12

Ich machte einen weiteren Schritt, woraufhin mein rechtes Bein bis zum Knie in die harte Kruste einbrach. Erneut klatschte die Peitsche auf meinen Rücken. Ich richtete mich in meiner Sklavenhaube auf. Die Kette um meinen Hals ruckte vor, und ich stolperte auf die Salzkruste. Meine Hände ballten sich in den Fesseln, die durch die Kette an meinem Körper befestigt waren. Mein linkes Bein stieß durch ein Dutzend verkrustete Salzschichten, knirschend, knisternd, unzählige winzige Kristallstrukturen vernichtend. Ich spürte Blut an meinem Bein über dem Lederschutz; eine scharfe Kante hatte mir die Haut aufgeschlitzt. Ich verlor die Balance und stürzte. Ich versuchte aufzustehen. Doch die vordere Kette zerrte mich weiter, und ich stürzte von neuem. Noch zweimal traf mich die Peitsche. Ich gewann das Gleichgewicht zurück, und wieder watete ich durch die Krusten auf Klima zu.

Wir marschierten nun schon seit zwanzig Tagen. Viele Leidensgenossen waren der Meinung, daß wir schon hundert Tage unterwegs waren; andere hatten längst die Übersicht ganz verloren. Ursprünglich waren mehr als zweihundertundfünfzig Männer an der Salzkette gewesen. Ich wußte nicht, wie viele noch unterwegs waren. Jedenfalls war die Kette viel schwerer als am Anfang obwohl man mehrere Teile davon gelöst hatte , denn sie wurde nun von weniger Männern getragen. Als Salzsklave, so hieß es, mußte man kräftig sein. Nur die Kräftigen hatten angeblich überhaupt eine Chance, Klima zu erreichen.

Die Männer an der Kette trugen Sklavenhauben. Man hatte sie uns vor der Kasbah des Salz-Ubars übergestreift. Ehe man mir die Lederhaube unter dem Kinn zusammenband, hatte ich in der Morgendämmerung die silberne Wüste gesehen. Der Himmel im Osten hatte kühl und grau geschimmert. Bei diesem Anblick hatte man sich nicht vorstellen können, daß die Oberflächentemperatur des vor uns liegenden Terrains innerhalb weniger Stunden auf gut fünfundsechzig Grad ansteigen würde. Um unsere Füße hatte man einen Lederschutz gewickelt, wußte man doch, daß wir später das verkrustete Gebiet erreichen würden. An den Mauern der Kasbah schimmerte Tau. Zwei Pasang weiter im Osten war Tarnas Kasbah sichtbar gewesen. Der Salz-Ubar hatte Tarna ein nützliches Werkzeug genannt. Sie hatte Hassan und mich nicht halten können. Der Salz-Ubar hatte angenommen, daß er in dieser Beziehung besser abschneiden würde.

Eine Ahn vor Sonnenaufgang hatte man mich geweckt. Die süße Tafa lag in meinen Armen. Fünf Männer, von denen zwei Öllampen bei sich trugen, betraten die Zelle. Sie legten mir eine Kette um den Bauch. Die Handgelenke wurden in Reifen gelegt, die dann mit einem Ring an der Kette befestigt wurden. Zwei Männer schoben sodann eine Stange hinter meinem Rücken und vor meinen Ellbogen hindurch, so daß ich praktisch hilflos war. Der fünfte Mann löste meinen Halskragen und ließ ihn samt der Kette zu Boden fallen. Man zog mich hoch.

Erschrocken kniete Tafa vor mir. Ich spürte ihr Haar auf meinen Zehen. Sie küßte mir den Fuß. In der langen, köstlichen Nacht hatte ich sie erobert.

Mit Hilfe der Stange schob man mich mühelos aus der Tür. Ich blickte nicht zurück.

Später hatten wir Salzsklaven am Fuße der gewaltigen Mauern gestanden, während wir auf den langen Marsch nach Klima vorbereitet wurden. Es war kühl in jener frühen Morgenstunde. Im Osten zeigte sich der erste graue Schimmer der Dämmerung. Hassan stand vier Plätze weiter hinten an der Kette.

