11

Ich band ihr die Handgelenke zusammen. Meine Männer jubelten.

Wie erwartet, war es kaum zu kämpferischen Zusammenstößen gekommen.

Kaum war die Mauer eingerissen, da hatte sich der Attentäter Drusus mit mehreren seiner Männer aus dem Staub gemacht. Einige andere Wächter hatten ebenfalls die Beherrschung verloren und waren mit Vorräten in den Süden geflohen. Ohne die Mauer sahen sie ihren Auftrag als erledigt an. Sie wollten nicht zurückbleiben und sterben.

Mit den Wächtern und Arbeitsgruppen östlich der Bresche in der Mauer hatten wir kaum Schwierigkeiten. Kein Problem war es gewesen, die Uniformen der Wächter anzuziehen und so zu tun, als brächten wir eine neue Kette von Männern nach Osten. Natürlich waren die Männer an der Kette nicht wirklich gefesselt bis auf die Gefangenen an den Enden, bei denen es sich um ehemalige Wächter handelte, die jetzt die Lumpen von Arbeitern trugen. Ich war Schwertkämpfer, und auch Ram erwies sich als geübt im Umgang mit der Klinge. Die Männer, die sich plötzlich unseren Waffen gegenübersahen und der Mehrzahl der angeblichen Arbeiter, die ihre Ketten abwarfen und sie einkreisten, leisteten kaum Widerstand. Bald trugen sie wie ihre Kollegen Arbeiterlumpen und Handschellen. Am Ostende der Mauer überraschten wir mit einer ähnlichen List das Lager der Jäger. Einige Männer entwischten uns; sie galoppierten sofort nach Süden los, doch andere konnten wir gefangennehmen und in Ketten legen. Außerdem erbeuteten wir mehrere Langbögen und etliche hundert Pfeile. Die Bögen gab ich an meine Männer weiter, die dem Bauernstand angehörten; sie konnten damit umgehen.

Am Ende der Mauer brach Imnak beim Anblick der getöteten Tabuk in Tränen aus. Fell und Haut des Tabuk liefert dem Jäger aus dem Norden nicht nur Kleidung, sondern auch das Rohmaterial für Decken, Schlafsäcke und andere Gebrauchsgegenstände. Das Leder läßt sich zu Geschirren für den Schnee-Sleen und die rothäutigen weiblichen Haustiere verarbeiten. Außerdem zu Eimern und Zelten und Kajaks, den leichten und schmalen Lederkanus der Jäger, mit denen sie sich an Meeres-Säugetiere anpirschen. Schnüre, Harpunentaue und Nähgarn lassen sich aus den Sehnen des Tabuk herstellen. Knochen und Horn des Tieres werden Pfeilspitzen, Nadeln, Fingerhüte, Spachtel, Keile und Messer geformt. Fett und Knochenmark lassen sich als Brennstoff verwenden. Darüber hinaus ist beinahe das gesamte Tier eßbar.

Jards kreisten zu Millionen über den Kadavern wie riesige Fliegen. Sie flatterten unwirsch auf, wenn Imnak an ihnen vorbeiging, ließen sich aber nur kurz bei ihrer Mahlzeit stören.

Er schaute über die zahlreichen Kadaver hin. Nur jeder zehnte war abgehäutet worden. Alles andere blieb völlig unverwertet, vom Fleisch über die Sehnen, bis zu den Knochen. Den Jägern war es auch nicht darauf angekommen, die Herde von Tancred voll zu nutzen. Sie hatten sie vernichten wollen.

Mit einem Aufschrei stürzte sich Imnak auf einen der gefesselten Jäger. Ich verhinderte, daß er den Mann umbrachte.

»Wir müssen weiter«, sagte ich und übergab mich in Schnee. Der Gestank war zuviel gewesen für meinen Magen. Ich fesselte sie rücksichtslos. Meine Männer freuten sich lautstark. Ich bin deine Gefangene, Kapitän«, sagte sie.

Ich reagierte nicht, sondern reichte sie an einen meiner Männer weiter.

