17

Ich hörte Hassan rufen. Ich hastete zu ihm. Er stand im Mondlicht am Hang einer riesigen Düne. Eine flache Felsformation, vom Winde freigeweht, erstreckte sich unter ihm.

»Ich habe es dort gesehen!« rief er. »Ich habe es gesehen!« Er deutete auf das Gestein. Der Wind ging darüber hin. Ich sah nichts. »Verrückt!«

fuhr Hassan fort. »Dort ist gar nichts! Ich drehe durch!«

»Was hast du gesehen?« wollte ich wissen.

»Ein Ungeheuer!« sagte er, »Ein großes Ungeheuer. Es stand plötzlich aufrecht da. Die Arme waren unglaublich lang. Das Geschöpf sah mich an. Im nächsten Augenblick war es fort.« Er schüttelte den Kopf. »Aber wohin sollte es verschwunden sein? Hier gibt es doch gar keine Verstecke!«

»Du hast mir soeben einen Kur beschrieben«, sagte ich.

»Ich habe von diesen Wesen gehört«, erwiderte Hassan. »Handelt es sich dabei nicht um mythologische Geschöpfe aus Sagen und Überlieferungen?«

»Die Kurii gibt es wirklich«, versicherte ich.

»So ein Geschöpf könnte niemals in der Wüste leben«, meinte Hassan.

»Da hast du recht.«

»Es ist also seltsam, daß ich mir so ein Geschöpf in der Tahari eingebildet habe.«

Ich näherte mich dem Felsen und untersuchte ihn. Ich fand keine Spur von einem Ungeheuer. Der Wind hatte den Sand abgetragen, Fußspuren waren nicht zu erkennen.

»Wir wollen unsere Wanderung fortsetzen«, sagte Hassan, »ehe wir beide noch den Verstand verlieren.«

Ich hievte mir die Wasserlast auf die Schultern und folgte ihm. Am Vortag hatten wir den letzten Proviant verzehrt. Doch wir hatten noch Wasser.

Plötzlich entdeckte Hassan fünf Vögel über uns am Himmel.

»Auf Hände und Knie!« befahl er. »Senk den Kopf!« Ich folgte seinem Beispiel. Zu meiner Überraschung begannen die Vögel über uns zu kreisen. Ich blickte empor. Es handelte sich um wilde Vulos, mit braunem Gefieder und langen Flügeln. Nach kurzer Zeit landeten sie wenige Meter von uns entfernt und beobachteten uns neugierig. Hassan schmatzte mit gesenktem Kopf rhythmisch auf seinen Handrücken, wobei er sich immer so bewegte, daß er die Vögel im Auge behalten konnte. Das Geräusch erinnerte entfernt an ein Tier, das Wasser schleckt.

Ein Krächzen ertönte, als er einen der Vögel packte, der sich zu nahe herangewagt hatte. Die anderen Vulos ergriffen die Flucht, während Hassan seiner Beute den Hals umdrehte. An diesem Abend genossen wir eine Fleischmahlzeit.

Wir waren schon zwölf Tage in der Wüste unterwegs, als ich plötzlich in einem Windhauch den Geruch ausmachte.

»Halt!« sagte ich zu Hassan. »Riechst du das?«

»Was?« fragte er.

»Jetzt ist es fort!«

»Was hast du gerochen?«

»Einen Kur.«

Er lachte. »Du bist ja genauso verrückt wie ich!«

Ich suchte die Dünen ringsum ab, die im Licht der Monde silbern schimmerten. Ich schob die Wasserbeutel auf meiner Schulter herum. Hassan stand in der Nähe. Er nahm seinen Wasserbeutel auf die linke Schulter.

