John Norman Die Stammeskrieger von Gor

1

Drei Reihen goldener Glöckchen klimperten am linken Fußgelenk des Mädchens.

Der Fußboden der großen Halle, eine mit kostbaren Mosaiken ausgelegte schimmernde Fläche, war eine einzige riesige Landkarte. Ich beobachtete das Mädchen. Sie war leicht in die Knie gegangen. Ihr Gewicht ruhte auf den Hacken, so daß ihre Hüften frei schwingen konnten. Die Brüste hatte sie emporgereckt, während die Schultern entspannt herabhingen. Sie sah uns nicht an. Das dunkle Haar fiel ihr lang über die Schultern herab.

»Es gibt vieles, was ich noch nicht verstehe«, sagte Samos zu mir. Ich griff nach einer Larmascheibe und biß hinein. »Aber«, fuhr Samos fort,

»ich halte es für wichtig, daß wir die Wahrheit erkennen.«

Ich betrachtete die weitläufige Landkarte auf dem Fußboden des Saals. In der Ferne, im hohen Norden, vermochte ich den Axtgletscher von Torvaldsland zu erkennen, sowie Hunjer, Skjern und Helmutsport, tiefer im Süden Kassau und die riesigen grünen Wälder, den Fluß Laurius, und Laura und Lydius, und in der Nähe die Inseln, unter denen Cos und Tyros hervorstachen. Ich erblickte das Voskdelta und Port Kar und im Binnenland Koroba, die Türme des Morgens; ich sah die Stadt Thentis in den Bergen von Thentis, und im Süden unter vielen anderen Städten Tharna mit den gewaltigen Silberbergwerken; ich sah die Voltai-Berge und das Herrliche Ar und den Cartius und ganz tief im Süden Turia und an der Küste des Thassa die Inseln Anango und Iando, dahinter an der Küste die Freihäfen von Schendi und Bazi. Hunderte von Städten waren auf der Karte verzeichnet, zahlreiche Halbinseln und Landzungen, unzählige Flüsse, Binnenseen und Meere.

»Vielleicht irrst du dich«, sagte ich. »Vielleicht steckt gar nichts dahinter.«

»Vielleicht«, erwiderte er lächelnd.

In den Ecken des Zimmers standen bewaffnete Wächter.

Das Mädchen trug goreanische Tanzseide, rot, durchsichtig, verführerisch. An den Armen trug sie zahlreiche Reifen und Ringe. An Daumen und Zeigefinger beider Hände hingen goldene Handzimbeln. Um ihren Hals lag ein Metallkragen.

»Du hast Informationen?« fragte ich und griff nach einer neuen Larmascheibe.

»Ja«, sagte Samos. »Aber nichts Konkretes.«

»Vielleicht ist die Sache nicht weiter wichtig.«

»Kann sein«, räumte er ein.

»Die Kurii, die Anderen«, sagte ich, »sind doch ziemlich ruhig gewesen, nachdem die Invasion der eingeborenen Kurii in Torvaldsland zum Stillstand gebracht wurde.«

»Vor einem stummen Feind muß man sich besonders in acht nehmen«, sagte Samos und klatschte in die Hände. Sofort begann das Mädchen zu tanzen. Ich betrachtete die Münzketten, die sich schimmernd um ihre Hüften zogen. Der Feuerschein spiegelte sich prachtvoll darin. Den Kopf hatte sie abgewandt, als sei sie unwillig, uns ihre Schönheit darzubieten.

»Komm mit«, sagte Samos.

Ich leerte meinen Pagakelch.

Er grinste mich an. »Du kannst sie später haben«, sagte er. »Sie wird den ganzen Abend hier sein. Ich werde sie dir in deine Gemächer schicken. Sie ist eine Wonne.«

Samos trat hinter dem niedrigen Tisch hervor. Er nickte seinen treuen Gefährten zu. Zwei hübsch gekleidete Sklavinnen wichen mit gesenkten Köpfen vor ihm zurück.

In einer Ecke hockte eine zusammengekauerte Gestalt ein bleichhäutiges blondes Mädchen, das einen verschreckten Eindruck machte. Sie war an Händen und Füßen mit schwarzen Lederriemen gefesselt und wurde von zwei Männern bewacht. Ihre ganze Haltung zeugte von Starrheit und Verkrampfung, wie man es bei den meisten irdischen Frauen findet. Wie die meisten ihrer Gattung war sie unmerklich, doch nachdrücklich von der irdischen Kultur dazu gezwungen worden, die natürliche organische Süße ihres Körpers zu unterdrücken, zu verbergen, zu leugnen, sich einer formellen, geregelten physischen Geschlechtslosigkeit hinzugeben - jener verkrampften weiblichen Zurückhaltung und Beherrschung, wie sie in einer mechanistischen, technologischen Gesellschaft so gern gesehen wird. Menschen bewegen sich in einer technisierten Welt anders als in einer von der Natur bestimmten Umgebung. Nur wenige Menschen machen sich diese Unterschiede klar. Ich musterte das Mädchen. Sie war verängstigt und voller Kummer.

»Sag ihr, sie soll sich eine echte Frau ansehen«, sagte Samos. »Sie soll es lernen, eine Frau zu sein!« Er deutete auf die goreanische Tänzerin. Das Mädchen war noch nicht lange auf Gor. Samos hatte sie auf Teletus gekauft, für vier Silbertarsks, als ein Mädchen von vielen. Sie hatte zum erstenmal die Sklavengehege verlassen dürfen, befand sich hier zum erstenmal in Samos’ Haus. Am linken Schenkel schimmerte frisch ihr Brandzeichen. Ein einfaches Eisenband war ihr um den Hals geschmiedet worden das Zeichen ihrer Unterwerfung und Zugehörigkeit zu Samos. Sie war ein armseliges Geschöpf, nicht viel wert. Doch beim genaueren Hinsehen entging mir nicht, daß sie einige vielversprechende Ansätze zeigte. Vielleicht konnte man noch einiges mit ihr anfangen. Das blonde Mädchen starrte entsetzt auf die Tänzerin. »Sieh sie dir an, Sklavin!« sagte ich auf Englisch. »So tanzt eine echte Frau!«

Auf der Erde hatte das Mädchen Priscilla Blake-Allen geheißen. Sie stammte aus Amerika. Hier jedoch war sie der namenlose Besitz eines Sklavenhändlers, hier teilte sie das Schicksal vieler hundert Mädchen in den Gehegen unter uns.

