KAPITEL DREIUNDZWANZIG




Danny konnte den Boden der sternförmigen Kammer gerade noch mit den Zehenspitzen berühren.

Ein trübes, graues Licht fiel durch das kreuzförmige Fenster in der Nähe des Deckengewölbes. Ein Licht, das die Bezeichnung Tageslicht nicht verdiente. Die Art von Licht, die in vernachlässigte Gebäude kriecht. Es offenbarte nur kalte Steine von ähnlicher Farbe wie es selbst. Die graugrüne Kröte, die im Fensterspalt hockte, war ebenfalls unbeeindruckt von diesem nichtswürdigen Licht, das zu fade war, um die Staubteilchen in ihrem Strahl zu erleuchten, zu schwer und zu feucht, um etwas anderes zu tun, als bleiern auf die Fliesen zu fallen.

Rostige Ketten führten durch Löcher in Dannys Händen und waren mit zwei großen Eisenringen verbunden, die hoch über seinem Kopf an der Steinmauer befestigt waren. Danny hing mit dem Gesicht zur Wand, flach gegen die feuchte, mit Algen und Pilzen übersäte Steinmauer gepreßt. Er war bereits von Spinnen untersucht worden, und eine Ratte hatte seine Hoden blutig genagt. Der Schmerz in seinen Händen – anfangs schier unerträglich – war jetzt nur noch lange, endlose dumpfe Qual.

Danny war nackt und zitterte in der Kälte, die in den Steinen eingeschlossen zu sein schien. Er hatte seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen. Um seinen Durst zu löschen, hatte er das faulige Wasser abgeleckt, das die Wand hinablief. Es hatte einen brutalen Vergewaltigungsversuch gegeben. Aber Danny war während des Angriffs in Ohnmacht gefallen, und der Akt war nicht zu Ende geführt worden. Wahrscheinlich wollte Manovitch, daß Danny hellwach war, wenn er ihn demütigte und quälte.

Danny wußte, daß er sich in ernsthaften Schwierigkeiten befand. Für die Ketten, die ihn hielten, hatte Manovitch keine Schlüssel benutzt; er hatte mit seinen enorm starken Fingern zwei Kettenglieder verbogen. Man würde Schneidewerkzeuge brauchen, um ihn zu befreien.

»Stan Gates«, murmelte Danny. »Stan Gates ist Manovitch. Scheiße, verdammte Scheiße. O Jesus«, er weinte vor Verzweiflung und Angst. »Hilf mir, Herr. Bitte hilf mir, Herr«, betete er. »Laß mich nicht so sterben, bitte.« Er stand durch den Mangel an Nahrung, die Kälte, den Schock und den Schmerz kurz vor einem Delirium. Danny versuchte sich zu erinnern, was geschehen war. Die Erinnerung tauchte in verschwommenen grauen und schwarzen Bruchstücken wieder auf. Sie war wie ein sehr alter film noir, der in seinem Kopf ablief.

Stan Gates hatte ihn nach Heathrow fahren sollen, aber sie waren nie dort angekommen. Er hatte auf dem Weg dorthin angehalten und gesagt: »Ich glaube, wir haben eine Reifenpanne.« Und als Danny die Tür öffnete, um sich den Schaden anzusehen, hatte ihn etwas im Nacken getroffen, worauf ihm schwarz vor Augen wurde.

Er kam im kalten Wasser wieder zu sich. Zuerst dachte er wegen der fast senkrechten Steinwände, sie befänden sich im Wallgraben eines schrecklichen alten Ortes wie dem Haus von Usher. Doch trotz seines angeschlagenen Zustandes erkannte Danny die Lichter auf dem Fluß und am Ufer, die an ihm vorbeiglitten.