»Hier ist nichts«, sagte er. »Wir wollen weitergehen.«

»Der Kur ist bei uns«, sagte ich. »Du hast dich vor ein paar Tagen nicht geirrt, als du das Wesen entdecktest.«

»Kein Kur kann in der Wüste leben.«

Ich sah mich um. »Er ist bei uns irgendwo dort draußen.«

»Komm«, sagte Hassan, »bald geht die Sonne auf.«

»Na schön.«

»Warum zögerst du?«

Ich sah mich um. »Wir sind nicht allein. Jemand begleitet uns auf unserer Wanderung.«

Hassan suchte mit den Augen die Dünen ab. »Ich sehe nichts.«

Wir setzten unsere Wanderung fort.

Hassans Ziel war nicht die Oase der Schlacht am Roten Felsen im Nordwesten Klimas, sondern die Oase der Vier Palmen, ein Vorposten der Kavars, der südlich vom Roten Felsen lag. Leider waren die Vier Palmen von Klima weiter entfernt als der Rote Felsen. Dennoch kam mir seine Entscheidung ganz vernünftig vor. Der Rote Felsen war eine Tashid-Oase unter der Oberherrschaft der Aretai also Feinde der Kavars. Außerdem lagen zwischen Klima und dem Roten Felsen die Bezirke, welche von Abdul, dem Salz-Ubar, kontrolliert wurden, dem Mann, der mir als Ibn Saran vorgestellt worden war. Unabhängig davon lagen die Vier Palmen zwar weiter entfernt, doch schien der Weg dorthin uns früher aus dem Dünenland herauszuführen als die Route zum Roten Felsen. Auf diese Weise erreichten wir schneller felsiges Terrain, wo man Wild und da und dort Wasser finden kann und wo öfter Nomadengruppen anzutreffen sind, die den Kavars nicht feindlich gegenüberstehen. Alles in allem hatten wir uns einen akzeptablen Weg ausgesucht, der dennoch nicht ohne Risiko war. Aber anders ging es nicht.

Ich folgte Hassan, der sich nach der Sonne und den Bewegungen bestimmter Vogelarten orientierte. Natürlich hatten wir keine technischen Hilfsmittel zur Verfügung, und es gab keine gekennzeichneten Wege, ebensowenig kannten wir die genaue Lage Klimas in bezug auf den Roten Felsen und die Vier Palmen.

Wir setzten alles auf eine Karte. Wir marschierten weiter. Die Alternative zum Risiko war nicht Sicherheit, sondern nur eine Gewißheit - die Gewißheit des Todes.

Eine Folge von Hassans Plan war die Tatsache, daß wir uns südwestlich von Klima für eine Weile in das unerschlossenste Gebiet des Dünenlandes begaben, weit entfernt von allen Salzrouten. Heute ist mir klar, daß uns das Ungeheuer deswegen begleitete.

»Unser Wasser«, sagte ich zu Hassan, »reicht nur noch für vier Tage.«

»Zwei Tage halten wir es dann noch ohne Wasser aus.«

Wir hatten den Rand des Dünenlandes erreicht. Ich sah mich zwischen den schroffen Hügeln und dem kahlen Unterholz um.

»Wie weit haben wir noch?« fragte ich.

»Keine Ahnung«, erwiderte Hassan. »Vielleicht fünf Tage, vielleicht zehn.« Wir wußten nicht, an welcher Stelle wir das Dünengebiet verlassen hatten.

»Wir haben schon eine weite Strecke zurückgelegt«, sagte ich.

»Hast du den Wind bemerkt?« wollte Hassan wissen.

»Nein.«

»Aus welcher Richtung kommt er?«

»Aus Osten.«

»Wir haben Frühsommer.«

»Hat das eine Bedeutung?« fragte ich. Der Wind fühlte sich nicht viel anders an als der ständige Tahariwind nur die Richtung war neu. Am vierzehnten Tag unserer Wanderung war der Wind umgesprungen.

