12

Am meisten machte mir wohl das Fehlen von Blumen zu schaffen.

Etwa fünf Tage, nachdem ich die Sklavin Arlene unterworfen hatte, erreichte ich den Rand des Axtgletschers. Dort stieß ich auf das Lager Imnaks, der Fingerhut und Distel bei sich hatte.

»Ich habe auf dich gewartet«, sagte Imnak. »Ich dachte mir schon, daß du kommen würdest.«

»Warum?«

»Ich habe die Felle und Vorräte gesehen, die du an der Mauer für dich auf die Seite legtest«, antwortete er. »Du hast im Norden etwas zu erledigen.«

»Ganz recht.«

Er fragte nicht weiter. Er war ein rothäutiger Jäger. Er wußte, daß ich ihm meine Pläne erzählen würde, wenn ich es wollte. In einem Beutel an seinen Gürtel befand sich die kleine Schnitzerei aus bläulichem Stein, der Kopf eines Kur mit einem halb abgerissenen Ohr.

»Ich hatte gehofft, daß du auf mich warten würdest«, sagte ich. »Ein Mann wie ich könnte Probleme haben, das Eis zu überqueren.«

Ich wußte, daß er mich dabei beobachtet hatte, wie ich meinen Rucksack packte.

Imnak grinste. »Du hast die Tabuk befreit.« Dann wandte er sich an seine Mädchen. »Baut das Lager ab!« befahl er. »Ich will nach Hause.«

Mit Imnaks Hilfe würden wir den Axtgletscher überqueren und die Innuit finden, wie sie sich nannten, ein Wort, das in ihrer Sprache »das Volk« bedeutet. Ich mußte daran denken, daß sich Zarendargar in der an mich gerichteten Botschaft als »Kriegsgeneral des Volkes« bezeichnet hatte. Damit hatte er vermutlich sein eigenes Volk oder seine Rasse gemeint, ein Begriff, der nicht ungewöhnlich ist. Die Innuit kennen außerdem keine »Kriegsgeneräle«. Das Kriegführen ist ihnen im Grunde fremd. Im allgemeinen leben sie in kleinen Gruppen. Angesichts der Weite ihrer Heimat wäre jeder Krieg sinnlos gewesen. Im Norden brauchte man Freunde, keine Feinde. Die geringe Größe der Gruppen führt zu einer strikten sozialen Kontrolle, die darüber hinaus kriminelle Entwicklungen gar nicht erst entstehen läßt.

Ich blickte über das Eis des Axtgletschers. Dahinter lag das weite polare Becken.

Der Norden ist ein abweisendes Land. Wenn man ständig damit beschäftigt ist, sich der harten Natur zu erwehren, bleibt wenig Raum, sich dem Luxus der Kriegführung hinzugeben. Überdies schienen die Innuit von ihrer Kultur wie auch Rasse her gar nicht dazu geeignet, gewalttätig vorzugehen. Sie schienen mir ein freundliches, liebenswürdiges Volk zu sein. Feindseligkeit ist ihnen fremd. Gäste werden auf das Herzlichste begrüßt und großzügig bewirtet. Natürlich sind auch sie nicht ohne Fehler, doch scheinen die Innuit im großen und ganzen glücklich und zufrieden zu sein. Vielleicht leben sie deshalb in dieser Landschaft. Vielleicht sind sie nicht in der Lage oder willens, sich mit aggressiven Gruppierungen auseinanderzusetzen. Ihre Zurückhaltung, so sieht es aus, hat dazu geführt, daß sie ans Ende der Welt gedrängt wurden. Wo niemand anders leben will, haben die Innuit, gesellig und liebevoll, ihre öde Zuflucht gefunden.

Imnaks Peitsche senkte sich auf Fingerhuts nackten Rücken. Das blonde Mädchen, das in einem früheren Leben einmal Barbara Benson gewesen war, verstärkte ihre Anstrengungen, den Schlitten zu beladen. Distel, das dunkelhaarige Mädchen, das früher Audrey Brewster geheißen hatte, sputete sich ebenfalls, um nicht auch bestraft zu werden.

Die rothäutigen Jäger sind zwar sanftmütig, doch ihren Sklavinnen erlegen sie eine strikte Disziplin auf.

»Wie ich sehe, hast du auch ein Geschöpf«, sagte er und blickte an mir vorbei auf die liebliche Arlene.

