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Wie erwartet, lag es in Halb-Ohrs Absicht, daß meine verstümmelte Leiche ein gutes Stück von der Anlage entfernt gefunden wurde.

Wir zogen nach Norden. Der Wind war stark und kam aus nordöstlicher Richtung. Es war sehr kalt.

Die Kur-Station lag gut eine Ahn hinter uns.

»Ich habe Hunger«, sagte ich zu dem Kur und deutete auf meinen Mund.

Das Ungeheuer bleckte die Zähne und hob die Peitsche. Wieder stemmte ich mich ins Geschirr.

Als wir uns von dem riesigen Komplex entfernten, hatte ich mich einmal kurz umgedreht und war ehrfurchtsvoll stehengeblieben. Es handelte sich in der Tat um eine Eisinsel von beträchtlicher Größe. Sie ragte mehr als tausend Fuß über das Oberflächeneis empor, in dem sie festsaß. Unter der Oberfläche erstreckte sie sich bestimmt noch unvorstellbar weit, vielleicht bis auf tausend Fuß oder mehr. Die Länge der Anlage betrug etwa vier Pasangs und die Breite zehn Pasangs. Es war auch nicht die einzige Insel dieser Art in der Nähe.

Der Kur hinter mir hatte seine Peitsche gehoben, und ich hatte die Reise fortgesetzt. Hinter mir ragten die Klippen der Eisinsel zu schwindelerregender Höhe auf.

Die Anlage war während des Sommers mit Kreiselsystemen an ihrer Position gehalten worden. Und an dieser Position würde sich die Invasionsflotte orientieren können. Ich schaute zu den Sternen empor. Vermutlich näherten sich bereits lautlos die Truppenschiffe mit den schlafenden Truppen an Bord.

»Ich habe Hunger«, sagte ich zu dem Kur.

Das Ungeheuer starrte mich an, als wollte es mich im nächsten Augenblick umbringen. Aber es mußte sich an seine Befehle halten. Das Wesen bleckte die Zähne und riß sich dann den Sack mit den Fleischstücken vom Schlitten. Es hielt mir einen der Happen hin, doch als ich danach greifen wollte, zog es ihn zurück und fauchte. Es schob sich das Fleisch in den Mund und schluckte.

»Bitte!« sagte ich.

Die Augen funkelten wild. Dann schlang es ein weiteres Fleischstück herunter.

Nach kürzer Zeit war der Sack leer.

Ich wandte mich um, und wir setzten unseren Weg fort. Alles andere war nun nur noch eine Frage der Zeit.

Meine Hauptsorge galt der Möglichkeit, daß das Wesen das Fleisch in seinen Vorratsmagen geschickt hatte, um es erst später in den Verdauungsmagen weiterzuleiten. Dagegen sprach, daß die Kurii sich unterwegs selten gern mit solchem Ballast befrachteten; außerdem wirkte der Kur bereits ein wenig müde und erschöpft, wie nach einer richtigen Mahlzeit.

Plötzlich war der Schlitten erheblich leichter; der Kur war von den Kufen gestiegen. Besorgt blickte ich mich um. Mein Bewacher stand hinter dem Schlitten und blickte sich um. Wir befanden uns auf einer Ebene, in einer runden Senke von etwa hundert Metern Durchmesser. Es war eine relativ glatte Fläche inmitten der wirren Eisklippen, die die Landschaft bestimmten.

Der Kur bedeutete mir durch eine Armbewegung, das Zuggeschirr abzustreifen.

Ich kam der Aufforderung nach.

Wir standen uns gegenüber. Der Wind hatte nachgelassen. Es war sehr kalt und einsam. Das Ungeheuer zeigte die Zähne.

Ich trat einen Schritt zurück, obwohl ich genau wußte, daß mich der Kur mühelos einholen konnte.

Das Wesen ließ sich auf alle viere nieder. Es begann vor Vorfreude zu zittern. Es legte den riesigen Zottelkopf in den Nacken und ließ einen mächtigen, heulenden Schrei zu den Monden Gors aufsteigen.

Mein Herz schien auszusetzen. Der Kur ließ seine Krallen vorspringen und kratzte damit auf dem Eis herum. Voller Freude beobachtete er meine zögernden Rückwärtsschritte. Dann legte er die Ohren an.

Ich lief los, doch er flog auf mich zu.