Ein Kaiilareiter näherte sich uns. Der rote Sandschleier eines Wächters der Dünen verhüllte seine Züge, und eine Stoffbahn flatterte an seinem Hals, der weite Burnus wallte sich hinter ihm. Die Agal wies goldene Symbole auf. Wächter hoben Kette und Kragen an. Der Reiter verhielt seine Kaiila neben mir; im nächsten Augenblick schnappte der Kragen um meinen Hals zu. Ich spürte das Gewicht der Kette.

»Sei gegrüßt, Tarl Cabot«, sagte der Reiter.

»Du stehst früh auf, edler Ibn Saran«, erwiderte ich.

»Ich möchte doch deinen Abmarsch nicht verpassen.«

»Zweifellos erfüllt dich dieser Umstand mit einem Gefühl des Triumphs.«

»Ja«, erwiderte er. »Doch zugleich mit Bedauern, Kamerad. Erringt man einen Sieg, verliert man zugleich einen Gegner.«

Die Wächter waren nun damit beschäftigt, den Gefangenen an der Kette Sklavenhauben überzustreifen. Die Sklavenhaube ist keine besonders grausame Haube, doch sehr nützlich und im Grunde nicht unvorteilhaft. Vier Absichten werden damit verfolgt. Die Haube erleichtert die Kontrolle der Gefangenen. Ein Gefangener mit Haube ist, selbst wenn er nicht gefesselt wurde, fast völlig hilflos. Er kann sich nicht orientieren, kann keine Fluchtmöglichkeit erkennen, er kann seine Aufseher nicht angreifen, er weiß nicht einmal, wie viele Wächter in der Nähe sind oder wo sie sich befinden. Der Gefangene ist in seiner Haube allein mit sich selbst mit seiner Verwirrung, seiner Ignoranz, seinem Kummer. Zweitens soll die Haube dem Gefangenen verheimlichen, wo er sich befindet, wohin er gebracht wird. Dieser Umstand führt zu einer Desorientierung, zu einem Gefühl der Abhängigkeit vom Aufseher. Im Falle des Marsches nach Klima hatte die Haube natürlich den Zweck, den Gefangenen den genauen Weg vorzuenthalten. Selbst wenn sie den Marsch überlebten und sich später in der Wüste eine Chance ausrechneten, hatten sie doch keine Vorstellung, welche Richtung sie überhaupt einschlagen mußten. Die Chance, den Weg zur Kasbah des Salz-Ubar zu finden, und von dort den Weg zum Roten Felsen, war auch ohne Haube gering; mit der Haube war die Situation der Sklaven hoffnungslos. Diese Desorientierung führte dazu, daß die Männer in Klima blieben; die Zahl der Flüchtlinge, die in der Wüste starben, war denkbar gering. Eine weitere Funktion der Sklavenhaube bestand in dieser Gegend darin, den Sklaven vor der Sonne zu schützen; in der Wüste darf man nicht ohne Kopfbedekkung sein. Und schließlich verhinderte das Material der Haube bei Erreichen der Salzkrusten einen Schaden der Augen. Es dauert nicht lange, bis die Reflexionen der Taharisonne auf den grellweißen Flächen einen Menschen erblinden lassen.

