KAPITEL NEUN




»Nach Osten, junger Mann«, sagte Dave zu seinem Fahrer.

»Da kommen Sie nicht rein«, antwortete dieser, ohne den Horace-Greeley-Witz zu erkennen. »Wir haben die Kuppel abgesperrt. Ich möchte nicht wissen, was geschieht, wenn sie sich dem Erzengel nähern.«

»Das weiß ich. Ich wollte mir die Sache nur einmal aus der Nähe anschauen.«

Der milchgesichtige junge Constable, der seinen Wagen fuhr, war ein Londoner mit Namen Rajeb Patel. Er bog in die Theobald’s Road ein und fuhr in Richtung Gray’s Inn. »Okay, ich bringe Sie bis zur Absperrung. Vielleicht lassen sie uns ja ein Stückchen hineingehen, wenn wir ihnen sagen, wer Sie sind. Sollen wir Mr. Smith an den Hörer holen?«

»Ans Telefon? Nein, ich möchte keine Umstände machen. Ich bin nur neugierig, sonst nichts. Ich möchte die Kuppel halt nur von nahem sehen, um mich nicht wie der Tourist fühlen zu müssen, der nach Pisa fährt und sich nicht einmal die Zeit nimmt, am schiefen Turm vorbeizufahren.«

»Der ist letztes Jahr umgefallen«, erklärte Rajeb. »Die Leute schauen sich alles an, was ungewöhnlich ist. Der Erzengel zieht Tausende von Touristen an. Sie können in ganz London Erzengel-T-Shirts kaufen, Postkarten und Führer. Alle haben das Bild von diesem nackten Kerl mit Flügeln und ohne Marquess…«

»Ohne was?« fragte Dave.

»Schwanz«, erwiderte Rajeb.

Dave schüttelte verwirrt den Kopf. »Was meinen Sie mit Marquess…?«

»Marquess von Lome. Horn. Ist Cockney.«

Rajeb grinste, den Blick immer noch auf die Straße gerichtet. »Entschuldigung, Lieutenant, ich bin nun mal in Stepney geboren und liebe es, meine Wurzeln zu zeigen. Deshalb mag ich den Erzengel auch nicht. Er hat mein Viertel verbrannt. Wissen Sie, daß er sogar St. Paul’s erwischt hat? Und die Old Lady von der Threadneedle Street?«

»Eine alte Lady?« sagte Dave. »Eine alte Lady wurde verbrannt? Ich dachte, niemand wäre bei dem Feuer ums Leben gekommen.«

»Die Bank von England«, erklärte Rajeb seufzend, als hätte er es mit einem Kind zu tun.

Dave zuckte mit den Schultern und setzte die Sonnenbrille auf, da es, wenn man durch die von hohen Gebäuden gesäumten Straßen auf die riesige Halbkugel aus gleißendem Licht zusteuerte, zu einem Röhrenblitzeffekt kam. Schließlich näherten sie sich einem Stacheldrahtzaun, vor dem bewaffnete Soldaten patrouillierten. Eine Straßensperre blockierte die Hauptstraße, die in die verbotene Zone führte. Ein Polizei-Sergeant mit einer automatischen Waffe hielt die Hand hoch. Rajeb brachte den Wagen neben ihm zum Stehen, zog eine Brieftasche hervor und zeigte sie dem Sergeanten.

»Patel, Sarge. North Division. Ich habe Lieutenant Peters aus San Francisco bei mir. Er möchte sich den Erzengel einmal näher anschauen.«

»Ich kann Sie nicht hineinlassen«, sagte der Sergeant. »Das sollten Sie eigentlich wissen.«

»Ich weiß es, Sergeant«, erwiderte Dave. »War kürzlich jemand dort drin?«

»Es gibt immer wieder Verrückte, besonders wenn es um Glaubensdinge geht«, antwortete der Sergeant.