Im dünnen Schnee stand sie verängstigt vor dem rothäutigen Jäger. Sie trug eine ärmellose Pelzjacke, mit Lederschnur zusammengehalten, Beinkleidung aus Fell und Lederstücke, die sie sich um die Füße gebunden hatte. Sie begriff noch nicht einmal, daß sie jetzt eigentlich niederknien mußte.

»Die Sachen werden im Norden nicht genügen«, sagte Imnak.

»Vielleicht kannst du ihr beibringen, sich geeignetere Kleidung zu nähen«, schlug ich vor.

»Ich habe meine Mädchen darin unterwiesen«, antwortete er. »Sie werden es ihr zeigen.«

»Vielen Dank«, sagte ich.

Es war unter der Würde eines Mannes, einem Mädchen das Nähen beizubringen.

»Wie ich sehe, trägst du das Leder am Hals«, sagte Fingerhut zu Arlene.

»Und ich sehe, daß deine Brüste unbedeckt sind«, antwortet« Arlene.

»Zieh deine Jacke aus!« wies ich Arlene an. Widerstrebend gehorchte sie meinem Befehl. Imnak riß die Augen auf. Er begrüßte es sicher, daß dieses hübsche Mädchen ab sofort zu unserer Gruppe gehörte.

»In die Geschirre«, sagte Imnak.

Fingerhut und Distel bückten sich und legten sich die breiter Zugbänder über die Schultern.

»Ihr seid wie Tiere, ja?« rief Arlene.

»Kannst du noch ein Zuggeschirr anbringen?« fragte ich Imnak.

»Natürlich.«

Und nach kurzer Zeit stand auch Arlene zornbebend vor dem Schlitten.

Imnak ließ die Peitsche knallen, und die Mädchen stemmten sich in die Bänder. Der schwer beladene schmale Schlitten setzte sich auf dem Gestein in Bewegung und glitt dann auf das Eis des Axtgletschers, Imnak und ich hielten den Schlitten von hinten fest, damit er nicht zu schnell bergab fuhr. An dieser Stelle war das Eis des Axt-Gletschers von vielen tausend Tabuk-Hufen zertrampelt worden, eine gut hundertundfünfzig Meter breite Spur: Wir würden der Herde folgen. Wir brauchten zehn Tage für die Überquerung des Axtgletschers. In den Bergen des Nordens gibt es viele Eisformationen und auch Gletscher, doch der Axtgletscher ist auf jeden Fall der breiteste und bekannteste. Wie gefrorene Flüsse oder Seen aus Eis neigen sich diese Gletscher der Küste des Thassa entgegen das Meer suchend, einige Fuß weit im Jahr vorrückend, unmerklich wie Gestein. Mehr als einmal hörten wir ein unvorstellbar lautes Dröhnen und Krachen, wenn riesige Eisstücke, hundert Fuß oder breiter, vom Rand der Eisschicht abbrachen und ins Meer stürzten. Auf diese Weise entstehen Eisberge. Diese riesigen Brocken, teilweise groß wie ein Gebirge, wurden dann von den Meeresströmungen ergriffen und ins Nordmeer getrieben, den nach Osten reichenden Arm des Thassa am polaren Becken. In diesem Nordmeer sollte es einen »Berg, der sich nicht bewegt« geben, sofern es sich nicht um eine Erfindung handelte, ein Eisberg, der angeblich weder von den Winden, noch von den starken Wasserströmungen vom Platz bewegt werden konnte. Manchmal sahen wir das Meer sogar von unserer Position aus – dunkle Wasserflächen, mit weißen Eisbergen durchsetzt. Einige Eisberge ragen gut dreihundert Meter hoch in die Luft und sind oft viele Meilen lang. Noch eindrucksvoller erscheinen diese Größenordnungen und die Kräfte, die sie hervorgebracht haben, wenn man sich klarmacht, daß das oberhalb der Wasserlinie sichtbare Eis nur ein Bruchteil des Volumens darstellt, das sich unterhalb der Meeresoberfläche befindet. Das Süßwassereis, aus dem diese Eisberge entstehen, ist nicht so dicht wie das Salzwasser, in dem sie schwimmen; es hat nur etwa sieben Achtel des Gewichts. So befindet sich bei jedem Eisberg siebenmal mehr Masse unter der Wasseroberfläche, als darüber. Diese Eisbrocken sind wie bewegliche Riffe und können der Schiffahrt gefährlich werden. Trotzdem fallen ihnen nur wenige goreanische Schiffe zum Opfer, die im allgemeinen sehr flach gebaut sind, so daß sie gefahrlos sehr nahe an die Eisberge heranfahren können. Außerdem entgeht manches goreanische Schiff einer Katastrophe dadurch, daß es beim Zusammenprall nicht zerschellt, sondern wegen seiner flachen Bauweise zuweilen auf das Eis hinaufgleitet. Darüber hinaus sind solche Boote wegen ihres geringen Gewichts sehr manövrierfähig und können daher einem auftauchenden Hindernis auf viel geringere Entfernung noch ausweichen. Ferner ist es in der goreanischen Schiffahrt üblich, von einigen Ausnahmen abgesehen, die Boote nachts an Land zu nehmen, so daß sie außer Gefahr sind, wenn die Sicht besonders schlecht ist; können sie nicht landen, legen sie zuweilen die Masten um und werfen Anker. Im übrigen sind die meisten goreanischen Schiffe mit Rudern versehen, so daß die Besatzung im Notfall nicht dem Wind ausgeliefert ist und sich mit Ruderkraft von Eis befreien kann. Schließlich lassen sich nur wenige goreanische Schiffe in den Monaten der Dunkelheit in nördlichen Gewässern blicken, und hoch im Norden friert das Meer zu. Der Eisberg ist für die Schiffe weniger gefährlich als das Meer selbst, wenn es zuzufrieren beginnt. Wird ein Schiff im Eis gefangen, muß es ständig freigehauen werden, um nicht dem Druck des Eises ausgeliefert zu sein; die sich verschiebenden Eisschichten können es wie brüchige Aste zermalmen.