Die auf dem Marsch nach Klima verwendeten Hauben besitzen eine winzige Klappe am Mund, die durch eine kurze Lederschnur gesichert wird. Mehrmals am Tag wurde diese Klappe geöffnet, und der Schnabel eines Wasserbeutels wurde hineingeschoben. Die Gefangenen wurden zweimal am Tag mit Nahrung versorgt, einmal am Morgen, einmal am Abend; bei den Mahlzeiten wurde die Haube geöffnet und einige Zentimeter hochgeschoben, um das Essen zu ermöglichen. Die Nahrung wurde den Gefangenen in den Mund geschoben in erster Linie getrocknete Früchte, Kekse und ein wenig Salz, zum Ausgleich der Salzverluste während des Tages. Proteine, Fleisch, Kaiilamilch, Volueier, Verrkäse erfordern bei der Verdauung viel Wasser. Ist das Wasser dagegen knapp, verzichten die Nomaden auf das Essen. Es dauert Wochen, bis man an Hunger stirbt, doch nur zwei Tage, um in der Tahari am Wassermangel zugrunde zu gehen. Unter solchen Umständen legt man keinen Wert darauf, daß die Verdauung dem Körper zuviel dringend benötigtes Wasser entzieht. Das wäre ein zu schlechter Handel. Ibn Saran hatte seine Kaiila in Hassans Richtung gedreht. Er musterte meinen Freund eine Zeitlang und sagte schließlich: »Es tut mir leid.«

Hassan antwortete nicht. Ibn Sarans Worte hatten mich erstaunt sprach er doch mit Hassan, einem Banditen. Schließlich zog Ibn Saran seine Kaiila weiter herum und machte Anstalten, die Kette zu verlassen.

»Ibn Saran«, sagte ich.

Er zögerte und lenkte die Kaiila an meine Seite. Die Männer mit den Sklavenhauben waren inzwischen ganz in meiner Nähe.

»Die Sklavenflüge der KuriiAgenten von der Erde nach Gor haben aufgehört«, sagte ich.

»Ich weiß.«

»Kommt dir das nicht seltsam vor?«

Er zuckte die Achseln.

»Die Priesterkönige«, fuhr ich fort, »haben ein Ultimatum erhalten. ›Gebt Gor auf!‹«

»Das ist mir bekannt.«

»Könntest du dieses Ultimatum näher erläutern?«

»Leider kenne ich die militärischen Planungen der Kurii nicht.«

»Was ist deine Aufgabe in der Wüste?«

»Ich muß mich um die Belange der Kurii kümmern. Mein Ziel war es, zwischen den Kavars und den Aretai und ihren Vasallenstämmen einen Krieg anzuzetteln, damit die Wüste für Fremde geschlossen würde.«

»Beispielsweise für Agenten der Priesterkönige?«

»Sie und alle anderen sind zur Zeit im Dünenland nicht gern gesehen«, sagte er.

»Könnten deine Männer das Dünenland nicht wirksam abschirmen?«

»Dazu sind wir zu wenige«, sagte er. »Das Risiko, daß Fremde durch unser Netz schlüpften, wäre zu groß.« In der goreanischen Sprache wird der Fremde und der Feind mit demselben Wort bezeichnet.

»Ihr wollt also die Wüste in eure Pläne einbeziehen.«

»Ohne es zu wissen«, sagte er, »machen sich in diesem Augenblick viele tausend Krieger daran, meinem Willen zu folgen indem sie sich nämlich gegenseitig an die Gurgel fahren.«

»Dabei werden viele sterben!« rief Hassan. »Kavars wie auch Aretai und zahlreiche Angehörige der Vasallenstämme! Das darf nicht sein! Man muß sie warnen.«

»Leider geht es nicht anders«, sagte Ibn Saran zu ihm. »Tut mir leid.«

In diesem Augenblick wurde Hassan eine Sklavenhaube über den Kopf gestülpt. Seine Fäuste waren geballt. Die Haube wurde unter seinem Kinn geschlossen. »Man erringt einen Sieg«, sagte Ibn Saran, »doch zugleich verliert man einen Feind.« Er sah mich an und zog seinen Krummsäbel.

»Nein«, sagte ich. »Ich möchte nach Klima marschieren.«

»Ich bin bereit, dir Gnade angedeihen zu lassen, Kamerad«, sagte er.

»Nein.«

»Du bist ein Krieger«, sagte er. »Du besitzt die Dummheit und den Mut dieser Kaste.«

Er hob grüßend den Krummsäbel. »Also gut, marschiere nach Klima.« Er steckte die Klinge zurück und riß seine Kaiila herum. Dann ritt er mit wehendem Burnus an der Kette entlang.