In den Armen des Kur gefangen, wehrte ich mich vergeblich. Ich sah die funkelnden Augen. Das Ungeheuer hob mich mühelos in die Höhe, dem Maul entgegen. Es hielt mich fest und sah mich dabei einen Augenblick lang an. Dann legte es den Kopf auf die Seite. Sein Atem fuhr mir heiß ins Gesicht, und ich konnte in dem Dampf, den unser Atem machte, kaum etwas erkennen. Dann suchten die Zähne des Kur meinen Hals. Urplötzlich – es ging so schnell, daß ich zunächst nicht begriff, was da passierte – entrang sich der Bestie ein schriller Schrei, der mir in den Ohren gellte. Einer instinktiven Regung folgend, schleuderte mich der Kur von sich. Die Sterne drehten sich plötzlich haltlos, und ich prallte auf das Eis und rollte und rutschte darüber hin. Dann richtete ich mich in eine kniende Stellung auf, gut vierzig Fuß von dem Ungeheuer entfernt,

Zusammengekrümmt stand es da und sah mich an.

Vorsichtig stand ich auf.

Der Kur versuchte einen Schritt in meine Richtung zu tun. Aber dann verzog sich sein Gesicht in unerträglichem Schmerz. Er hob eine Pfote. Wie von innen getroffen, schrie das Wesen zum zweitenmal auf und stürzte seitwärts abrollend in den Schnee. Noch zweimal schrie es und lag dann reglos, aber noch lebendig auf dem Rücken und starrte zu den Monden empor.

Die Verdauungssäfte taten unaufhaltsam ihr chemisches Werk. Schritt für Schritt, unbarmherzig, unaufschiebbar, zersetzten sie die Moleküle der Sehnenbänder, die die zusammengedrückten, angespitzten Fischbeinpfeile im Zaum hielten – bis dieses schlanke Band brach. Und wieder gellte der Schrei des Kurs.

Gedankenlos mußte das Ungeheuer fünfzehn oder zwanzig verborgene Fallen verschlungen haben.

Ich glaubte der Gefahr ledig zu sein.

Ich begab mich zum Schlitten, der allerdings wenig enthielt, was ich gebrauchen konnte.

Zum Glück hob ich noch rechtzeitig den Kopf. Irgendwie hatte es der Kur geschafft, auf die Beine zu kommen.

Vorgebeugt stand er da und stierte mich an. Er hustete voller Schmerzen und spuckte Blut ins Eis. Langsam, Schritt für Schritt, kam er auf mich zu, die Krallen nach mir ausstreckend. Und wieder schrie er auf, von einem der spitzen Pfeile innerlich getroffen. Wimmernd stand der Kur auf dem Eis.

Auf allen vieren griff er schließlich an. Dabei riß er den Schlitten um, der zwischen uns stand. Das Ungeheuer stolperte, machte eine Art Purzelbaum und hinterließ dunkle Blutspuren im strahlenden Eis. Qualvoll jaulte es zum Himmel, als zwei weitere Fischbeinfallen ihr gräßliches Werk taten.

Vorsichtig entfernte ich mich von dem Wesen. Ich nahm nicht an, daß ich mit dem Kur noch Schwierigkeiten haben würde.

Das Wesen blutete inzwischen stark aus Maul und After. Eine Lippe hatte es halb durchgebissen. Blut und Ausscheidungen bedeckten das Eis.

Ich entfernte mich in großem Bogen und schlug den Weg ein, den wir gekommen waren, ich nahm Kurs auf die Kur-Station, die in der Eisinsel verborgen war.

Den Schlitten ziehend, näherte ich mich unserem Ausgangspunkt. Das Ungeheuer folgte mir mit stockenden Schritten, die ihm ungeheure Anstrengung abverlangten. Ich ließ es nicht zu nahe an mich herankommen.

Nach den Schreien zu urteilen, mußte es neunzehn gefährliche Fischbeinfallen im Magen gehabt haben. Es erstaunte mich, daß es sich nicht einfach hinlegte und starb; jeder Schritt mußte eine unermeßliche Qual sein. Doch es verfolgte mich weiter. In diesen Stunden lernte ich etwas über die Ausdauer eines Kur.

Etwa vier Ahn später, als ich der Station schon sehr lange nahe war, starb es endlich.

Es ist nicht leicht, einen Kur zu töten.

Ich betrachtete den riesigen Kadaver. Ich hatte kein Messer. Ich mußte mit Händen und Zähnen arbeiten.

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