»Ja«, sagte Hassan. »Das hat eine Bedeutung.«

Vor zwei Ahn war der Rand der Sonne über dem Horizont erschienen und beleuchtete nun die Gipfel der letzten Dünen. Vor einer Ahn hatte Hassan gesagt: »Es wird Zeit, sich einen Schutzgraben zu bauen.« Auf Händen und Knien hockend hatten wir in dem trockenen Boden gewühlt. Der Graben war schließlich etwa vier Fuß tief und ziemlich schmal ausgefallen. Hassan und ich standen nun am Rande des Grabens und blickten nach Osten. »Ja«, sagte Hassan. »Der Wind hat eine Bedeutung.«

»Ich sehe nichts«, erwiderte ich. Sandkörner wurden mir ins Gesicht getrieben.

»Ich bin müde«, sagte Hassan. »Ich werde schlafen.«

Während Hassan schlief, blickte ich nach Osten. Dort zeigte sich nach einiger Zeit so etwas wie eine dünne Linie.

Erst als sie näher kam, begriff ich, daß es sich um eine Art Sandwoge handelte, die viele hundert Fuß hoch war und etwa hundert Pasang breit; der Himmel darüber war zuerst grau, dann schwarz wie Rauch; dann konnte ich nicht mehr hinschauen, wenn ich nicht geblendet werden wollte. Ich mußte die Augen mit den Händen abschirmen und drehte mich mit dem Rücken zu der Erscheinung; ich duckte mich in den Graben. Der Wind tobte über uns dahin. Sand rieselte zwischen meinen zusammengepreßten Händen herab; wo ich den Sand entfernte, begann meine Haut zu bluten. Ich hob den Kopf. Der Himmel war verdüstert von Sand; ganze Büsche wirbelten wie aufgescheuchte Tabuks im heulenden Wind über meinen Kopf dahin. Ich saß in dem Graben, legte den Kopf zwischen die Arme, stützte die Arme auf die Knie. Ich lauschte dem Sturm. Endlich schlief ich ein. Gegen Abend erwachten Hassan und ich. Wir tranken Wasser. Der Sturm tobte mit unverminderter Heftigkeit. Wir konnten die Sterne nicht erkennen.

»Wie lange dauert so ein Sturm?« fragte ich.

Er zuckte die Achseln, wie es in der Tahari üblich ist. »Wer kann das wissen? Er kann viele Tage dauern.«

Kurz vor dem Morgengrauen erwachte ich wieder.

Dort stand es im wirbelnden Sand, hoch aufragend. Es blickte auf uns herab.

»Hassan!« rief ich.

Er erwachte sofort. Wir rappelten uns auf; unsere Füße waren im Sand vergraben, der Sturm peitschte unsere Rücken.

Das Wesen öffnete das riesige Maul und drehte den Kopf hin und her. Es war sieben Fuß groß und stemmte sich in den Wind. Sand klebte an seinem Fell. Es sah mich an und hob einen langen Arm. Es deutete auf das Dünenland.

»Lauf!« schrie Hassan. Wir sprangen aus dem Graben, ließen uns in den Sturm rollen und kamen mühsam wieder auf die Füße. Wir duckten uns, versuchten das Gleichgewicht zu halten; der Graben erstreckte sich zwischen uns und dem stehenden Ungeheuer. Es lehnte im Wind, versuchte aber nicht näher zu kommen. Es sah mich an und deutete auf das Dünenland.

»Das Wasser«, sagte Hassan. »Das Wasser!«

Er stand über dem Graben, um mich zu decken. Ich ließ mich in die Vertiefung rutschen, wobei ich mich vorsichtig bewegte, um das Ungeheuer nicht zu provozieren. Dann hob ich die beiden Beutel hoch, Hassan nahm sie ab, und rückwärts gehend entfernten wir uns von dem Ungeheuer. Wind und Sand bestürmten uns.

Das Geschöpf rührte sich nicht, sondern starrte mich nur unverwandt an; der lange Arm deutete auf das Dünenland.

Schließlich machten Hassan und ich kehrt und stolperten los. Einmal verlor ich Hassan kurz aus den Augen und entdeckte ihn plötzlich knapp einen Meter von mir entfernt. Gemeinsam flohen wir. Das Ungeheuer verfolgte uns nicht.

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