Die Tänzerin bewegte sich gemessen im Takt der Musik. Sie verstand sich perfekt auf das Tanzen. Im Augenblick wand sie sich auf dem ›Sklavenpflock‹, der sie an Ort und Stelle festhielt. Natürlich ist sie an diesen Pflock nicht in Wirklichkeit geschmiedet, doch wenn eine Tänzerin gut ist, kann sich der Zuschauer diesen Pfahl tatsächlich vorstellen. Das Mädchen tanzt, als ob eine schlanke, biegsame Stange ihren Körper hielte. Um diesen hypothetischen Schwerpunkt bewegt sie sich tanzend, sich windend, sich der eingebildeten Erscheinung manchmal voller Ekstase hingebend, manchmal dagegen ankämpfend, ohne jedoch davon loszukommen. Durch diesen Tanz wird eine unglaubliche sinnliche Spannung geschaffen, die vom Körper der Tänzerin ausgeht und von den Zuschauern erfaßt wird. Ich hörte die Männer an den Tischen voller Begeisterung rufen. Die Hände der Sklavin bewegten sich über ihre Schenkel. Ärgerlich starrte sie die Männer an, doch sie bewegte sich immer weiter. Ihre Schultern hoben und senkten sich, die Hände strichen über Brüste und Schultern, ihre Hüften zuckten. Im nächsten Augenblick schwieg die Musik, und auch die Sklavin stand starr.

»Du mußt lernen, eine Frau zu sein«, sagte ich zu dem blonden Mädchen von der Erde.

»Niemals!« zischte sie auf Englisch.

»Du bist nicht mehr auf der Erde«, erwiderte ich. »Man wird dir alles Nötige beibringen. Die Lektion kann angenehm oder schmerzhaft ausfallen, aber du wirst sie schlucken.«

»Das ist alles so entwürdigend!« sagte sie.

»Du wirst es lernen, dich sinnlich zu bewegen wie eine Frau.«

»Niemals!« schluchzte sie und bäumte sich in den Fesseln auf.

»Du bist eine Sklavin«, sagte ich. »Du bist Eigentum deines Herrn. Er wird dich zwingen, eine Frau zu sein eine andere Möglichkeit gibt es für eine goreanische Sklavin nicht. Auf der Erde hattest du die Unterstützung der Gesellschaft, ein Ergebnis jahrhundertelanger Ausrichtung auf die Frau. Dort konnte dich ein Mann nicht einmal unhöflich behandeln, ohne daß du geflohen wärst oder die Gerichtsbarkeit angesprochen hättest; hier aber mußt du ohne die Hilfe der Gesellschaft auskommen. Die Gesellschaftsstruktur Gors ist allein auf deinen Herrn ausgerichtet. Du hast keine Zuflucht, bist du doch eine Sklavin. Die Goreaner sind keine Erdenmänner. Sie sind stolz und erbarmungslos, und sie werden dich unterwerfen!«

Die Tänzerin stöhnte auf. Noch immer befand sie sich in der Gewalt des Sklavenpflocks, dessen hilflose Gefangene sie zu sein schien.

»Du vermagst dich noch nicht so zu bewegen wie sie«, sagte ich zu dem blonden Mädchen. »Doch Muskeln lassen sich ausbilden. Man wird dir beibringen, sich wie eine Frau zu bewegen.«

In diesem Augenblick schnipste Samos mit den Fingern und befreite die Tänzerin damit von dem imaginären Sklavenpflock. Langsam drehte sich das Mädchen herum, löste den Schleier von ihrer linken Hüfte und tanzte im Kreis. Sie streifte den durchsichtigen Stoff von der linken Schulter, wo er unter dem Gurt ihres Büstenhalters gesteckt hatte. Sie schwenkte mit ausgebreiteten Händen den Schleier und tanzte. Dann sah sie uns mit dunklen Augen über den Rand des Stoffs hinweg an.

Nach einem letzten Blick auf das blonde Mädchen, das den Tanz mit weit aufgerissenen Augen verfolgte, verließ ich hinter Samos den Raum.

»Sie muß Goreanisch lernen«, sagte der Sklavenhändler, »und zwar schnell.«

»Die Peitsche wird ihr dabei helfen«, versicherte ich.

»Du hast nicht viel von ihr erfahren?« erkundigte sich Samos. Ich hatte das Mädchen verhört, als sie in Samos’ Haus gebracht wurde.

»Ihre Geschichte«, sagte ich, »ähnelt den Aussagen vieler anderer Mädchen. Entführung, Transport nach Gor, Sklaverei. Sie hat keine Ahnung. Noch begreift sie nicht, was der Sklavenkragen wirklich bedeutet.«

Samos stimmte das unangenehme Lachen eines Sklavenhändlers an.

»Eine Bemerkung des Mädchens scheint mir allerdings interessant zu sein«, fuhr er fort, während er mir durch einen breiten Korridor voranging. Wir kamen an einer Sklavin vorbei, die bei unserem Anblick auf die Knie sank und den Kopf senkte.

»Die Sache scheint ein Zufall zu sein«, sagte ich, »ohne Bedeutung.«

»Sie mag für sich gesehen bedeutungslos sein«, sagte er. »Doch im Zusammenhang mit anderen Aspekten erweckt die Aussage doch eine gewisse Besorgnis in mir.«

»Du meinst die englisch gesprochene Bemerkung eines Wächters, die das Mädchen zufällig mitbekommen hat daß die Sklavenschiffe nach Gor zurückkehren sollen?«

»Ja«, sagte Samos. Als ich das Mädchen in den Sklavengehegen verhörte, wobei ich sie zwang, sich an jede noch so unwichtig scheinende Einzelheit zu erinnern, waren ihr diese Worte eingefallen, die mir rätselhaft und beunruhigend vorkamen. Ich hatte nicht viel damit anfangen können, doch Samos hatte sich sofort besorgt gezeigt. Natürlich wußte er mehr als ich über die Machenschaften der Anderen, der Kurii, auf der einen Seite, sowie der Priesterkönige auf der anderen. Als die Bemerkung ausgesprochen wurde, war das Mädchen gerade erst auf Gor eingetroffen, schläfrig, halb betäubt. Sie hatte in einer Reihe mit anderen irdischen Mädchen gefesselt im frischen goreanischen Gras gelegen. Sie hatte kaum gespürt, wie man sie herumdrehte, anhob und an einen anderen Platz in der Reihe trug eine Position, die gewöhnlich durch die Körpergröße bestimmt wurde. Normalerweise führen die größten Mädchen eine Sklavenkette an. Man hatte sie wieder ins Gras geworfen und klickend am linken Handgelenk neu an die Kette angeschlossen. Ein Mann hatte daneben gestanden und etwas in ein Buch geschrieben.