Jemand – Stan Gates? – schwamm mit ihm im Fluß. An den Gebäuden erkannte er, daß es die Themse war. Danny erinnerte sich daran, die Laternen auf der Tower Bridge erkannt zu haben, als sie sich darauf zubewegten und sich durch die Strömungen schlängelten. Stumpfnasige Lastkähne schwammen an ihm vorbei, aber die Kreatur, die ihn hielt, zollte dem Verkehr auf dem Fluß keine Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich konnten die Kahnführer ihn in der Dunkelheit nicht sehen. Er war wie ein widerliches amphibisches Monster aus den Tiefen aufgetaucht, um nach Beute Ausschau zu halten, während er durchs Wasser glitt.

Einmal versuchte Danny, gegen seinen Widersacher anzukämpfen, bis er entdeckte, daß er mit einem Seil gefesselt war. Er hörte auf sich zu wehren, um zu verhindern, daß sein Fänger ihn freigab und ertrinken ließ.

Nach einer langen, kalten Zeit im Wasser hielt der Schwimmer auf das Ufer zu. Nachdem sie Stein berührt hatten, glitten sie an einer Wand entlang – wie Flußeidechsen, die der Strömung folgten –, bis sie zu einem Loch in der Mauer kamen. Im Inneren eines tiefen, glitschigen Torbogens befand sich ein Eisentor. Stan riß es mit einer Hand auf, wobei das verrostete Vorhängeschloß zersprang. Danny erinnerte sich an Unkraut, das über ihn geglitten war wie tote, grüne Zungen. Dann betraten sie einen dunklen Korridor, wo Danny wieder ohnmächtig wurde.

Er erwachte in der Morgendämmerung, nackt auf den kalten Steinplatten liegend. Stan saß mit gespreizten Beinen auf seinem Brustkorb, das Gesicht zu einer Grimasse verzerrt. Die koboldartigen Augen funkelten triumphierend.

»Einen von euch habe ich schon mal«, sagte er.

Die Knie gegen Dannys Ellbogen gepreßt, nahm Manovitch abwechselnd Dannys Hände und durchbohrte sie mit Fingern, deren Nägel wie Stacheln waren. Danny schrie, und Manovitch lachte.

»Stigmata«, brüllte er. »Du solltest dich freuen, du elender Banause, daß du das Schicksal des Einen teilen kannst, dem du nachfolgst.«

Danny wäre am liebsten vor Angst und Schmerz in Ohnmacht gefallen, blieb jedoch an der Schwelle des Bewußtseins, während Manovitch fortfuhr, ihn zu verspotten und zu verhöhnen. Dann war der Vergewaltigungsversuch gekommen, bei dem Danny in einen tiefen Schacht des Entsetzens fiel, auf dessen Grund sich ein seliges Nichts befand. Als er das Bewußtsein wiedererlangte, stellte er fest, daß Ketten durch die Löcher in seinen Händen gezogen und er mit dem Gesicht zur Wand aufgehängt worden war.

»Mutter Gottes, hilf mir«, schrie er. Er starrte zu dem vergitterten Loch empor. »Ist dort draußen jemand? Helft mir!«

Aber niemand kam. In Hintergrund hörte er schwache Verkehrsgeräusche, die emsige Geschäftigkeit der Großstadt. Verdammt noch mal, wo war er? In einer verlassenen Ruine? In London gab es doch nichts, was nicht von Menschen besucht wurde! Jemand würde kommen und ihn befreien. Er lauschte angestrengt auf jedes Geräusch, hörte aber nur ein Scharren, das vermutlich von Ratten oder Mäusen herrührte.

Die Steine vor seinem Gesicht waren vor Alter und Fäulnis bröckelig. Breiiger Mörtel blieb an seiner Zunge kleben, als er versuchte, das Wasser von der Wand zu lecken. Seine Arme schmerzten, weil sie über seinem Kopf hingen, seine Beine waren eine einzige Schmerzquelle, da er den Boden nur mit den Zehen berühren konnte. Vermutlich würde er sehr schnell sterben, wenn man ihn nur lange genug so hängen ließ. Er wollte sofort sterben.

Während er weinend dort hing, Backenknochen und Nase gegen die Wand gepreßt, hörte er hinter sich eine Tür knarrend aufgehen.

»Hallo, noch hier?« fragte jemand hämisch.