»Wir verlassen uns auf dein Wort«, sagte Sorgus der Fellräuber unbehaglich.

»Darauf kannst du dich auch verlassen«, antwortete ich.

Mit seinen Männern verließ er den großen Holzbau, in dem er Zuflucht gesucht hatte und schob sich nervös zwischen meinen Männern hindurch. Ich hatte zugelassen, daß sie ihre Waffen behielten. Mir ging es nicht darum, unwichtige Nebenfiguren um-

zubringen.

Auf der Westseite der Mauer war nämlich nicht alles so glatt gegangen. Als die Männer und Wächter dort von dem Mauereinbruch und den weiteren Entwicklungen erfuhren, war der größte Teil geflohen. Andere hatten sich jedoch unter dem Kommando Sorgus’ zusammengefunden und waren ausgeritten, um das Blatt doch noch zu wenden. Bei ihrem Angriff war ihnen allerdings nicht bewußt gewesen, daß neun unserer Männer mit Bögen aus gelbem Ka-la-na-Holz bewaffnet waren und als Landvolk auch damit umgehen konnten. Hinter jedem dieser Schützen standen Männer mit Bündeln von Pfeilen in den Händen. Von der Streitmacht Sorgus’, die im Anfang fünfundneunzig Mann umfaßt hatte, waren etwa fünfzig dem Pfeilhagel der Verteidiger zum Opfer gefallen. Nur fünf waren überhaupt nahe an die Bogenschützen herangekommen, und um die hatte ich mich gekümmert. Daraufhin hatte Sorgus mit den vierzig Überlebenden einen Ausfall in Richtung Versammlungshaus gemacht und sich darin verschanzt.

»Er wartet auf die Rückkehr der Tarnkämpfer, die noch auf Patrouille sind«, sagte Ram.

Einem Angriff aus der Luft waren wir ziemlich schutzlos ausgesetzt. Ein von einem angreifenden Tarn abgeschossener Pfeil, beschleunigt durch die Schwerkraft und das Bewegungsmoment des geflügelten Tiers, kann sich einen Fuß tief in kompaktes Holz bohren. Die Abwehr dagegen, die nach oben gerichtete Pfeile, die sich gegen die Anziehung des Planeten behaupten müssen, kann nur eine begrenzte Reichweite und Wirksamkeit haben. Außerdem würden meine Männer auseinanderlaufen müssen, was natürlich zur Folge hatte, daß Sorgus und seine Leute unter dem deckenden Beschuß ihrer Tarnkämpfer einen Ausfall aus dem Gebäude machen würden.

»Wann sollen die Tarnkämpfer von der Patrouille zurückkehren?« fragte ich.

»Keine Ahnung«, antwortete Ram.

»Sorgus!« rief ich laut.

»Ich höre dich!« hatte der Mann aus dem Holzgebäude geantwortet.

»Ergib dich!«

»Kommt nicht in Frage!« antwortete er. Pfeile waren auf die Tür gerichtet, hinter der er stehen mußte.

»Ich möchte weder dich noch deine Männer töten müssen«, fuhr ich fort. »Wenn du sofort kapitulierst, dürft ihr alle eure Waffen behalten und friedlich abziehen.«

»Hältst du mich für einen Dummkopf?« rief er zurück.

»Wann rechnest du damit, daß deine Tarnkämpfer zurückkehren?« fragte ich.

»Bald!«

»Dann hoffe ich, um deinetwillen, Sorgus, daß sie bald hier sind, und zwar innerhalb einer Ahn.«

Ich postierte meine Bogenschützen rings um das Gebäude.

»Was soll das heißen?« fragte Sorgus.

