11

Mein linker Fuß brach durch die Salzkruste. »Tötet uns! Tötet uns!«

hörte ich einen Mann rufen. Ich vernahm das Zischen der Peitsche hinter mir, gefolgt von einem neuen jämmerlichen Schrei. Mein linkes Bein versank bis zum Schenkel in der brüchigen Kruste. Ich vermochte meinen Sturz nicht zu bremsen, da mir die Hände mit Metallschellen an der Hüfte festgebunden waren. Die Sklavenhaube verhinderte, daß ich etwas sah. Mein ganzer Körper schien in Flammen zu stehen. Unsere Füße waren bis zu den Knien in Leder gehüllt, doch an vielen Stellen drückte uns das Gewicht des Körpers tiefer in die Salzschichten. Das Salz, das von oben in den Lederschutz rieselte, drang bis zu den Füßen vor. Ich spürte Blut im Innern. Einige Männer ich wußte nicht, wie viele waren bereits lahm geworden. Sie waren von der Sklavenkette gelöst und mit durchschnittener Kehle zurückgelassen worden. Die Kette, die an meinem Sklavenkragen befestigt war, ruckte. Eine kostbare Sekunde lang lag ich auf der brennenden Kruste. Dann traf mich die Peitsche. Wieder wurde an der Kette gezogen, ich rappelte mich langsam auf und taumelte weiter. Der Weg wurde durch eine Kaiila bereitet, die mit ihren breiten Pfoten mühelos in die Kruste einbrach und wieder freikam.

»Ich dachte mir gleich, daß eine Frau euch nicht lange in Gefangenschaft halten würde«, hatte der Mann gesagt.

Kaum hatten Hassan und ich in Wächterkleidung unsere Kaiila bestiegen und die Kasbah Tarnas verlassen, da wurde uns auf dem Weg zur Oase des Roten Felsens durch eine Horde von Reitern der Weg Verstellt. Wir hatten unsere Kaiila herumgezogen und zu fliehen versucht, mußten dabei aber feststellen, daß man uns umzingelt hatte. Im hellen Licht der drei goreanischen Monde drehten wir uns im Kreise. Überall Reiter; zahlreiche Armbrüste waren auf uns gerichtet.

»Wir haben auf euch gewartet«, sagte einer der Reiter. »Müssen wir erst noch eure Kaiila töten?« Die Angreifer trugen rote Schleier.

»Nein«, hatte Hassan erwidert. Er warf seine Waffen fort und stieg ab. Ich folgte seinem Beispiel.

Man legte uns Stricke um die Hälse und fesselte uns die Hände auf dem Rücken.

Zwischen unseren Bewachern trabten wir dann dahin auf die größere der beiden Kasbahs zu, nur etwa zwei Pasang von Tarnas Festung entfernt. Unser Weg war also nicht weit.

Vor dem großen Tor hielten wir an. Die Mauern waren über siebzig Fuß hoch. Siebzehn massive Wehrtürme ragten bis zu neunzig Fuß empor. Die vordere Mauer war etwa vierhundert Fuß lang; die Seitenmauern ungefähr vierhundertfünfzig Fuß. Die Mauern solcher Wüstenkasbahs sind im allgemeinen mehrere Fuß dick und bestehen aus Steinen und Lehm; die Mauern dieser Kasbah waren außerdem wie bei den meisten vergleichbaren Bauwerken mit einer hellrosafarbenen Putzschicht versehen, die sich unter dem Einfluß der Hitze an zahlreichen Stellen gelöst hatte.

»Du bist Tarl Cabot«, sagte der Anführer der Männer, die uns gefangengenommen hatten.

Ich zuckte die Achseln. Hassan sah mich an. »Und du«, wandte sich der Mann an Hassan, »bist Hassan der Bandit.«

»Möglich«, räumte mein Freund ein.

»Ihr werdet diese Kasbah als nackte Gefangene betreten«, sagte der andere.

»Was? Schon wieder?« protestierte ich.

Man entkleidete uns mit schnellen Hieben der Krummsäbel. Nackt und gefesselt standen wir im Sand und blickten zu den eindrucksvollen Mauern empor. Das Mondlicht schimmerte auf dem alten Verputz.

Zwei Kaiila schnaubten und stampften im Sand herum.

Das schwere Tor öffnete sich in der Mitte; langsam schwangen die Torflügel zurück.

Wir wandten uns der Öffnung zu.