»Har-ta!« trieb Imnak die Mädchen zur Eile an. Manchmal sprach er goreanisch zu ihnen, manchmal seinen Heimatdialekt Imnak beherrschte das Goreanische recht gut. Er war mehr als einmal in den Süden gezogen, um Felle und Häute zu verkaufen.

Die meisten rothäutigen Jäger beherrschen die Sprache nicht.

Imnak und ich halfen mit, indem wir uns gegen die hölzernen Pfähle am Heck des Schlittens stemmten.

Imnak wollte natürlich, daß Fingerhut und Distel goreanisch sprachen. Würde ein weißer Händler nicht mehr für sie bezahlen, wenn sie seine Befehle verstanden?

Die Spitze des Schlittens richtete sich nach oben und zeigte dann wieder auf die Ebene der felsigen Einöde des Nordens. Der Axtgletscher, ausufernd wie die gefährliche Klinge einer Torvaldsland-Axt, lag nun hinter uns.

»Har-ta!« rief Imnak. Wir setzten unseren Weg fort.

Mehrere Bergketten erstreckten sich östlich und nördlich von Torvaldsland, jeweils miteinander verbunden und ineinander übergehend. Der Axtgletscher verläuft in einem Tal zwischen zwei solcher Gebirge. Sämtliche Bergketten zusammengenommen werden zuweilen Hrimgar-Berge genannt, was auf goreanisch Barriere-Gebirge bedeutet. Es handelt sich allerdings nicht um eine Barriere, wie zum Beispiel die Voltaj-Berge oder die Thentis-Berge oder das Ta-Thassa-Gebirge. Die Hrimgar-Berge sind bei weitem nicht so zerklüftet oder unüberwindlich wie jene anderen Gebirgsformationen und sind von zahlreichen Pässen durchzogen. Einer dieser Pässe, durch den wir gingen, heißt der Paß von Tancred, denn ihn benutzt auch die Herde von Tancred bei ihrer jährlichen Wanderung. Vier Tage nach Verlassen des Axtgletschers erreichten wir den Scheitelpunkt des Passes von Tancred, links und rechts von den Hrimgar-Bergen gesäumt. Dahinter neigte sich die Paßebene und in der Ferne erstreckte sich die Tundra des polaren Beckens. Sie ist viele tausend Pasangs breit und viele hundert tief; sie erstreckt sich weit über alle Horizonte bis zur Südküste des Nordmeeres.

Es war wohl ein sehr bewegender Augenblick für Imnak. Er blieb mitten im Paß stehen und verweilte lange Zeit reglos, den, Blick starr auf die Weite der kalten Tundra gerichtet.

