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Die Kampfkaiila stieg auf die Hinterhand und stürzte sich auf das andere Tier. Die vorderen Klauen, die mit Schützern versehen waren, wirbelten durch die Luft, während sich die Hinterbeine in den Sand stemmten. Der lange, anmutige Hals reckte sich vor, das riesige, mit Fängen bewehrte Maul, das allerdings mit Lederriemen zugebunden war, traf den Reiter des anderen Tiers. Er wehrte den Angriff mit dem Schild ab und hieb mit der mächtigen gekrümmten Klinge nach mir.

Der Mann galoppierte an mir vorbei, zog sein Tier herum und verharrte einen Augenblick lang.

Ich bereitete mich auf den nächsten Angriff vor.

Zehn Tage lang trainierten wir nun schon, zehn goreanische Stunden am Tag. Von den letzten vierzig Angriffen waren acht unentschieden ausgegangen. In zweiunddreißig Fällen hatte man mich zum Sieger erklärt.

Mein Gegner zog den dunkelgelben Sandschutz von seinem dunklen Gesicht und rückte seinen Burnus zurecht. Der Mann hieß Harif und galt als der beste Säbelkämpfer in Tor.

»Bring uns Salz«, sagte er zu dem Schiedsrichter.

Der Schiedsrichter wandte sich an einen Jungen, der ihm einen Teller mit Salz reichte.

Der Krieger ließ sich aus dem Sattel gleiten und näherte sich zu Fuß meinem Tier.

Ich hob die messerscharfe gekrümmte Klinge meines Säbels. Vorsichtig steckte ich sie in die Scheide und glitt aus dem Sattel. Die Zügel reichte ich dem Jungen.

»Ich kann dir nichts mehr beibringen«, sagte Harif. »Möge Salz zwischen uns sein.«

»Möge Salz zwischen uns sein«, erwiderte ich.

Er nahm eine Prise Salz von dem Teller und tat sie auf seinen rechten Handrücken. Dann sah er mich an. »Ich hoffe, daß du dich über mich nicht lustig gemacht hast.«

»Nein«, sagte ich.

»In deiner Hand«, fuhr er fort, »erwacht der Stahl zum Leben, wird zum Raubvogel.«

Der Schiedsrichter nickte. Die Augen des Jungen leuchteten. »Ich habe so etwas noch nicht erlebt«, sagte Harif. »Wer bist du?«

Ich streute eine Prise Salz auf meinen rechten Handrücken. »Ein Mann, der Salz mit dir teilt«, erwiderte ich.

Mit der Zunge berührte ich das Salz im Schweiß seiner rechten Hand, und er tat das gleiche bei mir.

»Wir haben Salz geteilt«, sagte er.

Im nächsten Augenblick drückte er mir die goldene Tarnscheibe aus Ar in die Hand, mit der ich meinen Waffenunterricht bezahlt hatte.

»Das Geld gehört dir«, sagte ich.

»Wie ist das möglich?« fragte er.

»Ich verstehe nicht, was du meinst«, sagte ich.

Er lächelte. »Wir haben Salz geteilt«, sagte er.

Farouk aus Kasra hatte sich freundlicherweise bereit erklärt, im letzten Stadium meiner Ausbildung als Schiedsrichter zu fungieren. Er war Kaufmann und lagerte zur Zeit in der Nähe der Stadt, während er Kaiila kaufte für eine Karawane zur Oase der Neun Brunnen. Diese Oase wird von Suleiman geführt, dem Herrn über tausend Lanzen, Suleiman vom Stamme der Aretai.

Farouks Sohn hatte uns bei den Kämpfen assistiert. Er hieß Achmed. Er war es gewesen, der vor vielen Monaten die Felseninschrift ›Vorsicht vor dem Stahlturm‹ entdeckt hatte.

Farouk aus Kasra wollte am nächsten Morgen zur Oase der Neun Brunnen aufbrechen und hatte sich erboten, mich mitzunehmen. Am frühen Morgen würde sein Sohn am Südtor auf mich warten und mich dann zur Karawane führen.