»Stimmt. Und was passiert mit ihnen? Kommen sie wieder zum Vorschein, oder was?«

»Keiner von denen ist jemals wieder aufgetaucht«, erklärte der Sergeant. »Wahrscheinlich irren sie umher, blind wie Fledermäuse – oder – nun, wer weiß?«

»Okay«, sagte Dave, während er in das intensive Licht starrte, das den Horizont erfüllte. »Mehr wollte ich nicht wissen.« Dann wandte er sich an Rajeb: »Sie können jetzt fahren, wohin Sie wollen – machen wir eine Kreuzfahrt durch die Hauptstadt. Spüren Sie eigentlich etwas – einen Kick?«

»Was meinen Sie?«

»Ich hatte angenommen, wir würden es irgendwie merken, spüren, daß etwas Mächtiges in der Nähe ist. Nun, ich finde das Licht zwar respektgebietend, aber ich fühle nichts.«

Rajeb fuhr ihn in die Gegend südlich des Flusses. Dave konzentrierte sich darauf, die Menge zu studieren, die sich in den Straßen aufhielt, fühlte sich aber der Aufgabe nicht gewachsen. Es war hoffnungslos. Wie sollten sie in einer Stadt mit so vielen Menschen jemals Manovitch finden? Oder besser gesagt: Wie sollten sie es anstellen, daß Manovitch sie fand?

Vielleicht war er als Hund oder als Ratte auf die Erde gekommen – was zu ihm passen würde –, und nicht als Mensch. Es war so frustrierend, einfach nur im Auto zu sitzen und darauf zu warten, daß Manovitch zuschlug; sich ständig umzuschauen, in der Hoffnung, daß sie ihn erkennen würden, bevor er über sie herfiel.

»Und wohin fahren wir zuerst?« fragte Dave.

»Nach Richmond«, antwortete Rajeb. »Dort gab es vor ein paar Tagen einen Aufruhr, bei dem mehrere Menschen getötet wurden. Es ist immer noch eine verdammt gefährliche Gegend. Das Seltsame ist, daß Richmond nicht zu den Slums gehört, mit heruntergekommenen Häusern und Straßen voller Arbeitslosen, sondern eher zu den guten Wohngegenden – mit Brokern, Bankern und so. Die meisten der Meuterer waren sogenannte respektable Mittelklassen-Bürger. Ein Mann sprach zu der Menge, wiegelte sie auf zu einer Art Hysterie. So wie Hitler und die Nazis im letzten Jahrhundert. Jetzt ist die Gegend eine blutige Lasterhöhle, voller Verbrecher.«

»Manovitch?«

»Klingt ganz danach, nicht wahr?«


Danny war freudig erregt und ängstlich, wie sich ein Mann, der in eine schöne Frau verliebt ist, oft fühlt, wenigstens zu Anfang der Beziehung. Wie war es möglich? dachte er. Wie konnte sich diese hinreißende junge Lady für einen kleinen, rundlichen, kahlköpfigen weißen Mann interessieren? Aber es schien so zu sein, denn sie hatten sich die ganze Nacht über geliebt, anfangs ungestüm, dann sanfter und besinnlicher, voller Zärtlichkeit und sorgsam darauf bedacht, sowohl Befriedigung zu schenken als auch befriedigt zu werden.

Ihr Körper war glatt, weich und kurvenreich. Er besaß versteckte Täler und geheime Plätze, die er noch nicht erforscht hatte. Sie erregte ihn in jeder Sekunde. Selbst jetzt, da sie durchs Zimmer ging, faszinierten ihn die Bewegungen ihrer Kleidung wie ein seltsames, wunderbares, himmlisches Phänomen.

Sie roch auch erstaunlich – nach Moschus, wie eine Löwin, die in der heißen afrikanischen Sonne unter einem Dornbusch liegt.

»Warst du jemals in Afrika?« fragte er, während sie den Schmuck einsammelte, den sie in der vergangenen Nacht abgelegt hatte.

Sie schaute hoch und lächelte: »Nein, ich wurde hier geboren, in Großbritannien.«

»Ja, ich glaube, das hast du mir bereits gesagt. Ich bin manchmal recht dumm. Es ist, es ist nur die Art, wie du dich bewegst, wie du dich in den Hüften wiegst – ich weiß nicht. Ich nehme an, es liegt daran, daß ich dich für wunderschön halte.«

Sie runzelte die Stirn. »Bitte leg keinen so großen Wert auf das Aussehen«, sagte sie. »Es ist der unwichtigste Aspekt an mir.«

»Ja, ja, ich weiß«, log er, und hätte sich am liebsten in den Hintern getreten, weil er den gleichen Fehler zum zweiten Mal gemacht hatte, »aber es gehört zu dir, oder? Ich kann es nicht ignorieren.«

»Ich wünschte, du würdest es.«

»Okay, okay, ich versuche mir vorzustellen, du seist häßlich.«

Sie kam zu ihm, umarmte ihn und küßte ihn leidenschaftlich. Dann schaute sie ihn an. Ihr Gesicht war so nahe, daß er nur ihre großen, braunen Augen sehen konnte.