»Ich bin zu Hause«, sagte er schließlich.

Dann schoben wir den Schlitten weiter.

Ich paßte wohl nicht auf, wohin ich ging. Ich beobachtete den Burschen, der in die Pelzdecke geschleudert wurde. Der Lederball traf mich in den Rücken. Aber dabei blieb es nicht. Im nächsten Augenblick hämmerte eine kleine Frau des rothäutigen Jägervolks zornig darauf herum. Sie ließ meinen Rücken erst in Ruhe, als ich mich umdrehte und sie dadurch gezwungen war, auf meine Brust zu hauen. Nach einer Weile hielt sie inne und begann mich lautstark auszuschimpfen.

In gewisser Weise bin ich schon froh, daß Worte weniger gefährlich sind als Pfeile und Dolche, sonst hätte sie gewiß wenig von mir übriggelassen. Jedenfalls war sie es nach einer Weile leid und schloß den Mund. Die Blicke und Bemerkungen der Zuschauer ließen erkennen, daß sie ganze Arbeit geleistet hatte.

Zornig blickte sie mich an. Sie trug die hohen Pelzstiefel und kurzen Fellhosen einer Frau aus dem Norden. Da wir nach dem Empfinden dieses Volkes einen heißen Tag hatten, trug sie wie die meisten Frauen der roten Jäger keine Oberbekleidung. Um ihren Hals hingen einige Bänder. Sie war recht hübsch und ihr Temperament hätte einen weiblichen Sleen in den Schatten stellen können. Ihre Kleidung war ziemlich verschlissen. Ihre ganze Art und ihre spitze Zunge ließen dagegen erkennen, daß sie eine bedeutsame Persönlichkeit war. Später sollte ich erfahren, daß unverheiratete Töchter einflußreicher Männer oft die ärmlichsten Felle tragen mußten – vielleicht als Ermutigung für die Mädchen, so anziehend wie möglich auf die Männer zu wirken. Es obliegt nämlich dem männlichen Partner oder Ehemann der Frauen, sie gut einzukleiden. Im Falle meiner temperamentvollen Kritikerin hatte dieses Prinzip aber offensichtlich noch nicht funktioniert – und das überraschte mich nicht. Der Mann, der ihr Festkleidung schenkte, mußte schon eine gehörige Portion Mut mitbringen.

Sie warf den Kopf in den Nacken und wandte sich ab. Wie die meisten Frauen der rothäutigen Jäger trug sie das Haar zu einem Knoten gebunden oben auf dem Kopf.

»Du hast ihr den Schuß verdorben«, sagte ein Mann zu mir.

»Das tut mir leid«, gab ich zurück.

Die junge Frau hatte mit anderen Jugendlichen ein fußballähnliches Spiel gespielt; Tore waren ins Gras gezeichnet. Zu spät hatte ich erkannt, daß ich versehentlich mitten durch das Spielfeld gelatscht war.

»Sie hat eine spitze Zunge«, sagte der Mann.

»In der Tat. Wer ist sie?«

»Poalu, die Tochter Kadluks.« Die rothäutigen Jäger sprechen ihren eigenen Namen zwar nur widerstrebend aus, doch mit den Namen anderer gehen sie freizügig um. Es ist ja nicht ihr Name, und sie sehen keine Gefahr, daß er womöglich entweicht, wenn sie ihn benutzen. Manchmal ist es sehr schwierig oder sogar unmöglich, einem Nordländer seinen Namen zu entlocken. Oft erfährt man dann den Namen eines Freundes, der einem schließlich den gewünschten Namen mitteilt. Auf diese Weise lernt man beide Männer kennen, doch keiner mußte seinen Namen selbst sagen.

»Ein hübsches Ding, nicht wahr?« sagte der Mann.

»Ja«, sagte ich. »Hast du die Absicht, ihr ein Festgewand anzubieten?«

»Ich bin doch nicht verrückt«, antwortete er. »Kadluk wird sie nie loswerden.«

Ich fand, an dieser Einschätzung der Lage war etwas dran.

»Hast du einen Freund, der vielleicht deinen Namen kennt?« fragte ich.

Er rief einen Mann herbei, der in der Nähe stand. »Jemand möchte jemandes Namen wissen«, sagte er.

»Er ist Akko«, sagte der Mann und entfernte sich wieder.