Hamid, der Leutnant Shakars, der jetzt den roten Sandschleier eines Wächters der Dünen trug, tauchte hinter mir auf. »Ich reite mit der Kette«, sagte er.

»Deine Gesellschaft wird mir ein Quell der Freude sein«, versicherte ich.

»Du wirst meine Peitsche zu spüren bekommen.«

Ich sah die knienden Kaiila der Wächter, die in die Sättel stiegen. Ich zählte die Tiere mit Wasserbeuteln. »Klima muß ganz in der Nähe liegen«, sagte ich.

»Im Gegenteil es ist sehr weit.«

»Dafür haben wir nicht genug Wasser mit«, stellte ich fest.

»Wir haben mehr als genug«, erwiderte er. »Viele Männer werden Klima ohnehin nicht erreichen.«

»Soll ich Klima erreichen?«

»Ja wenn du kräftig genug bist.«

»Wenn nun unterwegs überraschende Schwierigkeiten auftreten?«

»Dann sehe ich mich leider gezwungen, dich an der Kette umzubringen.«

»Ist es wichtig, daß ich Klima erreiche?« wollte ich wissen.

»Ja«, erwiderte Hamid.

»Warum?«

»Du hast den Kurii und ihren Agenten viel Ärger gemacht. Du hast dich ihrem Willen widersetzt. Deshalb sollst du, Tarl Cabot, in Klima arbeiten. Schau!« fuhr Hamid fort und deutete auf ein schmales Fenster in der Mauer.

An dem Fenster stand in einem gelben Kleid eine Sklavin. Auf Befehl des Sklavenmeisters, der hinter ihr stand, hob sie anmutig ihren Schleier. Es war Vella. »Erinnerst du dich an diese Sklavin?« fragte Hamid. »An Vella, die den Kurii so nützlich war und die vor dem Gericht der Neun Brunnen gegen dich aussagte, die dich durch ihre falsche Aussage schon damals zu den Gruben von Klima zu schicken versuchte?«

»Ich erinnere mich an sie«, sagte ich. »Sie ist das Eigentum Ibn Sarans.«

Das Mädchen blickte hochmütig auf mich herab; sie schien ihren Triumph zu genießen.

Vella griff unter ihr Seidengewand, nahm ein kleines Stück Seide zur Hand und warf es mir durch das Fenster zu. Der Stoff landete einige Fuß von uns entfernt im Sand.

»Bring es uns«, sagte Hamid zu einem Mann.

Der Wächter griff nach dem Stoff, roch daran und reichte uns lachend das Tuch.

Hamid hielt es mir hin. Der Stoff war mit Sklavenparfüm durchtränkt.

»Die Gabe eines Sklavenmädchens«, sagte Hamid verächtlich und stopfte mir das Tuch hinter den Kragen.

Ich blickte zu dem Mädchen empor, das gegen mich ausgesagt hatte. Wie sehr sie ihre kleinkarierte weibliche Rache genoß! Wie töricht sie doch war! Wußte sie nicht, daß sich unter meiner Haut ein echter Goreaner verbarg? Ahnte sie nicht, daß ich eines Tages zurückkehren würde?

Ich faßte den Entschluß, Klima zu überleben.

»In Klima sollst du an sie denken«, sagte Hamid.

»Ja.«

Ich würde an sie denken; so schnell konnte ich sie nicht vergessen. Ich würde sie mir kaufen. Sie demütigen. Sie würde es spüren, der Gunst eines Tarl Cabot verlustig gegangen zu sein.

Ich roch noch einmal das Sklavenparfum und lächelte vor mich hin. Als ich noch einmal zu dem Fenster emporblickte, war es leer. Hamid griff nach einer Sklavenhaube. Ich sah den graugefärbten Himmel, die untergehenden Monde, die Wüste und im nächsten Augenblick wurde mir die Haube über den Kopf gezogen und zugebunden.

