33

»Das ist kein Kur!« rief der Mann. »Schießt!«

Im nächsten Augenblick legte ich ihm die Hände um die Kehle und schleuderte ihn zwischen mich und seinen Gefährten. Ich hörte den Pfeil in seinen Körper eindringen und stieß ihn von mir fort. Vor meinen Augen wurde er auseinandergerissen. Der andere Mann, der wie sein Opfer einen leichten Plastikanzug mit einem Heizgerät an der Hüfte trug, fummelte an seiner Waffe herum in dem Bemühen, ein neues Geschoß einzulegen. Ich stürmte auf ihn zu. Das Geschoß fauchte an mir vorbei, nachdem ich im letzten Augenblick den Lauf zur Seite gestoßen hatte. Ich warf den Kerl zu Boden, und wir verwickelten uns halb in den weißen Pelz des Kur. Ich legte ihm den linken Arm um den Hals und versetzte ihm gleichzeitig mit der Rechten einen Hieb gegen die Schläfe. Mit gebrochenem Genick blieb er liegen. Ein Krieger lernt solche Dinge.

Ich hob den Kopf. Niemand schien etwas gemerkt zu haben, obwohl zwei Schüsse abgefeuert worden waren. Die röhrenförmigen Waffen werden mit einem relativ leisen Zischen abgefeuert. Viel lauter ist dagegen die Explosion der Pfeile, die so eingestellt ist, daß sie Sekunden nach dem Auftreffen auf das Ziel eintritt. Die erste Explosion war vom Körper des Mannes gedämpft worden. Die zweite jedoch hätte man hören können. Der Pfeil war nach einem langen gekrümmten Sturz tausend Fuß unter mir aufgetroffen und hatte gut zweihundert Fuß weit Eisbrocken verschleudert.

Ich war mit dem Schlitten zur Station der Kurii zurückgekehrt. Mit dem Schlitten hoffte ich nicht für ein primitives Eis-Ungeheuer gehalten zu werden. Außerdem hatte ich mir den Pelz des Kurs umgehängt der Beobachter im schwachen Licht der polaren Nacht täuschen mochte. Darüber hinaus war ich nach Möglichkeit in der Deckung des Packeises geblieben. Ich hatte den Schlitten am Fuß der Eisinsel stehenlassen und war im Schutz des Kur-Pelzes an der Eisflanke emporgestiegen. Das Luk, durch das ich die Insel verlassen hatte, war von außen zu gut getarnt. Hier oben hoffte ich nun Zugang zur Eis-Station zu finden. Dabei interessierten mich weniger Türen und Tunnel, die sicher bewacht wurden, als Öffnungen, die sich für meine Zwecke besser eigneten, unbewachte Öffnungen, bei denen keine Losungsworte ausgesprochen werden mußten. In der Station hatte es stets frische Luft gegeben, und so hoffte ich, daß Belüftungsschächte bestanden. Wenn sich die Kurii allerdings auf ein geschlossenes System verließen, mußte ich bei einem regulären Eingang mein Glück versuchen.

Es geschah so schnell, daß ich gar nicht genau wußte, ob ich es überhaupt sah; vielleicht hörte und spürte ich das Projektil, das das Fell meiner Parka durchschnitt und sich einen Fuß hinter mir ins Eis bohrte. Ich hechtete weg davon; im gleichen Augenblick detonierte das Eis auswärts, Druckwelle und Eis drückten mich wie eine Hand fort, und ich stieß gegen einen Vorsprung und rutschte abwärts. Dann sah ich sie kommen, zwei bewaffnete Männer. Ich blieb verkrümmt am Fuß des Eisvorsprungs liegen.

»Er ist tot«, sagte einer der Männer.

»Ich jage ihm noch einen Pfeil in den Leib«, sagte der andere.

»Sei kein Dummkopf! Siehst du nicht, daß er nicht mehr atmet? Wenn er noch am Leben wäre, müßten wir den Dampf seines Atems sehen.«

»Du hast recht«, sagte der zweite Mann.

Offenbar hatte noch keiner der beiden Männer den schnellen Meeres-Sleen gejagt. Es freute mich, daß ich mit Imnak einmal die Bekanntschaft dieses gefährlichen und heimtückischen Tiers gemacht hatte.

»Aii!« schrie der erste Mann, als ich aufsprang und ihn mit der rechten Hand zur Seite stieß. Den zweiten Mann mußte ich als ersten erreichen. Er war der mißtrauischere, der gefährlichere der beiden. In seiner Waffe steckte ein Pfeil. Die Waffe wurde hochgerissen, doch schon war ich heran. Der andere Mann hatte sein Gewehr noch nicht wieder geladen. Ich wandte mich nach ihm um, als ich den ersten Mann ausgeschaltet hatte. Erst später ging mir auf, daß er mit dem Kolben von hinten nach mir geschlagen hatte. Sein Schrei gellte, bis sein Körper tief unten unterhalb der Eisklippen aufschlug.

Hastig durchsuchte ich die Sachen des zweiten Mannes. Ich mußte schnell handeln. Sekunden später hatte ich einen der dünnen Plastikanzüge mitsamt der Kapuze übergestreift und trug ein Heizgerät an der Hüfte. Ich wußte nicht, wie lange die Ladung des Geräts vorhalten würde, doch ich nahm nicht an, daß ich sie lange brauchen würde. Dann nahm ich dem zweiten Mann den Beutel mit Geschossen ab und warf ihn mir über die Schulter. Schließlich brachte ich die beiden Waffen an mich.

Noch ein Gegenstand lag auf dem Eis, ein kleines Funkgerät. Aus dem Lautsprecher tönte eine Stimme, die auf Goreanisch drängende Fragen stellte. Ich beschloß, nicht zu antworten. Sollte der Mann sich ruhig fragen, was da oben auf der zerklüfteten Eisinsel geschehen war. Hätte ich geantwortet, wäre ich wohl schnell als menschlicher Eindringling identifiziert worden, an meiner Stimme oder zumindest an meinem Unvermögen, die richtige Parole zu äußern. Ohne klare Antwort konnte der Mann am Gerät annehmen, daß mein Funkgerät nicht funktionierte, daß ein Unfall geschehen war oder daß ein Eis-Ungeheuer die Patrouille angegriffen hatte. Bald würde man der Sache nachgehen, was mir nicht mißfiel. Je mehr Männer sich außerhalb der Anlage befanden, desto weniger waren drinnen. Und die verschiedenen Ausgänge ließen sich bestimmt nicht von außerhalb öffnen. Und wenn doch, konnte man den Mechanismus sperren oder vernichten. Ich wußte, drinnen hatte ich mindestens einen Verbündeten, der sein Leben für mich riskieren würde – Imnak. Er hatte schon viel gewagt.

Nach kurzer Zeit fand ich einen Ventilations-Schacht, durch den frische Luft in die Anlage gesaugt wurde; in der Nähe fand ich weitere Öffnungen – einige für Frischluft, andere für den Ausstoß der verbrauchten Atmosphäre. Die Kurii haben große Lungen und müssen ihren Blutkreislauf sehr mit Sauerstoff anreichern. Deshalb legen sie größten Wert auf eine reine Atmosphäre. Das Außengitter des Schachts ließ sich nicht entfernen. Es war am Metall festgeschweißt.

Ich trat einige Schritte zurück und drückte den Feuerknopf an einer der Röhrenwaffen. Sofort schob ich einen neuen Pfeil in die Kammer, aber ein zweiter Schuß war nicht mehr erforderlich. Das Metall war losgebrochen und ragte verdreht in die Höhe.

Die Öffnung war nicht groß, würde aber ausreichen. Ich tastete an der Innenseite des geschwärzten Schachts herum, fand aber keine Handgriffe oder Sprossen. Ich kannte die Tiefe des Schachtes nicht, schätzte ihn aber auf hundert Fuß oder mehr. Ich hatte kein Seil. Ich ließ mich in die Öffnung gleiten, den Rücken gegen die eine Seite, die beiden Füße gegen die andere Seite gestemmt. So stieg ich Zoll um Zoll abwärts. Es war eine anstrengende Kletterpartie. Ich brauchte mich nur einmal in Position oder Hebelwirkung zu verschätzen und würde dann hilflos in den Schacht stürzen, bis ich in unbekannter Tiefe aufprallte.

Für den Abstieg brauchte ich mehr als eine Viertel-Ahn.