»Hey«, sagte er heiser, »wir haben noch ein wenig Arbeit vor uns, oder?«

»Ja«, antwortete sie, und umarmte ihn ein letztes Mal.

Dann gingen sie ins Foyer, wo bereits der Fahrer ihres Wagens wartete, Stan Gates, Sergeant der Metropolitan Police Force.

»Morgen, Sergeant«, sagte Stan.

»Schon gut«, sagte Danny. »Wohin fahren wir?«

»In die Gegend südlich des Flusses. Ich werde einfach durch die Straßen fahren, um Ihnen ein Gefühl für das Viertel zu vermitteln.«

»Okay, dann los.«

»Hast du deinen Revolver dabei?« fragte Petra.

»Was?« fragte Danny, für einen Moment erschrocken, dann sagte er: »Oh, ja, alles klar.« Er klopfte auf sein Schulterholster.

»Dann komm«, sagte sie und spazierte zur Drehtür.

Sie überquerten die Waterloo Bridge und fuhren in südwestliche Richtung. An jeder Ecke, jeder Ampel, erwartete Danny den Angriff seines alten Feindes. Aber natürlich würde es nicht so einfach werden. Manovitch versteckte sich unter den Millionen Menschen dieser Stadt, und es wäre ein Wunder, wenn es ihm gelänge, ihn aus der Menge herauszupicken. Sie mußten darauf warten, daß er seinen Zug machte – aber bis es soweit war, hatten sie als Cops das Gefühl, auch etwas tun zu müssen.

Nach vier Stunden fuhr Stan über die Oxford Street zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Während sie an einer Ampel warteten, tauchte plötzlich ein junger Mann neben dem Wagen auf und schaute Danny in die Augen. Dannys Hand schloß sich um den Revolverkolben.

Doch der Junge flüsterte: »Möchten Sie gefälschte Uhren, Kamerad? Cartier? Longlines? Rolex?«

»Nein, danke«, sagte Danny. »Die kann ich auch in New York kriegen.«

»Und was ist mit unanständiger Software?«

»Verschwinde, bevor ich dich verhafte«, sagte Danny.

Sie starteten und ließen den Jungen enttäuscht und verärgert zurück.

Sie fuhren immer noch über die Oxford Street und studierten die Menschen in der Menge. Danny war klar, daß Manovitch nicht wie Manovitch aussehen würde, aber er hoffte, daß seine Intuition ihm half. Möglicherweise würde er seinen alten Feind an einer vertrauten Angewohnheit erkennen, seinem Gang, einem Tick, an etwas, von dem selbst Manovitch nicht wußte, daß er es hatte.

»Es ist mir egal, wie Manovitch jetzt aussieht«, erklärte er Petra. »Ich bin sicher, daß ich ihn erkennen werde, wenn ich ihn sehe.«

Als sie am Bendy-Yellow-Laden vorbeikamen, rief Petra: »Da!«

Danny folgte ihrem ausgestreckten Arm. Ein glatthaariger junger Mann starrte ihren Wagen an. Er war dunkel und wunderschön auf eine Art, die Danny bekannt vorkam. Ganz in Schwarz gekleidet, mit einem Satinmantel, der ihm bis zu den Fersen reichte, wirkte er exotisch und unter all den Menschen fehl am Platz. In den Augen des Mannes funkelte das Böse: Er wirkte, als sei er gerade einem Renaissance-Gemälde entsprungen. Doch mehr als alles andere interessierte Danny die Haltung des jungen Mannes: Er sah aus, als würde er gleich davonstürzen, wie eine erschreckte Katze.

»Ich sehe ihn«, sagte Danny.

In diesem Moment lief der junge Mann in Richtung Tottenham Court Road, dann eine Seitenstraße hinab. Es war klar, daß sie ihm wegen des dichten Verkehrs nicht mit dem Wagen verfolgen konnten. Danny sprang aus dem Wagen und spurtete mit der Waffe in der Hand los.

»Hey, können Sie nicht aufpassen!« schrie ein großer, blonder Mann, als Danny ihn streifte.

