18

Sorgfältig suchte ich das Wasser ab.

»Bald ist es soweit«, sagte Imnak. Ich hatte nicht gemerkt, daß er vor sich hin gezählt hatte, doch sicher hatte er eine jahrelange Erfahrung in diesen Dingen, ein Gefühl für die Zyklen und Rhythmen einer solchen Jagd und ihre Steigerung in der Erlahmung des Tiers.

Das kalte Wasser wirkte ungewöhnlich still. Da und dort trieben Eisstücke.

Die steinige Küste lag etwa einen halben Pasang hinter uns. Über dem ständigen Lager stieg Rauch auf.

Außer mir saßen fünf Männer in dem großen Lederboot, das Umiak genannt wurde. Es war etwa zwanzig Fuß lang und fünf Fuß breit. Die Häute, die man über das Holzgestell genäht hatte, waren seltsamerweise vom Tabuk und nicht vom Meeres-Sleen. Das Leder war über den Rahmen aus Treibholz und langen Knochenbögen gespannt, die mit Sehnenschnur zusammengefügt worden waren. Das Wasser bewegte sich nicht.

Normalerweise wird ein solches Boot von Frauen gepaddelt, doch heute hatten wir keine Frauen bei uns. Bei der Arbeit, die wir vorhatten, riskierte man keine Frau, nicht einmal eine Sklavin.

»Gleich ist es soweit«, sagte Imnak.

Oft kehren Umiaks oder die kleinen Ein-Mann-Boote, die Kajaks, nicht zurück.

»Haltet euch bereit«, sagte Imnak.

Das Wasser erstreckte sich spiegelglatt ringsum.

Ich umklammerte die lange Harpune. Sie war etwa acht Fuß lang und maß ungefähr zweieinhalb Zoll im Durchmesser, Der Hauptschaft bestand aus Holz, doch befand sich daran eine Verlängerung aus Knochen. In diesen Vorderschaft war die ebenfalls aus Knochen bestehende Klinge eingesetzt, mit einer Spitze aus geschliffenem Schiefer. Durch ein in die Knochenklinge gebohrtes Loch, etwa vier Zoll unterhalb der Schieferspitze und vier Zoll über dem Beginn des Kopfstücks, führte eine Lederleine, die zusammengerollt unten im Boot lag. Das Loch ist so angebracht, daß die Spitze der Harpune sich in der Wunde dreht, sobald die Leine straffgezogen wird, und der Widerhaken sich auf diese Weise erst richtig festbeißt.

Plötzlich brach er aus dem Wasser hervor, kam ein Dutzend Fuß vom Boot entfernt, senkrecht emporsteigend, hinaufstrebend und mit mächtigem Schnauben ausatmend, Wasser versprühend, in einem Gewirr von Leinen und Blut – die mächtige, zylindrische Masse des schwarzen Hunjerwals.

»Jetzt!« rief Imnak.

Ich schleuderte die Harpune.

Vier Fuß tief verschwand die Harpune in der Flanke des unvorstellbar riesigen Säugetiers.

Die sich entrollende Leine sirrte an mir vorbei in die Höhe. Das Ungeheuer schien auf seinen Schwanzflossen zu stehen, vierzig Fuß hoch ragte es über uns auf, und die Harpunenleine verschwand wie ein winziger, im Wind wogender Faden nach oben. »Aufpassen!« schrie Imnak.

Ächzend, Luft ausstoßend, stürzte das Tier ins Wasser zurück. Es gab ein mächtiges Klatschen, das viele Pasangs im Umkreis zu hören sein mußte. Die Leine führte jetzt horizontal vom Boot fort. Viel Wasser war hereingeschwappt, und wir waren von Kopf bis Fuß durchnäßt. Meine Parka begann sofort steifzufrieren. Mit Ledereimern begannen vier Männer Wasser zu schöpfen. Dichter Dampf lag wie Nebel in der Luft, die sich niederschlagende Feuchtigkeit im warmen Atem des Wals. Ich bemerkte den Blick des kleinen Auges auf der linken Seite des Tiers.

»Er taucht gleich«, sagte Imnak. Als er den Arm hob, lösten sich knirschend Eisstücke von seiner Parka.

Imnak und ein zweiter Mann begannen die Leine einzuholen und brachten uns damit dicht an die Flanke des Monstrums heran.

Die anderen Jäger warfen die Eimer fort und griffen nach ihren Lanzen, schlanke Jagdwaffen mit starren Spitzen, die im allgemeinen nicht zum Werfen, sondern zum Stoßen benutzt wurden.

Ich streckte die Hand aus und stemmte sie gegen die Flanke des Säugetiers. Der Hunjerwal besitzt ein mit Zähnen bewehrtes Maul. Neben mir trieben Imnak und die anderen Jäger ihre Lanzen wie Nadeln in die Flanke des Tiers; immer wieder stachen sie zu.

Das Fleisch des Wals bebte, ließ Wasser aufspritzen. Ich fürchtete schon, daß unser Boot eingedrückt werden könnte.

Das Wesen ächzte.

»Haltet die Leine fest!« rief Imnak.

Ich griff danach, hielt fest und zerrte und hielt das Umiak an der Flanke des Riesenfisches, damit die Fischer weiter zustechen konnten.

Im nächsten Augenblick verschwand das Auge des Tiers unter Wasser, Ich sah die Schwanzflossen emporzucken,

»Loslassen!« schrie Imnak.

Ich warf die Leine über Bord.

Die Schwanzflosse ragte hoch über uns auf, der Körper des Tiers stand beinahe senkrecht. Die Lederleine verschwand unter Wasser. Das Tier war fort.

»Jetzt warten wir ab«, sagte Imnak. »Dann fängt alles wieder von vorne an.«

Es schien sehr ruhig zu sein auf dem Meer. Man konnte sich kaum vorstellen, daß wir durch die dünne Leine mit dem Riesengeschöpf tief unter uns verbunden waren. Ringsum trieb Eis im Wasser. Der Wind wehte den Atem des Monstrums auseinander, löste den Dunst langsam auf.

Über der felsigen Küste, die sich eine halbe Pasang hinter uns erstreckte, zeichnete sich das ständige Lager ab; darüber stand Rauch. Ich fror erbärmlich. Wenn wir ins Lager zurückkehrten, würde ich als erstes heißen Tee trinken.

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