In dem niedrigen Stahlraum war es kühl; er führte direkt ins Freie.
Nahe der runden Tür, die noch geschlossen war, stand der weiße Kur mit den Ringen in den Ohren, das Tier, das Karjuk begleitet hatte, den Verräter an seinem Volk. In der Pfote hielt es ein Ledergeschirr.
Ich legte Pelze an.
Ich sollte nach draußen auf das Eis geführt und in einiger Entfernung von der Anlage getötet werden. Es sollte so aussehen, als habe sich der Schlitten-Sleen an mir vergangen. Wenn ich gefunden wurde, sollte geschlossen werden, daß der Tod, den ich erlitten hatte, für den goreanischen Norden nicht ungewöhnlich war, so gewalttätig er auch sein mochte. So wäre dann verbreitet worden, daß ich im Norden versagt hätte, anscheinend in ein nutzloses, irregeleitetes Bestreben verrannt, ein Vorhaben, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war und das kein anderes als ein blutiges Ende haben konnte. Wenn man nach mir suchen oder sich nach mir erkundigen würde, so war Schluß damit, sobald meine zerrissene und steifgefrorene Leiche gefunden würde.
Natürlich sollte kein Sleen den Schlitten ziehen.
Das Ungeheuer legte mir das Geschirr an, und ich stand wartend vor dem Schlitten.
Seine Zähne waren geeignet, an meinem Körper die Spuren eines pervertierten, in die Wildheit zurückgefallenen Sleen zu hinterlassen. Natürlich mußte er dafür sorgen, daß noch einiges gefunden wurde, Knochen und Felle, der zerschmetterte Schlitten, einige zerkaute Überreste.
Ich war froh, daß ich Halb-Ohr, auch Zarendargar genannt, kennengelernt hatte. Wir hatten uns lange unterhalten.
Ich glaube, er bedauerte es, mich auf das Eis hinauszuschicken. Ich hielt Zarendargar für einen einsamen Soldaten, einen wahren Soldaten, der nur wenige hatte, mit denen er sprechen, denen er sich anvertrauen konnte. Vermutlich gab es in jener Stahlanlage kaum Angehörige seiner eigenen Rasse, mit denen er so aufgeregt, schnell, voller Zuneigung oder sonstwie sprechen konnte wie mit mir, ein Gespräch, in dem ein Wort einen ganzen Absatz ersetzte, in dem ein Blick, eine gehobene Pfote ein Zeichen war, das weniger gut eingestimmte Übersetzer nur in stundenlanger Umschreibung hätten vermitteln können. Auf eine Weise schien er uns für verwandt zu halten. Was für eine Vorstellung! An den Küsten fremder Welten findet man keine Brüder. Er hatte von Parallelitäten in unserer Evolution gesprochen, was ich von mir gewiesen hatte. Man brauchte doch nur die Augen aufzumachen, um den Unterschied zwischen einem Kur und einem Menschen zu erkennen. Wir waren Menschen, die Kurii waren Ungeheuer, weiter nichts. Dennoch hatte ich Halb-Ohr nicht widerlich gefunden. Bei unserer Begegnung hatte sich schnell das Gefühl entwickelt, ihn schon lange zu kennen, und ich spürte, daß er ähnlich empfand. Es war seltsam. Wir waren so verschieden und doch irgendwie nicht so unterschiedlich, wie man annehmen sollte.
Am Abend war ich in meine Zelle eingeschlossen worden. Halb-Ohr hatte dafür gesorgt, daß man einigermaßen rücksichtsvoll mit mir verfuhr.
Leckere Braten und Weine und angenehm weiche Felle waren bereitgestellt. Außerdem erwarteten mich zwei Sklavinnen in Vergnügungsseide. Als ich am nächsten Morgen fortgebracht wurde, streckten mir Arlene und Constance weinend die Arme durch die Gitter.
Der weiße Kur griff nach dem Hebel, mit dem sich das dunkle runde Stahlluk aufdrehen ließ.
»Sei gegrüßt, Tarl, der mit mir jagt«, sagte Imnak grinsend und trat in den Raum.
»Sei gegrüßt, du Verräter«, gab ich zurück.
»Sei nicht verbittert, Tarl, der mit mir jagt«, sagte Imnak. »Man muß eben sehen, wo man bleibt.«
Ich schwieg.
»Ich wollte dir nur sagen, daß ich und alle Angehörigen des Volkes dir ewig dankbar sein werden, weil du den Tabuk befreit hast.«
»Das ist ein tröstlicher Gedanke.«
»Jemand in deiner Lage kann einen tröstlichen Gedanken sicher brauchen.«
»Da hast du recht.« Es war schwer, auf Imnak böse zu sein.
»Ich nehme dir nichts übel«, sagte Imnak.
»Das ist mir eine Erleichterung.«
»Ich habe dir etwas zu essen mitgebracht«, sagte er und hob einen Sack in die Höhe.
»Nein danke.«
»Aber vielleicht bekommst du Hunger, ehe du dein Ziel erreichst«, sagte Imnak.
»Das glaube ich nicht.«
»Aber vielleicht möchte dein Gefährte etwas haben«, fuhr er unbeirrt fort und deutete mit einer Kopfbewegung auf den Kur. »Sei nicht egoistisch. Du mußt auch an ihn denken, weißt du.«
»Es wird mir schwerfallen, ihn zu vergessen.«
»Nimm die Sachen!« drängte Imnak.
»Ich will sie nicht!«
Imnak sah mich bestürzt an.
Plötzlich zuckte mir ein Gedanke durch den Kopf. Mein Herz machte einen Sprung.
»Laß mal sehen!« sagte ich grollend und schaute in den Beutel. »Ja, ich nehme ihn.«
Der Kur ließ den Hebel los, beroch den Sack und schaute hinein. Er wühlte die großen, dicken Fleischbrocken durcheinander, die sich darin befanden. Er überzeugte sich, daß der Beutel kein Messer oder andere Waffen enthielt.
»Für mich«, sagte ich zu dem Kur.
Der Kur bleckte die Zähne. Er ergriff den Beutel und legte ihn auf den Schlitten. Dann kehrte er zur Außentür zurück und drehte den Hebel. Langsam öffnete sich das Luk. Ich sah die Dunkelheit, das mondhelle Eis, das sich weit erstreckte. Die Temperatur im Stahlraum fiel augenblicklich um dreißig oder vierzig Grad. Wind peitschte herein, bewegte das Fell des Kur und verwehte Imnaks schwarzes Haar.
»Tal«, sagte Imnak zu mir, nicht als entbiete er mir sein Lebewohl, sondern als begrüße er mich.
»Tal«, sagte ich zu ihm.
Der Kur nahm seinen Platz hinter dem Schlitten ein. Ich beugte mich vorwärts, stemmte mein Gewicht in das Geschirr und zerrte den Schlitten über die Stahlplatten auf das Eis.