»Ich kann meinen Namen selbst sagen. Ich stamme aus dem Süden. Ich bin Tarl.« Ich wartete einen Augenblick lang. »Tarl, hörst du? Mein Name hat mich nicht verlassen.«

»Vielleicht ist er ganz schnell zurückgekehrt«, sagte Akko vorsichtig. »Gutes Jagen.«

»Gutes Jagen«, gab ich zurück, und er entfernte sich.

Vor sechs Tagen waren Imnak und ich mit unseren Sklavinnen

aus dem Paß von Tancred herabgestiegen. Die große Tabukjagd war bereits im Gange gewesen. Viele hundert Frauen und Kinder der rothäutigen Jäger waren pasangweit ausgeschwärmt und hatten die Herde brüllend und Pfannen schlagend in die große Steingrab-Allee gelenkt. Diese Grabmäler aus aufeinandergestapelten Steinen, jeweils vier oder fünf Fuß hoch, darauf schwarze Erde, bildeten einen langen, gut zwei Pasangs tiefen Trichter. Die Herde, die sich beim Grasen auf der Tundra auseinandergezogen hat, wird zu Tausenden von den Treibern in das große offene Ende des Trichters getrieben. Die Grabmäler, die entfernt Menschen ähneln, sorgen auf unerklärliche, unterschwellige Weise dafür, daß die Tiere im Trichter bleiben, obwohl sie gar nicht richtig eingepfercht sind. Nur sehr wenige Tiere entweichen zwischen den einzelnen Grabstätten. Die Herde hastet durch den Trichter, an dessen Ende sie natürlich kehrtmacht und verwirrt durcheinanderläuft. Viele Tiere werden getötet bis sich einige Tabuk, die klüger oder entsetzter sind als die anderen, aus der Gruppe lösen und schnaubend auf die freie Weite der Tundra galoppieren.

Ich beobachtete den Ringkampf zweier Männer.

Noch hatte ich Imnak nichts von der blauen Figur erzählt, die ich in der Tasche trug, von der Darstellung des Kur mit dem halb abgerissenen Ohr.

Im fernen Süden machte ich die blaue Kette der Hrimgar-Berge aus. Im Norden erstreckte sich die Tundra bis zum Horizont.

Viele Goreaner wissen nicht, wie es im hohen Norden wirklich ist. Zum einen ist es sehr trocken. Es fällt hier weitaus weniger Schnee als in südlicheren Breiten. Wenn aber Schnee fällt, dann schmilzt er nicht wieder so schnell. Der größte Teil des Terrains ist Tundra, eine kalte, allenfalls leicht gewellte, baumlose Ebene. Wegen des geschmolzenen Oberflächeneises und des darunter liegenden Permafrosts, der ein Einsickern verhindert, ist die Tundra im Sommer oft weich und morastig. Im Winter und in den Frühlings- und Herbstperioden stellt sie sich öde und abweisend dar, vom Wind heimgesucht, gefroren. Zu diesen Zeiten halten sich die rothäutigen Jäger am Meer auf, im Frühling und Herbst an den Küsten, im Winter draußen auf dem Eis.

Im Sommer jedoch ist die Tundra alles andere als eintönig. Überall blühen kleine Blumen. Der größte Teil der Pflanzen ist perennierend, da die Wachstumsperiode zu kurz ist, als daß im Jahreszyklus lebende Gewächse ihre Entwicklung vollenden könnten. Im Winter schlummern viele Knospen dieser Pflanzen in einer weichen Hülle, die sie vor der Kälte schützt. Es gibt in der goreanischen Arktis im Umkreis von fünfhundert Pasangs vom Pol etwa zweihundertundvierzig verschiedene Pflanzengattungen. Davon ist interessanterweise keine giftig oder mit Dornen bewehrt. Im Sommer gedeihen Blumen und Pflanzen beinahe überall.

Manchmal erscheinen im Sommer sogar Insekten – langgeflügelte schwarze Fliegen, die sich in großen Schwärmen auf die Zeltbahnen und Gesichter setzen.

Zwei Kinder liefen an mir vorbei. Sie spielten Fangen.

Ich blickte nach Norden, Dort wartete Zarendargar auf mich.

»Hilf uns, Tarl!« sagte Akko, der Mann, mit dem ich mich vorhin bekanntgemacht hatte.

»Er ist ein kräftiger Bursche«, meinte ein anderer.