»Ich werde das Haus in Brand stecken!«

»Warte!«

»Entweder zieht ihr jetzt friedlich ab«, sagte ich, »oder ihr sterbt in der nächsten Ahn. Dieses Angebot gilt für dich und deine Männer.«

Immer neue Männer stießen zu uns, teilweise noch in den Ketten, in denen die Wächter sie im Stich gelassen hatten. Sie kamen aus den weiter östlich liegenden Abschnitten der Mauer. Wir würden uns später um sie kümmern. Aber auf diese Weise standen nun etwa dreihundertundsiebzig Mann rings um den Ibu, auf die eine oder andere Weise bewaffnet, einige sogar mit Steinen. Und die Männer waren nicht sonderlich gut auf das Gesindel in dem Holzbau zu sprechen.

»Woher soll ich wissen, daß du uns wirklich ziehen läßt?«

»Ich habe es versprochen. Und ich bin ein Krieger.«

»Woher sollen wir das wissen?«

»Schicke deinen besten Schwertkämpfer heraus, dann beweiset ich es dir!«

Schweigen. Niemand kam aus dem Gebäude.

»Ich warte eine Ahn lang. Dann lasse ich den Versammlungssaal anstecken.« Und ich gab Befehl, die Brände vorzubereiten.

Wenige Sekunden später hörte ich aus dem Inneren ihre schrille, entsetzte Stimme. »Nein, nein!« flehte sie. »Kämpft auf Leben und Tod! Wehrt euch bis zum letzten Mann!«

Da wußte ich, daß ich gewonnen hatte.

Sorgus trat aus der Tür, die Hände erhoben, das Schwert achtlos an der Hüfte. Ich blickte Sorgus und seinen Männern nach.

»Ich bin eine freie Gefangene«, sagte sie. »Ich fordere alle entsprechenden Rechte und Privilegien.«

»Nehmt den Männern die Ketten ab«, befahl ich und deutete auf die früheren Gefangenen, die erst jetzt zu uns gestoßen waren.

»Ja, Kapitän«, sagte ein Mann, der ein Schmied war.

Ich wandte mich der blonden Gefangenen zu.

»Ich bin eine freie Gefangene…«

»Halt den Mund!« befahl ich. »Du hast hier mal das Kommando geführt. Aber damit ist es vorbei. Du bist jetzt nichts anderes als ein Mädchen auf Gor.«

Erschrocken sah sie mich an.

»Wann werden die Tarnkämpfer zurückerwartet?« fragte ich.

»Bald«, sagte sie drohend.

Ein Mann riß ihr den Kopf am Haar zurück. Ich setzte ihr den Dolch an die Kehle.

»Vier Tage«, flüsterte sie. »Sie sollen am Nachmittag des ersten Tages der Passage-Hand wieder hier sein.«

»Fessele sie!« sagte ich zu dem Mann. »Und wenn die Tarnkämpfer vor dem angegebenen Nachmittag eintreffen, schneidest du ihr die Kehle durch.«

»Nein!« rief sie.

»Wir haben viel zu tun«, wandte ich mich an meine Männer. »Die Mauer muß restlos vernichtet werden. Danach dürft ihr die verbleibenden Vorräte und die Beute unter euch aufteilen und verschwinden. Sollte sich jemand verdrücken wollen, ehe die Arbeit getan ist, so wird er zwischen den toten Tabuk angepflockt!«

Die Männer musterten sich unbehaglich. Sie hatten keine Lust, den aasfressenden Jards als Mahlzeit angeboten zu werden.

»Imnak«, sagte ich. »Du ersteigst die Plattform und hältst Wache. In zwei Ahn wirst du abgelöst.«

Er brummte etwas und wandte sich der Treppe zu.

»Wir haben Hunger«, sagten einige Männer.

»Ich auch. Bratet euch etwas. Aber es wird kein Paga getrunken. Für heute ist es zu spät, um mit der Arbeit zu beginnen. Aber morgen geht es los.«

Jubelgeschrei brandete auf.

Am Morgen würden sich die Männer bereitwillig an die Arbeit machen. Ich nahm nicht an, daß die Zerstörung der Mauer lange dauern würde, sicher nicht länger als bis zur Passage Hand. Als Arbeiter hatten wir mehr als dreihundertundfünfzig Mann zur Verfügung. An vielen Stellen war die Mauer auch schon durch den Ansturm der Tiere in den letzten Wochen geschwächt worden.