»Ihr beiden habt uns viel Ärger gemacht«, sagte der Reiter. »Damit ist es nun vorbei.«

Hinter dem Tor erblickten wir einen hellen Hof, erleuchtet durch Öllampen an den Mauern.

»Wessen Kasbah ist denn das?« fragte ich.

»Es kann nur die Kasbah des Wächters der Dünen sein«, erwiderte Hassan.

»Des Salz-Ubars?« fragte ich.

»Richtig«, sagte Hassan und nickte.

Natürlich hatte ich schon von dem Salz-Ubar gehört, der auch Wächter der Dünen genannt wird. Der Standort seiner Kasbah ist geheim. Außer seinen Männern wissen vermutlich nur wenige hundert Menschen, wo diese Festung zu finden ist, vordringlich wichtige Kaufleute der Salzbranche und auch aus diesem Kreis mochten nur wenige den genauen Standort kennen. Zwar läßt sich Salz auch aus Salzwasser oder durch Verbrennen von Tang gewinnen, wie es manchmal in Torvaldsland geschieht, außerdem gibt es auf Gor verschiedene Regionen, wo Salz in fester Form vorkommt doch die ausgedehntesten und ergiebigsten Salzvorkommen dieser Welt finden sich in der Tahari. Meiner Schätzung nach deckt die Tahari mit verschiedenen Salzsorten etwa zwanzig Prozent des goreanischen Salzhandels und verwandter Gebiete ab wie etwa Arzneien und Antiseptika, Konservierungsstoffe, Reinigungsmittel, Bleichmittel, Flaschenglas, welches Natriumkarbonat enthält, das man aus Salz gewinnt, und Färbechemikalien. Salz ist eine ausgezeichnete Handelsware. Es gibt Gegenden auf Gor, in denen Salz als Währung dient und als Zahlungsmittel ausgewogen wird ähnlich wie ein Edelmetall. Der Hauptschutz für das Taharisalz liegt natürlich in der Abgeschiedenheit der Gewinnungsorte; es gibt mehrere Salzdistrikte, die im Dünenland verstreut sind und die nur durch lange Karawanentrecks erreichbar sind. Der wichtigste Sicherheitsfaktor ist jedoch die Tatsache, daß nur die Einheimischen sich in der Wüste auskennen. Ein weiterer wichtiger Schutz des Salzhandels ist der Salz-Ubar, der Wächter der Dünen. Die Kasbah des Salz-Ubars wird aus Zuwendungen führender Salzhändler unterhalten, die sich diese Zahlungen natürlich durch die weniger wichtigen Zwischenhändler erstatten lassen. Die Funktion des Salz-Ubars war offiziell also die Verwaltung und Kontrolle der Salzdistrikte im Auftrag der Salzhändler der Tahari in erster Linie durch Regelung des Zugangs zu den Gebieten, durch Überprüfung der Papiere und Ausweise von Händlern, durch Inspektion von Karawanen und durch die statistische Erfassung des Handels und dergleichen.

Zum Beispiel reisen Karawanen zwischen dem Roten Felsen und bestimmten anderen Oasen in Begleitung einer Eskorte des Wächters der Dünen zu den Salzbezirken. Übrigens pendeln viele Karawanen nur zwischen den Salzgewinnungsorten und den Oasen in der Nähe hin und her, während andere den Weitertransport zu fernen Zielen übernehmen, oft bis Kasra oder Tor. Natürlich gibt es auch Karawanen, die von den fernen Abnehmerorten bis direkt in die Salzregionen vorstoßen und sich auf die Gefahren und Unbequemlichkeiten einer solchen Wanderung durch das Dünenland einlassen; andererseits ersparen sie sich damit die höheren Kosten einer Übernahme von Salz aus den Lagerhäusern in den Oasen der Tahari. Natürlich werden auch diese Karawanen im Dünenland von den Wächtern der Dünen begleitet.

Der Wächter der Dünen erwirbt sich seinen Titel als Salz-Ubar allerdings nicht durch eine gehorsame Verwaltung der Salzregionen unter dem Einfluß der Salzhändler. Es gibt Gerüchte und ich zweifle nicht an ihrem Wahrheitsgehalt , wonach der Salz-Ubar und nicht die Händler das Salz der Tahari kontrollieren. Nach außen hin ein Polizeichef der Tahari-Kaufleute, ist er in Wirklichkeit ein mächtiger Mann in seiner Kasbah, ein Anführer wilder Krieger, ein raffinierter und skrupelloser Mann, der den Salzhandel der Tahari im Griff hat. In seinem Reich ist er der oberste Richter. In den Dünen ist er der Ubar, und die Kaufleute unterwerfen sich seinem Willen. Der Wächter der Dünen ist einer der gefürchtetsten Männer in der Tahari.