Die letzten zwanzig Fuß glitt ich dahin und landete mit metallischem Klirren am Ende des Schachts. Das Gitter, gut sieben Fuß über dem Stahlfußboden eines großen Raumes, saß nicht so fest wie der obere Verschluß. Zu meinem Erstaunen konnte ich es mühelos abnehmen.

»Wo bleibst du so lange?« fragte Imnak.

Er saß an einer Wand auf zwei Kisten und schnitzte aus einem Sleen-Knochen einen Parsitfisch.

»Ich wurde aufgehalten.«

»Du hast großen Krach gemacht«, stellte Imnak fest.

»Tut mir leid.«

Jetzt bemerkte ich, daß die Schrauben, die das Gitter hielten, entfernt worden waren.

»Woher wußtest du, daß du mich hier finden würdest?«

»Ich dachte mir gleich, daß du Mühe haben würdest, den Wächtern dein Eintrittsbegehren zu begründen.«

»Aber es gibt doch sicher viele Belüftungsschächte.«

»Ja«, sagte Imnak, »aber nicht viele, in denen Leute herumkriechen.«

»Hier«, sagte ich und reichte Imnak eine der Röhrenwaffen und etliche Projektile aus dem Beutel über meiner Schulter.

»Was soll man mit der Waffe?« fragte Imnak. »Sie zersprengt das Fleisch, und man kann an der Spitze keine Leine festmachen.«

»Man kann damit Leute erschießen.«

»Ja, dazu mag sie angehen.«

»Ich habe die Absicht, den Sprengsatz dieser Station zu finden und zu zünden. Damit wollen die Kurii verhindern, daß ihr Arsenal in unbefugte Hände fällt.«

»Das sind komplizierte Worte«, sagte Imnak.

»Ich suche einen Schalter oder Hebel, der diese ganze Anlage – peng! krach! – auseinanderfliegen läßt – so wie der Pfeil, wenn er sein Ziel trifft.«

»Du willst eine Explosion auslösen?« fragte Imnak.

»Ja – woher kennst du das Wort?«

»Karjuk hat mir davon erzählt.«

»Wo ist Karjuk?«

»Irgendwo draußen«, sagte Imnak.

»Hat er je von einer Einrichtung gesprochen, die die Anlage hier vernichten kann?«

»Ja.«

»Hat er dir gesagt, wo sie sich befindet?«

»Nein«, antwortete Imnak. »Ich glaube auch nicht, daß er weiß, wo das Ding ist.«

»Imnak, nimm diese Waffe und führe möglichst viele Mädchen aus der Station heraus.«

Imnak zuckte verwirrt die Achseln. »Und was ist mit dir?«

»Um mich mach dir keine Sorgen.«

»Na schön«, sagte Imnak und wandte sich zum Gehen.

»Und wenn du Karjuk siehst«, sagte ich, »bringst du ihn um.«

»Das wäre Karjuk aber nicht recht.«

»Trotzdem, tu’s!«

»Und woher bekommen wir einen neuen Wächter?«

»Karjuk bewacht nicht das Volk, sondern die Kurii.«

»Woher weißt du, was er bewacht?«

»Beeil dich!« sagte ich. »Hol die Mädchen zusammen!«

»Ist es dir recht, wenn ich mir um dich doch ein wenig Sorgen mache, Tarl, der mit mir jagt?«

»Ja, ja, ein wenig kannst du dir Sorgen machen.«

»Gut«, sagte Imnak. Dann machte er kehrt und verschwand im Korridor.

Ich hob den Kopf. An der Decke verliefen die Sklavenschienen, die den Bewegungsraum der Sklaven bestimmten.

In diesem Augenblick bogen weiter unten zwei Männer in braunschwarzen Tuniken um eine Ecke.

»Warum trägst du den Anzug?« fragten sie mich.

»Ich komme von der Oberfläche«, sagte ich. »Dort oben gibt es Ärger.«

»Was für Ärger?«

»Das wissen wir noch nicht.«

»Gehörst du zur Sicherheitsabteilung?« fragte einer der Männer.

»Ja.«

»Euch bekommt man nicht oft zu Gesicht.«

»Es ist besser, wenn ihr nur eure eigenen Abschnitte kennt«, sagte ich.

»So ist es sicherer«, sagte einer.

»Ja«, meinte der andere.

»Macht sofort Meldung, wenn ihr etwas Verdächtiges bemerkt!« rief ich ihnen zu.

»Machen wir.«

»Und sorgt dafür, daß das Gitter hier wieder angebracht wird.«

»Wir sorgen dafür.«

»Warum ist es offen?« fragte einer der Männer.

»Ich habe es überprüft.«

»Oh.«

»Du hast das Heizgerät deines Anzugs nicht abgeschaltet. Da baut sich die Ladung sehr schnell ab.«

Ich drückte auf den weiter hervorstehenden Knopf an dem kleinen Kasten.

»Ich habe das auch einmal vergessen«, sagte einer der Männer. »Man muß da sehr aufpassen, da sich der Anzug den Temperaturen anpaßt.«

»Vielleicht sollte man auf dem Kästchen ein Licht anbringen«, meinte ich.

»Das könnte man aber im Dunkeln sehen«, sagte einer der Männer.

»Da hast du natürlich recht«, sagte ich.

Ich ließ sie stehen. Sie machten sich hinter mir an die Arbeit, das Gitter in den Ventilatorenschacht einzusetzen.

In den Korridoren begegneten mir nur wenige Menschen. Einmal wich ich zwanzig Mann aus, die zu zweit nebeneinander durch einen Gang eilten.

Sie standen unter dem Kommando eines Leutnants und waren ausnahmslos bewaffnet.

Vermutlich waren sie auf dem Weg an die Oberfläche, um bei der Suche und den Ermittlungen zu helfen, die dort oben längst im Gange sein mußten. Es war nur eine Sache der Zeit, bis der aufgesprengte Ventilatorenschacht gefunden wurde.

Das Mädchen, das sich im Korridor näherte, war sehr schön. Sie war natürlich Sklavin, in durchsichtige braune Arbeitssklavenseide gehüllt, die um ihre Hüften verknotet war. Sie hatte langes braunes Haar. Von ihrem Kragen führte eine lockere Kette zur Schiene an der Decke.

Gehorsam kniete sie nieder, als ich sie ansprach.

»Ich bin neu in dieser Station«, sagte ich, »und brauche ein paar Auskünfte.«

»Ja, Herr«, sagte sie.

»An deinem Kragen befinden sich zwei schmale gelbe Streifen«, sagte ich.

»Das ist so, weil ich ein ›gelbes Mädchen‹ bin.«

»Wie heißt du?«

»Belinda«, antwortete sie. »Wenn es dem Herrn gefällt.«

»Ein hübscher Name.«

»Vielen Dank, Herr.«

»Was für Mädchen gibt es hier sonst noch?«

»Es gibt fünf verschiedene Farbkodierungen für die Kragen«, antwortete sie. »Rot, orangerot, gelb, grün und blau. Jede Farbe gewährt dem Mädchen ein unterschiedliches Ausmaß an Freiheit an den Schienen.«

»Trägst du die Kette immer?«

»Nein, Herr«, antwortete sie. »Nur wenn ich einen Auftrag bekommen habe, etwas zu holen oder zu bringen. Sonst lebe ich hinter verschlossenen Türen.«

»Tragen alle Mädchen kodierte Kragen?«

»Nein, Herr. Die wirklichen Schönheiten werden zum Vergnügen der Männer in besonderen Räumen gehalten.«

»Erklär mir das Farbsystem«, forderte ich.

»Blau hat den kleinsten Aktionsradius«, begann sie. »Das Grün kann überall dorthin gehen, wo auch Gelb Zutritt hat, und weiter. Ich bin ein gelbes Mädchen. Ich kann die blauen und gelben Schienen abgehen und gewisse Bereiche darüber hinaus. Ich darf dann wieder nicht so weit gehen wie der orangerote Kragen. Wo ich aufgehalten werde, können die orangeroten Mädchen weitergehen. Die größte Freiheit genießt ein Mädchen mit zwei roten Streifen.«

Sie blickte mich von der Seite an. »Aber der Herr muß diese Dinge doch wissen.«

Ich drängte sie heftig an die Wand.

»Verzeih mir, Herr!« hauchte sie mit einem Blick auf meine Waffe. »Ich werde nichts sagen!«

Ich ließ sie stehen und eilte weiter. Weitere Männer kamen mir entgegen, außerdem zwei Mädchen. Ich sah mir ihre Halskragen an. Die eine war, ein blaues, die andere ein gelbes Mädchen.