Als man ihr den Identifikationsreif abnahm, hatte der Mann mit dem Ring etwas zu dem Mann mit dem Buch gesagt, und die Eintragung war vorgenommen worden. Als die Mädchen fertig angekettet waren, hatte der Mann mit dem Buch ein Papier unterschrieben, das dem Kapitän des Sklavenschiffs übergeben wurde. Offensichtlich handelte es sich um eine Quittung für gelieferte Ladung. Die Ladeliste hatte offenbar gestimmt. In diesem Augenblick hatte der Mann mit dem Buch den Kapitän gefragt, ob er bald zurückkehren werde. Der Mann mit dem Buch sprach mit goreanischem Akzent, während der Kapitän diese Sprache nicht beherrschte. Soweit sie sich erinnerte, hatte der Kapitän erwidert, daß er nicht wisse, wann er zurückkehren würde; er habe vielmehr die Nachricht erhalten, daß es vorerst keine neuen Flüge geben werde, bis neue Befehle einträfen.

Anschließend bekam sie mit, wie das Schiff startete, und dann hatte sie das Gras unter ihrem Körper gespürt und die Kette, die auf ihren Beinen lastete, und den Stahl des Armreifs. Die Kette hatte sich bewegt, als sich die Mädchen zu ihrer Rechten zu rühren begannen. Die Gefangenen lagen im Schatten einiger Bäume und waren aus der Luft nicht zu sehen. Sie durften nicht aufstehen. Miß Priscilla Blake-Allen hatte es nicht gewagt zu schreien; ein anderes Mädchen, das die Stimme erhob, wurde auf der Stelle geknebelt und grausam ausgepeitscht. Nach Einbruch der Dunkelheit waren die Mädchen zu einem Wagen getrieben worden. Sie standen alle unter einem Schock, einige verloren die Besinnung.

»Warum«, sagte Samos, »sollten die Sklavenschiffe mir ihren Flügen aufhören?«

»Steht eine Invasion bevor?« fragte ich.

»Das ist unwahrscheinlich«, meinte Samos. »Wenn eine Invasion geplant würde, müßten die Sklavenflüge doch weitergehen. Die Einstellung dieser Flüge würde den Priesterkönigen sofort auffallen. Es kann nicht im Interesse der Anderen sein, kurz vor einem Großangriff eine Atmosphäre der Nervosität und verstärkten Wachsamkeit zu schaffen.«

»Damit hast du wahrscheinlich recht«, räumte ich ein, »es sei denn, die Kurii nehmen an, eine solche Maßnahme würde die Priesterkönige gehörig aus dem Tritt bringen die das Manöver ein wenig zu offenkundig finden könnten, um es als Präludium zu einem offenen Angriff zu interpretieren.«

»Sicher werden die Herrscher über das Sardargebirge auch diese Möglichkeit bedenken«, sagte Samos.

Ich zuckte die Achseln. Mein Besuch im Sardargebirge lag lange zurück.

»Die Bemerkung mag darauf hindeuten, daß eine Invasion vorbereitet wird«, sagte Samos. »Andererseits glaube ich nicht, daß die Kurii, die immerhin sehr vernünftig denken, einen Krieg riskieren, wenn sie nicht ziemlich sicher sind, die Auseinandersetzung auch gewinnen zu können. Ich vermute, daß sie sich über die wahre Lage noch nicht im klaren sind. Die Organisation der eingeborenen Kurii, die ein ausgezeichneter Geheimdienst gewesen wären, hat ihnen leider nur wenige Informationen gebracht.«

Ich lächelte. Die Invasion der eingeborenen Kurii aus dem Norden, Überlebende und Nachkommen von Kurii aus Raumschiffen, war in Torvaldsland zum Stillstand gebracht worden.

»Ich glaube«, sagte Samos, »es geht um etwas anderes als eine Invasion.« Er sah mich grimmig an. »Ich glaube, hier wird etwas ausgebrütet, das eine Invasion überflüssig macht.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte ich.

»Ich bin sehr besorgt«, fuhr Samos fort.

Ich blickte ihn von der Seite an. Diese Stimmung kannte ich bei ihm nicht. Ich musterte das eckige Gesicht, das vom Wind und Salz des Thassa gezeichnet war, die klaren Augen, das kurzgeschnittene weiße Haar, die kleinen Goldringe in den Ohren. Sein Gesicht wirkte seltsam bleich. Ich wußte, daß er sich gegen hundert Schwerter zu Wehr setzen konnte.

»Was könnte eine Invasion überflüssig machen?«

»Ich bin sehr besorgt«, wiederholte Samos. »Folge mir.«

Wir setzten unseren Weg durch verschiedene Korridore fort. Wir stiegen über mehrere Treppen in die Tiefe. Nach einiger Zeit wurden die Wände feucht, und ich vermutete, daß wir uns unterhalb der Kanäle befanden. Wir kamen an verriegelten und bewachten Türen vorbei. Losungsworte, die sich je nach Stockwerk und Gebäudeteil unterschieden, wurden ausgesprochen und bestätigt. Die Losungen wurden täglich neu ausgegeben. Auf unserem Wege zu dem mir unbekannten Ziel kamen wir an Sklavengehegen vorbei, von denen einige recht bequem angelegt waren, während andere, für einfache Sklaven bestimmt, keinerlei Komfort aufwiesen. Wir kamen durch zwei Schulungsräume, von einem Korridor ging es in eine Krankenabteilung ab, dann ein Übungszimmer und die Brandkammer, in der erhitzte Brandeisen qualmten. Es stank nach verbranntem Fleisch.

Männliche Sklaven starrten uns düster nach, die Sklavinnen wichen gewöhnlich zurück. Ein Mädchen streckte die Arme zwischen den Gitterstäben hindurch. »Ich möchte an einen Mann verkauft werden!«

flehte sie. »Verkauft mich!« Ein Wächter schlug mit einer Lederpeitsche gegen das Gitter, mit einem Aufschrei zog sie die Arme in die Zelle zurück.

»Sie ist noch nicht heiß genug für den Block«, sagte ich. Samos gab mir recht.