Angekettet, blind, halb dahingezerrt, halb taumelnd, so mühten wir uns den langen Hang hinauf. Die Zeit maß sich nach Schritten, nach Peitschenschlägen, nach der langsamen Wanderung der Sonnenhitze von einer Schulter zur anderen.

Seit zwanzig Tagen marschierten wir nun schon. Einige hatten längst den Verstand verloren und plapperten sinnloses Zeug vor sich hin. Wir wußten nicht, wie viele von zweihundertfünfzig noch übrig waren. Normalerweise ist man während des Tages in der Wüste nicht unterwegs, doch der Marsch nach Klima findet in der Sonne statt, damit nur die Kräftigsten das Ziel erreichen. Wir bekamen wenig zu essen, doch viel Wasser. In der Wüste sterben selbst die Kräftigsten, wenn sie kein Wasser bekommen.

»Tötet uns! Tötet uns!« rief ein Mann immer wieder.

Als wir den Kamm des Hügels erreichten, rief ein Wächter: »Halt!« Die Kette bewegte sich nicht mehr. Ich sank in die Knie. Ich war bis zu den Schenkeln in die Salzkruste eingebrochen. Das Innere der Sklavenhaube kam mir unerträglich grell vor; trotz des Lederschutzes schloß ich die Augen. Ich hielt die Hände und Hals so still wie möglich, denn die geringste Bewegung ließ den Kragen herumrutschen und verursachte Schmerzen auf dem wundgescheuerten, salzbedeckten Fleisch. Ich wollte nicht das Bewußtsein verlieren. Zu viele waren ohnmächtig geworden und nicht wieder zu sich gekommen. Die Wächter der Kette waren nicht allzu geduldig mit den Langsamen. Sie schnitten sie von der Kette los und ihnen kurzerhand die Kehle durch. Salz bedeckte meinen Körper.

Wir hatten Frühsommer in der Tahari. Die Oberflächenhitze der Kruste war unerträglich.

Wahrscheinlich gefällt es den Kurii, daß Tarl Cabot in Klima ist. Wie amüsant sie das finden müssen!

Eine Kaiila trabte an mir vorbei; ihre Hufe ließen Salzbrocken hochwirbeln.

»Tötet uns! Tötet uns!« schrie der Mann erneut.

Ich fragte mich, ob ich noch einen Tag durchhalten konnte. Doch ich mußte. Ich erwartete noch viel von meinem Leben. In meinem Kragen wartete ein Stück Sklavenseide.

»Es sind zu viele«, hörte ich einen der Wächter sagen.

»Jeden zweiten«, erwiderte eine Stimme.

»Nein!« kreischte eine Stimme. »Nein!«

Die Wächter kannten den Wasservorrat. Wir nicht.

Wir schienen sehr lange in der Kruste zu knien. Nach einigen Ehn hörte ich Schritte näher kommen. Wächter gingen die Kette ab. Ich lauschte unter meiner Haube. Plötzlich machte die Kette vor mir einen Ruck. Ein Geräusch war nicht zu hören; plötzlich wurde das Kettenstück nach unten gezogen. Ich rappelte mich auf, stemmte mich mit dem Hals gegen die Kette, doch vermochte ich nichts zu sehen. »Knie nieder«, befahl eine Stimme. Ich gehorchte und lauschte gespannt. Ich konnte nichts sehen. Ich war absolut hilflos. »Nein!« schrie eine Stimme.

»Nein!« Die Kette, die von meinem Hals nach hinten führte, spannte sich. Etwas schleifte über die Salzkruste, die Kette zuckte. Dann gingen die Männer weiter.

»Ich habe mich mit dem Wasser verschätzt«, sagte Hamid.

»Egal«, erwiderte jemand.

Wir knieten auf dem Salz. Einige Fuß von mir entfernt sang ein Mann leise vor sich hin.

Ein anderer Mann kam an der Kette näher. Ich hörte, wie er die benachbarten Halskragen öffnete.

Bald darauf vernahm ich Flügelschlag; einige große Vögel schienen in der Nähe gelandet zu sein. Vögel dieser Art - sie besitzen weite Flügel und ein schwarzweißes Gefieder - folgten den Gruppen, die nach Klima unterwegs waren; ihre gelben gekrümmten Schnäbel sind lang und scharf.