Danny ignorierte ihn. Er hatte nur eins im Sinn: den Mann mit dem glatten Haaren zu fangen, der jetzt in einem jener Kaufhäuser verschwand, die mit Ophit-Uhren und Perserteppichen vollgestopft waren. Danny folgte ihm und schlängelte sich zwischen den üppig ausgestatteten Ladentischen und den wohlhabenden Kunden hindurch. Zuerst glaubte er, seine Beute verloren zu haben, doch dann sah er die schwarze Gestalt in einem achteckigen Glasbehälter verschwinden.

Als Danny darauf zulief, erkannte er, daß der junge Mann sich in einem Glasaufzug befand, von dem aus man einen guten Blick auf den Raum hatte. Danny schaute hoch und sah, wie der Kerl ihn durch das grün getönte Glas angrinste. Danny zweifelte nicht daran, daß er einen Fluchtweg aus einem der oberen Stockwerke kannte.

Scheiße, dachte er, war das da oben Manovitch?

Plötzlich wich das Grinsen aus dem Gesicht des jungen Mannes einer Maske reinsten Schreckens. Er trat einen Schritt vor und preßte die Hände gegen die Glaswände, als wolle er zwischen den Stockwerken aussteigen. Er hatte die Augen weit aufgerissen, ein eigenartiger Zug umspielte seinen Mund.

Was zum Teufel ist los? dachte Danny. Er zielte doch nicht einmal auf den Kerl, sondern auf den Boden, um einen Unfall zu vermeiden. Dennoch hätte er schwören können, daß der Mann dort im Aufzug aussah, als würde er gleich sterben; diesen Gesichtsausdruck hatte Danny schon einmal gesehen, im Jahre 1996. Instinktiv legte er die Hände vor die Augen.

Im nächsten Augenblick gab es einen blendend weißen Blitz, und der Aufzug explodierte in einem Funkenregen. Obwohl die Explosion im Inneren des Aufzugs stattfand, war das Licht so gleißend hell, daß Danny es noch durch seine Hände sehen konnte. Menschen schrien. Danny suchte in den Taschen nach seiner Sonnenbrille.

Der Aufzug erinnerte an eine helleuchtende Lampe, die an der Fassade des Kaufhauses hing und den Ort mit ihrem Schein erfüllte.

Etwas in dem Aufzug brannte wie ein riesiger Kerzendocht, so intensiv wie die Flamme eines Schneidbrenners. In der Hitze begannen die Glaswände zu schmelzen. Geschmolzenes Glas tropfte auf eine mit Parfümflaschen dekorierte Ladentheke. Ein Verkäufer schrie, als ihn ein Tropfen auf die Schulter traf und sich ins Fleisch brannte.

Menschen liefen blindlings in alle Richtungen, rammten Schauvitrinen und verstreuten deren Inhalt über den Boden. Berge von Glasschmuck gingen zu Boden, Stapel von ledernen Notizbüchern fielen um und glitten über die Marmorfliesen; das steinerne Modell des ägyptischen Pharaos Amenhotep schwankte, um schließlich gegen eine gläserne Ladentheke voller Flitterkram zu stürzen.

»Keine Panik«, schrie Danny. »Alle stehenbleiben.«

Natürlich kümmerte sich niemand um ihn.

Der Aufzug setzte seine Fahrt zum Glasdach empor fort, wie eine Supernova, die an ihren Platz am Firmament zurückkehrt.

Als das Glas so weit geschmolzen war, daß Sauerstoff in den Aufzug gelangen konnte, nahm das Feuer an Intensität zu; und als die Flammen endlich das Sprinklersystem in Gang setzten, war die Kreatur im Aufzuginneren fast vollständig zu Asche verbrannt.

Danny lief los, schnappte sich den von geschmolzenem Glas verletzten Mann und zerrte ihn weiter.

Die Sprinkleranlage löschte all die kleinen Feuer, die durch den großen Brand entfacht worden waren, der nun hoch über Dannys Kopf zischend erstarb. Danny war sich dessen bewußt, daß allein das Sicherheitssystem eine Tragödie verhütet hatte, da viele Kunden und Angestellte immer noch halbblind und in Panik durch das Chaos auf dem Boden krochen. Ein oder zwei rührige Ladendiebe stopften sich alles in die Taschen, was sie nur ertasten konnten. Obwohl Cop, konnte sich Danny nicht um ihre Verhaftung kümmern. Er war wie betäubt und fragte sich immer noch, was geschehen war.