Hätte sie sich mit ganzer Kraft gegen die Stäbe gestemmt, bereit, die Peitschenhiebe auf sich zu nehmen, nur um den Körper eines Wächters zu berühren, dann wäre sie vielleicht bereit gewesen. Oft werden die Mädchen bebend vor Leidenschaft in die Auktion geschickt. Ich habe sie bei solchen Gelegenheiten unter der leisesten Berührung durch den Auktionator erschaudern sehen. Oft werden sie hinter dem Block noch stark sexuell erregt, doch nicht befriedigt, so daß sie in einem Zustand grausamster Frustration zum Verkauf kommen. Ihre Versuche, die Käufer auf sich aufmerksam zu machen, sind dann zuweilen phantastisch. Ich habe Mädchen erlebt, die der Auktionator förmlich mit der Peitsche von sich abwehren mußte, um sie richtig zur Schau zu stellen. Bei diesen Mädchen handelt es sich in den meisten Fällen um Sklavinnen, die bereits einen Herrn und über einen längeren Zeitraum Verkehr gehabt hatten. Andere, die zum erstenmal zur Versteigerung kommen, haben meistens noch keinen Begriff von ihrer Sexualität - etwas, das sie nur erfahren können, wenn sie hilflos in der Gewalt ihres Sklavenherrn leben müssen und seinen Launen und Gelüsten ausgeliefert sind.

»Hier«, sagte Samos am Ende des Korridors, der in der untersten Etage seines riesigen Hauses zu liegen schien. Er äußerte ein Losungswort durch eine breite metallverstärkte Tür. Langsam wurde uns der Weg freigegeben. Hinter der Tür erstreckte sich ein weiterer Korridor, der aber ziemlich kurz war. Es war dunkel und feucht. Samos nahm dem Wächter eine Fackel ab und ging zu einer der Türen. Er starrte durch den winzigen Schlitz in der Tür. Dann ließ er den Riegel zurückgleiten, bückte sich und betrat den Raum.

Ein widerlicher Gestank schlug uns entgegen.

»Was hältst du davon?« fragte Samos.

Er hielt die Fackel in die Höhe.

Das angekettete Geschöpf bewegte sich nicht. Samos nahm von der Schwelle einen Stock, mit dem der Wärter Wasser und Nahrung über den Boden schob.

Das Wesen schlief oder war tot. Ich hörte keinen Atem.

Plötzlich huschte eine Urt auf einen Spalt in der Wand zu und verschwand darin.

Samos berührte das unheimliche Geschöpf mit dem Stock. Plötzlich regte sich das Ungeheuer und biß mit funkelnden Augen den Stock in der Mitte durch. Dann stemmte es sich mit seinen ganzen achthundert Pfund gegen die sechs Ketten, die es an der Wand festhielten. Die Ketten ruckten immer wieder in den Ringen, die tief in die Mauer eingelassen waren. Das Ungeheuer versuchte nach uns zu beißen. Am Ende der sechszehigen Beine des Wesens wurden Krallen ausgefahren und verschwanden wieder. Ich betrachtete die flache ledrige Schnauze, die schwarzen Augen mit den gelben Pupillen, die Ohren, die flach am Kopf anlagen, das breite, zahngesäumte Maul, das groß genug war, um einem Menschen den Kopf von den Schultern zu reißen. Ich hörte die Ringe in den Wandhalterungen knirschen. Doch sie hielten dem Ansturm stand. Nur zögernd nahm ich die Hand vom Schwertgriff.

Das Ungeheuer lehnte sich schließlich an die Wand und beobachtete uns. Träge blinzelte es im Licht der Fackel.

»Dies ist das erste lebendige Exemplar, das ich zu Gesicht bekommen habe«, sagte Samos.

Vor längerer Zeit hatte er einmal den Kopf eines solchen Wesens auf einem Pfahl gesehen in den Ruinen einer Halle in Torvaldsland. »Ein Kur«, sagte er.

»Ja«, erwiderte ich, »ein ausgewachsener Kur.«

»Ein großes Exemplar, nicht wahr?«

»Ja doch ich habe schon viel größere Kurii gesehen.«

»Soweit wir bestimmen können«, sagte Samos, »ist dieses Geschöpf nur ein Tier und besitzt keinen Verstand.«

Ich lächelte.

Das Geschöpf war an sechs Stellen festgekettet, an den Hand und Fußgelenken, um die Hüfte und um den Hals. Jede einzelne Kette hätte einen Bosk oder einen Larl im Zaum gehalten.

Der Kur fauchte und öffnete das zahnbewehrte Maul.

»Wo hast du ihn gefangengenommen?« wollte ich wissen.

»Ich habe ihn Jägern abgekauft«, sagte Samos. »Der Kur wurde südöstlich von Ar gefangengenommen. Er bewegte sich in südöstlicher Richtung.«

»Das kommt mir unwahrscheinlich vor«, sagte ich. Nur wenige Goreaner würden sich in diese Richtung wenden.

»Damit hast du recht«, sagte Samos. »Aber ich kenne den Anführer der Jägertruppe. Seine Auskünfte waren eindeutig. Bei der Gefangennahme des Kur sind sechs Männer ums Leben gekommen.«

Das Ungeheuer musterte uns gelassen.

»Aber was hatte ein Kur an einem solchen Ort zu suchen?« fragte ich.

»Vielleicht ist er wahnsinnig?« meinte Samos.

»Was könnte ein Kur mit einem solchen Ausflug bezwecken?« fragte ich. Samos zuckte die Achseln. »Wir haben uns mit ihm nicht verständigen können«, sagte er. »Vielleicht besitzen nicht alle Kurii einen Verstand. Vielleicht ist dieser einfach nur ein gefährliches Tier und weiter nichts.«

Ich starrte dem Wesen in die Augen. Es hob leicht die Lefzen. Ich lächelte.

»Wir haben den Kur geschlagen«, sagte Samos. »Wir haben ihn ausgepeitscht und mit Stangen traktiert. Wir haben ihm die Nahrung verweigert.«

»Folter?«

»Auf Folterungen hat er nicht reagiert«, sagte Samos. »Ich glaube, er besitzt keinen Verstand.«

»Was wolltest du mit deiner Wanderung erreichen?« fragte ich das Geschöpf. »Welchen Auftrag hattest du in jener Gegend?«

Das Ungeheuer schwieg.

Ich stand auf.

»Wir wollen in den Saal zurückkehren«, sagte ich.

»Wie du willst«, erwiderte Samos.

Wir verließen den Raum.

Als wir den großen Saal betraten, wurden wir mit erhobenen Kelchen begrüßt. Zwei Krieger führten ein dunkelhäutiges Sklavenmädchen herein.