Ich schritt energisch aus. Trotzdem bot sich mir der Komplex als Labyrinth dar. Vermutlich kannte keiner der Menschen hier die Position des Geräts, nach dem ich suchte. Und ein Kur würde sie mir nicht verraten.

Ich begann zu laufen.

Plötzlich jaulte eine Sirene los. Der Ton hallte gellend durch die Stahlkorridore.

Beim Anblick eines braunschwarz gekleideten Mannes ging ich langsamer. »Oben gibt es einen Eindringling!« sagte ich laut zu ihm.

»Nein«, gab er zurück. »Es wurde an der Oberfläche ein aufgesprengter Ventilationsschacht gefunden. Man hat Grund zu der Annahme, daß der Mann sich bereits in der Station befindet.«

»Natürlich, die Sirene!« sagte ich. »Ein Alarm.«

»Halt die Augen offen!« sagte der andere.

»Ganz bestimmt«, sagte ich.

Wir eilten weiter und verloren uns aus den Augen. Ich achtete auf das System der Deckenschienen. Ich erreichte eine Korridorgabelung.

Die Schienen, denen ich eigentlich bis zum Ende hatte folgen wollen, teilten sich hier ebenfalls, und in jeder der beiden Korridore waren ein Stück entfernt weitere Weichen auszumachen. Zweifellos führte das Schienennetz bis in die letzten Ecken, zumindest beinahe bis in die letzten Ecken dieser Ebene und über Treppen und Tunnel sicher auch in andere Stockwerke. Die Sirene schrillte unentwegt Ich fluchte leise vor mich hin. In den Korridoren gab es da und dort Überwachungskameras unter der Decke. Ich sah, wie sich ein solches Gerät suchend hin und her bewegte. Anscheinend hatte die Wächteruniform, die ich angelegt hatte, als Verkleidung bisher ausgereicht. Ich begab mich in einen der Flure, in dem Bemühen, nicht unentschlossen oder ziellos zu erscheinen. Es sollte so aussehen, als kenne ich mich hier aus. Als ich zurückschaute, hatte sich die Linse schon wieder in eine andere Richtung gedreht. Sie war mir nicht gefolgt. Wieder kamen mir zwei Männer entgegen; sie trugen die gefährliche Röhrenwaffe.

Es mußte sehr lange dauern, die riesige Station bis in die letzten Ecken zu durchkämmen. Ich wußte nicht, wo sich die entlegensten Zonen befanden, die mit den Schienen noch erreicht werden konnten, oder wo die Lücken in der Kameraüberwachung lagen. Der Sprengsatz, davon war ich überzeugt, befand sich in einem Bereich, der mit den Schienen nicht zu erreichen war und der sicher auch nicht mit Kameras eingesehen werden konnte. Ich machte mir klar, daß keiner der Überwachungsbildschirme in Zarendargars Unterkunft einen solchen Sprengkörper gezeigt hatte.

Das Mädchen, das mir vorhin Auskunft gegeben hatte, war eine »Gelbe« gewesen. Ich brauchte eine »Rote«.

Ärgerlich blickte ich zu den Schienen empor. An einem der Endpunkte, vermutlich dem entlegensten, begann die Zone, in der das Gesuchte lag.

Die Sirene stellte das Lärmen ein, und aus Lautsprechern tönte eine Stimme. »Bindet alle Sklaven fest«, befahl sie auf Goreanisch. »Alle Mann begeben sich auf ihre Posten.« Diese Anordnung wurde fünfmal wiederholt. Männer rannten an mir vorbei. Dann herrschte Stille in den Korridoren.

Eine vernünftige Maßnahme.

Ich stieß eine Tür auf. Dahinter war ein Mann damit beschäftigt, Sklavinnen festzubinden. Zehn Mädchen knieten in einer Reihe vor einer Stahlwand. »Ich beeile mich ja schon!« sagte er bei meinem Anblick. Ich sagte nichts. Er legte dem letzten Mädchen Handschellen an, die an der Wand befestigt waren, steckte den Schlüssel ein und eilte weiter.

Auf einer Seite hingen mehrere unbenutzte Schienenketten mit Kragenschlössern. Ich suchte mir eine heraus, die zwei rote Streifen aufwies. Die Kugel an dieser Kette hatte in der Station die größte Reichweite.

Dann ging ich an der Kette der Mädchen entlang und sah mir die schmalen Kragen an, die sie trugen. Nur zwei waren mit den schmalen roten Streifen ausgezeichnet.

»Wo ist der Schlüssel zu euren Ketten?« fragte ich.

»Der Aufseher hat sie, Herr«, antwortete die eine.

Das hatte ich schon befürchtet. Ich hatte nicht den Versuch gemacht, den Sklavenwärter zu töten, Wenn er nicht an seinem Posten auftauchte, war das ein sicherer Hinweis auf meinen Aufenthaltsort in der weitläufigen Anlage.

Zornig blickte ich mich um.

Die roten Mädchen bekam ich nicht frei; sie waren zu gut festgemacht. Ich hatte keine Zeit, mich für die Schlösser zu interessieren.

Ich packte eine der roten Ketten und zog sie an der Schiene entlang. So verließ ich den Raum, in dem die Mädchen festgemacht waren. Wenn ich die Sprengung in Gang bringen konnte, wurden hoffentlich nur jene Teile der Station vernichtet, in denen Munition und anderes Kriegsmaterial lagerten. Vielleicht gelang es Imnak ja auch, die Mädchen zu finden und zu befreien. Ich hatte ihm aufgetragen, möglichst viele Mädchen aus dem Komplex zu führen. Doch welche Überlebenschancen hatten sie in ihrer Sklavenaufmachung draußen in der Polarnacht? Ich verdrängte den Gedanken. Ich war Goreaner; ich hatte eine Aufgabe. Sie waren nur Sklavinnen.

Die Kette mitziehend, marschierte ich durch den Korridor. Sicher war mein Verhalten auffällig: eine Kette ohne Mädchen mußte Neugier erwecken.

Ich kam an etlichen Türen vorbei. Dahinter lagen Trainingsräume, Wohnungen, Ausbildungszimmer. Wenn ich mir lediglich ein Versteck suchte, würden die Helfershelfer der Kur nur viel Zeit brauchen, mich zu finden. Doch ansonsten wäre nichts erreicht. Ich folgte einer Treppe in eine untere Ebene. Mühelos ließ sich die Kette mit in die Tiefe ziehen.

Hinter einer Ecke klang Getrappel auf; eine große Gruppe Männer näherte sich. Ich ließ die Kette baumeln und suchte hastig Zuflucht in einem Nebenraum, einer Küche. Aus einem Korb nahm ich mir ein Brötchen und begann zu essen. Die Männer eilten vorbei, ohne die Kette zu beachten. Als ich schon wieder in den Korridor treten wollte, fuhr ich hastig zurück. Ein Wächter begleitete eine freie Frau, die eine Verhüllungsrobe trug. Erst jetzt ging mir auf, daß womöglich auch freie Frauen in der Station waren. Es gab einen Eindringling im Komplex, also wurde sie an einen sicheren Ort gebracht. Vielleicht war auch zu erwarten, daß diese Ebene durchsucht wurde. Ich schluckte den letzten Bissen hinunter und verließ die Küche.

Draußen kamen mir zwei weitere Wächter mit zwei freien Frauen entgegen.

»Hier ist er nicht«, sagte ich und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Küche, die ich eben verlassen hatte. »Los! Beeilung!« spornte ich sie an.

Sie beschleunigten ihre Schritte.

Im Vorbeigehen erhaschte ich einen Blick auf einen aufreizend schlanken Fuß unter einer der Verhüllungsroben. Ich lächelte. Vermutlich wußten die freien Frauen nicht, daß sie zu Sklavinnen gemacht werden würden, sobald ihre politische und militärische Arbeit für ihre Gruppen beendet war.

Von hinten näherte sich ein Mann. Mit gehobener Waffe fuhr ich herum.

»Nicht schießen«, sagte er. »Ich bin Gron aus der Al-Ka-Sektion.«

»Was suchst du hier?«

»Ich muß Lady Rosa holen.«

»In welcher Wohnung befindet sie sich?«

»Zweiundvierzig«, antwortete er. »Mittelebene Minus Eins, MU-Korridor.«

»In Ordnung«, sagte ich und senkte die Waffe. Er atmete sichtlich auf.

»Ich hole sie für dich.« Ja, ich brauchte eine Frau. »Du kehrst sofort in den Al-Ka-Sektion zurück.«

Er zögerte.