Ich hörte zwei Mädchen jammern. Ein Mann kam aus dem Küchenschuppen, in dem Fingerhut und Distel sich versteckt hatten. Er zerrte sie hinter sich her.

»Halt!« befahl ich. »Wir sind ehrliche Männer. Die Mädchen gehören Imnak.«

»Er ist ein rothäutiger Jäger!« rief jemand.

»Und einer von uns«, fügte ich hinzu. »Keiner macht sich ohne seine Erlaubnis an die Mädchen heran. Notfalls sorge ich mit dem Schwert für Disziplin!«

Ich blickte auf die knienden Mädchen hinab. »Es sind hier viele Männer, die zweifellos Hunger haben. Vielleicht solltet ihr in den Küchenschuppen zurückkehren und eurer Arbeit nachgehen.«

»Ja, Herr!« riefen sie.

»Zieht eure Tuniken herunter!« sagte ich warnend.

Weinend flohen sie in den Küchenschuppen, wobei sie die kurzen Gewänder langzuziehen versuchten, damit von ihrer Schönheit nicht zu viel sichtbar war. Die Männer lachten brüllend. Ich lächelte. Die kurzen, an der Seite geschlitzten Kleidder waren nicht dazu angetan, einem Mädchen bei diesem Bestreben Erfolg zu verheißen. »Wir sind jetzt allein«, sagte ich zu ihr.

Es war der frühe Nachmittag des ersten Tages der Passage Hand.

»Ganz allein?« fragte sie.

»Ja«, antwortete ich.

»Wo sind die Männer?«

»Die Arbeit ist getan. Die Mauer ist umgelegt und verbrannt, ebenso alle Gebäude bis auf den Versammlungsbau dort hinten. Die Arbeiter haben sich Wertsachen und Gold genommen und sind verschwunden – in den Süden.«

»Sie haben mein Gold?« fragte sie entgeistert.

»Ja. Zehn Metallkassetten wurden aufgebrochen, der Inhalt aufgeteilt. Nur wenige Männer sind mit diesem reichen Lohn für

ihre Dienste unzufrieden.«

»Dann bin ich jetzt ohne Geldmittel«, sagte sie.

»Du bist hübsch. Vielleicht findet sich ein Mann, der dich am Leben erhält.«

»Du bist ein Scheusal!«

»Die gefangenen Wächter und Jäger sind freigelassen und mit Proviant ausgestattet worden. Auch sie haben den Weg in den in Süden angetreten.«

»Du bist sehr großzügig!«

»Manchmal – gegenüber Männern.«

»Was ist mit dem rothäutigen Jäger?«

»Von allen, die an der Mauer arbeiten mußten, hat er als einziger den Weg nach Norden eingeschlagen.«

»Und die beiden Mädchen?«

»Die hübschen Dinger laufen vor ihm her«, antwortete ich. Imnak hatte einen kleinen Schlitten gebaut, der ihm bei der Überquerung des Axtgletschers von Nutzen sein konnte. Fingerhut und Distel zogen ihn über den Schnee der weiten Tundra. Vor der Abreise hatte er die Mädchen noch angewiesen, sich für den Norden geeignete Kleidung zu machen; Felle gab es ja genug an der Mauer. Der Schlitten war schwer beladen, aber Gold war kaum dabei gewesen. Imnak hatte größeren Wert auf Zucker und Bazi-Tee, Felle und Werkzeuge gelegt. Interessanterweise hatte er auch viel Holz auf den Schlitten gepackt, Planken wie auch Pflöcke, denn dieses Baumaterial ist im Norden von großem Wert.

Aus Holz lassen sich Schlitten und Zeltstangen und Rahmen für Kajaks und Umiaks machen, die großen, breiten Boote für mehrere Fischer, die beim Walfang gebraucht werden. Im Lande des Imnak gedeihen keine Bäume, und so mußte der Holzbedarf notdürftig durch gelegentliche Funde an der Küste gedeckt werden, Treibholz, das viele hundert Pasangs weit im kalten Wasser getrieben war.

