36

Leise schloß ich die Tür des Festhauses hinter mir. Ich glaubte nicht, daß man mein Verschwinden bemerken würde.

Drinnen vergnügten sich die Angehörigen von Imnaks Lager, Es gab dampfendes Fleisch in Mengen. Es wurde gelacht und gesungen. Draußen hatte es leicht zu schneien begonnen. Die Geräusche des Fests drangen schwach aus dem niedrigen, halb in den Boden gebauten Festhaus. Ich blickte zur Küste des Polarmeeres hinunter, jenes nördlichen Ausläufers des Thassa. Am mondhellen Himmel standen funkelnde Sterne.

Ich begab mich zu den Schlitten.

Im Innern des Festhauses hatte Imnak zu singen begonnen. Dies machte mir größte Freude. Der Berg, der sich früher vor ihm aufzurichten schien, ängstigte ihn nicht mehr. Jetzt wußte er, daß der Berg ihn willkommen hieß. »Niemand weiß, woher die Lieder kommen«, heißt es beim Volk. Doch jetzt hatte Imnak seine Lieder gefunden. Sie stiegen in ihm auf wie das Aufgehen der Sonne nach langer Nacht, wie das Aufblühen der Tundra im Frühling, übersät mit winzigen weißen und gelben Blüten.

Im Festhaus sang Imnak. Und Poalu war bei ihm. Ich überprüfte das Geschirr des Schnee-Sleen an meinem Schlitten. Es war alles in Ordnung. Das Tier war unruhig.

Es standen acht Schlitten bereit. Ram und Drusus hatten ihre Abreise vorbereitet, und außer meinem Schlitten standen dort die Fahrzeuge von fünf Jägern bereit, die uns über den Axtgletscher in den Süden begleiten wollten. An der linken hinteren Strebe von Drusus’ Schlitten angebunden warteten zwei Mädchen, die er sich in der Station der Kurii unterworfen hatte. Neben Rams Schlitten stand Tina, und auch die Jäger hatten ihre Sklavinnen an ihren Schlitten festgemacht. An meinem Schlitten wartete eine ganze Kette von Mädchen – an erster Position Arlene, gefolgt von Audrey, Barbara und Constance, während Belinda das fünfte Mädchen war, und in letzter Position, am weitesten außen, die ehemalige Lady Rosa auf mich wartete. Sie alle trugen wärmende Felle. Ringsum wehte der Schnee.

Ich begab mich an das Ende der Reihe und nahm das letzte Mädchen an der Leine sanft in die Arme, Ich küßte sie.

»Wie soll ich dich nur nennen?« fragte ich. »Rosita? Pepita?«

»Nenn mich, wie du willst, Herr«, sagte sie. »Ich gehöre dir, voll und ganz.«

Ich ging zum fünften Mädchen an der Leine, Belinda, die ich in der Station der Kurii gefunden hatte. Ich küßte sie ebenfalls.

»Du bist bereits gebrandet«, sagte ich zu ihr.

»Brande mich tausendmal«, sagte sie, »und jedesmal werde ich noch mehr dir gehören. Mit jeder Berührung drückst du mir dein Brandzeichen auf.«

»Du bist Sklavin. Für dich gälte das gegenüber jedem Herrn.«

Sie senkte den Kopf. »Ja, Herr«, sagte sie.

Ich ging zu Constance weiter, die als viertes Mädchen an der Leine stand.

»Herr«, sagte sie, als ich sie geküßt hatte.

»Ja?«

»Du wolltest mich in Lydius verkaufen.«

»Ja.«

»Hast du das noch vor?«

»Nein. Ich werde dich mit nach Port Kar nehmen.«.

»Vielen Dank, Herr«, sagte sie erleichtert.

»In Port Kar gibt es viele Sklavenmärkte.«

»Willst du mich nicht behalten?« fragte sie bestürzt.

»Vielleicht ein Weilchen.«

»Ich werde mir große Mühe geben, dir zu gefallen!«

»Das wirst du sowieso tun, oder du bekommst die Peitsche zu spüren. Oder wirst gefesselt in einen Kanal geworfen, wo die Urts sich über dich hermachen. So etwas geschieht in Port Kar öfter.«

Lachend gab ich ihr einen Stoß. Sie küßte mich. Vielleicht würde ich sie behalten. Ich wußte es noch nicht. Ich konnte in aller Ruhe darüber entscheiden.

Als nächste kam Barbara an die Reihe. Ich küßte auch sie.

»Du bekommst dein Brandzeichen in Port Kar«, sagte ich.

»Ich warte voller Freude darauf, Herr.«

Dann stellte ich mich vor Audrey hin, das zweite Mädchen an der Leine. Sie klammerte sich an mich,

»Ich erflehe dein Brandzeichen, Herr«, sagte sie heiser.

