die Tülle meines Wasserbeutels. Die Klauen des Wesens hoben sich langsam und legten sich um den Wasserbeutel. Ich sah, wie sie Druck auf das Material ausübten; die mächtigen Klauen waren insgesamt mehr als fünfzehn Zoll breit. Das Wesen besaß sechs kurze Finger. Weich schimmerte der goldene Ring, der in der Mitte ein winziges Silberviereck aufwies. »Heute früh«, sagte ich, »vor Anbrach des Tages, hätte uns der Kur mühelos töten und uns das Wasser abnehmen können. Aber er hat es nicht getan.« Hassan antwortete nicht.

Langsam richtete der Kur sich auf. Ich schloß den Beutel, in dem nicht mehr viel Wasser verblieben war. Für einen Menschen reichte es gerade noch einen Tag.

Hassan trat einen Schritt zurück.

Der Kur wandte sich von uns ab. Langsam hob er den Kopf, als spüre er das Wasser durch seinen Körper rieseln. Es war ein erschreckender Anblick, vermittelte er uns doch das Gefühl, das Wesen erwache jetzt zum Leben. Und ein Kur im Vollbesitz seiner Kräfte ist schrecklich.

»Du bist wahnsinnig!« flüsterte Hassan. »Die Wüste hätte das Geschöpf für dich getötet.«

»Es hat uns nicht getötet, als es dazu in der Lage war. Es hat uns nicht das Wasser abgenommen.«

»Die Wüste, der Sturm das hat ihm den Geist verwirrt«, sagte Hassan.

»Aber jetzt reagiert es bestimmt normal.«

Ich beobachtete den Kur, der auf alle viere niederging, ehe er sich in eine halb geduckte Position erhob, leicht auf die Knöchel seiner Hände gestützt. Das Geschöpf ließ sich plötzlich durch den Sand rollen und stand wieder auf. Es streckte uns eine Tatze entgegen; darin baumelte ein ausgerissener Busch mit langen Wurzeln.

Der Kur schleuderte die Pflanze von sich, sprang in den Sand und hieb mit der rechten Faust in den Sand. Dann fuhr er die mächtigen Krallen aus und schaufelte damit durch den Sand, den er hinter sich schleuderte. Dann richtete er sich auf, heulte, ging wieder auf alle viere nieder und drehte sich in unsere Richtung. Seine Augen wirkten nun grellgelb. An der Schnauze zeigte sich eine Schweißschicht. Die Zunge fuhr über die Lippen, die wieder feucht waren.

Wenige Fuß vor uns hielt der Kur inne. Ich wußte, daß er zwei unbewaffnete Männer mühelos töten konnte.

Doch er griff nicht an. Statt dessen sah er mich an und deutete auf das Dünenland.

Dann richtete er sich auf; vielleicht wollte er mehr wie ein Mensch aussehen. Dabei fiel mir auf, daß das Geschöpf an mehreren Stellen verwundet worden war. Da und dort wies das Fell Narben und Schnitte auf wie von Krummsäbeln, erst halb verheilt. Das Wesen schien einmal viel Blut verloren zu haben.

»Ich kenne diesen Kur«, sagte ich und betrachtete das Wesen.

»Verstehst du mich?«

Das Geschöpf ließ sich nicht anmerken, ob es mich verstanden hatte.

»Dieses Wesen habe ich aus einem Verlies in Port Kar befreien lassen«, sagte ich zu Hassan. »In einem Hof in Tor hatten sich mehrere Männer auf die Lauer gelegt, um mich umzubringen. Doch sie wurden auf eine Weise vernichtet, wie es nur ein Kur vermag. Später saß ich in der Oase der Neun Brunnen im Gefängnis da kam mir ein Kur zu Hilfe, den ich aber seltsamerweise nicht sehen konnte. Er hätte mich mühelos umbringen können, da ich hilflos angekettet war. Doch er tötete mich nicht. Vielleicht hatte er die Absicht, mich zu befreien. Doch Ibn Saran und seine Männer stürmten in die Zelle. Das Geschöpf saß in der Falle und wurde schwer verwundet. Ibn Saran sagte mir hinterher, er hätte das Ungeheuer umgebracht. Aber das stimmte nicht, denn dies ist derselbe Kur. Ich kenne ihn, Hassan. Er ist mein Verbündeter vielleicht nur im Augenblick, doch steht er eindeutig auf meiner Seite. So seltsam sich das auch anhören mag, Hassan, ich glaube, daß wir im Augenblick ein gemeinsames Ziel haben.«

»Ein Mensch und ein Kur!« sagte Hassan. »Unmöglich!«

Der Kur deutete auf das Dünenland.

Ich wandte mich an Hassan. »Ich wünsche dir alles Gute«, sagte ich.

»Es ist Wahnsinn, ins Dünenland zurückzukehren«, sagte er. »Wir haben fast kein Wasser mehr.«

»Versuche die Vier Palmen zu erreichen«, sagte ich. »Deine Loyalität gehört dem Stamm. Es wird bald Krieg geben in der Tahari. Wenn die Kavars in den Kampf reiten, mußt du bei ihnen sein.«

»Du stellst mich vor eine schwere Wahl«, sagte Hassan. »Vor die Wahl zwischen meinem Bruder und meinem Stamm.« Nach kurzem Schweigen sagte er: »Ich bin ein Mann der Tahari. Ich muß meinen Bruder wählen.«

»Das Wasser entscheidet diese Frage«, sagte ich. »Dein Stamm wartet auf dich.«

Hassan blickte auf den Kur und schließlich auf mich. Dann sah er mich an. »Ich wünsche dir alles Gute, mein Bruder«, sagte er und lächelte. »Mögen deine Wasserbeutel niemals leer sein. Auf daß du immer Wasser hast.«

»Mögen deine Wasserbeutel niemals leer sein«, erwiderte ich. »Auf daß du immer Wasser hast.«

Hassan wandte sich ab. Meine besten Wünsche begleiteten ihn. Ich hoffte, daß er die Oase der Vier Palmen erreichte.

Der Kur hatte sich bereits in Bewegung gesetzt; mit mächtigen trabenden Schritten zog er los, näherte er sich der langen ungleichmäßigen Kette der Dünen, die sich zu unserer Linken erstreckte. Ich folgte ihm.

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