Ich folgte Akko und seinen Freunden an eine Stelle, wo zwei Gruppen von Männern warteten. Zwischen ihnen lag ein schweres geflochtenes Tau aus gezwirbeltem Sleen-Leder.

Ich wurde an ein Ende des Seils gestellt. Nach kurzer Zeit begannen wir, von begeisterten Zuschauern beobachtet, mit dem Wettkampf. Viermal spannte sich das Seil, und viermal siegte unsere Mannschaft. Man gratulierte begeistert und schlug mir heftig auf den Rücken.

Dementsprechend war ich bei guter Laune, als ich zu Imnaks Zelt zurückkehrte.

»Sei gegrüßt, mein Freund«, sagte ich. »Hast du einen guten

Tag gehabt?« fragte ich.

»Ja«, sagte er. »In der Tat.«

»Wie ist das Mädchen mit den kastanienbraunen Haaren?« fragte ich.

»Großartig«, gab er zurück. »Aber Fingerhut und Distel sind noch besser.«

Das bezweifelte ich nicht, denn sie waren schon länger Sklavinnen gewesen.

»Mach uns Tee, Arlene!«

»Ja, Herr«, sagte sie. Imnak, Fingerhut und Distel schliefen. Draußen kreiste die tiefstehende Arktissonne am Himmel. Sie ging nicht unter.

»Herr«, flüsterte Arlene.

»Ja?«

»Darf ich zu dir in den Schlafsack kommen, Herr?«

Ich ließ sie zu mir herein und legte ihr den Arm um den zierlichen Körper. Ihr Kopf ruhte auf meiner Brust.

»Heute hast du mich gezwungen, zu einem Mann zu gehen und mich von ihm nehmen zu lassen«, sagte sie. »Wie stark du bist!« fügte sie staunend hinzu und küßte mich. »Ich wußte nicht, was das Sklavendasein wirklich bedeutet.«

»Das weißt du immer noch nicht.«

»Aber du bringst es mir bei.«

»Vielleicht.«

»Es ist ein seltsames Gefühl.«

»Du hast Angst davor?«

»Ich… ich spüre da etwas in mir…«

»Du hast das Zeug zu einer echten Sklavin, du weißt es nur noch nicht.«

»Nein«, sagte sie.

»Kämpfe gegen das Gefühl an.«

»Das werde ich tun.«

»Aber es wird dir nichts nützen.«

Sie schwieg.

»Du bist gegen deine Instinkte erzogen worden. Die Gesellschaft aus der du kommst, hat kein Interesse an den psychobio-logischen Bedürfnissen der menschlichen Frau. Die große Maschine ist zum Selbstzweck programmiert, nicht mit der Absicht, ihren menschlichen Bestandteilen dienlich zu sein.«

»Ich möchte kein Teil einer Maschine sein«, sagte sie.

»Dann lieg still und lausche auf deinen Herzschlag.«

»Beim Lärm der Maschine kann man kaum etwas hören.«

»Aber es schlägt«, sagte ich. »Hör nur hin!«

Sie liebkoste mit den Lippen meinen Penis.

»Laß das!« sagte ich, packte ihr Haar und riß ihren Kopf beiseite. »Man hat dich auf eine bestimmte Funktion getrimmt und dich nie gelehrt, wirklich zu leben.«

»Wie falsch es ist, zu leben!« schluchzte sie.

»Vielleicht ist es gar nicht falsch.«

»Ich wage es nicht, ich selbst zu sein«, sagte sie.

»Warum nicht?«

»Weil ich das Gefühl habe, daß tief in mir wirklich eine Sklavin steckt.«

»Eines Tages wirst du erweckt werden und feststellen, daß diese Sklavin du selbst bist.«

»O nein!«

Sie spreizte die Beine, und ich drang in sie ein.

»Sicher hat sie dich schon interessiert, dieses Mädchen, dein tiefes, wahres Ich.«

»Nein!« Sie schwieg lange Zeit, während ich sie mit langsamen, tiefen Stößen nahm. Dann sagte sie: »Ja, ich habe mich mit ihr beschäftigt. Langsam beginne ich zu begreifen, was es heißt, eine wahre Sklavin zu sein.«

Sie schrie, auf, als sie den Höhepunkt erreichte und klammerte sich stöhnend an mich.

»Du hast noch keine Ahnung«, sagte ich und küßte sie.

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