Die Vögel bewegten sich krächzend, als eine Kaiila vorbeigaloppierte. Die Vögel heißen Zads.

»Hoch mit euch, Sklaven!« befahl eine Stimme. Zweimal traf mich die Peitsche. Ich spürte die Striemen. Mein Blut pulsierte rascher durch meinen Körper. Der Schmerz war ein scharfes, durchdringendes Gefühl eine großartige Empfindung! Ich hatte nichts gegen den Schmerz, den ich zu spüren vermochte. Ich lebte! Von neuem trieb mich die Peitsche an. Ich lachte und rappelte mich auf. »Los, Sklaven!« sagte eine Stimme, und der Marsch ging weiter. Die Kette war schwerer als am Anfang des Marsches, doch ich trug meine Last mit Freuden, war ich doch noch am Leben! Ich hatte nichts mehr gegen das Salz auf meiner Haut, nichts mehr gegen die Hitze. Es genügte, daß ich lebte. Wie töricht kam mir plötzlich der Wunsch nach mehr vor! Wir konnte man weitergehende Wünsche haben? Ich marschierte weiter, drängte mich zwischen fressenden Zads hindurch unterwegs nach Klima. Ich summte ein Lied vor mich hin, eine Melodie, die ich nie vergessen hatte, ein Kriegerlied aus der nördlichen Stadt Ko-ro-ba.

Vier Tage später forderte uns eine Stimme erneut zum Halten auf; wieder befanden wir uns auf einer Anhöhe.

»Tötet uns nicht! Tötet uns nicht!« rief eine Stimme, die ich erkannte. Es war die Stimme des Mannes, der die Wächter zu Anfang des Marsches aufgefordert hatte, uns das Leben zu nehmen. Seit unserer mittäglichen Rast vor vier Tagen war er still gewesen. Ich hatte nicht gewußt, ob er noch lebte oder nicht.

Kaiila trabten an uns vorbei.

Ich hörte, daß Metallkragen geöffnet wurden. Jemand zupfte mir das Seidenstück aus dem Kragen und band es mir auf Hamids Befehl um das linke Handgelenk. Ich spürte die Seide an der entzündeten Wunde, die sich unter der Handfessel um meinen Arm zog. Im nächsten Augenblick wurde ein schwerer Schlüssel in mein Kragenschloß gesteckt, Sand und Salz waren in den Mechanismus eingedrungen, dessen Metall sich außerdem in der Hitze ausgedehnt hatte; das Schloß wollte nicht aufspringen. Im nächsten Augenblick drehte sich der gewaltsam bewegte Schlüssel, gab den Bolzen frei. Der Kragen war offen und wurde mir vom Hals gerissen und zusammen mit der Kette auf die Salzkruste geworfen. Anschließend ging der Mann zum nächsten Gefangenen.

Keiner der Männer entfernte sich aus der Gruppe.

»Vielleicht brauchen wir gar nicht bis zum Ziel zu reiten«, sagte ein Mann.

Einige Ehn lang standen wir untätig herum.

Zu meiner Überraschung wurde nun auch ein Schlüssel in den Verschluß der Sklavenhaube gesteckt. Die Haube wurde nach oben geschoben und mir vom Kopf gezerrt. Ich schrie auf - das unglaublich weiße Licht, heiß, brennend, alles durchdringend, gnadenlos, bebend in der heißen Luft der endlosen Kruste - dieses Licht brach wie mit heißen Eisen über mein Gesicht und meine Augen herein.

»Ich bin blind!« schrie ein Mann. »Ich bin blind!«

Kaiila bewegten sich an der Reihe entlang. Es würde Minuten dauern, bis wir etwas erkennen konnten.

Wir hörten, daß Ketten zusammengelegt und in Sättel gehoben wurden. Weitere Kaiila trabten an mir vorbei.