Ich war nun auf dem Rückweg in die Stadt, um Alyena zu holen. Meine Pläne schienen sich erwartungsgemäß zu entwickeln. Auf unserem Weg zur Oase der Neun Brunnen würden wir an dem Stein vorbeikommen, den Achmed entdeckt hatte. Dieser Stein sollte der Ausgangspunkt für meine weitere Suche sein. Anschließend wollte ich die Oase der Neun Brunnen aufsuchen, wo es Vorräte und Wasser zu ergänzen galt. Ich wollte versuchen, einen Führer zu finden, zu dem Felsen zurückkehren und in östlicher Richtung durch die Tahari wandern. Durch Befragen von Oasenbewohnern und von Nomaden, die sich zweifellos da und dort in der Wüste aufhielten, hoffte ich im Laufe der Zeit genügend Informationen zusammenzutragen, um den geheimnisvollen Turm aus Stahl zu finden. Ich hielt es für wahrscheinlich, daß ein solcher Turm existierte. Ich nahm nicht an, daß der Mann, der die Buchstaben in den Stein geritzt hatte, einer Fata Morgana erlegen war, ehe er starb. In den Fieberträumen Sterbender treten gewöhnlich keine Stahltürme auf. Irgend etwas hatte den Mann durch die Wüste getrieben, der Wunsch, eine Information weiterzugeben. Offensichtlich war er ein Wüstenräuber gewesen, doch hatte er anscheinend das Gefühl gehabt, er müsse die Zivilisation vor einem Stahlturm warnen. Ich war einigermaßen sicher, daß es diesen Turm gab. Doch konnte ich mir kaum eine Chance ausrechnen, das Gebilde zu finden, indem ich blindlings in die Wüste hinausmarschierte. Ich mußte mir von Nomaden und anderen helfen lassen, in der Hoffnung, einen Mann zu finden, der von dem Turm gehört oder ihn sogar gesehen hatte.

Die Straßen Tors lagen im Dunkeln. Sie waren uneben gepflastert und stellenweise sehr steil. Da und dort brannte eine einsame Laterne. Ich glaubte Schritte hinter mir zu hören. Vorsichtig schob ich meinen Burnus zurück und zog den Krummsäbel. Dann wartete ich. Doch es war nichts mehr zu hören.

Ich wanderte weiter. Es blieb still hinter mir. Nichts rührte sich in der Dunkelheit.

Ich mochte noch einen halben Pasang von meiner Wohnung entfernt sein, als ich plötzlich stehenblieb. Etwa vierzig Meter vor mir gähnte ein offenes Tor, erleuchtet durch Fackeln an den Mauern. Dahinter lag ein kleiner Hof, den ich überqueren mußte.

Ich sah einen Schatten, der hinter einem der beiden geöffneten Torflügel verschwand.

Zugleich hörte ich die Schritte von Männern hinter mir. Es waren fünf. Die ersten beiden schlug ich kurzerhand nieder. Die Krummsäbel der drei übrigen lenkte ich mit meiner Klinge ab und sprang zurück. Klugerweise trennten sich die Kämpfer und schlichen geduckt näher. Ich ging auf Abstand, in der Hoffnung, den Mann in der Mitte in einen Kampf verwickeln zu können, wodurch er mindestens einen seiner Mitstreiter behindern mußte, je nachdem, in welche Richtung ich mich wandte. Doch er hielt sich im Hintergrund, während die beiden Männer an den Flanken näher kamen. Welchen von den beiden ich auch angriff, er brauchte sich nur zu verteidigen die beiden anderen hatten dann eine gute Chance, mich zu überwältigen.

Diese Männer waren keine gewöhnlichen Straßendiebe.

Plötzlich blieben die Angreifer wie angewurzelt stehen. Ich erstarrte. Einer warf seinen Krummsäbel fort. Die drei machten kehrt und ergriffen die Flucht.

Hinter mir hörte ich das mächtige Tor zufallen. Mit dumpfem Knirschen senkte sich der Querbalken in die Halterungen.

Ich fuhr herum. Außer dem geschlossenen Tor war nichts zu sehen. Die Fackeln brannten unruhig.

Im nächsten Augenblick ertönte auf der anderen Seite der Mauer ein durchdringender Entsetzensschrei.

Ich wußte in diesem Augenblick nicht, wie viele Männer im Hof auf mich gewartet hatten. Vermutlich entkam keiner seinem Schicksal. Mit gezogenem Krummsäbel wartete ich außerhalb des geschlossenen Tors.