»Kniet nieder, ihr Sklaven!« sagte der Reiter, der Anführer der Männer, die uns gefangengenommen hatten.

Hassan und ich gehorchten.

»Küsse den Sand vor dem Tor eures Herrn«, befahl der Mann. Hassan und ich drückten unsere Gesichter in den Sand vor dem offenen Riesenportal.

»Hoch mit euch, Sklaven«, sagte der Mann. Hassan und ich richteten uns auf.

»Ihr habt uns viel Ärger gemacht, Sklaven«, fuhr der Reiter fort. »Damit ist nun Schluß.«

Ich spürte die Spitze eines Krummsäbels im Rücken. »Bringt die Sklaven vor ihren Herrn«, ertönte der Befehl.

»Wie heißt der Salz-Ubar?« wandte ich mich an Hassan.

»Ich dachte, jeder wüßte seinen Namen«, erwiderte mein Freund.

»Nein«, sagte ich. »Wie heißt er denn?«

»Abdul.«

Schwer bewacht betraten Hassan und ich die Kasbah des Wächters der Dünen, des Salz-Ubar, des Mannes, der Abdul hieß.

Herrlich ausgestattet waren die Säle und Flure der Kasbah Abduls. Kostbar und glatt schimmerten die vielfarbigen Kacheln und die goldenen Wandbehänge, anmutig gestaltet waren die Säulen, verziert die Zwischenwände und Schmuckleisten, hell und raffiniert die stilisierten Blumeneinlagen, die geometrischen Mosaike. Riesige Goldgefäße schimmerten matt im Licht der Lampen, während wir durch die Gänge schritten, auf unserem Weg in die oben liegenden Räume. Mannshohe Vasen aus rotem und gelbem Porzellan säumten einen Korridor im Obergeschoß, Importe aus den Töpfereien von Tyros. Perlenvorhänge wurden vor uns geöffnet, zahlreiche prunkvolle Portale blieben hinter uns zurück.

Wir beschmutzten den blitzenden Boden nicht und trugen auch keinen Sand in den Palast. Am Fuße der großen marmornen Wendeltreppe, die in das Obergeschoß führte, blieben wir mit unseren zwölf Wächtern stehen. Kniende Sklavinnen zogen unseren Begleitern die Wüstenstiefel aus und machten sich daran, ihnen mit Veminiumwasser die Füße zu reinigen. Das Abtrocknen besorgten Mädchen. Anschließend bekamen die Männer weiche, flache Schnabelschuhe verpaßt. Auch Hassan und mir wurden die Füße gewaschen. Das Mädchen, das mich versorgte, hatte langes, fast schwarzes Haar. Einmal blickte sie zu mir empor. Ihrem Aussehen nach hätte sie einer hohen Familie aus Ar entstammen können hier war sie nur eine Sklavin der Tahari. Sie senkte den Blick und beendete ihre Arbeit.

»Dort hinein«, sagte der Anführer der Männer. Wir standen vor einem großen Portal, das sich nach oben hin in anmutigem Schwung erweiterte und sich in sanftem Bogen zu einer Spitze hin verjüngte. Dieser Durchgang lag am Ende unseres Weges.

In dem anschließenden Saal erblickten wir auf einem Podest mehrere Männer, die eine Gestalt umringten. Nach Art der Char waren die Männer verschleiert. Sklavinnen bedienten die Gruppe. Ein Mädchen kam aus dem Saal und senkte sofort den Blick. Gefesselt wurden Hassan und ich in den riesigen Thronsaal geführt. Die anwesenden Männer blickten auf.

Wir wurden vor die Plattform gestoßen. »Kniet nieder und küßt den Boden vor den Füßen eures Herrn!« sagte der Mann. Hassan und ich knieten nieder. Krummsäbel waren blank gezogen. Wir küßten die Kacheln und richteten uns wieder auf. In einer solchen Situation mußte Ungehorsam die sofortige Enthauptung zur Folge haben.