Stan – oder besser Manovitch – war wieder zurück. Eine Welle des Entsetzens überschwemmte Danny. Würde er noch einmal versuchen, ihn zu vergewaltigen? Manovitch packte seine Knöchel und zog daran. Danny schrie vor Schmerzen.

»Ich würde dir zu gern die Schienbeine brechen«, murmelte Manovitch. »Aber das würde dich wahrscheinlich töten. Ich möchte, daß du lebst, wenn ich deinen Partner hier herunterbringe, um ihm deine jämmerlichen Überreste zu zeigen, diesen Haufen Knochen und Haare. Ich möchte ihn erschreckt Luft holen hören, wenn ihm bei deinem Anblick klar wird, daß ich das gleiche mit ihm machen werde, nur noch langsamer, weil ich es hinauszögere, während du elender Wicht Zeuge seiner Erniedrigung wirst.«

»Dave wird dich lebendig verbrennen«, schrie Danny in einem unbesonnenen Anfall von Tapferkeit.

Manovitch lachte. »Du dummes Geschöpf. Begreifst du nicht, daß ich euch beide in der Hand habe? Du bist mir förmlich in den Schoß gefallen. Peters hat sich irgendwohin aufs Land verdrückt, aber ich werde ihn bald haben. Möchtest du wissen, was ich mit ihm anstellen werde?« Manovitch beschrieb geduldig die sexuellen Foltern, mit denen er Dave Peters’ Körper und seinen Verstand malträtieren würde.

»Jesus wird dich dafür bestrafen«, schrie Danny. »Er wird dich zur Hölle schicken.«

Manovitch kreischte vor Lachen. »Ich war in der Hölle, Dannyboy, und bin auferstanden. Ich bin unbesiegbar. Ich bin Satans Favorit. Und was deinen Jesus angeht – der hat Angst vor mir. Er hat alles, was er hatte, aufgefahren, aber es hat nichts gebracht.«

»Falsch«, schrie Danny, der seine Ketten bewegte, um eine Schmerzwelle zu provozieren, die ihn anstacheln sollte. »Falsch. Falsch. Falsch. Du hast gegen Engel gekämpft, vielleicht sogar gegen Erzengel, aber wenn Jesus dich vernichten möchte, wird er dich wie eine Kerzenflamme ausblasen. Du bist nichts gegen ihn, nichts. Du bist weniger wert als der Dreck an seinen Sandalen. Du bist ein unbedeutendes Insekt im Vergleich zum Herrn, ein kranker, weinerlicher Wicht mit einer Seele, die zu nichts verfault, zu nichts.«

Manovitch brüllte und fuhr mit seiner Krallenhand über Dannys Rücken, riß ihm das Fleisch von den Knochen. Danny brüllte, höher und schriller als Manovitch.

Manovitch lachte. »Ich kann deine Lunge sehen. Ich sehe, wie sie gegen deinen Brustkorb stößt. Wenn die Wunde zu eitern beginnt, wirst du es bedauern, mich geärgert zu haben.«

Danny konnte vor Übelkeit kaum noch klar denken. Er wünschte, Manovitch würde ihn auf der Stelle töten. Sein Körper hing in Fetzen.

»Wie lange kann ich das noch aushalten?« Eine Frage, die eher ihm selbst als Manovitch galt.

»Oh, eine ganz Weile«, antwortete Manovitch. »Dafür werde ich sorgen. Du wirst immer kurz davorstehen, aber du wirst nicht sterben. Meinst du, ich möchte, daß du dich diesen schimmernden Typen auf den Schlachtfeldern von Armageddon anschließt? Du wirst noch früh genug dorthin gelangen, und selbst dann wirst du mir nicht entkommen. Ich werde dich finden. Ich werde deine Seele zerstören und sie auf ewig ins Vergessen schicken. Nun, wie hört sich das an?