Schräg über mir ging ein Fenster auf. »Was geht da vor?« rief ein Mann. Auch in anderen Fenstern erschienen Lichter. Ich erblickte eine verschleierte Frau, die vorsichtig in die Nacht hinausstarrte. Es konnten nur wenige Ehn vergangen sein, als die ersten Männer mit Fackeln und Lampen auf die Straße eilten. Von der anderen Seite der Mauer tönte ebenfalls Lärm herüber. Innerhalb des Hofes schien sich etwas zu bewegen. Ich hörte eine Frau kreischen. Durch den schmalen Spalt zwischen den Torflügeln sah ich Gestalten mit Fackeln. »Öffnet das Tor!« rief ein Mann neben mir und hämmerte gegen das Holz. Wir hörten, wie der schwere Balken angehoben wurde. Von unserer Seite schoben vier Männer das Tor auf. Die Menge im Hof wich zurück. Fackeln wurden gehoben, Blicke richteten sich auf das Pflaster des Hofes. Meine Augen suchten zuerst die hohen Mauern und benachbarten Dächer ab, ehe ich den Blick nach unten richtete. Elf Männer lagen dort, nein die fürchterlich aussehenden Überreste von Männern.

»Was mag hier gewütet haben?« flüsterte ein Mann.

Vier Männer waren förmlich enthauptet, zwei anderen war der Kopf halb abgebissen worden. Andere Tote waren entsetzlich verstümmelt. Ich kannte diese Art von Wunden: zwei Männer hatten die Arme verloren, einer ein Bein, die Spuren mächtiger Zähne waren deutlich sichtbar. Ich kannte diese Spuren, in Torvaldsland hatte ich sie oft genug gesehen. Das Opfer wird an Hals und Schultern gepackt, während die kräftigen Klauenfüße den Unterleib zerfetzen und die mächtigen Kiefer die Schädelknochen zermalmen.

Ich machte kehrt und verließ den Hof. Neben den beiden anderen, die vor dem Tor meinem Krummsäbel zum Opfer gefallen waren, standen mehrere Bürger.

Ich musterte die beiden. »Kennst du sie?« fragte ich einen Mann.

»Ja«, sagte er. »Zed und Saud, Männer Zev Mahmouds.«

»Die bringen niemanden mehr um«, bemerkte ein anderer.

»Wo kann ich wohl den ehrenwerten Zev Mahmoud erreichen?«

erkundigte ich mich.

»Er und seine Männer sind oft im Cafe der Sechs Ketten zu finden«, sagte der Mann.

Ich bedankte mich, wischte meine Klinge am Burnus eines Toten ab und steckte die Waffe fort.

Als ich aufblickte, sah ich den kleinen Wasserverkäufer auf mich zueilen, den ich schon mehrfach getroffen hatte.

»Hast du das gesehen?« fragte er mit bleichem Gesicht und begann zu zittern. »Es war schrecklich!«

»Ich hab’s gesehen«, sagte ich und deutete auf die beiden Toten zu meinen Füßen. »Kennst du diese Männer?« fragte ich.

Er starrte sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Nein«, sagte er. »Sie sind fremd in Tor.«

»Ist es jetzt nicht schon ein bißchen spät zum Wasserverkaufen?« fragte ich.

»Ach, ich wohne hier ganz in der Nähe«, erwiderte er und zog sich zurück.

Ich wandte mich an den Mann, mit dem ich zu Anfang gesprochen hatte.

»Wohnt er wirklich hier?« fragte ich.

»Nein«, erwiderte der Mann. »Er ist in der Nähe des Osttors zu Hause.«

»Kennst du ihn?«

»Er ist in Tor ziemlich bekannt«, erwiderte der Mann.

»Und wie heißt er?«

»Abdul«, entgegnete der Mann.

»Zev Mahmoud?« fragte ich.

Der untersetzte Mann in Kaffiyeh und Agal hob ärgerlich den Kopf und erbleichte.

Die Spitze meines Krummsäbels zeigte auf seinen Hals.

»Auf die Straße!« sagte ich zu ihm und wandte mich den beiden Männern zu, die ihm gegenüber mit untergeschlagenen Beinen an dem kleinen Tisch saßen. Ich machte eine Kopfbewegung. »Auf die Straße!«

wiederholte ich.