Der Mann, der mit untergeschlagenen Beinen auf der Plattform saß, musterte uns.

Wir schwiegen.

Er hob den Finger.

»Ihr dürft euren Respekt noch einmal bekunden«, befahl der Mann hinter uns.

Und wieder berührten wir den Boden mit den Lippen und richteten uns auf.

»Ich hatte nicht angenommen, daß die Frau euch gefangenhalten könnte«, sagte der Mann auf der Plattform lächelnd.

Wir antworteten nicht.

»Ich rechne damit, daß ich in diesem Punkt besser abschneide«, fuhr der Mann fort. Er war verschleiert, wie es bei den Char üblich ist. Er nahm eine Weintraube aus einer kleinen Schale neben sich, zog den Schleier von seinem Gesicht fort, steckte die Frucht in den Mund und biß hinein. Die Traube war bereits entkernt.

Ich sah mich unauffällig in dem Raum um ein herrlicher, weiträumiger Saal mit hoher Decke, ausgekachelt, herrlich geschmückt. Ein Wesir, ein Pascha, ein Kalif hätte in einem solchen Saal seine Audienzen abhalten können.

»Sie ist ein ausgezeichnetes Werkzeug«, sagte der Mann auf der Plattform, schluckte die Frucht hinunter, säuberte seine rechte Hand in einer kleinen Schale mit Veminiumwasser und trocknete sie an einem Tuch zu seiner Rechten ab. »Doch in letzter Konsequenz ist sie nur eine Frau. Ich hatte nicht angenommen, daß sie euch lange in ihrer Kasbah halten konnte. Ihr wart kaum mehr als zwanzig Ahn in ihrer Gewalt.«

»Und dann sind wir dir in die Hände gefallen«, sagte Hassan. Der Mann zuckte unmerklich die Achseln, wie es in der Tahari üblich ist.

»Mir ist nicht klar«, fuhr Hassan fort, »warum ein einfacher Dattelhändler wie mein Freund Hakim aus Tor und ich, ein unbedeutender Bandit, für einen Mann deines hohen Ranges von Bedeutung sind.«

Der Mann sah Hassan an. »Du hast mir einmal etwas fortgenommen«, sagte er, »etwas, für das ich mich sehr interessierte.«

»Ich bin Bandit«, sagte Hassan ungerührt. »Das ist mein Geschäft. Vielleicht könnte ich dir den Gegenstand zurückgeben, wenn du noch ernsthaft daran interessiert bist.«

»Ich habe mir den Gegenstand längst besorgt«, lautete die Antwort.

»Dann habe ich dir wohl kaum etwas zu bieten«, räumte Hassan ein.

»Worum handelt es sich?«

»Eine Kleinigkeit«, sagte der Mann.

»Vielleicht war ein anderer Bandit daran schuld«, meinte Hassan. »Mit dem Schleier sehen wir uns sehr ähnlich.«

»Ich war Zeuge des Diebstahls«, sagte Abdul. »Und du hieltest es nicht für erforderlich, deine Züge zu verhüllen.«

»Das mag unklug gewesen sein«, sagte Hassan. Seine Neugier schien geweckt zu sein. »Dabei erinnere ich mich nicht, einen meiner Coups durchgeführt zu haben, während du in der Nähe warst. In der Tat bin ich heute zum erstenmal in deiner Kasbah.«

»Du hast mich nicht erkannt«, sagte der Mann.

»Ich wollte nicht unhöflich sein.«

»Du warst damals verständlicherweise in Eile.«

»Bei meinen Geschäften kommt es oft auf Eile an«, sagte Hassan. »Was habe ich dir denn gestohlen?«

»Eine Kleinigkeit.«

»Ich hoffe, daß du mir verzeihst«, sagte Hassan. »Außerdem hast du das Verlorene ja zurück, was immer es sein mag, und ich hoffe, daß du bereit bist, die Vergangenheit ruhen und mich und meinen Freund abreisen zu lassen wobei du uns nach Möglichkeit unsere Kaiila, unsere Kleidung und sonstigen persönlichen Dinge zurückgeben und uns vielleicht mit Wasser und Vorräten ausrüsten solltest. Wir könnten auf diese Weise Weiterreisen, uns überall an den Lagerfeuern positiv über deine Großzügigkeit und Gastfreundschaft äußern und brauchten dir nicht länger zur Last zu fallen.«

»Leider ist das nicht möglich«, sagte der Mann.