»Auch du solltest lieber fliehen«, sagte Sidney Anderson.

»Die Arbeiter sind nicht geflohen«, gab ich zurück. »Sie kehren lediglich in ihre Heimat zurück.«

»Du bist aber hiergeblieben.«

»Ja – und mit einer ganz bestimmten Absicht.« An ihren Fesseln zerrte ich sie hoch und hinter mir her.

»Wohin bringst du mich?«

Ich ging zielstrebig auf die Plattform mit dem Auspeitschgestell zu und zerrte sie rücksichtslos die Stufen hinauf.

»Was hast du vor?« fragte sie.

»Bald werden doch die Tarnkämpfer kommen, oder?«

»Ja«, sagte sie zornig.

»Du wirst jetzt den Priesterkönigen dienen, meine kleine Schönheit«, sagte ich. »Und zwar als Lockvogel.« Und ich fesselte sie mit den Händen an das Gestell. Die Tarnkämpfer waren vorsichtig. Sie waren zu fünft Mehrmals umflogen sie das Gebiet.

Trotz der Höhe hatten sie sicher keine Mühe, die hübsche Gefangene zu identifizieren, die auf der Plattform stand. So hoch im Norden gab es nur wenige weiße Mädchen. Sie würden sie also erkennen. Natürlich mußte ihnen auch auffallen, daß die Mauer und die Gebäude zerstört waren – bis auf die Versammlungshalle.

Daraufhin würde ein Tarnkämpfer landen, um sich umzusehen.

Ich legte einen Pfeil aus schwarzem Temholz auf und spannte den gelben Bogen. Die Bogensaite bestand aus Hanf, der mit Seide durchflochten war. An dem Pfeil waren Federn der Vosk-Möwe befestigt.

»Vorsichtig!« schrie Sidney Anderson, als ihr der Knebel aus dem Mund gezogen worden war. »Einer ist noch hier!« Aber ich nahm nicht an, daß er sie hörte. Sie schrie auf, und er wirbelt zur Seite und stürzte von der Plattform, den Pfeil in der Brust. Im gleichen Sekundenbruchteil warf ich den Bogen fort und sprintete auf den Tarn zu. In den Sattel springend, zerrte ich heftig am Einer-Zügel. Das geflügelte Monstrum schrie vor Wut auf und bäumte sich flügelschlagend zurück. Ich lehnte mich zur Seite und wich den zustoßenden Krallen eines aus dem Himmel herabstoßenden Vogels aus. Wieder zog ich am Zügel und warf damit den Vogel beinahe auf den Rücken, der automatisch die Krallen hochgerissen hatte. Fast wäre ich aus dem Sattel gefallen, als mein Tarn, von dem nächsten Angreifer getroffen, zurückgeschleudert wurde und wieder an Höhe verlor; dabei befanden wir uns erst vierzig Fuß über dem Boden. Beide Vögel stürzten sich kreischend aufeinander. Scharfe Krallen zuckten vor. Ein Armbrustpfeil sirrte an meinem Kopf vorbei. Ein dritter Tarn rückte von links näher. Ich zerrte den Schild aus den Sattelschlaufen und wehrte die scharfen Krallen ab, die im Leder tiefe Furchen hinterließen. Der vierte Tarn befand sich unter uns. Ich sah, wie der Mann mit dem Speer noch oben stieß. Die Spitze verwundete mich am Bein. Ich zog den Tarn nach links, wobei wir unseren unmittelbaren Gegner mitrissen. Der Tarnkämpfer links von mir zog den Einer-Zügel, um nicht mit seinem Kampfgenossen in Konflikt zu geraten. Der Bursche, dessen Tarn mein Tier zu zerreißen versuchte, benutzte einen Sechser-Zügel, und entschwand nach rechts oben. Auf der linken Seite fuhr ein Armbrustpfeil durch meinen Sattel, im nächsten Augenblick raste der Schütze hinter mir vorbei. Nun hatte mein Tarn wieder freie Bahn.