»Los! Beeilung!« sagte ich zornig. »Die ganze Station befindet sich möglicherweise in Gefahr.«

Er hob bestätigend die Hand und machte kehrt. Dann entfernte er sich durch den Korridor.

Goreanische Schriftzeichen, die hoch oben an einer Wand nahe einer Gangkreuzung angebracht waren, verrieten mir, daß ich mich im MU-Korridor befand. Vermutlich war ich auch in der richtigen Ebene, da mein Gespräch mit dem Mann in ziemlich großer Entfernung von der nächsten Treppe stattgefunden hatte.

Ich hatte schon eine Zeitlang keine anderen Leute mehr gesehen.

Nach kurzer Zeit erreichte ich die Stahltür mit dem Zeichen für zweiundvierzig. Eine Abzweigung der Deckenschiene führte durch die Tür, damit Lady Rosa von angemessen angeketteten Sklavinnen bedient werden konnte. Ich öffnete die Tür und zog die Kette mit mir über die Schwelte. Die Wohnung, die sich vor mir auftat, war luxuriös eingerichtet. Das einzige Licht kam von fünf Kerzen auf einem mannshohen Ständer. Überall bemerkte ich reich verzierte Schnitzereien. Zusammenfahrend erhob sich eine Frau von einem großen runden Bett, auf dem sie gesessen hatte. Sie trug eine Verhüllungsrobe.

»Du mußt anklopfen, du Dummkopf!« sagte sie. »Ich hatte kaum Zeit, mein Gesicht zu verbergen.«

Mit blitzenden Augen sah sie mich an. Trotz des Schleiers waren ihre Züge zu erkennen. Sie hatte ein schmales, sehr schön geformtes Gesicht mit großen dunklen Augen und schwarzblaues Haar, das unter der Kapuze der Robe an den Seiten des Kopfes straff anlag. Ihre Wangenknochen waren hoch. Ihr Gesicht wirkte aristokratisch und abweisend.

»Du bist die Lady Rosa?« fragte ich.

Sie musterte mich herablassend. »Ich bin Lady Graziela Consuelo Rosa Rivera-Sanchez«, sagte sie. »Was ist überhaupt los?«

»Es gibt einen Eindringling in der Station«, antwortete ich.

»Hat man ihn schon aufgespürt?«

»Nein. Wie lange lebst du schon in der Station?«

»Vier Monate«, antwortete sie.

»Ist dir das System von Schiene und Kette bekannt?«

»Natürlich.«

»Und die entferntesten Endpunkte des Systems?«

»Ja«, sagte sie. »Wo die Schienen enden, müssen auch die Menschen halt machen.«

Ich lächelte.

»Wie konnte ein Eindringling in die Station gelangen?«

»Durch einen Entlüftungsschacht«, sagte ich. »Du sprichst das Goreanische ziemlich gut«, fuhr ich fort.

»Man hat mich gut ausgebildet. Außerdem habe ich ein Sprachtalent.«

Das war sicher von Vorteil für sie.

»Was will denn der Eindringling?«

»Im Augenblick braucht er eine Frau«, sagte ich.

»Ich verstehe das nicht.«

»Zieh dich aus!« forderte ich.

Sie blickte mich erstaunt an.

»Oder ich übernehme das für dich!« sagte ich. »Ich bin nämlich der Eindringling«, setzte sie hinzu.

»Niemals!« sagte sie und trat einen Schritt zurück.

»Na schön«, sagte ich. »Leg dich auf das Bett, auf den Bauch, Hände und Beine auseinander!« Ich zog das Messer, das ich im Gürtel stecken hatte. Es ist nicht ratsam, einer freien Frau mit bloßen Händen die Kleidung wegzunehmen. Sie mag sich mit vergifteten Nadeln zu schützen versuchen.

»Du machst Witze!« sagte sie. »Du wagst es nicht!«

»Auf das Bett!« forderte ich.

»Ich bin Lady Graciela Consuelo Rosa Rivera-Sanchez!« fauchte sie,

»Das sagtest du schon. Wenn du hübsch genug bist, nenne ich dich vielleicht Pepita.«

»Du nimmst mir die Kleider weg, nicht wahr?« fragte sie.

»Ich bin Goreaner«, sagte ich und machte einen Schritt auf sie zu.

»Faß mich nicht an!« sagte sie hastig. »Ich mache es selbst.«

Widerstrebend näherten sich die kleinen Hände den Haken am Hals.

»Du würdest einen hohen Preis bringen«, sagte ich.

Zornig blickte sie mich an und warf den Schleier zur Seite.

»Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!«

Nach kurzer Zeit trug sie nur noch ein seidenes Unterkleid. Ihre Haut war sehr hell, das lange dunkle Haar reichte ihr bis auf die Hüften. Mit dem Messer zerschnitt ich die Schulterbänder des dünnen Seidengewandes. Mit dem Messerrücken fuhr ich ihr dabei an der Haut entlang, bis sie erschauderte. »Was willst du von mir?« fragte sie. »Willst du mich vergewaltigen?«

Dabei blickte sie auf das große runde Bett hinter sich.

»Das Recht, mir auf einem solchen Bett zu dienen, mußt du dir erst verdienen«, sagte ich.

Ich griff ihr ins Haar und zerrte sie zur Seite des Raums. Einen Sandalenschnürsenkel band ich ihr um die Hüfte und hüllte sie in einen Streifen roter Seide, der mehr erkennen ließ, als er verdeckte.

Entsetzt starrte sie mich an.

»Als Sklavenseide genügt das vollkommen«, sagte ich.

Ich zerrte sie vor einen Spiegel, und sie betrachtete sich jammernd. »Ich habe dich in rote Seide gesteckt«, sagte ich.

»Das gehört sich nicht!« sagte sie mit zusammengepreßten Zähnen.

»Vielleicht paßt es bald doch«, sagte ich.

Sie wehrte sich heftig, doch vergeblich. Dann beruhigte sie sich. »Ich gebe dir Gold, viel Gold, wenn du mich in Ruhe läßt«, sagte sie.

»Ich will dein Gold nicht.«

Erschrocken sah sie mich an.

Ich zerrte sie zum Eingang der Wohnung, wo die Kette an der Schiene baumelte.

»Was willst du von mir?« rief sie. »Die Kacheln fühlen sich kalt an! Binde mich los. Nein!«

Ich hatte die Kette gehoben und wickelte sie ihr um den Hals. Sie sollte das Gewicht spüren. Die Schlingen würden auf den ersten Blick nicht erkennen lassen, daß sie keinen Sklavenkragen umhatte. Die Kette war mit zwei roten Streifen versehen. Ich drückte den Haken des Schlosses durch zwei Kettenglieder und ließ es zuschnappen. Ich sah das Mädchen an. Sie war nur ein Teil des Ketten-Schienen-Systems der Station.

»Ich bin Lady Graciela Consuelo Rosa Rivera-Sanchez!« sagte sie.

»Halt den Mund, Pepita!« fuhr ich sie an.

Ihr stockte hörbar der Atem. Dann sagte sie: »Nein! Zwing mich nicht, so außerhalb der Wohnung herumzulaufen!«

Ich stieß sie durch die Tür in den Korridor hinaus. Bedrückt sah sie mich an. Sie erkannte, daß ich überall mit ihr hingehen konnte.

So hatte ich nun eine Führerin, die sich in der Station auskannte. Außerdem mußte die rote Seide jeden Verdacht zerstreuen. Eine Sklavin in roter Seide ist in einer goreanischen Festung kein ungewöhnlicher Anblick. Probleme mochte es lediglich durch die Tatsache geben, daß sie trotz des Alarms nicht an einem sicheren Ort verwahrt war. Wenn die Korridore elektronisch überwacht wurden, ließ sich auf den Bildschirmen sicher nicht erkennen, daß mein Mädchen keinen Sklavenkragen und auch am Schenkel kein Brandzeichen trug.

»Gibt es im roten Schienensystem einen Endpunkt, der weiter abgelegen ist als andere?« fragte ich.

»Ja.«

Ihre Antwort überraschte mich.

»Bring mich dorthin!«

Sie richtete sich auf. »Nein!« sagte sie. Doch im nächsten Augenblick bohrte ich ihr den Lauf meines Pfeilgewehrs in den Leib. »Du wagst es nicht zu schießen!« flüsterte sie.

»Du bist nur eine Frau«, sagte ich.

»Ich bringe dich hin!« sagte sie hastig. »Aber es nützt dir nichts, denn außerhalb des Schienenbereichs ist der Zutritt für Menschen verboten.«

»Welche Richtung?« fragte ich.