»Eigentlich hatte ich nichts anderes erwartet«, stellte Hassan fest.

»Du bist Bandit«, sagte der Mann auf der Plattform.

»Zweifellos hat jeder von uns seinen Beruf«, sagte Hassan. »Ich bin nun mal Bandit. Sicher möchtest du mir meinen Beruf nicht vorwerfen.«

»Nein«, sagte der Mann, »doch auch ich habe meine Pflichten, und zu diesen Pflichten zählt die Verfolgung und Bestrafung von Banditen. Sicher willst du mir meine Pflichten nicht vorwerfen.«

»Natürlich nicht«, sagte Hassan. »Das wäre nicht nur unvernünftig, sondern auch unhöflich.« Mit einer Kopfbewegung deutete er auf mich.

»Ich bin allerdings mit diesem Burschen zusammen gereist, einem ungeschickten, wenn auch gutmütigen Dummkopf, einem langweiligen Dattelhändler, Hakim aus Tor geheißen. Der Mann ist nicht besonders klug, doch sonst ganz in Ordnung. Wir sind zufällig aneinander geraten. Wenn du ihn befreist, würde man an den Lagerfeuern sicher positiv von deiner Großzügigkeit und Gastfreundschaft sprechen.«

»Man wird sich an den Lagerfeuern ein anderes Thema suchen müssen«, sagte der Mann.

Mehrere Männer saßen mit ihm auf der Plattform; dazwischen niedrige Tische mit Nüssen, Früchten, geröstetem Verr, verschiedene Brotsorten. Mehrere Sklavinnen knieten am Rand der Plattform und warteten darauf, die Männer zu bedienen. Einige trugen hohe Kragen. Im Gegensatz zu den Männern waren die Mädchen nicht verschleiert.

»Ich habe lange darauf gewartet, dich vor mir knien zu sehen«, sagte der Mann und hob die Finger. Vier Mädchen hasteten mit klirrenden Sklavenglöckchen zu Hassan und mir. Sie blickten zu der Gestalt auf der Plattform. »Seid ihnen zu Gefallen«, befahl er. Wir wehrten uns. Mit Lippen, Zungen und zärtlichen Fingern machten sich die Mädchen daran, uns Freude zu bereiten. Die Fesseln schnitten uns in die Handgelenke. Die Seile um unsere Hälse engten uns ein. Wir vermochten uns nicht zu befreien. Die Anwesenden sahen belustigt zu und weideten sich genüßlich an der Hilflosigkeit, in der wir die handfesten Zärtlichkeiten über uns ergehen lassen mußten. Wieder hob der Verschleierte einen Finger. Andere Mädchen eilten mit leckeren Bissen herbei, die sie uns in den Mund steckten. Ein Mädchen hielt uns den Kopf; andere schütteten uns Wein in den Mund - turischen Wein, süß und schwer, Ta-Wein aus den berühmten Ta-Trauben von den Hängen Cos’, Kalana-Wein, herb und trocken, aus dem fernen Ar. Uns schwirrten die Köpfe. Wir vernahmen Musik. Musiker hatten den Raum betreten. »Feiert«, sagte der Mann auf der Plattform und klatschte in die Hände. Wir schüttelten die Köpfe, versuchten den Einfluß des Weins loszuwerden. Wir wehrten uns. Ich versuchte, mich den übereifrigen Lippen und Händen der Sklavinnen zu entziehen. »Tafa liebt dich«, flüsterte eine. Mein Wächter hielt mich am Haar fest. Ich schloß die Augen. Ihre Lippen berührten mich am linken Ohr. »Tafa liebt dich, Herr«, flüsterte sie. Ich war verblüfft. Plötzlich wurde mir klar, daß ich das Mädchen schon einmal gesehen hatte sie war eine von den beiden Mädchen, die Hassan in der Wüste erbeutet hatte, ehe wir uns kennenlernten. Wir hatten sie zusammen mit Zina in der Oase der Zwei Krummsäbel verkauft.

Ich versuchte, mich von ihr zu lösen, wurde aber festgehalten. »Tafa möchte dir Freude machen«, flüsterte sie. Ich spürte die Lippen eines zweiten Mädchens an Bein und Hüfte, am Glied.

Die verschleierten Männer beobachteten mich lächelnd, schweigend. Wieder klatschte der Herr der Kasbah in die Hände. Vor uns erschien ein Mädchen auf den Kacheln; sie trug Ketten.