Meine vier Gegner formierten sich zu einer Gruppe und gewannen im großen Bogen an Höhe, etwa hundert Meter von mir entfernt. Ich ließ meinen Tarn ebenfalls aufsteigen, schneller und höher, um eine Position über den Männern zu erreichen. Und dann war die Sonne hinter mir, und sie flogen tiefer. Sie öffneten die Formation und begannen mich einzeln zu umkreisen. Sie hatten keine Lust, aus dem Tarnhinterhalt, aus der Sonne heraus überfallen zu werden. Aber ich achtete darauf, daß ich den Vorteil der Höhe nicht verlor. Vorsichtshalber legte ich den Bauchgurt um und. untersuchte den Schild. Er war zwar eingerissen, konnte mir aber noch nützlich sein. Am Sattel war ein Speer befestigt, den ich aus seinen Schlaufen löste. Hinter dem Sattel hing ein Bündel Pfeile. Tief unter mir war das Mädchen angebunden. Plötzlich lachte ich befreit auf. Ich zog noch einmal am Einer-Zügel. In den Wolken wollte ich meine Gegner erwarten. Die goreanischen Monde standen hoch am Himmel, als ich auf die Plattform zurückkehrte.

Es war eine lange Jagd gewesen. Sie hatte sich über Distanzen von mehreren Pasangs bewegt. Zwei Mann waren so dumm gewesen, mir in die Wolken zu folgen, die anderen beiden waren geflohen. Erst am späten Nachmittag hatte ich sie einholen können. Sie hatten verzweifelt und gut gekämpft.

»Du bist ihnen entkommen«, sagte das Mädchen staunend. Es waren doch vier!«

Mein Tarn war geschwächt und blutüberströmt. Ich wußte nicht, ob er es überleben würde, denn zuletzt hatten sich die Männer an dem Tier ausgelassen. Erst kurz danach war es mir gelungen, die Jagd zu beenden.

»Du mußt fliehen«, sagte sie, »ehe sie zurückkehren!«

»Glaubst du immer noch, daß sie dich retten werden?« fragte ich.

»Aber ja!«

»Sie sind tot.«

Ich war müde. Zum erstenmal berührte ich sie mit voller Absicht, griff ihr in den Ausschnitt und nahm ihre Brüste in die Hand. Sie war wirklich begehrenswert.

»Faß mich nicht an!« fauchte sie und schrie auf, als ich die vier abgeschlagenen Köpfe vom Sattel losband und ins trockene Gras warf. Ich war müde und hatte aus der Wunde am Bein viel Blut verloren. Ich wandte mich ab, stieg von der Plattform und begab mich in den Versammlungsbau, um zu schlafen.

»Du Barbar!« kreischte sie hinter mir her. »Du Barbar!« Am nächsten Morgen erwachte ich mit frischen Kräften. Die Sonne stand strahlend am Himmel, ich hatte gut gegessen und mir einen Rucksack fertiggemacht, in dem sich meine Habseligkeiten und etliche Vorräte befanden. Schließlich erstieg ich die Plattform, auf der das Mädchen bewußtlos lag.

Ich rüttelte sie wach. »Ich gehe jetzt«, sagte ich.

Sie blickte mich verständnislos an. Ich wandte mich ab und blickte über die Tundra, die einsame Landschaft, die verkohlten Überreste der Mauer und der anderen Gebäude. Den Versammlungsraum wollte ich noch in Brand stecken, ehe ich ging. Der Norden ist eine Einöde, die auf ihre abweisende Art sehr schön sein kann. Es war kühl. In der Nacht hatte es etwas geschneit. Einige Nachzügler der Tabukherde überquerten vorsichtig die Linie, die einmal die Mauer gewesen war. Sie würden der Herde nach Norden folgen, ohne zu ahnen, daß es hier jemals ein unüberwindliches Hindernis gegeben hatte.