Was war geschehen? Der Kerl war vor ihm, Danny Spitz, davongelaufen und dann von innen heraus verbrannt. Danny kam diese Szene zu bekannt vor, um sie als zufälliges Phänomen, als eine Laune der Natur, abzutun. Jemand hatte den Kerl dazu gebracht, zu explodieren; auf die gleiche Weise hatte der Engel vor sechs Jahren in San Francisco Dämonen den Garaus gemacht.

Danny schaute sich um. So wie es aussah, war niemand ernsthaft verletzt worden; und es trafen auch schon Sanitäter ein. Auf dem Weg zur Tür hörte er, wie jemand etwas von Terroristen sagte. Aber Danny wußte es besser.

Als er auf die Straße trat, stand Petra mit aschgrauem Gesicht vor ihm. Danny, von der Sprinkleranlage naß bis auf die Haut, stand mit tropfenden Kleidern da und starrte sie an.

»Hast du das gesehen?« fragte er. »Warst du hier?«

»Ich… ich bin gerade erst angekommen«, sagte sie.

»Wer hat das getan?« fragte Danny und deutete auf das verwüstete Kaufhaus.

»Ich denke, es war der Erzengel. Was meinst du?« fragte Petra. »Läuft es nicht so ab?«

»Du meinst, als der Engel da war? Ja. Ich habe einmal gesehen, wie der Engel etwas Ähnliches in einem vollbesetzten Straßencafe tat. Dave und ich wurden auf die Straße geschleudert, als das Cafe explodierte. Ich glaube, die Rettung für den Laden war, daß der Kerl sich im Aufzug befand. Ich hasse es, mir vorzustellen, was geschehen wäre, wenn er der Stoffabteilung einen Besuch abgestattet hätte.«

»Das Feuer hätte außer Kontrolle geraten können«, erwiderte Petra.

»Hätte außer Kontrolle geraten können? Es wäre außer Kontrolle geraten – selbst wenn das Sprinklersystem sofort angesprungen wäre. Dort oben befand sich eine menschliche Fackel.«

»Er war nicht menschlich«, sagte Petra.

Danny starrte sie an; er spürte, wie Wasser über seine Schuhspitzen lief.

»Nicht menschlich? Ich vergesse immer, daß du diesen metaphysischen Kontakt hast. Was war er denn? Ich nehme an, es ist vermessen zu hoffen, daß dort oben die glühende Asche unseres guten alten Kumpels Manovitch zischt.«

»Tut mir leid; es war nicht Manovitch, sondern nur ein Dämon.«

»Nur ein einfacher alter Dämon, wie?« Danny spuckte aus, als das Wasser ihm von der kahlen Stelle auf seinem Kopf übers Gesicht zum Kinn lief. »Das ganze Chaos wegen eines gewöhnlichen alten Dämons. Wer hätte das gedacht, ein Deserteur der Schlachtfelder von Armageddon.«

»Genau«, sagte Petra. »Du hast davon gehört, oder?«

»Ich hatte mal einen guten Kameraden unter ihnen, einen Dämon namens Malloch.«

»Du hattest einen gefallenen Engel als Freund, einen Deserteur aus Satans Armeen?«

»Nun, ich glaube, ich habe ein wenig übertrieben. Er war eigentlich kein Freund, eher ein Verbündeter bei dem Versuch, einen gemeinsamen Feind zu erledigen. Der arme Bastard wurde vom Engel eingeäschert. Ich glaube, der Engel war zu dieser Zeit bereits gefallen; also war es der Kampf zweier Dämonen. Da war diese abgefahrene, selbstgebastelte Falle – eine Leuchtstoffröhre mit Petroleum. Der gute alte Malloch stand gerade darunter, als sie angeknipst wurde.«

Schließlich war Stan mit dem Wagen bei ihnen angelangt.

»Und – haben wir ihn schon erwischt?« fragte Stan.