Hassans Augen waren ausdruckslos.

Es war Alyena.

»Erinnerst du dich an dieses Mädchen?« wandte sich der Verschleierte an Hassan.

»Ja.«

»Von diesem Geschöpf habe ich vorhin gesprochen. Sie ist die Kleinigkeit, an der ich Interesse hatte - ehe du sie mir nahmst. Ich habe sie wieder an mich gebracht.«

Alyena erbebte unter Hassans Blick.

»Man hat mich in der Nähe des Roten Felsens eingefangen«, sagte sie. Tränen standen ihr in den Augen.

»Sie war in Begleitung mehrerer Männer«, sagte der Mann auf der Plattform. »Sie alle haben gut gekämpft und vermochten in die Wüste zu entkommen.«

Wie konnte es dann sein, fragte ich mich, daß die liebliche Alyena hier vor uns stand?

»Seltsamerweise«, fuhr der Mann fort, »drehte dieses Mädchen plötzlich ihre Kaiila herum, obwohl sie bereits so gut wie in Sicherheit war, und galoppierte zur Oase zurück.«

Die Oase der Schlacht am Roten Felsen mußte in diesen Minuten bereits in Flammen gestanden haben.

»Natürlich wurde sie sofort gefangengenommen«, erklärte der Mann.

»Sie rief immer wieder den Namen Hassan.«

Es war zu sehen, daß Hassan sich ganz und gar nicht darüber freute. Sie hatte seinem Befehl zuwider gehandelt, ganz zu schweigen von dem Umstand, daß sie als Sklavin seinen Namen nicht hätte aussprechen dürfen.

»Ich liebe dich, Herr!« rief das Mädchen jetzt. »Ich wollte bei dir sein!«

»Du bist eine entflohene Sklavin«, erwiderte er.

Sie begann zu weinen. »Verzeih mir, Herr!« rief sie. »Ich liebe dich!« Sie hatte ihr Leben riskiert, um zu Hassan zurückzukehren. Sie liebte ihn; trotzdem schuldete sie ihrem Herrn absoluten Gehorsam. Sie hatte in zwei Punkten seine Anweisungen mißachtet, und ich nahm nicht an, daß er sie großzügig behandeln würde. Die Liebe gestattet einer Sklavin keine Freiheiten.

»Herr, was soll ich tun?« flehte Alyena. Wie schön sie war. Die Blicke aller Anwesenden waren auf sie gerichtet. Außer dem Schmuck, den Glocken, dem Kragen und den Kosmetika trug sie sechs seidene Stoffbahnen, die von ihrem Kragen ausgingen; sie bot einen herrlichen Anblick.

Der Mann auf der Plattform hob den Finger.

»Tanze für uns, Sklavin«, sagte Hassan.

Langsam senkte sich der Finger des Verschleierten, und die Musiker begannen zu spielen. Alyena setzte sich in Bewegung. Sie war eine höchst attraktive Kleinigkeit.

Das Fest zog sich bis in die späten Abendstunden hin; dabei bereiteten uns die schönen Mädchen des Salz-Ubar viel Freude.

Schließlich sagte er: »Es ist spät. Ihr solltet euch zurückziehen, denn ihr müßt vor dem Morgengrauen wieder hoch.«

»Du verschleierst dich wie ein Char«, sagte ich, »doch ich glaube nicht, daß du diesem Stamm angehörst.«

»Nein«, erwiderte der Mann auf der Plattform.

»Ich hatte nicht gewußt, daß du der Salz-Ubar bist«, sagte ich.

»Das ist vielen unbekannt.«

»Warum bist du verschleiert?«

»Es ist Sitte bei den Angehörigen der Wache der Dünen, sich zu verschleiern. Ihre Loyalität gehört nicht einem einzelnen Stamm, sondern dem Schutz des Salzes. Die Anonymität ist ein Schutz für sie. Auf diese Weise können sie sich ohne Schleier ungehindert bewegen; niemand weiß, daß sie von mir bezahlt werden. Wenn sie den Schleier tragen, vermag man ihre Handlungen nicht auf eine Einzelperson zurückverfolgen, sondern nur auf eine Institution, nämlich mein Ubarat.«

»Du hältst offenbar viel von deinem Amt«, sagte ich.