Ihre Augen gaben mir die Antwort.

Mit heftiger Bewegung stieß ich sie in diese Richtung.

»Schneller!« sagte ich. Mit hastigen Schritten gingen wir durch den Korridor.

»Wenn wir an Männern vorbeikommen, brauche ich nur ein Wort zu rufen«, sagte sie.

»Tu das«, sagte ich, »dann hängst du nur noch mit der Hälfte deines Körpers an der Kette.«

Eine der Deckenkameras drehte sich in unsere Richtung.

»Beeil dich, Kajira!« sagte ich. »Du hättest längst angebunden sein müssen.«

Die Kamera drehte sich weg.

Mehrere Ehn lang hasteten wir durch die Korridore. Manchmal stiegen wir Treppen hinab. Sie schwitzte und keuchte vor Anstrengung. Die Kette wog schwer auf den Schultern. »Schneller, Pepita!« sagte ich.

In einer Ebene vier Stockwerke unter der Mitteletage sahen wir vier Männer näherkommen.

»Geh zu!« sagte ich zu ihr.

Ich ging neben ihr und versuchte den Blick auf ihren linken Oberschenkel zu verstellen.

Sie erschauderte, als sie die Blicke der Männer bemerkte. Einer lachte. »Ein neues Mädchen«, sagte er.

Von diesem Punkt dauerte es nur noch vier Ehn bis zum Ende des Schienen Systems.

»Dies ist der am weitesten außen liegende Punkt im System«, sagte sie. Ihre Kette hing herab. »Ab hier ist Sperrgebiet.«

»Hast du die anderen Wesen gesehen, die keine Menschen sind?« fragte ich.

Ich wußte, es gab nur wenige Kurii in der Station.

»Nein«, antwortete sie. »Aber ich weiß, daß es sich um Außenweltler handelt. Zweifellos ähneln sie dem Menschen, vielleicht sind sie von uns gar nicht zu unterscheiden.«

Ich lächelte. Sie hatte die Ungeheuer, denen sie diente, noch nicht einmal zu Gesicht bekommen.

»Ich habe dich hergeführt«, sagte sie. »Jetzt gib mich frei!«

Ich öffnete das Schloß und wickelte ihr die Kette vom Hals. Aber sofort vergrub ich meine Finger in ihrem Hals. »Zum Freilassen bist du viel zu hübsch!« sagte ich.

Dann schob ich sie vor mir her den Korridor entlang, über den Schlußpunkt des Schienensystems hinaus.

Entsetzt drehte sie sich unter meinem Griff. »Menschen dürfen diese Zone nicht betreten!« sagte sie.

»Geh voraus!« befahl ich.

Ächzend kam das Mädchen meinem Befehl nach.

Mir fiel auf, daß dieser Teil des Korridors nicht mehr von Kameras überwacht wurde. Das stimmte mich unbehaglich. Die Dinge entwickelten sich zu glatt. Eine Stahltür bildete das Ende des Gangs. Ich hatte vermutet, daß der Vernichtungsapparat außerhalb der Reichweite von Sklaven lagern mußte, und in einer Zone, die dem Überwachungssystem verschlossen war, wenn auch zuweilen für Menschen zugänglich. Doch jetzt war ich besorgt.

Ich versuchte die Tür am Ende des Korridors zu öffnen. Sie war nicht verschlossen. Ich schob sie mit dem Kolben der gewehrartigen Waffe auf.

Ich blickte das Mädchen an, dann schob ich sie neben mir durch die Öffnung.

Vor uns lag ein ganz normal aussehender Lagerraum von beträchtlicher Größe. Er war angefüllt mit Kisten, deren Beschriftungen ich nicht lesen konnte. Einige Kisten waren offen, andere noch vernagelt. Sie schienen Maschinen und Ersatzteile zu enthalten. Zwischen den Kisten waren schmale Korridore.

Als ich ein Geräusch vernahm, ließ ich das Mädchen los und hob mit beiden Händen die Waffe.

Eine schwarzgekleidete Gestalt stand auf mehreren Kisten, hoch über uns. »Er ist nicht hier«, sagte er.

»Drusus!« rief ich. Ich erinnerte mich deutlich an den Attentäter, den ich im Sand der kleinen Arena besiegt hatte.

Er trug ein Pfeilgewehr.

»Leg die Waffe fort, aber langsam!« befahl ich.

»Er ist nicht hier«, sagte der Mann. »Ich habe danach gesucht.«

»Leg die Waffe fort!« befahl ich.

Er legte sie vor sich auf die Kiste.

»Was tust du hier?« fragte ich.

»Vermutlich dasselbe wie du«, antwortete er. »Ich habe nach dem Hebel oder Schlüssel oder Rad gesucht, nach dem Instrument, mit dem man diesen Ort vernichten kann.«

»Du dienst den Kurii«, stellte ich fest.

»Nicht mehr«, sagte er. »Ich habe gekämpft und wurde von einem Gegner geschont, der ein Mann ist. Ich habe lange darüber nachgedacht. Vielleicht bin ich zu schwach, ein Attentäter zu sein, doch vielleicht habe ich die Kraft, als Mann durchs Leben zu gehen.«

»Woher soll ich wissen, daß du die Wahrheit sagst?«

»Vier Kurii waren hier«, sagte er, »um diesen Ort zu bewachen, um jeden aufzuhalten, der hierher wollte. Ich brachte sie um.«

Er deutete auf einen Gang zwischen den Kisten. Ich roch Kur-Blut. Ich ließ ihn nicht aus den Augen. Das Mädchen neben mir machte kehrt und drückte sich plötzlich erschaudernd an mich.

»Viermal habe ich geschossen, vier Kurii habe ich getötet«, sagte der Attentäter.

»Schildere mir, was du siehst«, forderte ich das Mädchen auf.

»Dort liegen vier Ungeheuer, oder Teile von Ungeheuern«, sagte sie. »Drei hier, und eines dahinter.«

»Nimm deine Waffe!« sagte ich zu Drusus.

Er nahm sie an sich. Dann sah er die Frau an. »Eine hübsche Sklavin«, sagte er.

»Ich bin keine Sklavin«, gab sie scharf zurück, »sondern eine freie Frau! Ich bin Lady Graciela Consuelo Rosa Rivera-Sanchez!«

»Amüsant«, sagte er und stieg von den Kisten.

»Ich hatte angenommen, daß sich der Sprengsatz, wenn es ihn gibt, hier befinden würde.«

»Ich auch.«

»Wenn ihr das Gerät auslöst, sterben wir alle!« sagte das Mädchen.

»Die Invasion muß verhindert werden«, sagte ich.

»Die Bombe darf nicht explodieren!« rief sie. »Wir würden alle ums Leben kommen, ihr Dummköpfe!«

Ich gab ihr einen Schlag ins Gesicht. Erschrocken sah sie mich an. »Es wäre wohl ratsam, wenn du künftig um Erlaubnis fragst, ehe du etwas sagst.«

Sie senkte den Kopf.

»Auf einem Auktionsblock würde sie sich gut machen«, stellte Drusus fest.

»Ja.«

»Was machen wir jetzt?«

In diesem Augenblick schloß sich die große Stahltür, durch die wir eingetreten waren. Es mußte sich um einen automatischen Vorgang handeln, denn es war niemand zu sehen. Das Rad auf unserer Seite der Tür drehte sich summend und verriegelte den Durchgang. Gleichzeitig senkte sich von der Decke ein milchig-weißes Gas herab.

»Atem anhalten!« rief ich. Dann hob ich mein Pfeilgewehr, zielte auf die Tür und drückte den Knopf. Rauchend raste der gefährliche Pfeil auf die Stahltür zu und durchstieß die Außenschicht. Ich warf mich nahe dem Mädchen und Drusus zu Boden, und schon ertönte ein ohrenbetäubendes Dröhnen. Ich winkte die anderen hoch, und schon liefen wir durch Qualm und Gas auf den Ausgang zu. Die Tür lag verdreht vor uns. halb aus den Angeln gerissen, halb zerschmolzen. Wir sprangen geduckt durch die Öffnung. Das Mädchen schrie auf, als heißes Metall ihre Wade streifte. Schon waren wir im Korridor. Etwa acht Kurii verstellten uns den Weg.