Sie hatte langes schwarzes Haar. »Ein Botenmädchen«, sagte einer der Männer.

Samos warf mir einen kurzen Blick zu. Dann wandte er sich an einen Mann an der Tafel, der das Gewand eines Arztes trug. »Verschaff uns die Nachricht.«

Und er drehte sich zu dem Mädchen um. »Wem gehörst du?« fragte er.

»Dir, Herr.« Es ist üblich, daß das Mädchen dem Empfänger der Botschaft zum Geschenk gemacht wird.

»Wem hast du gehört?«

»Ich wurde anonym in den öffentlichen Gehegen von Tor gekauft«, sagte sie.

»Wie heißt du?«

»Veema, wenn es dem Herrn recht ist.«

»Welche Nummer hattest du in den torianischen Gehegen?«

»87432«, erwiderte sie, »Herr.«

»Dann weißt du also nicht, von wem die Nachricht kommt.«

»Nein«, erwiderte sie.

Der Arzt hob das lange Haar des Mädchens und setzte ein Rasiermesser an. Samos machte mich unterdessen auf einen Mann aufmerksam, der am unteren Ende eines der unwichtigen Tische saß. Er trank keinen Wein und auch keinen Paga. Der Mann bot einen ungewöhnlichen Anblick, trug er doch Kaffiyeh und Agal. Die Kaffiyeh ist ein eckiges Tuch, das zu einem Dreieck gefaltet auf dem Kopf getragen wird zwei Spitzen zur Seite, eine zum Nacken. Mit einer langen Schnur, der Agal, wird die Kopfbedeckung an Ort und Stelle gehalten. Die Zeichnung der Schnur deutet auf Stamm und Herkunft hin. Wir näherten uns dem Mann. »Dies ist Ibn Saran, ein Salzhändler aus dem Flußhafen Kasra«, stellte Samos vor.

Das rote Salz von Kasra war auf dem ganzen Planeten berühmt. Es wurde in geheimen Bergwerken im Landesinneren gewonnen und in schweren Zylindern mit Packkaiilas zum Hafen von Kasra geschafft. Jeder Zylinder wog etwa zehn Stein oder zwanzig Kilogramm und entsprach damit einer goreanischen ›Last‹. Eine kräftige Kaiila vermochte bis zu sechzehn solcher Zylinder zu transportieren.

»Ibn Saran hat im letzten Monat etwas Ungewöhnliches erfahren «, sagte Samos. »Er sprach darüber mit einem Kapitän auf dem Salzdock und der gab die Information an mich weiter.« Samos war der erste Sprecher des Kapitänsrates von Port Kar, der führenden Versammlung in der Stadt. Es gab wenig, das ihm nicht früher oder später zugetragen wurde.

»Der ehrenwerte Samos ist zu gütig«, sagte Ibn Saran. »Seine Gastfreundschaft ist ohne Beispiel.«

Ich streckte Ibn Saran die Hand entgegen, der sich zweimal verbeugte und mir zur Begrüßung mit der Handfläche über die Finger strich.

»Es freut mich, die Bekanntschaft eines Mannes zu machen, der mit Samos von Port Kar befreundet ist«, sagte Ibn Saran. »Mögen deine Wasserbeutel niemals leer sein. Auf daß du immer Wasser hast.«

»Mögen deine Wasserbeutel niemals leer sein«, erwiderte ich. »Auf daß du immer Wasser hast.«

»Wenn es dir recht ist, edler Ibn Saran«, sagte Samos, »möchte ich dich bitten, meinem Freund zu erzählen, was du in Kasra erfahren hast.«

»Es handelt sich um eine Geschichte, die von einem Jungen erzählt wurde, einem Kaiilapfleger. Seine Karawane war nur klein. Sie geriet in einen Sturm. Eine Kaiila, wild geworden durch Sturm und Sand, sprengte ihre Fußfessel und verschwand in der Dunkelheit. Törichterweise folgte der Junge dem Tier, das Wasser geladen hatte. Am nächsten Morgen war der Sturm vorbei. Der Junge grub sich einen Schutzgraben, während man vom Lager aus eine umfassende Suche organisierte.«

Ibn Saran machte eine Pause. »Gegen Mittag wurde der Junge gefunden. Er hörte die Glöckchen einer Kaiila, kam aus seinem Versteck und wurde gerettet. Natürlich erhielt er eine Tracht Prügel, weil er die Karawane verlassen hatte. Die Kaiila kehrte später zurück, weil sie hungrig war.«

»Was hatte der Junge zu berichten?« fragte ich.

»Als er die Kaiila verfolgte, fand er folgendes«, fuhr Ibn Saran fort. »Er stieß auf einen Stein, auf dem einige Worte eingekratzt waren: ›Vorsicht vor dem Stahlturm‹.«

Samos blickte mich an. Ich sah wenig Sinn in der Warnung.

»In der Nähe des Felsens lag ein Mann tot, von der Sonne geschwärzt und ausgetrocknet, kaum noch so schwer wie ein Kind. Er hatte sich die Kleidung vom Körper gerissen und Sand getrunken.«

Der arme Kerl hatte einen grausigen Tod gehabt. Zweifellos hatten sich seine Sinne verwirrt, und er war in der Hoffnung gestorben, Wasser gefunden zu haben.

»Nach den herumliegenden Gegenständen zu urteilen«, fuhr Ibn Saran fort, »hat es sich um einen Wüstenräuber gehandelt.«

»Gab es denn keine Kaiila in der Nähe?« fragte ich.

»Nein.«

»Aus welcher Gegend kam der Mann?« wollte ich wissen. »Wie lange war er in der Wüste gewesen?«

»Das weiß ich nicht«, entgegnete Ibn Saran. »Wie gut mochte er die Wüste gekannt haben? Wieviel Wasser hatte er bei sich?«

Der Mann hätte viele tausend Pasang zurücklegen können, ehe die Kaiila starb oder floh.

»Wie lange war er schon tot?« fragte ich.

Ibn Saran lächelte gepreßt. »Einen Monat?« sagte er. »Ein Jahr?«

In der Wüste geht die Zersetzung eines Körpers nur sehr langsam vor. Schon mehrfach waren guterhaltene Tote gefunden worden, die über ein Jahrhundert alt waren. In der Wüste findet man nur selten Skelette, es sei denn, Vögel oder andere Tiere haben sich an dem Toten gütlich getan.

»Vorsicht vor dem Stahlturm«, wiederholte ich.