»Nur wenige kennen die Männer des Salz-Ubar«, erwiderte er. »Ihre Schleier sind überall gefürchtet.«

»Ich fürchte sie nicht«, schaltete sich Hassan ein. »Nimm mir die Fesseln ab, gib mir einen Krummsäbel, dann wollen wir die Angelegenheit prüfen.«

»Sind noch andere hier, die ich kenne?« wollte ich wissen.

»Vielleicht«, sagte der Mann und wandte sich an seinen Hofstaat. »Legt die Schleier ab«, befahl er.

Die Männer zogen die scharlachroten Schleier von den Gesichtern.

»Hamid«, sagte ich, »Leutnant Shakars, des Hauptmanns der Aretai.«

Ich nickte.

Der Mann sah mich haßerfüllt an. Seine Hand ruhte auf dem Dolchgriff.

»Ich möchte ihn umbringen«, sagte er.

»Vielleicht fängst du es diesmal geschickter an als bei Suleiman Pascha«, sagte ich.

Hamid stieß einen Wutschrei aus.

Der Anführer, der Salz-Ubar, hob einen Finger, und der Mann verstummte mit blitzenden Augen.

»Es ist ein zweiter Mann im Saal, den ich kenne«, sagte ich und deutete mit einem Kopfnicken auf eine kleine Gestalt neben dem Salz-Ubar.

»Allerdings ist er jetzt kostbarer gekleidet als bei unserer letzten Begegnung.«

»Er ist mein Agent in Tor«, sagte der Salz-Ubar.

»Abdul der Wasserverkäufer«, sagte ich. »Ich habe dich einmal für einen anderen gehalten.«

»Oh?«

»Darauf kommt es jetzt nicht mehr an.« Ich lächelte vor mich hin. Ich hatte in ihm den ›Abdul‹ der Warnung gesehen, die in die Kopfhaut des Botenmädchens Veema tätowiert worden war. Ich hatte noch immer keine Ahnung, wer uns diese Nachricht geschickt hatte. Wie mir inzwischen klar war, bezog sich die Warnung auf Abdul, den Salz-Ubar. Der Unbekannte, der uns die Botschaft übermittelt hatte, stammte zweifellos aus der Tahari. Dementsprechend hatte er sich nicht vorstellen können, daß wir die Worte mißverstehen würden. Im historischen Sinne, im planetarischen Sinne wäre zu dieser Zeit in der Tahari nur ein ›Abdul‹ in Frage gekommen, nämlich der mächtige, gefürchtete Wächter der Dünen, der Salz-Ubar. Er war ein kampfstarker Gefolgsmann der Kurii. Samos und ich hatten zwar schon von dem Salz-Ubar gehört, kannten aber seinen Namen nicht, der selbst in der Tahari nicht oft ausgesprochen wird. Es ist schwierig festzustellen, wer zu seinen Spionen gehört und wer nicht. Seine Kämpfer kommen aus den verschiedensten Stämmen. Wäre mir der Name des Salz-Ubar von vornherein bekannt gewesen, hätte ich mich vielleicht anders verhalten. Ich fragte mich, wer uns die Warnung geschickt hatte: ›Vorsicht vor Abdul‹. Wie selbstgefällig war ich doch gewesen, wie gewiß, dieses Rätsel gelöst zu haben!

»Darf ich ihm die Kehle durchschneiden?« fragte der Wasserverkäufer.

»Mit unserem Freund haben wir andere Pläne«, sagte der Salz-Ubar. Er hatte seinen Schleier bisher noch nicht abgenommen.

»Bist du schon lange als Abdul bekannt?« fragte ich den Salz-Ubar.

»Seit etwa fünf Jahren«, erwiderte er. »Seitdem ich diese Kasbah unterwandern und meinen Vorgänger absetzen konnte.«

»Du dienst den Kurii«, stellte ich fest.

Der Mann zuckte die Achseln. »Und du dienst den Priesterkönigen«, erwiderte er. »Wir haben beide viel gemein, wir sind beide Söldner. Nur bist du nicht so klug wie ich, denn du dienst nicht der Seite, welche das Salz des Sieges kosten wird.«

»Die Priesterkönige sind ernstzunehmende Gegner«, sagte ich.

