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Befehle wurden gegeben.

Zwei Ahn später waren wir bereit, die Station zu verlassen. Schlitten standen bereit, Gefangene waren in Pelze gehüllt und gefesselt worden; ihnen drohte ein Sklavenschicksal. Die Frauen, die wir in der Kur-Basis gefunden hatten, waren auf ähnliche Weise aneinandergefesselt worden. Sie würden es lernen, rothäutigen Herren zu dienen.

»Du möchtest doch sicher auch ein Mädchen haben, das dich warmhält und dir Freude bereitet?« wandte sich Imnak an Karjuk, den Wächter des Volkes.

»Ich bin ein mürrischer, verschlossener Mann«, sagte er und schnürte ein Bündel, um es auf seinen Schlitten zu tun.

Imnak blinzelte mir zu. »Komm mit, du ernster Freund«, sagte er. »Ich wollte dir etwas zeigen.«

»Ich weiß wenig von solchen Dingen«, sagte Karjuk.

»Vielleicht kann dir so ein Mädchen den Schlitten ziehen.«

Wir marschierten durch einen Gang und betraten einen großen Raum. In der Mitte kniete eine junge rothäutige Frau, die einzige Angehörige des Volkes, die man in der Station als Sklavin gefunden hatte.

»Niemand will dieses Mädchen«, sagte Imnak. »Sie ist Sklavin der Weißen gewesen.«

Das Mädchen hatte Tränen in den Augen. Sie war sehr hübsch, wenn auch klein und rundlich gebaut wie die meisten Frauen der rothäutigen Jäger.

»Was wirst du mit ihr tun?« fragte Karjuk.

»Sie auf das Eis hinausjagen«, antwortete Imnak. »Sie ist eine Schande für das Volk.«

»Ich lebe außerhalb«, sagte Karjuk.

»Möchtest du sie?«

»Natürlich nicht!« sagte Karjuk hastig. »Sie ist zu hübsch für mich.«

»Kennst du sie denn?« fragte Imnak.

»Sie hieß einmal Neromiktok und stammt aus dem Lager der kupfernen Klippen«, antwortete er.

»Kennst du ihn?« wandte sich Imnak an das Mädchen. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

»Er ist Karjuk, Herr«, flüsterte sie, »ehemals aus dem Lager der hellen Felsen. Jetzt ist er der Wächter des Volkes.«

»Es heißt, er verließ das Lager und wurde Wächter, weil ein stolzes Mädchen aus dem Lager der kupfernen Klippen seine Geschenke ablehnte.«

Sie senkte den Kopf.

»Wie bist du Sklavin geworden?« fragte Imnak.

»Ich war zu gut für die Männer«, antwortete sie.

Mehrere rothäutige Jäger, die uns begleitet hatten, begannen zu lachen.

»Ich bin von den kupfernen Klippen fortgelaufen, um einer Verbindung zu entgehen, die ich nicht wollte«, sagte sie. »Ich wurde gefangen und zur Sklavin gemacht.«

»Bist du immer noch zu gut für die Männer?« fragte Imnak,

»Nein, Herr.«

»Du hast dem Volk Schande gemacht«, sagte Imnak streng. »Was für eine Frau bist du überhaupt?«

»Eine Frau, die zu den Füßen von Männern knien und sie lieben will«, sagte sie.

»Weißt du, was mit jemandem geschieht, der dem Volk Schande macht?« fragte er.

»Bitte nein, Herr!«

»Ergreift sie!« wandte sich Imnak an zwei rothäutige Jäger. Sie packten sie an den Armen und zerrten sie hoch.

»Sie werden mich im Schnee aussetzen!« rief sie Karjuk zu.

»Willst du die verstoßen?« fragte Karjuk.

»Natürlich«, sagte Imnak.

»Aber sie hat kräftige Beine«, gab Karjuk zu bedenken.

Das Mädchen strampelte zwischen den beiden Jägern. Sie ließen ihre Arme los, und sie warf sich vor Karjuk auf die Knie.

»Zum Schlittenziehen taugt sie vielleicht«, sagte ein Mann.

»Mag sein.«

»In den Fellen stellt sie sich vielleicht auch nicht ungeschickt an«, meinte ein anderer.

»Behalte mich, Herr!« flehte das Mädchen Karjuk an.

»Niemand will dich haben«, sagte Imnak.

»Bitte, Herr!« schluchzte das Mädchen.

»Du bist zu gut für mich«, sagte Karjuk.