»Diese Worte waren in den Felsen geritzt worden«, sagte Ibn Saran.

»Gab es einen Hinweis darauf, aus welcher Richtung der Mann gekommen war?«fragte ich.

»Nein.«

»Vorsicht vor dem Stahlturm«, sagte Samos und stand auf. Das Tanzmädchen wirbelte vor uns über den glatten Boden.

»Das Botenmädchen ist fertig«, sagte der Mann in der grünen Tunika des Arztes. Er wandte sich an den Mann neben sich, ließ das Rasiermesser in eine Schale fallen und griff nach einem Handtuch. Dem Mädchen standen Tränen in den Augen. Ihr Haupthaar war völlig entfernt worden. Sie hatte keine Ahnung, was auf ihre Kopfhaut geschrieben worden war, da in der Regel analphabetische Mädchen für diese Aufgabe ausgewählt werden. Die Nachricht war ihr eintätowiert worden. In den nächsten Monaten hatte man das Haar nachwachsen lassen. Außer dem Mädchen wußte niemand, daß sie eine Botschaft trug.

Ich las die Worte. »Vorsicht vor Abdul.« Das war alles. Wir wußten nicht, von wem diese Warnung ausging und wer sie uns geschickt hatte.

»Bringt das Mädchen in die Gehege«, sagte Samos ungeduldig zu den Wächtern. »Entfernt die Worte mit Nadeln von ihrer Kopfhaut.«

Als das Mädchen aus dem Raum geführt worden war, wandte ich mich an den Sklavenhändler.

»Wer ist Abdul?« fragte ich.

Samos sah mich ratlos an. »Ich weiß es nicht.« Er wandte sich ab und kehrte an seinen Platz hinter dem niedrigen Tisch zurück. Die übrigen Männer im Saal kümmerten sich nicht um uns. Sie starrten gebannt auf das Tanzmädchen.

»Die ganze Sache scheint mir nicht recht zusammenzupassen«, fuhr Samos fort. »Doch es muß eine Basis geben, eine umfassende Bedeutung.« Mit einer Eßzange turischer Herkunft deutete er auf das gefesselte amerikanische Mädchen, das einmal Blake-Allen geheißen hatte und von zwei Wächtern flankiert wurde. »Wir erfahren von dieser Sklavin, daß die Sklaventransporte von der Erde nach Gor bis auf weiteres gestoppt worden sind. Warum?«

»Haben die Flüge denn wirklich aufgehört?« fragte ich.

»Die Informationen aus dem Sardargebirge lassen darauf schließen. Seit drei Wochen hat es keine Ortung mehr gegeben, geschweige denn eine Verfolgung.«

Die goreanische Woche besteht aus fünf Tagen, jeder Monat aus fünf solchen Wochen. Nach jedem der zwölf Monate tritt eine fünftägige Passage Hand ein. Der Zwölften Passage Hand folgt die Wartende Hand, eine fünftägige Periode, vor der Frühlings Tagundnachtgleiche, dem goreanischen Neujahrstag. Wir schrieben im Augenblick den Spätwinter des Jahres 3 der Herrschaft des Kapitänsrates in Port Kar, das Jahr 10 122 C.A., Contasta Ar, seit der Gründung Ars. Ich war vor zwei Monaten aus Torvaldsland zurückgekehrt, wo ich mit meinem Schwert ein paar ganz bestimmte Entscheidungen herbeigeführt hatte.

»Außerdem«, sagte ich, »ist ein Ungeheuer in deine Gewalt geraten, eindeutig ein Kur.«

»Das Wesen scheint den Verstand verloren zu haben«, sagte Samos.

»Ich glaube, es hat seinen Verstand sehr gut beisammen«, sagte ich.

»Seine Intelligenz dürfte der unseren ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen sein. Vielleicht ist das Ungeheuer nur nicht in der Lage, Goreanisch zu sprechen. Das können nur wenige Kurii.«

»Du hast mitbekommen, in welcher Richtung sich das Tier bewegt hat?«

fragte Samos. »Seltsam.«

Das Wesen war südöstlich von Ar gefangengenommen worden, in einer Marschrichtung, die es tief in den Süden geführt hätte. Im Grunde unglaublich.

»Vielleicht hatte das Wesen dort unten eine bestimmte Aufgabe.«

»Aber dort gibt es nichts«, sagte ich. »Und nur ein Verrückter würde sich von den gekennzeichneten Karawanenrouten entfernen, die von Oase zu Oase führen.«

»Ein junger Kaiilatreiber, der sich verirrte«, sagte Samos, »fand einen Felsen mit der Inschrift: ›Vorsicht vor dem Stahlturm‹.«

»Und das Mädchen mit der Botschaft«, sagte ich. »Offensichtlich kennen wir den Abdul nicht, vor dem wir uns in acht nehmen sollen. Und wir wissen nicht, wer uns die Warnung zugeschickt hat.«

»Nein«, sagte Samos nachdenklich.

Beiläufig beobachtete ich das tanzende Mädchen, das vor mir kniete und mir bebend die Hände entgegenstreckte. Ich riß mich von meinen Gedanken los, griff über den Tisch, packte sie und warf sie rücklings über die Tischplatte. Im nächsten Augenblick hatte ich meine Lippen auf die ihren gepreßt. Ihre Augen blitzten. Ich hob den Kopf und sah sie an. Sie versuchte mich weiter zu küssen, doch ich ließ es nicht zu, daß sie mich berührte. Statt dessen zerrte ich sie hoch, drehte sie halb herum und stieß sie wieder auf den Mosaikboden zurück. Ein Bein untergeschlagen, halb entblößt, starrte sie mich zornig an. »Tanze weiter!« sagte ich. »Hast du gehört, Sklavin?«

Wütend, doch anmutig streckte sie das Bein aus, fuhr mit einer Hand daran entlang, sah mich über die Schulter hinweg an, ehe sie sich abrollen ließ und erschauderte, als bekäme sie die Peitsche ihres Herrn zu spüren.

»Tanze!« sagte ich. »Tanze für die Gäste des Samos!«

Langsam bewegte sich das Mädchen von Mann zu Mann und bot ihm tanzend ihre Schönheit dar. Die Männer hämmerten auf die Tische und brüllten begeistert. Mancher versuchte sie anzufassen, doch sie wich immer wieder geschickt zurück.

Samos stand auf und betrat den gekennzeichneten Boden. Ich begleitete ihn.