Gelassen nahm Drusus die Waffe. Ein Bolzen machte sich zischend auf den Weg. Der erste Kurii erstarrte und platzte auseinander. Ein zweiter wurde zur Seite geschleudert. Ein weiterer wischte sich zornbrüllend Blut und verbranntes Fleisch aus dem Gesicht; er konnte nichts mehr sehen. Über unseren Köpfen fauchte ein Pfeil und explodierte im Metall hinter uns. Ich schoß und erledigte einen weiteren Kur. Die sechs verbleibenden Kurii, von denen einer einen Arm halb abgerissen nachschleppte, verschwanden um eine Ecke.

»Schnell!« rief ich.

Wir liefen los und wandten uns an der nächsten Biegung nach links. Wir wollten den Kurii nicht noch einmal begegnen.

Kaum hatten wir den ursprünglichen Korridor verlassen, als wir metallisches Dröhnen vernahmen. Zurückblickend sahen wir, daß man den Gang versperrt hatte.

»Wir müssen laufen!« sagte ich.

Niemand begegnete uns, als wir eine Treppe in Angriff nahmen. Am oberen Ende stolperte das Mädchen und rollte einige Stufen hinab. Sie schluchzte. Ich nahm sie in die Arme.

»Hast du die Ungeheuer gesehen?« fragte sie.

»Das waren die Wesen, denen du gedient hast.«

»Nein!« rief sie.

»Aber jetzt dienst du anderen Herren, hübsche Sklavin«, fügte ich hinzu.

Sie sah mich entsetzt an.

Ich warf sie mir über die Schulter und stieg die Treppe vollends hinauf.

»Wer da!« rief ein Mann. Doch schon wirbelte er getroffen zur Seite, und wir rannten weiter.

Hinter uns schloß sich dröhnend eine weitere Stahltür. Die Sirene begann wieder durch die metallenen Gänge zu gellen.

»Vielleicht gibt es die Sprengeinrichtung gar nicht«, sagte Drusus.

»Ich weiß inzwischen, wo sie sich befindet«, sagte ich. »Man hat uns genarrt!«

»Wo denn?«

»Außerhalb der Reichweite der Sklaven, außerhalb des Bereichs der Überwachungsanlage!« rief ich. »An einem Ort, den niemand betritt, den niemand sieht!«

»Wir waren aber bereits am Ende der Sklavenschienen.«

»Wo enden alle Sklaven schienen?« fragte ich.

»Alle?« fragte er.

»Ja.«

»In der Mitte der Anlage«, sagte er.

»An Zarendargars Raum«, sagte ich.

»Ja«, sagte er.

»Ich habe diesen Raum gesehen«, fuhr ich fort. »Er enthält Bildschirme, wird aber selbst nicht überwacht.«

»Ja«, sagte er. »Ja!«

»Wo könnte der schreckliche Mechanismus wohl liegen – natürlich im Gemach des hoben Kur selbst!«

»Wir haben unser Ziel verfehlt«, sagte Drusus.

Ich nickte.

Das gemeinsame Projekt zweier Männer, die aus verschiedenen und gegeneinander gerichteten, doch seltsam ähnlichen Kasten stammten, war fehlgeschlagen.

»Was tun wir jetzt?« fragte er.

»Wir müssen versuchen, an Zarendargar heranzukommen«, sagte ich achselzuckend.

»Hoffnungslos«, meinte er.

»Natürlich. Aber wir müssen versuchen, seinen Raum zu stürmen. Machst du mit?«

»Natürlich!«

»Aber du gehörst zur Kaste der Attentäter.«

»Wir sind eben sehr vielseitig.«

»Davon habe ich gehört.«

»Glaubst du, nur Krieger sind Männer?«

»Nein.«

»Dann wollen wir weiter!«

»Ich dachte, du wärst zu schwach, um Attentäter zu sein.«

»Ich war einmal stark genug, mich gegen die Vorschriften meiner Kaste aufzulehnen und meinen Freund zu verschonen, obwohl ich befürchten mußte, deswegen das Leben zu verlieren.«

»Vielleicht bist du in der schwarzen Kaste deshalb der Stärkste«, sagte ich.

Er zuckte die Achseln.

»Wir müssen uns gut überlegen, was wir jetzt tun«, fuhr ich fort. »Der direkte Zugang zum Kommandoraum Zarendargars ist sicher schwer bewacht. Deshalb wollen wir uns im Bogen anschleichen und noch mehrere Etagen hinaufsteigen. Vielleicht können wir aus der darüberliegenden Ebene unser Ziel erreichen.«

»Für einen Krieger bist du nicht ganz ohne Grips«, sagte er.

»Auch wir haben unsere Inspirationen«, gab ich zurück.

Wir erstiegen noch zwei Treppen. Dann setzten wir zu einem weit ausholenden Bogen nach rechts an. Wir suchten eine weitere Treppe, die noch entlegener war und die uns noch höher bringen würde.

Kaum hatten wir die zweite Ebene erreicht, als wir einen lauten Ruf vernahmen: »Halt!«

Drusus wirbelte herum und verschoß aus der Hüfte einen Bolzen. Männer liefen auseinander. Das Geschoß prallte von einer Wand ab und explodierte in ihrer Nähe. Wir huschten um eine Ecke. Vier Pfeile fauchten vorbei und explodierten fünfzig Meter entfernt in Serie. Schritte näherten sich aus einer anderen Richtung. Verzweifelt sahen wir uns um. Ich griff dem Mädchen ins Haar und zerrte sie mit. So liefen wir auf den nächsten Gang zu.

»Dies ist ein Außenkorridor«, sagte Drusus, »mit Türen, die ins Freie führen.«

Wir hasteten los. Schritte tönten durch den Gang, den wir eben verlassen hatten. Plötzlich tauchten etwa zweihundert Meter vor uns weitere Männer auf.

Wir blieben nicht stehen.

Ich schaute zurück. Die Verfolger schienen vorsichtig geworden zu sein. Anscheinend waren sie nicht bereit, uns in diesen Tunnel zu folgen. Auf ähnliche Weise wagten sich die Männer vor uns nicht näher heran. Gleichwohl schienen wir in der Falle zu sitzen.

Ratlos verhielten wir den Schritt.

»Hierher, Tarl, der mit mir jagt’« tönte eine vertraute Stimme.

»Imnak!« rief ich.

Wir betraten einen breiten Raum mit einer der kompakten Türen, die ins Freie führten. Ein großes Rad befand sich in der Türöffnung. Es war sehr kalt, denn draußen herrschten arktische Temperaturen. Ein Mann drehte sich um.

»Ram!« rief ich.

»Imnak hat mich befreit«, sagte er.

Mein Blick fiel auf mehrere Pfeilgewehre, ja, eine ganze Kiste gefüllt mit diesen Waffen, daneben mehrere Fässer Munition.

»Oh, Herr!« rief Arlene und klammerte sich an mich. »Ich hatte ja solche Angst um dich!« Ich drückte sie an mich, doch schon stürmte Constance herbei, die einmal Dame Constance von Lydius gewesen war. Audrey und Barbara knieten zu meinen Füßen. Tina stand bei Ram, und Poalu wich nicht von Imnaks Seite. Außer diesen Mädchen befanden sich fünfzehn weitere Sklavinnen im Raum. Die einzigen Männer waren Imnak, Drusus, Ram und ich. Außer den Waffen waren noch etliche Pelze und Vorräte aufgestapelt. »Ich habe alles genommen, was ich kriegen konnte«, sagte Imnak. »Frauen, Waffen und Vorräte.«

»Aber du hast die Anlage nicht verlassen«, sagte ich.

»Ich habe auf dich gewartet. Und auf Karjuk.«

»Karjuk? Der ist doch ein Verbündeter der Kurii«, sagte ich.

»Wie könnte das sein?« fragte Imnak. »Er gehört zum Volk.«

»Wir haben den Sprengsatz nicht gefunden«, sagte ich zu Imnak. »Ich glaube, er befindet sich im Gemach Zarendargars, des hohen Kur hier in der Station, aber darauf kommt es nicht mehr an. Es ist sowieso alles verloren.«

»Du darfst Karjuk nicht vergessen.«

Ich blickte Imnak an.

»Er gehört zum Volk«, erinnerte er mich.

»Wo hast du die neue Sklavin gefunden?« wollte Arlene wissen und musterte mißtrauisch das schlanke Mädchen, das ich mitgebracht hatte.

»Ich bin keine Sklavin«, sagte das bleiche, aristokratische schwarzhaarige Mädchen schroff,

Arlene blickte mich erschrocken an.