»Nein, nur einen gewöhnlichen Dämon, sonst nichts«, erwiderte Danny. »Nichts Besonderes. Fahren Sie uns zum Hotel, ich muß diese nassen Sachen loswerden. Wir unterhalten uns während der Fahrt.«

Im Auto sagte Petra: »Der Tod eines Dämons ist nichts Besonderes. Wir wollen Manovitch.«

»Das weiß ich«, erwiderte Danny, »aber ich möchte immer noch wissen, was mit ihm los war. Ich weiß immer noch nicht genau, was passiert ist.«

»Ich habe dir gesagt, was passiert ist«, sagte Petra, und richtete die volle Kraft des Blicks ihrer braunen Augen auf ihn. »Der Erzengel streckte sich aus und zerstörte einen gefallenen Engel.«

»Weshalb sollte er das tun?« fragte Stan. »Bei allen Einsatzbesprechungen nach 1996 sagte man uns, daß es auf der Welt von Dämonen wimmle, sie aber relativ harmlos seien – sozusagen nur Verbrecher auf der Flucht, nicht gefährlicher als ein Zuhälter oder ein Taschendieb. So habe ich es verstanden.«

»Sie haben richtig verstanden, Stan«, sagte Danny, und klopfte ihm mit seiner nassen Hand auf die Schulter. »Stan hat recht. Die Welt ist voll von diesen verdammten Dämonen. Weshalb sollte der Erzengel diesen einen töten wollen?«

»Zerstören, nicht töten«, verbesserte ihn Petra.

»Semantik«, murmelte Danny. »Es war immer noch ein Wesen, das man hätte in Ruhe lassen können.«

»Wenn dem Erzengel die Gegenwart eines Dämons mitgeteilt wird, zerstört er ihn.«

Danny schaute Petra an. »Und wer hat sie ihm mitgeteilt? Du?«

Sie antwortete nicht, sondern starrte auf die Straße.

»Egal«, sagte Stan, der sich einer gewissen Spannung bewußt war, »das war ein richtige Feuerwerksrakete, nicht wahr? Was für ein Abgang. Bonfire*-Nacht.«

»Bonfire-Nacht?« fragte Danny.

Petra drehte sich um und schaute ihn an. Dann wischte sie sein Gesicht zärtlich mit einem kleinen, himmlisch duftenden Spitzentaschentuch ab. Es hätte Danny verrückt gemacht, wenn er mit ihr allein gewesen wäre. Er erinnerte sich an ihre schwarzseidenen Dessous, dünn und glatt, die nach dem gleichen Parfüm dufteten. Ihm fiel ein, daß er sich noch vor wenigen Stunden gewünscht hatte, in diesem Duft zu ertrinken.

»Bonfire-Nacht«, bestätigte sie. »Der fünfte November. An diesem Tag werden überall Feuerwerke gezündet und Strohpuppen als Symbole für den Mann verbrannt, der versucht hat, die Houses of Parliament in die Luft zu jagen.«

»Und seit wann gibt es diesen heidnischen Brauch schon?« fragte Danny.

»Seit dem Jahre 1605«, antwortete Petra lächelnd. »Guy Fawkes gehörte zu einer Gruppe von Verschwörern, die planten, die damalige Regierung zu vernichten – wir nennen es den Gunpowder Plot*.«

»Komm zurück, Guy Fawkes, alles ist vergeben«, sagte Danny. »Er kann jederzeit den Kongreß in die Luft jagen, in dem gerade die Republikaner sitzen.«

»Bist du Demokrat?«

»Darauf kannst du wetten. Also verbrennt ihr Briten seit vierhundert Jahren jedes Jahr die Nachbildung des armen Bastards? Schon vierhundertmal ging der Kerl in Flammen auf, nur weil er versucht hat, ein paar Politiker loszuwerden?

Verdammt, wir haben mehrere Präsidenten verloren, und niemand verbrennt ihre Mörder.«

»Ihr seid ja auch nicht solche Heiden wie wir – oder so nachtragend«, sagte Petra. »Wenn sich hier jemand mit den oberen Klassen anlegt, muß er teuer dafür bezahlen. Es kümmert niemanden, wenn du einen Bauern tötest; doch sollte jemand so unverschämt sein zu versuchen, Mitglieder des Adels zu meucheln, wird alljährlich an sein Schicksal erinnert, für den Fall, daß ein anderer Emporkömmling sein Glück versuchen möchte.«

In diesem Augenblick hielt der Wagen vor dem Hotel. Danny patschte mit nassen Schuhen durchs Foyer, bedachte den Aufzug mit einem Blick, schüttelte den Kopf und benutzte die Treppe. Als er in der Badewanne lag, kam Petra, um ihm den Rücken zu schrubben. Ihr Duft schwebte über ihm, hüllte ihn ein und entführte ihn in ein anderes Land.

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