An einer bestimmten Stelle des glatten Mosaiks blieb er stehen und deutete auf die Stelle der Landkarte. »Ja«, sagte er. »Etwa hier.«

Ich blickte auf die bezeichnete Stelle, die von Hunderten winziger Steinsplitter gekennzeichnet war, hier zumeist von brauner Farbe. »Da gibt es noch etwas«, sagte Samos, »das ich dir noch nicht gesagt habe.«

»Und das wäre?«

»Die Kurii haben dem Sardar ein Ultimatum gestellt ›Gebt Gor auf!‹«

»Mehr nicht?« fragte ich. »Das will mir kaum logisch erscheinen. Aus welchem Grunde sollte diese Welt den Kurii überlassen werden?«

»Hört sich verrückt an«, sagte Samos.

»Aber die Kurii sind nicht verrückt«, entgegnete ich. »Eine Alternative wurde nicht in Aussicht gestellt?«

»Nein.«

»›Gebt Gor auf‹ . . .«, sagte ich nachdenklich.

»Hört sich verrückt an«, meinte Samos. «Trotzdem bin ich besorgt.«

»Und wie hat das Sardargebirge darauf reagiert?« wollte ich wissen.

»Misk, einer der führenden Priesterkönige, hat die Kurii gebeten, sich genauer zu äußern.«

Ich lächelte. »Er versucht Zeit zu gewinnen«, sagte ich.

»Natürlich«, meinte Samos.

»Hat es darauf eine Antwort gegeben?«

»Die ursprüngliche Aufforderung wurde wiederholt. Danach nichts mehr.«

»Zweifellos ein Bluff seitens der Kurii«, sagte ich. »Die Priesterkönige tun sich mit solchen Dingen wahrscheinlich schwer. Im allgemeinen sind sie sehr vernunftbetont und logisch ausgerichtet. Mit psychologischen Tricks, falschen Ansprüchen und Bluffs kennen sie sich nicht aus.«

Samos zuckte die Achseln.

»Ich habe manchmal das Gefühl«, fuhr ich fort, »daß die Priesterkönige die Kurii gar nicht verstehen. Vielleicht sind sich diese beiden Lebensformen einfach zu fremd. Den Priesterkönigen fehlt die Leidenschaft, die Energie, das Haßdenken, um die Kurii in vollem Ausmaß zu begreifen.«

»Oder die Menschen«, sagte Samos.

»Oder die Menschen«, räumte ich ein. Auch die Priesterkönige besaßen Energie und Gefühle, doch das waren Empfindungen, die sich vermutlich sehr von den Emotionen der Menschen und auch Kurii unterschieden. Die Grundlage des sinnlichen Erlebens der Priesterkönige war mir noch weitgehend verschlossen. Zwar kannte ich ihr Verhaltensschema; doch die Welt ihres inneren Erlebens war mir fremd. Ihre Antennen waren die zentralen Sinnesorgane. Sie besaßen zwar Augen, verließen sich jedoch selten darauf und fühlten sich in absoluter Dunkelheit zu Hause. Ihre Musik war eine Rhapsodie aus Düften, von denen viele für die menschlichen Sinnesorgane nicht einmal angenehm waren. Die Ornamente ihrer Welt bestanden aus weitgehend unsichtbaren Duftlinien, die sorgfältig durch das Innere der Wohnräume gezogen waren.

Ich lächelte vor mich hin. »Manchmal«, so hatte mir Misk einmal im Nest der Priesterkönige anvertraut, »habe ich das Gefühl, daß nur der Mensch die Kurii voll begreifen kann. Menschen und Kurii sind sich so ähnlich.«

Die Bemerkung war scherzhaft gemeint gewesen, doch ich vermutete, daß sie leider nur allzu sehr zutraf.

So bedauerlich das auch sein mochte, ich war jedenfalls der Meinung, daß die Priesterkönige, jene großen, goldpelzigen, sanften Wesen, ihre Gegner, die Kurii, nicht wirklich verstanden. Die Beharrlichkeit und Aggression, die Leidenschaften des Blutes, die Gebietsansprüche dieser Wesen all dies mußte den Priesterkönigen fremd sein. Die Kurii und die Menschen mochten sich besser verstehen als die Priesterkönige die beiden anderen Rassen. Solange die Kurii außerhalb des fünften Ringes blieben, außerhalb der Umlaufbahn jenes Planeten, der auf der Erde Jupiter heißt und auf Gor Hersius, machten sich die Priesterkönige keine großen Sorgen um die Anderen. Sie hatten nichts dagegen, daß diese wilden Wölfe an ihren Grenzen entlangstrichen. Doch die Kuriiwelten erspürten die Schwäche des Sardargebirges, die im Anschluß an den Nestkrieg eingetreten war, und wagten sich näher heran. Kontaktstellen und Stützpunkte waren offenbar schon auf der Erde eingerichtet worden. Ein Hauptvorstoß der Kurii, eine Aktion eingeborener Kurii unter der Leitung von Kurii aus den Raumschiffen, war erst kürzlich fehlgeschlagen. Die Invasion war in Torvaldsland zum Stillstand gebracht worden. Die Kurii aus den Raumschiffen wußten offenbar noch nicht, in welchem Ausmaß die Macht der Priesterkönige beeinträchtigt war - der Hauptvorteil, über den wir verfügten. Kurii waren so vorsichtig wie Haie und gedachten sich nicht auf einen umfassenden Angriff einzulassen, ehe sie des Ausgangs nicht sicher waren. Hätten sie gewußt, wie schwach die Priesterkönige in Wirklichkeit waren, wären sie mit ihren Raumflotten sofort vorgestoßen. In erster Linie schienen sie eine List zu fürchten, eine gespielte Schwäche, die zum Angriff herausforderte und die zum Verlust ihrer Streitkräfte führen konnte. Außerdem gab es auch bei den Kurii verschiedene Gruppen - die einen mochten sich für eine Attacke aussprechen, während vorsichtigere Elemente eher für eine defensive Strategie eintraten. Der Fehlschlag des Torvaldsland-Vorstoßes mochte bei den Beratungen sehr ins Gewicht fallen. Vielleicht war bei den Kurii inzwischen eine neue Gruppe an die Macht gekommen, die zur Zeit eine neue Strategie festlegte, einen neuen Plan.

»›Gebt Gor auf‹«, sagte Samos.

Ich blickte auf die Landkarte, auf der wir standen. War dies der Ort, an dem der neue Plan der Kurii, wenn es so etwas überhaupt gab, diese primitive Welt berührte?