»Technisch gesehen ist sie noch keine Sklavin«, sagte ich zu Arlene. »Aber im Grunde ihres Herzens ist sie bereits eine echte Sklavin.« Das Mädchen wich einen Schritt zurück. »Man darf sie also schon entsprechend behandeln.«

»Ich verstehe, Herr«, sagte Arlene, und Lady Rosa senkte erschaudernd den Blick.

»Wir haben genug Felle«, sagte ich zu Imnak. »Am besten führst du mit Ram die Frauen aus der Station auf das Eis. Dort seid ihr auf jeden Fall sicherer.«

»Und was ist mit dir?« fragte Imnak.

»Ich bleibe hier.«

»Ich auch«, sagte Drusus.

»Ich ebenfalls!« rief Arlene.

»Du tust, was man dir sagt, Sklavin!« herrschte ich sie an.

»Ja, Herr«, antwortete sie mit Tränen in den Augen.

Im gleichen Augenblick wurde energisch gegen das breite Außenluk geklopft. »Ergebt euch! Macht auf!« rief eine Stimme.

»Wir stecken in der Klemme«, sagte ich.

»Fliehen können wir nicht mehr«, stellte Drusus fest.

»Weg von der breiten Tür!« sagte ich. »Vielleicht will man sie aufsprengen.«

Mit gezückten Pfeilgewehren traten wir zurück.

Plötzlich tönte ein lauter Schrei von draußen. Dann verstärkte sich das Klopfen, das plötzlich etwas Angstvolles hatte, »Hilfe! Hilfe!« riefen Stimmen. »Laßt uns herein! Laßt uns herein!« Verzweifelt wurde gegen das Luk gehämmert. »Wir ergeben uns! Bitte! Bitte!« Geschrei ertönte. Etwas Hartes prallte gegen den Stahl. Die Ladung eines Pfeilgewehrs explodierte irgendwo. »Wir ergeben uns! Wir ergeben uns!« gellten Stimmen. »Laßt uns hinein!«

»Ein Trick«, sagte Drusus.

»Auf jeden Fall klingt es sehr überzeugend«, meinte ich achselzuckend.

Ein Mann schrie vor Schmerzen auf.

Als nächstes tönte die Stimme eines Mannes von draußen herein. Er äußerte sich in der Sprache des Volkes, von der ich nur wenig verstand.

Imnak begann zu lachen und lief an das Rad. Ich hielt ihn nicht auf. Er betätigte den Öffnungsmechanismus. Das große, eckige Luk, etwa zehn Fuß im Quadrat messend, mit zahlreichen Nieten besetzt, öffnete sich langsam.

Ram stieß einen Jubelschrei aus.

Auf dem schwach erleuchteten endlosen Polareis entdeckten wir Hunderte von Gestalten, Angehörige des Volkes, Männer, Frauen und Kinder, viele auf sleengezogenen Schlitten. Und noch immer kamen neue hinzu. Karjuk stand dicht am Eingang, den gespannten Tabukhornbogen in der Hand, einen Pfeil auf der Sehne. Andere Jäger bildeten einen Halbkreis. Überall auf dem Eis lagen Männer aus der Station; etliche hatten lange Pfeile im Körper, während andere mit Speeren niedergemacht worden waren. Mehrere Gefangene duckten sich zusammen, furchtsam einigen Sleen ausweichend, die von rothäutigen Jägern an der Leine gehalten wurden. Andere lagen mit dem Bauch nach unten auf dem Eis und wurden gefesselt.

Karjuk gab Befehle. Rothäutige Jäger strömten an mir vorbei in die Station. Imnak reichte einigen Pfeilgewehre aus unserem Vorrat und erklärte eilig, wie man damit umgehen mußte. Die meisten aber kümmerten sich gar nicht um ihn; sie waren es zufrieden, sich auf ihre Holz- und Knochenwaffen zu verlassen. Die Männer mit den gezähmten Sleen marschierten an mir vorbei; zu bedauern waren die Gegner, auf die diese Tiere gehetzt wurden. Drusus nahm ein Pfeilgewehr an sich und schloß sich einer Gruppe Jäger an. Ram gesellte sich zu einem der nächsten Kommandos. Ich blickte aus dem Luk. Noch immer näherten sich weitere Angehörige des Volkes, nicht nur Jäger, sondern auch Frauen und Kinder, über das Eis. Viele lösten Schnee-Sleen von den Schlitten, um sie als Angriffstiere einzusetzen.

Karjuk stand neben der Öffnung und gab seine Befehle in der Sprache der rothäutigen Jäger.

»Das müssen ja mehr als fünfzehnhundert Leute sein«, sagte ich.

»Sie kommen aus allen Lagern«, sagte Imnak. »Es werden insgesamt mehr als zweitausendfünfhundert sein.«

»Dann ist ja das gesamte Volk hier versammelt«, sagte ich.

»Ja«, antwortete Imnak, »das ganze Volk.« Er grinste mich an. »Manchmal kann der Wächter nicht alles allein machen.«

Ich wandte mich an Karjuk. »Ich habe dich für einen Verbündeten der Ungeheuer gehalten«, sagte ich.

»Ich bin der Wächter«, sagte er. »Ich gehöre zum Volk.«

»Verzeih mir«, sagte ich, »daß ich an dir gezweifelt habe!«

»Schon geschehen«, sagte er.

Immer mehr rothäutige Jäger strömten an uns vorbei.

Ich sah, daß zwei Männer der Station durch den Korridor gestoßen wurden. Man hatte ihnen die Handgelenke mit Lederschnüren gefesselt. Eine Frau wurde am Haar mitgezerrt. Sie trug keine Kleidung.

»An deiner Stelle würde ich mich umziehen«, sagte Imnak zu mir. »Man könnte dich sonst für einen Mann aus der Station halten.«

Ich legte den Anzug ab, und zog Stiefel und eine Fellhose über. Wegen der Hitze, die in der Station herrschte, wollte ich kein Hemd und keine Parka tragen.

Immer mehr Jäger eilten an uns vorbei in die getarnte Basis der Kurii. Imnak erklärte immer wieder, wie die Pfeilgewehre funktionierten.

Die draußen gemachten Gefangenen wurden in die Station geholt und dort sicher untergebracht.

»Sucht euch einen wärmeren Ort«, sagte ich zu den Mädchen, die in dem zugigen Außenraum erbärmlich froren. Arlene, Audrey, Barbara, Constance und die anderen Mädchen kamen dieser Aufforderung gern nach.

Karjuk verließ seinen Posten, um den Einsatz innerhalb der Station zu leiten. Imnak begleitete ihn.

Ich trat in die arktische Nacht hinaus, um unsere Nachhut zu begutachten. Meine Blicke tasteten die Klippen wie auch das umliegende Eis ab und suchten nach Hinweisen für einen gezielten Ausfall oder einen Fluchtversuch. Aber es zeigte sich nichts. Wenn es überhaupt Flüchtlinge gab, so würden sie wohl in der arktischen Nacht nicht lange überleben. Irgendwann einmal erschöpften sich die Heizgeräte der Anzüge, dann waren die Männer Schnee und Eis gnadenlos ausgeliefert.

Ich blickte mich um und merkte plötzlich, daß sich das Luk zur Station langsam schloß. Hastig kehrte ich in die Anlage zurück und überraschte Lady Rosa, die damit beschäftigt war, das Kontrollrad zu drehen. Erschrocken drehte sie sich um und wich kopfschüttelnd vor mir zurück.

Wortlos zerrte ich sie hoch, stieß sie über die Schwelle und schloß nun meinerseits die Tür von innen. »Nein!« gellte ihr Schrei von draußen herein. »Nein!«

Ich hörte sie auf der anderen Seite des Metalls kreischen. »Laß mich hinein!« rief sie. »Ich verlange es! Ich bin eine freie Frau! Du kannst mir das nicht antun!«

Ich nahm nicht an, daß sie es draußen lange aushalten würde; dazu war sie viel zu dünn bekleidet.

Sie hatte versucht, mich umzubringen.

»Ich will deine Sklavin sein!« rief sie. Dabei wußte sie gar nicht, ob ich überhaupt noch hinter der Tür stand.

»Ich bin deine Sklavin!« rief sie. »Herr, Herr, ich bin deine Sklavin! Bitte verschone deine Sklavin, Herr.« Sie weinte bitterlich.

Ich drehte das Rad und öffnete den Durchgang wieder. Zitternd fiel sie über die Schwelle. Ich zog sie ins Innere und schloß das Luk wieder.

Entsetzt blickte sie zu mir auf. »Was für ein Mann bist du, Herr?« fragte sie. Zitternd kniete sie vor mir nieder.