Ich fühlte mich schwach; mein ganzer Körper schmerzte. Mir war schwindlig. Ich konnte kaum stehen.

»Nimm Salz«, sagte eine Stimme. Hassan!

»Du lebst!« rief ich.

»Nimm Salz«, wiederholte er.

Er ließ sich auf die Knie sinken und drückte sein Gesicht in das Salz. Mit den Zähnen biß er in die Kruste, leckte die Kristalle ab. Ich folgte seinem Beispiel. Wir hatten seit vier Tagen kein Salz mehr gehabt.

»Schaut!« rief einer der Wächter. Wir hoben die Köpfe. Wir kamen taumelnd hoch. Wir öffneten die Lider, kniffen aber die Augen zusammen, um die Hitze, die grelle Helligkeit auszuschließen.

»Wasser!« rief eine Stimme. »Wasser!«

Es war ein Mann, der allein aus der Wüste kam. Er gehörte nicht zu unserer Gruppe. Er trug keine Fesseln.

»Wasser!« rief er und taumelte in unsere Richtung. Er trug einen ausgefransten Lendenschurz. Die Sonne hatte seine Haut zerstört. Er hatte keine Fingernägel mehr; Mund und Gesicht waren aufgeplatzt wie eine ausgetrocknete Kruste.

»Ein entflohener Sklave aus den Salzbergwerken«, sagte Hamid lachend. Er zog seinen Krummsäbel und ritt auf den Mann zu. Mühelos beugte er sich im Sattel, doch er schlug nicht zu, sondern kehrte zu den anderen Wächtern zurück.

»Erlauben wir uns ein Späßchen?« rief er.

»Der Marsch ist lang gewesen«, sagte einer der Männer grinsend, »und wir haben bisher wenig Abwechslung gehabt.«

»Das linke Ohr?« fragte einer.

»Einverstanden«, erwiderte ein anderer. Die Männer lockerten ihre Lanzen.

»Wasser!« flehte der Todgeweihte. »Wasser!«

Einer der Männer trieb seine Kaiila an und verfehlte das Ziel. Die Kaiila bewegte sich auf dem unebenen Boden nicht gleichmäßig.

Der arme Kerl stand verständnislos da, konnte es nicht fassen, weil er sich gerettet glaubte.

Dann schrie er auf, als die Lanze des zweiten Reiters ihn traf. Er taumelte und hielt sich das blutende Ohr.

Der erste Reiter fluchte und griff erneut an. Diesmal wurde der Mann, der sich taumelnd abzuwenden versuchte, oben am linken Arm getroffen, unmittelbar unter der Schulter. Obwohl die Wunde tief war, strömte nur wenig Blut hervor, was mich nur im ersten Augenblick erstaunte. Ich kniff gegen das unerträgliche Licht die Augen zusammen und verfolgte hilflos das grausame Geschehen. Zu meinem Entsetzen drückte der Verletzte den Mund auf die Wunde und saugte das wenige Blut aus. Der Mann begriff immer noch nicht, rührte sich nicht von der Stelle. Hamid trabte auf seiner Kaiila von hinten auf den Ahnungslosen zu und schwang den Säbel. Ich vermochte nicht länger hinzuschauen und wandte mich ab.

»Der Punkt geht an Baroum«, sagte Hamid. Der zweite Mann hatte eindeutig am besten getroffen.

»Wir brauchen vielleicht nicht ganz mitzureiten«, sagte einer der Wächter.

»Unser Wasser reicht für den Ritt zurück«, meinte ein anderer, »wenn wir nicht aufgehalten werden.«

Zu meiner Verblüffung öffnete einer der Wächter die Hüftkette eines Gefangenen, der schon keinen Halskragen und keine Sklavenhaube mehr trug.

Aus halb geöffneten Augen blickte ich mich um. Ich vermochte mich kaum auf den Beinen zu halten. Langsam zählte ich. Zwanzig Gefangene standen noch auf der Kruste. Ich erschauderte. Diese Bestien!