»Der eingeschlagene Weg«, sagte Samos, »hätte den Kur hierher geführt.«

»Vielleicht wollte er das Gebiet durchqueren?« meinte ich. Samos deutete mit dem Finger auf eine Stelle westlich von Tor. »Nein«, sagte er. »Eher würde man die Zone umgehen wollen, auf dem Weg westlich von Tor, wo es genug Wasser gibt.«

»Dazu brauchte man eine Karawane und Führer«, sagte ich.

»Natürlich. Aber das Ungeheuer war allein. Ich vermute, daß das Ziel des Geschöpfs nicht auf der anderen Seite des Gebietes lag, sondern mitten darin!«

»Unglaublich!« sagte ich.

Samos zuckte die Achseln. »Genau weiß ich das natürlich nicht.«

»Seltsam, daß zur gleichen Zeit die Sklavenflüge aufhören und das Sardargebirge das Ultimatum erhält, Gor aufzugeben.«

»Ja, das alles ist ziemlich rätselhaft«, sagte Samos, »und die Antwort liegt hier.« Er deutete auf das gefürchtete Gebiet.

Ich blickte auf den Boden. Obwohl die Fläche auf der Landkarte nur etwa einen Quadratmeter einnahm, handelte es sich um ein riesiges Gebiet in der Form eines länglichen Trapezoids, dessen Flanken nach Osten wiesen. In der Nordwestecke lag Tor. Westlich von Tor lag der Hafen Kasra am unteren Fayeen, einem sich windenden Nebenfluß des Cartius. In diesem Hafen standen die Lagerhäuser des Salzhändlers Ibn Saran, der im Augenblick zu den Gästen Samos’ gehörte.

Das Gebiet östlich von Tor war viele hundert Pasang breit und womöglich Tausende von Pasang lang. Die goreanische Bezeichnung für die Fläche läßt sich am besten mit ›Ödland‹ oder ›Leere‹ übersetzen ein riesiges Gebiet, felsig und hügelig bis auf das sogenannte Dünenland. Hier herrschen ewige Winde, und es gibt kaum Wasser. An bestimmten Stellen regnet es viele Jahrhunderte lang überhaupt nicht. Die Oasen werden aus unterirdischen Flüssen gespeist, die von den Hängen der Voltai-Berge nach Südosten fließen. Das Wasser, das unterirdisch dahinsickert, wird da und dort von den Felsformationen an die Oberfläche getragen und bildet Quellen oder wird, was häufiger geschieht, über tiefe Brunnenschächte angezapft, von denen manche über zweihundert Fuß tief sind. Die Tagestemperaturen im Schatten liegen gewöhnlich bei vierzig Grad, wohingegen die Oberflächenhitze noch weit größer ist. Wäre man im Dünenland so töricht, barfuß zu wandern, könnte der heiße Sand einen Menschen schnell zum Krüppel machen, indem er ihm innerhalb weniger Stunden das Fleisch von den Füßen brennte.

»Hier«, sagte Samos und deutete auf die Landkarte, »hier liegt das Geheimnis.«

Das Tanzmädchen wandte sich von den Tischen ab und bewegte sich im Rhythmus der Musik auf mich zu. Das Musikstück ging seinem Höhepunkt entgegen. Sie drehte sich im Kreise, bewegte lebhaft die Arme, und die Glöckchen und Ringe klimperten mit jeder Bewegung. Die Musik verstummte abrupt, und sie sank hilflos zu Boden. Sie lag vor mir. Ihre Lippen waren halb geöffnet. Ihr Körper schimmerte schweißfeucht im Fackelschein. Sie rang nach Atem; sie bot einen herrlichen Anblick.

»Hier«, wiederholte Samos und deutete auf die Landkarte, »hier liegt das Geheimnis, hier in der Tahari.«

Schüchtern streckte die Tanzsklavin die Hand aus und berührte mich am Fußgelenk. Doch ich kümmerte mich nicht um sie, sondern rief zwei Wächter herbei und befahl, sie wegzubringen. Sollten andere Männer das Mädchen in die richtige Stimmung bringen. Ich wollte mich später mit ihr befassen. Die andere Sklavin, Miß Priscilla Blake-Allen, wurde ebenfalls über die Tische geworfen. Einer von Samos’ Leuten bestieg sie. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, als er brutal in sie eindrang.

Ibn Saran, der Salzhändler aus Kasra, rührte sich nicht von seinem Platz. Er hatte die Augen halb geschlossen und kümmerte sich nicht um die Vergewaltigung von Sklavinnen. Er schien sich ebenfalls mit der Landkarte zu beschäftigen.

»Ich reise morgen früh ab«, sagte ich.

»Darf ich das so verstehen«, warf Ibn Saran ein, »daß dich dein Weg in die Tahari führt?«

»Ja.«

»Ich habe denselben Weg«, sagte Ibn Saran. »Vielleicht können wir zusammen reisen.«

»Gut«, sagte ich.

Ibn Saran stand auf und sagte: »Mögen eure Wasserbeutel niemals leer sein. Auf daß ihr immer Wasser habt.«

Ich erwiderte den Gruß, woraufhin er sich verbeugte und den Raum verließ.

»Der Kur in deinem Verlies«, sagte ich zu Samos. »Du mußt ihn freilassen.«

»Ihn freilassen? Willst du ihm folgen?«

»Nein«, sagte ich. Nur wenige Menschen waren meiner Meinung nach in der Lage, einem erwachsenen Kur auf der Spur zu bleiben. Diese Wesen sind agil und sehr intelligent und besitzen scharfe Sinne. Früher oder später mußte das Ungeheuer auf den Verfolger aufmerksam werden, woraufhin dann aus dem Jäger der Gejagte wurde. Kurii vermögen bei Dunkelheit ausgezeichnet zu sehen.

»Weißt du, was du damit riskierst?« fragte Samos.

»Es gibt auch bei den Kurii verschiedene Interessengruppen«, sagte ich.

»Ich habe so das Gefühl, als wäre dieser Kur unser Verbündeter.«

»Du bist ja verrückt«, sagte Samos.

»Kann sein.«

»Ich werde den Kur freilassen«, sagte Samos, »und zwar zwei Tage nach deiner Abreise nach Port Kar.«

»Vielleicht treffe ich das Wesen in der Tahari wieder«, sagte ich.

»Bei der Begegnung möchte ich nicht dabei sein.«

Ich lächelte nur.

»Reist du morgen mit Ibn Saran?« fragte Samos. »Nein denn ich traue ihm nicht.« Samos nickte. »Ich auch nicht.«

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