»Nein, nein Herr!« rief sie. »Ich bin nur eine Sklavin!«

»Und sehr hübsch«, sagte Karjuk.

»Es würde mich freuen, wenn ich dem Herrn gefiele!«

»Reden wir mal über etwas Wichtiges«, sagte Karjuk. »Kannst du nähen und kochen.«

»Ja, Herr!«

»Kannst du einen guten Sleenbraten machen?«

»Ja, Herr! Ich weiß zwar, daß du hoch über solchen Dingen stehst, aber ich kann dir auch in den Fellen großartige Wonnen versprechen, Dinge, die ich hier als Vergnügungssklavin gelernt habe.«

Karjuk zuckte die Achseln. »Es würde nichts schaden, dazuzulernen«, sagte er.

»Behalte mich, Herr!« flehte sie.

»Schau mich an, Mädchen!« forderte er.

Sie gehorchte.

»Ich behalte dich«, fuhr er fort, »aber du mußt dir klarmachen, daß du meine Sklavin bist. Voll und ganz!«

»Ja, Herr!«

»Und wenn du mir nicht gefällst, schicke ich dich aufs Eis hinaus!«

»Ja, Herr.«

»Dann steh auf! Wir müssen unseren Schlitten beladen.«

Sie gehorchte und folgte ihm aus dem Raum.

»Imnak!« sagte ich tadelnd. »Du hast das alles arrangiert.«

»Das wäre nicht unmöglich«, antwortete er. »Aber jetzt müssen wir uns wirklich beeilen. Die Zeit wird knapp. In zwei Ahn gibt es diese Station nicht mehr.«

Im Korridor nahm ich einem der rothäutigen Jäger sein Bolzengewehr ab.

»Wohin willst du?« erkundigte sich Imnak.

»Zu Zarendargars Gemach«, sagte ich. Ich schob einen Explosivpfeil in die Kammer und ließ den Bolzen zuschnappen. »Warum?« wollte er wissen.

Ich zuckte die Achseln. »Er hat bestimmt keinen schönen Tod«, sagte ich.

Mit der Waffe in der Hand begab ich mich zu dem zentralen Raum, in dem Zarendargar geherrscht hatte.

Am Eingang angekommen, öffnete ich die Tür mit dem Fuß und hob die Waffe, um auf die Gestalt zu schießen, die auf der blutigen Plattform liegen mußte.

Aber dann zuckte ich zusammen. Mit einem großen Satz sprang ich in den Raum. Die Waffe erhoben, drehte ich mich einmal im Kreis und suchte die Wände ab, die Stangen, die unter der Kuppel ihr Gewirr bildeten.

Ich bebte am ganzen Leib.

Zarendargar war verschwunden,

»Ich lasse alle Räume und Korridore absuchen!« rief Imnak. Er hastete davon.

Langsam näherte ich mich dem pelzbedeckten, blutüberströmten Podest. An der Kante hatte ich vor dem Gehen ein Glas Paga gestellt. Vor einer Stahlwand sah ich die zerschmetterten Überreste eines solchen Glases. Auf dem Podest jedoch stand ein zweites Glas, gefüllt mit Paga.

Ich lachte laut los. Dann bückte ich mich und ergriff das zweite Glas. Mit einer prostenden und zugleich grüßenden Gebärde hielt ich es dem Raum entgegen. Dann stürzte ich den Paga hinunter und schleuderte das Glas an die Metallwand. Das Glas barst klirrend, und die Bruchstücke vermengten sich mit den Resten des ersten Glases.

Ich machte kehrt und verließ den Raum. Draußen war Imnak bemüht, eine Durchsuchung der Station zu organisieren.

»Dazu ist keine Zeit mehr«, sagte ich.

»Aber das Ungeheuer…«, wandte er ein.

»Wir haben dazu keine Zeit mehr! Wir müssen los!«

»Du hast recht, Tarl, der mit mir jagt.« Seine rothäutigen Jäger um sich scharend, eilte er davon.

Die Schnee-Sleen waren angeschirrt. Einen Augenblick lang zögerte ich an der Schwelle des Raumes, in dem Zarendargar geherrscht hatte, Halb-Ohr, der Kriegsgeneral der Kurii. Ich schaute noch einmal auf die blutige Plattform, auf die Stahlwand, auf die Scherben der beiden Gläser.

Dann machte ich hastig kehrt und eilte durch den Korridor. Die Fahrt über das Eis mußte beginnen.

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