»Schau mich an!« befahl ich, und sie gehorchte. »Du wirst die Peitsche zu spüren bekommen«, sagte ich zu ihr.

»Ja, Herr«, antwortete sie ergeben.

»Du wirst viel zu lernen haben.«

»Bitte unterweise mich. Ich werde lernen«, sagte sie. »Die Station ist in unserer Hand«, meldete Ram. »Bis auf das Gemach Zarendargars, der auch Halb-Ohr genannt wird. Niemand hat diesen Raum bisher betreten.«

»Das übernehme ich«, sagte ich.

»Wir könnten die Tür aufsprengen«, meinte Ram.

»Ja«, stimmte Drusus begeistert zu.

Ich marschierte durch den Korridor auf Zarendargars Kommandoraum zu. Etwa hundert Meter hinter mir kamen Ram und Drusus, Karjuk und Imnak und zahlreiche rothäutige Jäger. In meiner Hand ruhte ein Pfeilgewehr. Der Weg kam mir sehr weit vor. Ich wußte gar nicht mehr, wie weit das Gemach entfernt war. Das System der Deckenschienen war etwa vierzig Fuß vor Zarendargars Tür zu Ende. Ich blickte zur Überwachungskamera an der Decke empor, die sich auf mich gerichtet hatte. Zweifellos war meine Annäherung beobachtet worden.

An der Tür zu Zarendargars Raum blieb ich stehen und hob das Pfeilgewehr. Aber die Tür war offen.

Es hatte in der Station heftige und blutige Kämpfe gegeben. Viele Besatzungsmitglieder der Station und rothäutige Jäger waren gefallen. Der Widerstand war von dem riesigen Kur mit dem zerfetzten linken Ohr geleitet worden. Aber die Zahl der rothäutigen Jäger war zu groß gewesen. Als der Kampf verloren schien, hatte er es den Kurii und den Menschen freigestellt zu fliehen oder sich zu ergeben. Von den Kurii hatte keiner kapituliert. Die meisten hatten bis zum Äußersten gekämpft und waren getötet worden. Einige waren verwundet geflohen und in die arktische Nacht verschwunden. Zarendargar hatte sich in seine Bastion zurückgezogen.

Die Tür stand offen. Mit dem Lauf meiner Waffe stieß ich sie auf. Vorsichtig glitt ich über die Schwelle und senkte die Waffe.

»Sei gegrüßt, Tarl Cabot«, tönte es aus dem Übersetzungsgerät.

Wie schon einmal erblickte ich Zarendargar auf dem pelzbelegten Podest. Ganz in seiner Nähe lag ein kleines Gerät.

Die riesige Gestalt richtete sich schwerfällig in eine sitzende Stellung auf und beobachtete mich.

»Verzeih mir, mein Freund«, sagte sie. «Ich habe viel Blut verloren.«

»Dann wollen wir deine Wunden verbinden«, sagte ich.

»Trink einen Schluck Paga«, antwortete das Ungeheuer und deutete auf die Flaschen und Gläser an der Wand.

Ich ging zu dem Regal, warf mir das Pfeilgewehr über die Schulter und schenkte zwei Gläser Paga ein. Eines gab ich Zarendargar, das andere behielt ich für mich. Dann setzte ich mich mit untergeschlagenen Beinen vor der Plattform nieder, nach Art eines Kriegers.

»Du bist mein Gefangener«, sagte ich zu Halb-Ohr.

»Das glaube ich nicht«, kam die Antwort. Der Kur griff nach dem kleinen Metallgerät das neben ihm auf dem Podest gelegen hatte. Es verschwand in seiner linken Pfote.

»Ich verstehe«, sagte ich. Meine Nackenhaare begannen sich zu sträuben. Ein Kribbeln lief mir über den Rücken.

»Trinken wir auf deinen Sieg!« sagte er und hob das Glas. »Auf den Sieg der Menschen und Priesterkönige k

»Du bist großzügig.«

»Ein Sieg in einer Schlacht ist noch kein gewonnener Krieg«, sagte er.

»Das stimmt.«

Wir stießen an und tranken.

Der Kur stellte das Glas fort und hob das metallische Gebilde. Ich erstarrte.

»Ich kann diesen Schalter bedienen«, sagte er, »ehe du schießen könntest.«

»Das ist mir klar«, sagte ich. »Du blutest«, fügte ich hinzu.

Der Kur hob das Metallgebilde. »Dies hast du gesucht«, sagte er.

»Natürlich«, gab ich zurück. »Ich habe zu spät begriffen, wo ich es zu suchen hatte.«

»Du wirst mich nicht lebendig gefangennehmen können«, sagte Halb-Ohr.

»Eine Kapitulation ist nichts Ehrenrühriges. Du hast gut gekämpft, aber verloren.«

»Ich bin Halb-Ohr, ein Kur«, lautete seine Antwort.

»Ist die Station denn so wertvoll, daß du sie zerstören möchtest?« fragte ich.

»Die Vorräte hier und die Aufmarschpläne, die Unterlagen und Kodebücher dürfen den Priesterkönigen nicht in die Hände fallen«, sagte das Wesen und sah mich an. »Ich habe hier zwei Schalter an dem Gerät«, fuhr es fort und hob das Gebilde. »Ich brauche nur einen der Hebel zu betätigen«, sagte er, »und zwei Dinge nehmen unwiderruflich ihren Lauf. Erstens wird aus der Station ein Signal an die Stahlwelten gefunkt. Dieses Signal, das von den Kundschafterschiffen wie auch von der Flotte empfangen werden kann, informiert meine Artgenossen von der Vernichtung der Station, von dem Verlust dieser Munition und des Kriegsmaterials.«

»Und der zweite Teil des Impulses, gleichzeitig ausgelöst, betrifft die Vernichtung der Anlage«, ergänzte ich.

»Natürlich«, sagte Halb-Ohr.

Sein Finger lag auf dem Schalter.

»Es befinden sich noch zahlreiche Menschen in der Station«, sagte ich.

»Aber keine Kurii.«

»Das stimmt. Aber Menschen, Und viele davon, jetzt gefangen, waren deine Helfershelfer.«

Der Kur drückte den zweiten Schalter.

Ich verkrampfte mich, doch der Raum, die Anlage, flog nicht in die Luft.

»Der zweite Schalter ist betätigt«, sagte er. »Das Signal an die Welten, die Flotte ist hinausgegangen. Außerdem ist die Vernichtung unserer Basis eingeleitet.«

»Aber es ist die zweite Variante«, sagte ich.

»Ja, die zweite Variante, die genug Zeit läßt für die Evakuierung der Anlage.«

»Wieviel Zeit?«

»Drei Kur-Ahn«, lautete die Antwort. »Das Gerät ist natürlich auf Kur-Zeitrechnung eingestimmt, die sich nach der Rotation unserer Heimatwelt richtet.«

»Dieselbe Zeit, die hier in der Station gilt?«

»Natürlich.«

»Das wären gut fünf goreanische Ahn«, sagte ich.

»Ungefähr. Ich würde euch aber raten, eine gute Kur-Ahn entfernt zu sein, wenn die Anlage explodiert.«

»Ich werde schnell handeln«, sagte ich. »Du mußt uns begleiten.«

Der riesige Kur legte sich mit geschlossenen Augen auf die Plattform.

»Nein«, sagte er. Blut strömte über dem riesigen Körper des Ungeheuers.

»Wir können dich fahren«, sagte ich.

»Wer mir zu nahe kommt, wird sterben!«

»Wie du willst.«

»Ich bin Zarendargar, Halb-Ohr«, sagte das Wesen. »Ich bin zwar in Ungnade gefallen, ich habe versagt, doch ich bin Zarendargar, Halb-Ohr, ein Kur.«

»Ich lasse dich jetzt allein«, sagte ich.

»Dafür bin ich dir dankbar. Du scheinst dich recht gut in unser Denken hineinversetzen zu können.«

»Es unterscheidet sich nicht sehr von dem des Kriegers«, sagte ich.

Ich schenkte noch ein Glas Paga ein und ließ es in seiner Reichweite auf der Plattform stehen.

Dann wandte ich mich ab und begab mich zur Tür. Er wollte alleingelassen werden, er wollte in der Dunkelheit verbluten; niemand sollte sein Leiden beobachten. Die Kurii sind stolz.

Auf der Schwelle machte ich kehrt. »Ich bin stolz, dich kennengelernt zu haben, Kommandant«, sagte ich.

Das Übersetzungsgerät blieb stumm. Ich ging.

Загрузка...