Du siehst also, selbst das hier ist nicht das Ende. Du wirst mich wiedersehen, an der Spitze meiner Truppen. Dann wirst du Schmerzen erleiden, wie du sie noch nie gefühlt hast. Spiritueller Schmerz ist eine millionmal schlimmer als körperlicher oder mentaler Schmerz. Ich werde dafür sorgen, daß du vernichtet wirst. Darauf kannst du dich verlassen. Du und deine Art. Und Peters. Ihr werdet weniger sein als der Staub unter meinen Sandalen. Ist das nicht schön?«

Danny lauschte der Tirade mit sinkendem Mut. Daß er ab und zu leiden sollte, war unvermeidlich, doch als gläubiger Katholik hatte er gehofft, nach seinem Tod den Rest der Ewigkeit in himmlischem Frieden zu verbringen. Vielleicht war das hier das Fegefeuer, und er wurde durch Leid geläutert, bevor er in den Himmel kam. Das würde einen Sinn ergeben. Vielleicht war Manovitch ein schreckliches Werkzeug des Herrn, gesandt, die Seele von Danny Spitz zu läutern, bevor sie in den Himmel aufstieg.

»O bitte, ja«, murmelte Danny. »Vielleicht bin ich auf dem Weg zum Flughafen bei einem Autounfall gestorben. Oder im Flugzeug.«

Manovitch lachte. »Gestorben? Du bist nicht gestorben. Aber du wirst sterben, wenn ich dir genügend Schmerzen zugefügt habe. Keine Sorge.«

Auch dieser Spott konnte zur Läuterung gehören. Danny schöpfte wieder Hoffnung. Die Folterungen waren Vorbereitungen auf dem Weg zum Herrn. All die fleischlichen Sünden, die er auf Erden begangen, die schmutzigen Magazine, die er gelesen, die Frauen, die er in den Schmutz gezogen hatte, weil er nahm, was sie ihm anboten und ihnen dafür Geld gab: All diese schrecklichen Missetaten fielen jetzt wieder auf ihn zurück.

Dämonen würden kommen, um seinen Aufenthalt im Fegefeuer zu einer gräßlichen Erfahrung zu machen – einer Erfahrung, die seine Seele auf immer in einer Schatulle Gottes versiegeln würde. Sie würden ihre Worte sorgsam wählen. Worte, die ihn verwunden würden wie Manovitchs Krallen. Er mußte den Schmerz, den sie ihm zufügten, willkommen heißen, ihn mit Würde tragen wie ein Heiliger. Aber er durfte sich nicht als Heiligen betrachten. Er war ein unreiner Sünder, den Feuern der Hölle ausgesetzt, und er mußte demütig bleiben.

»Tu mir noch mehr weh«, flüsterte er. »Tu mir weh.«

Manovitch kam seiner Bitte nach. Und schon bald schrie Danny abermals um Gnade.

Als Manovitch aufhörte, weinte Danny. »Ich weiß, wer du bist«, sagte er unter Tränen. »Ich weiß, wer du bist, und ich werde es überstehen, rein und schön. Ich sorge mich nicht um diesen alten Körper. Ich werde bald eine neue Gestalt besitzen, schimmernd und unbefleckt.«

»Aber vielleicht nur für sehr kurze Zeit«, murmelte Manovitch. »Nur so lange, bis ich dich wiedergefunden habe.«

Nach einer Weile hörte Danny, wie sich die Tür knarrend schloß. Sein Körper erschlaffte. Er weinte noch sehr lange. Aber etwas Helles, Leuchtendes, war jetzt in seinem Kopf, das er auf keinen Fall loslassen wollte – ein Funken Hoffnung.

»Diese Dämonen«, sagte Danny, »denken, sie könnten mich hereinlegen, aber da irren sie sich. Ich weiß, daß ich tot bin. Das hier sind die Verliese, die Abgründe der Hölle. Hier versucht man dich zu zerbrechen, deinen Glauben an den Herrn zu zerstören. Sie werden mich nie dazu bringen, meinen Glauben zu leugnen. Hier muß es andere geben, die ähnliche Qualen erleiden. Ich spüre, daß ich tot bin. Ich weiß nicht, wie ich gestorben bin, aber ich bin tot, und bald schon werde ich es hinter mir haben und in eine neue Welt eingehen.«

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