»Willst du mich hier zurücklassen? Soll ich sterben?« Ich schnitt sie los und löste ihre Fesseln. Sie sank wimmernd auf die Holzbohlen der Plattform und raffte ihre Felle zusammen, die dort lagen.

Dann verließ ich das Podest. In wenigen Ehn hatte ich den letzten intakten Bau angezündet. Das Mädchen kniete reglos auf der Plattform. Sie war mein Feind.

Ich drehte mich um und schlug den Weg nach Norden ein. Auch ich würde der Herde folgen. Ich schaute nicht zurück. Gegen Mittag rastete ich und aß getrocknetes Fleisch. Ich beobachtete die kleine Gestalt, die langsam näherkam. Als sie noch drei oder vier Meter entfernt war, blieb sie stehen und kniete im Schnee nieder.

»Bitte«, sagte sie.

Ich warf ihr ein Stück Fleisch zu, das sie heißhungrig hinunterschlang. Ich stand auf. Ich mußte weiter.

»Ich habe noch keinen Mann kennengelernt, der so stark ist«, sagte sie und erschauderte. Ich schrieb diese Anwandlung der Kälte zu.

»Was ist mit dem Tarn?« fragte sie.

»Das Tier war schwach«, sagte ich. »Ich habe ihm die Freiheit. gegeben.«

»Du wanderst nach Norden.«

»Ich habe dort etwas zu erledigen.«

»Du willst zu Fuß gehen?«

»Ja.«

»Deine Überlebenschancen sind gering.«

»Ich werde von der Herde leben. Die einzige Gefahr geht für mich vom Winter aus.«

Dieser Jahreszeit fielen zuweilen sogar rothäutige Jäger zum Opfer.

»Du darfst mir nicht weiter folgen«, sagte ich.

»Ich kann im Norden nicht allein leben. Und der Weg in den Süden ist weit.«

»Das interessiert mich doch nicht«, sagte ich und dachte daran, daß sie dieselben Worte gebraucht hatte, als ich sie auf das Schicksal der rothäutigen Jäger aufmerksam machte, die auf die Herde von Tancred angewiesen waren.

»O nein!« schluchzte sie. »Bitte! Ohne einen Mann, der mich schützt und mir zu essen gibt, bin ich verloren!«

»Was für ein hübsches Ding du bist!« sagte ich spöttisch.

»Ich will ja auch nicht als freie Frau mitkommen!« rief sie.

»Ach? Weißt du überhaupt, was du da sagst?«

»Ja«, flüsterte sie. »Ich bitte dich, deine Sklavin sein zu dürfen.« Sie begann zu weinen.

Ich blickte sie an.

»Bei einem Mann von deiner Macht könnte ich nichts anderes sein als eine Sklavin.«

»Das gilt gegenüber jedem Goreaner«, sagte ich.

»Ja, ja!« rief sie.

»Sind dir die Rituale der Versklavung bekannt?« fragte ich.

»Ich, Sidney Anderson von der Erde, unterwerfe mich Tarl Cabot von Gor als Sklavin, vorbehaltlos.«

Ich erkannte, daß sie sich insgeheim gefragt hatte, wie es sich anfühlen mochte, Sklavin zu sein. Sie hatte sich mit der Angelegenheit beschäftigt. Ein gutes Vorzeichen.

Ein wunderschönes, exquisites kleines Ding, so hockte sie vor mir.

Ich nahm ein Stück Lederschnur und band es ihr einige Male verknotet um den Hals. Dies war ihr Kragen; zugleich gaben die Knoten darüber Auskunft, daß sie mir gehörte.

Sie blickte furchtsam zu mir auf. Sie war meine Sklavin.

Ich fuhr ihr mit den Händen durch die Haare. »Du bist Arlene«, sagte ich.

Sie erbebte. »Ja… Herr«, antwortete sie.

Dann warf ich sie rücklings in den Schnee, um sie zu lehren, was der Sklavenkragen bedeutete.

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