»Wir sind aber zu dritt«, sagte Zev Mahmoud mahnend.

Doch ich blieb bei meinem Befehl.

Die Männer sahen sich an. Zev Mahmoud lächelte. »Also schön«, sagte er.

Einer von ihnen, der seinen Krummsäbel verloren hatte, ließ sich von einem Gast des Cafes eine Waffe geben.

»Wir verdienen uns noch unser Geld«, sagte er zu Zev Mahmoud. Ich folgte ihnen auf die Straße und haute sie gnadenlos nieder hatte ich doch keine Lust, solche Männer hinter meinem Rücken in Tor zurückzulassen.

Es war spät, als ich in mein Zimmer im Distrikt der Treiber und Tierpfleger zurückkehrte. Es überraschte mich nicht, daß der Wasserverkäufer dort auf mich wartete.

»Herr«, sagte er.

»Ja?«

»Du bist neu in Tor«, sagte er, »und kennst dich in der Stadt vielleicht noch nicht so gut aus. Ich aber bin in Tor bekannt und könnte dir helfen.«

»Ich verstehe nicht, was du meinst«, sagte ich.

»Es gibt bald Krieg zwischen den Kavars und den Aretai«, fuhr er fort.

»Eine Folge mag sein, daß die Karawanenrouten unterbrochen werden. Das könnte es schwierig machen, Treiber und Karawanenwächter zu finden, die sich in die Wüste hinauswagen. Ich könnte die Männer für dich auf treiben, gute, ehrliche Männer, die dich begleiten.«

»Ausgezeichnet«, sagte ich.

»Natürlich dürfte der geforderte Lohn etwas höher liegen als normal«, sagte er unbehaglich, »in Anbetracht der Umstände.«

»Das wäre verständlich«, entgegnete ich.

Er schien erleichtert zu sein. »Wo liegt dein Ziel, Herr?«

»Turia.«

»Und wann gedenkst du aufzubrechen?«

»Morgen in zehn Tagen.«

»Ausgezeichnet.«

Ich drückte ihm einen Silbertarsk in die ausgestreckte Hand.

»Meine Karawane ist klein«, sagte ich. »Sie besteht aus wenigen Kaiila. Ich nehme an, daß ich nicht mehr als drei Männer brauche.«

»Da kenne ich genau die richtigen«, sagte der Mann grinsend.

»Oh? Und wo gedenkst du sie zu finden?«

»Möglicherweise im Cafe der Sechs Ketten.«

»Ich hoffe nicht, daß du an den ehrenwerten Zev Mahmoud und seine Freunde gedacht hast.«

Er sah mich überrascht an.

»Es geht das Gerücht«, fuhr ich fort, »daß es im Cafe vorhin eine Auseinandersetzung gegeben hat.«

Der Wasserverkäufer erbleichte. »Dann muß ich versuchen, andere zu finden, Herr.«

»Tu das«, erwiderte ich.

Der Silbertarsk glitt ihm aus den zitternden Fingern. Er wich zurück. Plötzlich wirbelte er herum und ergriff die Flucht.

Ich bückte mich und nahm die Münze auf. Ich war müde. Ich nahm nicht an, daß ich so schnell wieder von dem Wasserverkäufer hören würde. Immerhin hatte ich ihm weisgemacht, daß ich erst in zehn Tagen nach Turia aufbrechen wollte.

Doch nun galt es Schlaf zu finden. Morgen früh gab es viel zu tun. Unter anderem mußte ich meine Begleiterin aus den öffentlichen Sklavengehegen Tors holen. Achmed, der Sohn Farouks würde am Südtor der Stadt auf mich warten. Wir wollten uns der Karawane Farouks anschließen, die zur Oase der Neun Brunnen reiste. Dort gedachte ich Vorräte zu erstehen und einen Führer anzuheuern. In der Oase herrschte Suleiman, der Herr über tausend Lanzen, Suleiman vom Stamme der Aretai.

Ich drehte mich um und erstieg die schmale Holztreppe, die zu meinem Zimmer führte. Ich nahm an, daß ich den Wasserverkäufer Abdul ein für allemal los war.

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