Hamid ritt herbei. Er hatte seine blutige Klinge an der Mähne der Kaiila saubergewischt, und steckte sie in die Scheide. Ich spürte die Hitze. Wir standen auf einer Anhöhe und sahen in ein breites, flaches Tal. Hamid beugte sich zu mir. »Dort«, sagte er und deutete in die Senke hinab. »Siehst du’s?«

»Ja«, erwiderte ich.

Dort unten, etwa fünf Pasang entfernt, lagen in der weißen Senke flache weiße Lehmgebäude. Es waren sehr viele. Sie waren bei dem grellen Licht in der Ferne kaum auszumachen, doch ich erblickte ihre Umrisse.

»Klima«, sagte Hamid.

»Ich habe den Marsch nach Klima geschafft«, sagte einer der Gefangenen begeistert. »Ich habe den Marsch nach Klima geschafft!« Er war der Mann, der viele Tage die Wächter angefleht hatte, sie sollten uns töten.

Ich sah mich im Kreise der Gefangenen um. Wir musterten uns gegenseitig. Unsere Körper waren von der Sonne schwarz gebrannt. An manchen Stellen war die Haut förmlich aufgebrochen; wie Rinde, in den Spalten zeigte sich hellerfarbenes Fleisch. Wir waren salzverkrustet, besonders an den Beinen. Der Lederschutz um unsere Beine hing in Fetzen herab. Unsere Hälse und Körper waren zerschunden, rot vom Scheuern der Kragen und Kettenglieder. In den letzen Tagen hatte man uns kein Salz mehr gegeben. Unsere Körper waren geplagt von Krämpfen und Schwäche. Doch wir hielten uns aufrecht, wir trugen den Kopf hoch, denn wir hatten den Marsch nach Klima geschafft. Zwanzig Mann hatten das Ziel des Marsches erreicht.

Der erste Gefangene, der Fesseln ledig, wurde auf die Gebäude zugeschoben. Er begann den Hang hinab ins Tal zu taumeln; immer wieder glitt er auf der Kruste aus und brach bis zu den Knien in die weißen Schichten ein.

Einer nach dem anderen wurden die Gefangenen befreit. Niemand versuchte in die Wüste zu fliehen. Jeder der Männer setzte sich in Richtung Klima in Bewegung. Es gab kein anderes Ziel.

Der Mann, der gerufen hatte: »Ich habe den Marsch nach Klima geschafft!« wurde freigelassen. Er taumelte halb rennend, halb fallend den langen Hang hinab.

Hassan und ich wurden ebenfalls befreit. Gemeinsam schritten wir auf Klima zu; in aller Ruhe folgten wir der auseinandergezogenen Kette der Männer vor uns.

Wir erreichten eine Gestalt, die im Salz lag. Es war der Mann, der sich freudig ereifert hatte: »Ich habe den Marsch nach Klima geschafft!«

Wir drehten ihn um. »Er ist tot«, sagte Hassan.

Gemeinsam richteten wir uns wieder auf. Nur neunzehn Mann hatten Klima erreicht.

Einmal sah ich mich um und erblickte Hamid, einen Wächter der Dünen, einen Getreuen des Salz-Ubar. Er zog seine Kaiila herum und verschwand inmitten aufgewirbelter Salzkristalle hinter der Anhöhe. Ich schaute in die gnadenlose Sonne. Sie schien den Himmel zu füllen. Um mein linkes Handgelenk, sicher verknotet, ausgebleicht von der Sonne, zog sich ein Stück Sklavenseide. Noch immer war ein Hauch des Sklavenparfums zu spüren. Ich würde die hübsche Vella nicht so schnell vergessen.

Doch zunächst schlug ich mir das Mädchen aus dem Kopf. Sie war nur eine Sklavin.

Wichtig war meine Arbeit für die Priesterkönige. Hassan und ich hatten den Stahlturm nicht gefunden. Wir hatten versagt...

Ein Gefühl der Verbitterung erfüllte mich.

Dann folgte ich Hassan, der schon durch das Salz vorausgeschritten war, folgte ihm nach Klima.@

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