»Aber nicht so sehr wie die Kurii«, erwiderte er. »Der Kur ist hartnäckig, zielstrebig, wild. Er setzt sich durch. Die Priesterkönige werden fallen. Sie sind degeneriert, haben sich überlebt. Sie werden ihr Ziel nicht erreichen.«

Seine Worte entsprachen vermutlich der Wahrheit. Der Kur ist ein entschlossenes, aggressives, gnadenloses Geschöpf. Er ist hochintelligent, besitzt einen natürlichen Blutdurst und hat keine Skrupel, einen Gegner zu töten, um seinen Hunger zu stillen oder Besitzansprüche durchzusetzen. Die Priesterkönige dagegen sind relativ sanftmütige Wesen, anfällig, anmutig. Sie interessieren sich im Grunde nicht für Konflikte; in militärischer Hinsicht reagieren sie fast immer defensiv, und es liegt ihnen mehr daran, in Ruhe gelassen zu werden. Ich wußte nicht, ob die Priesterkönige bei all ihrer geistigen Brillanz und ihrem umfassenden Wissen das Drüsen und Nervensystem hatten, um die natürliche Motivation der Kurii zu verstehen. Die wahre Beschaffenheit der Kurii blieb ihnen vielleicht verschlossen, ähnlich wie eine drohende Farbe, die ihre Augen nicht erfassen konnten, oder ein schreckliches Geräusch, auf das ihre Sinnesorgane nicht ansprachen.

»Deine Worte dürften stimmen«, sagte ich.

»Ich werde dich nicht bitten, den Kurii zu dienen.«

»Damit tust du mir Ehre an.«

»Du bist ein Krieger.«

»Das stimmt.« Das Scharlachrot hatte mir bisher niemand streitig gemacht. Wer wollte, konnte gern um die Zugehörigkeit zu dieser Kaste mit mir kämpfen mit dem Schwert.

»Nun«, sagte der Mann auf der Plattform. »Es ist spät, und wir sollten uns zurückziehen. Ihr müßt schon vor Beginn der Dämmerung auf den Beinen sein.«

»Wo ist Vella?« fragte ich.

»Ich habe sie in ihrem Quartier eingesperrt.«

»Muß ich dich als Abdul anreden?« fragte ich.

Der Mann senkte seinen Schleier. »Nein«, erwiderte er. »Nicht, wenn du das nicht wünschst.«

»Ich kenne dich besser unter einem anderen Namen«, sagte ich.

»Das stimmt.«

Hassan begann, sich in seinen Fesseln aufzubäumen, doch er vermochte nichts auszurichten. Die Wächter hielten ihn fest. Im nächsten Augenblick näherte sich die Klinge eines Krummsäbels seinem Hals. Daraufhin beruhigte er sich wieder.

»Will man uns im Morgengrauen töten?« wollte ich wissen.

»Nein.«

Ich sah ihn verwirrt an. Hassan schien erstaunt zu sein.

»Morgen früh beginnt für euch und viele andere eine weite Reise«, sagte der Mann. »Eine Wanderung zu Fuß. Ich hoffe, daß ihr euer Ziel sicher erreicht.«

»Was hast du mit uns vor?« fragte Hassan.

»Hiermit«, sagte Ibn Saran, »verurteile ich euch zu den Salzgruben von Klima.«

Wir richteten uns langsam auf doch jeder von uns wurde von zwei Wächtern gepackt. »Tafa, Riza«, wandte sich Ibn Saran an zwei Mädchen. »Ihr werdet die Nacht mit den Gefangenen verbringen, in den Verliesen.«

»Ibn Saran ist großzügig«, bemerkte ich.

»Ich gebe Hassan eine Frau wegen seiner Kühnheit. Dir gebe ich eine Frau für deine Männlichkeit und weil wir uns ähnlich sind - Söldner in einem Krieg, der übergeordneten Zielen dient.« Er wandte sich an eins der Mädchen. »Richte dich auf, Tafa«, sagte er. Sie gehorchte, und Ibn Saran winkte einen seiner Wächter herbei. »Das andere Mädchen, Riza, kettest du an Hassan, und Tafa gibst du diesem Krieger, dessen Name Tarl Cabot lautet.«

Metallkragen schlossen sich klickend um die Hälse der Mädchen.

»Schau dir Tafa an, Tarl Cabot«, sagte Ibn Saran. »Tafas Körper möge dir Lust bereiten, denn in Klima gibt es keine Frauen.«

Daraufhin zerrte man uns herum und führte uns aus dem Audienzsaal des Wächters der Dünen, des Salz-Ubar Abdul, den ich als Ibn Saran kennengelernt hatte.

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