»Bist du nicht ein Mädchen von der Erde, das früher einmal sehr reich war?«

»Ich bin ein goreanisches Mädchen, eine Sklavin!« sagte sie. Tränen standen in den Augen, die mich anblickten. »Mein Reichtum auf der Erde könnte mir keinen Kragen verschaffen und auch kein Brandzeichen. Hier besitze ich nichts, und ich werde beides erhalten, weil es Männern so gefällt.«

»Ja. Ich werde dich wohl eine Zeitlang in meinem Kragen behalten«, sagte ich. »Du bist als Sklavin nicht uninteressant. Meine Männer könnten dich amüsant finden. Und vielleicht erlaube ich dir gelegentlich, in mein Gemach zu kommen.«

»Danke, Herr«, sagte sie.

»Und dann werde ich dich wohl verkaufen«, fuhr ich fort. »Es wird sicher von Vorteil für dich sein, von vielen Herren bestiegen zu werden, denn nur so wirst du eine hervorragende Sklavin.«

»Danke, Herr«, sagte sie.

Ich ging zu Arlene, die die Spitze der Leine einnahm. Das doppelte Tau führte von ihrem Hals zur linken hinteren Stützstrebe des Schlittens.

Sie schaute mich an. Ich streifte ihr die pelzbesetzte Kapuze auf die Schulter. Wie schön sie war! Schneeflocken setzten sich in ihrem Haar fest.

»Mein Bein trägt ebenfalls noch kein Zeichen«, sagte sie. »Wird mein Herr mich in Port Kar ebenfalls brandmarken lassen?«

»Ja.«

»Das freut mich.«

»Wirklich?« fragte ich und nahm ihren Kopf zwischen die Hände.

»Ja«, sagte sie. »Es ist für ein Mädchen eine große Ehre, von einem Krieger für sich beansprucht zu werden, noch dazu von einem Krieger, der zugleich Kapitän ist.«

Ich zuckte die Achseln. Genaugenommen hatte sie wohl recht. Ich gehörte der hohen Kaste der Krieger an und war Kapitän. So etwas galt unter Sklavinnen sehr viel.

Plötzlich preßte sie mich an sich. »Oh, Herr!« sagte sie. »Es hat wirklich nichts mit der Kaste zu tun. Es liegt einzig und allein an dem Typ Mann, der du bist. Du könntest genausogut ein Bauer oder ein Schmied sein. Es wäre mir egal. Wenn du ein Mädchen nur anschaust, ersehnt es sich dein Brandzeichen. Wenn dein Blick auf ein Mädchen fällt, will es deine Sklavin sein. Mädchen träumen davon, von einem Mann wie dir unterworfen zu sein.«

»Das sind die Träume einer Sklavin«, sagte ich.

»Natürlich.«

»Sklavinnen sollten sich davor hüten, ihre Träume auszusprechen«, sagte ich, »damit ihr Herr sie nicht zu hören bekommt.«

»Jede Sklavin sollte ihre Träume kühn verkünden«, sagte sie.

»Aber ein Sklavenherr könnte sie hören«, sagte ich.

»Wollen wir um ihretwillen hoffen, daß er sie hört«, sagte sie. »Warum sollte eine Sklavin sonst aufschreien, wenn nicht zum Gefallen und für das Ohr eines Herrn?«

»Ich finde euch Frauen rätselhaft«, sagte ich.

»Die Lösung dieses Rätsels«, sagte sie, »ist ein starker Mann und ein Sklavenkragen.«

»Ich glaube, du hast recht.«

»Ich hatte in der Sache keine Wahl«, sagte sie. »Du hast mich im Schnee zur Sklavin gemacht.«

»Natürlich.«

»Und deshalb liebe ich dich, Herr«, sagte sie. Ich küßte sie sanft auf die Lippen, die einen Augenblick lang den Kontakt hielten. Daraufhin nahm ich sie kräftiger in die Arme und küßte sie inbrünstiger. »Ich will versuchen, dir zu gefallen, Herr«, sagte sie.

Ich hörte den Sleen im Eis kratzen. Ram hustete. Die rothäutigen Jäger legten die behandschuhten Hände auf die senkrechten Heckstützen der Schlitten.

»Halt den Mund, Sklavin!« sagte ich und stieß sie fort.

»Ja, Herr«, sagte sie. Zurückstolpernd wurde sie von der Leine aufgehalten, die sich zwischen den Hälsen der Mädchen straffte.

Ich drehte mich um und warf einen letzten Blick zurück. So etwas ist eine Angewohnheit der rothäutigen Jäger, die genau wissen wollen, wie die Landschaft auf der Rückfahrt aussehen würde. Aber ich nahm nicht an, daß ich noch einmal hierher in den hohen Norden kommen würde.

Ich sah das Eis des Polarmeeres und die Sterne und das Festhaus, in dem Imnak noch immer sang.

Dann machte ich kehrt und hob den Arm. Links von mir, im Osten, war ein erster, schwacher Lichtschimmer zu sehen, eine Vorahnung der Dämmerung, die den langen Tag des arktischen Frühlings und Sommers einleitete. Die Nacht war vorbei.

Ich senkte den Arm. »Los!« sagte ich. »Los!«

Die acht Schlitten glitten über das Eis. Ich stellte mich hinter meinem Fahrzeug auf die Kufen. Die Mädchen, links hinter dem Schlitten, hielten Schritt.

Niemand achtete auf uns, als wir das Lager verließen.

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